GDL – Genossenschaft Deutscher Lokomotivführer?

Leo Drais, Infomail 1226, 12. Juni 2023

Die Führung der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL, Eigenschreibweise nicht gegendert) hat am 5. Juni an einem selbstverkündeten „Großen Tag“ ihre Forderungen für die Tarifrunde mit allen Unternehmen für 2023 präsentiert.

Mit viel Applaus wurden die „Fünf für Fünf“ aufgenommen: 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35 Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35- Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Neben diesen Forderungen gab es dann noch eine Überraschung. Die GDL hat zum Juni 2023 eine eigene Genossenschaft eintragen lassen, die als Leiharbeitsfirma zunächst Triebfahrzeugführer:innen für den Eisenbahnmarkt stellen will. Mitglied werden kann nur, wer in der GDL ist. Die Konditionen sollen dabei den Forderungen der GDL entsprechen.

Fair Train e. G.

Die Gründung der Genossenschaft Fair Train kommt nicht ungefähr. Sie ist eine versuchte doppelte Kampfansage: Sowohl an gewisse Eisenbahnunternehmen –  allen voran den „roten Riesen“ DB – aber auch in Richtung der Konkurrenzgewerkschaft EVG.

Bereits im Vorfeld sollen Gespräche über Fair Train gelaufen sein – natürlich nicht mit der Mitgliedschaft, die mehr oder weniger vor den Kopf gestoßen war, sondern mit den sogenannten Wettbewerbsbahnen, also Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die nicht im Eigentum des Bundes sind (sog. NE-Bahnen). Man muss ja als gute, als bessere Sozialpartnerin erstmal abchecken, ob der Sozialpartner Kapital überhaupt Interesse an den verliehenen Kolleg:innen hat.

Anscheinend gibt es dieses Interesse – und warum auch nicht. Insbesondere im Güterverkehr würde über Leiharbeit für die Unternehmen ein Risiko genommen werden, nämlich wenn man z. B. im Falle einer Wirtschaftskrise und abbestellter Güterzüge das lästige Personal an der Backe hat. Neben dem rollenden Material (das auch oft genug geleast ist oder gemietet) wäre man dann einen anderen laufenden Kostenfaktor los und man könnte sich ganz aufs Kerngeschäft, also Geld Verdienen, konzentrieren.

Den begünstigenden Rahmen für Fair Train stellen dabei im Gegensatz zum Fernverkehr auf der Straße zwei Faktoren da. Erstens ist, auch wenn der Eisenbahnmarkt europaweit liberalisiert ist, das Bahngeschäft nach wie vor ein vor allem nationales Ding. Während auf deutschen Autobahnen als Folge der EU-Osterweiterung sehr viele Fahrer:innen aus osteuropäischen Ländern unterwegs sind und es einen gnadenlosen Preiskampf nach unten gibt (ausgetragen u. a. über Lohnkosten, schlechte Arbeitsbedingungen usw.), fahren auf deutschen Gleisen in den allermeisten Fällen nach wie vor deutsche Lokführer:innen. Denn während die Sprache für das Fahren eines LKW quasi egal ist und die Straßenverkehrsregeln auch weitestgehend gleich sind, ist der Bahnbetrieb etwas, das zwingend die Landessprache voraussetzt sowie eine besondere Qualifikation, im jeweiligen Land Züge bewegen zu dürfen. Das begrenzt von vornherein natürlich den Arbeitskräftemarkt enorm, der – und das ist der zweite Aspekt – weitgehend leergefegt ist.

Das führt uns zum Kalkül der GDL-Chef:innen. Wenn ausreichend viele Lokführer:innen zu Fair Train wechseln, dann könnte sich die GDL zumindest für das Lokpersonal die Tarifverhandlungen sparen, sondern dem Markt einfach die eigenen Konditionen aufdrücken. Weit davon entfernt, diese Größe zu haben, werden die nächsten ein, zwei Jahre zeigen, ob die e. G. by GDL ein Experiment oder mehr ist.

