Nahost: Israel droht mit Ausweitung des Krieges in der Region

Erklärung der Liga für die Fünfte Internationale, 14.4.2024, Infomail 1251, 15. April 2024

Am 13. April feuerte der Iran 300 Drohnen und ballistische Raketen auf Israel ab. Die große Mehrheit wurde von Israels hochentwickelten Luftabwehrsystemen, aber auch mit Hilfe der in der Region stationierten amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte sowie Jordaniens und Saudi-Arabiens abgeschossen.

US-Präsident Joe Biden, der Israels sechsmonatigen Völkermord im Gazastreifen weiterhin unterstützt und verteidigt, beeilte sich natürlich zu sagen: „Ich verurteile diese Angriffe auf das Schärfste“. Er fügte hinzu: „Ich habe gerade mit Premierminister Netanjahu gesprochen, um Amerikas eisernes Engagement für die Sicherheit Israels zu bekräftigen.“

Tatsächlich war der iranische Angriff eine Reaktion auf eine weitaus schädlichere Provokation Israels. Am 1. April feuerten israelische Kampfflugzeuge mehrere Raketen ab, die das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt Damaskus zerstörten und Brigadegeneral Mohammad Reza Zahedi, einen hochrangigen Kommandeur des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), einen weiteren iranischen General und 14 andere Personen töteten.

Militäranalyst:innen zufolge wurden die iranischen Angriffe absichtlich so gewählt, dass sie von der israelischen und verbündeten Luft- und Raketenabwehr leicht entschärft werden konnten. Außerdem handelte es sich bei den Zielen offenbar nicht um Bevölkerungszentren, sondern eher um einige abgelegene militärische Ziele auf den Golanhöhen und in der Wüste Negev. Der gesamte Angriff war höchst symbolisch und sollte der „Abschreckung“ vor weiteren israelischen Attacken dienen. In diesem Sinne erklärte auch der Sprecher der iranischen Mission bei den Vereinten Nationen, dass sie die Angelegenheit in Damaskus mit diesem Vergeltungsschlag als „erledigt“ betrachten.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die israelische Regierung dies auch so sieht. Für sie ist die iranische Regierung in eine Falle getappt, die sie mit der Provokation von Damaskus gestellt hatte. Die Netanjahu-Regierung braucht die „Einmischung“ des regionalen Hauptfeindes, um ihre militärische Stärke zu beweisen und den Gazakrieg zu einem Krieg mit allen Kräften in der Region auszuweiten, die den palästinensischen Widerstand unterstützen könnten. Wie ein israelischer Beamter sagte, ist es jetzt an der Zeit, die Fähigkeit des Irans auszulöschen, eine Bedrohung für Israel darzustellen.

Die Umwandlung des Genozids im Gazastreifen in einen regionalen Krieg, vor dem auch die Vereinigten Staaten seit langem gewarnt haben, ist damit einen großen Schritt vorangekommen. Es ist klar, dass dies eine bewusste Provokation des Kriegskabinetts von Netanjahu ist, die nicht nur auf den Iran abzielt, sondern auch darauf, seine amerikanischen und westeuropäischen Verbündeten direkter zu verwickeln.

Es stellt auch ein Mittel dar, um den Problemen zu entgehen, die durch die Großdemonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem entstanden sind, bei denen sein Rücktritt gefordert wurde. Außerdem wurde er durch die Verurteilung des Massakers der Israelischen Sicherheitskräfte IDF an den Mitarbeiter:innen der World Central Kitchen, die am 1. April Hilfsgüter lieferten, durch die internationalen Medien kurzzeitig in Verlegenheit gebracht. Seine Verbündeten können nun zur Propaganda „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen“ zurückkehren.

Die Gefahr, dass Israel, eine Atommacht mit der modernsten konventionellen Bewaffnung im Nahen Osten, bei einem Angriff auf den Iran, Libanon und Syrien aufs Ganze geht, ist sehr real.

Unterdessen geht der Genozid in Gaza weiter. In den drei Tagen des Eid al-Fitr (das Fest, das normalerweise das Ende des einmonatigen Fastenmonats Ramadan für Muslime markiert; Fest des Fastenbrechens, Zuckerfest) verübten die IDF Massaker an ganzen Familien und töteten über 170 Frauen und Kinder. Zur gleichen Zeit „randalierten“ 72 israelische Siedler:innen unter dem Schutz von IDF-Soldat:innen im besetzten Westjordanland, wie es die BBC nannte. Bei diesen gewalttätigen Ausschreitungen wurden Autos, Häuser und Geschäfte angezündet und ganze Straßenzüge zerstört.

All dies zeigt, dass der zionistische Staat weit davon entfernt ist, eingedämmt oder geschwächt zu werden, und dass er wild entschlossen ist, eine „zweite Nakba“ zu begehen, wie es etliche Minister:innen nennen. Dies könnte die lang erwartete Bodeninvasion in Rafah beinhalten, die Räumung des Gazastreifens von seiner traumatisierten Bevölkerung oder deren Einsperrung in ein noch kleineres Gefangenenlager, und im Westjordanland in die isolierten, überfüllten Stadtgebiete, während faschistische Siedler:innen Dorfbewohner:innen töten und das, was von palästinensischem Ackerland übrig ist, besetzen.

Die weltweite Bewegung gegen den Genozid, die in ihrer Langlebigkeit und Größe bereits beispiellos ist, muss über Proteste hinausgehen. Sie muss unwiderstehlichen Druck auf die Regierungen der westlichen imperialistischen Länder sowie der Monarchien und Militärdiktaturen des Nahen Ostens ausüben, um alle Waffenlieferungen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel zu unterbinden. Direkte Massenaktionen müssen durchgeführt werden, um die falschen Behauptungen zurückzuweisen, dass Antizionismus Antisemitismus sei, eine Tatsache, die durch die wachsende Zahl fortschrittlicher jüdischer Menschen, die Israels Handlungen verurteilen, immer deutlicher wird.

Für die Regierungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer westlicher Länder ist eines klar: Sie stehen fest hinter dem israelischen Staat. Das macht eine Eskalation des Krieges und einen massiven Angriff auf den Iran, Syrien oder den Libanon zu einer realen Gefahr.

  • Wir stellen uns klar gegen solche zionistischen Offensiven! Wir stellen uns entschieden gegen jede imperialistische Intervention!

  • Für den sofortigen Abzug aller US- und anderer imperialistischer Truppen aus dem Nahen Osten! Wir sind für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen!

  • Stoppt die Waffenlieferungen und die finanzielle Unterstützung für Israel! Stoppt alle militärischen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem zionistischen Staat!

  • Beendet den Völkermord! Waffenstillstand jetzt! Abzug der israelischen Truppen! Beendigung der Blockade! Öffnung der Grenzübergänge!

  • Für das Recht auf Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge! Für ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina!



Arbeiter:innen müssen handeln, um Massaker in Rafah zu verhindern

Dave Stockton, Infomail 1245, 16. Februar 2024

Israel steht kurz davor, Rafah anzugreifen, eine Stadt an der ägyptischen Grenze, die zur letzten Zuflucht für mehr als eine Million Palästinenser:innen geworden ist, die aus dem nördlichen und zentralen Gazastreifen vertrieben wurden.

Obwohl Rafah zur „sicheren Zone“ erklärt wurde, werden Schulen, Krankenhäuser und Flüchtlingslager der Stadt seit Beginn des Krieges aus der Luft bombardiert. UN-Generalsekretär António Guterres beschrieb die Bedingungen, unter denen die Menschen in überfüllten Behelfsunterkünften, unter unhygienischen Bedingungen, ohne fließendes Wasser, Strom und angemessene Lebensmittelversorgung leben.

Westlicher Imperialismus

Krankheiten töten Kinder und Erwachsene, die durch die monatelange Hungersnot geschwächt sind, da Israel die Einfuhr von Lebensmitteln und Medikamenten in das Gebiet fast vollständig blockiert. Unter diesen Bedingungen haben die Vereinigten Staaten und neun weitere Länder, darunter das Vereinigte Königreich, einseitig die Finanzierung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNWRA eingestellt.

Nach dem wahllosen Abschlachten von rund 30.000 Zivilist:innen hat Präsident Joe Biden mit reichlicher Verspätung eingeräumt, dass „eine Menge unschuldiger Menschen verhungern … und das muss aufhören“. Natürlich könnten die USA Israels Krieg jederzeit stoppen, wenn sie wollten. Dennoch liefern sie weiterhin Israels an Kriegsmaschinerie und nutzen ihr Vetorecht, um es in der UNO zu schützen.

In „normalen“ Jahren stellt Washington Israel rund 3,8 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe zur Verfügung, die direkt in die Bewaffnung der IDF-Besatzungstruppen fließen. Das israelische Fernsehen hat Aufnahmen ausgestrahlt, in denen die verheerenden Auswirkungen der von den USA gelieferten Bunkerbomben auf zivile Hochhäuser gezeigt wurden.

Da die USA nicht die Absicht haben, ihren Kampfhund an die Kandare zu nehmen, überrascht es nicht, dass Biden in Rafah zur „Zurückhaltung“ aufruft, ohne dass dies geschieht. Am 7. Februar erklärte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu, es gebe „keine andere Lösung als einen vollständigen und endgültigen Sieg“, und fügte hinzu, er habe den Truppen befohlen, sich in Rafah „auf den Einsatz vorzubereiten“.

Noch bedrohlicher ist, dass er Pläne für die „Evakuierung“ der Zivilbevölkerung bekanntgab. Netanjahu zufolge ist der „totale Sieg“ über die Hamas nur noch wenige Monate entfernt. US-Militärquellen, die in der New York Times zitiert werden, gehen jedoch davon aus, dass Israel nur ein Drittel der Hamas-Kämpfer:innen getötet hat und die Kämpfe im gesamten Streifen weitergehen.

Die Zionist:innen wissen, dass sie die Hamas oder die anderen militärischen Widerstandsorganisationen nicht „liquidieren“ können, ohne die Zivilbevölkerung zu liquidieren, deren Unterdrückung für einen unerschöpflichen Nachschub an neuen Rekrut:innen sorgt.

Ethnische Säuberung

Es ist diese einfache Wahrheit, die die gesamte Dynamik des israelischen Krieges in Gaza in eine Kampagne der ethnischen Säuberung, eine zweite Nakba, führt. Tatsächlich wurde dieses Ergebnis von israelischen Minister:innen, die zur Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung und ihrer Ersetzung durch israelische Siedler:innen aufgerufen haben, offen propagiert. Netanjahu selbst, dessen Regierung auf der Unterstützung dieser Extremist:innen beruht, hat erklärt, dass die Sicherheit im Gazastreifen in den Händen der IDF verbleiben müsse – also eine Rückkehr zur militärischen Besatzung.

Weltweit haben Massendemonstrationen, wie sie seit denen gegen die Invasion im Irak 2003 nicht mehr stattgefunden haben, Israels Verbündete, allen voran die USA, Großbritannien und Deutschland, zweifellos dazu gezwungen, ihre bedingungslose Unterstützung für den Krieg des Landes verbal zu drosseln.

Doch während Israels Verbündete aus Angst, ein Massaker in Rafah könnte das Pulverfass Nahost zum Explodieren bringen, zur „Zurückhaltung“ mahnen, weigern sie sich, einfache Maßnahmen zu ergreifen, die den Krieg über Nacht beenden könnten: Aussetzung aller militärischen und finanziellen Hilfen, Verhängung von Sanktionen und Durchsetzung wiederholter UN-Resolutionen.

Anstatt Israels rachsüchtige Kampagne der ethnischen Säuberung zu verurteilen, greifen sie die wachsende Solidaritätsbewegung an. Gesetzliche Verbote der BDS-Kampagne werden im Eiltempo durch die Parlamente gebracht, und unbegründete Anschuldigungen des Antisemitismus werden von den Medien der Bosse in einer Hexenjagd eingesetzt, um Kritiker:innen Israels zum Schweigen zu bringen.

