IAA München: Autoindustrie umschalten

Mattis Molde, Neue Internationale 2023, September 2023

Die Internationale Automobilausstellung (IAA) ist nicht mehr das, was sie mal war. Einst war es die Präsentation der neuesten und teuersten Automobile zu Werbe und Verkaufszwecken, ein Ort, an dem Technik- und Autobegeisterte vor allem männlichen Geschlechts ihrer echten Leidenschaft kollektiv frönen konnten. Aber schon die Ausstellung 2021 verzeichnete zeitweise „leere Hallen“ und die Stimmung war „verklemmt“, wie Redakteur:innen von Auto motor und sport (Deutsche Automobilzeitschrift) in einem Interview mit dem VDA (Verband der Automobilindustrie) beklagten.

Die IAA 2023 sieht ein Riesenvolksfest in der Münchner Innenstadt vor, alle dürfen Probe fahren, Autos, E-Bikes, Scooter und sogar überwiegend „kostenfrei“. Angeblich geht es um „Mobility“ und im Werbefilmchen ist auch ganz kurz eine Straßenbahn zu sehen sowie zwei Fußgänger:innen –  auf einem Berggrat wandernd. Wie sind sie dorthin angereist? Sicher mit dem Auto, das aber unsichtbar bleibt.

Ein Filmchen so wie die übliche Autowerbung, in der es meist um viel entlegene Natur geht, gerne steil, mit Schnee oder Sand, die ein kraftvolles Fahrzeug erfordert, gerne auch Familie mit Kindern, die im SUV (Sport Utility Vehicle; Stadtgeländewagen bzw. Geländelimousine) wundervoll geschützt sind, oder –„alternativ“ – junge moderne Individuen, die ihre besondere Individualität mit einem ebenso besonderen Kleinwagen ausleben. In dieser Werbung kommen praktisch nie andere Autos vor, schon gar nicht die Realität verstopfter Innenstädte oder blockierter Autobahnen. Das einzige Auto, das vorkommt, ist das Produkt der werbenden Firma.

Beim IAA-Werbefilmchen muss man sich anstrengen, mal kurz im Hintergrund zwei Rücklichter zu entdecken – Berge und Baby sind länger zu sehen. Die Automobilbranche hat ganz offensichtlich ein Imageproblem.

Es ist nicht so, wie die Autoindustrie gerne tut, dass sie unverdientermaßen schlechtgeredet wird. Nein, sie ist schlecht: hauptverantwortlich für den Klimawandel und für eine Verkehrspolitik, die ineffizient und teuer ist und das größte Hindernis für eine Wende dieser. Ein wahrheitsgetreuer Film über diese Branche müsste Autounfälle und Abholzungen zeigen, Waldbrände und Ölpest. Sie setzt ihre Interessen mit Lobbyarbeit, Drohungen und kriminellen Methoden durch. Sie muss bekämpft werden und die IAA ist ein guter Platz, diesen Kampf zu propagieren.

Der Gegner

Der VDA richtet die IAA aus und besorgt die ganze politische Vertretung des deutschen Autokapitals mit Büros in Berlin, Brüssel und China. Er sorgt für die unglaublichen Subventionen für die Industrie in Form von Geldern für die Transformation (E-Mobilität, Biosprit …), Forschung, Abwrackprämien und E-Auto-Zuschüsse, für Autobahnbau und Aufbau von Ladestruktur und dazu die Unterstützung, die Autowerke von den Bundesländern erhalten. Hinzu kommt Subvention durch Kurzarbeit in einem Umfang, der die Erwerbslosenversicherung schon bis 2022 über 30 Milliarden Euro gekostet hat.

Der VDA sorgt für eine ökologisch unsinnige Klimapolitik der EU, die aber maßgeschneidert für große Oberklassen-Pkw  ist: Beurteilt wird der Flottenverbrauch, das heißt durchschnittliche CO2-Ausstoß aller neuverkauften Fahrzeuge eines Herstellers, berechnet aus dem Spritverbrauch entsprechend den Angaben eben dieses Herstellers. Für E-Autos gibt’s „Supercredits“, diese senken diesen völlig fiktiven Flottendurchschnitt überproportional.

Die Logik dieses Systems, das so offensichtlich die Böcke/Ziegen zu Gärtner:innen macht, bewirkt auch, dass der Kauf jedes Kleinwagens oder E-Mobils dem jeweiligen Hersteller den Verkauf weiterer fetter SUVs erlaubt und so umgekehrt der möglicherweise gute Wille der Käufer:in konterkariert wird.

Die Autoindustrie, die dicke staatliche Subventionen kassiert, zeigt keine, Scham zugleich ein massives Arbeitsplatzvernichtungsprogramm durchzuziehen. Der Personalabbau ist im vollen Gange: Von 850.000 Beschäftigten im Jahr 2019 sind es noch 760.000 im Jahr 2022. Fast 100.000 weniger. Der Geschäftsführer des VDA, Jürgen Mindel, spricht jetzt anlässlich der IAA von „über 600.000 Beschäftigten“ der Autoindustrie.

Dieser Personalabbau spielt sich vor allem in der Autozulieferindustrie ab. Kleinere Unternehmen werden verkauft oder schließen Standorte. Größere Unternehmen wie Opel, MAN, Bosch, Conti und Mahle haben Personal in Tausendergrößenordnung abgebaut und Standorte geschlossen.

Der VDA wäscht seine Hände in Unschuld. „Die Transformation der deutschen Automobilbranche hin zu E-Mobilität kann mehr Arbeitsplätze kosten, als Beschäftigte in den kommenden Jahren in den Ruhestand gehen – und dies schon, ohne die Folgen der überstürzten aktuellen Diskussion um ein neues Klimaschutzgesetz absehen zu können. Bis zum Jahr 2025 sind mindestens 178.000 Beschäftigte betroffen, bis 2030 mindestens 215.000 Arbeitsplätze – und dies schon auf der Basis der bisherigen Klimaschutzgesetze“, ließ er per Pressemitteilung am 5.6.21 wissen. Also: Die Klimagesetze, die gerade den CO2-Ausstoß beim Verkehr mitnichten eingedämmt haben, sind schuld daran, dass schon Hunderttausende ihre Arbeit verloren haben.

Dieser Personalabbau hat überhaupt nichts damit zu tun, dass es den großen Unternehmen der Branche schlechtginge. VW zum Beispiel hat seinen Profit von gut 7 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf über 22 Milliarden fast kontinuierlich gesteigert.

Es ist vielmehr so, dass er diese Gewinne generiert. Die Großkonzerne zwingen die Zulieferer, ihre Teileproduktion ins Ausland zu verlagern. Teile für Verbrenner werden nicht weiterentwickelt. Wenn sie auslaufen, erfolgt der Neustart in „Low Cost Countries“. Die Teile für E-Mobility werden schon lange dort gefertigt. Die Klagelieder über die „Deindustrialisierung“ Deutschlands stammen also von den Verursacher:innen derselben.

Als Internationalist:innen geht es uns nicht darum, „Arbeitsplätze in Deutschland“ zu verteidigen. Aber diese Betriebe können auch die Fahrzeuge bauen und die nötigen Technologien entwickeln, die für eine klimagerechte Mobilität nötig sind. Ihre Belegschaften können die Kraft sein, die der Klimabewegung bislang fehlt, um andere Entscheidungen durchzusetzen.

Strategie

Auf diese Kraft der ganzen Arbeiter:innenklasse müssen wir setzen. Die Rezepte der Klimabewegung waren bislang hilflos:

  • Die individuelle Kaufentscheidung beeinflusst nicht, welche Autos gebaut werden, und schon gar nicht, welche Verkehrssysteme zur Verfügung stehen. Der Bau und Betrieb von öffentlichen Alternativen muss politisch durchgesetzt werden gegen die Interessen der Autoindustrie.

  • Staatliche Richtlinien und Vorgaben bei Subventionsvergabe werden die Autokonzerne zu nichts zwingen können, sondern umgekehrt: Die stärkste Fraktion des deutschen Exportkapitals setzt in „ihrem Staat“ ihren Willen durch.

  • Straßen zu blockieren, ist mutig, aber es trifft nicht den eigentlichen Gegner. Der VDA und seine politischen Gehilfen rufen nach Polizei und Staatsanwalt. Die kommen auch und schlagen zu. Abgasbetrug aber bleibt straflos.

Das entscheidende Problem für die Verbindung von Umweltbewegung und Lohnabhängigen stellen jedoch die Führungen der Arbeiter:innenklasse, vor allem die Bürokratie und Apparate in den Gewerkschaften und Großkonzernbetriebsräten dar, die letztlich „ihre“ Autoindustrie über die Interessen der Gesellschaft stellen. Schlagwörter wie Transformation und ökologischer Umbau sind für sie Phrasen, die der Zusammenarbeit mit Kapital und Regierung mehr Glanz verleihen sollen.