Politisch falsch und fatal ist sie schon jetzt.

Kampf statt Markt

Die Idee, sich durch den Zusammenschluss zu einer Genossenschaft dem Gewitter des Marktes, also dem Druck der Kapitalist:innen zu entziehen, ist nicht neu. Gewisse Überbleibsel gibt es davon bis heute, etwa in Form von Wohnungsbaugenossenschaften, Volksbanken oder der Raiffeisensparkasse. Auch Produktionsgenossenschaften oder eine Art Arbeiter:innenselbstverwaltung sind nicht neu.

Für die Arbeiter:innenklasse birgt diese Strategie, Wettbewerb durch Wettbewerb zu ersetzen, mehrere problematische Aspekte:

  • Das Geschäftsrisiko der Kapitalist:innen wird automatisch zu unserem. Haben wir als Beschäftigte z. B. der Deutschen Bahn in Krisensituationen immer noch die Möglichkeit, die Kosten der Krise dem Konzern aufzudrücken (im Endeffekt kommt unser Lohn selbst in dem maroden Cargo-Laden immer noch pünktlich), gibt es diese Möglichkeit für Beschäftigte einer Leiharbeitsgenossenschaft nicht. Der Kunde bestellt die Dienstleistung ab und fertig.
  • Sollte Fair Train keine marktrelevante Stellung einnehmen, kann es sehr schnell in einen Preiskampf mit anderen Personaldienstleister:innen geraten. Die Mitglieder der Genossenschaft werden zu Selbstausbeuter:innen. Ökonomisch exakt betrachtet, sind sie es von vorneherein. Im Endeffekt muss hier auf einen Nachfrageüberhang für Arbeitskräfte spekuliert werden.
  • Nicht zuletzt bedeutet der Schwenk von der Gewerkschaft zur Genossenschaft auch nicht, einer Arbeiter:innenselbstverwaltung näherzukommen. Im Gegenteil wird hier wie in allen Genossenschaften zwar einmal im Jahr zur regulären Mitgliederversammlung geladen werden, die wirtschaftlichen Geschicke der Firma liegen aber ganz in den Händen einer intransparenten und nicht wählbaren Führung.
  • Die Genossenschaft wird also nicht nur einem Zentralisierungs- und Bürokratisierungsprozess unterzogen, sie fungiert vor allem als Kapital. Die GDL wandelt sich, je nach Erfolg der Unternehmung, von einer Gewerkschaft zu einer weiteren Zeitarbeitsfirma. Die Genossenschafter:innen mit einem hohen Anteil entwickeln sich entweder selbst zu Leuten, die vom Gewinn ihrer Unternehmung leben wollen. Die Genossenschafter:innen mit geringen Anteilen, die weiter als Lokführer:innen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, geraten in eine widersprüchliche Klassenposition – und das umso mehr, je höher ihr Anteil an der Genossenschaft ist.

Dass die Führung der Unternehmung intrasparent, nicht wählbar sein und gemäß dem Diktat des Marktes agieren wird müssen, bringt uns zurück zur aktuellen Situation. Einerseits befindet sich die GDL dank Tarifeinheitsgesetz z. B. bei der Deutschen Bahn AG in Konkurrenz zur Gewerkschaft EVG (über die man am „Großen Tag“ in populistischer Manier gepfeffert herzog, als sei sie die eigentliche Feindin, und wenn man sich den Eisenbahnbossen schon mit einer Leiharbeitsfirma andient, ist an dieser Vermutung vielleicht auch was dran – kampfstarke Streikgewerkschaft hin oder her), die bei der DB abgesehen vom Zugpersonal die Mitgliedermehrheiten innehat. Daher auch das Eintreten der GDL-Führung und Claus Weselskys für die Zerschlagung der DB. Für eine weitere Liberalisierung des Eisenbahnmarktes stünde die GDL dann schon mit Fair Train in den Startlöchern, ganz nach dem Motto: Egal, welches Unternehmen den Zug besitzen, mieten oder fahren lassen will: Wir stellen das Personal.