Doch das Schicksal der Palästinenser:innen muss und darf nicht in die Hände ihrer Unterdrücker:innen gelegt werden. Mit einem Schlag könnte die ägyptische Arbeiter:innenklasse den Suezkanal schließen und die gesamte imperialistische Wirtschaft über Nacht hart treffen. Ebenso könnten die organisierten Arbeiter:innenbewegungen in den USA, im Vereinigten Königreich und in Europa ihre eigenen Sanktionen gegen Israel verhängen: sich weigern, alle Waffen und Waren zu transportieren, die aus Israel stammen oder für es bestimmt sind. Investitionen, Forschung und kulturelle Zusammenarbeit mit dem zionistischen Staat sollten von vornherein abgelehnt werden, nach dem Grundsatz: Keine Zusammenarbeit mit der Besatzung!

Am 16. Oktober 2023 hat die palästinensische Gewerkschaftsbewegung einen solchen Aufruf an die weltweite Arbeiter:innenbewegung gerichtet. Es ist ein beschämendes Armutszeugnis für die reformistischen Gewerkschaftsführungen, dass sie, von einigen wenigen ehrenwerten Ausnahmen abgesehen, keinen Finger krummgemacht haben. Viele haben sich sogar schwergetan, den Krieg unmissverständlich zu verurteilen.

Die Arbeiter:innenklasse in den Ländern, die Israel mit Waffen und diplomatischem Schutz versorgen, hat eine besondere Pflicht zu handeln. Dies ist nicht nur der Krieg Israels. Es ist ein kolonialer Krieg, der auch unter Beteiligung mehrerer westlicher imperialistischer Mächte geführt wird.

Der Sieg Israels in diesem Krieg stärkt die Position des westlichen Imperialismus und damit die Stärke, das Selbstvertrauen und die Kampfeslust unserer herrschenden Klassen. Deshalb ist der Kampf der Palästinenser:innen auch unser Kampf; deshalb müssen wir unsere Anstrengungen verdoppeln, um für internationalistische Aktionen der Arbeiter:innenklasse zu kämpfen, um den Krieg zu beenden und den Sturz der gesamten vom Imperialismus unterstützten Ordnung im Nahen Osten zu beschleunigen, beginnend mit der Zerschlagung des israelischen Staates, der Errichtung eines bi-nationalen demokratischen und sozialistischen Staates in ganz Palästina und durch eine sozialistische Revolution im Nahen Osten.




Widerstand gegen Israels Unterdrückung und Krieg! Solidarität mit den Palästinenser:innen!

Erklärung einer Gruppe von Revolutionären Kommunist:innen in China, 15. November 2023, Infomail 1240, 22. Dezember 2023

Wir veröffentlichen die folgende Erklärung in Solidarität mit ihren Verfasser:innen und als Beitrag zur Entwicklung revolutionärer Gruppen in China und um deren internationalistische Positionen bekannt zu machen.

Das Jahr 2023 ist geprägt von einer Eskalation des Konflikts zwischen Israel und Palästina. Israel ist ständig in Konflikte mit Palästinenser:innen im Westjordanland und Gazastreifen verwickelt, die am 7. Oktober 2023 zu einem ausgewachsenen Krieg führten. Dieser von Israel angezettelte Krieg hat zu brutalen und unmenschlichen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung geführt und über zehntausend Tote im Gazastreifen gefordert. Wir verurteilen den Krieg Israels gegen das palästinensische Volk auf das Schärfste und sind mit ihm solidarisch.

Der unmittelbare Auslöser für diesen Krieg waren zwar die bewaffneten Angriffe der Hamas auf Israel, doch die eigentlichen Ursachen liegen in der britischen Kolonialzeit, die zionistische Bewegungen förderte, um antikoloniale Bewegungen unter den Palästinenser:innen zu unterdrücken. Seit der Gründung Israels im Jahr 1948 ist die kontinuierliche Unterdrückung des palästinensischen Volkes offensichtlich. Israel hat in ganz Palästina Siedlungen errichtet, die arabischen Bewohner:innen vertrieben, den (auch friedlichen) palästinensischen Widerstand gezielt bekämpft, Kriege gegen Palästina geführt und eine Politik der rassistischen Segregation betrieben. Diese Maßnahmen haben viele Palästinenser:innen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, was dazu führte, dass ein erheblicher Teil der palästinensischen Bevölkerung in andere Länder abwanderte. Die israelische Politik der rassistischen Segregation hat zu massiver Armut geführt und den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in Palästina behindert. Die anhaltende Unterdrückung hat zum bewaffneten Widerstand des palästinensischen Volkes geführt. Wir unterstützen das palästinensische Volk in seinem Kampf gegen den Siedlerkolonialismus und das rassistische Regime Israels.

Die Unterstützung des Widerstands des palästinensischen Volkes gegen Israel bedeutet jedoch nicht, die Hamas zu unterstützen. Wir sind dagegen, dass Israel und die westlichen imperialistischen Regierungen die Hamas unter der Bezeichnung „Terrorismus“ angreifen. Dennoch erkennen wir die Hamas als eine ultrarechte, obskurantistische Organisation an, die eine korrupte, arbeiter:innen und geschlechterfeindliche Politik in Gaza fördert. Sie leistet zwar aktiven Widerstand gegen die israelische Invasion, aber ihre wahllosen Angriffe auf israelische Zivilist:innen und ihr Festhalten am islamischen Fundamentalismus behindern die Sache der palästinensischen Befreiung. Wir unterstützen auch nicht die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO-Fatah), da das Fatah-Regime, das die Osloer Abkommen akzeptiert hat, zu einem von Israel geförderten Marionettenregime in Palästina geworden ist, das Israel die „friedliche“ Hand reicht, während es eine repressive Faust gegen das palästinensische Volk schwingt.

Imperialistische Regierungen wie die der Vereinigten Staaten, Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und Deutschlands behaupten heuchlerisch „Humanität“, während sie Israels Kolonialherrschaft standhaft unterstützen. Sie schieben die Hauptverantwortung für diesen Krieg auf die Schultern Palästinas und der Hamas, indem sie Israels uneingeschränkte Bombardierung des Gazastreifens zulassen und damit zu den Hauptverursacher:innen der humanitären Krise in Palästina gehören. Ihr Engagement in Palästina zielt darauf ab, ihre imperialistische Hegemonie im Nahen Osten aufrechtzuerhalten. Unter dem Deckmantel der „Bekämpfung des Antisemitismus“ schränken sie nun die Freiheit und die demokratischen Rechte in ihren eigenen Ländern ein, um Israel zu unterstützen. China und Russland unterstützen Palästina vorgeblich, weil sie nicht wollen, dass der Nahe Osten vollständig vom westlichen Imperialismus kontrolliert wird, was ihre regionale hegemoniale Expansion beeinträchtigen könnte. Unter seinem monopolkapitalistischen System unterstützt China jedoch nicht mehr die Befreiung Palästinas. Mit der Anerkennung der Grenzen von 1967 zwischen Israel und Palästina erkennt die chinesische Regierung im Wesentlichen die israelische Kolonisierung Palästinas als legitim an. Solange Kolonisierung und Besatzung andauern, kann es keinen dauerhaften Frieden in Palästina geben. Daher ist der von China vorgeschlagene „Frieden zwischen Israel und Palästina“ äußerst heuchlerisch, da er auf regionale Stabilität abzielt, um Kapital besser nach Palästina und in andere Länder des Nahen Ostens zu exportieren und kapitalistische Wirtschafts- und Handelsbeziehungen mit Israel zu entwickeln. Sich auf irgendeine imperialistische Macht zu verlassen, wird daher weder die Befreiung des palästinensischen Volkes noch den Frieden in Palästina bringen. Der Kampf des palästinensischen Volkes muss jede Abhängigkeit von imperialistischen Kräften zurückweisen und ablehnen. Darüber hinaus unterstützen wir weltweit Bewegungen, die sich gegen Israel und für das palästinensische Volk einsetzen, sich mit den Kämpfen zur Verteidigung und Durchsetzung der Freiheit und demokratischen Rechte der Länder verbünden, die gegen Rassismus kämpfen und die Antikriegsbewegung der Arbeiter:innen unterstützen.

Viele reaktionäre Kräfte, einschließlich konservativer Liberaler in China, preisen Israel als Vertreter der Zivilisation und des Friedens und benutzen Islamophobie, um palästinensische Araber:innen als „Terrorist:innen“ zu bezeichnen. Dies ist eine völlige Verzerrung. Der Zionismus opfert die Interessen der einheimischen Palästinenser:innen, um einen rassistischen jüdischen Staat von Siedler:innen zu errichten. Viele chinesische Nationalist:innen unterstützen zwar oberflächlich betrachtet Palästina, aber im Grunde stehen sie auf einer Linie mit den geopolitischen Interessen Chinas und Russlands. Einige sind sogar antisemitisch eingestellt und sympathisieren mit Hitlers Judenvernichtung. Unterdrückung sollte niemals eine Rechtfertigung für noch mehr Unterdrückung sein. Wir wenden uns gegen alle Formen des Rassismus, nicht nur gegen bestimmte Rassen und Ethnien.

Seit über siebzig Jahren leidet das palästinensische Volk unter der israelischen Unterdrückung, die vom Weltimperialismus unterstützt wird. Diesmal haben wir jedoch den Verrat der arabischen herrschenden Klassen am palästinensischen Volk erlebt: die ägyptische Regierung, die mit Israel zusammenarbeitet, um Mauern um den Gazastreifen zu errichten, Syrien und Jordanien, die palästinensische Flüchtlinge und Andersdenkende unterdrücken, der Iran, der in erster Linie die Hamas fördert, um seinen Einfluss in Palästina auszuweiten, und der Libanon, der linke Organisationen unter palästinensischen Flüchtlingen unterdrückt. Sich allein auf lokale palästinensische Bemühungen zu verlassen, reicht nicht aus, um Israels Kolonialismus und Apartheid zu beenden. Das palästinensische Volk braucht die Unterstützung von Massenbewegungen im Nahen Osten und in der ganzen Welt. Die Welle der Revolte gegen reaktionäre Kräfte in Westasien und Nordafrika sowie gegen die iranische Theokratie wird den Weg für den autonomen Widerstand des palästinensischen Volkes ebnen. Die Sache der Befreiung Palästinas ist die der Arbeiter:innenklasse und unterdrückten Völker auf der ganzen Welt.

Die Kämpfe der Arbeiter:innen im Nahen Osten und der palästinensischen Flüchtlinge, die in verschiedenen Ländern leben, sind oft miteinander verflochten. Ein solcher Widerstand darf sich keinesfalls für eine Seite der verschiedenen imperialistischen oder regionalen Mächte entscheiden, sondern stützt sich auf Kämpfe, die von der Selbstorganisation der Arbeiter:innenklasse unabhängig geführt werden, mit dem Ziel der gemeinsamen Niederlage aller imperialistischen Mächte. Verschiedene selbstorganisierte Basiskomitees in der syrischen Revolution, Volksvertretungen in der algerischen Volksbewegung, Arbeiter:innenbewegungen in Tunesien, Frauenproteste und Arbeiter:innenstreiks im Iran, der sudanesische Berufsverband, der den Kampf der Arbeiter:innenklasse gegen die Militärdiktatur im Sudan vertritt, sie alle dienen als notwendiger Ausgangspunkt für künftige Kämpfe, die schließlich die Macht der bürgerlichen Staaten im Nahen Osten brechen, dem israelischen Zionismus die Grundlage entziehen und die Errichtung eines multiethnischen, gleichberechtigten, demokratischen, säkularen und sozialistischen Palästinas ermöglichen werden, das Araber:innen, Juden, Jüdinnen und andere einschließt. Um die Befreiung Palästinas zu erreichen und zu verhindern, dass die Früchte des Kampfes von reaktionären Kräften wie der Muslimbruderschaft oder der Hamas ausgebeutet werden, plädieren wir für die Gründung von revolutionären Arbeiter:innenparteien in der Region und darüber hinaus.

