Berliner Polizei attackiert LL-Demonstration 2024

Martin Suchanek, 16. Januar 2024

Mindestens 16 Personen mussten nach Angaben von Demo-Sanis infolge brutaler Angriffe der Polizei mit Knüppeln und Pfefferspray am 14. Januar mit Knochenbrüchen und anderen Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Besonders schwer hatte es einen 65-jährigen Mann getroffen, der ohnmächtig, aus Mund und Nase blutend am Boden lag.

Ursache – oder genauer Vorwand – für den Einsatz mehrerer Hundertschaften war die Solidarisierung mit Palästina durch die Demonstration. Angeblich, so die Polizei-Erzählung wäre die verbotene Losung „From the river to the sea, Palestine will be free“ von einem Redner und Demonstrationsteilnehmer gerufen worden. Infolgedessen wurden eine Reihe Personen festgenommen.

Nachdem weiter vorne laufende Demonstrant:innen und ganze Blöcke zurückliefen, um sich zu solidarisieren, schlug die Polizei richtig los. Zweifellos wird die Polizeiführung, deren Einsatzkräfte nicht zum ersten Mal provokativ die Demonstration angriffen, einen Grund zurechtzimmern, warum auch dieser Einsatz „verhältnismäßig“ gewesen wäre und eigentlich die behelmten Knüppeleinheiten Opfer und nicht Täter:innen gewesen wären.

Klar wird auch das Abgeordnetenhaus über die Provokation, über den Angriff auf das Demonstrationsrecht beraten – mit vorhersehbarem Ausgang: Schuld sind die Demonstrant:innen. Schließlich wird die Solidarität mit Palästina, die immer schon öffentlich denunziert wurde, seit Monaten von Regierungen und Parlamenten kriminalisiert. Auch der „Zivilgesellschaft“, also der bürgerlichen Öffentlichkeit, kann es davon nicht genug geben. So setzt eben die Polizei den politischen Marschbefehl – natürlich nicht nur am 14. Januar – um.

Während antiimperialistische Solidarität kriminalisiert und verprügelt wird, sorgen sich Zehntausende nach den jüngsten Enthüllungen über die rassistischen Deportationspläne von Vertreter:innen der AfD, der Identitären und der Werteunion bei einem „privaten“ Treffen in Potsdam um die deutsche Demokratie. Zweifellos ist die Sorge und Angst um die Errichtung eines rassistischen Abschiebe- und Ausweisungsregimes berechtigt. Die AfD und diverse faschistische Gruppierungen bilden dabei die extreme Speerspitze einer Politik, die den stetigen Forderungen nach einer immer rigideren Migrations- und Flüchtlingspolitik und der geplanten faktischen Abschaffung des Asylrechts durch die EU Vorschub leistet. Vorschub leistet dem Rechtsruck dabei aber auch die Diffamierung der Palästina-Solidarität, von Palästinenser:innen, Araber:innen, Muslim:innen als undemokratisch und antisemitisch sowie die Gleichsetzung von Antisemitismus und Antirassismus. Wer den immer stärker werdenden antimuslimischen Rassismus und die Kriminalisierung und Diffamierung der Palästina-Solidarität nicht bekämpft, der wird letztlich auch den Rechtsruck nicht stoppen können.

Die LL-Demonstration hat sich hier vollkommen richtig verhalten. Sie ließ sich nicht einschüchtern, sondern vielmehr haben sich ihre Teilnehmer:innen gegen die Polizeigewalt gestellt.




Luxemburg/Liebknecht-Ehrung: in wessen Spuren?

Martin Suchanek, Infomail 1210, 14. Januar 2023

Die Luxemburg-Liebknecht-Demonstration ist – wie jedes Jahr – eine verschiedener Strömungen, von Linken verschiedener Spektren gegen Kapitalismus, Imperialismus und Ausbeutung. Aber sie ist auch mehr und mehr zu einem leblosen Ritual verkommen, zu einer Mischung aus Gedenken und Gedankenlosigkeit. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Die Demonstration steht nicht wirklich in Bezug zu den aktuellen politischen Auseinandersetzungen. Damit ist nicht diese oder jene teilnehmende Gruppierung gemeint, sondern vielmehr ihr immer gleicher Ablauf. Der Aufruf zur LL-Demonstration ist – zu Recht – nicht weiter bekannt und im Grunde immer derselbe.