Es reicht daher nicht, die Lügen der Autoindustrie offenzulegen und die Schwächen der Umweltbewegung zu kritisieren. Vor allem müssen wir für einen Kurswechsel Richtung Klassenkampf in den Betrieben und Gewerkschaften und der gesamten Arbeiter:innenbewegung kämpfen.

Die Autoindustrie kann nicht ökologisch „transformiert“ werden, ohne die Macht des Kapitals anzugreifen, ja zu brechen. Andernfalls bleibt es bestenfalls bei Stückwerk. Die Enteignung der Autoindustrie – ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle – bildet daher eine Schlüsselforderung. Nur so kann ein planmäßiger Umbau im Interesse der Lohnabhängigen und ökologischer Nachhaltigkeit angegangen werden. Diese Perspektive muss sich auch die Bewegung gegen die IAA zu eigen machen.




25.000 demonstrieren gegen Münchner Automobilmesse

Veronika Schulz, Infomail 1162, 15. September 2021

Bedenkt man, dass die VeranstalterInnen ausgerechnet wegen der vielfältigen Proteste und massiven Störaktionen rund um die IAA 2019 in Frankfurt einen Umzug nach München unternommen haben, haben die Aktionen der vergangenen Woche bewiesen, dass es für die AutoherstellerInnen und Konzernbosse kein Entkommen vor Widerstand gegen ihre Schau gibt.

Aktionen

Bereits am Dienstag gab es zum Auftakt der Messe Abseilaktionen von Brücken, die den Verkehr auf den Autobahnen um die Landeshauptstadt für mehrere Stunden lahmlegten.

Im weiteren Verlauf der Woche fanden Solidaritätsaktionen mit den Beschäftigten bei Bosch statt, die von einer Werksschließung und Entlassungen bedroht sind. An dieser Stelle zeigt sich ein praktischer Ansatz zur Verbindung der Kämpfe von Klima- und ArbeiterInnenbewegung, ist es doch im Interesse von allen Lohnabhängigen, die notwendige Konversion und/oder Transformation der bisherigen Produktion gemeinsam zu bewerkstelligen, ohne die Themen gegeneinander auszuspielen.

Eine Besetzung von zwei Häusern an der Karlstraße wurde ebenso rigide wie gewaltsam von den Bullen beendet wie die Aktionen am Bosch-Werk; am Einsatz von Pfefferspray und Knüppel wurde nicht gespart.

Parallel zu den vielfältigen Aktionen gab es beim Mobilitätswende-Camp auf der Theresienwiese sowie beim Kontra-IAA-Kongress die Möglichkeit zu inhaltlichen Diskussionen und Austausch.

Demonstration

Die Bündelung der Proteste und damit den Höhepunkt bildeten die Demonstrationen am Samstag. Politische Organisationen und Parteien hatten ebenso aufgerufen wie Umweltverbände, AktivistInnen aus der Klimabewegung und GewerkschafterInnen. Aus dem postautonomen Spektrum waren Kräften wie Ende Gelände, Extinction Rebellion oder Sand im Getriebe maßgeblich beteiligt. Zur Großdemonstration mit 5.000 TeilnehmerInnen kamen sogar noch an die 25.000 RadlerInnen, die sich in einer Sternfahrt aus mehr als 15 Städten im Umland Münchens teils bereits in den frühen Morgenstunden auf den Weg gemacht hatten. Bei allen Unterschieden und Vielfalt in den Protestformen herrschte Einigkeit über die notwendige und überfällige Abkehr vom Individualverkehr – egal ob mit Elektro- oder Verbrennungsmotor – sowie die Forderung nach einem massiven Ausbau des ÖPNV und Schienenverkehrs.

Die nach wie vor hohe Beteiligung von verschiedensten politischen Spektren und Zusammenschlüssen, ebenso wie von vielen Einzelpersonen insbesondere bei der Radldemo, zeigt die Dynamik und den Durchhaltewillen der Klimabewegung.

Wie es auch einer Verbindung der Kämpfe von Klima- und ArbeiterInnenbewegung bedarf, so müssen auch die Aktionen der verschiedenen politischen Spektren künftig besser vernetzt und abgestimmt werden, um eine höhere Durchschlagskraft einerseits zu erzielen, andererseits Hürden und Vorurteile gegenüber den jeweils anderen abzubauen. Umweltverbände, Klimabewegung und Gewerkschaften müssen gemeinsam für eine Überwindung des bisherigen Systems eintreten und Spaltungsversuchen von außen konsequent begegnen.

Berichterstattung

In der Berichterstattung der großen Medien ging es vorrangig um die Proteste der Klima- und Umweltbewegung gegen die Messe. Eine Hofberichterstattung wie noch vor wenigen Jahren mit verklärten Lobeshymnen auf „Innovationsfähigkeit“ und „Technologiefortschritt“ der Automobilindustrie suchte man vergebens. Auch in dieser Hinsicht ist die Rechnung von Branche und VeranstalterInnen nicht aufgegangen. Es gelang ihnen ebenfalls nicht, durch Aufnahme von Fahrrädern und E-Scootern ins Ausstellungsportfolio „Ergänzungen“ zum weiterhin dominanten Automobil, wenn auch mit Elektroantrieb, zu präsentieren. Derart plumpe PR nehmen selbst die wohlwollendsten ReporterInnen als das wahr, was sie ist: ein grünes Feigenblatt inmitten weiterhin selbstherrlicher Arroganz und Überheblichkeit, hängen doch „Arbeitsplätze“, „Wohlstand“ und überhaupt „die deutsche Wirtschaft“ als Ganzes am Tropf der Autolobby und ihrer Zulieferbetriebe.

Polizei und Landesregierung

So wenig sich mittlerweile selbst PressevertreterInnen der Mainstreammedien von oberflächlich „grünen“ Neuheiten der Autoindustrie blenden lassen, so eng verwoben bleiben Politik und Wirtschaft. Bezeichnend ist einmal mehr nicht nur die Quantität, sondern auch Qualität an Repression. Das Vorgehen der bayerischen Polizei, unterstützt durch USK und BFE-Einheiten aus verschiedenen anderen Bundesländern, war vom bayerischen Innenminister Herrmann (CSU) nicht nur legitimiert, sondern geradezu erwünscht und erwartet. Den „größten Polizeieinsatz seit 20 Jahren“ hatte Herrmann angekündigt, um die 5.000 PolizistInnen standen bereit. Auch wenn derartige Parolen mittlerweile zur Folklore im Vorfeld politischer Großereignisse wie G20-Gipfeln zählen, muten sie vor einer Messe wie der IAA in ihrer Law-and-Order-Rhetorik doch eher wahltaktisch an.

So entblödeten die Bullen sich nicht, Sprühkreide und Transparente zum Anlass für weitere Kontrollen und Schikane zu nehmen und AktivistInnen an der Ausübung ihres Demonstrationsrechts zu hindern. Auch die Regelungen des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes kamen zur Anwendung.

Den GenossInnen, die sich von den Autobahnbrücken abseilten, droht neben diversen Strafanzeigen auch eine Abwälzung der Einsatzkosten zu ihren Lasten, außerdem wurden sie für die gesamte Dauer der IAA in Präventivhaft genommen. Anfang dieser Woche wurde der „Sicherheitsgewahrsam“ von verschiedenen Gerichten als rechtswidrig eingestuft.

Die Grünen im Bayerischen Landtag fordern eine Aufarbeitung der Polizeieinsätze, insbesondere das Eingreifen während der Demonstration, was allerdings ebenfalls nicht ehrlicher Solidarität, sondern eigenem politischen Kalkül geschuldet sein dürfte.

Sämtliche Proteste, die bürgerliches Eigentum in Frage stellen oder die Art und Weise, wie wir produzieren, wie wir wohnen, womit spekuliert wird, werden nicht nur unterbunden, sondern kriminalisiert. Dabei geht die eigentlich Gefahr nicht von den konkreten Aktionen und BesetzerInnen aus, sondern liegt im Aufzeigen von Alternativen zur kapitalistischen Verwertungslogik und damit bei dem Widerstand gegen die herrschende Ideologie.




Proteste dominieren IAA in München

Mattis Molde / Helga Müller, Infomail 1162, 14. September 2021

Autobahnblockaden gegen die IAA gab es schon zu Beginn, Sitzblockaden und einen Gegenkongress unter der Woche, dann eine Großdemo am Samstag mit rund 25.000 TeilnehmerInnen. Die Mainstream-Medien fokussierten sich zurecht auf diese Ereignisse, denn der vorgebliche Anspruch der „Mobilitäts“-Messe wurde hinten und vorne nicht erfüllt.