Wir schlagen hiermit folgende Forderungen vor:

  • Schluss mit der zionistischen Herrschaft in Israel!

  • Nieder mit Kolonialismus und Rassismus!

  • Widersetzt euch der Einmischung der imperialistischen Kräfte in Palästina!

  • Freiheit für ganz Palästina!

  • Strebt nach der Errichtung eines säkularen, ethnisch gleichberechtigten, demokratischen und sozialistischen palästinensischen Staates!

  • Arbeiter:innen und Menschen in Westasien und Nordafrika vereinigt euch!



Wir haben uns aber auch versammelt, um anzuklagen!

Rede von Georg Ismael auf der Demonstration „Keine Waffen für den Genozid“ am 10. Dezember, Infomail 1238, 11. Dezember 2023

Wir haben uns heute versammelt, um den Verlust unschuldiger Leben und zehntausender Toter zu beklagen, die in der Tragödie, die sich seit dem 07. Oktober entfaltet, ihr Leben verloren haben.

Wir haben uns aber auch versammelt, um anzuklagen!

Wir klagen Sie an: Herr Scholz, Herr Habeck, Frau Baerbock, Herr Lindner. Wir klagen die deutsche Bundesregierung und den deutschen Staat an. Wir klagen Sie an, sich der Volksverhetzung und der Unterstützung zum Völkermord schuldig zu machen.

Sie haben keine Gelegenheit versäumt, die diskursive Frage des Existenzrechtes von Staaten in den vergangenen Wochen zu betonen. Aber sie leugnen nicht nur das Existenzrecht der palästinensischen Nation und der palästinensischen Staatlichkeit – bis heute erkennt der deutsche Staat diese nicht an. Sie unterstützen aktiv einen genozidalen Krieg gegen die Palästinenser:innen in Gaza. Frau Baerbock und die deutsche Regierung blockieren nicht nur bis heute einen Waffenstillstand. Die deutsche Regierung hat ihre Waffenlieferungen an Israel seit Kriegsbeginn verzehnfacht.

Stimmungsmache

Die Stimmungsmache von deutschen Politiker:innen und deutschen Medien ist nichts anderes als die Einstimmung auf einen Genozid an den Palästinenser:innen, der von hochrangigen israelischen Militärs und Vertretern der israelischen Regierung bereits angekündigt ist und vor unseren Augen durchgeführt wird.

Seit Jahrzehnten unterstützt der deutsche Staat ein koloniales Apartheidregime. Nun hat er diese Unterstützung zur Staatsräson erklärt. Während die Palästinenser:innen sich seit 75 Jahren einer immer aggressiveren ethnischen Diktatur ausgesetzt sehen, regiert heute eine autoritäre Clique um Netanyahu in Israel. Diese stützt sich auf eine wachsende faschistische und bewaffnete Siedler:innenbewegung in der besetzten Westbank.

Diese Kräfte verschärfen seit langem das Besatzungsregime, dehnen illegale Siedlungen aus, führen willkürliche und rechtswidrige Verhaftungen durch, begehen Pogrome an der palästinensischen Bevölkerung in der Westbank und töten willkürlich Palästinenser:innen: 2023 waren es mehr als 200 bis Ende September.

Israel hat seit 2006 bereits sechs brutale Kriege in Gaza und dem Libanon ausgeführt, sowie massive Bombardements in Syrien ausgeführt. Kein Staat der Welt hat mehr UN Resolutionen gebrochen als Israel. Es ist dieser Staat, dem sie ihre bedingungslose Solidarität aussprechen und den Sie endlos mit Waffen beliefern.

In diesem Kontext – den sie der Weltöffentlichkeit und der deutschen Bevölkerung verheimlichen –  wagen Sie es, Palästinenser:innen, linken Jüd:innen und deutschen Sozialist:innen, die sich für eine demokratische, säkulare und sozialistische Einstaatenlösung einsetzen, Antisemitismus vorzuwerfen?

Sie beweisen damit nur, dass die deutsche Kapitalistenklasse und ihre politischen Eliten in Wahrheit bis heute nicht mit ihrer reaktionären Lebensraumideologie von Blut und Boden gebrochen haben. Eine Ideologie, die rechtsradikale und antisemitische Kräfte weltweit mit erneuter Leidenschaftlichkeit unter Schlagworten wie „Ethnopluralismus“ oder „Ethnischer Demokratie“ herausschreien.

Indem Sie ein friedliches Zusammenleben von Palästinenser:innen und Jüd:innen in einem gemeinsamen demokratischen Staat ablehnen und verleugnen, sind Sie es, die sich der Volksverhetzung schuldig machen. Sie vollbringen das Kunststück zugleich tatsächlich antisemitisch und rassistisch zu sein, indem Sie der jüdischen und palästinensischen Bevölkerung absprechen, in Harmonie koexistieren zu können.

Es ist daher kein Wunder, dass Sie für Ihre Israel-Politik frenetisch von der rassistischen und antisemitischen AfD im Parlament beklatscht werden. Diese üble Kriegspolitik ergänzen sie mit umso aggressiveren Unterdrückungspraktiken an der von ihnen praktisch erklärten Heimatfront im Inland.

Sie haben es erlassen und erlaubt, dass in den vergangenen Wochen trauernde Palästinenser:innen auf offener Straße von Polizeibeamten zusammengeschlagen wurden.

Sie haben kritische Jüd:innen, Palästinenser:innen und deutsche Sozialist:innen kriminalisiert und das Recht auf Versammlungs-, Meinungs- und Organisationsfreiheit genauso ausgehebelt, wie die akademische Freiheit.

Nun diskutieren Sie die Verschärfung politisch motivierter Abschiebungen und Ausbürgerungen. Ermutigt von diesem Klima der Angst haben sich in den vergangenen Wochen sowohl antimuslimische als auch antisemitische Angriffe durch deutsche Rechtsradikale massiv vermehrt.

Ich richte mich daher nun insbesondere an die schweigende deutsche Gesellschaft:

Nie wieder ist Jetzt!

Lasst nicht zu, dass die deutsche Regierung vor euren Augen nicht nur einen Genozid leugnet, sondern zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in einer nie dagewesenen Aggressivität unterstützt.

Ich schäme mich heute mehr denn je ein deutscher Staatsbürger zu sein. Ich fürchte mich vor dem Tag, an dem nicht nur meine palästinensischen Genoss:innen, sondern auch meine linken jüdischen Genoss:innen, deren Verwandte in der Shoah ihr Leben verloren, ausgebürgert werden sollen, weil Sie sich weigern ein koloniales Apartheidregime anzuerkennen.

Sollte dieser Tag kommen, dann bitte ich Sie, bleiben Sie sich auch in dieser Hinsicht Ihren Vorvätern treu. Entziehen Sie diesem deutschen Kommunisten zuerst die Staatsbürgerschaft!

Dieser Pass, den ich in meinen Händen halte, ist erneut zu einem Pass der Schande geworden.




Die „Feuerpause“ bei der Bombardierung Gazas

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1237, 25. November 2023

Am 24. November trat eine viertägige Waffenruhe für Israels Land-, See- und Luftangriffe auf die Bevölkerung des Gazastreifens in Kraft, die eventuell bis zu zehn Tage verlängert werden kann. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat jedoch darauf bestanden, dass es keine dauerhafte Waffenruhe oder einen Waffenstillstand geben wird, solange die Hamas nicht vernichtet ist, koste es die 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen, was es wolle. Die Zahl der Todesopfer hat bereits 14.000 überschritten und ist damit mehr als zehnmal so hoch wie die Zahl der 1.200 Israelis, die bei den Hamas-Angriffen am 7. Oktober getötet wurden.

Beim Austausch von Gefangenen sollen die Hamas und der Islamische Dschihad 50 israelische Geiseln und Israel 150 palästinensische Gefangene freilassen, die meisten davon Jugendliche unter 18 Jahren und Frauen. Im Gegenzug für weitere Geiselfreilassungen könnte es zu weiteren Verlängerungen kommen. Für die Dauer der „Pause“ werden größere Mengen an Lebensmitteln, Wasser, Treibstoff und medizinischen Gütern durch die israelische Blockade gelassen.

Hintergrund

Unmittelbarer Hintergrund sind die schrecklichen Angriffe der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) auf Krankenhäuser und UNRWA-Schulen (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), in die sich Familien geflüchtet hatten. Insbesondere der Befehl des Kriegsverbrecherkabinetts Netanjahu an die IDF, in das al-Shifa-Krankenhaus einzumarschieren und alle Patient:innen, Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen sowie viele Hunderte von Menschen zu vertreiben, die hofften, dort vor der Grausamkeit der IDF sicher zu sein. Hinzu kommt das peinliche Versäumnis, die „Hamas-Kommandozentrale“ zu entdecken, von der Netanjahu behauptete, sie befände sich unter dem Gelände.

In den westlichen imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas, deren Regierungen die Augen vor diesen völkermörderischen Aktionen verschlossen haben, haben die Massendemonstrationen jede Woche zugenommen, trotz der Drohungen von Minister:innen und Polizeikräften, diese überwältigend friedlichen Proteste zu verbieten, indem sie sie als Unterstützung für den „Terrorismus“ und wahrscheinlich zu antisemitischen Ausschreitungen führend verleumden.

In Großbritannien haben beide großen Parteien Abgeordnete und Ratsmitglieder suspendiert oder ausgeschlossen, die es gewagt hatten, sich für Palästina einzusetzen, und das US-Repräsentantenhaus hat sein einziges Mitglied mit palästinensischem Wurzeln verurteilt. In Deutschland und Frankreich wurden Demonstrationen verboten und Hunderte festgenommen. Palästinensische Organisationen wurden verboten und Aktivist:innen kriminalisiert. Trotz dieser Verleumdungen, Lügen und Repressionen sind Hunderttausende in London und Washington und Zehntausende in Paris und Berlin auf die Straße gegangen. In den arabischen Ländern und generell in der halbkolonialen Welt hat die große Mehrheit der Bevölkerung die israelischen Angriffe von Anfang an abgelehnt.

Doch die Gräueltaten Israels, die dank des Mutes einfacher Menschen in Gaza, die Videos davon herausbringen konnten, jede Nacht zu sehen sind, haben begonnen, die „öffentliche Meinung“ auch in den meisten westlichen Ländern zu verändern und eine Massenbewegung zu fördern, die ein Ende des Tötens fordert und nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

Die Forderung nach einem sofortigen, vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand ist zu einer zentralen Forderung der Massendemonstrationen und der weltweiten Solidaritätsbewegung geworden.

Druck der USA

Infolgedessen sahen sich die Regierung Biden und imperialistische Verbündete wie Deutschland und Großbritannien, die alle von Anfang an ihre bedingungslose Unterstützung Israels erklärt hatten, gezwungen, das Land aufzufordern, das Ausmaß der zivilen Opfer in Grenzen zu halten und das Völkerrecht einzuhalten. Obwohl diese schwach geäußerten „Bedenken“ wochenlang auf taube Ohren stießen, verbanden die USA und die EU die Wiederaufbereitung ihrer alten „Zweistaatenlösung“ für ein Nachkriegs-Gaza und ein Westjordanland mit der Forderung nach einer „Pause“ bei den IDF-Angriffen, um die humanitäre Katastrophe zu begrenzen.