Die Demonstration ist somit für die Klassenkämpfe, Mobilisierungen, Aktionen über den 2. Sonntag im Januar hinaus folgenlos. Einen Versuch, die Lohnabhängigen über die schon organisierte Linke hinaus zu erreichen oder direkt an Mobilisierungen wie dem Kampf um Lützerath anzuknüpfen, gibt es nicht.

Politisch-ideologisch ist die Demonstration v. a. von Gruppierungen geprägt, die aus einer stalinistischen Tradition stammen. Das fängt bei den eigentlichen Organisator:innen an und zeigt sich auch auf der Marschroute selbst. Schon das verleiht dem Gedenken an Liebknecht, Luxemburg und Lenin einen fragwürdigen Charakter. Hier sollen kommunistische Theoretiker:innen und Politiker:innen für eine letztlich dem Kommunismus fremde Tradition, die untrennbar mit der Verteidigung bürokratischer Herrschaft über das Proletariat verbunden ist, missbraucht werden.

Nicht minder abstoßend wirkt, wenn Reformpolitiker:innen der Linkspartei oder gar SPD-Apparatschiks aus der zweiten, vorgeblich linken Jusoriege Karl und Rosa ihre Aufwartung machen und – wie die Stalinist:innen – deren Erbe nur für die eigenen, alles andere als revolutionären und emanzipatorischen Zwecke missbrauchen.

Es gibt also viel zu kritisieren an der LL-Demonstration wie auch an den Feierlichkeiten von Linkspartei und Sozialdemokratie. Und es bedarf auch keiner großen Kenntnis des politischen Werks der beiden Revolutionär:innen, um zu wissen, dass ihnen eine solche „Gedenkform“ zuwider gewesen wäre.

Der beklagenswerte, ritualisierte Charakter des „Gedenkens“ wirft jedoch auch die Frage auf, was eine echte Würdigung Luxemburgs und Liebknechts bedeutet. Es geht hier nicht einfach um die „Verehrung“ zweier heroischer Kämpfer:innen, die, wie auch Hunderttausende, ja Millionen Namenlose Opfer der herrschenden Klasse waren. Es geht v. a. darum, an welche ihrer Positionen revolutionäre, kommunistische Politik heute anknüpfen kann und muss, welche für die gegenwärtigen und zukünftigen Klassenkämpfe fruchtbar zu machen sind.

Im Folgenden wollen wir thesenartig darlegen, an welchen Positionen von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht es auch heute anzuknüpfen gilt.

1. Massenstreik als revolutionäres Kampfmittel

Rosa Luxemburg hebt zu Recht die Bedeutung des POLITISCHEN Massenstreiks als eines revolutionären Kampfmittels hervor – zur Vereinheitlichung der Klasse der Lohnabhängigen, gerade, weil der rein gewerkschaftliche Kampf, der Teilkampf der schon Organisierten seine Grenzen hat.

Sie sieht ihn als Mittel der Zuspitzung und Einbeziehung der Massen, zu deren praktischem selbstständig Werden.

Daher richtet sich ihre Kritik nicht nur an die Gewerkschaftsbürokratie und die Parteirechte in der Sozialdemokratie, sondern auch gegen Kautskys Demonstrations-Streikkonzeption und seine „Ermattungsstrategie“.

2. Antimilitarismus und Internationalismus

Liebknechts und Luxemburgs Politik ist untrennbar mit dem Kampf gegen militärische Intervention, gegen die Militarisierung v. a. der Jugend verbunden.

Die imperialistische Politik der „eigenen herrschenden“ Klasse, des Hauptfeinds, der im eigenen Land steht, muss ihnen zufolge mit den Mitteln des Klassenkampfes bekämpft werden. Dazu gehört ihr Eintreten für gemeinsame Aktion der Arbeiter:innenklasse, die Agitation im Krieg, die selbst half, die politischen Grundlagen für Streikaktionen wie jene in der Rüstungsindustrie Anfang 1918 zu legen.