Sackgasse IAA

Die IAA war einst der Wallfahrtsort der Motorfreaks, Leute, für die Autoherstellung und/oder Autofahren ein Glaubensbekenntnis waren und ein wesentlicher Bestandteil ihres Gefühlslebens. Das ist vorbei. Schon 2019 stürzten die BesucherInnenzahlen von einstiger Millionenhöhe auf unter 600.000 ab. Jetzt fielen sie auf 400.000. In einigen Messehallen herrschte zeitweise „tote Hose“.

Die MacherInnen hatten der Ausstellung ein neues „Format“ verpasst, es sollte um „Mobilität“ gehen. Das hätte heißen können, dass Studien und Modelle über die Verbindung verschiedener Verkehrsträger ins Zentrum gestellt werden. Beispiel: Was passiert auf dem letzten Kilometer von den Endpunkten des öffentlichen Schienenverkehrs zur Wohnung? Heute gibt es Busse im Halbstundentakt, abgestellte Fahrräder oder gar nichts.

Für die MacherInnen der IAA wie für die (deutsche) Autoindustrie ist das keine Frage: „Das Auto ist eine innovative Kraft und das am meisten genutzte Transportmittel“ heißt es in der IAA-Präsentation (https://www.iaa.de/fileadmin/IAA_Mobility/Fuer_Besucher/IAA_Erleben/Bike/IAA-MOBILITY-2021_Pre-Built-Booth-Packages_2021-07-01.pdf?1625471593). Letztere Behauptung ist zweifellos Unsinn – die eigenen Füße stehen den allermeisten Menschen zur Verfügung, nur einer Minderheit ein Auto. Und dem Produkt Automobil eine eigene Schöpfungskraft anzudichten, verrät viel über den Horizont dieser ZukunftserfinderInnen.

Sie setzen auf Autos, die sich untereinander verraten, wo es in der Innenstadt noch Parkplätze gibt. Auf Autos, die am besten so groß sind, dass sie Fahrräder transportieren können. Solche wurden erstmals auch auf der IAA gezeigt. Fahrräder mit Elektroantrieb und jeder Menge Sensorelektronik, Preisniveau ab 5000,- Euro aufwärts. Also genau nicht die Teile, die man in der Innenstadt oder an der S-Bahnhaltestelle abstellen kann. Und erst recht nicht die, die sich die Masse der Bevölkerung leisten kann.

Krise des Autos

Die IAA und ihre BetreiberInnen haben also nichts Wesentliches zur Lösung der Umwelt-, Klima- und Verkehrsprobleme beizutragen. Sie beschränken sich darauf, die ideologischen Nebelkerzen für ihre Profitproduktion neu zu gestalten. Millionen haben das erkannt und die Klimafrage ist zu einem Hauptthema bei WählerInnen geworden. Was noch lange nicht heißt, dass diejenigen, die das Problem beschäftigt, mit den Antworten zufrieden sind, die ihnen die KlimaretterInnen von CDU/CSU, FDP, SPD, Grünen und der LINKEN versprechen.

Ähnliches gilt für die Autoindustrie und ihre Show. Auch all die früheren IAA-BesucherInnen, die heute wegbleiben, die möglicherweise mittelfristig nach wie vor ein Auto brauchen oder dies zumindest glauben, finden ganz offensichtlich die Perspektive E-Auto nicht so klasse, die die Auto-Industrie heute anbietet: viel Elektronik, aber da ist das Handy billiger. Seine Umweltverträglichkeit ist zweifelhaft; nicht mal brummen tut es. Aber auf jeden Fall ist es schweineteuer.

Trotz dieser gigantischen Verblendungsshow, um die Transformation von Verbrenner- auf Elektromotoren als einen riesigen Schritt für mehr Umweltfreundlichkeit zu feiern, hat mit dieser IAA die Autoindustrie ein Schlaglicht auf ihre eigene Krise geworfen.

Klimabewegung, wohin?

Mit dem Umzug der IAA von Frankfurt/Main nach München wollten die VeranstalterInnen auch mögliche Protestaktionen von Umweltverbänden, Klimabewegung und diversen anderen Organisationen, die die Automobilindustrie in ihrer Jagd nach noch größeren Autos als eine der wichtigen VerursacherInnen der Klimaveränderung brandmarken, abschwächen. Dies hat sich aber als Rohrkrepierer herausgestellt. Auch in München haben sich wie vor zwei Jahren in Frankfurt bis zu 25.000 TeilnehmerInnen auf der zentralen Fußdemo und mittels Radlsternfahrt aus 11 umliegenden Gemeinden  für den Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs und eine drastische Reduzierung des Individualverkehrs – sei es mit Verbrenner- oder mit E-Motoren – ausgesprochen.

Die hohe Beteiligung an den Protestaktionen zeigt, dass die Klimabewegung nicht an Dynamik eingebüßt hat. Aber sie muss aufpassen, dass ihre politische Stagnation nicht auch zu deren Verlust führt. Die Bewegung muss eine Antwort auf die Frage finden, wie sie die Scheinaktivitäten der Regierungen und der Konzerne durchbrechen kann. Viele ahnen, dass einfach wieder mehr Fridays for Future das nicht schaffen wird.

Manche versuchen eine politische Antwort in der Anpassung an die Kapitalinteressen und/oder in der Ausrichtung auf Parlamentarismus und Wahlen, andere setzen auf militantere Aktionsformen, ohne freilich andere Ziele zu vertreten. Auch wenn etliche AktivistInnen mittlerweile die Notwendigkeit einer Verbindung mit Lohnabhängigen anerkennen, so herrscht über das Wie und Warum vor allem Unklarheit. Mitunter handelt es sich um bloße Lippenbekenntnisse, hinter denen sich Ignoranz oder Indifferenz gegenüber der Arbeiterinnenklasse verbergen. Wiederum andere halten „Spitzengespräche“ zwischen bürgerlichen SprecherInnen von Fridays for Future und GewerkschaftsführerInnen schon für ein Zusammengehen von Umwelt- und Gewerkschaftsbewegung.

Die Hoffnung, dass die Wahl der Grünen oder der grün gewendeten Parteien etwas bewirkt, wird genauso wie alle auf „soziale“ und „demokratische“ Regierungspolitik zerplatzen. Regierungen können wechseln, das Kapital und seine Klasse, die Bourgeoisie, herrschen. Es ist ihr Staat, zur Sicherung ihres Besitzes und ihrer Kapitalvermehrung. Und das Kapital interessierte sich noch nie für den Zustand und die Bedürfnisse der Gesellschaft.

Abseilaktionen von Autobahnbrücken beweisen Widerstandswillen gegen eine Staatsmacht, die auf Camps, Demonstrationen oder schon an den einfahrenden Personenzügen aufmarschiert. Für sich genommen klärt aber keine noch so entschlossene Aktionsform die Frage der inhaltlichen, politischen Ausrichtung.

Die Propagierung von bestimmtem KonsumentInnenverhalten wird zwar oft auch mit Kapitalismus- und Konsumkritik begründet. Als strategische Orientierung beruht sie auf der Illusion, dass die KäuferInnen bestimmen würden, was produziert wird. Demzufolge würde bei einem Kaufboykott umweltschädlicher Produkte das Kapital seine Profite woanders – umweltgerecht – suchen. Das E-Auto beweist das Gegenteil, genau wie die ganze Produktwerbung bis hin zu Aldi, die suggeriert, durch den Kauf eines bestimmten Waschmittels könne der Urwald gerettet werden. Nur – wir haben keine Zeit darauf zu warten, dass diese Rezepte ihre Wirkungslosigkeit beweisen.

Kongress

Es gilt also, neue Fragen zu formulieren und alte wieder aufzunehmen. Hier sollte und wollte der Kontra-IAA-Kongress in München vom 9. bis 10. September 2021 ansetzen.

29 Workshops, Podien und Foren hatten seine OrganisatorInnen auf die Beine gestellt. Über 100 TeilnehmerInnen hatten sich nach ersten Schätzungen (eine Bilanz des Kongresses wird es von den VeranstalterInnen noch geben) an den diversen Veranstaltungen beteiligt. Es waren vor allem TeilnehmerInnen aus attac, Umweltverbänden, AktivistInnen aus der Klimabewegung, GewerkschafterInnen, politische Organisationen, auch aus der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Das postautonome Spektrum und die eher aktionsorientierten Teile der Umweltbewegung wie Ende Gelände, Extinction Rebellion oder Sand im Getriebe haben sich an dem auf der Theresienwiese aufgebauten Klimacamp – das lange gegen das Münchner Kreisverwaltungsreferat durchgekämpft werden musste – und den ab Freitag stattfindenden Blockaden beteiligt, weniger an dem Kongress. Zusammen kamen diese diversen Spektren auf den Demos am Samstag.

