PDS, Linkspartei und die Wohnungsfrage: „Rebellisches“ Regieren in Berlin

Susanne Kühn, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gern präsentiert sich DIE LINKE als einzige Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, die „konsequent“ für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. eingetreten wäre. Stolz verweist die Partei darauf, dass sie 2021 zehntausende Unterschriften gesammelt hat und viele ihrer Mitglieder aktiv an der Kampagne teilgenommen haben.

Dieser rosigen Seite der Mietenpolitik der Berliner Linkspartei und ihrer Vorläuferorganisation stehen jedoch zahlreiche dunkle Kapitel gegenüber, die die Grenzen „linker“ Reformpolitik deutlich machen.

Vom Saulus zum Paulus?

Über das unrühmlichste und wohnungspolitisch geradezu kriminelle Kapitel der eigenen Parteigeschichte hüllt DIE LINKE in Berlin gern den Mantel des Schweigens. Unter der rot-roten Landesregierung wurde massiv privatisiert. Von den knapp 400.000 landeseigenen Wohnungen bei Antritt des SPD-PDS-Senats blieben nur ca. 250.000 übrig.

Darüber hinaus wurden in Berlin in dieser Periode auch die Wasserwerke teilprivatisiert und Krankenhäuser an Vivantes, Helios und die Rhön-Kliniken verscherbelt.

Kurz gesagt, die Regierungsrebell:innen um Gregor Gysi und Harald Wolf rührten die Scheiße am Wohnungsmarkt mit an, die die Linkspartei seither beklagt. Gelernt hatte sie aber schon damals nichts aus der Enttäuschung ihrer Wähler:innen. Trotz Stimmenverlusten von beinahe 10 Prozent verblieb DIE LINKE als Juniorpartnerin im Senat unter Klaus Wowereit und werkelte von 2006 – 2011 weiter als treue Vasallin der SPD.

In der Opposition 2011 – 2016 reorganisierte sie sich ein wenig und erzielte 2016 15,6 % (ein Plus von 3,9 % gegenüber 2011). Von 2016 bis 2021 war sie, ebenso wie von 2021 bis zur Nachwahl 2023, Teil des Senats mit SPD und Grünen.

Anders als in den vorherigen Senatsperioden versuchte sich DIE LINKE darin, ihr tristes Regierungsdasein mit „oppositionellen“ Regungen zu verbinden, was noch 2021 dazu führte, dass sie relativ wenig Stimmen verlor. Doch gerade diese Zeit, die die Linkspartei am ehesten als „rebellisches Regieren“ verkaufen möchte, verdient eine genauere Betrachtung.

Gleich 2016 versuchte DIE LINKE mit der Ernennung des linken, antikapitalistischen Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär unter der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, einen Akzent zu setzen. Innerhalb weniger Monate wurde Holm jedoch durch eine reaktionäre Kampagne bürgerlicher Medien, von CDU und FDP sowie unter kräftiger Mithilfe des rechten Flügels von SPD und Grünen zum Rücktritt gezwungen – ein klares Signal, dass die Immobilienlobby und ihr politischer Anhang vor nichts zurückschrecken würden, um jede wohnungspolitische Wende zu verhindern, die sich auch nur im Ansatz gegen ihre Interessen richtet.

Zugleich musste der Senat und damit auch DIE LINKE versuchen, dem wachsenden Druck unzufriedener Mieter:innen und von Protestansätzen Rechnung zu tragen. Hierbei sollte der Mietendeckel helfen, den Lompscher 2019 auf den Weg brachte und der im Januar 2020 vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Der durchaus löchrige Deckel sollte die Mietpreissteigerungen für Hunderttausende Mieter:innen begrenzen. Die Bundestagsfraktionen von CDU und FPD klagten gegen diesen Anschlag auf den „freien Markt“. Das Bundesverfassungsgericht gab der Immobilienlobby Recht und kassierte das Berliner Gesetz – mit verheerenden Folgen für rund 1,5 Millionen Mieter:innen, denen  teilweise massive Nachzahlungen, vor allem aber weitere Mieterhöhungen ins Haus standen.

Die beiden Beispiele verdeutlichen das ganze Dilemma der Reformpolitik der Linkspartei, selbst wenn sie, anders als im rot-roten Senat, keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen in Angriff nahm. Unter dem Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit knickte sie wie im Falle Holm ein. Kassierte ein Gericht die Reformen, war sie mit ihrem Latein am Ende. Einen Plan B, der über letztlich symbolische Demonstrationen und Proteste gegen die Urteile hinausging, hatte sie nie.

Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Das Kassieren des Mietendeckels beflügelte auf seine Art die größte und auf ihrem Höhepunkt auch erfolgreichste von Linken und der Mieter:innenbewegung getragene Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. DIE LINKE unterstützte die Kampagne von Beginn an, auch wenn sie deren massiven Erfolg bei der Volksabstimmung 2021 wie viele andere nicht voraussehen konnte. Am 26. September stimmten 59 % für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin.

Nicht nur die Wohnungswirtschaft, AfD, CDU und FDP waren wild entschlossen, die Entscheidung der Bevölkerung nicht umzusetzen. Auch die rechte SPD-Führung um Giffey und Geisel wollte den Volksentscheid politisch kippen. Natürlich konnte sie das nicht direkt tun. Daher zauberten Geisel und Giffey eine sog. Expert:innenkommission aus dem Hut, die überprüfen sollte, ob der Volksentscheid umsetzbar und in welches Gesetz er gegebenenfalls zu gießen wäre.

So sollte in einer im Geheimen tagenden Kommission zuerst einmal Zeit gewonnen werden, ohne offen den Mehrheitswillen zu ignorieren. Zweitens erklärten denn Giffey und Geisel auch deutlich, dass selbst ein positives Ergebnis der Kommission längst nicht bindend wäre, sondern der Senat darüber entscheiden müsse. Kurzum, die SPD-Führung machte klar, dass es sich nur um eine Verschleppung handelte und sie ohnedies immer den Volksentscheid blockieren würde.

Dieses Manöver war nicht nur ein Hohn auf jede Demokratie, sondern natürlich ganz im Interesse des Kapitals. Die Grünen spielten gern mit und die SPD machte die Expert:innenkommission zur Bedingung für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition.

Und DIE LINKE? Die spielte das schäbige Spiel mit. Sie lief sehenden Auges in die offene Falle, die Giffey und Geisel gestellt hatten. Dass auch die Mehrheit der Kampagne von Deutsche Wohnen und Co. um die Interventionistische Linke das üble Spiel mitgstaltete, diente der Mehrheit der Linkspartei zwar als Entschuldigung für ihre Kapitulation vor der SPD, macht die Sache aber nicht besser.

Ein Mitgliederentscheid sprach sich für die Fortsetzung der Koalition aus. Insgesamt beteiligten sich 4.220 (53,64 %) der 8.016 Parteimitglieder am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3.926 Stimmen gültig. 2.941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert und mit ihr die gesamte Senatsriege konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärte sie und ließ weiter verlauten: „Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben.“

In Wirklichkeit halfen sie der Immobilienlobby mit, ihre volle Verfügungsgewalt über ihr Privateigentum zu behalten. Die Expert:innenkommission werkelte über Monate vor sich hin, die Bewegung und die Strukturen von Deutsche Wohnen und Co. schrumpften und brachen mehr und mehr in sich zusammen. Mit der Neuwahl 2023 und der Bildung des CDU/SPD-Senats war der Volksentscheid endgültig erledigt.

Opportunismus und Blindheit

Das Beispiel verdeutlicht das Problem des „rebellischen Regierens“, selbst wenn DIE LINKE eine Bewegung aktiv unterstützt. Letztlich stößt eine solche Bewegung, gerade wenn sie das kapitalistische Privateigentum und seine rechtliche Absicherung, also ein gesellschaftlich wesentliches Verhältnis, berührt, an die Grenzen des bürgerlichen Systems. Das ist unvermeidbar.

Sowohl die Mehrheit der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen als auch DIE LINKE weigerten sich jedoch bewusst, diese Problematik von Beginn an zu thematisieren. Der Opportunismus setzte auf politische Blindheit – und wunderte sich dann, dass er das Offensichtliche nicht vorausgesehen hatte.

Was die Führung der Linkspartei betrifft, so erfüllt diese jedoch auch einen Zweck. Sie sollte jede vorausschauende Diskussion, jede strategische Debatte darüber verhindern, wie die Kampagne erfolgreich weitergeführt werden könnte, auch wenn der Senat sabotiert und DIE LINKE nicht mehr in der Landregierung vertreten ist. Dazu hätten nämlich sowohl die Kampagne wie auch DIE LINKE auf eine Strategie der klassenkämpferischen Mobilisierung, auf den Aufbau von Mieter:innenkomitees, auf Verbindung mit betrieblichen und gewerkschaftlichen Organisationen, auf die Verbreiterung von Miet- und politischen Solidaritätsstreiks orientieren müssen. Genau das wollten aber die Vertreter:innen des „rebellischen Regierens“ nicht, weil sie selbst viel stärker unter den direkten und demokratischen Druck einer solchen Kampagne geraten wären, weil es viel schwerer geworden wäre, 2021 weiter im Senat zu hocken und dafür den Volksentscheid faktisch zu opfern.

Die Lehre aus diesen Kämpfen muss aber gezogen werden. Es ist natürlich grundsätzlich richtig, DIE LINKE wie auch andere reformistische Parteien oder Gewerkschaften zur Unterstützung solcher Kampagnen aufzufordern, ja, wenn möglich, dazu zu zwingen. Aber zugleich braucht sie demokratische Kampfstrukturen und eine offen geführte Diskussion und Entscheidung über die zentralen Fragen zur Umsetzung ihrer Ziele – in diesem Fall der Enteignung – und der dafür notwendigen Kampfmethoden und Strukturen. Natürlich können auch dann Reformist:innen und Opportunist:innen eine Kampagne in die Irre führen, aber bieten sich unter diesen Bedingungen viel günstigere Möglichkeiten für klassenkämpferische Kräfte, ihre Vorschläge, ihre Positionen zu vertreten und im günstigsten Fall die Mehrheit dafür zu gewinnen. Hinzu kommt, dass eine solche Methode erlaubt, dass wir nach einem politischen Ausverkauf durch Reformist:innen und deren Senatsambitionen nicht mit leeren Händen, sondern einer politisch aktiven Kampagne dastehen, die weiter kampffähig ist.




Deutsche Wohnen und Co enteignen: ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid

Wilhelm Schulz, Arbeiter:innenmacht Berlin und aktiv im DWE-Kiezteam Reinickendorf-Wedding, Neue Internationale 267, September 2022

Vor knapp einem Jahr wurde im politischen Berlin stark an den Verhältnissen gerüttelt. 59,1 % der abstimmenden Berliner:innen votierten für die Enteignung und Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne. Doch liegt die Macht über das „Wie weiter?“ in den Händen des Berliner Senats. Die Initiative belässt es mehrheitlich dabei, dass die Unterstützer:innen des Volksentscheids eigenständig daraus schlussfolgern, dass Senat und Staat kein Interesse an der Umsetzung der Enteignung großer Akteur:innen des Immobilienkapitals hegen. Sie weigert sich, diesen Klassenstaat als Hüter des Privateigentums zu entlarven. Dies ist ein Spiel mit dem Feuer, ist doch die Gefahr der Demoralisierung und des Rückzugs ins Private groß und tritt eine Radikalisierung nicht automatisch ein, wie die Geschichte mehrfach bewiesen hat.

Der Weg zum Status quo

Die Sammelphasen des Volksentscheids zeigten dessen Massenpotenzial. Mindestens 1.500 Aktivist:innen waren regelmäßig auf den Straßen und in den Mietskasernen unterwegs, um für die Enteignung großer Immobilienkonzerne zu werben. Hunderttausende Flugblätter, Zeitungen, Unterschriften und Gespräche wurden ausgetauscht. Doch die praktische Perspektive, die wir an den Haustüren den Mieter:innen mitgaben, war auf eine Unterschrift und Stimmabgabe begrenzt. Bestenfalls konnten sie in diesem oder jenem Kiezteam aktiv werden. Zu keinem Zeitpunkt war die DWE-Mehrheitsposition darauf ausgelegt, kampffähige Massenorganisationen der Mieter:innen aufzubauen. Solche Maßnahmen böten die Chance, auch gegen den Willen des Senats die Enteignung unter Kontrolle der Mieter:innen durch militantere Aktionsformen zu erreichen wie massenhafte Besetzungen und Zurückhaltung der Miete (kollektiver Mietboykott).

Kurzum hat die Initiative diese Möglichkeit einstweilen verpasst. Doch hätte dies eine andere Haltung gegenüber ihren Bündnispartner:innen erfordert. So hätten Parteien wie DIE LINKE, Gewerkschaften, Berliner Mieterverein und Berliner Mietergemeinschaft aufgefordert werden müssen, gemeinsame Versammlungen ihrer Mitglieder im Sinne des Aufbaus einer gemeinsamen kampffähigen Struktur mit uns zu organisieren. Das wiederum hätte praktische Herausforderungen für diese und inhaltliche Konfrontationen mit ihnen bedeutet. Andererseits hätte den Mieter:innen deutlich gemacht werden müssen, dass die Enteignung harte Überzeugungsarbeit voraussetzt, um ihrerseits Massenaktionen zu initiieren, die die versprochenen Ziele zu erreichen fördern.

Mit dem erfolgreichen Votum am 26. September 2022 lag der Spielball der Enteignung im Spielfeld des neuen Senats aus SPD, Grünen und Linken, in dem nur DIE LINKE den Volksentscheid voll unterstützte. In den Sondierungs- und anschließenden Koalitionsverhandlungen verriet sie aber ihre Prinzipien aus Angst, durch die FDP als Juniorpartnerin aus der Koalition gedrängt zu werden. Der Mitgliederentscheid der LINKEN Berlin fiel eindeutig für eine Regierungsbeteiligung aus, auch wenn das Nein-Lager anwuchs (Initiative Zusammen für eine linke Opposition). Es verpasste bislang, offen sichtbar zu werden und um die Führung der Partei zu fechten.

Die Expert:innenkommission

Ergebnis war eine Kommission, die binnen der ersten hundert Tage der Koalition einberufen wurde und anschließend binnen eines Jahres dem Senat einen Vorschlag zur Abstimmung vorlegen soll. In langen anschließenden Strategiedebatten beugte sich DWE zähneknirschend, aber mit deutlicher Mehrheit der Perspektive des Senats, da ein „voreiliger“ Bruch nicht vermittelbar sei. Als Arbeiter:innenmacht argumentierten wir gegen eine Beteiligung am Gremium, das keine Enteignungs-, sondern eine Verschleppungskommission sei. DWE stellte auf unser Drängen hin Forderungen an diese auf, die jedoch durch bürokratische Manöver abgeschwächt wurden. Diese waren (1) öffentliche Sitzungen, (2) Diskussion des „Wie“ und nicht des „Ob“ der Enteignung und (3) keine Beteiligung der Immobilienlobby. Daneben stand die im Raum, dass DWE 59,1 % der Sitze in der Expert:innenkommission einnehmen solle. Faktisch wurde nichts davon umgesetzt.