Antimilitarismus war für sie keine auf ein Land beschränkte Sache, sondern untrennbar mit der internationalen Aktion der Klasse verbunden – und damit auch mit dem Kampf für den Aufbau einer neuen Internationale, nachdem die Zweite degeneriert war.

3. Charakterisierung der Epoche als imperialistisch

Luxemburg erkennt wie eine Reihe anderer Theoretiker:innen, dass an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ein Epochenwechsel stattfindet, dass der Kapitalismus zu einem Hindernis für die gesellschaftliche Entwicklung geworden ist.

Entgegen den Vorstellungen der revisionistischen Theoretiker:innen in der Sozialdemokratie hebt sie hervor, dass wir in eine Epoche der engeren Verschmelzung von Staat und Kapital, der Aushöhlung der Demokratie eingetreten sind. Daher kommt für sie auch die Entwicklung zum Krieg um eine Neuaufteilung der Welt nicht überraschend, sondern wird vorhergesehen. Prägnant wird das in der Formulierung der historischen Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ ausgedrückt.

4. Kritik am Reformismus

Luxemburg erkennt als eine der ersten, dass das reine Gewerkschafter:innentum und der Revisionismus als frühe Formen des Reformismus unbedingt bekämpft werden müssen. Sie erkennt früher als viele andere, dass es sich hier nicht um einen anderen Weg zum gleichen Ergebnis, sondern letztlich auch um ein anderes Ziel handelt – und damit um die Aufgabe des Klassenstandpunktes des Proletariats überhaupt.

Der Sozialismus ergibt sich für Luxemburg „aus den immer mehr sich zuspitzenden Widersprüchen der kapitalistischen Wirtschaft und aus der Erkenntnis der Arbeiterklasse von der Unerläßlichkeit ihrer Aufhebung durch eine soziale Umwälzung.”

Und weiter schreibt sie: „Leugnet man das eine und verwirft man das andere, wie es der Revisionismus tut, dann reduziert sich die Arbeiterbewegung zunächst auf simple Gewerkvereinlerei und Sozialreformerei und führt durch eigene Schwerkraft in letzter Linie zum Verlassen des Klassenstandpunktes.” (Luxemburg: Sozialreform oder Revolution)

5. Kritik am Versöhnler:innentum

Für Luxemburg ist Reformismus – selbst wenn er den Sozialismus als „Endziel“ einer fernen Zukunft proklamiert – bürgerliche Politik, der „linke“ Flügel der bürgerlichen Ordnung. Sie wendet sich aber nicht nur gegen die Berufsverräter:innen der Bürokratie, welche die Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien bis heute beherrschen. Sie richtet sich auch gegen alle, die den grundlegenden Unterschied zwischen Kommunismus und Reformismus unter den Teppich kehren wollen.

Luxemburg wendet sich daher mit großer polemischer und analytischer Schärfe auch gegen das Versöhnler:innentum, gegen den Zentrismus. So kritisiert sie schon sehr viel früher als andere auch die Politik Kautskys in der Sozialdemokratie.

6. Notwendigkeit der proletarischen Diktatur

Alle Kampfmittel, Teilkämpfe, jede Taktik werden von Luxemburg letztlich als Mittel zum Erreichen des eigentlichen Ziels der Arbeiter:innenklasse, der geschichtlichen Bewegung, des revolutionären Sturzes des Kapitalismus begriffen. Das heißt, dass der Kampf um die politische Machtergreifung, die Errichtung der Diktatur des Proletariats geführt werden muss.