Inhaltlich kreiste der Kongress vor allem um die Frage: Wie kommen Umwelt- und ArbeiterInnenbewegung zusammen? Wie können die verschiedenen umweltaktivistischen Bewegungen und Organisationen die Spaltung, die gezielt – teilweise auch von den DGB-Gewerkschaften – geschürt wird, überwinden? Vor allem in der Energiebranche stellt die IGBCE ständig den Erhalt von Arbeitsplätzen der Abschaffung der umweltzerstörenden Erzeugung entgegen. Aber umgekehrt haben sich KlimaaktivistInnen lange nicht um die Frage gekümmert: Wie können Arbeitsplätze in anderen gesellschaftlich sinnvollen Sektoren aufgebaut und die Industrien entsprechend umgebaut werden?

Es gab aber natürlich auch noch andere Themenbereiche, die bis in den Bereich der Selbstfindung und -verwirklichung gingen – übrigens nicht unähnlich der Autoindustrie, die ja gerne Werbung macht, mit deren Hilfe sich das im Alltag gequälte Individuum in einsame Landschaften oder belebte Städte hineinträumen kann, in denen es nie Autos gibt, außer dem eigenen Traumwagen.

Schlüsselfrage Gewerkschaften

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) konnte auch einen Workshop unter dem Titel: „Welche gewerkschaftlichen Strategien braucht es für den sozialökologischen Umbau?“ durchführen. Sie stellte die Frage so: „Bislang trotten die verschiedenen Gewerkschaften hinter den Konzepten ,ihrer’ Konzerne hinterher: sei es bei E-Mobilität, autonomem Fahren, Luft- und Bahnverkehr. Bei Massenentlassungen und Betriebsschließungen werden dann zwar ‚neue Technologien und Konzepte’ gefordert, aber es bleibt bei wirkungslosen Appellen. Wie erreichen wir, dass die Gewerkschaften eine Strategie verfolgen, die nachhaltig, konsistent, branchenübergreifend ist und wie kann die nötige betriebliche und gesellschaftliche Durchsetzungsfähigkeit erreicht werden?“

Die Diskussion in den Workshops drehten sich um die Frage: Wie können die KollegInnen in den Betrieben, sei es in der Automobilindustrie oder in den Kohletagebauen, die, solange die Entscheidungen in den Händen der Bosse bleiben, zu Recht Angst vor Arbeitsplatzabbau haben, wenn es um den ökologischen Umbau ihrer Industrie geht, mit den Klimaaktivitäten vereint werden? Und zwar gegen jegliche Spaltungsversuche – sei es durch die Gewerkschaftsführungen, die oft die Frage des Erhalts der Arbeitsplätze in den jeweiligen Branchen gegen den ökologischen Umbau setzen, sei es durch die Bosse selbst, die wie z. B. in der Automobilindustrie die Transformation zu E-Autos nutzen, um Arbeitsplätze abzubauen, oder Produktlinien in sog. Billiglohnländer verlagern.

Es wurden durchaus viele Beispiele auch aus der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung diskutiert wie z. B. der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze bei Lucas Aerospace in Nordengland, wo die KollegInnen in den 1970er Jahren selbst einen Plan für alternative gesellschaftlich und ökologisch sinnvolle Produkte entwickelten, oder auch das aktuelle Beispiel bei Bosch in München.

Das Werk – ein Autozulieferer – soll ähnlich wie bereits das in Bietigheim bei Stuttgart voraussichtlich geschlossen werden. Hier haben UmweltaktivistInnen aus diversen Umweltnetzwerken mit den KollegInnen über die Herstellung von Alternativprodukten, die sowohl ökologisch als auch gesellschaftlich sinnvoll sind, gesprochen. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung – auch der des 1. Bevollmächtigten der IG Metall in München – hat sich bei dieser Diskussion und den daraus resultierenden Aktivitäten herausgestellt, dass die KollegInnen dafür aufgeschlossen sind, vor allem wenn dies mit der Frage des Erhalts ihrer Arbeitsplätze verbunden wird.

Aussagen wie „Man muss den KollegInnen auch klipp und klar sagen, dass es in den reichen Industrieländern auch um Deindustrialisierung geht in Hinsicht auf eine gerechtere Aufteilung der Produktion und des Aufbaus von Arbeitsplätzen auch im armen globalen Süden“, die vor allem von „grün“ angehauchten DiskutantInnen in die Debatte geworfen wurden, stießen auf große Skepsis. Eine solche Herangehensweise führt keineswegs zu einer Überwindung der Spaltung, solange die Beschäftigten damit Arbeitsplatzabbau verbinden, sondern eher zu einer weiteren Vertiefung. Sie wird auch den KollegInnen in den ärmeren Regionen dieser Welt nicht weiterhelfen, solange eine Gesellschaft existiert, die auf Konkurrenz und Hetze nach mehr Profit ausgerichtet ist.

So eine „Gerechtigkeit“ lässt die Profite der KapitalistInnen unangetastet im Namen einer gerechteren Verteilung der Lasten und der Ausbeutung auf die ArbeiterInnenklasse. Der zunehmend nationalistischen Herangehensweise der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie, Arbeitsplätze in Deutschland gegen die Konkurrenz aus dem Ausland zu verteidigen, wird hier zwar widersprochen – aber auf Kosten der Klasse. Die einzige wirkliche Alternative, die Verteilung aller Arbeit auf alle, für Lohnerhöhungen überall, ArbeiterInnenkontrolle über die Produktion und internationale Streiks und Solidarität wird mit dieser grün gewendeten Spaltungspolitik genauso unterminiert wie mit dem sozialpartnerschaftlichen Nationalismus der Gewerkschaftsführungen.

Für eine Opposition in den Gewerkschaften

Im Workshop der VKG wurde noch einmal ein besonderes Licht auf die Herangehensweise der Gewerkschaften – insbesondere der IG Metall – geworfen, die nichts für die Hebung des politischen Bewusstseins ihrer Mitglieder oder der Belegschaften tun, außer immer wieder zu betonen, dass der Erhalt von Arbeitsplätzen immer nur mit Verzicht zu machen sei. Das resultiert aus ihrem sozialpartnerschaftlichen Kurs. Daher führt sie auch keinen ernsthaften Kampf mit Hilfe von Streiks, die nicht nur Proteste darstellen, sondern das Ziel verfolgen, sich gegen die Interessen des Kapitals durchzusetzen.

Aber um sich mit den KollegInnen verbinden zu können und ihnen auch eine Perspektive über den rein gewerkschaftlichen Kampf hinaus zu geben, ist es für GewerkschafterInnen oder politisch linke Kräften in den Gewerkschaften, die Schluss machen wollen mit der Unterordnung unter die Kapitalinteressen, wichtig, an den Interessen der KollegInnen, am Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze und guter Arbeitsbedingungen anzusetzen. Gleichzeitig muss aber auch in diesem Kampf klar werden, dass es notwendig ist, gegen die sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Politik der Gewerkschaftsführung eine linke klassenkämpferische Strömung aufzubauen, die in der Lage ist, den Kampf aufzunehmen.




GDL-Kundgebung vor der Deutschen Bahn AG in München

Helga Müller, Infomail 1160, 26. August 2021

Am Dienstag, 24. 8. 21, um 12 Uhr rief die GDL-München zu einer Kundgebung vor der bayerischen DB AG auf. Die Münchner Gewerkschaftslinke (MGL)/Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) rief verschiedene interessierte Gewerkschafts- und politische Kreise dazu auf, dort ihre Solidarität zu zeigen.

Um 12 Uhr versammelten sich ca. 250 bis 300 GDL-KollegInnen aus München, Ingolstadt und Augsburg zusammen mit solchen aus IGM und ver.di, VertreterInnen der LINKEN, verschiedenen linken Organisationen wie ISO, Arbeiterbund, MLPD, dem Antikapitalistischen  Klimatreffen und auch der Gruppe ArbeiterInnenmacht.

GDL-Rede

Es sprachen der bayerische Bezirksvorsitzende Uwe Böhm und als Hauptredner der stellvertretende Bundesvorsitzende der GDL – Norbert Quitter –, der eine sehr kämpferische Rede hielt.