Parallel dazu begann die Initiative, mit LINKEN und Grünen in Verhandlungen zu treten. Das Ziel war eine gemeinsame Liste von Expert:innen. Doch letztere spielten ein gefährliches Doppelspiel und vereinbarten hinter dem Rücken der Initiative mit der SPD eine gemeinsame Liste, die das Nein-Lager in der Expert:innenkommission vergrößerte. So bestellte die SPD beispielsweise drei CDU-nahe Professor:innen und Richter:innen ein. Auch die angeblich neutrale Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD, Bundesjustizministerin a. D.) erstritt ein Stimmrecht in der Kommission, setzte neben der Frage der Sozialisierung noch „Alternativen“ auf die Tagesordnung und ist nun die 13. Expertin in einem eigentlich 12-köpfigen Gremium, das paritätisch zusammengesetzt ist[1].

Zudem finden die Treffen in der Regel im geschlossenen Rahmen statt. Abgeordneter Buchner (SPD) fasst das inoffizielle Ziel der SPD-Abgeordnetenhausfraktion trefflich zusammen: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr“. Trotz einer Schelte für diese Linie auf dem Berliner SPD-Landesparteitag, bei dem Geisel, Giffey und Saleh abgemahnt wurden, ist es wahrscheinlich, dass sich die Senatsfraktion gegen die eigene Partei durchsetzen wird, solange diese keinen internen Kampf organisiert.

Historische Beispiele des Scheiterns

In DWE wird nicht davon ausgegangen, dass es ein einheitliches Votum für Vergesellschaftung und Enteignung gibt, sondern der Senat weiterhin eine Entscheidung gegen die Umsetzung forcieren kann. Sein und der Kommission Ziel ist also, dem Volksentscheid den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dabei gibt es bereits historische Vorbilder. Aufgrund der revolutionären Stimmung beschloss der Rat der Volksbeauftragten am 18. 11.1918, alle reifen Industrien sofort zu sozialisieren. Die MSPD setzte sich jedoch damit durch, zuerst eine Sozialisierungskommission mit namhaften Politiker:innen und Ökonom:innen einzusetzen.

Im ersten Anlauf wurden Eckpunkte zur Vorbereitung der Sozialisierung der reichsweiten Industrie und Gesetzentwürfe zur Verstaatlichung der Fischerei und des Versicherungswesens erarbeitet und im Februar 1919 ein Gesetz zur Sozialisierung des Kohlebergbaus beschlossen. Die sozialdemokratisch geführte Regierung und der bürgerliche Staatsapparat behinderten die Arbeit der Kommission und verweigerten die Umsetzung der Sozialisierung, weshalb diese ihre Arbeit im April 1919 aus Protest niederlegte.

Im zweiten Anlauf der Sozialisierungskommission wurde ein Bericht 1920 vorgelegt. Darin schlug  eine Fraktion eine Transparenz zur Festlegung der Preise, das Selbstkostenprinzip und eine schrittweise Verstaatlichung vor. Die zweite Fraktion forderte die sofortige Verstaatlichung und Kautsky sah „[…] die Ausgestaltung des Trägers der zukünftigen Kohleorganisation als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vor, in der alle an der Kohlewirtschaft Beteiligten anteilmäßig vertreten sein sollten.“. Die Arbeit der Kommission wurde von der Industrie maßgeblich behindert. Die zweite Kommission wurde 1923 ohne konkrete Ergebnisse aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass das Motto „Kooperation statt Konfrontation“ gegenüber den Unternehmen mit einer Verstaatlichung nicht vereinbar ist, aber auch die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) auf Grund ihres klassenübergreifenden staatsnahen Charakters zumindest große Risiken beinhaltet.

Ähnlich das Schiedsverfahren um die Frage des Ausbaus des Bahnhofs in Stuttgart. 2006 beschloss der Landtag in Baden-Württemberg einen entsprechenden Plan mit dem Projektnamen „Stuttgart 21. 2010 entstand eine Massenbewegung gegen die Bauarbeiten. Es lagen viele Indizien vor, dass den Kosten von 9 Milliarden Euro und Umweltschäden keine ausreichende Verbesserung der Infrastruktur gegenüberstand. Ende 2010 wurde ein Schiedsverfahren unter dem Vorsitz von Heiner Geißler begonnen. Hier frisierten die Unternehmen systematisch die Ergebnisse, um Kosten und Schäden niedrig zu rechnen und gleichzeitig den Nutzen des Projekts zu übertreiben. Auf Grund dessen wurde ein Kompromiss für einen Teilausbau vorgeschlagen. Die Protestbewegung selbst hielt später fest, dass es sich um einen strategischen Fehler gehandelt hatte, dieses Schlichtungsverfahren zu akzeptieren. Es schwächte einerseits die Protestbewegung und Kampfkraft erheblich und anderseits legitimierte es die Regierungspolitik. Selbst der Kompromissvorschlag wurde nicht umgesetzt und das Projekt S21 wurde wie geplant durchgeführt.

Das beweist: Bürgerliche Institutionen (selbst bzw. gerade unter SPD-Führung) sind weder willens noch imstande, eine Sozialisierung durchzuführen. Das strategische Augenmerk von DWE auf diese Institutionen statt auf den Aufbau unabhängiger Gegenmacht gerät zur Sackgasse.

DWE: aus der Geschichte gelernt?

All das ist in der Initiative nicht unbekannt, aber ihre Öffentlichkeitsarbeit schweigt dazu. Sie nimmt also die Demoralisierung der Volksentscheidsbefürworter:innen in Kauf, hofft lediglich auf einen Funken, der quasi aus dieser Niederlage im Zorn entspringen soll. Jedoch setzt die dominante Perspektive nach wie vor auf Verschiebung der staatlichen Möglichkeitsspielräume statt Organisation von unten – Gegenmacht. DWE entwickelt sich zu einer Art Enteignungslobby. Für diese Perspektive bedarf es einiger Strateg:innen und gut platzierter Interventionen. Mobilisierungen und Organisierungen sind günstigenfalls Beiwerk. Somit verpufft die Schlagkraft, die den Volksentscheid erst möglich machte. Diese langsame Agonie scheint eine strategische Neuorientierung auf Gegenmacht gegen Staat und Kapital, auf Selbstorganisierung und Kontrolle des Wohnraums durch Mieter:innenorganisationen immer schwerer zu machen.

Auch wenn wir denken, dass es unmöglich ist, Wohnen aus der kapitalistischen Verwertungslogik herauszulösen, ohne den Kampf gegen die gesellschaftliche Totalität zu führen, bietet diese Perspektive doch die einzige realistische Möglichkeit der erfolgreichen Enteignung, Wohnraumkontrolle und des Übergangs zum Sturz für den Kapitalismus.

Für uns stellt als nächster Zwischenschritt die Orientierung auf einen Gesetzesvolksentscheid als Mittel und Plattform für die Propagierung des Aufbaus von Gegenmacht- und Kontrollorganen eine bessere Antwort aufs strukturelle Problem der Initiative dar. Die Chance für sein Zustandekommen erscheint gering, jedoch sind objektive Situation der Mieter:innen und Aussichtslosigkeit anderer lindernden Maßnahmen gute Voraussetzungen für den Meinungsumschwung!


[1]
Unter diesem Link findet ihr Informationen seitens der Expert:innenkommission: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/




Buchbesprechung: Wohnen im Kapitalismus als Objekt der Rendite

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 267, September 2022

Im Folgenden wollen wir eine kurze Zusammenfassung des Buchs von Andrej Holm: Objekt der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte, Dietz Verlag, Berlin 2021, präsentieren. Wir beschränken uns auf die Geschichte des kapitalistischen Wohnungsbaus und seine sich verändernde Ökonomie.

Kapitalistischer Wohnungsbau im 19. Jahrhundert

Die einschneidendsten Änderungen verursachte die industrielle Revolution. Massen von Bauern/Bäuerinnen wurden in die Kohleabbauregionen, Stahlproduktionszentren und die verarbeitende Industrie gezogen. Große Anlagen und neue Städte entstanden und manch alte erlebten eine nie gekannte Bevölkerungsexplosion. Mitte und Ende des 19. Jh. wurden in den europäischen Zentren Wohnraum massenweise (vor allem armer Schichten) vernichtet, Straßen verbreitert und neue Gebäude für bürgerliche oder adlige Schichten gebaut.

Diese vernichtende bourgeoise Wohnraumpolitik nennt Andrej Holm „revanchistisch“. Dagegen gab es mit Proudhon und mittelständischen Wohnvereinen eine kleinbürgerliche Wohnraumpolitik, die den Kleinbesitz eines Reihen- oder Einzelhauses mit Gärten für alle als Lösung propagierte. Der Sozialreformer Gustav Schmoller wies 1890 die deutsche Bourgeoisie darauf hin, dass zwangsweise soziale Revolutionen ausbrechen werden und schlug bessere Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vor. Engels wies jedoch darauf hin, dass unter kapitalistischen Umständen die Bourgeoisie selten oder gar nicht angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellt, da dieser als Spekulationsobjekt weit attraktiver ist.

Interessanterweise kann man konstatieren, dass je stärker die Arbeiter:innenbewegung war, sich die katastrophale Wohnsituation leicht abmilderte und die Infrastruktur (Wasserversorgung, Kanalisation) durch Staatsinvestitionen verbesserte, was sich durch die Zahl der Obdachlosen und Schlafgänger zwischen 1850 – 1920 erhärten lässt.

Das 20. Jahrhundert

Die Novemberrevolution belebte die Debatte neu. Es wurde über die Sozialisierung auch von Wohnraum nachgedacht und es gab Mietstreiks 1919. Zwar wurde das nicht erreicht, aber es gab Impulse zur Finanzierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen auf Basis der Besteuerung Privater, die zu ersten massenhaften Wohnungsbauprogrammen führten, die heute den Kernbestand der städtischen Wohnungen ausmachen.

1945 – 1990 wurde die massenhafte Versorgung der Bevölkerung in den Zentren ebenfalls durch kommunale Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften durchgeführt. Im Rahmen von privatem Wohnungsneubau unter dem Label des Sozialbaus erfolgte hauptsächlich eine doppelte Subventionierung des privaten Sektors: erstens, da die Sozialbindung nach einer gewissen Frist entfiel (damals: 30 Jahre, heute in Berlin: 10 Jahre) und die Mieten zu einem Zeitpunkt, wo die Baukosten der Gebäude bereits refinanziert waren, nicht mehr preisgebunden waren und zweitens, weil die Zuschüsse und Steuererleichterungen einen erheblichen Anteil einnahmen und teilweise größer als die Gesamtkosten waren.

Nach der deutschen Einheit: Berliner Mietenmonopoly

Nach Wegfall der Systemkonkurrenz im Osten wurde die Privatisierung der kommunalen Gesellschaften 1990 durch dem Wegfall der Wohnraumgemeinnützigkeit vorbereitet. Kommunale Träger und Genossenschaften verloren ihre Steuervorteile. Die steuerlichen Mehrkosten wurden auf die Mieter:innen umgelegt. Eine Welle der Mietpreiserhöhung folgte. Bis dahin war der Mietpreisanstieg sehr schwach, halbwegs linear und entsprang aus den leicht steigenden Realkosten inkl. Inflation.

In den 2000er Jahren wurden in Berlin die Wohnraumförderung eingestellt, etwa 250.000 kommunale Wohnungen durch den „rot-roten“ Senat privatisiert und für sehr geringe Beträge an Private verkauft.

2007 platzte eine Immobilienblase auf dem US-Finanzmarkt. Aus dieser nationalen Immobilien-entwickelte sich die globale Finanzkrise. Da die normale Warenproduktion auf Grund des tendenziellen Falls der Profitrate nicht mehr ausreichend Gewinne realisierte, drängte anlagesuchendes Kapital auf andere Märkte. Im Gegensatz zu Investitionen in hochriskante Finanzprodukte wurden langfristige mit gesicherten Gewinnen attraktiver. Die größten Gewinne versprach man sich, wo der Rent-Gap am größten war: zum Kauf stehende ehemalige Werks- und kommunale Wohnungen. Niedrigzinspolitik so wie Deregulierung unter Schröder verstärkten den Trend.

Holm spricht hier ebenfalls von einer revanchistischen Raumvorstellung, die nicht nur in Privatisierung, Auswertung und Gentrifizierung mündete, sondern Zerstörung sozialer Leben, brutale Vertreibung, die marginalisierte Gruppen wie prekäre Arbeiter:innen, Migrant:innen, Wohnungslose am härteten trafen und mit Polizeigewalt durchgesetzt worden sind. Der Prozess, der London in den 1980er und New York in den 1980er und 1990er Jahren heimsuchte, erreichte ab 2000 Berlin und intensivierte sich in der Folgezeit.

In den letzten Jahren gab es ganze Wellen von Zwangsräumungen von Arbeiter:innen, Migrant:innen, linken Hausprojekten und Kneipen, wo ganze Straßenabschnitte unter polizeilichen Belagerungszustand gestellt, Anwohner:innen systematisch schikaniert worden sind.

Finanzorientierte und industrielle Wohnkonzerne

Bis in die 2000er Jahre war der Wohnungs- vom Finanzsektor relativ abgeschlossen. Natürlich wurden Kredite von Banken aufgenommen, um Wohnungen zu kaufen oder zu bauen, und diese mit der Zeit durch die Mieter:innen abgezahlt. Aber weitere Verflechtungen waren selten.

Anfang dieses Jahrtausends begannen Banken und Finanzdienstleister in Deutschland damit, nicht nur Geld für Wohnungsunternehmen zur Verfügung zu stellen, sondern mit diesem Kapital selbst Firmen zu gründen und in eigener Regie zu investieren (z. B. die Gründung von Deutsche Wohnen durch die Deutsche Bank 1998). Diese finanzmarktorientierten Wohnungskonzerne begannen, Kapital in Form von Private Equity Fonds zu sammeln, Wohnungen zu erwerben und diese wie ihre Unternehmensanteile wie moderne Finanzprodukte zu handeln. Diese absorbierten auch, begünstigt durch die Liberalisierung unter Schröder, Kapitale aus Rentenfonds, Versicherungen, mittelgroße Anleger:innen. Vor allem zogen Wohnungen mit einem hohen Rent-Gap dieses private Kapital an.

In den 2000er Jahren kauften diese Unternehmen etwa 230.000 ehemals kommunale Wohnungen auf. Damit wurden sie, die bis dahin einer zumindest geringen öffentlichen Kontrolle unterlagen und ein Gut mit öffentlich-sozialer Zweckbestimmung darstellten und nur geringe Renditen erzielten, systematisch in Finanzprodukte umgewandelt, wo größte Renditen durch große Mietsteigerungen möglich waren und der Finanzmarkt herrschte.

Nach der Finanzkrise 2007 strömte verstärkt auch internationales Kapital auf den deutschen Wohnungsmarkt. Ab 2010 haben finanzorientierte Wohnungskonzerne ihre Interaktion mit Banken und Investor:innen geändert. Wo anfangs Kapital für Unternehmungen zur Verfügung gestellt worden ist und diese Schulden mit den Mieten sukzessive abbezahlt worden sind und in Folge dessen ebenso wie Zinsen sanken, werden diese nicht mehr abbezahlt, sondern stattdessen Geschäftsanteile des Unternehmens an Investor:innen ausgegeben. Dadurch, dass die Schulden nicht bedient werden, steigen diese zusammen mit den Zinsen. Zinsen sind umlagefähig. So steigen die Mieten zusätzlich. Gleichzeitig wird die Bauindustrie für Projekte finanziert, um durch Wertsteigerungen der unmittelbaren Umgebung dortige Mieten anzukurbeln. Diese Bauindustrie verkaufte die Gebäude, erwarb aber gleichzeitig Anteile am kaufenden Unternehmen. Dadurch verschmolzen das in den Gebäuden gebundene Kapital der Wohnungsunternehmen, das Finanzkapital und die Bauindustrie zu dem, was Holm und Unger finanzindustrielles Kapital nennen.