Der wahre Grund, warum die USA ihre „Friedenspropaganda“ wieder aufleben lassen, ist der Schaden, den Israels unerbittliche Grausamkeit ihren Plänen für einen von den USA dominierten Nahen Osten zugefügt hat, in dem Israel mit ihren Verbündeten wie Saudi-Arabien und Ägypten befreundet ist, sich aber gegen ihre Gegner:innen Syrien, Iran, Hisbollah, die Huthis und Hamas stellt. Trump hat dies mit den „Abraham-Abkommen“ (Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten vom September 2020) begonnen und Biden hat es fortgesetzt. Ende September behauptete sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan sogar, „die Region des Nahen Ostens ist heute so ruhig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr“. Die Ereignisse haben nicht nur die Torheit dieser Vorhersage bewiesen, sondern seine Behauptung, dass alles „ruhig“ sei, zeigt, was das für einen imperialistischen Satrapen bedeutet, wenn man es mit dem Bericht von Medical Aid for Palestine vom Juli vergleicht, der besagt, dass „die Zahl der Todesopfer unter den Palästinenser:innen im Westjordanland im Jahr 2023 153 erreicht hat und damit bereits das Jahr 2022 als das tödlichste für die Palästinenser:innen im Westjordanland seit Beginn der Aufzeichnungen durch die UN im Jahr 2005 übertrifft“.

Biden erklärte: „Wenn diese Krise vorbei ist, muss es eine Vision geben, was danach kommt. Und unserer Meinung nach muss es eine Zweistaatenlösung sein“. Ebenso hat Außenminister Antony Blinken erklärt, dass jeder Nachkriegsplan für den Gazastreifen eine palästinensisch geführte Regierung und seine Vereinigung mit dem Westjordanland unter der Palästinensischen Autonomiebehörde beinhalten müsse.

Hindernisse

Diese Lösungen könnten nur über auf dem Rücken einer entwaffneten und zerstückelten palästinensischen Nation und ihres Heimatlandes erreicht werden. Seit der Nakba von 1948 hat das Volk trotz der Fehler und des Verrats seiner Führungen und der korrupten Monarchien und Militärdiktaturen der arabischen Welt immer wieder bewiesen, dass es dies niemals zulassen wird.

Das andere Hindernis für Bidens Pläne – sofern sie überhaupt mehr als eine Täuschung sind – besteht darin, dass Israels Politiker:innen, ob von der zionistischen Rechten oder Linken, deutlich gemacht haben, dass es keine Chance für irgendeine Art von „Land gegen Frieden“ im Sinne von Oslo gibt. Unter Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PNA) unter Jassir Arafat um die Jahrhundertwende zunächst gedemütigt (Belagerung seines Hauptquartiers in Ramallah) und dann unter Mahmud Abbas gezwungen, eine Hilfspolizei für Israel zu werden.

In einer Instruktionssitzung nach dem 7. Oktober skizzierten die israelischen Sicherheitsministerien Optionen für eine Nachkriegslösung. Die „bevorzugte“ Lösung wäre der „Transfer“ der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens auf die Sinai-Halbinsel, während die am wenigsten wünschenswerte Lösung die Rückgabe an die PNA wäre. Unerwünscht, weil dies ihrer Meinung nach der palästinensischen Nationalbewegung einen „noch nie dagewesenen Sieg bescheren würde, einen Sieg, der Tausende von israelischen Zivilist:innen und Soldat:innen das Leben kosten und Israels Sicherheit nicht garantieren würde“.

Es liegt auf der Hand, dass die derzeitige Likud-Koalitionsregierung mit ihren rechtsextremen Minister:innen die Vollendung der Nakba, die Vertreibung der Palästinenser:innen, mit anderen Worten einen politischen Völkermord, anstrebt. Aus diesem Grund hat sie bereits vor dem 7. Oktober Dschenin (Stadt und UN-Flüchtlingslager in der Westbank) angegriffen, die Siedler:innen bewaffnet, die ethnische Säuberung im Westjordanland gefördert, palästinensische Häuser zerstört, Provokationen in Jerusalem gestartet und eine Rekordzahl unbewaffneter palästinensischer Demonstrant:innen ermordet.

Kurzum, die von israelischen Politiker:innen, ob rechts oder links, vorgeschlagenen Lösungen sehen nichts vor, was auch nur annähernd an Blinkens oder Bidens Fata Morgana eines palästinensischen Staates heranreicht.

Aber auch die israelischen Lösungen sind nicht praktikabel. Ägypten wäre niemals in der Lage, 2,3 Millionen Menschen aus dem Gazastreifen aufzunehmen, was nur als eine weitere Episode der Nakba angesehen werden könnte. El-Sisi würde nicht die Aufgabe übernehmen, Gaza zu regieren, und Mahmud Abbas (und die glücklose PNA) wären nicht in der Lage, Gaza zu regieren, indem sie als Gefängniswärter:innen im Namen Israels und des Imperialismus agieren. Die PNA wurde bereits von den reichen imperialistischen Ländern um ihr Geld gebracht, sie wird von israelischen Politiker:innen verabscheut und von den palästinensischen Massen gehasst.

Wie geht es jetzt weiter?

Die weltweite Bewegung hat die Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand laut werden lassen. Natürlich würde dies eine sofortige und willkommene Atempause für die Bevölkerung bringen, aber es würde keine dauerhafte Erleichterung bringen, solange die IDF-Besatzung des nördlichen Gazastreifens anhält. Solange die Land-, See- und Luftblockade in Kraft bleibt, wird das Leiden der Bevölkerung zu einer Waffe in den Händen des Zionismus. Selbst ein formelles Abkommen oder ein Waffenstillstand würde das Leiden nur vorübergehend einfrieren, solange Israel Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung und Baumaterialien für den Wiederaufbau und die Reparatur der 40 Prozent der Gebäude, die bereits in Schutt und Asche liegen, blockieren kann, während der Winter naht.

Die Bewegung auf der ganzen Welt muss durch fortgesetzte Massendemonstrationen, Boykotte und die Blockade von Militär- und Wirtschaftsexporten aus Europa und den USA den größtmöglichen Druck ausüben. Die Unterstützer:innen Palästinas müssen maximalen Druck auf die prozionistischen Führungen der reformistischen Arbeiter:innenparteien und der Gewerkschaften ausüben, damit gezwungen werden, politisch mit Israel zu brechen und diese Forderungen aufzugreifen. Sie müssen gegen die Kriminalisierung der palästinensischen Organisationen und den antimuslimischen Rassismus kämpfen. Sie müssen die Lüge entlarven, dass Antizionismus Antisemitismus sei, und deutlich machen, dass der Kampf gegen den sehr realen Anstieg des Antisemitismus durch die Rechte Hand in Hand mit der Unterstützung des palästinensischen Volkes gegen seine nationale Unterdrückung gehen muss.

In den arabischen und muslimischen Ländern brauchen wir eine Bewegung in der Größenordnung des Arabischen Frühlings, die sich gegen die Kollaborateure mit den USA richtet, um den Abbruch nicht nur jeglicher Beziehungen zu Israel, sondern auch zu seinen nordamerikanischen und europäischen Unterstützer:innen zu fordern, bis sie Israel zwingen, seine völkermörderischen Angriffe einzustellen und sich aus Gaza und dem Westjordanland zurückzuziehen.

In den Ländern, in denen sich eine Massenprotestbewegung entwickelt hat, müssen wir nicht nur für einen humanitären Waffenstillstand kämpfen, sondern für den vollständigen Rückzug der IDF, ihrer Panzer, Bulldozer und Drohnen aus dem gesamten Gebiet, dem Luftraum und den Anrainergewässern des Gazastreifens sowie für ein sofortiges Ende der brutalen, anhaltenden Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem. Wir müssen auch das Ende der Blockade und die Einführung des freien Verkehrs auf dem Land-, See- und Luftweg über die Grenzen Gazas und zwischen Gaza und dem Westjordanland und Jerusalem fordern.

Seit dem 7. Oktober hat Israel 4.000 Menschen aus dem Gazastreifen und mehr als 1.000 aus dem besetzten Westjordanland festgenommen, womit sich die Gesamtzahl der Inhaftierten auf 10.000 erhöht. Wir müssen die bedingungslose Freilassung aller palästinensischen „Geiseln“ fordern, sowohl derjenigen, die von israelischen Gerichten verurteilt wurden, als auch ihrer Mehrheit, derjenigen, die ohne Gerichtsverfahren einsitzen.

Außerdem müssen wir uns jedem „Friedensprozess“ widersetzen, der nicht das Recht auf Rückkehr aller Palästinenser:innen einschließt, die seit 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden; jede Regelung muss die freie, ungezwungene und demokratische Zustimmung aller Palästinenser:innen erhalten.

Ein einziger palästinensischer Staat kann sowohl Menschen mit palästinensischer als auch israelischer Nationalität umfassen, vorausgesetzt, es gibt keine Privilegien für irgendeine. Wenn Palästina zu einem sozialistischen Staat wird, in dem das Land und die Arbeitsplätze gemeinsam genutzt werden, kann dieses historische Unrecht überwunden werden. Es ist die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse beider Nationen, ja der gesamten Region, dies zu erreichen. Dazu gehört der Kampf gegen die imperialistischen Mächte, die die Region so lange geteilt und ausgebeutet haben.

  • Vollständiger Waffenstillstand, Abzug aller IDF-Truppen!

  • Vollständige Beendigung der Belagerung!

  • Freiheit für Palästina!



Ein dringender Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften: Beendet alle Komplizenschaft, stoppt die Bewaffnung Israels!

Aufruf palästinensischer Gewerkschaften, übersetzt nach MENA Solidarity Network, Infomail 1235, 27. Oktober 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir einen Aufruf palästinensische Gewerkschaften aus Gaza, der Westbank und Israel gegen die Angriffe und Bombardements. Der Übersetzung liegt der Text auf der Seite des MENA Solidarity Network zugrunde.

Beendet alle Komplizenschaft, stoppt die Bewaffnung Israels!

Israel hat 1,1 Millionen Palästinenser:innen aufgefordert, die nördliche Hälfte des Gazastreifens zu evakuieren, während sie gleichzeitig einem ständigen Bombardement ausgesetzt sind. Dieses rücksichtslose Vorgehen ist Teil des israelischen Plans, mit unerschütterlicher Unterstützung und aktiver Beteiligung der USA und der Mehrheit der europäischen Staaten beispiellose und abscheuliche Massaker an 2,3 Millionen Palästinenser:innen im Gazastreifen zu verüben und diesen vollständig ethnisch zu säubern. Seit Samstag hat Israel den Gazastreifen wahllos und intensiv bombardiert und die Versorgung mit Treibstoff, Strom, Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten unterbrochen. Israel hat mehr als 2.600 Palästinenser – darunter 724 Kinder – getötet, ganze Stadtviertel dem Erdboden gleichgemacht, ganze Familien ausgelöscht und mehr als 10.000 Menschen verletzt. Einige Völkerrechtsexpert:innen haben begonnen, vor Israels völkermörderischen Handlungen zu warnen.

Andernorts hat Israels rechtsextreme Regierung mehr als 10.000 Gewehre an extremistische Siedler:innen in Palästina und im besetzten Westjordanland verteilt, um deren eskalierende Angriffe und Pogrome gegen Palästinenser:innen zu erleichtern. Israels Handlungen, Massaker und Rhetorik deuten auf seine Absicht hin, die seit langem versprochene zweite Nakba zu verwirklichen, so viele Palästinenser:innen wie möglich zu vertreiben und einen „Neuen Nahen Osten“ zu schaffen, in dem die Palästinenser:innen in ständiger Unterwerfung leben.

Die Reaktion der westlichen Staaten bestand in einer vollständigen und uneingeschränkten Unterstützung des Staates Israel, ohne auch nur flüchtig auf das Völkerrecht zu achten. Dies hat die Straflosigkeit Israels noch verstärkt und ihm einen Freibrief für die uneingeschränkte Durchführung seines völkermörderischen Krieges verschafft. Über die diplomatische Unterstützung hinaus beliefern westliche Staaten Israel mit Rüstungsgütern und sanktionieren die Tätigkeit israelischer Waffenfirmen innerhalb ihrer Grenzen.