Er verteidigte nochmal sehr ausdrücklich den Streik der KollegInnen der GDL um bessere Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt, um die Blockadehaltung des DB-Vorstandes, der noch nicht einmal in der Lage ist, ein neues Angebot zu machen, durchbrechen zu können. Auch verteidigte er zu Recht die Forderungen der GDL gegen den Tarifabschluss der EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft – die DGB-Gewerkschaft), der de facto einen Reallohnverlust bedeutet. Er betonte nochmal, dass es um die Durchsetzung eines Tarifvertrags für alle Beschäftigten geht, der mehr Gehalt und bessere Arbeitsbedingungen durchsetzt und nicht um einen politischen Streik gegen das sog. Tarifeinheitsgesetz.

Doch de facto geht es natürlich auch um diese Frage, da dieses besagt, dass bei konkurrierenden Gewerkschaften nur die, die mehrheitlich die Belegschaft in einem Unternehmen vertritt, überhaupt für einen Tarifvertrag eintreten kann und dafür auch streiken darf. Würde dies umgesetzt werden, was ja die DB am Anfang der Tarifauseinandersetzung mit der GDL angekündigt hatte – unter Rückendeckung durch die DGB-Gewerkschaft EVG! – dann dürfte die GDL nicht streiken. Dies käme einem Streikverbot für die GDL – und für alle Gewerkschaften, die in einem Unternehmen in der Minderheit sind – gleich.

Solidaritätserklärungen

Auf der Kundgebung konnte auch ein Vertreter von ver.di, der bei der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) arbeitet, eine Grußadresse verlesen. Er sprach sich für die Wiederverstaatlichung der Bahn aus und machte klar, dass die Forderungen der GDL auch einen Beitrag dazu leisten, dass der Beruf des/der EisenbahnerIn wieder attraktiver und somit die Grundlage für einen Ausbau des Fernverkehrs bedeuten, folglich einen Beitrag gegen die Klimakrise darstellen würde. Die KollegInnen bekundeten hierfür großen Beifall. Auch die Solidaritätsadresse der MGL/VKG, die vorgetragen wurde, kam bei den KollegInnen sehr gut an.

Überhaupt beeindruckte es die KollegInnen der GDL sehr positiv, dass auch Mitglieder aus IG Metall und ver.di anwesend waren und ihre Solidarität zum Ausdruck brachten. Auch Norbert Quitter bedankte sich bei den KollegInnen der MGL/VKG, dass sie für diese Solidaritätsaktion aktiv geworden waren.

Bei der anschließenden Verteilung an die Fahrgäste am Münchner Hauptbahnhof kam doch bei einigen das VKG-Flugblatt gut an, das um Verständnis und Solidarität mit dem Streik der GDL-KollegInnen wirbt. Auch wenn viele überhaupt kein Flugblatt haben wollten, haben doch einige ausdrücklich ihre Zustimmung zu dem Streik der KollegInnen bekundet, was nicht selbstverständlich ist vor dem Hintergrund einer nicht gerade wohlwollenden Berichterstattung in Rundfunk und Presse über diesen Streik.




„Neutrale“ UEFA verbietet Regenbogenfarben

Susanne Kühn, Infomail 1153, 22. Juni 2021

Doppelmoral und Doppelbödigkeit dürfen in der Welt des Profifußballs offenbar nicht fehlen. Den jüngsten Akt in diesem Kapitel schrieb die Union der Europäischen Fußballverbände (UEFA) jüngst im Rahmen der EM.

Beim Spiel zwischen Deutschland und Ungarn darf die Münchner Allianz-Arena nicht in den Regenbogenfarben beleuchtet werden. Wörtlich heißt es: „Angesichts des politischen Kontextes dieses speziellen Antrags – eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen nationalen Parlaments abzielt – muss die UEFA diesen Antrag ablehnen.“

Schließlich, so der Verband weiter, sei man „politisch und religiös neutral“. Die Herren – Frauen sind in den Entscheidungsgremien der UEFA praktisch nicht vertreten – halten das vielleicht sogar für eine Art Entschuldigung. Jedoch, die „Überparteilichkeit“ der UEFA erweist sich als Unterstützung für die rechte Orbán-Regierung. Selbst symbolische Kritik an der extrem homophoben Gesetzgebung des ungarischen Parlaments und der Regierung wird auf ihr Geheiß unterbunden.

Das reaktionäre Gesetz

Dabei hat es das am 15. Juni gebilligte Gesetz gegen sog. Homosexuellenpropaganda in sich. Filme, Bücher sowie andere Medien und Darstellungen dürfen Minderjährigen grundsätzlich nicht mehr zugänglich gemacht werden. Dies umfasst nicht nur  Darstellungen in öffentlichen und privaten Medien, sondern im Grunde auch in Bibliotheken. Darüber hinaus wird Aufklärung im Schulunterricht tendenziell illegalisiert. Vorträge zu den Themen Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen dürfen in Zukunft nur noch von Organisationen gehalten werden, die von der Regierung ausgewählt werden.

Das Werbeverbot gegen Homosexualität und Geschlechtsumwandlungen ist im Gesetz außerdem so weit gefasst, dass theoretisch selbst das Tragen der Regenbogenfahne als „Werbung“ interpretiert und bestraft werden kann. Schließlich werden bewusst Strafverschärfungen für Pädophilie, Kinderschutz und ein Verbot der Propagierung von Homosexualität bei Minderjährigen vermengt, um so dem Ganzen den Anstrich eines vorgeblichen Kinder- und Jugendschutzes zu verleihen.

Schöne Fußballwelt?

Die Einheit der schönen heilen Fußballwelt geht den geschäftstüchtigen Bossen des europäischen Profi(t)fußballs offenkundig über alles. Da passt selbst eine Geste der Stadt München nicht ins Bild. Da wird schon eine Kapitänsbinde in Regenbogenfarben, wie sie der Torwart Neuer trägt, zu einer umstrittenen Sache und Anlass für Ermittlungen.

Die Entscheidung der UEFA wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf den Profisport im Allgemeinen und den Fußball im Besonderen. Schließlich sind Homophobie, Rassismus oder Sexismus leider keine Besonderheit, sondern gehören zum Sport- und Stadionalltag. Ein Coming Out stellt bis heute für viele homosexuelle SportlerInnen, ob Profis oder AmateurInnen, einen angstbesetzten Schritt oder gar einen Spießrutenlauf dar – und zwar nicht nur in Ungarn.

Dass sich viele Spieler des EM-Teams, Spielerinnen des Frauen-Nationalteams, Profis anderer Länder oder KommentatorInnen gegen Homophobie (und auch gegen Rassismus und Sexismus) positionieren wollen, bedeutet zweifellos einen Fortschritt gegenüber den gar nicht allzu lange zurückliegenden Zeiten, als das Thema Homosexualität im Sport vollkommen tabuisiert und unter den Teppich gekehrt wurde.

Da der Fußball wie jede große Sportart vor allem ein gigantisches Milliardengeschäft mit astronomischen Werbeeinnahmen ist, sind auch viele KritikerInnen der UEFA-Entscheidung nicht frei von Doppelmoral, zumal wenn sie aus der Sportwelt, Vereinsvorständen oder gar dem Sponsoring kommen.

So schön ein Beleuchten deutscher Stadien in den Regenbogenfarben auch sein mag, allzu weit über Symbolik hinaus soll der Protest gegen rechte Politik, Homo- und Transphobie, Sexismus und Rassismus nun auch nicht gehen. Schließlich folgt auf die EM die WM 2022 – in Katar. Dort sitzen nicht nur reaktionäre, despotische Machthaber, dort werden nicht nur Frauen, Schwule, Lesben, Transpersonen brutal unterdrückt. In dem Land sitzen auch einige der wichtigsten SponsorInnen und EigentümerInnen des europäischen Vereinsfußballs. Vor allem aber, die WM will sich auch kaum eine/r der Orbán-KritikerInnen entgehen lassen. 2022 will keiner von den verantwortlichen Fußballbossen, keine TV-Anstalt, aber auch keiner der Profis fehlen. Von einer Absage der WM, von einem Boykott mag niemand etwas wissen, auch wenn alle Stadien durch moderne Sklavenarbeit erbaut wurden.

Fans und Vereinsmitglieder

Wenn wir Homophobie, Sexismus Rassismus, Überausbeutung beim Stadienbau und andere Erscheinungen des modernen Profisports wirklich bekämpfen wollen, so dürfen wir uns dabei nicht auf jene verlassen, die gegen Homophobie und andere reaktionäre Verhaltensweisen nur solange einschreiten, als es ihre Geschäftsinteressen nicht schädigt. D. h. wir müssen jene gegen Diskriminierung, Rassismus, Sexismus und Ausbeutung beim Bau von Sportanlagen organisieren, die keine Geschäfts- und Gewinnabsicht mit dem Sport verfolgen – die Millionen lohnabhängiger Fans und Vereinsmitglieder. Natürlich finden sich auch bei diesen oft reaktionäre Ideen, gegen die linke und fortschrittliche Fans organisiert, aufklärend und offensiv angehen müssen. Aber im Unterschied zu Vereinsbossen und anderen, die beim Milliardengeschäft Profifußball mit absahnen, hat diese Masse kein materielles Interesse an der Aufrechterhaltung einer Profitmacherei, die untrennbar mit Ausbeutung, Unterdrückung und Doppelmoral verbunden ist.