Diese finanzindustriellen Wohnkonzerne zeichnet neben den o. g. Merkmalen weiter aus: Hoher Grad der Automatisierung bei ihren Geschäftsabläufen, aktuelle Werte und Mietsteigerungspotenziale werden ermittelt, damit potenzielle Investitionen, Abrechnungen oft absichtlich fehlerhaft erstellt.

Gleichzeitig werden die Strukturen dezentralisiert und verschachtelt. Wo damals dem/r Mieter:in ein/e Vermieter:in oder eine Firma gegenüberstanden, existiert ein Geflecht von Firmen. Der Vorteil dieser Struktur liegt darin, dass diese Firmen sich für ihre Dienstleistungen hohe Rechnungen ausstellen, diese einerseits auf die Mieter:innen umgelegt werden können und andererseits als hohe Betriebsausgaben in geringere Steuern münden. So ist das sog. „Insourcing“ eine übliche Praxis, die Betriebskosten künstlich in die Höhe zu treiben. Es beschreibt das Ausgliedern ehemals firmeneigener Handwerker:innen und Reinigungskräfte bzw. Gründen von Handwerks- und Reinigungsunternehmen, Beauftragung dieser durch die Hausverwaltung, Ausstellen hoher Rechnungen und deren Umlage auf die Mieter:innen.

Eine Firma tritt auf der untersten vertikalen Ebene als Eigentümerin auf. Auf der mittleren Ebene fallen diese Firmen mit Geschäftsanteilen anderer Eigentümer- oder Holdinggesellschaften zusammen und auf höheren Ebenen ist der Konzern international und branchenübergreifend aufgestellt. Die Gewinne zentralisieren sich früher oder später nach oben in der Eigentümervertikalen und laufen bei Aktionär:innen, Banken oder internationalen Investmentgruppen wie BlackRock zusammen.

Die Mieter:innen zahlen alle Ausgaben inkl. Instandhaltung. Ein weiterer Trick ist hier, nicht instand zu halten und Beschwerden wie erforderliche Mietsenkungen schlicht und ergreifend zu ignorieren, sie stattdessen mit Forderungen, Inkasso- und Gerichtsverfahren zu überziehen. Es wird dadurch gleichzeitig auch versucht, das Gebäude so in der Bausubstanz verkommen zu lassen, bis eine Sanierung notwendig wird. Deren Kosten sind umlagefähig. Sind sie amortisiert, also durch die Miete abbezahlt, wird sie jedoch nicht auf den vorherigen Zustand gesenkt.




DWE-Enteignungskonferenz: Mieter:innenbewegung bundesweit koordinieren!

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 265, Juni 2022

Der Kampf von Mieter:innen hat in den letzten Jahren eine neue Qualität angenommen. Angesichts der Verschärfungen, denen sie sich v. a. in den Großstädten gegenübersehen, bricht dieser Trend vermutlich nicht so schnell ein. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) verfolgt dabei eine politische Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage im Sinne der einfachen Mieter:innen, die Enteignung großer Immobilienkonzerne und die Verstaatlichung des enteigneten Bestandes unter ihrer (Mit-)Kontrolle. Doch die Orientierung darauf, die tagtäglichen Probleme der Mieter:innen durch den Druck auf staatliche Institutionen zu lösen ohne den Aufbau kampffähiger Mieter:innenstrukturen, bringt das Vorhaben ins Stocken. Die Frage, wie wir gegen den Senat und die Gerichte den Mehrheitswillen der Mieter:innen umsetzen können, bleibt unbeantwortet.

Der Volksentscheid DWE gilt über die Berliner Landesgrenze hinaus als nachahmenswertes Beispiel. Für den Mietprotest, der oftmals lokal und vereinzelt abläuft, wird die Perspektive eines überregionalen Protests immer dringlicher und deutlicher, doch wie?

Als Gruppe Arbeiter:innenmacht sind wir aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Hiermit möchten wir unsere Einschätzung zur Lage der einfachen Mieter:innen und ein paar Vorschläge für die Perspektive der Bewegung äußern. Wir hoffen, dass die Enteignungskonferenz nicht nur den Charakter eines Wissens- und Erfahrungsaustausches annimmt, sondern Ausgangspunkt für eine bundesweit koordinierte und schlagkräftige Mieter:innenbewegung wird. Dieser Text soll ein Vorschlag dafür sein.

Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland

Laut statistischem Bundesamt sind die durchschnittlichen Immobilienpreise in Deutschland zwischen Oktober und Dezember 2021 um 12,2 % im Vorjahresvergleich gestiegen. Der durchschnittliche Kaufpreis für Ein- und Zweifamilienhäuser stieg zwischen 2010 und 2020 um etwa 65 %. Das Preisniveau in den deutschen Städten wird als überbewertet eingeschätzt, zwischen 15 und 40 %. Der EU-Risikorat kalkuliert das Blasenrisiko auf „mittel“. Ein Platzen einer solchen Blase könnte einen hohen Anteil an ausfallenden Renditen mit sich bringen, den Marktwert der Unternehmen senken, die Zinsen auf Kredite erhöhen und auf andere Sektoren der Wirtschaft aufgrund zunehmender Verwobenheit zurückwirken. Und das nicht nur für Deutschland, sondern auch Österreich, Bulgarien, Kroatien und Ungarn. In Deutschland trifft das Problem in besonderer Form zu, da es unter den OECD-Staaten einen hohen Anteil an Mieter:innen hat (ca. 57,9 % im Jahr 2018). Währenddessen verharren die Eigenkapitalanteile beim Ankauf von Immobilien weiterhin im Keller und viele Kredite sind an variable Zinssätze gebunden.

Die systematische Veränderung in der Immobilienwirtschaft wird als Finanzialisierung bezeichnet. Der Begriff beschreibt einerseits den Trend zunehmender privater Finanzanlagen im Immobiliensektor, andererseits auch den verstärkten Einfluss des Finanzsektors und seiner Erwartungen auf die Wohnungswirtschaft. Seit der Finanzkrise von 2007/08 erleben wir eine massive Niedrigzinspolitik der Zentralbanken (Quantitative Easing) – eine Ausgangssituation, die Tür und Tor für ein Jahrzehnt des Renditenbooms u. a. in deutschen Großstädten folgen ließ. Nicht primär, weil Kapitalanlagen in Wohnraum grundlegend hohe Erträge versprechen, sondern mangels besserer Alternativen im produzierenden Gewerbe. Die Renditen in sogenannten Spitzenstandorten wie Berlin und Hamburg liegen auf einem Tief (2,5 und 2,6 %). Das vergangene Jahrzehnt war durch geringe Reinvestitionsraten des Kapitals in den Sektor, in welchem die Profite erzeugt wurden, geprägt. Die großen Akteur:innen des Immobiliensektors sind dementsprechend immer deutlicher mit dem Finanzkapital verwoben.

Immer mehr einfache Mieter:innen müssen einen größer werdenden Teil ihres monatlich zur Verfügung stehenden Geldes somit für Mietzahlungen ausgeben. Die durchschnittliche Mietbelastungsquote privater Haushalte in Deutschland betrug 2018 27,2 . Die Tendenz ist dabei steigend. Diese Kennzahl erscheint geringer, da die Ausprägung der Mietbelastungsquote regional sehr ungleichzeitig ist. In Berlin ist sie bei Neuvermietungen im Bundesdurchschnitt mittlerweile am höchsten. Im August 2021 wird sie auf 37,3 % datiert, bei einer 65 m²-Wohnung (durchschnittlich 930 Euro Warmmiete) und einem durchschnittlichen Einkommen von 2.491 Euro. Die Mietbelastungsquote sagt aus, wie hoch der Anteil der Miete am monatlichen Nettolohn ist.

Gleichzeitig lassen sich angesichts der Coronapandemie und des Krieges in der Ukraine bereits deutlich die Konturen und heftigen Ausmaße der Krise erkennen, die sich kaum noch beziffern lassen. Die Inflation ist dabei bereits jetzt ein relevanter Faktor. Seit Jahresbeginn sind ebenfalls die Bauzinsen massiv angestiegen: für einen Baukredit über 15 Jahre Laufzeit durchschnittlich von 1,2 auf 2,87 %. Parallel dazu erleben wir eine voranschreitende Zentralisation des Immobilienmarktes. Vergangenes Jahr versuchten Vonovia und Deutsche Wohnen zu fusionieren. Akelius hat seine 14.000 Wohnungen im deutschsprachigen Raum an Heimstaden verkauft.

DWE

Gegen die Herrschaft dieses Elends hat die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen einen Vorschlag entwickelt: die Enteignung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten im Land Berlin. Dafür hat die Initiative über Sammelphasen, Volksentscheid und Vorstufen hinaus mit Mieter:innen diskutiert, verschiedenste Aktionsformen organisiert und gezeigt, welche Dynamik eine Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage entfalten kann. Doch die Initiative setzt ihre Kraft auf die Umsetzung dieser Enteignung durch die Ausnützung des rechtlichen Rahmens des Staates und durch dessen Institutionen. Als taktische Forderung stellt dies eine klare Perspektive zur Vereinheitlichung des Widerstandes dar, als strategische Orientierung führt dies dazu, die Frage offenzuhalten, was folgt, wenn der Staat mitsamt dessen Verfassung, Gewaltorganen und Gerichten nicht willens und fähig ist, dies umzusetzen. Ein Staat, der ansonsten die Verhältnisse erst ermöglicht hat, indem die Erfüllung der Renditeerwartungen mehr Gewicht hat als das Bedürfnis zu wohnen. Kurz gesagt: ein Staat, dem die Vermietungs„verzinsung“ so sehr am Herzen liegt, dass etliche Mieter:innen zwangsgeräumt werden.

Die Perspektive der Enteignung greift viele Schwächen der Mieter:innenbewegung auf, bricht mit dem Anschein des Mietverhältnisses als individuellem Problem. Der Grund für diesen Anschein liegt darin, dass die Wohnungsfrage keine direkte, sondern nur eine indirekte Klassenfrage ist. Arbeiter:innen leiden unter der Anmietung von Wohnraum in Privatbesitz am meisten. Der Mietkampf leidet aber darunter, kein klares Klassensubjekt zu kennen. Ziel sollte daher sein, die Verbindung zu lohnabhängigen Mieter:innen zu schaffen. In diesem Sinne fassen wir die Eigentumsfrage auf, die DWE stellt. Eigentum und Kontrolle über die gesellschaftlich geschaffenen Werte (hier Wohnraum) sind klassische Fragen der Arbeiter:innenbewegung. Folglich ist eine kollektive Widerstandsperspektive notwendig. Das erfolgversprechend und greifbar zu machen, ist der bislang größte Achtungserfolg, den DWE errungen hat.

Doch seit dem Wahlerfolg am 26. September kehrt sich die bislang so vielversprechende Perspektive, das Mittel Volksentscheid, in einen Selbstzweck und eine Fessel um. Bislang war es eine greifbare Möglichkeit für die Mieter:innen und die Mietaktivist:innen. Doch nach dem Achtungserfolg von 59,1 % der Stimmen liegt der Ball nun im Feld des Senats und der spielt auf Verschleppung. Nun folgen wir dem Fahrplan des Senats und seiner Expert:innenkommission in Richtung Sackgasse. Diese Fallstricke waren bereits im Vorfeld erkennbar, doch jetzt ernten wir die Konsequenzen. Eine erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens der Initiative erscheint nämlich von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, wenn es keine Neuorientierung gibt.

Wie enteignen?

Durch den Volksentscheid haben wir erreicht, dass sich die verschiedenen Mietinitiativen und Massenorganisationen der Mieter:innen an uns orientiert haben. Doch haben wir es bislang nicht genügend geschafft, die Enteignungsinitiative zum Aktionsschwerpunkt aller politischen Kräfte in der Mieter:innenbewegung oder zu einer lebendigen Diskussion in den Gewerkschaften zu machen. Zwar haben uns der Berliner Mieter:innenverein, die Berliner Mieter:innengemeinschaft oder Gewerkschaften wie ver.di, IG Metall oder GEW aus Berlin unterstützt, doch waren sie nie wirklich Teile der Initiative. Ein ähnliches und damit verbundenes Problem besteht gegenüber den Mieter:innen, mit denen wir tagtäglich in Gesprächen sind und waren.

Wir brauchen eine Kampforganisation, die in der ganzen Stadt einen großen Teil der Mieter:innen umfasst, jedoch gleichzeitig kein Organ des verknöcherten sozialdemokratischen Vereinswesens ist und zu einer Art Mietschutzversicherung verkommt, sondern Mietprotest organisiert und den Kampf gegen Immobilienwirtschaft und Verschleppung des Volksentscheidergebnisses führt – bis zu kollektiven Mietboykotten und Besetzungen der Firmenzentralen. Solche Massenorganisationen wären fähig, die Enteignung und „Vergesellschaftung“ (Kommunalisierung) umzusetzen und zu verteidigen. Die Gewerkschaften stellen mit ihren Mitgliedschaften eine weitere Grundlage für solche Organisationen dar, ist jede Mieterhöhung doch letztendlich ein indirekter Lohnraub und sind die meisten Mieter:innen doch schlussendlich lohnabhängig – weshalb die Wohnungsfrage auch v. a. eine Klassenfrage ist.

Der Protest gegen den Umgang mit dem Volksentscheid, aber auch die tagtägliche Organisierungsarbeit auf der Straße und in den Häusern sollten sich nicht nur auf die Werbung für die Idee der Enteignung fokussieren, sondern müssten die Frage „Wie enteignen?“ ehrlich beantworten. Diese Organisationen existieren bisher nicht, das stimmt, doch vor vier Jahren hielt es kaum jemand für wahrscheinlich, dass wir einen Volksentscheid zur Enteignung mehrheitsfähig machen könnten. Die Gunst der Stunde gilt es, nicht zu verpassen. Und selbst wenn uns der Senat jemals die Enteignung schenken sollte, so lassen wir hierdurch lebendige Organe entstehen, die fähig sind, den Wohnraum in ihrem Interesse zu kontrollieren. Der Vorschlag eines Gesetzesvolksentscheids (GVE) geistert seit Monaten durch die Reihen von DWE. Ein solcher böte einen Rahmen, um gemeinsam eine solche Struktur aufzubauen. Ein inhaltsleeres, zielloses Kiezorganisationsprojekt würde sicherlich eine widerspenstige Mieter:innenschaft erreichen können, jedoch einen Schritt weg vom Ziel der Enteignung und Überführung in städtisches Eigentum darstellen.

Wie bundesweit schlagkräftig werden?