Angesichts der Eskalation der israelischen Militäraktion rufen die palästinensischen Gewerkschaften ihre internationalen Partner:innen und alle Menschen mit Gewissen dazu auf, jede Form der Komplizenschaft mit den israelischen Verbrechen zu beenden und vor allem den Waffenhandel mit Israel sowie jegliche Finanzierung und militärische Forschung einzustellen. Die Zeit zum Handeln ist gekommen – das Leben der Palästinenser:innen steht auf dem Spiel.

Diese dringende, völkermörderische Situation kann nur durch einen massiven Anstieg der weltweiten Solidarität mit dem palästinensischen Volk verhindert werden und die israelische Kriegsmaschinerie zum Stillstand bringen. Wir brauchen Sie, um sofortige Maßnahmen zu ergreifen – wo auch immer Sie sich in der Welt befinden –, um die Aufrüstung des israelischen Staates und der an der Infrastruktur der Blockade beteiligten Unternehmen zu verhindern. Wir lassen uns von früheren Mobilisierungen der Gewerkschaften in Italien, Südafrika und den Vereinigten Staaten inspirieren sowie von ähnlichen internationalen Mobilisierungen gegen die italienische Invasion in Äthiopien in den 1930er Jahren, die faschistische Diktatur in Chile in den 1970er Jahren und in anderen Ländern, in denen die weltweite Solidarität das Ausmaß der kolonialen Brutalität begrenzte.

Wir rufen die Gewerkschaften in den betroffenen Branchen auf:

  • Sich zu weigern, für Israel bestimmte Waffen zu bauen;

  • sich zu weigern, Waffen nach Israel zu transportieren;

  • Verabschiedung von Anträgen in ihrer Gewerkschaft in diesem Sinne;

  • Maßnahmen gegen Unternehmen zu ergreifen, die an der Umsetzung der brutalen und illegalen Belagerung Israels beteiligt sind, insbesondere wenn sie Verträge mit Ihrer Institution haben;

  • Druck auf die Regierungen auszuüben, um den gesamten Militärhandel mit Israel und im Falle der USA auch die Finanzierung des Landes zu stoppen.

Wir rufen zu diesem Schritt auf, da wir Versuche sehen, alle Formen der Solidarität mit dem palästinensischen Volk zu verbieten und zum Schweigen zu bringen. Wir fordern Sie auf, Ihre Stimme zu erheben und angesichts der Ungerechtigkeit aktiv zu werden, wie es die Gewerkschaften in der Vergangenheit getan haben. Wir machen diesen Aufruf in der Überzeugung, dass der Kampf für palästinensische Gerechtigkeit und Befreiung nicht nur ein regionaler und globaler Kampf ist. Er ist ein Hebel für die Befreiung aller enteigneten und ausgebeuteten Menschen in der Welt.

Kontakt: workersinpalestine@gmail.com

Aufrufende Gewerkschaften

Palestinian General Federation of Trade Unions, Gaza.

General Union of Public Service and Trade Workers

General Union of Municipal Workers

General Union of Kindergarten Workers

General Union of Petrochemicals Workers

General Union of Agricultural Workers

Union of Palestinian Women’s Committees

Generation Union of Media and Print Workers

Palestinian General Federation of Trade Unions (PGFTU)

General Union of Palestinian Teachers

General Union of Palestinian Women

General Union of Palestinian Engineers

Palestinian Accountants’ Association

Professional Associations Federation including:

Palestinian Dental Association – Jerusalem center

Palestinian Pharmacists Association – Jerusalem Center

Medical Association – Jerusalem Center

Engineers Association – Jerusalem Center

Agricultural Engineers Association – Jerusalem Center

Veterinarians Syndicate – Jerusalem Branch.

Palestinian Journalists’ Syndicate

Palestinian Bar Association

Palestinian Nursing and Midwifery Association

Union of Kindergartens Workers

Palestinian Postal Services Workers Union

Federation of Unions of Palestinian Universities Professors & Employees

The General Federation of Independent Trade Unions, Palestin

The Palestine New Federation of Trade Unions

Palestinian General Union of Writers

Palestinian Contractors Union

Federation of Health Professionals Syndicates

Palestinian Union of Psychologists and Social Workers




Sexualisierte Gewalt als Foltermethode: Doppelmoral im Nahen Osten

Leonie Schmidt, Infomail 1234, 18. Oktober 2023

Nach dem Angriff auf ein Musikfestival nahe der Negev- Wüste durch Einheiten der Hamas verbreiten sich die Meldungen, es sei gegenüber den Festivalbesucher:innen nicht nur zu Mord und Verschleppungen gekommen, sondern auch zu Vergewaltigungen. Sexualisierte Gewalt stellt ein barbarisches „Kampfmittel“ dar, genauso wie willkürliche Gewalt und Töten von Zivilisten:innen.

Die Anwendung sexualisierter Gewalt im Krieg verurteilen wir – und zwar gerade auch von Unterdrückten. Natürlich ist uns bewusst, dass Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe von reaktionären Kräften systematisch angewandt wurden und werden. Aber gerade, wenn es sich wie im Falle des Kampfes der Palästinenser:innen um einen gerechtfertigten Kampf um Befreiung von zionistischer und imperialistischer Unterdrückung handelt, so wiegen solche umso schwerer, als sie den gesamten Befreiungskampf erschweren und diskreditieren.

Vorwürfe gegenüber Hamas

Zugleich müssen aber auch solche Vorwürfe geprüft und nicht einfach verbreitet werden. Die meisten wurden bislang vom israelischen Außenministerium und von prozionistischen und US-amerikanischen Medien verbreitet. So zum Beispiel im Tablet Magazine vom Journalisten Liel Leibovitz, der auch Artikel schreibt, wo er die Politik Netanjahus lobt, sich über dessen Wiederwahl freut, zugibt, den republikanischen US-Senator Ted Cruz ganz toll zu finden, und die DSA (Democratic Socialists of America) für ihre Forderungen nach Enteignung von Wohnraum angreift. Warum sagen wir das an dieser Stelle?

Leibovitz bezieht sich in seinem Artikel vom 8.10.23 auf einen anonymen Augenzeugen, der sagte, es habe in der Nähe des Festivalgeländes Vergewaltigungen gegeben. Es war lange jedoch der einzige mit dieser Aussage, und dieser Artikel ist die Quelle für alle anderen, die mit diesen Anschuldigungen um sich werfen. Es gibt bisher keine Verifizierung des Augenzeugen, konkretere Beweise oder andere, die Ähnliches berichten. Selbst von Seiten der IDF gibt es diesbezüglich keine Bestätigung. Die LA Times strich sogar eine Passage und veröffentlichte eine Notiz, dass der Vorwurf nicht näher begründet und deswegen gelöscht wurde.

Aktuell bleibt offiziell ungeklärt, ob die Hamas zu sexualisierter Gewalt gegenüber verschleppten Zivilist:nnen greift. Medienberichte beziehen sich entweder auf den Artikel von Leibovitz, teilweise mit der Anmerkung, die Details nicht selbst bestätigen zu können (beispielsweise The Telegraph oder aber die TAZ –  allerdings ohne Anmerkung zur Quellenlage), oder auf zwei Videos, die diese Mutmaßungen zwar zulassen, aber nichts Konkretes zeigen. Die Times of Israel beispielsweise gibt sich etwas zurückhaltender: Expert:innen für Kriegsverbrechen geben an, auf Basis der Videos, wo in einem ein lebloser Frauenkörper angespuckt und in einem anderen eine Frau an den Haaren über den Boden geschleift wird, die aus dem Schritt blutet, könne es nicht ausgeschlossen werden, dass es zu sexualisierter Gewalt gekommen, es aber jedoch zu früh sei, um Genaueres zu bestätigen, so Prof. Yuval Shany der Hebrew University of Jerusalem (lt. Reporter Jeremy Sharon). Natürlich ist es nicht grundsätzlich auszuschließen, dass die Hamas zu diesen Mitteln gegen die unbeteiligten Zivilist:innen greift, denn konfliktbezogene sexualisierte Gewalt kommt in kriegerischen Situationen nicht selten vor, jedoch gehörte es in der Vergangenheit eher nicht zu ihren Mitteln im Gegensatz zum Islamischen Staat, wo diese Folterpraktik gang und gäbe ist (Gibbons 2018).

Laut Nachrichtenagentur Reuters dürften sich Vorwürfe von Vergewaltigungen nach forensischen Untersuchungen bestätigen, auch wenn ungeklärt ist, ob sie auf Befehl der Hamas ausgeübt wurden oder nicht. In jedem Fall bestreitet Hamas (im Unterschied zu Organisationen wie dem Islamischen Staat), diese begangen zu haben. In jedem Fall sind diese Gewalttaten zutiefst zu verurteilen, egal von wem sie verübt wurden – und es liegt auch im Interesse der Unterdrückten und des Widerstandskampfes, die Ausübenden solcher Akte zur Rechenschaft zu ziehen und drakonische Strafen zu verhängen (so wie z. B. in der Roten Armee unter Lenin und Trotzki). Aber das ist nicht die Aufgabe des unterdrückenden zionistischen Staates, sondern der Unterdrückten selbst.

Doppelmoral

Was wir jedoch ebenso verurteilen, ist die Doppelmoral, mit der hier, vor allem auch international, vorgegangen wird. Es ist nämlich überhaupt keine Seltenheit, dass sexualisierte Gewalt gegen sowohl palästinensische Frauen als auch Männer von israelischen Staatsdiener:innen angewandt wird. Oftmals passiert dies an den Checkpoints, die dafür da sind, die Bewegungsfreiheit von Palästinenser:innen einzuschränken.

Beispielsweise kam es 2018 zu einem Fall, dass zwei israelischen Soldaten des Qalandia Checkpoints (zwischen nördlichem Westjordanland und Jerusalem) vorgeworfen wurde, palästinensische Frauen gezwungen zu haben, sich auszuziehen und während ihrer Leibesvisitation im Genitalbereich berührt zu haben (Hammami 2019). Auch kommt es zu Erpressung oder „Angeboten“, gegen sexuelle Gefälligkeiten Vorteile zu erlangen, was ganz klar ein Ausnutzen von Notlagen darstellt. Des Weiteren erleben palästinensische Frauen sexualisierte Gewalt, wenn sie ihre Verwandten im Gefängnis besuchen (Al Issa & Beck 2020), hier durch Gefängniswärter:innen und Sicherheitspersonal. Aus Angst davor, dass sie keine Besuchsrechte mehr bekommen, haben sie nicht einmal die Möglichkeit, gegen Täter:innen vorzugehen.

Auch während Befragungen kommt es zu Vergewaltigungsdrohungen, ungewollten Berührungen sowie Vergewaltigungen durch die vernehmenden Personen (Benoist 2018). So wurde beispielsweise 2015 eine Palästinenserin von zwei Soldatinnen vergewaltigt, eine davon war auch noch Ärztin. Diese sollte auf Anweisung eines Schin-Bet-Agenten eine Leibesvisitation von Vagina und Anus durchführen, besagter Agent wurde auch noch befördert (Breiner 2022. Schin Bet = [deutsch] Sicherheitsdienst; israelischer Inlandsgeheimdienst). Genau wie nicht nur israelische Männer in diesen Fall Täter sind, sondern auch israelische Frauen, so zählen auch palästinensische Männer mit zu den Betroffenen (Madar 2023). Weishut (2015) untersuchte 1.500 Akten und fand darin mindestens 60 Fälle, welche sexualisierte Gewalt gegen palästinensische Jungen und Männer zwischen 15 und 43 implizierten. Am häufigsten kam es darunter zu verbaler sexueller Belästigung, in Form von Vergewaltigungsandrohung gegen die Betroffenen oder ihre Familien, sollten sie nicht aussagen, sowie erzwungener Nacktheit. Jedoch kam es auch zu physischer Gewalt, einerseits in Form von Gewaltausübung im Genitalbereich, einer simulierten Vergewaltigung, aber auch einer tatsächlichen mit einem Gegenstand.