Für Luxemburg entspricht die soziale Revolution einem weltgeschichtlichen Bürgerkrieg, einem zwischen Klassen. Daher muss sich die revolutionäre Klasse auch rüsten, um diesen Krieg zu gewinnen. Prägnant formuliert sie das in „Was will der Spartakusbund?“: „Eine solche Ausrüstung der kompakten arbeitenden Volksmasse mit dem ganzen politischen Arsenal für die Aufgaben der Revolution, das ist die Diktatur des Proletariats und deshalb die wahre Demokratie.“

Zweifellos hatte Luxemburg nichts mit der bürokratischen Diktatur des Stalinismus am Hut. Für sie war Sozialismus die breiteste Demokratie der arbeitenden Massen. Aber sie war auch keine Dutzenddemokratin, die sich davor gescheut hätte, offen die Notwendigkeit auszusprechen, dass die Arbeiter:innenklasse zu ihrer Befreiung die politische Macht nicht nur erobern, sondern auch verteidigen muss.

7. Notwendigkeit der revolutionären Partei

Für Luxemburg steht die Notwendigkeit der Organisierung der Avantgarde, der bewusstesten Teile der Arbeiter:innenklasse zur politischen Partei nie in Frage.

Luxemburg besteht vielmehr – und zwar zu Recht – darauf, dass diese auch die Aktion der Gewerkschaften resp. der Parteimitglieder in Gewerkschaften und Bewegungen bestimmen muss.

Das zeigt sich natürlich auch darin, dass einen zentralen Teil ihres Lebenswerkes der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei ausmachte: der Sozialdemokratie in Polen und Litauen, der Kampf auf dem linken, revolutionären Flügel der SPD und die Gründung der KPD.

Ihr Verständnis davon kommt deutlich zum Ausdruck in „Was will der Spartakusbund?“: „Der Spartakusbund ist nur der zielbewußteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtliche Aufgabe hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt.“

Zweifellos zeigte Luxemburgs Werk auch etliche Schwächen: so ihre Akkumulations- und Krisentheorie; ihr falsches Verständnis der nationalen Frage; ihr Zögern im Kampf um die Gründung der Kommunistischen Internationale (siehe dazu den Beitrag „Luxemburgs Beitrag zum Marxismus“ ).

Zweifellos hat sie in etlichen Abschnitten ihres Werkes und Wirkens die Rolle der Spontaneität im Klassenkampf zu hoch bewertet. Selbst ihren Überspitzungen lag jedoch ein richtiges Element zugrunde, wo es sich gegen die bürokratische, passive und antirevolutionäre Behäbigkeit der Sozialdemokratie und Gewerkschaften wandte.

Die Vorstellung, dass Luxemburg eine grundlegende Alternative zum Leninismus darstelle oder herausgearbeitet habe, ist jedoch eine nachträgliche Konstruktion, die ihr Werk selbst entstellt. Es ist eine Mythologisierung, die Stalinismus und Sozialdemokratie teilen, um die jeweils eigene, nichtrevolutionäre Politik zu legitimieren.




100 Jahre KPD-Gründung: Schwere Geburt

Bruno Tesch, Neue Internationale 234, Dezember 2018/Januar 2019

Im November 1918 brach in Deutschland die Revolution aus. Nicht nur das morsche monarchistische System hatte sich überlebt. Der Kapitalismus selbst stand zur Disposition.

Die traditionelle ArbeiterInnenführung, die SPD, hatte 1914 Klassenverrat
begangen und den imperialistischen Krieg unterstützt. Im Verlauf des Krieges
spaltete sie sich in Mehrheitspartei und Unabhängige SozialistInnen (USPD).

Revolutionäre Krise

Die ArbeiterInnenmassen waren ausgehungert und aufrührerisch. Die
politischen und gesellschaftlichen Strukturen befanden sich in Auflösung. Am
Ende des Ersten Weltkrieges steckte Deutschland in einer revolutionären Krise.

Spontan bildeten sich in vielen Orten Räte aus ArbeiterInnen und
heimkehrenden Frontsoldaten, die den Machtfreiraum – die Bourgeoisie war wie
gelähmt – zunächst ausfüllten. RevolutionärInnen waren in ihnen jedoch klar in
der Minderheit.