Mieten müssen wir ja nicht nur in Berlin zahlen, auch in anderen Städten regiert der Mietwahnsinn. Die Enteignungskonferenz ist ein richtiger Schritt in Richtung einer Zusammenführung des Mietkampfes aus allen Ecken und Enden Deutschlands. Lasst uns gemeinsam aus der Konferenz heraus konkrete Aktionsperspektiven entwickeln! Regelmäßige Konferenzen, der gemeinsame Plan, kampfkräftige Mieter:innenorganisationen aufzubauen, zentrale Forderungen und damit verbundene Proteste sollten ihr Ergebnis bilden. Initiativen wie Hamburg enteignet, die kollektiven Klageversuche gegen die Nebenkostenabzocke von Vonovia oder die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel sind Ansätze dafür. Eine reine Fokussierung auf lokale Themen lässt den Mietprotest ein saisonales Phänomen bleiben.

Mieter:innen sind, wie weiter oben bereits benannt, keine soziale Klasse. Für Linke ist daher unerlässlich, in diese Bewegung selbst einen klaren Klassenstandpunkt hineinzutragen. Nur wenn sich die Mieter:innenbewegung als Teil der Arbeiter:innenbewegung versteht, kann sie dauerhaft die Lage der Mietenden verbessern, denn in letzter Instanz bestimmen auch auf dem Wohnungsmarkt Klassenverhältnisse.

Zur Zeit macht sich dies gerade für proletarische Mieter:innen schlagend bemerkbar. Aktuell erleben wir angesichts des Krieges in der Ukraine und der anhaltenden Coronapandemie eine massive Inflation. Nicht nur die Miete stellt eine Belastung für Lohnabhängige und Arme dar. Das Kapital versucht überall, seine Mehrkosten auf uns abzuwälzen. Die Mieter:innenbewegung und allen voran DWE dürfen hier nicht passiv bleiben, sondern wir brauchen eine Diskussion über den Mieter:innenprotest hinaus, wie wir unsere Ziele erreichen können und wollen.

Forderungskatalog und kleines Aktionsprogramm

Die Mieter:innenbewegung braucht ein Programm zur Enteignung und Kontrolle von Wohnraum, für das sie kämpft – ein Aktionsprogramm das unserer Meinung nach folgende Aspekte umfassen sollte:

1. Sofortmaßnahmen gegen Mietpreiserhöhungen und für Begrenzung der Miethöhe.

2. Kampf gegen rassistische, geschlechtliche und soziale Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.

3. Programm für den Neubau von Sozialwohnungen und günstigem Wohnraum für die Masse der Lohnabhängigen.

4. Kampf gegen Armut: für Mindestlohn und Anpassung der Löhne an die Steigerung der Mietpreise und anderer Lebenshaltungskosten.

5. Enteignung von Grund und Boden, der privaten Immobilienkonzerne und des Wohnungsbaukapitals.

6. Kontrolle durch Mieter:innen und lohnabhängige Bevölkerung.




DWe: Keine Beteiligung an der Expert:innenkommission!

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Kokreis DWe), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Bündnispartner:innen, Kokreis DWe), Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf), Infomail 1182, 28. März 2022

Nachdem ein halbes Jahr in Sachen Enteignung sich nichts Richtung Umsetzung bewegt hat, wird es in Berlin nun langsam ernst: Der neue Senat bildet eine Expert:innenkommission, die darüber entscheiden soll, ob und wie der Volksentscheid vom 26. September umsetzbar ist, in dem sich über eine Million Berliner:innen dafür entschieden, große private Wohnungskonzerne zu enteignen und zu vergesellschaften. Dieses Statement soll unsere Meinung zur Debatte von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWe)“ darlegen, warum wir denken, dass eine Beteiligung an der Expert:innenkommission weder der Initiative des Volksentscheides noch den Berliner Mieter:innen etwas bringt. Wir sind allesamt aktiv in DWe und denken, dass wir als Initiative mit Hinterzimmerdebatten nichts gewinnen können. Unsere Kontroversen müssen offen und ehrlich sein. So können wir u. a. für Berliner Mieter:innen unsere Entscheidungen nachvollziehbar machen.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die folgenden zwei Artikel:

Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Senatsspiele

Es gibt viele sehr unterschiedliche Argumente, die für oder gegen eine Teilnahme von DWe an der Expert:innenkommission des Senats sprechen. Die Kampagne hat bereits Zugeständnisse gemacht wie die prozentuale Beteiligung von DWe entsprechend dem Abstimmungsergebnis des Volksentscheids. Die letzten Monate haben wir in aller Deutlichkeit sehen müssen, dass wir nach dem erfolgreichen Entscheid am 26.9. keine eigenständige Perspektive hatten. Wir haben unsere Initiative von Geisel und Giffey treiben lassen. Jetzt haben wir die Chance, damit zu brechen und wieder an Schlagkraft zu gewinnen.

Denn den Charakter der Kommission bestimmt der Senat. Hier sieht das Kräfteverhältnis so aus, dass die SPD mitsamt Bürgermeisterin Umbridge-Giffey und Bausenator Geisel-Nehmer (zwei Freund:innen der Immolobby) von Anfang an betont hat, dass es mit ihr keine Vergesellschaftung geben wird. Für die Grünen war diese als Wahlkampfvehikel ganz geil. Bettina Jarasch hat sogar mit Ja gestimmt, aber nur, weil „die Enteignung das letzte Mittel ist“ – eine Floskel, auf der es sich bequem liegt, denn wann alle anderen Mittel versucht wurden, hat sie nicht gesagt. Jarasch nutzt ihr opportunistisches Stimmverhalten, um den Auftrag des Volksentscheids umzuinterpretieren. Nicht die Enteignung und Vergesellschaftung seien das Ziel, sondern eine Möglichkeit unter vielen. Die LINKEN sind einfach mal umgefallen. Anstatt die Enteignung zur Bedingung für ihren Koalitionseintritt zu machen, wurden DWe und der Volksentscheid geopfert und die Koalition ohne Bedingungen gebildet.

Aus der versprochenen gemeinsamen Besetzungsliste von DWe, den Grünen und den LINKEN für die Expert:innenkommission wurde auch nichts – weil lieber im Hinterzimmer eine Liste mit der SPD ausgekungelt wurde, an uns vorbei! Die LINKE wird zugunsten des Koalitionsfriedens jede Kröte schlucken. Eine Partei, die ihre Absprachen mit den engsten Bündnispartner:innen wie DWe und ihre Versprechungen ihren Wähler:innen gegenüber nicht einhält, hilft uns nicht weiter. Parteilinke, die gegen diesen Kurs und diese Koalition gestimmt haben, müssen in und über die Partei hinaus sichtbar werden und für einen Kurswechsel fraktionell um die Parteiführung kämpfen. DWe würde in dieser Kommission ihre Kraft nicht nutzen können, politisch isoliert sein. Wir sollten uns nicht von dieser Augenwischerei ablenken lassen, dass DIE LINKE es versucht, als Erfolg zu verkaufen, dass es keine direkte Beteiligung von Eigentümer:innen von Wohnungskonzernen oder ihren Bediensteten gibt. Nur weil DIE LINKE das verhindert hat. Es ist zweitrangig, wer ihre Gehälter bezahlt, wenn sie auch kostenlos für das Immobilienkapital lobbyieren.

Und an dieser Expert:innenkommission sollen wir uns beteiligen?

Wir müssen Verantwortung übernehmen, die Vergesellschaftung umzusetzen, bspw. im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheides, und uns nicht an deren Verschleppung beteiligen. Die Tücken und Fallstricke eines Vergesellschaftungsgesetzes werden mit oder ohne unsere Beteiligung in der Kommission diskutiert. Eine Bewegung auf der Straße, in den Häusern und Betrieben kann viel mehr Einfluss darauf nehmen als das Verhandlungsgeschick von drei Expert:innen. Im Übrigen Expert:innen, die DWe nur sehr begrenzt kontrollieren kann. Jede Hoffnung auf vorzeitige Exitstrategien muss dieses Problem ausklammern: Es ist keine basisdemokratische Kommission, sondern ein Organ der repräsentativen Demokratie.

Nutzen kann die Beteiligung an der Kommission nur, wenn sie entweder eine definitive Umsetzungskommission für den Volksentscheid wäre oder wenn wir sie durch Beteiligung von DWe wenigstens als Verschleppungskommission vor den Augen der Berliner:innen entlarven können. Möglichkeiten, die Kommission als solches zu entlarven, gab es bereits einige. Doch solange DWe keine klare Position zur Expert:innenkommission einnimmt, weiß die Initiative auch nicht, zu welchem Zweck und in welchem Ton diese angegriffen werden soll. Unsere aktuelle Praxis führt nicht dazu, dass die Berliner:innen sehen, dass die Kommission nicht für, sondern gegen die Enteignung und Vergesellschaftung arbeiten soll, geht es nach dem Berliner Senat.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission einen Impuls zur erfolgreichen Umsetzung liefern wird. Bausenator Geisel hat deutlich gemacht, was die Expert:innenkommission ist – sie überprüft erst mal, OB Vergesellschaftung möglich ist und OB es wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das OB wird das WIE vorwegnehmen. Aus der zweiten Reihe der SPD legte der Abgeordnete Buchner die Karten noch offener auf den Tisch: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr.“ Das ist dann die unverhohlene Ankündigung der Verschleppung – und an der sollte sich DWe niemals beteiligen. Der Charakter der Kommission zeichnet sich immer klarer ab. Unsere Aufgaben müssen sein, diesen den Mieter:innen klarzumachen und diese Kommission wie den Senat politisch zu delegitimieren.

Für die Umsetzung braucht man die richtige Strategie!

Die SPD benannte CDU-nahe Jurist:innen. Denen ist privates Eigentum das Allerheiligste. Eine Umsetzung ist wenig wahrscheinlich. Und selbst wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass unter Umständen die Vergesellschaftung nach bürgerlichem Recht und durch horrende Entschädigungen möglich ist – was dann?  Dann ist das zunächst nur eine Empfehlung und der Senat hat die Entscheidungsgewalt. Eine Bürgermeisterin, die eine Gegnerin des Volksentscheids ist, und Koalitionsparteien, die mit der Namensliste gezeigt haben, wem sie politisch folgen werden: nicht uns, sondern der SPD und den Wohnungskonzernen. Am Ende landet das Ganze wahrscheinlich trotzdem wieder in Karlsruhe. Wenn wir dann keine schlagkräftige Mieter:innenbewegung aufgebaut haben, dann ist der Erfolg, aus diesem Angriff gestärkt hervorzutreten, ein Münzwurf und dem Zufall sollten wir unsere Strategie nicht überlassen! Wir dürfen nicht vergessen, wie einseitig das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Miethaie in der Mietendeckelfrage entschieden hat. Und da galt es nur, privates Eigentum zu regulieren.

Auch wenn es in der Debatte um die Expert:innenkommision oft so wirkt – aber der Volksentscheid und seine Fortsetzung im juristischen Ringen mit dem Senat sind nicht das Ende des Vergesellschaftungskampfes. Von allen Mitteln, die eine Enteignung bewirken können, ist es ein eher schwaches. Denn der Kampf ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, und das drückte sich bisher leider nur auf einigen Demos und eben am 26. September 2021 aus. Auch dass die Möglichkeit der Vergesellschaftung im Grundgesetz stand, war Ausdruck eines solchen Kräfteverhältnisses und hatte das Ziel, Teile der Arbeiter:innenbewegung in den Staat zu integrieren, mit Erfolg!

Es ist eine Illusion zu glauben, dass juristische Argumente oder Sachfragen eine entscheidende Rolle spielen: Der bürgerliche Staat ist eine politische Organisation zum Schutz des Privateigentums. Zugeständnisse werden durch Kämpfe erzielt, nicht durch Integration in den Staat und seine Unterorgane. Daher muss es unsere Hauptaufgabe sein, Kämpfe zu führen, Mieter:innen zu organisieren und damit das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zugunsten der einfachen Mieter:innen zu verschieben. Dadurch schafft man eine Grundlage für die Umsetzung der Vergesellschaftung durch einen zweiten Volksentscheid oder – unter ganz spezifischen Umständen – unter diesem Senat. Nur wenn Enteignung und Vergesellschaftung dem Senat als kleineres Übel erscheinen, wird er sie selbst anpacken, dann jedoch mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern.

Erstens sind die Umstände, dass wir in dieser Kommission die Vergesellschaftung umsetzen können, mit diesen Parteiführungen, diesem Senat und dieser Besetzung jedoch nicht gegeben. Zweitens ist der Fokus auf die Expert:innenkommission eine strategische Sackgasse. Diese schließt organisch die Breite der Aktiven von der Partizipation aus, erschwert Mobilisierung und Organisierung der einfachen Mieter:innen an der Basis und ist daher ein Hindernis, das Kräfteverhältnis zu verschieben. Ohne politischen Druck gibt es bei Gerichtsentscheidungen keine Zugeständnisse und die Entscheidung wird, wie zuvor, im Interesse der Immolobby und Miethaie getroffen. Unsere Arbeit würde schlussendlich den Anschein erwecken, dass Senat und Expert:innenkommission das Subjekt der Vergesellschaftung und Enteignung seien. In Wirklichkeit sind das jedoch Mittel zur Verschleppung. Unser Eintreten in diese Sackgasse würde die Illusion unter Berliner Mieter:innen in diese Gremien weiter schüren und unseren parallelen Aufbau von Gegenmachtorganen über eine Organizing-Kampagne schwächen. Unsere Praxis muss den Mieter:innen zeigen, dass sie selbst für die Vergesellschaftung und Enteignung aktiv werden müssen und eben nicht abwarten dürfen!

Organizing mit dem Ziel einer längerfristigen Mieter:innenorganisation (bspw. einer Mietgewerkschaft), Gesetzesvolksentscheid, Mieter:innenräte, Massendemonstrationen und politische Streiks, Mietboykotte – das sind die schweren und vielversprechenden Waffen für Enteignung und Vergesellschaftung, auch wenn, das ist uns klar(!), sie viel Arbeit und Ausdauer bedeuten. Aber einfacher werden die Bedingungen, dies zu ermöglichen, nicht von selbst und erst recht nicht nach weiteren Monaten der Perspektivlosigkeit, Zermürbung und Versanden in der Kommission. Die Zeit arbeitet nicht für, sondern gegen uns! Eine strategische Orientierung auf außerparlamentarische Bewegung und vom Staat unabhängige Organisierung ist alternativlos. Unser zentrales Ziel bleibt der Kampf um Vergesellschaftung und Enteignung. Dies können wir nur durch eine Massenbewegung der einfachen Mieter:innen und Lohnabhängigen erreichen.

Die Teilnahme an einer Kommission fördert dagegen die Illusion, dass die Kommission ein alleiniges Umsetzungsinstrument sein könnte, steigert die politische Autorität des Senats, schürt Hoffnungen, die enttäuscht werden müssen und schwächt die Politisierung und Kampfkraft der Mieter:innen. Auch das Argument, dass wir beides tun können, stimmt vielleicht für die Arbeitsressourcen, die wir aktuell haben. Jedoch ist es für Mieter:innen, die nicht regelmäßig mit uns diskutieren, schwer nachvollziehbar. Dieser falsche Pluralismus fördert schlussendlich die Expert:innenkommission und unser Organizing wäre nur eine Begleiterscheinung. Ohne die strategische Orientierung auf den außerparlamentarischen Kampf bleibt die Expertinnenkommission im Fokus der Medien und der Kampagne. Die Kiezteamarbeit und das Organizing gerät zu einer davon abgetrennten reinen Beschäftigungstherapie für die Kampagnenbasis. Unsere Teilnahme wird zu unserer Niederlage in der Kommission, im AGH und bei Gerichten führen. Die Teilnahme hat also mehr Nach- als Vorteile. Bis jetzt hat sich die SPD in ganzer Linie durchgesetzt. Geisel rief daher nicht zu Unrecht: „Wir haben gewonnen“. Allerhöchste Zeit, ihm nicht mehr weiter zuzuarbeiten!