Doch darüber wird geschwiegen, denn wo können sich die Unterdrückten auch hinwenden? Sie haben nur noch mehr Repressionen zu fürchten, wenn sie sich gegen die Besatzungsmacht stellen, und dass sie dann in den Gefängnissen und während Untersuchungen noch mehr sexualisierte Gewalt erfahren, ist nicht auszuschließen – zumal der israelische Staat seinen Bediensteten das Recht auf physische Folter sogar einräumt, wenn sie nötig sei (Falah 2008). Sexualisierte Gewalt wird hier also weniger zur Bedürfnisbefriedigung, sondern vielmehr als Druckmittel und Repression benutzt, da sie zu besonders traumatischen Situationen für die Betroffenen führt und Palästinenser:innen so eingeschüchtert werden können, da sie sich ohnmächtig fühlen sollen, damit sie sich nicht mehr gegen die Apartheid wehren. Ein weiteres Ziel gerade in Verhören bleibt natürlich das Geständnis von Straftaten und Verrat von anderen Beteiligten. Des Weiteren werden die zionistischen Staatsdiener:innen Israels mit Propaganda gefüttert, weswegen sie auch ihren antimuslimischen Hass durch die besonders perfiden und sadistischen Foltermethoden der sexualisierten Gewalt ausleben. Ähnliches konnte im Irakkrieg vonseiten von US-Soldat:innen beobachtet werden.

Darüber wird jedoch geschwiegen, werden keine Twitterthreads und pastellfarbene Instaslides erstellt. Denn für viele stellt die tagtägliche Unterdrückung der Palästinenser:innen einfach nicht so einen Skandal dar wie ein Angriff auf ein Musikfestival, weil man aus einer europäischen Perspektive sich besser in die Haut der Festivalbesucher:innen versetzen kann. Auch Wissenschaftler:innen scheint das Thema nicht zu interessieren. Sie leugnen es teilweise aufgrund von angeblich nicht aufzufindenden Informationen (Medien 2021).

Warum wird darüber geschwiegen?

Dr. Kathryn Medien (2021) mutmaßt, dass es sich hierbei um eine Taktik zur Abgrenzung gegen Handlungen, die nicht den westlichen Werten entsprechen, handelt. Und zwar argumentiert sie, dass Israel sich selbst darstellen möchte als westlich, humanistisch und demokratisch, weswegen es zu solchen Fällen nicht kommen dürfe.

Interessant ist hierbei, dass sie sich auf einen Artikel von Nadje Al-Ali (2016) bezieht, welche sich damit auseinandersetzt, warum das Interesse an Unterdrückung Irakischer Frauen während der US-Invasion auf einmal anstieg, obwohl sich diese auch schon vorher um internationale Aufmerksamkeit hinsichtlich ihrer Lage bemühten. Sie erklärt das mit einer Form des Otherings: Es ginge darum, die andere Kultur allgemein rassistisch zu verunglimpfen, sie als barbarisch im Gegensatz zur eigenen, zivilisierten darzustellen. Sowas kann man zum Beispiel auch erkennen, wenn die AfD in Deutschland behauptet, alle Geflüchteten würden deutsche Frauen vergewaltigen. Das passiert zum Beispiel auch, wenn Israel als Paradies für LGBTIA+-Personen hingestellt wird, während im Gazastreifen und in der Westbank alle von ihnen direkt niedergeschossen werden würden. Solange also die internationalen Medien davon schweigen, wie Palästinenser:innen von Mitarbeiter:innen israelischer staatlicher Behörden tagtäglich drangsaliert, unterdrückt und eben auch sexuell belästigt oder gar vergewaltigt werden, solange kann man kaum glauben, dass sie sich wirklich für Betroffene sexualisierter Gewalt starkmachen wollen. Solange muss man glauben, dass sie ins selbe Horn stoßen wie der israelische Verteidigungsminister, der verkündete, alle Bewohner:innen des Gazastreifens seien wie Tiere, gegen die man kämpfen müsse. Sollten sich die Vorwürfe jedoch bewahrheiten, gilt dennoch, nicht dem palästinensischen Widerstand an sich die Solidarität zu entziehen, sondern diese Gewalttaten zu verurteilen und schonungslose Kritik an der Führung zu üben und Konsequenzen für die Täter zu fordern.

Literaturverzeichnis

Al Issa, Ferdoos Abed-Rabo & Beck, Elizabeth (2020): Sexual Violence as a War Weapon in Conflict Zones: Palestinian Women’s Experience Visiting Loved Ones in Prisons and Jails, Affilia, Vol. 36 (2), DOI: 10.1177/0886109920978618.

Ali-Ali, Nadje (2016): Sexual violence in Iraq: Challenges for transnational feminist politics. European Journal of Women’s Studies, Vol. 25(1), DOI: 10.1177/1350506816633723.

Benoist, Chloé (2018): Palestinian Women Haunted by Abuse in Israeli Jails, Middle East Eye 8.2.2018, https://www.middleeasteye.net/features/palestinian-women-haunted-abuse-israeli-jails (zuletzt aufgerufen 10.10.23).

Breiner, Josh (2022): Shin Bet Officer Suspected of Ordering Search of Palestinian Woman’s Private Parts Gets Promoted, Haaretz 28.9.22, https://www.haaretz.com/israel-news/2022-09-28/tyarticle/.premium/shin-bet-offi cer-suspected-of-ordering-search-of-palestinians-private-parts-getspromoted/00000183-838e-d6b4-ab9f-ebbef3c30000 (zuletzt aufgerufen 10.10.23).

Falah, Ghazi-Walid (2008): Geography in Ominous Intersection with Interrogation and Torture: Reflections on Detention in Israel, Third World Quarterly, Vol. 29(4), DOI: 10.1080/01436590802052706.

Goldberg, Jonah (2023): Who’s to blame for the Hamas attack on Israel? That debate is already going off the rails, LA Times 9.10.23, https://www.latimes.com/opinion/story/2023-10-09/israel-hamas-attacks-failure-security-surveillance-blame (zuletzt aufgerufen: 18.10.23).

Gibbons, Christine (2018): CEDAW, the Islamic State, and Conflict-Related Sexual Violence, Vanderbilt Journal of Transnational Law, Vol. 51 (5), https://scholarship.law.vanderbilt.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1121&context=vjtl (zuletzt aufgerufen 10.10.23).

Hammami, Rema (2019): Destabilizing Mastery and the Machine: Palestinian Agency and Gendered Embodiment at Israeli Military Checkpoints, Current Anthropology, Vol. 60 (19), DOI: 10.1086/699906.

Leibovitz, Liel (2023): Eyewitness Account of the Rave Massacre, Tablet Magazine 8.10.23, https://www.tabletmag.com/sections/israel-middle-east/articles/israel-music-festival-massacre-eyewitness-account (zuletzt aufgerufen 10.10.23).

Madar, Revital (2023): Beyond Male Israeli Soldiers, Palestinian Women, Rape, and War: Israeli State Sexual Violence against Palestinians, Conflict and Society 9, DOI: 10.3167/arcs.2023.090105.

Medien, Kathryn (2021): Israeli settler colonialism, “humanitarian warfare,” and sexual violence, Palestine. International Feminist Journal of Politics, Vol. 23(5), DOI: 10.1080/14616742.2021.1882323.

Reuters (2023): Israeli forensic teams describe signs of torture, abuse, Reuters 15.10.23, https://www.reuters.com/world/middle-east/israeli-forensic-teams-describe-signs-torture-abuse-2023-10-15/ (zuletzt aufgerufen: 18.10.23).

Sharon, Jeremy (2023): Footage of Hamas assault on civilians shows likely war crimes, experts say,The Times of Israel 8.10.23, https://www.timesofisrael.com/footage-of-hamas-assault-on-civilians-shows-likely-war-crimes-experts-say/ (zuletzt aufgerufen 10.10.23).

Weishut, Daniel J. N. (2015): Sexual torture of Palestinian men by Israeli authorities, Reproductive Health Matters, 23:46, DOI: 10.1016/j.rhm.2015.11.019.




Nein zu den reaktionären Angriffen der Türkei – Solidarität mit Rojava!

Leonie Schmidt, ursprünglich veröffentlicht auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1233, 13. Oktober 2023

Die Welt schaut gerade nach Israel und betrauert dabei fast ausschließlich die getöteten israelischen Zivilist:innen, während das Töten palästinensischer als Kampf gegen Terrorismus bemäntelt und damit unsichtbar wird. Doch ebenso unsichtbar bleibt eine weitere humanitäre Katastrophe: In Nordsyrien, in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung Rojava (Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien), fliegt die Türkei nun seit über einer Woche Bombenangriffe, die die Infrastruktur zerstören, Menschen töten und die schwersten dieser Art seit langem sind.

Seit dem 5.10.23 wurden 47 Menschen ermordet, darunter auch neun Zivilist:Innen und zwei Kinder (Stand 11.10.23). So wurden bereits mehrere Krankenhäuser durch die Angriffe zerstört sowie ein Kraftwerk getroffen, außerdem die Wasser- und Energieversorgung, Schulen, Ölfelder, Fabriken, Waren- sowie Geflüchtetenlager und Dörfer. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Infrastruktur massiv angegriffen wird, was nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen darstellt. So ist in großen Teilen Rojavas nach den Angriffen die Stromversorgung eingebrochen. In vielen Fällen sollen die Luftschläge auch Menschen in Fahrzeugen und auf Motorrädern gegolten haben.

Erdogan möchte den Menschen die Lebensgrundlage rauben und er legitimiert es wie Netanjahu mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Am 2. Oktober kam es zu einem Anschlag der PKK in Ankara und nun wird behauptet, einer der Attentäter würde aus Nordsyrien stammen, wenngleich es dafür keine Beweise gibt. Aber die braucht es für Erdogan schließlich auch nicht, da diese Behauptung seiner Ideologie und seinem rassistischen Kampf gegen die Kurd:innen entspricht. Bereits im November 2022 wurde ein Anschlag in Istanbul als Vorwand genutzt, einen zweiwöchigen Luftangriff auf die Region zu fliegen, wo ebenso Infrastruktur getroffen wurde und unter dessen Auswirkungen die Bevölkerung heute noch zu leiden hat. Seit den Angriffen gibt es nur einige Stunden am Tag Strom, Diesel ist rar und teuer geworden und auf eine neue Gasflasche zum Kochen muss man in der Regel eine Woche warten. Hinzu kommt die enorme psychische Belastung für die Bevölkerung. Drohnenangriffe sind allgegenwärtig. Und damit nicht genug: Innerhalb der Türkei wird das gerade dadurch begleitet, dass Dutzende prokurdische Aktivist:innen inhaftiert und insgesamt ein harter Kampf gegen die fortschrittlichen Bewegungen geführt wird.

Doppelmoral, so weit das Auge reicht

Erdogan sagte in einer gestrigen Ansprache an die Staatengemeinschaft, man solle sich hinsichtlich der Luftschläge gegen Gaza doch zurückhalten, denn es würde nicht den Menschenrechten entsprechen, Infrastruktur zu zerstören. Er prangerte des Weiteren das Schweigen der internationalen Staatengemeinschaft hinsichtlich dieser humanitären Katastrophe in Gaza an. Wenngleich seine Aussagen bezüglich Gazas einen wahren Kern enthalten, so ist das doch am Ende des Tages nichts weiter als dreckige Heuchelei. Scheinbar sind ihm Menschenrechte ziemlich egal, wenn es um den eigenen Dorn im Auge geht: den kurdischen Befreiungskampf.