Anders als die Bolschewiki, die in Russland vor der Revolution 1917 schon
einen jahrzehntelangen unerbittlichen Fraktionskampf gegen den reformistischen
Menschewismus geführt hatten, setzte sich die deutsche revolutionäre Linke aus
einer Vielzahl von Strömungen und Gruppen zusammen, deren kleinster gemeinsamer
Nenner in der Absetzung von der Sozialdemokratie bestand. Einige von ihnen wie
z. B. der Lichtstrahlen-Kreis aus Berlin entstand außerhalb der
Sozialdemokratie, während die bedeutendste Formation, der Spartakusbund um
Luxemburg und Liebknecht, sich erst 1918 von der zentristischen USPD abgespalten
hatte.

Diese Gruppen standen in mehr oder minder engem Zusammenhang und stimmten auf dem Rätekongress Mitte Dezember 1918, der über das weitere Schicksal der Räteorgane und der politischen Zukunft des Landes befinden sollte, oft gemeinsam ab, vor allem in der Frage der Macht im künftigen Staatswesen. Sie traten für eine Räterepublik ein. Es gelang ihnen jedoch nicht, die Mehrheit der Delegierten dafür zu gewinnen. Hier setzte sich klar die Linie des Gewerkschaftsbundes ADGB durch, der die Macht dem Regierungsprovisorium unter Ebert (SPD) übertragen wollte.

Ebert war der letzte Trumpf, den die Bourgeoisie ausspielen konnte, um ihre
Herrschaft abzusichern, denn sie selbst war damals nicht in der Lage, die
Revolution zu bremsen. Ebert hatte einen klaren Fahrplan für die demokratische
Konterrevolution im Visier. Er orientierte auf die Durchsetzung demokratischer
Rechte, parlamentarische Wahlen und eine neue bürgerlich-demokratische
verfassunggebende Versammlung. Dies vertrug sich natürlich nicht mit der Aufrechterhaltung
der Doppelmachtsituation zwischen Regierung und Räten.

Obleute

Ein entscheidender Faktor für die weitere Weichenstellung waren die
revolutionären Obleute, die während des Krieges FührerInnen von Massenstreiks
waren und eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Räte spielten. Sie waren
größtenteils in der USPD organisiert und hatten in wichtigen Fragen mit der
alten SPD-Politik gebrochen. Doch in der entscheidenden Frage der Errichtung
einer Räterepublik, d. h. der Übernahme der ganzen Staatsmacht und der
Zerschlagung des bürgerlichen Staates, nahmen sie eine zögerliche Haltung ein.

Statt den provisorischen Rat der Volksbeauftragten unter Ebert zu
kontrollieren und ihm klare Weisungen zu erteilen, ließen sich die Angeordneten
der Räte oft vor vollendete Tatsachen stellen. Ebert und seine
HelfershelferInnen nutzten derweil ihre alten Verbindungen mit dem
Herrschaftsapparat in Verwaltung und Militär aus, bauten die angeschlagene alte
Machtmaschinerie wieder auf und ermöglichten und ermunterten schließlich die
Offensive der Konterrevolution und den Terror der reaktionären Freikorps, dem
bald auch Luxemburg und Liebknecht zum Opfer fallen sollten.

Der Rätekongress entmachtete sich durch sein mehrheitliches Votum für den
Kurs auf eine Nationalversammlung praktisch selbst. Damit war die einmalige
Chance vertan, die ArbeiterInnenrevolution in Deutschland in einem Zug zum Sieg
zu führen.

Kinderkrankheiten

Erst nach diesem herben Rückschlag für die Revolution, dem Scheitern der
Rätebewegung, erfolgte zur Jahreswende 1918/1919 die Gründung einer Partei, die
sich die sozialistische Revolution auf die Fahnen geschrieben hatte: der KPD.
Der Schärfe des Klassenkampfes entsprach die, mit der die unterschiedlichen
Strömungen, die an der Parteigründung beteiligt waren, aufeinanderprallten und
an der die junge Partei fast schon gescheitert wäre, noch ehe sie gegründet
war.