Daher rufen wir alle Aktivist:innen in DWe dazu auf, für eine neue Strategie und gegen eine Teilnahme an der Expert:innenkommission einzutreten. Gleichzeitig ist das eine Diskussion, die nicht mit einer einzigen Abstimmung abgeschlossen sein wird und kann!




Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Strategiekonferenz, Taskforce Argumente), Infomail 1177, 3. Februar 2022

Am 26. September hat „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen (DWE)“ im Volksentscheid mit 59,1 % der gültigen Stimmen einen großen Sieg errungen. Nach Jahrzehnten unternehmensfreundlicher Politik in Richtung Privatisierung, Mietsteigerung und Profitmaximierung wurde mit der Losung der Enteignung und Vergesellschaftung ein großes Statement dagegengesetzt. Die BerlinerInnen machten eine klare Ansage und sprachen sich für die Enteignung der Deutschen Wohnen, Vonovias und Co. aus. Die Eigentumsfrage und damit verbunden die Frage der demokratischen Kontrolle sind die zentralen Fragen der derzeitigen Situation.

In den letzten 3 Jahren wurde viel erreicht:

  • Ein Beschlusstext wurde erarbeitet, der die programmatische Basis der Kampagne bildet. Dieser wurde immer wieder überarbeitet.
  • Ein Treffen verschiedener AktivistInnen hat sich Anfang 2019 zum offenen Plenum als zentrales Organ der Kampagne entwickelt.
  • Zum Tragen der Kampagne wurde ein weitverzweigtes Netz von Strukturen aufgebaut:  Sieben AGen, diverse Taskforces und Unter-AGen, ein Koordinierungskreis und Kiezteams, die sich von einer Struktur zum Sammeln der Unterschriften zur lokalen Basis der Kampagne weiterentwickelten.
  • Hunderte AktivistInnen und noch mehr GelegenheitsaktivistInnen arbeiteten in den heißen Phasen im Sommer und Herbst 2021 für die Kampagne.
  • Viele kleine Initiativen wie auch größere und Massenorganisationen (z.B. Linkspartei, Berliner MieterInnenverein, Gewerkschaften) wurden als UnterstützerInnen gewonnen.

DWE konnte die Debatte in der Stadt auf diese Weise prägen und die Wohnraumfrage als eine zentrale Frage im Wahlkampf zur Berliner Abgeordnetenhauswahl aufwerfen. Die Stärke der Kampagne ist dabei vor allem, dass sie an den Kernproblemen der breiten Bevölkerung ansetzt und objektiv ein Massenpotenzial anspricht. Sie greift politische Elemente und Ziele aus der ArbeiterInnenbewegung auf, und bringt sie in eine Form, die dem aktuellen Bewusstsein und der aktuellen Diskussionskultur entsprechen und macht sie somit einer Vielzahl von Menschen zugänglich. Erreicht wurde dies auch durch die Verwendung von leicht zugänglichen Kommunikationsstrukturen und einer populären Sprache.

Institutionen des bürgerlichen Rechts (§15 GG Vergesellschaftungsparagraph, Volksbegehren) wurden taktisch geschickt verwendet. Aber hier zeigt sich die Problematik, die Grenzen dieser Mittel nicht ausreichend zu reflektieren. Es ist zwar vollkommen richtig im ‚Gegebenen‘ anzusetzen. Wenn es jedoch keine Strategie gibt, aus diesen gegebenen Institutionen herauszufinden und durch eine demokratische Mobilisierung eine außerparlamentarische Gegenmacht aufzubauen, bleibt die Umsetzung in den engen Grenzen der Institutionen stecken und verbleibt bei den politischen Entscheidungsträgern, die seit Jahrzehnten Politik im Interesse der privaten Immobilienkonzerne betrieben haben.

Taktik = Strategie?

Um langfristig bestehen und weiterhin nachhaltig Einfluss nehmen zu können, ist es zentral, dass DWE eine einheitliche strategische Ausrichtung entwickelt. Die Diskussion dazu wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, weshalb der Kampagne nach dem Sieg im Volksentscheid ein weiteres zielgerichtetes Handeln fehlt. Dies führt dazu, dass der politische Gegner faktisch über den weiteren Verlauf entscheiden kann und der neue Senat mit der Verschleppungstaktik „ExpertInnenkommission“ initiativ werden konnte.

Ebenso wurde die Frage des Klassenstandpunkts in der Kampagne vernachlässigt. Die hohen Zustimmungsraten unter den Lohnabhängigen zeigen deutlich, dass sich die Kampagne hauptsächlich auf die ArbeiterInnenklasse stützt. Auf der anderen Seite befinden sich die großen Konzerne und Lobbys, deren Interessen von bürgerlichen Parteien (AfD, CDU, FDP, Grüne), der SPD-Spitze sowie staatlichen Institutionen in Gestalt des Senates oder des Verfassungsgerichtes vertreten werden. Das zeigt relativ klar die Klassenlinien in der Mietdebatte. Diese Klassenlinien wurden leider durch Begriffe wie die der „Stadtgesellschaft“ (was ähnlich zum Volksbegriff die Gesamtheit aller Klassen meint) aus taktischen Gründen bewusst vernebelt, um Attraktivität beim linken KleinbürgerInnentum zu erzeugen. Das ging aber auf Kosten einer strategischen Orientierung auf die Schichten, mit denen die Vergesellschaftung langfristig steht oder fällt: einfache MieterInnen und Lohnabhängige. Die Folgen davon waren bzw. sind, dass es keine oder keine ausreichende Debatte in der gesamten Linken, MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung, aber auch in der Kampagne gibt, wie die Vergesellschaftung mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft umgesetzt werden könnte.

Stattdessen wurde die Debatte hauptsächlich auf taktische Fragen des unmittelbaren Wahlkampfs konzentriert. Zwar wurde teilweise und wird versucht MieterInnen und ArbeiterInnen zu erreichen. Aber im Rahmen einer rein-parlamentarischen Strategie muss sich deren Rolle letztlich auf die des passiven, das Kreuzchen setzenden Objekts reduzieren. Das Potenzial dieser sozialen Milieus, als Subjekt die Enteignung selbst durchzusetzen, wird mit dieser Strategie verschenkt.

Natürlich war die Wahlkampforga notwendig. Aber ohne den gemeinsamen Rahmen (Strategie) und ein Ziel, aus dem sich konkrete Werkzeuge (Taktik) ableiten, bedeutet das nun, dass DWE vom Senat übertölpelt wird. Denn wenn man auf der oberflächlichen Ebene der Taktik und technischen Orga verbleibt, wird die Frage der Strategie von außen beantwortet. Dies geschieht jedoch ohne bewussten, demokratischen und selbstbestimmten Prozess innerhalb der Kampagne mit Wirkung auf die gesamte Linke, sondern unbewusst im Rahmen des Gegebenen, also der bürgerlichen Institutionen, ohne Diskussion und Reflexion bezüglich möglicher Alternativen. Ohne Diskussion und ohne Perspektive außerhalb der bürgerlichen Institutionen wird es dem politischen Gegner wie Giffey-Geisel einfach gemacht, DWE die Ebene der politischen Auseinandersetzung und letztlich unsere Strategie zu diktieren.

Verschärft wurde diese strategische Schwäche der Kampagne dadurch, dass systematisch taktische und organisatorische Fragen als Strategie bezeichnet wurden. Planungen waren meist nur kurz- und mittelfristiger Natur und bedeuteten nach dem 26. September: Planlosigkeit. Die Kampagne beschränkt sich seitdem darauf, die Politik des Senates zu kommentieren und im Rahmen einer „Eskalationsstrategie“ Druck auf den Senat aufzubauen. Giffey und Geisel wurde die politische Initiative für die Frage der Umsetzung überlassen. Somit ist der aktuell einzige skizzierte Weg zur Umsetzung des Volksbegehrens an die „ExpertInnenkommission“ gekoppelt, einem Organ was vom SPD-geführten Senat eingesetzt wird. Die Entscheidung zur Besetzung der Kommission und Umsetzung liegt rechtlich und faktisch beim Senat. Die Umsetzung der Vergesellschaftung in diesem Rahmen ist sehr unwahrscheinlich.

Auseinanderdriften

Darüber hinaus führt die strategische Unschärfe zum Auseinanderdriften der Kampagne. Persönliche, politische Konflikte und Polarisierungen zwischen verschiedenen Strukturen innerhalb der Kampagne entwickelten sich daraus (z.B. Kokreisstrukturreform). Das ist unvermeidlich, wo unterschiedliche politische Kräfte aufeinandertreffen. Problematisch ist jedoch, wenn das nur auf einer oberflächlichen, persönlichen oder rein organisationstechnischen Ebene gesehen wird und entsprechend nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben wird. Die Frage, ob die Kampagne eine gemeinsame Strategie hat, die in verschiedenen Arbeitsbereichen umgesetzt wird, oder ob die Kampagne einfach eine Summe völlig unterschiedlicher Unterkampagnen ist, ist weder geklärt noch der Kampagne ausreichend bewusst. Einerseits gibt es die Teile, die mit dem Senat verhandeln wollen, sich in der Kontakt- und Verhandlungsgruppe engagieren und die ExpertInnenkommission bespielen wollen. Andererseits gibt es diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf die Kiezteamarbeit legen wollen. Das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung bedeutet das Fehlen eines zielgerichteten und wirksamen Handelns der Kampagne. Verschiedene Teile ziehen nicht mehr am gleichen Strang, sondern steuern in unterschiedliche Richtungen.

Der Fokus auf die vom Senat zur Verschleppung des Volksentscheids eingesetzte ExpertInnenkommission befördert den oben erläuterten Zersetzungsprozess. Es besteht die Gefahr, dass sich die politische Führung in der Verhandlungsgruppe konzentriert und verselbstständigt, während die Basis ohne essentielle Bedeutung im Rahmen einer gemeinsamen Strategie zur bloßen „Handarbeit“ herangezogen wird. Diese politisch-strategische Abkoppelung der Kampagnenbasis kann zur Lähmung führen (wie beim Volksbegehren 2015) – trotz einer rein strukturellen Aufwertung im Kokreis. Ohne eine aktivistische Basis gibt es allerdings keine Verankerung der Kampagne bei den MieterInnen vor Ort. Es können weniger AktivistInnen und MieterInnen mobilisiert werden und somit kein Druck auf den Senat ausgeübt werden. Ohne eine aktive Basis verliert die Kampagne an Stärke und die Waffen gegen den Senat und die Immobilienhaie werden noch stumpfer. DWE befindet sich mit dem aktuellen Debattenstand in einer strategischen und strukturellen Sackgasse, die aufgebrochen werden muss, wenn wir den Sieg vom 26. September fortführen wollen. Die Strategiekonferenz am kommenden Wochenende muss hier die notwendigen Weichenstellungen liefern.

Bruch mit ExpertInnenkommission

Unmittelbar notwendig ist es, mit der ExpertInnenkommission des Senats zu brechen. Mit Geisels Klarstellung, dass die Kommission ausschließlich ein Gremium des Senats ist und es keine dem Volksentscheid entsprechende Mehrheitsbeteiligung von DWE in der Kommission geben wird, hat der Bau- und Wohnsenator die Fronten mehr als klar gemacht. Er wird mit der Immobilienlobby reden, es wird nicht öffentlich das „Wie enteignen“, sondern hinter verschlossener Tür das „Ob“ rechtlich und wirtschaftlich geprüft. Das ist die Geisel-Haft für den Volksentscheid! Wir tun uns keinen Gefallen mit dem Geisel-Nehmer zu verhandeln, schon gar nicht zu diesen Bedingungen. Es wäre sogar direkt schädlich. Erhebliche Ressourcen DWEs würden im Rahmen der ExpertInnenkommission gebunden, ohne dass dies zur Vergesellschaftung führen würde. Dafür kann sich der Senat mit unserer Teilnahme profilieren und seine Entscheidungen legitimieren. Ungewollt würden wir zum Teil einer Politik, welche die Vergesellschaftung verhindert und massive Subventionen des privaten Sektors auf Kosten der MieterInnen verfolgt.

Unter diesen Bedingungen ist es eine Illusion, dass wir eine Mitarbeit taktisch ausnutzen könnten. Unsere Teilnahme wären vielmehr ein politisches Feigenblatt für die Politik von Geisel/Giffey. Daher müssen wir unsere Forderungen an die Kommission als rote Haltelinien begreifen und so formulieren, dass wir den Bruch öffentlich vermitteln. Es muss also öffentlich klar gemacht werden, was der Zweck der Kommission ist: Das Scheitern der Umsetzung des Volksentscheids. Wir sollten die wahrscheinlich dennoch stattfindenden Treffen der ExpertInnenkommission dazu nutzen, die UnterstützerInnen des Volksentscheides – über eine Million Berliner MieterInnen! – zu einer Großdemo zu mobilisieren und somit die Wiederbelebung der Kampagne zu starten! Motto: „Umsetzung statt ExpertInnenkommission“.

Auch in Hinblick auf die Gewinnung rechtlicher Expertise wird die ExpertInnenkommission keinen Beitrag leisten. Für die Weiterentwicklung unseres Gesetzesentwurfes müssen wir zusammen mit unseren Verbündeten aus SPD, Linkspartei, Gewerkschaften, Mietverein usw. auf eigene Formate setzen, wie der Vergesellschaftungskonferenz und Vergesellschaftungskommission. Nur so kann mit unseren Verbündeten und vergesellschaftungsfreundlichen ExpertInnen rechtlich substanziell über die Umsetzung diskutiert und unserer Entwurf so weiterentwickelt werden, dass er einer formalen und verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könnte.

Weg vom Senat – hin zum Stadtteil, Straße und Betrieb!