Dem was wir, auch aus Sicht einer Verkehrswende, brauchen, bringt uns das nicht näher. Anstatt einer Genossenschaft, wo sich die Eisenbahner:innen zusammenfinden sollen gegen einen durchliberalisierten Markt oder einen Managementselbstbedienungsladen DB, braucht es eine einzige staatliche Bahn, die wir als Eisenbahner:innen in Verbindung mit den lohnabhängigen Kund:innen demokratisch kontrollieren. Denn Eisenbahn können wir besser als „die da oben“ – sitzen sie im Bahntower, auf der Bühne oder uns gegenüber. Sie wollen alle nur das Beste für uns, Herr Seiler, Herr Weselsky und Herr Burkert – und doch sind sie die Fortsetzung einer eisenbahnzerstörenden Geschichte.




Tarifverhandlungen zur Leiharbeit: Protest sogar im DGB

Jürgen Roth, Neue Internationale 181, Juli/August 2013

Am 26. Juni 2013 scheiterte die 5. Verhandlungsrunde zwischen der Tarifgemeinschaft der DGB-Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden in der Leih- und Zeitarbeitsbranche BAP und iGZ. Die Gewerkschaften haben den am 31. Oktober auslaufenden Entgelttarifvertrag gekündigt. Sie fordern stufenweise eine Anhebung aller Entgelte, auf dass die unterste Lohngruppe (West) zunächst 8,50 Euro brutto (später 9) betragen soll. Im Mantel- und Rahmenentgelttarif wollen die Gewerkschaften bewirken, dass LeiharbeiterInnen nicht als StreikbrecherInnen eingesetzt werden dürfen. Außerdem soll die Rückwirkungsklausel für entgangene Ansprüche verkürzt werden.

Zu groß sind die Differenzen zwischen DGB-Tarifgemeinschaft und Arbeiter„geber“verbänden auch noch bei den Arbeitszeitkonten, bei der Neuregelung der Eingruppierungsmerkmale und der Angleichung zwischen Ost- und Westlöhnen. Die Vorstellungen der Unternehmerverbände belaufen sich hier auf eine Angleichung über 12 Jahre!

In 9 Branchen wurde Ende 2012 ein nach Dauer der Zugehörigkeit zum Entleihbetrieb gestaffelter Zuschlag für LeiharbeiterInnen vereinbart. Dieser soll jetzt für alle Branchen durchgesetzt werden. Außerdem läuft der Mindestlohntarifvertrag Ende Oktober aus. Zusammen mit BAP und iGZ möchte der DGB die unteren Entgeltgruppen per Rechtsverordnung gem. § 3 Arbeitnehmer-Überlassungsgesetz (AÜG) durch das Bundesarbeitsministerium für die ganze Leiharbeitsbranche verbindlich machen, auch für nicht tarifgebundene Arbeit„nehmer“Innen und Firmen.

Unmut regt sich

Das Tarifgeschäft der DGB-Gewerkschaften in der Leih- und Zeitarbeitsbranche wird aber nicht nur von Arbeit“geber“seite verhagelt. Bis in den Funktionärskörper hinein gibt es Unmut darüber, dass die Tarifverträge überhaupt verlängert werden.

Ähnliche Töne schlagen der Vertrauenskörper der KBA-MetalPrint GmbH und der DGB-Kreisverband Schwäbisch Hall in ihren Resolutionen an die IG Metall Stuttgart bzw. den DGB-Bezirk Baden-Württemberg an.

Die Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken (IVG) und das Stuttgarter Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ fordern: „keinen neuen Tarifvertrag (…) abzuschließen und stattdessen die Auseinandersetzung für eine erfolgreiche Umsetzung der equal-pay-Richtlinie zu führen.“

Am größten scheint aber der Protest bei ver.di zu sein. Der Bezirk Düsseldorf beschwert sich bei der tarifpolitischen Grundsatzabteilung beim Bundesvorstand über die Neuverhandlungen, die zudem noch ohne innerorganisatorische Diskussion stattfinden. Der Landesbezirksvorstand Niedersachsen / Bremen fordert auch equal pay und beschließt am 1. Juni, keine Verhandlungen vor der Bundestagswahl aufzunehmen.