Die KPD kam mit einigen Geburtsfehlern zur Welt. Die Notwendigkeit der
Revolution zwang die RevolutionärInnen zum Hissen einer revolutionären Parteifahne,
aber diese war ein Flickenteppich. Der Diskussions- und Klärungsprozess vor der
Parteigründung war oft unzureichend. Vor allem gelang es nicht, die
revolutionären Obleute dabei einzubeziehen und für die KPD zu gewinnen.

Das Parteiprogramm, vor allem aber die politische Praxis ließen
Einheitlichkeit und klare Linie vermissen. Selbst der Spartakusbund war
keineswegs homogen. Dies schlug sich in Form der Parteistrukturen nieder. Die
KPD blieb zunächst eher föderalistisch organisiert, wirklichen demokratischen
Zentralismus gab es nicht.

Die widerstrebenden Interessen brachten es mit sich, dass sich in der
Organisation eher Strömungen durchsetzten, die eine antibolschewistische
Ausrichtung verfolgten und einen nationalen Sonderweg bevorzugten. Auch in der
Frage, ob in den Gewerkschaften oder nur bei den revolutionäre Obleuten
interveniert werden sollte, wurde keine Einigkeit erzielt. Das taktische
Eingehen auf eine Nationalversammlung, wie Rosa Luxemburg es vertrat, lehnte
die Mehrheit ab. Stattdessen ließ sie sich unter Führung von Liebknecht im
Januar 1919 in ein militärisches Abenteuer ziehen, den sog. Spartakus-Aufstand
in Berlin.

Die Konterrevolution ermordete noch vor den Wahlen zudem mit Luxemburg und
Liebknecht sowie im März mit Jogiches die wichtigsten FührerInnen der jungen
KPD. Von diesem Schlag erholte sich die Partei erst allmählich.

Trotz aller Unreife war ihre Gründung ein historisch notwendiger und
bedeutender Schritt, um eine eigenständige politische Entwicklung und
Organisierung von revolutionären MarxistInnen zu ermöglichen. Nur eine solche
eigenständige Partei konnte überhaupt einen politischen und organisatorischen
Attraktionspol für die ArbeiterInnenklasse verkörpern. Trotz vieler Fehler und
Schwankungen der KPD in den Jahren bis 1933 erwies sich, dass sie für die
Vorhut der Klasse, für die kämpferischsten Teile durchaus eine Alternative zu
Reformismus und Zentrismus darstellte.

Möglichkeiten

Nach 1918 gab es mehrere revolutionäre Situationen, zunächst der
Kapp-Putsch 1920, der darauf folgende Generalstreik und die Kämpfe der Roten
Ruhrarmee. Auch der von der jungen Sowjetunion gewonnene Bürgerkrieg und die
Festigung der Sowjetmacht hatten international große Anziehungskraft auf die
ArbeiterInnenmassen. In vielen Ländern entstanden danach revolutionäre
Parteien.

Der Durchbruch der KPD zur ArbeiterInnenmassenpartei erfolgte aber erst,
als die zentristische USPD zerfiel und sich Ende 1920 immerhin 300.000
USPDlerInnen mit der KPD vereinigten (VKPD). Die KPD verfügte bis dahin
höchstens über ein Fünftel dieser Mitgliedschaft – auch als Folge zahlreicher
innerparteilicher Konflikte, Ausschlüsse und Austritte.

Der politische, aber auch zahlenmäßige Niedergang begann nach den
politischen Fehlern von 1923, als die KPD (und die Komintern) die tiefe
revolutionäre Krise im Sommer viel zu spät erkannt hatten und dann einen
inkonsequenten Kurs auf den Aufstand verfolgten.

Die blutige Festigung der bürgerlichen Herrschaft nach 1923 in Deutschland
– Sturz der „ArbeiterInnenregierungen“ in Sachsen und Thüringen durch die
Armee, Niederschlagung des Hamburger Aufstandes – sowie der Aufstieg Stalins,
die Machtübernahme durch die Bürokratie und die Beseitigung der
innerparteilichen ArbeiterInnendemokratie in der Sowjetunion waren dabei
weitere wesentliche Faktoren. Selbst 1932 zählte die KPD immer noch nicht mehr
als 320.000 Mitglieder!