5.000 demonstrieren gegen Münchner Sicherheitskonferenz

Helga Müller/Martin Suchanek, Infomail 1090, 18. Februar 2020 

5.000 TeilnehmerInnen demonstrierten auch in diesem Jahr gegen die Münchner Sicherheitskonferenz. Auch wenn die Anzahl gegenüber den letzten Jahren wieder deutlich anstieg, ist die Teilnahme, verglichen mit dem, was weltpolitisch auf der Tagesordnung steht, dennoch erschreckend niedrig geblieben. An „Krisenherden“ mangelt es schließlich nicht. Im Gegenteil! Die meisten Staaten, die die 800 Tagungsgäste, darunter 40 Staats- und RegierungschefInnen, die Außenminister der USA, Chinas, Russlands sowie zahlreiche VertreterInnen Deutschlands und der EU, vertreten, mischen dabei an vorderster Front mit.

Anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, die jedes Jahr hochrangige PolitikerInnen, VertreterInnen des Militärs und der Etagen der Großkonzerne aus der ganzen Welt Mitte Februar anzieht, um – nach offizieller Verlautbarung – Austausch und „informelle Absprachen“ zwischen Konfliktparteien zu treffen, fand in der Münchner Innenstadt – auch wie jedes Jahr – eine Gegendemonstration statt.

Kampf um Neuaufteilung der Welt

Angesichts der immer offener zu Tage tretenden Konflikte nicht nur zwischen den Hauptkonkurrenten USA und China sowie Russland, sondern auch der sich immer mehr anbahnenden Konflikte zwischen der EU – genauer gesagt der „Achse“ Frankreich-Deutschland – und den USA, die wohl der französische Präsident am deutlichsten zum Ausdruck brachte, scheint die deutsche Linke die Lage etwas zu verkennen. Wenn die USA im internationalen Kräfteverhältnis im Kampf um Ressourcen und Absatzmärkte immer mehr gegenüber China ins Hintertreffen zu geraten drohen, so gilt das umso mehr für die EU. Nicht zuletzt ist ihren weltmachtpolitischen Ambitionen und damit auch denen Deutschlands mit dem britischen Brexit ein herber Schlag versetzt worden. Schließlich ging damit auch ein wirtschaftlich und v. a. militärisch bedeutendes Potential verloren, das für die EU einen nicht so schnell zu ersetzenden Machtfaktor darstellte. Die Diskussionen um die Erhöhung der militärischen Ausgaben bis hin zur Aufstellung einer eigenen europäischen Armee, gemeinsamer deutsch-französischer Panzer- und Flugzeugprojekte wurden daher auch mit einer vergleichsweise großen Offenheit geführt. Schließlich wollen die immer mehr ins Hintertreffen geratenden Führungsmächte der EU endlich auch in der Lage sein, in weltpolitischen Konflikten nicht nur die Rolle eines/r DiplomatIn und wenig durchsetzungsfähigen/r VermittlerIn zu spielen – wie zuletzt im Libyen-Konflikt –, sondern aktiv im Kampf um die Vorherrschaft mitmischen zu können. Diese, vom Standpunkt eigener imperialistische Interessen durchaus realistische Einschätzung der eigenen Schwäche und der offenkundigen Krise des gesamten EU-Projekts bildete unter dem Namen „Westlessness“ auch mehr als in den letzten Jahren das Hauptthema auf der Münchner Sicherheitskonferenz.

In dieser Hinsicht brachte sie tatsächlich neue Akzente, die von den OrganisatorInnen um Ischinger auch bewusst ins Spiel gebracht wurden. Der deutsche Bundespräsident Steinmeier, einer der Hauptredner des ersten Tages, gab freilich nicht den Takt vor, sondern hielt eine sozial-imperialistische Rede, in der viel von „Verantwortung“, „Humanismus“ und Frieden“ die Rede war. Die USA, China und Russland mussten sich wegen der hartnäckigen und rücksichtslosen Verfolgung ihrer eigenen Interessen Kritik anhören. Beeindrucken ließen sich diese davon sicher nicht, wie sie allesamt in Syrien, gegenüber dem Iran, in Israel/Palästina, in Lateinamerika und sonstwo auf der Welt demonstrieren.

Mehr oder weniger scharf wiesen der russische und der US-amerikanische Außenminister, Lawrow und Pompeo, die Vorwürfe zurück. Die EU müsse eben ihre „Hausaufgaben“ machen, also selbst in „Sicherheit“ investieren, aufrüsten, sich lt. russischer und chinesischer Lesart von der Bevormundung durch und Unterordnung unter die USA „befreien“, nach US-amerikanischer Version, sich endlich ohne Wenn und Aber an den Unternehmungen des Westens beteiligen.

Für US-Außenminister Pompeo gibt es die „Krise des Westens“ so nicht. Die „Westlessness“, wie sie auf der Tagung thematisiert wurde, existiere allenfalls in Europa. „Der Westen gewinnt, und wir gewinnen gemeinsam“, hielt er allen KritikerInnen entgegen – und, so der Subtext, notfalls gewinnen die USA eben auch ohne und gegen alle, die sich deren Kurs nicht unterordnen wollen.

Damit bestätigte er freilich nur, was aus Sicht der imperialistischen Mächte der EU das eigentliche Problem darstellt. In der neuen Weltordnung, die Trump und seiner Regierung vorschwebt, soll nicht nur der Aufstieg Chinas und Russlands bekämpft werden, auch die EU muss sich mit einer Rolle als Vasallin, als größere Variante Großbritanniens zufriedengeben.

Und genau damit und darum hadern die europäischen Mächte. Die ganze politische Krise des deutschen Imperialismus drückt sich gerade darin aus, dass es dessen VertreterInnen schwer fällt, das Thema überhaupt klar und direkt aufzugreifen. Politisch pseudokorrekt formuliert die Verteidigungsministerin und Noch-CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer: „Ich sehe Europa und gerade mein Land in der Pflicht, mehr Handlungsfähigkeit und mehr Willen zum Handeln zu entwickeln.“

Kein Wunder, dass der französische Präsident Macron „ungeduldig“ mit dem deutschen „Partner“ wird. Eine „Schwächung des Westens“ beklagt er, nicht zuletzt aufgrund der aggressiven, unberechenbaren und EU-feindlichen Politik Trumps – und es obliegt dem französischen Präsidenten, Ziele und Aufgaben einer gemeinsamen Europapolitik zu skizzieren. So fordert er „Souveränität auf europäischer Ebene“ und „bietet einen strategischen Dialog mit allen Partnern, die das wünschen, auch im atomaren Bereich“. Schließlich müsse auch ein „neuer Dialog mit Russland“ eröffnet werden.

Allein diese Stellungnahmen verdeutlichen, dass die weltpolitische Lage, dass der Kampf um die Neuaufteilung der Welt auch bei der Sicherheitskonferenz angekommen ist, dass weniger als noch in den 1990er Jahren und frühen Jahren des 21. Jahrhunderts recht offen über die Gegensätze und Widersprüche unter den großen und weniger großen imperialistischen Mächten gesprochen wird.

Die Tagung verdeutlicht auch, wie wichtig es ist, dass die ArbeiterInnenbewegung und die Linke den Ernst der Lage erkennen.

Die Demonstration

Allein schon die Teilnahme von nur 5.000 verdeutlicht freilich, dass diese weit davon entfernt sind, angemessen auf die Herausforderungen zu reagieren und zu mobilisieren. Sicherlich liegt das auch daran, dass der „demokratische“, grün und sozialdemokratisch verbrämte Imperialismus nach wie vor ideologische Wirkung zeigt, zumal sich Deutschland und Frankreich als besonnene, demokratische, aufklärerische, humanitäre Alternativen zu den USA, China und Russland inszenieren. Dabei erfordert diese zynische Heuchelei schon heute täglich Tote in Libyen oder im Mittelmeer – um nur zwei Beispiele zu nennen.

Doch unbestreitbar war und ist auch die jährliche Gegenmobilisierung selbst von politischen Schwächen geprägt.