Auch die USA und Russland nehmen die Angriffe ohne ein Augenzucken hin, denn sie sind es, die den Luftraum in Nordsyrien kontrollieren. Ohne die Zustimmung der Militärs beider wären die türkischen Angriffe nicht möglich. Jedoch gibt es aktuell das unbestätigte Gerücht, die USA hätten eine Drohne des Nato-Bündnispartners Türkei über dem Ort Tell Beydar abgeschossen. Sollten diese Meldungen zutreffen, wäre es das erste Mal, dass US-Militär ein Flugobjekt der Türkei abgeschossen hat.

Ziele der Türkei

Die Türkei verfolgt mit dem Angriff ihr eigenes Ziel, als Regionalmacht an der Neuordnung des Nahen Ostens mitzuwirken, aber auch innenpolitische Ambitionen werden vom Regime in Ankara verfolgt.

Die Türkei steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Besonders die Inflation hat nach wie vor ein sehr hohes Ausmaß und die türkische Währung Lira ist weiterhin schwach. Im August lag die Teuerungsrate bei 58,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, was extrem hoch ist. Diese wird auf Arbeiter:innen und Jugendliche abgewälzt. Der Krieg in Syrien schafft eine äußere Ablenkung von den sozialen Angriffen, aber bedient auch ganz unmittelbar ökonomische Interessen:

Die „TOKI“-Häuser sollen da, wo zerstört wird, von staatlichen Bauunternehmen aufgebaut werden und die Baubranche ankurbeln (TOKI: Toplu Konut İdaresi Başkanlığı; im Jahr 1984 gegründete türkische Wohnungsbaubehörde). Außerdem will Erdogan in diesem Gebiet bis zu 2 Millionen Geflüchtete zwangsweise ansiedeln und das passt wiederum super in den Kram der EU. Siehe die aktuelle GEAS-Gesetzgebung, bei der Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten (z. B. Türkei, Indien oder Tunesien) so schnell wie möglich dorthin abgeschoben werden sollen. Auch für Menschen aus Staaten, auf die diese Kategorie nicht zutrifft, finden die EU-Innenminister:innen einen Weg, der an einem Asyl für diese vorbeiführt. Die Reform besagt, dass nun auch eine Abschiebung in ein „sicheres Drittland“, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise mit der geflüchteten Person assoziiert wird (z. B. über entfernte Verwandtschaft), möglich sei.

Der Kampf um Befreiung ist international

Rojava muss gegen die Angriffe des türkischen Staates verteidigt werden. Der Kampf gegen die Militärmaschinerie der Türkei, gegen das PKK-Verbot in Europa, für uneingeschränkte legale Betätigung aller Befreiungsbewegungen und, wann immer möglich, das Leisten materieller Hilfe für die Verteidigung von Rojava ist aktuell notwendig und könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen.

Gleichzeitig müssen wir auf die Doppelmoral und auf die Ähnlichkeiten der Kämpfe in Gaza und in Nordsyrien hinweisen: one struggle, one fight! Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung!

  • Schluss mit den Angriffen auf Rojava! Solidarität mit dem kurdischen Volk!

  • Nein zu allen Abschiebungen in die Türkei! Niederschlagung aller Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen!

  • Aufhebung der sog. Antiterrorliste der EU! Weg mit dem Verbot der PKK und anderer kurdischer Vereine!



Israel: Rechte Regierung, Unterdrückung und Widerstand

Alex Rutherford und Marcel Rajecky, Infomail 1212, 6. Februar 2023

Am 30. Dezember wählte das israelische Parlament eine Regierung unter dem Vorsitz des Führers des Likud-Blocks, Benjamin Netanjahu, ins Amt. Diesmal hatte Netanjahu Vertreter:innen mehrerer extrem religiöser und rechtsextremer Parteien in seine Koalition aufgenommen, die den Block „Religiöser Zionismus“ (RZ) bilden.

Programm der Regierung

Eine Erklärung Netanjahus zu den wichtigsten politischen Maßnahmen der Regierung begann mit den Worten: „Das jüdische Volk hat ein ausschließliches und unveräußerliches Recht auf alle Teile des Landes Israel. Die Regierung wird die Besiedlung in allen Teilen des Landes Israel vorantreiben und ausbauen – in Galiläa, im Negev, auf den Golanhöhen und in Judäa und Samaria.“

Letzteres bezieht sich auf das besetzte Westjordanland, die zerfaserten Überreste Palästinas, die den 2,5 Millionen ursprünglichen Bewohner:innen, aber nun auch 500.000 zionistischen Siedler:innen gehören.

Der neue Finanzminister Bezalel Smotrich, Mitglied des RZ-Blocks und selbst ein illegaler Siedler, sagte in einem Artikel im Wall Street Journal, dass es niemals eine „Änderung des politischen oder rechtlichen Status“ des Westjordanlandes geben werde. Das bedeutet, dass die „Zweistaatenlösung“, die offiziell von den USA und der so genannten internationalen Gemeinschaft seit den 30 Jahre alten Osloer Abkommen unterstützt wird, nicht einfach nur tot ist, sondern durch Beschlagnahme des Landes, den Abriss palästinensischer Häuser und ständige Razzien in den über 50 Jahre alten Flüchtlings-Lagern ersetzt wurde.

Ein weiterer wichtiger rechtsextremer Minister in der neuen Regierung ist Itamar Ben-Gvir, ein Siedler aus dem besetzten Westjordanland. Im Alter von 16 Jahren schloss er sich der Kach an, der berüchtigten rassistischen und extrem „religiös-zionistischen“ Organisation von Meir Kahane. Im vergangenen Jahr war er aktiv an den Auseinandersetzungen im besetzten Ostjerusalem beteiligt, im Viertel Scheich Dscharrah, wo die israelischen Behörden versuchen, palästinensische Familien zu vertreiben. Dort fuchtelte er mit einer Waffe herum und forderte die Polizei auf, das Feuer auf palästinensische Demonstrant:innen zu eröffnen. Dieser Mann ist jetzt Minister für Nationale Sicherheit, zuständig für die Polizei, die Gefängnisse und den Grenzschutz. Er befürwortet die Einführung der Todesstrafe für „Terrorist:innen“ und noch härtere Bedingungen für die 4.450 palästinensischen Gefangenen (darunter 150 Kinder) in israelischen Gefängnissen.  Außerdem unterstützt er die Ausweisung aller palästinensischen Bürger:innen Israels, die sich weigern, dem jüdischen Staat die Treue zu schwören.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den Wochen seit dem Amtsantritt der Regierung Netanjahu die Angriffe des israelischen Staates auf das Westjordanland und ebenso der Widerstand der verschiedenen palästinensischen islamistischen Guerillaorganisationen stark zugenommen haben.

Erneut Dschenin

Am 26. Januar massakrierten die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) neun Palästinenser:innen im Flüchtlingslager Dschenin im besetzten Westjordanland. Ein zehnter Palästinenser wurde später von israelischen Truppen bei einem Protest gegen die Gräueltat getötet. Dschenin ist seit langem Schauplatz zahlloser brutaler Überfälle der so genannten Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Am 11. Mai letzten Jahres geriet die berühmte palästinensisch-amerikanische Journalistin Shireen Abu Akleh in die Schlagzeilen, als sie von einem IDF-Scharfschützen getötet wurde.

Das palästinensische Gesundheitsministeriums identifizierte drei der bei dem Anschlag am 26. Januar getöteten Menschen: Magda Obaid (61), Saeb Izreiqi (24) und Izzidin Salahat (26). Außerdem wurden 20 Menschen verwundet. Berichten zufolge wurden Krankenwagen zunächst von israelischen Truppen daran gehindert, die Verwundeten zu erreichen, und auch die Kinderstation eines örtlichen Krankenhauses wurde von israelischen Einheiten mit Tränengas beschossen.

Als Reaktion darauf brach die Palästinensische Autonomiebehörde (Israels gewöhnlich zuverlässige Kollaborateurin bei der Unterdrückung der im Westjordanland lebenden Palästinenser:innen) vorübergehend die Sicherheitsbeziehungen zu den Besatzungstruppen ab. Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, rief drei Trauertage und einen Generalstreik im gesamten besetzten Westjordanland und in Jerusalem aus.

Die Ermordung von sieben Gläubigen vor einer Moschee am Rande der Jerusalemer Altstadt durch Khairi Alqam, einen 21-jährigen Palästinenser, hat bei den führenden Politiker:innen der Welt natürlich weitaus mehr Empörung ausgelöst als das Massaker von Dschenin am Vortag, das offensichtlich den Anstoß zu dem Anschlag gab, sowie die Tatsache, dass zwei Tage zuvor ein Verwandter von ihm von der israelischen Polizei getötet wurde. Einige palästinensische Organisationen lobten den Anschlag, und natürlich wird die weitaus höhere Zahl der Todesopfer auf ihrer Seite des Konflikts von vielen als ausreichende Rechtfertigung angesehen. Tatsächlich aber führen solche Taten zu weitaus größeren Repressionen, zur Zerstörung des Hauses der Familie des Schützen, zu Massenverhaftungen und zur Androhung noch härterer Vergeltungsmaßnahmen. Angriffe auf willkürliche Gruppen von Zivilist:innen sind ein Produkt der Verzweiflung und kein wirksames Mittel des Kampfes. Nur Massenaktionen wie die beiden Intifadas haben die Aufmerksamkeit der Welt auf die Brutalität der israelischen Unterdrückung gelenkt.

Die Gewalt ist nicht neu: Mindestens 30 Palästinenser:innen wurden in diesem Jahr bereits von israelischen Truppen im Westjordanland getötet, und im vergangenen Jahr waren es mehr als 150. Netanjahus neue Regierung signalisiert natürlich keinen Kurswechsel dieser gewaltsamen Unterdrückung. Trotz kleiner Meinungsverschiedenheiten zwischen verschiedenen zionistischen Parteien sind die Hauptpfeiler des Siedlungskolonialprojekts – Beschlagnahme von Land für den Bau illegaler Siedlungen, wiederholte Bombenangriffe auf Gaza, Lobbyarbeit gegen die Anerkennung Palästinas – Konsens in der israelischen politischen Klasse und bis zu einem gewissen Grad auch in der israelischen Zivilgesellschaft insgesamt.

Globaler Kontext

Die anhaltende Gewalt gegen die Palästinenser:innen wird mit stiller Billigung von Israels Hauptsponsorin, den Vereinigten Staaten, ausgeübt. Als regionaler Gendarm der USA haben Washington und Tel Aviv ein vereinbartes Programm: mehr Landkonfiszierung und Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten.

Während Trumps Präsidentschaft kam dieser Plan am deutlichsten im sogenannten „Deal des Jahrhunderts“ zum Ausdruck, der im Januar 2020 öffentlich wurde. Darin signalisierten die USA, dass sie umfangreiche Annexionen palästinensischen Landes und die „Judaisierung“ Ostjerusalems unterstützen würden, und schlossen die Möglichkeit eines palästinensischen Staates im eigentlichen Sinne aus. Außerdem versprachen sie ihren regionalen „Partner:innen“ Milliarden für Investitionen in Palästina und den Ausbau ihrer Beziehungen zu dem einst feindlichen zionistischen Staat.

Die USA sind derzeit stark in Konflikte mit Russland in der Ukraine und China in Ostasien verwickelt und können eine größere Explosion im Nahen Osten nicht oder nur schwer vermeiden. Das war auch der Hintergrund des Besuchs von US-Außenminister Antony Blinken in Israel. Deshalb versuchen sie, ihre wichtigsten arabischen Staaten wie Saudi-Arabien, Ägypten, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar mit Israel zu verbinden. Dies soll weiter wirtschaftlich und strategisch forciert werden. Zugleich stärken sei diese Staaten gegen interne Bedrohungen, sei es die politische oder religiöse Opposition oder im Falle Israels die palästinensische nationale Befreiungsbewegung. Die aktuelle Verschärfung der zwischenimperialistischen Rivalität macht diese Ziele und den Unterordnung ihrer regionalen „Partner:innen“ für die USA immer dringlicher (zugleich aber auch immer schwieriger).