Doch noch viel stärker wirkte sich aus, dass sie unter Thälmann endgültig
eine stalinistische Organisation geworden war: zunächst zentristisch, ab 1935 –
mit der Annahme der Volksfrontstrategie – sogar reformistisch.

Sie war aufgrund ihrer von Moskau aufgezwungenen Doktrin außerstande, eine
ArbeiterInneneinheitsfront gegen den Faschismus zu schaffen und unterlag ihm
schließlich – kampflos. Bei aller Kritik dürfen wir allerdings nicht den
revolutionären Opfermut, den Willen und die Tatkraft der KPD-GenossInnen
vergessen – aus ihren, oft bitteren, Erfahrungen müssen wir lernen!

Lehren

Momentan gibt es in Deutschland keine revolutionäre Situation. Aber der
Kapitalismus ist weltweit in einer tiefen strukturellen Krise. Deshalb werden
die Klassenkämpfe zunehmen.

Die Geschichte zeigt, dass sich gerade in zugespitzten Situationen die
Sozialdemokratie als völlig unbrauchbar erwiesen hat – nicht nur für die
Überwindung des Kapitalismus, sondern auch bei der Verteidigung grundlegender
Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse. Doch auch der linke Reformismus oder
der Zentrismus stellten keine Alternative zur SPD dar, wie das Schicksal der
USPD und gegenwärtig die Linkspartei zeigen.

Die KPD war insofern ein notwendiges, ein logisches Resultat des Versagens
von SPD und USPD. Doch zugleich zeigte sich, dass die KPD im Unterschied zu den
Bolschewiki in Russland angesichts großer historischer Chancen und deutlich
besserer objektiver Bedingungen zum Aufbau des Sozialismus nicht in der Lage
war, die Führung der Klasse im Kampf zu erringen und den Kapitalismus zu
stürzen.

Was waren die entscheidenden Unterschiede zwischen der Entstehung der KPD
und jener der Bolschewiki?

Die MarxistInnen um Lenin führten schon frühzeitig einen kompromisslosen
politischen Kampf innerhalb der russischen Sozialdemokratie um Fragen der
Perspektive der Revolution und des Parteiaufbaus. Was damals viele, darunter
auch Trotzki, als überspitzte, sektiererische Manöver ansahen, erwies sich 1917
als entscheidend. Lenins bolschewistische Partei erwarb in diesen fraktionellen
Kämpfen gerade jene Eigenschaften, die den Bolschewiki in der Revolution den
Erfolg brachten: eine Beharrlichkeit in programmatischen Grundfragen, die
zugleich mit der Flexibilität verbunden war, die eigene Politik an der Praxis
zu messen und, wenn nötig, zu verändern, und einen geschulten, gestählten
Kaderkern, der im Feuer der Revolution standhielt.

Anders als Lenin versäumte es Rosa Luxemburg aber viel zu lange, ihren
politischen Kampf gegen den aufkommenden Reformismus in der SPD – den sie viel
eher und klarer sah als Lenin – mit entsprechenden organisatorischen Schritten
zu verbinden. Indem sie einen Fraktionskampf ablehnte, erschwerte sie nicht nur
die politische und organisatorische Polarisierung in der SPD, sie verzögerte
damit auch entscheidend die politisch-programmatische Klärung innerhalb der
revolutionären Kräfte. Als die Revolution dann auf der Tagesordnung stand, gab
es keine dieser Aufgabe gewachsene kommunistische Partei.

Luxemburgs Fehler und Schwächen – so tragisch sie vielfach waren – tun dem
revolutionären Charakter ihrer Politik aber keinen Abbruch. Sie gehört ganz
ohne Zweifel zu den wichtigsten kommunistischen TheorikerInnen und
PolitikerInnen.

Die Geburtsschwächen der KPD müssen uns jedoch heute eine politische Lehre
sein. Der Kampf für eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und die Entwicklung
einer kommunistischen Programmatik dürfen nicht leichtfertig auf die Zukunft
verschoben werden. Er muss hier und jetzt geführt werden.