Der Senat wird die Vergesellschaftung nicht umsetzen. Eine Strategie, die über das Kommentieren der Senatspolitik hinausgeht, ist daher dringend notwendig. Die einzige soziale Größe, die ein Interesse an der Umsetzung hat, sind mind. 1,6 Millionen MieterInnen in Berlin und die einfachen Lohnabhängigen. Anstatt sich auf seine Spielchen und Tricks einzulassen, brauchen wir einen Plan darüber, wie die UnterstützerInnen der Vergesellschaftung politisch zusammengefasst, unterstützende Organisationen gebündelt und ein Weg zur Umsetzung aufgezeichnet werden kann, wo nicht Giffey-Geisel entscheiden, sondern die MieterInnen. Entsprechend muss der Fokus auf Organisierung von MieterInnen und Lohnabhängigen liegen und auf die Einbindung der vorhandenen Massenorganisationen in die außerparlamentarischen Kämpfe. Nur so kann sich die Kampagne zur Erreichung des Ziels sinnvoll einsetzen: die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne unter demokratischer Kontrolle der MieterInnen zur Schaffung einer Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen. Dafür schlagen wir folgende Werkzeuge vor:

  • Organizing! Zunächst brauchen wir eine Organizing-Kampagne in den Kiezteams, wo MieterInnen für die Kampagne gewonnen werden. Dabei dürfen MieterInnen und Lohnabhängige nicht als bloßes Mittel zum Zweck (Objekt) begriffen werden, mit denen Druck auf die Regierung geübt werden soll, sondern als das eigentliche, handelnde Subjekt zur Umsetzung der Vergesellschaftung. Nicht der Senat soll über die Vergesellschaftung entscheiden, sondern die MieterInnen selbst!
  • Gemeinschaftlicher Mietboykott! Wir müssen ernsthaft eine Debatte darüber beginnen, mit welchen direkten Mitteln wir die Vergesellschaftung erzwingen können. Zur Umsetzung der Vergesellschaftung sind kollektive Mietboykotte und der Aufbau einer MieterInnengewerkschaft als Massenorganisation notwendig. Dafür müssen existierende Massenorganisationen der MieterInnen und ihre Mitglieder für dieses Vorhaben gewonnen werden. Dafür braucht es die gesamte MieterInnenbewegung und Linke.
  • Kämpfe der ArbeiterInnenklasse! Jeder Erfolg bei Tarifkämpfen wird durch steigende Mieten mehr als aufgefressen. Von daher stellt sich die Frage einer politischen Verzahnung des Kampfes für bessere Lebensbedingungen, gegen Mietwucher und für die Vergesellschaftung der großen privaten Wohnkonzern mit dem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, gleitende Lohnerhöhungen der Inflation entsprechend und für Vergesellschaftung auch anderer, großer privater Konzerne. Politische Proteste entfalten nur einen beschränkten Druck. Wir müssen daher mit den Gewerkschaften in eine Diskussion treten, wie die Frage der Umsetzung der Vergesellschaftung und Preiskontrolle in die Tarifkämpfe integriert werden kann, wie also aus ökonomischen Kämpfen politische Streiks für die Enteignung werden können. Auch hierbei gilt es: Direkt in den Betrieben, mit der Basis sprechen und sie gewinnen! Die Gewerkschaftsführungen sind aufgrund ihrer privilegierten Position oft genug das, was die SPD-Spitze für die Immobilienkonzerne ist – ein Handlanger der Bosse, die Schiss vor politischen Streiks haben und zu dem sich höchstens auf dem Papier bekannt wird. Wir dürfen daher unsere Bündnispolitik nicht auf Absprachen mit den Führungen beschränken, sondern müssen uns mit den Forderungen, gemeinsam in Aktion zu treten, direkt an die Vorstände und Mitglieder der Gewerkschaften wenden.
  • MieterInnenkontrolle von unten! Eine wirkliche MieterInnenkontrolle würde nicht mal dann entstehen, wenn ein Gesetz zur Einrichtung der AöR beschlossen würde, in die die Wohnungen der privaten Konzerne überführt werden sollen. Diese Struktur wäre „von oben“ installiert. Was das bedeutet? Die BVG ist ebenfalls eine AöR, trotzdem haben weder Beschäftigte noch die NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel irgendeine Entscheidungsgewalt bei Fahrpreisen oder Fahrplänen. Deshalb müssen wir Strukturen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung „von unten“ aufbauen – und zwar unverzüglich! MieterInnenräte können Kämpfe koordinieren und folgende politische Forderungen eigenständig in einem zielgerichteten Kampf artikulieren und überwachen: Umsetzung der Vergesellschaftung, Kontrolle des Gemeineigentums, der Geschäftsbücher und der Mietpreise, einen bundesweiten Mietenstopp, öffentlich geförderten, sozial gebundenen und unbefristeten Neubau und die Legalisierung von Mietstreiks.
  • Gesetzesvolksentscheid! Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Beschlussvolksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides aktuell in den Händen von Staat und Senat. In der Frage der Gesetzgebung müssen wir auch auf eigene Formate setzen: einen neuen, diesmal verbindlicheren Gesetzesvolksentscheid! Aber auch einem Gesetzesvolksentscheid alleine sind Grenzen gesetzt: Falls ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird. Daher ist der Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht zur Regierung notwendig, die die Umsetzung des Gesetzes erzwingen kann.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann helfen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die die Umsetzung der Enteignung erzwingen kann. Für den Gesetzesvolksentscheid als taktisches Mittel in der aktuellen Legislaturperiode im Aufbau einer MieterInnenbewegung spricht, dass

  • er einen Weg darstellt, den wir stärker selbst beeinflussen können, da sein Inhalt für den Senat rechtlich bindend wäre. Die Wahrscheinlichkeit des Inkrafttretens eines Gesetzes im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheids ist größer als im Rahmen einer ExpertInnenkommission. Damit wäre die Vergesellschaftung nicht automatisch umgesetzt, würde aber die Bewegung in eine günstigere Lage bringen und gleichzeitig den Spielraum für Sabotage durch die Regierung verringern.
  • wir im Rahmen eines Volksentscheides UnterstützerInnen, verbündete Initiativen und Organisationen integrieren können und die gesamte Kampagne gefragt ist (im Gegensatz zu Verhandlungen mit dem Senat);
  • ein Volksentscheid Menschen massenhaft in die Bewegung bringen und organisieren kann (auch das können Verhandlungen und ExpertInnenkommission nicht).

Die Schaffung einer sozialen Gegenmacht zur Regierung durch die Organisierung der MieterInnen sollte immer im Zentrum der Strategie stehen. Der Aufbau von MieterInnenräten, die mit Hilfe von Massenprotesten und Mietboykotts dem Unwillen der Immobilienkonzerne und der Regierung etwas entgegensetzen können, in Kombination mit einem Gesetzesvolksentscheid, stellt eine Möglichkeit dar, wie die Vergesellschaftung unabhängig vom Willen des Senats umgesetzt werden kann.

Die Organisierung von MieterInnen bietet einen sinnvollen Rahmen für die gesamte Kampagne und bindet alle AktivistInnen mit ein. Alle Arbeitsbereiche der Kampagne sollen sich aus dieser Strategie ableiten. Beispielsweise sollte die Ressourcenverteilung und technische Organisation streng dieser Strategie folgen. Denkbar wäre, dass ein größerer Fokus auf Arbeitsbereiche wie Kiezteams, der Starthilfe, Aktionen und Bündnisarbeit gelegt wird.

Die Kiezteams müssen anstreben, tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert zu sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenräten zusammenführen.  Vertrauen auf die eigene Kraft und Misstrauen in den Staatsapparat, Justiz und Parlament sind angebracht.

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine gut vernetzte, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf der Vergesellschaftungskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 262, Februar 2022

Seit dem durchschlagenden Erfolg am 26. September 2021 ist es in der Berliner Öffentlichkeit einigermaßen still geworden um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWe). Wie kommt das? Was ist los mit der Speerspitze der Berliner MieterInnenbewegung? Kurz gesagt hat der neue Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei der Enteignungskampagne die Initiative aus der Hand reißen können.

Falle …

Im Herbst haben 59 % der BerlinerInnen eine klare Ansage getätigt, nämlich: Enteignen! Damit hatte der Volksentscheid mehr Stimmen als alle Koalitionsparteien des Senats zusammen bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bekommen. Die Entwicklung seitdem beweist, dass die Monate des Unterschriften Sammelns und Wahlkampfes der leichtere Teil im Enteignungskampf waren. Seitdem besteht die Gefahr, dass sich die Kampagne festfahren lässt. Zuerst knickte die Linkspartei ein und ließ die Umsetzung des Volksentscheides als Bedingung ihrer Regierungsbeiteilung fallen – damit ließ sie nicht nur die Kampagne im Stich, sondern vor allem Millionen MieterInnen, die sich mit dem Ja zur Enteignung eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erhofften. Schließlich wählte das Abgeordnetenhaus den neuen Senat und nun steht mit Andreas Geisel ein bürgerlicher Hardliner im Amt des Stadtentwicklungs-, Bau-, und Wohnungssenators.

Nun heißt es: Volksentscheid in Geisel-Haft!

Wir können nun viel lernen. Es war schon vor dem Volksentscheid klar, dass die Giffey-Geisel-Immobilienlobby-SPD eine Enteignung niemals umsetzen würde. Was kratzt die Sozialdemokratie ein WählerInnenwille denn noch nach der Wahl? Nun sehen wir, wie genau der Senat versucht, den Volksentscheid zu lähmen. Völlig ignorieren kann Geisel den Druck nicht, und so sagt er sich: „Habe ich meine eigene Mission, gründe ich eine ExpertInnenkommission.“ Sie soll nicht etwa schnellstmöglich zur Enteignung der Immobilienhaie voranschreiten, sondern ein Jahr (!) lang prüfen, ob das Ganze rechtlich und wirtschaftlich machbar ist.

DWe hat sich unterdessen mehrheitlich darauf eingelassen und will sich daran beteiligen. Auf gewisse Weise musste es das sogar tun, andernfalls hätte der Senat bequem auf die Kampagne zeigen und sagen können: „Die wollen nicht reden – so gibt das mit der Enteignung nichts.“

Das Ganze ist natürlich nichts anderes als eine geschickt gestellte Falle, die die Umsetzung des Volksentscheids verschleppen und sabotieren und die DWe-Kampagne – den radikaleren und bestorganisierten Teil der MieterInnenbewegung Berlins – durch Einbindung schwächen soll. Nun gilt, es dem Geisel-Nehmer nicht auf den Leim zu gehen.

 … nicht reintappen, DWe!

Wir sollten nichts, gar nichts von einer solchen ExpertInnenkommission erwarten. Es kann nur darum gehen, sie als Verschleppungstaktik des Senats zu entlarven und zu Fall zu bringen, anstatt selbst darauf hereinzufallen.

Geisel selbst hat mehr als deutlich gemacht, dass die ExpertenInnenkommission dem Senat unterstellt ist – und sonst niemand. DWe hatte gefordert, dass dem Abstimmungsergebnis entsprechend 59 % der Kommissionsplätze aus der Kampagne kommen sollen. Abgelehnt! Geisel verhandelt nicht darüber. DWe wird zwar eingeladen werden, aber die Konditionen bestimmt der Senat, der selbstverständlich die Wohnungskonzerne mit an den Tisch holen wird.

Es gilt, die ExpertInnenkommission vor den Augen der BerlinerInnen zu enttarnen: Am 26.9. ist das „Ob Enteignen“ entschieden worden und über das „Wie Enteignen“ liegt ein Gesetzesentwurf vor. Das Votum der BerlinerInnen respektieren heißt nicht nur, es umzusetzen, sondern DWe mindestens auch die Mehrheit der Sitze in der ExpertInnenkommission anzubieten. Die Immobilienlobby hat dort gar nichts verloren!

Die zentralen Bruchpunkte gegenüber der Kommission sollten sein: Definitive und sofortige Umsetzung, öffentliche Tagungen und Transparenz sowie Mehrheit für die MieterInnenbewegung in ihr. Sollten diese Forderungen nicht eingehalten werden, ist die Teilnahme an dem Format schädlich, da sich der Senat mit DWe in der Kommission profilieren kann, aber wir auf der anderen Seite weder ein konstruktives Ergebnis erhalten noch unsere Teilnahme politisch zum Bruch mit ihm und für Alternativen nutzen können. DWe macht sich dann zum linken Feigenblatt einer Politik, die die Enteignung verschleppt und verhindert!

Mit Geisels Absage an eine DWe-Mehrheit in der Kommission ist eigentlich schon Grund genug gegeben, mit dem Senat und seinen Spielchen zu brechen. So oder so sollten wir den ersten Tag der Kommission mit einer Großdemo begleiten.

Klassenkampf statt Geisel-Haft!

Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Volksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides in den Händen von Staat und Senat!

Trotzdem unterstützen wir den Vorstoß von vielen in DWe, unmittelbar einen Gesetzesvolksentscheid (GVE; für den Senat wäre dieser bindend) vorzubereiten. Wir sollten uns aber auch im Klaren sein, dass die staatlichen Grenzen dafür fast genauso eng sind wie jetzt. Wenn ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann nur dazu dienen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die aus sich heraus die Enteignung erzwingen kann. Sie muss weit über das hinauskommen, was heute die Kiezteams repräsentieren. Sie muss tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenkomitees zusammenführen, die Ernst machen können – mit kollektivem Mietboykott und politischem Streik für die Enteignung. Im Unterschied zum bisherigen Volksentscheid darf DWe seine Blauäugigkeit diesmal nicht wiederholen: Es muss davor warnen, das Schicksal seiner Umsetzung (im Erfolgsfall) wieder letztendlich dem bürgerlichen Staat und seiner Justiz zu überlassen. Vielmehr müssen wir betonen, dass eine erneute Volksentscheidskampagne den Schwerpunkt auf Mobilisierung und Organisierung der MieterInnen und ArbeiterInnenbewegung mittels o. a. Klassenkampfmethoden hin zu ihrer Transformation in eine wirksame Gegen- und Kontrollmacht über den Wohnungssektor legen muss. Vertrauen auf die eigene Kraft, Misstrauen in Staatsapparat, Justiz und Parlament sind diesmal angesagt!

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine vereinheitliche, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf einer Aktionskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




DWE, der Umgang mit sexuellen Übergriffen und die bürgerliche Presse

Tomasz Jaroslaw, Infomail 1162, 13. September 2021

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren – jedenfalls jener der Kampagne Deutsche Wohnen und Co.  enteignen (DWE). Kiezteams konzentrieren sich auf einen Häuserkampf, vor allem in den Außenbezirken, um die Menschen auch zur Abstimmung zu bringen und eine Mehrheit zu erringen.

Die Chancen am 26. September stehen trotz Millionen, die die Immobilienlobby in Gegenkampagnen steckt, nicht schlecht. Nach aktuellen Umfragen stehen 47 % der BerlinerInnen hinter der Forderung nach Enteignung, 43 % lehnen sie ab. Die jüngsten Erhebungen zeigen außerdem, dass mittlerweile auch eine Mehrheit der SPD-AnhängerInnen beim Volksentscheid mit Ja stimmen will.

Wie mit Vorwürfen sexueller Übergriffe umgehen?

Zugleich durchzog und durchzieht die Kampagne seit Ende Juni ein heftiger innerer Konflikt. Zu diesem Zeitpunkt wurde von einer Aktiven gegen einen Sprecher der Kampagne der Vorwurf der sexuellen Nötigung erhoben.

Dieser Vorwurf und der Umgang damit zogen weite Kreise, nicht nur in der Kampagne und deren Umfeld selbst, sondern erreichten auch die Medien. Neben dem Neuen Deutschland berichteten auch Tagesspiegel und Die Welt. Weitere werden wahrscheinlich folgen. Letzteren beiden – das wird schon bei einer oberflächlichen Lektüre deutlich – geht es natürlich nicht um die Sache. Vielmehr versuchen sie, den Vorwurf und den Umgang damit zu nutzen, um die gesamte Kampagne und die Vergesellschaftung an sich politisch zu delegitimieren. Doch bevor wir darauf näher eingehen, kurz zum Hergang der Auseinandersetzung in DWE selbst.

Der mutmaßliche Übergriff soll am 21. Juni am Rande einer öffentlichen Kundgebung der Linkspartei auf dem Rosa-Luxemburg-Platz stattgefunden haben, wo diese etwa 30.000 Unterschriften zum Volksbegehren an DWE übergeben hatte. Es gibt die Aussagen der beschuldigenden Person, was vorgefallen war. Der Beschuldigte dementiert diese Vorwürfe. Bis heute gibt es viele Gerüchte, die sicherlich keiner Aufklärung dienlich sind.