Da hilft es wenig, wenn – wie im Aufruf zur Anti-Siko-Demo – versucht wird, Russlands durchaus reale Bedrohung durch die USA, wie sie in dem US-Manöver „Defender 20“ zum Ausdruck kommt, bei dem Hauptaustragungsort tatsächlich auch Deutschland sein wird, so weit überdehnt wird, dass sich ein Teil der deutschen Linken entschuldigend oder gar schützend vor Russland stellt. Auch Russland spielt seine militärische Karte aus – siehe Russlands Offensive im syrischen Bürgerkrieg zur Stabilisierung der Herrschaft von Assad –, um im internationalen Kräfteverhältnis seinen „Platz an der Sonne“ in der imperialistischen Neuordnung der Welt behaupten zu können. In diesem Konflikt in Syrien, der nicht nur einfach einen regionalen darstellt, sondern in dem es auch um geostrategische Ziele geht, konnte sich Russland siegreich durchsetzen.

Da nützt es auch nichts – ebenfalls wie im Aufruf zu Anti-Siko-Demo geschrieben –, den DGB und seine Einzelgewerkschaften mitsamt einzelner SozialdemokratInnen als „AntimilitaristInnen“ hinzustellen, weil sie die Unterschriftenkampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ unterstützen. Diese kostet nämlich politisch nichts, ja verkommt zur reinen Kosmetik, wenn gleichzeitig die Außenpolitik der deutschen Regierung offen mitgetragen wird.

Da nützt es in diesem Zusammenhang auch nichts, wenn ein Teil der Linken immer noch meint, dass durch eine andere Regierungspolitik und damit eine andere Verteilung der Gelder – weg von den Ausgaben für Aufrüstung und Militär – automatisch mehr für gesellschaftlich sinnvolle Arbeiten ausgegeben würde. Übersehen oder verschleiern diese Vorstellungen doch dabei, dass die real existierende Umverteilung von unten nach oben eine bewusste Politik im Interesse der Verteidigung des deutschen Kapitals im weltweiten Konkurrenzkampf darstellt, die nicht einfach durch andere politische RepräsentantInnen umgedreht werden kann.

Zielführender Widerstand

Damit wir einen breiten Widerstand gegen Krieg und Militarismus und auch die drohende stärkere Aufrüstung Deutschlands, der EU und der NATO aufbauen, braucht es Klarheit in oben genannten Fragen. Politisch ergibt sich daraus:

Erstens muss unser Widerstand von einer internationalistischen Grundlage ausgehen. Den organisierten KriegstreiberInnen müssen wir international koordiniert – im Rahmen der EU und darüber hinaus – wirkungsvoll entgegentreten. Dies beinhaltet auch die Solidarität mit anti-imperialistischen Bewegungen, mit dem Widerstand gegen Interventionen und Kriege der Großmächte und die Forderung nach dem sofortigen Rückzug aller Truppen der Bundeswehr, der NATO, der EU sowie sämtlicher anderer imperialistischen Mächte! 

Zum anderen muss aber allen AktivistInnen bewusst werden, dass der einzige Weg, um Schluss zu machen mit Krieg, Ausbeutung und Zerstörung der Aufbau eines effektiven Widerstands gegen die VerursacherInnen ist. Dazu ist es auch nötig, gerade die ArbeiterInnenklasse und ihre Organisationen verstärkt für diesen Kampf zu gewinnen. Dies beinhaltet auch, den Zusammenhang zwischen der verstärkten militärischen Absicherung der Absatzmärkte und Ressourcen und den Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse im Allgemeinen aufzuzeigen, um sich so mit dieser verbinden zu können.




München: Nein zur Hetze gegen die Friedenskonferenz!

Susanne Kühn, Neue International 244, Februar 2020

Im Hotel
Bayerischer Hof tagt vom 14.-16. Februar die Münchner Sicherheitskonferenz.
Hunderte KriegstreiberInnen, ImperialistInnen und WaffenhändlerInnen
debattieren über ihre Weltordnung, zynisch als Sorge um den „Weltfrieden“
verkauft.

Die
„UnruhestifterInnen“ und „KrawallmacherInnen“ verortet die bürgerliche
Öffentlichkeit nicht bei jenen, die täglich die Welt einen Schritt näher an den
Abgrund bringen, sondern bei jenen, die gegen Krieg und Aufrüstung protestieren
und demonstrieren.

In diesem Jahr
haben sich diese FreundInnen der objektiven Berichterstattung auf ein weiteres
Ziel eingeschossen: die Internationale Münchner Friedenskonferenz, die sich
seit Jahren als Gegenveranstaltung etabliert hat. Diese wurde über Jahre von
Organisationen der Friedensbewegung, NOGs, reformistischen und kirchlichen
pazifistischen Gruppierungen ausgerichtet. Auch wenn deren Kurs also weit von
einem klassenkämpferischen Antimilitarismus entfernt war, so war offenkundig
schon die pazifistische Kritik an Aufrüstung, Waffenproduktion und -export,
Auslandseinsätzen und imperialistischer Konkurrenz genug, um sie in der
Öffentlichkeit so sehr unter Druck zu setzen, dass die OrganisatorInnen die
diesjährige Veranstaltung absagten.

Den Vorwand für
die Hetze bildete ein sog. „Antisemitismusvorwurf“. Nachdem bisher die
Friedenskonferenz von der Stadt München unterstützt wurde, war es in den
letzten Jahren üblich, dass ein/e VertreterIn der Stadt ein Grußwort an die
Konferenz richtete. In diesem Jahr sollte der SPD-Stadtrat Marian Offmann
sprechen, der vor einem halben Jahr noch CSU-Mitglied war. Offmann war in der
Vergangenheit jedoch auch für seine pro-imperialistischen politischen
Positionen bekannt, die der Anti-Kriegsbewegung klar entgegenstehen. Außerdem
stand und steht er für:

  • Ächtung von BDS-Veranstaltungen in München, Verbot von Zuschüssen oder Zugang zu städtischen Räumen für alle Veranstaltungen, die sich damit befassen. Dieser Beschluss richtet sich unter anderem auch gegen Gruppierungen wie die Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe München.
  • Deren Ausgrenzung hinderte Offmann nicht daran, jede Kritik an Israel als „antisemitisch“ zu verleumden.
  • Angriffe gegen das Eine-Welt-Haus und alle dort verkehrenden linken, alternativen und migrantischen Gruppierungen. 2012 wollte Offmann dem Haus städtische Fördermittel wegen einer Ausstellung entziehen, die sich gegen die NATO richtete und diese als „militärischen Arm der mächtigsten Staaten und ihrer transnationalen Konzerne“ verhöhnt und diffamiert hätte.
  • Die Unterstützung der Sicherheitskonferenz, der NATO und Diffamierung ihrer GegnerInnen sind spätestens seit 2012 durch Offmanns Beiträge in der damaligen Debatte im Stadtrat gut dokumentiert und bekannt.

Keine
Friedenskonferenz der Welt, keine auch nur annähernd anti-imperialistische
Veranstaltung kann einen solchen Grußredner akzeptieren, ohne sich selbst
lächerlich und unglaubwürdig zu machen. Die Tatsache, dass Offmann selbst
jüdischer Herkunft ist, hat nichts damit zu tun, dass ihn der TrägerInnenkreis
der Konferenz ablehnte. Die politischen Nebelkerzen sollten offenkundig
öffentlichen Druck auf die Konferenz ausüben und die Veranstaltung politisch
diskreditieren. Augenscheinlich hatte diese Methode Erfolg und auch im
Trägerkreis der Veranstaltung spalterisch gewirkt.

Der
Kreisjugendring und der Internationale Versöhnungsbund bedauerten die Ablehnung
Offmans als Redner. Die Friedensgesellschaft DFG-VK Bayern forderte ihn
hingegen auf, „alle Unterstellungen von Antisemitismus“ öffentlich
zurückzunehmen.

Die Hetze gegen
die Friedenskonferenz, die schließlich zur Absage führte, verdeutlicht, dass
wir uns angesichts der imperialistischen Aufrüstung und zunehmenden Konkurrenz
auch auf mehr Repression und mehr staatlich gelenkte, ideologische Angriffe und
Diffamierung vorbereiten müssen. Schließlich gehört zur militärischen
Aufrüstung auch die ideologische.Der Kreisjugendring und der Internationale
Versöhnungsbund bedauerten die Ablehnung Offmans als Redner. Die
Friedensgesellschaft DFG-VK Bayern forderte ihn hingegen auf, „alle
Unterstellungen von Antisemitismus“ öffentlich zurückzunehmen.

Die Hetze gegen
die Friedenskonferenz, die schließlich zur Absage führte, verdeutlicht, dass
wir uns angesichts der imperialistischen Aufrüstung und zunehmenden Konkurrenz
auch auf mehr Repression und mehr staatlich gelenkte, ideologische Angriffe und
Diffamierung vorbereiten müssen. Schließlich gehört zur militärischen
Aufrüstung auch die ideologische.




Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz: Die Anti-Kriegsbewegung muss sich neu aufstellen

Karl Kloß, Infomail 1042, 18. Februar 2019

Wie bereits in den vergangenen Jahrzehnten seit der ersten
Demo im Jahre 1984, fand auch in diesem Jahr wieder einmal die Demonstration
gegen die Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) statt. Gegen den
Afghanistan-Krieg beteiligten sich Anfang der 2000er Jahre bis zu 30.000
Menschen trotz Demo-Verbots an den Aktionen. In den letzten Jahren sind die
Zahlen jedoch rückläufig gewesen. Wenn sich am vergangenen Samstag, den 16.
Februar 2019, vielleicht etwas mehr Menschen versammelten, so entsprechen die
rund 5.000 DemonstrantInnen und AktivistInnen in etwa dem
Mobilisierungspotential der letzten Jahre.

Dabei gäbe und gibt es angesichts der globalen Krise und der
zunehmenden inner-imperialistischen Gegensätze – einschließlich gestiegener
Kriegsgefahr – eigentlich mehr und nicht weniger Grund auf die Straße zu gehen.

Jährliche Routine

Unabhängig von den TeilnehmerInnenzahlen bleibt jedoch
festzuhalten: Das Konzept ist jedes Jahr mit wenigen Ausnahmen dasselbe.
Einerseits gibt es die sogenannte Großdemo, welche sich vom Karlsplatz durch
die Münchner Innenstadt über den Odeonsplatz zum Marienplatz begibt, zum
anderen eine Menschenkette, die den Tagungsort Bayerischer Hof „umzingeln“
will. So ist quasi für jeden friedensbewegten Menschen etwas dabei. Die einen,
eher pazifistisch eingestellten TeilnehmerInnen, bekommen ihre symbolische
Protest-Aktion, die anderen, eher „radikal“ eingestellten, bekommen ein
lautstarke kämpferischen Demo, auf der sogar ein bisschen Pyrotechnik gezündet
wird.

Zweifellos lässt sich über die Sinnhaftigkeit einer
Menschenkette angesichts der sinkenden TeilnehmerInnenzahlen streiten. Das
eigentliche Problem, nämlich die offenkundige Schwierigkeit große Massen zum
Protest gegen Kriegstreiberei, Aufrüstung, Imperialismus zu mobilisieren, wäre
damit aber auch nicht gelöst.

Ursachen

Die Ursachen dafür sind jedoch auch hausgemacht. Anders als
bei der Unterstützung des Afghanistankrieges erscheint die Regierung Merkel
manchen nicht als „kriegerisch“. Ihre Beschwörung des „Multlaterialismus“ kommt
im Gegensatz zu Trump und Putin fast schon als „Friedenspolitik“ hinüber. Die
Tatsache, dass die überalterte und wenig anziehende „Friedensbewegung“ dann
noch ständig die UN und internationale Verhandlungen beschwört, wirft
unvermeidlich die Frage auf, was denn die „Friedensbewegung“ in ihren Zielen
von einer Bundesregierung unterscheide. In dieses Horn stieß auch der oberste
Organisator der Sicherheitskonferenz, Ischinger, als er genönnerhaft sein
Verständnis für die Ziel der DemonstrantInnen verkündete – deren Protest wäre
jedoch, so Ischinger weiter, wenig wirksam, wichtiger wäre eine „harte
Verhandlungsstrategie“ – und an der basteln die Bundesregierung und ihre
engeren Verbündeten.

Zweitens richtet sich die Demonstration richtigerweise nicht
nur gegen die Bundesregierung, sondern auch gegen die NATO, die USA, … – aber
ein Teil der „Friedensbewegung“ verkennt nicht nur, dass wir es in der aktuellen
Weltlage auch mit einem deutschen Imperialismus zu tun haben, der nicht auf
einen unzufriedenen „Vasallen“ Trumps reduziert werden kann und darf, sondern
auch mit einem russischen und chinesischen Imperialismus, die beim Kampf um die
Neuaufteilung der Welt mitmischen.

Drittens gelang es offenkundig nicht, tausende Menschen, die
im letzten Jahr allein München gegen Rassismus und Polizeiaufgabengesetz auf
die Straße gingen, für die Demonstration gegen die SiKo auf die Straße zu
bringen. Dazu freilich hätten auch Fragen wie die „Sicherheitsgesetze“, die
innere Repression, die rassistische Abschottung der EU, die ökologische Krise
offensiver thematisiert werden müssen. Es reicht nicht allgemein und folgenlos
die „Beseitigung von Fluchtgründen“ zu beschwören, wie es mittlerweile
praktisch jede Parlamentspartei AfD tut, sondern es müsste konkret der Kampf
gegen die Festung Europa und für offene Grenzen unterstützt werden.

Nur durch eine klarere, internationalistische und
antiimperialistische Ausrichtung und den Versuch gezielt GewerkschafterInnen,
Lohnabhängige und vor allem Jugendliche anzusprechen, kann die Mobilisierung
aus ihrer Routine ausbrechen. Notwendig wäre es allemal.




München: 40.000 demonstrieren gegen das Polizeiaufgabengesetz

Veronika Schulz, Infomail 1003, 11. Mai 2018

Mehr als 40.000 Menschen sind am 10. Mai gegen das geplante bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) auf die Straße gegangen. Neben den aufrufenden Parteien und Organisationen beteiligten sich auch zahlreiche Jugend- und SchülerInnengruppen, Kulturschaffende, Fußballfans und RaverInnen, um lautstark und bunt gegen das PAG der CSU-Landesregierung zu demonstrieren. Viele kreative Botschaften auf selbstgebastelten Schildern und Transparenten zeigten unverblümt, was die Menschen von ihrem Vorhaben halten. Seit langem hatte München keine derart große Mobilisierung erlebt – und die kam in verhältnismäßig kurzer Zeit zustande.

Auch die OrganisatorInnen waren vom Erfolg der #noPAG-Kampagne überrascht. Aufgrund des nicht abreißenden Zustroms von Menschen auf den Marienplatz fiel die Auftaktkundgebung kurzerhand aus, lediglich die unvermeidlichen Auflagen wurden verlesen. Ein zumindest kurzes politisches Statement, was hier überhaupt Thema ist, blieb leider aus.

Obwohl an der Spitze des Demozugs über Lautsprecher Reden und Durchsagen gemacht wurden, so kam im hinteren Teil der Demonstration nichts davon an. Das ist angesichts der Masse und des Mobilisierungserfolges sicher unvermeidbar.

Unklar blieb damit jedoch gerade für viele DemonstrantInnen, die wenig Erfahrung haben, was gerade passiert und sich vorne abspielt, weshalb bereits zu Beginn etliche wieder nach Hause gingen. Vor allem aber zeigte sich, wie stark die finanzkräftigen „Großorganisationen“ wie SPD und Gewerkschaften abgewirtschaftet haben, was die Koordination von Großmobilisierungen angeht, da hier keinerlei Struktur erkennbar war. So blieben die Einzelpersonen und Kleingruppen im hinteren Teil sich selbst überlassen und nutzten die Demo zwar für kreativen Protest, der allerdings mehr Party- und Eventcharakter hatte und wenig politisiert war. Etwas mehr Präsenz zumindest Einzelner aus dem Bündnis sowie ein Lautsprecherwagen auch im hinteren Teil der Demonstration wären notwendig gewesen. In jedem Fall sollte diese Chance beim nächsten Mail genutzt werden.

Die Mobilisierung hat nämlich gezeigt, dass das PAG auf eine breite Ablehnung stößt, ja dass das CSU-Vorhaben zu Fall gebracht werden kann.

Unterschiedlichste Menschen beteiligten sich – ähnlich wie bei den Aktionen gegen TTIP in den letzten Jahren – an der Demonstration. Diese Vielfalt und Breite ist nicht nur in München selten. Sie macht aber auch deutlich, dass es ein Potential gibt, das über die 40.000 weit hinausgeht.

Dazu muss sich das Bündnis jedoch landesweit eine Struktur geben bzw. ausbauen und gerade die nächsten Monate nutzen. Wir schlagen vor, in allen Städten und Stadtteilen, aber auch in Betrieben und Gewerkschaften No-PAG-Aktionsbündnisse/Gruppen zu bilden, die die Mobilisierung vor Ort strukturieren, die Massenproteste ausbauen und den Kampf gegen Überwachungsstaat und die Einschränkung demokratischer Rechte auch in die Betriebe und Büros, an Unis und Schulen tragen.