Netanjahus Block hat jedoch seine eigenen Probleme in der israelischen Gesellschaft. Seit Wochen finden Demonstrationen gegen die Pläne der neuen Regierung statt, den Obersten Gerichtshof Israels zu schwächen, damit eine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, seine Entscheidungen außer Kraft setzen kann. Ein Grund dafür ist, die Verurteilung Netanjahus wegen Korruptionsvorwürfen verhindern zu können. Zudem würde dies der Regierung mehr Spielraum für den Bau neuer Siedlungen und die Verfolgung der theokratischen Sozialagenda der religiösen Rechtsextremen gegenüber LGBTIAQ-Rechten geben.

Diese Vorschläge haben in der israelischen Gesellschaft großen Widerstand mit wochenlangen Protesten hervorgerufen, die am 21. Januar in einer Demonstration von 100.000 Menschen in Tel Aviv(-Jaffa) gipfelten, an deren Spitze verschiedene zionistische Parteien, ehemalige Premierminister sowie Menschenrechtsgruppen und die LGBTIAQ-Community standen, denen die religiösen Fanatiker:innen mit neuen repressiven Gesetzen gedroht haben. Die Frage der Rechte der Palästinenser:innen wurde jedoch ausgeklammert, und palästinensische Flaggen waren nicht erlaubt, obwohl sie das erste Ziel einer Regierung wären, die sich völlig von allen gesetzlichen Beschränkungen befreit hat.

Solidarität mit Palästina!

Das politische System Israels ist ein Siedler:innenkolonialismus, der zu Recht mit dem rassistischen Apartheidsystem verglichen wird. Das bedeutet, dass trotz des Ausbruchs moralischer Panik in der israelischen liberalen bürgerlichen Presse in Bezug auf die neue Regierung Israels anhaltende Politik der Unterdrückung der Palästinenser:innen von der gesamten politischen Klasse gebilligt und durch keine israelische Wahl grundlegend geändert wird.

Heute ist zwar noch immer ein bedeutender Teil der israelischen Arbeiter:innenklasse in der 800.000 Mitglieder zählende Histadrut organisiert, der Organisationsgrad liegt aber bei rund 20 %. Seit ihrer Gründung im Jahr 1920 war sie nie eine echte Gewerkschaft, sondern ein wesentlicher Bestandteil des zionistischen Kolonisierungsprojekts, vollständig in das Siedlungskolonialprojekt integriert. Die offiziellen Arbeiter:innenorganisationen vertreten nicht einfach die israelischen Lohnabhängigen und ihre Interessen als Arbeiter:innen, sondern sondern faktisch auch als Besatzer:innen und die einer privilegierten Arbeiter:innenschicht gegenüber den Palästinenser:innen (auch wenn sich die Histadrut formal palästinensischen Arbeiter:innen geöffnet hat).

Natürlich müssen sich Sozialist:innen in Israel und in der ganzen Welt dieser jüngsten Manifestation israelischer Gewalt gegen die Palästinenser:innen widersetzen. Aber genauso wichtig ist es, dass wir uns entschieden gegen den Zionismus in all seinen Formen stellen. Es handelt sich um eine rassistische Ideologie, die tagtäglich zur Rechtfertigung der Unterdrückung des palästinensischen Volkes benutzt wird. Unser Ziel muss daher die Zerstörung des rassistischen zionistischen Siedler:innenstaates und seine Ersetzung durch einen einzigen säkularen Staat für alle Menschen in Palästina sein: Araber:innen und Israelis, Muslim:innen, Juden/Jüdinnen, Christ:innen und Atheist:innen.

Dieses Ziel kann nur durch eine sozialistische Revolution erreicht werden, die die gesamte palästinensische Arbeiter:innenklasse mit fortgeschrittenen Teilen der israelischen Klassenbrüder und -schwestern einbezieht. Aber sie muss auch Teil einer solchen Revolution im gesamten Nahen Osten sein, die die autokratischen Reiche stürzt, seien es militärisch-säkulare wie Ägypten oder „islamische“ wie Saudi-Arabien oder die Golfstaaten. Die internationale Solidarität mit allen fortschrittlichen Kämpfen in der Region ist entscheidend.

Wir weisen das Argument, die Unterstützung Palästinas sei antisemitisch, mit Verachtung zurück und wenden uns gegen jedes Wiederauftauchen antijüdischer Hetze. Wir loben den Mut vieler jüdischer Menschen sowohl in Israel als auch in der ganzen Welt, die die Rechte der Palästinenser:innen unterstützen und die zionistische Unterdrückung anprangern. Wir müssen alle zusammenstehen im Kampf für den Sturz des zionistischen Apartheidstaates und seine Ersetzung durch einen binationalen säkularen sozialistischen Staat, in dem alle Einwohner:innen über gleiche politische und wirtschaftliche Rechte verfügen.




Nein zu den reaktionären Angriffen der Türkei – Solidarität mit Rojava!

Martin Suchanek, Infomail 1205, 28. November 2022

Seit über einer Woche, seit der Nacht vom 19. zum 20. November, greift die türkische Armee die kurdische Region Rojava an – aus der Luft mit Flugzeugen und Drohnen oder durch massiven Beschuss mit Haubitzen, Panzern und Mörsern. Zudem überfallen Söldnertruppen im Dienste der Türkei kurdische Siedlungen.

Allein die erste Angriffswelle auf die kurdische selbstverwaltete Region Rojava forderte Duzende Menschenleben – und die Zahl der toten Kämpfer:innen und Zivilist:innen steigt täglich. Dabei könnten die massiven Bombardements nur das Vorspiel zu einer Offensive mit Bodentruppen und faktischen Besetzung weiterer Teile der kurdischen Gebiete durch die Türkei abgeben.

Den Angriff hat das Erdogan-Regime schon lange angekündigt und geplant. Es stieß dabei jedoch nicht nur auf Auflehnung des reaktionären despotischen syrischen Regimes und des russischen Imperialismus, sondern auch der USA, die den Luftraum über Rojava faktisch kontrollieren.

Vorwand

Der Anschlag in der Istanbuler Einkaufsstraße Istiklal, bei dem am 13. November 6 Personen getötet und 81 weitere verletzt worden waren, bot dem türkischen Regime eine willkommene Gelegenheit. Ohne jeden Beweis wurde die Verantwortung für die Morde der PKK und der kurdischen Selbstverwaltung in Rojava in die Schuhe geschoben. Dabei haben die kurdischen Kräfte diesen reaktionären Anschlag rasch und deutlich verurteilt.

Es fragt sich darüber hinaus aber auch, warum sie ausgerechnet eine Aktion durchgeführt haben sollen, die politisch vom Erdogan-Regime ausgeschlachtet wird, die dem kurdischen Befreiungskampf nur schadet und nicht nützt. Wer sich die Frage nach dem Cui bono (lateinisch: Wem zum Vorteil?) ernsthaft stellt, wird wohl dort eher nach Antworten suchen müssen, wo die politischen Profiteur:innen des Anschlags sitzen.

In jedem Fall hat die türkische Regierung nicht lange gezögert. Seit dem 19./20. November sind tausende Raketen, Drohnen, Bomben, Artillerie- und Panzergeschosse auf Rojava niedergegangen bzw. überflogen dieses Territorium. Die USA und ihre Verbündeten – darunter auch die Bundesregierung – übernehmen weitgehend die Propagandalügen Erdogans. Im Namen des sog. „Kampfs gegen den Terrorismus“, und um den NATO-Verbündeten Türkei im Kampf um die Ukraine bei der Stange zu halten, überlassen die USA ihm faktisch den Luftraum. Russland und das Assad-Regime kritisieren das zwar, waschen aber ansonsten ihre Hände in Unschuld. Schließlich wollen auch sie die Vernichtung kurdischer Selbstverwaltung. Umso besser also, wenn Erdogan die Drecksarbeit erledigt. Schließlich sind Assad mit der Stabilisierung seiner Diktatur und Putin mit mörderischen Bombardements auf ukrainische Städte beschäftigt.

Darüber hinaus berichten einige arabische Medien über Verhandlungen zwischen der Türkei und Syrien. Diesen zufolge wäre Erdogan zur Einstellung der Angriffe bereit, wenn das Assad-Regime die Kontrolle über Rojava übernimmt. Ein solcher Deal würde für die Kurd:innen den Anfang vom Ende ihrer Autonomie bedeuten. Ebenso wenig wie kurdische Selbstbestimmung unter der Herrschaft des türkischen Nationalismus und der NATO-Mächte realisiert werden kann, kann es sie unter der Diktatur des Schlächters Assad geben.

In dieser Lage gibt der Westen der Türkei nicht nur freie Hand. Die NATO-Staaten Westeuropas und die Anwärter Schweden und Finnland schweigen nicht nur zu den verbrecherischen Angriffen der Armee auf Rojava, sie gehen auch gegen die kurdischen Organisationen in ihren Ländern vor. In Deutschland und der EU sind die PKK und andere kurdische Organisationen weiter als „terroristische Organisationen“ verboten. Schweden und Finnland bescheinigt Erdogan großzügig „Fortschritte“ bei der Bekämpfung kurdischer politischer Flüchtlinge, nachdem der neue Premierminister Ulf Kristersson (Moderate Sammlungspartei) Anfang November die Umsetzung der von Erdogan geforderten Voraussetzungen für die NATO-Mitgliedschaft zugesagt hat.

Angriff an mehreren Fronten

Die Angriffe auf das kurdische Volk wurden zudem nicht nur in Rojava forciert. Seit Mitte November geht das türkische Regime unter dem Vorwand der „Terrorismusbekämpfung“ praktisch täglich gegen die kurdische Bevölkerung, wirkliche oder vermeintliche Aktivist:innen im eigenen Land vor. So finden in zahlreichen Städten Hausdurchsuchungen und Razzien statt. Hunderte Menschen wurden festgenommen, weil sie angeblich Mitglieder der PKK seien. Mit brutaler Härte geht die Polizei außerdem gegen Demonstrationen vor, die sich mit den Kurd:innen in Rojava solidarisieren, das Ende der Angriffe und willkürlichen Hausdurchsuchungen und Festnahmen fordern.

Die türkische Regierung und der Staatsapparat verschärfen ihren Krieg gegen das kurdische Volk, gegen dessen demokratische Rechte, betreiben faktisch Staatsterrorismus unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung.

Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Solidarität mit dem kurdischen Volk zum Ausdruck bringen. In der Türkei gehen regelmäßig Tausende trotz massiver Repression auf die Straße. In Deutschland fanden in mehreren Städten wie z. B. Berlin, Frankfurt/Main und Hannover Solidaritätsdemonstrationen statt. Weitere sind für die nächsten Tage geplant. Doch diese Solidarität darf sich nicht auf die Teilnahme der kurdisch-migrantischen Bevölkerung, ihre Organisationen und linke Aktivist:innen und Gruppierungen beschränken. Die Gewerkschaften, die Linkspartei müssen ebenfalls ihre Mitglieder und Anhänger:innen mobilisieren. Dasselbe gilt für alle Sozialdemokrat:innen und Grünen, die den Schießkurs „ihrer“ Regierung nicht teilen.

  • Schluss mit den Angriffen auf Rojava! Solidarität mit dem kurdischen Volk!

  • Nein zu allen Abschiebungen in die Türkei! Niederschlagung aller Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen!

  • Aufhebung der sog. Antiterrorliste der EU! Weg mit dem Verbot der PKK und anderer kurdischer Vereine!