Pro und Contra

Das nicht von der Hand zu weisende Argument der KritikerInnen: ohne Tarifvertrag müssen LeiharbeiterInnen genauso entlohnt werden wie die Stammbelegschaft. So schreibt es das unter der rot-grünen Regierung Schröder zuletzt geänderte AÜG vor (Equal Pay, Equal Treatment) vor.

Nur eine Minderheit innerhalb der Opposition ist allerdings so konsequent, die ersatzlose Kündigung der Tarife zu fordern. Die schwankenden Elemente aus dem Funktionärskörper dagegen kritisieren einen zu frühzeitigen Abschluss vor der Bundestagswahl bzw. vor dem 31.10.

Die Unterschriftenkampagne, die vom Stuttgarter Bündnis „Wir zahlen nicht für eure Krise!“ angestoßen wurde, trat immerhin eine breite, lebhafte Debatte innerhalb des DGB, v.a. innerhalb ver.dis los, welche die die Vorstände zwang, ihr Vorgehen mit allerlei juristischen Spitzfindigkeiten zu verteidigen.

Auch manche TarifvertragsbefürworterIn sieht die im November 2012 erzielten Branchenzuschläge lediglich als Zwischenschritt zu einer gesetzlichen Gleichbezahlung. Denn in diesen Branchen arbeiten nur 40% der LeiharbeiterInnen. Zudem greifen die Zuschläge erst nach einer Anstellungsdauer im Entleihbetrieb, die viele gar nicht erreichen, so der 2. Vorsitzende der IGM, Detlef Wetzel.

Doch ihre Hauptargumente für Abschlüsse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Tarifvertragslosigkeit bedeutet nicht automatisch „Equal Pay“, weil Tarifverträge unbefristet nachwirken;

2. muss ein Mindestlohn für die verleihfreie Zeit tarifvertraglich angestoßen werden, nur mit Lohn und Gehaltstarifverträgen gibt es einen Mindestlohn und eine Untergrenze für die Leiharbeit;

3. Mindestlohn-TV sichert tarifliche Lohnuntergrenzen in Entleihbetrieben, in denen Stammbeschäftigte weniger verdienen als LeiharbeiterInnen;

4. Mindestlohnvertrag schützt vor Lohndumping durch Leiharbeitsunternehmen aus dem europäischen Ausland;

5. andere Gewerkschaften wie der Christliche Gewerkschaftsbund (CGB) können Tarife vereinbaren, die Gefahr von Dumping-Tarifverträgen ist nicht gebannt.

Gegenargumente

Alle KontrahentInnen beklagen den Kleinmut in der Rechtfertigung der Gewerkschaftsspitzen. Nicht einmal kommt der Gedanke vor, bei einer strittigen Rechtslage auch die Basis zu mobilisieren! Ohne uns in juristischen Details zu verlieren, seien hier die Gegenargumente der TarifvertragsgegnerInnen aufgeführt:

zu 1.) Abgesehen davon, dass Leiharbeitsverhältnisse nicht nur zwischen Beschäftigten und der Entleih-, sondern auch der Verleihfirma von kurzer Dauer sind und häufig nach Arbeitseinsatz beendet werden, stellt sich die Frage, ob nachwirkende Tarifverträge gesetzliche Regelungen wie equal pay verdrängen können, wenn eine Seite deutlich macht, dass sie auch zukünftig keinen solchen mehr abzuschließen gedenkt. Es sieht in einem solchen Fall alles nach einer Entscheidung durch die Arbeitsgerichte aus.