Richtigerweise nahm die Kampagne die Vorwürfe von Beginn an sehr ernst, der Umgang damit erwies sich jedoch aus verschiedenen Gründen als schwierig.

Erstens hatte DWE selbst zu diesem Zeitpunkt kein gemeinsames, anerkanntes Verfahren, wie mit einem Vorwurf eines sexuellen Übergriffs umzugehen ist. Das kann der Kampagne sicher nur bedingt vorgeworfen werden, zumal es ja auch keine allgemein anerkannte Sicht in der ArbeiterInnenbewegung oder der Linken gibt.

Zweitens und damit verbunden prallten von Beginn zwei miteinander unvereinbare Vorstellungen aufeinander.

Ein Teil der Kampagne, der sich letztlich durchsetzte, vertrat die Konzepte von „Definitionsmacht“ und „absoluter Parteilichkeit“. Diese besagen, dass nicht nur der Vorwurf ernst zu nehmen und der Betroffenen möglichst große Unterstützung zu geben sei, sondern auch, dass die Behauptung  der beschuldigenden Person selbst als Beweis für die Tat gilt. Dem Konzept der Definitionsmacht zufolge steht es nämlich nur der betroffenen Person zu, zu definieren, ob ein sexueller Übergriff oder eine Grenzüberschreitung vorlag. Alles andere gilt als Täterschutz. Letztlich ist dabei nur die subjektive Empfindung der beschuldigenden Person ausschlaggebend. Selbst die Frage danach, was „tatsächlich“ vorgefallen ist, gilt schon als Relativierung des Vorwurf und der Tat.

Diese Position wurde vor allem von Menschen aus postautonomen und kleinbürgerlich-akademischen Milieus vertreten. Insbesondere die stärkste politische Organisation in der Kampagne, die Interventionistische Linke (IL), die vor allem in diesen Milieus verankert ist und eine dominante Rolle im Ko-Kreis spielt, machte von Anfang an diese Ideologie zum Referenzpunkt des Umgangs innerhalb der Kampagne und versuchte, dieser zu Beginn einfach ihre Methode aufzuzwingen.

Probleme der Defintionsmacht

Das wurde richtigerweise kritisiert. Nachdem Transparenz und ein geregeltes demokratisch-legitimiertes Verfahren eingefordert worden waren, legte der Koordinierungskreis einen Verfahrensvorschlag zur Abstimmung vor, der weiterhin deutlich von Definitionsmacht und Parteilichkeit geprägt war.

Der Strömung um die IL trat eine durchaus heterogene Reihe von GenossInnen entgegen, die die Definitionsmacht zu Recht und grundsätzlich ablehnten, da diese Ideologie dem Beschuldigten kategorisch jedes Recht auf Verteidigung und Beibringen von Beweisen oder Indizien für seine Unschuld abspricht. Ein solcher Umgang in einer breiten Massenkampagne würde somit hinter Errungenschaften des bürgerlichen Rechts (v. a. das auf Verteidigung) zurückfallen.

GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht brachten wie auch andere KritikerInnen des Konzepts der Definitionsmacht Änderungsvorschläge zum Entwurf des Ko-Kreises ein, die in der Substanz alle von der Mehrheit um die IL abgelehnt wurden. Wir und andere KritikerInnen traten dafür ein, dass eine Untersuchungskommission gebildet werden solle, die, so weit dies möglich ist, den Vorwürfen auf den Grund geht und eine Empfehlung für das weitere Vorgehen der Kampagne ausarbeitet. Darüber hinaus war es Konsens, dass der Beschuldigte für die Zeit der Untersuchung nicht öffentlich für die Kampagne in Erscheinung treten sollte und sein Ämter ruhen würden.

Während am Beginn versucht wurde, das Konzept der Definitionsmacht einfach durchzusetzen, so müssen  wir – wenn auch in der Abstimmung unterlegen – festhalten, dass die Entscheidung nach mehreren Diskussionen demokratisch zustande kam.

Selbst wenn wir das Konzept der Definitionsmacht und seine identitätspolitischen Grundlagen grundsätzlich ablehnen, so müssen wir festhalten, dass sich auch die Gegenseite mit einigen Argumenten keinen Gefallen erwiesen, sondern durch Ton und Inhalt ihrer Argumente schwankende Personen eher verprellt hat. Als Argument gegen die Vorverurteilung wurde oft vorgebracht, dass der Beschuldigte ein verdienter Genosse und tragendes Mitglied der Kampagne sei und über Fähigkeiten und Kontakte verfüge, die wir weiterhin dringend bräuchten. Auch wenn alle positiven Beschreibungen zutreffen, kann das kein Freispruch sein und muss gerade angesichts einer Korrelation zwischen Machtposition und Missbrauchsmöglichkeit die Beschuldigung genau untersucht werden. In gewisser Weise haben damit leider die GegnerInnen der Definitionsmacht die Gegenposition bekräftigt. Auch Vorwürfe der Manipulation oder des Machtmissbrauchs gegen IL und Ko-Kreis wurden gegen Ende zu scharf und zu lange erhoben. Am Anfang haben Ko-Kreis bzw. IL in der Tat Entscheidungen getroffen, die nicht legitimiert waren, wie den Ausschluss des Beschuldigten und die Verlegung des DWE-Büros. Im weiteren Verfahren wurde sich aber um ein formal korrektes und demokratisches Vorgehen bemüht, auch wenn das Ergebnis am Ende inhaltlich falsch war.

Mit der Definitionsmacht und Parteilichkeit fällt DWE nicht nur hinter die Errungenschaften der Aufklärung und bürgerlichen Gesellschaft zurück, sondern bietet keine Perspektive für einen Umgang mit sexuellen Übergriffen für eine linke, proletarische Bewegung. Diese Ideologie bildet auch politisch keineswegs die Breite und Heterogenität ab, die DWE ausmachen und auch für den Erfolg verantwortlich sind. Durch die Entscheidung wurde diese Stärke aufs Spiel gesetzt.

Es ist grundsätzlich legitim von IL & Co., ihre programmatischen und ideologischen Vorstellungen in die Kampagne einzubringen und ihre Position dahingehend auszunutzen. Das heißt jedoch keineswegs, dass dies strategisch gesehen für sie selbst oder die Kampagne klug war. Viele AktivistInnen haben ihr Engagement sofort runtergefahren oder sind nicht mehr für DWE tätig. Damit gehen nicht nur personelle Ressourcen in Zeiten schwerer Wahlkämpfe und nach dem Volksbegehren verloren, sondern auch Netzwerke in Richtung MieterInneninitiativen, -verein und Gewerkschaften. Die VertreterIn der IG Metall Berlin hatte ein Statement vorgelesen, das eindeutig das Missfallen der IGM kundtat, wie DWE mit dem Vorfall umgegangen ist. Reiner Wild, Vorsitzender des MieterInnenvereins hat DWE ebenfalls dafür kritisiert. Alles wichtige BündnispartnerInnen! Wie die anderen Gewerkschaften und die SPD-Linke damit umgehen, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch kein Zufall, dass Organisationen und AktivistInnen, die strukturell oder politisch der ArbeiterInnenklasse nahestehen, dieses Ergebnis kritisiert haben. Fakt ist, dass man sie und alle BündnispartnerInnen für den Sieg an der Urne, aber auch für den tatsächlichen Kampf für die Vergesellschaftung danach braucht. Der Umgang mit dem Verfahren schwächte aber dieses gemeinsame Ringen, nicht nur weil es dem/r GegnerIn „Futter“ gibt, sondern die eigene Kampagne schwächt. Dieser politischen Verantwortung müssen sich die IL  und ihre UnterstützerInnen stellen. Zugleich müssen wir aber auch sagen: Ein Rückzug aus DWE, ein Fallenlassen der Kampagne ist der falsche Schritt. Er nützt letztlich nur jenen, die immer schon gegen die Enteignung der Immobilienhaie eintraten.

Bürgerliche Hetze

Die Artikel in Der Tagesspiegel und Die Welt belegen das. Sie haben den Konflikt und das Rechtsverständnis der Definitionsmacht aufgegriffen – nicht weil es ihnen um die Sache geht, sondern um die Kampagne selbst madig zu machen.

So wird eine anonyme Gewerkschafterin bemüht, die die „Interventionistische Linke“ als „wohlstandsverwahrloste Narzissten-Truppe“ und deren Aktivisten und Aktivistinnen als „eitle Berufsquatscher“ denunziert. In Wirklichkeit soll mit solcher Rhetorik die gesamte Initiative diskreditier werden – frei nach dem Motto, nur Verrückte Linksradikale und „Sekten“ wollen Unternehmen enteignen. So weiß der Tagesspiegel auch von rechtschaffenen Leuten zu berichten, die es bereuen, an der Kampagne teilgenommen zu haben: „Zumindest in ver.di sagen einzelne nun, man hätte sich auf die in der Kampagne aktiven ‚Sekten’ nie einlassen sollen.“

Die Stimmungsmache verfolgt einen Zweck. „Noch ist es Zeit zur Umkehr!“, legen Tagesspiegel und Die Welt im Subtext nahe. Die MieterInnenvereine, die Gewerkschaften, DIE LINKE, die allesamt DWE unterstützen, sollen sich am besten laut und vor dem 26. September zurückziehen. Bisher hat ihnen noch niemand den Gefallen getan.

So erklärt die ver.di-Sekretärin Jana Seppelt gegenüber dem Neuen Deutschland vom 1. September richtigerweise, dass dem Vorwurf des sexuellen Übergriffs natürlich nachgegangen werden müsse. Vor allem aber stellt sie klar: „Gleichzeitig gibt es für mich keinen Anlass, die Ziele der Initiative nicht zu unterstützen. Wir haben dazu klare Beschlüsse in der Organisation: Die Mieten fressen die Löhne auf und die Kampagne hat überzeugende Konzepte.“

Das ist die richtige Antwort auf alle jene Bürgerlichen, die jetzt versuchen, politisches Kleingeld aus einem politischen Fehler der Kampagne zu schlagen und die Kampagne und ihre UnterstützerInnen zu spalten. Der gemeinsame Kampf gegen Mietwucher, für Enteignung und für niedrige Mieten kann und muss trotz ideologischer Differenzen weiter gemeinsam geführt werden. Daher: Gewerkschaften, MieterInnenvereine, Linkspartei, linke SPD-lerInnen – tretet weiter für ein Ja beim Volksentscheid ein! Es geht letztlich um eine klassenpolitische Konfrontation, nicht um durchaus schwere, aufzuarbeitende und zu korrigierende Fehler der Kampagne. Daher noch einmal: Unterstützung die Kampagne! JA zur Enteignung, stimmt JA beim Volksentscheid!




Deutsche Wohnen und Co. Enteignen: Ja zum Volksentscheid, Ja zur Enteignung!

Tomasz Jaroslaw/Veronika Schulz, Neue Internationale 258, September 2021

Mit ca. 250.000 gültigen Unterschriften hat die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ (DWE) im Juni das historisch beste Ergebnis für ein Berliner Volksbegehren eingefahren. Dieses wäre ohne Tausende Aktive und die großen BündnispartnerInnen wie die Linkspartei, die Gewerkschaften und den Mieterverein nicht möglich gewesen. Umfragen deuten darauf hin, dass die Zustimmung zur Vergesellschaftung großer privater und gewinnorientierter Wohnkonzerne nicht nur mit linken politischen Meinungen korreliert, sondern auch mit niedrigen Einkommen. Das alles zeigt einen enormen Zuspruch und auch eine gewisse Verankerung in der ArbeiterInnenklasse.

Damit wird am 26. September nicht nur über die Zusammensetzung von Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksvertretungen entschieden, sondern auch über den Volksentscheid zur Vergesellschaftung. Auch wenn ein Sieg an der Wahlurne rechtlich nicht bindend wäre, würde dieser nach Jahrzehnten der Privatisierung und des Generalangriffs auf soziale Standards ein starkes Signal in die richtige Richtung senden und einen gewissen Druck auf den nächsten Senat (Berliner Landesregierung) ausüben, insbesondere auf Grüne, SPD und Linkspartei, deren Parteibasis und WählerInnen gewisse Sympathien für das Mittel der Vergesellschaftung hegen.

DIE LINKE, Grüne und SPD: Versprechen und Taten

Jedoch wäre mit einem erfolgreichen Volksentscheid der Kampf keineswegs vorbei: Ungeachtet der positiven Verlautbarungen bei den Grünen sind diese eine offen bürgerliche Partei, die Vergesellschaftung offiziell nur als „letztes Mittel“ anwenden will, es praktisch jedoch eher vermeiden möchte. So favorisieren sie Sanktionen für „schlechte“ VermieterInnen bei Beibehaltung des privaten Eigentums und markwirtschaftlicher Dogmen. Die SPD wiederum hat sich auf ihrem Berliner Landesparteitag 2019 für Gespräche mit DWE, aber gegen eine praktische Umsetzung der Vergesellschaftung ausgesprochen. Entsprechend versuchte sie es stattdessen mit anderen Optionen wie „Bauen, Kaufen, Deckeln“. Dass diese Konzepte zu teuer waren oder allesamt gescheitert sind, sei nur am Rande erwähnt. SPD und Grüne orientieren ingesamt auf zeitlich begrenzte, „gemeinwohlorientierte“, freiwillige Abmachungen mit privaten Immobilienkonzernen, beispielsweise den kurzlebigen und bereits gegenstandslosen „Zukunfts- und Sozialpakt“ mit dem Vonovia-Konzern oder einen bundesweiten Mietendeckel.

SPD und Grüne vertreten freilich eine sehr verwässerte Vorstellung von einem Mietendeckel, der eher einem Mietensieb entspricht. Außerdem sind sie allzeit bereit, in möglichen Koalitionsverhandlungen mit der konservativen CDU und/oder der marktliberalen FDP diese ohnehin unzureichenden Forderungen weiter aufzuweichen oder ganz über Bord zu werfen. Zu guter Letzt kann bezweifelt werden, wie energisch SPD und Grüne trotz aller Versprechungen derartige Projekte bundesweit durchsetzen werden, ohne dass eine starke, bundesweit agierende mietenpolitische Bewegung beide Parteien politisch herausfordert und derart unter Druck setzt, wie es DWE in Berlin getan hat.

Dass die SPD-Führung um Müller und Giffey gegen Vergesellschaftung eintritt, hat diese mehrfach betont. Zuspruch erhalten solche Aussagen nicht nur von der Immobilienlobby, sondern auch von CDU, FDP und AfD. Damit plagiiert Giffey neben Teilen ihrer Abschlussarbeit auch neoliberale Mietenpolitik. Wenn man bedenkt, dass die meisten SPD-WählerInnen und ihre Mitgliederbasis für Vergesellschaftung votieren und das Ziel von DWE politisch nichts weiter als klassischer Reformismus ist, dann stellen sich Giffey und Müller damit nicht nur den Interessen der Berliner MieterInnen und Lohnabhängigen entgegen, sondern auch der Mehrheit ihrer eigenen Partei.

Die SPD-Linke und die Linkspartei müssen in der nächsten Koalitionsverhandlung ein Vergesellschaftungs- und AöR-Gesetz (AöR: Anstalt des öffentlichen Rechts als Verwaltung des Gemeineigentums), das sich nach den Vorgaben von DWE richtet, als Bedingung definieren. Wenn Müller und Giffey sagen, das ginge nicht mit ihnen, müssen die WählerInnen und MieterInnen sagen: Sehr gerne!

Die Linkspartei ist hier zu zaghaft. Sie muss klarstellen, dass sie sich voll und ganz hinter die Vergesellschaftung stellt. Die Gewerkschaften unterstützen DWE zwar politisch, aber bis jetzt war das nicht verbunden mit der Aktivierung und Mobilisierung ihrer Basis, um weiter Druck auszuüben. Hoffnung machen hingegen beispielhafte Kooperationen mit der Krankenhausbewegung. Denn eines ist klar: Nicht nur Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Viele mittlerweile privatisierte Bereiche der Daseinsvorsorge, wie z. B. auch der Gesundheitsbereich, müssen rekommunalisiert und von NutzerInnen und Beschäftigten demokratisch kontrolliert, verwaltet und so ansatzweise der Markt- und Profitlogik entzogen werden.

Nach dem Volksentscheid ist vor dem Kampf

Wird das Volksbegehren erfolgreich sein, ist der Kampf für Vergesellschaftung nicht beendet, sondern fängt gerade erst an. Es ist zu erwarten, dass die Hetzkampagne gegen Vergesellschaftung weiter Fahrt aufnehmen wird. Seit Beginn der Kampagne arbeitet die Gegenseite bereits mit Falschbehauptungen (siehe Infokasten).

Und auch jeder Senat wird versuchen, sich der Verantwortung und dem Wählerwillen je nach Parteikonstellation in unterschiedlichen Ausprägungen zu entziehen. Daher wird es in erster Linie wichtig sein, nicht (nur) mit dem Senat über ein entsprechendes Gesetz zu verhandeln, sondern vor allem durch eine Vielzahl von Maßnahmen Druck auf diesen zu erzeugen. Dazu gehört die Forderung, dass Vergesellschaftung für die Linkspartei Koalitionsbedingung sein muss. Dazu gehört, die Parteilinke von Grünen und SPD gegen ihre Parteiführung und ihre VertreterInnen im Senat zu stärken und entsprechende Bezirks- und Landesparteitagsbeschlüsse herbeizuführen. Dazu gehört, die MieterInnenbewegung und den Mieterverein für eine Massenmobilisierung und Mietboykotte aufzubauen und zu stärken. Dazu gehört, die Gewerkschaften für politische Streiks zu gewinnen.

Denn ein Erfolg der Kampagne hätte nicht nur praktische Vorteile für etwa 300.000 MieterInnen in Berlin. Das politische Signal selbst wäre in Berlin und weit darüber hinaus von weitaus größerer Relevanz. Er wäre nicht nur ein Schlag gegen das Finanzkapital, sondern stellte eine Ermutigung für Enteignungen und Wiederverstaatlichung z. B. im Gesundheits- und Transportwesen und in der Energiewirtschaft dar.

Der Ausschluss von Menschen ohne deutschen Pass von der Abstimmung und die Medienhoheit des Kapitals mit dementsprechend wirksamer Demagogie verfälschen zudem das wahre Kräfteverhältnis, das in einem bürgerlich-demokratischem Verfahren wie dem Volksentscheid nicht zum Ausdruck kommen kann.

Wie weiter?

Allein, aber nicht nur aus diesem Grund muss der Kampf auch nach einer gewonnenen Volksabstimmung weitergeführt werden. Er braucht eine Umwandlung der Kampagne, deren Aufbau in den Wohnvierteln, Betrieben, an Schulen und Unis und den Kampf um ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle über den Wohnraum. Dabei müssen wir für die vollständige Enteignung der großen privaten Immobilienkonzerne eintreten, um eine so gering wie mögliche Entschädigungszahlung herauszuholen und die Kontrolle über Sanierungen, Neubau und Mietpreise diesen Komitees und den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung wie den Gewerkschaften anzuvertrauen. Mietboykotts, Mietendeckel und politische Solidaritätsstreiks durch die Gewerkschaften können im ersten Schritt Druck auf die zukünftige Landesregierung ausüben, ein entsprechendes Enteignungs- und Mietengesetz umzusetzen. Schließlich brauchen wir eine Ausweitung, eine bundesweite MieterInnenbewegung für die Lösung der Probleme im Wohnungssektor und Enteignung.

Für eine bundesweite MieterInnenbewegung, gestützt auf die Massenorganisationen der ArbeiterInnenbewegung! Treten wir im ersten Schritt für eine bundesweite mietenpolitische Aktionskonferenz ein, die Vorschläge zur Behebung der Wohnungskrise diskutiert und einen Aktionsplan zu deren Bekämpfung und ihrem eigenen Aufbau, ihrer eigenen Organisationsstruktur beschließt!

Dafür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Entschädigungslose Enteignung der großen Immobilienkonzerne unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle! Offenlegung ihrer Bilanzen unter Hinzuziehung von ExpertInnen, die das Vertrauen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung besitzen!
  • Mietpreisbindung/Mietendeckel, kontrolliert durch MieterInnen und Gewerkschaften!
  • Weg mit Rassismus und Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt: Kontrolle und Offenlegung der Wohnungsvergabe!
  • Soziales Wohnungsbau- und -sanierungsprogramm unter Berücksichtigung ökologischer Aspekte (Baumaterial, Nutzung von Solarenergie, vernünftige Wärmedämmung statt Styroporplatten, Aufhebung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land, Infrastruktur) unter ArbeiterInnen- und MieterInnenkontrolle im Zusammenhang mit einer Transformation von Enteignung (Verstaatlichung) in eine wirkliche, umfassende Vergesellschaftung, in der Gesellschaftseigentum keine Insel inmitten eines Wohnungsmarktmeeres bleibt!

Holen wir uns ehemaliges Gemeineigentum zurück, um es kostendeckend und gemeinnützig zu bewirtschaften! Am 26. September für die Enteignung großer Immobilienkonzerne stimmen!




Gegen Mietenwahnsinn und Immobilienspekulation! Enteignung – was sonst?!

Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1154, 27. Juni 2021

343.000 Unterschriften in der 2. Sammelphase sind ein riesiger politischer Erfolg der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE), tausender UnterstützerInnen und der gesamten Protestbewegung gegen Mietenwahnsinn, Immobilienspekulation und Zwangsräumungen. Grund zum Feiern!

Der Erfolg ist aber auch Anlass zur Diskussion über die weiteren Perspektiven der Bewegung. Da wir Euch nicht allzu viel von der wohlverdienten Erholung rauben wollen, stellen wir unsere Einschätzung und Perspektive der Bewegung thesenhaft vor. Wir freuen uns auf Rückmeldungen und einen weiteren erfolgreichen Kampf!

1. An der Enteignung von Deutsche Wohnen/Vonovia und zahlreicher anderer Konzerne führt kein Weg vorbei. Das hat die Entwicklung der letzten Jahre gezeigt. Mietpreisbremse und Mietendeckel erwiesen sich zwar als begrenzte Verbesserungen. Die grundsätzlichen Ursachen für steigende Mieten und Verdrängung hätten sie aber auch nur abmildern, nicht aufheben können, selbst wenn der Deckel nicht gekippt worden wäre. Die notwendigen Neubauten von sozialem Wohnraum werden allein auch keine Abhilfe gegen die Spekulation mit ebendiesem schaffen.

Die Enteignung der großen Wohnungskapitale und andere Maßnahmen im Interesse der MieterInnen dürfen nicht alternativ, sondern müssen als Gesamtpaket gedacht werden.

2. Wenn wir die Misere am Wohnungsmarkt bekämpfen wollen, braucht es ein Maßnahmenpaket, das der Profitmacherei den Boden entzieht. Ansonsten drohen praktisch alle anderen zeitweiligen Verbesserungen nur Flickwerk zu bleiben. An der Enteignung von Grund und Boden und der großen Wohnungskonzerne führt kein Weg vorbei.

Unabhängig vom Ausgang des Volksentscheides besteht das große Verdienst von DWE darin, die Eigentumsfrage ins Zentrum politischer Auseinandersetzung, des Klassenkampfes gestellt zu haben.

3. Bei der Frage der Enteignung zeichnen sich soziale Lager ab: MieterInneninitiativen, MieterInnenverein, Gewerkschaften, AnhängerInnen der Partei, die sich auf die ArbeiterInnenklasse berufen, auf der einen Seite und bürgerliche Parteien, Mietlobby und Boulevardblätter auf der anderen. Die Frage besteht, ob man diesen Gegensatz nicht als den bezeichnet, der er ist: ein Klassenkampf. Daher sollten wir den Wahlkampf, die Mobilisierung der kommenden Monate auch als solchen begreifen. Wir müssen mit einer Hetzkampagne der Immobilienlobby, der rechten und bürgerlichen Parteien, von AfD, FPD und CDU, aber auch von den KapitalfreundInnen des rechten Parteiflügels von SPD und Grünen rechnen. Gleichzeitig müssen wir Druck auf die UnterstützerInnen in SPD und Grünen sowie auf die Linkspartei aufbauen, den Vorschlag von DWE zur Vergesellschaftung zu unterstützen.

Die Mobilisierung zum Volksentscheid muss daher vor allem als Klassenkampfmobilisierung geführt werden, auf der Straße, aber auch in den Betrieben, an Schulen und Unis.

4. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der Kampf am 26. September nicht aufhört, auch wenn wir eine deutliche Mehrheit beim Volksentscheid erreichen. Das Kapital wird wie schon beim Mietendeckel seine Gerichte in Stellung bringen; es wird um die Rechtmäßigkeit der Enteignung und um jeden Cent bei der Höhe der Entscheidung kämpfen. Wie auch immer der Senat zusammengesetzt sein wird: eine Umsetzung im Interesse der MieterInnen ist nicht zu erwarten. Vielmehr wird er versuchen, eine Enteignung zu umgehen, zu verschleppen, zu verzögern, zu verwässern.

Wir müssen daher eine Bewegung aufbauen, die den Kampf nach dem 26. September mit anderen Mitteln in Berlin und bundesweit fortsetzen kann!

5. Die riesige Zustimmung für DWE, die Gewinnung vieler Massenorganisationen wie der Gewerkschaften, die breite Unterstützung durch die Linkspartei, durch MieterInnenvereinigungen, der Aufbau von Sammel- und Kiezteams verdeutlichen, dass wir eine Bewegung aufbauen können, die in den Stadtteilen, aber auch in den Betrieben verankert ist. Diese Basis müssen wir stärken und ausbauen. Wir müssen in den Gewerkschaften und Betrieben dafür eintreten, dass die Kampagne nicht nur durch Beschlüsse der Vorstände formal unterstützt wird, sondern auch wirklich betriebliche Strukturen aufgebaut werden, die als Kampforgane agieren können.

Die Kiez- und Sammelteams, aber auch Strukturen in Betrieben, im öffentlichen Dienst, an Schulen und Unis sollen zu Aktionskomitees der Kampagne und darüber hinaus werden!

6. Im Herbst 2021 stehen nicht nur Wahlen, sondern auch wichtige Tarifrunden im öffentlichen Dienst sowie Auseinandersetzungen an den Krankenhäusern und Klinken an. Ohne Kampf, ohne Streikbewegung wird den KollegInnen dort nichts geschenkt werden – weder von der zukünftigen Bundesregierung noch vom zukünftigen Senat und erst recht nicht in den privaten Unternehmen. Das gilt natürlich auch für den Kampf um die Enteignung bzw. deren Durchsetzung, wenn wir den Volksentscheid gewinnen.

Wir müssen von den Gewerkschaften, in den Betrieben politische Streiks einfordern, um die Umsetzung der Enteignung zu erzwingen. Wir müssen uns bei den zu enteignenden Wohnungsunternehmen auf einen organisierten Mietboykott und ähnliche Kampfmaßnahmen vorbereiten, um eine zügige Enteignung von unten zu erzwingen!

7. Wir müssen davon ausgehen, dass sich der Kampf vor und nach dem 26. September weiter zuspitzt. Das heißt auch, dass wir ihn ausweiten, politisieren und radikalisieren müssen. Das betrifft zum einen die bundesweite Ebene wie überhaupt den Kampf um Enteignung und die Verbindung mit dem Kampf gegen die Kosten der Krise und Pandemie.

Wir treten daher dafür ein, nach den Wahlen eine bundesweite Aktionskonferenz zu organisieren, bei der der Kampf gegen überhöhte Mieten und Wohnungsnot eine zentrale Rolle spielen sollte, um so eine massenhafte Antikrisenbewegung aufzubauen.

8. Die Auseinandersetzungen der letzten Monate zeigen, welche Bedeutung der Wohnungsfrage zukommt. Dass Millionen die Enteignung der Konzerne unterstützen, zeigt aber auch, dass sie die kapitalistische Profitmacherei nicht einfach dulden wollen. Die Enteignung wird daher auch in anderen Bereichen von grundlegender Bedeutung werden. Dies bedeutet aber auch, dass wir an die Grenzen des Kampfes stoßen werden, wenn er im Rahmen des Grundgesetzes und der Entschädigung des Privateigentums bleibt. Wir müssen daher auch die Frage aufwerfen, wie, durch welche Mittel perspektivisch eine entschädigungslose Enteignung durchgesetzt werden kann. Welche gesellschaftliche Kraft, welche Klasse kann das erreichen und wie kann sie kontrollieren, dass enteignete, verstaatlichte oder kommunalisierte Betriebe oder Genossenschaften unter ihrer Kontrolle stehen und nicht nur der einer den MieterInnen nicht verantwortlichen Bürokratie?

Wir sollten daher die aktuelle Kampagne als Sprungbrett zu einer größeren Bewegung für die  bundesweite Enteignung der Immobilienkonzerne, von Grund und Boden und die Kontrolle des Wohnungsbaus durch die MieterInnen begreifen.

9. Doch keine Perspektive ohne Mühen der Ebene. Die beste strategische Diskussion reicht nicht, wenn wir unsere Kräfte nicht für den Volksentscheid im September bündeln. Ein Sieg beim Entscheid wäre einer von uns allen und ein enormer Schub für jeden zukünftigen Widerstand gegen die Angriffe des Kapitals, der nächsten Bundesregierung und des nächsten Senats.

Die von DWE anvisierte Verbreiterung der Kiezteams und Aktionsgruppen durch regelmäßige Versammlungen in den Kiezen und Stadtteilen ist dazu ein wichtiger Schritt. Diese sollten nicht nur dazu dienen, die Menschen zur Abstimmung zu bringen, sondern auch neue AktivistInnen zu gewinnen und integrieren.

In diesem Sinn sollten auch Aktionsgruppen und Komitees in Betrieben, im öffentlichen Dienst und an den Schulen aufgebaut werden.

Außerdem schlagen wir das Erstellen einer kostenlosen Massenzeitung für die Kampagne neben anderen Werbematerialien vor und die Verbindung der Mobilisierung mit anderen sozialen Kämpfen wie der Krankenhausbewegung und dem gegen die Räumung besetzter Häuser!

  • Bereiten wir Deutsche Wohnen/Vonovia und Co. einen heißen Herbst!
  • Enteignet die EnteignerInnen!