zu 2.) Für die Behauptung, einen Mindestlohn könne es nur in Verbindung mit einer Entgelttabelle geben, führt der ver.di-Bundesvorstand keinerlei Beleg an. „Aus dem Gesetz lasse sich das nicht ableiten“, so Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler. Ein politischer Konflikt könne aber drohen, wenn künftig das Bundesarbeitsministerium ein umfassendes Tarifwerk zur Voraussetzung für die Allgemeinverbindlichkeitserklärung machte. Vergessen wird zudem, dass sich vorher beide Tarifparteien sozialpartnerschaftlich auf eine bundesweite Lohnuntergrenze einig sein müssen, bevor das Ministerium diese Verordnung erlassen kann.

Das zweite zentrale Argument der bürokratischen Spitzen lautet: ohne DGB-Tarifvertrag besteht eine „erhebliche Lücke in der verleihfreien Zeit.“ Däubler weist darauf hin, dass lt. AÜG die Zeitarbeitsfirma ihr Risiko, keinen Anschlussvertrag für ihre Arbeitskräfte zu finden, nicht auf diese abwälzen darf. In der Praxis kommt dieser Sachverhalt wohl ohnedies so gut wie nicht vor, da viele Arbeitsverträge für die Dauer der Einsätze befristet sind.

zu 3.) Dieser Fall ist aus dem luftleeren Raum gegriffen. Welcher Betrieb würde schon Leiharbeit„nehmer“Innen Stammpersonal vorziehen, das weniger verdient?

zu 4.) In Ländern wie Polen und Frankreich gibt es z.B. keinen Tarifvorbehalt. Hier herrscht equal pay. Zudem ist zur Verhinderung von Lohndumping aus dem Ausland der allgemeinverbindliche Mindestlohn entscheidend, nicht der reguläre Tarifvertrag. Letzteren gilt es zu kündigen, nicht ersteren!

Zu 5.) Zum 31. März endete das Engagement der Christlichen Metallgewerkschaft in der Zeitarbeit endgültig. 2010 erklärte die Arbeitsgerichtsbarkeit ihre Tarifabschlüsse für nichtig. Der CGM-Bundesvorsitzende Adalbert Ewen erklärte: „Wenn keiner mehr einen Tarifvertrag in der Zeitarbeit abschließt, dann gilt equal pay!“ Dass das den DGB auch in Zukunft nicht hindern werde, Abkommen mit den Verbänden der Zeitarbeitsunternehmen zu schließen, kommentiert er: „Aber warum eigentlich? Wir fallen doch jetzt als Ausrede weg.“

Wie reagieren?

Bei der Phantasie der Kapitalisten, Verträge und Gesetze zu ihren Gunsten zu umgehen oder auszuhebeln, ist aber nicht auszuschließen, dass eine Gewerkschaft von außerhalb des DGB zu Dumpinglöhnen  und -konditionen abschließt. Kann dies aber ein Grund sein, gleiche Bedingungen für Beschäftigte in der Leiharbeit zu verhindern? Wie ängstlich und kleinmütig muss eine Gewerkschaftsführung sein, einem solchen Angriff seitens einer Minigewerkschaft von vornherein auszuweichen, statt auf ihre Mitglieder zu setzen, die das equal pay-Prinzip hundert Mal energischer verteidigen würden als jetzige Leiharbeitstarife. Schließlich hat der weit verbreitete Unmut in den Reihen des DGB eine seiner Ursachen in der deutlichen Ablehnung der Leiharbeitstarife durch z.B. die IGM Ende letzten Jahres einerseits, andererseits im Unverständnis dafür, im Rahmen der Branchenzeitzuschläge Leiharbeit doch wieder salonfähig zu machen, wenn auch etwas besser bezahlt.

Aus inoffizieller Quelle heißt es, dass die Zeitarbeitstarifabkommen von Anfang an beim DGB ein ungeliebtes Kind gewesen seien. Die Probleme der Teilgewerkschaften mit Leiharbeit seien sehr unterschiedlich. Mit „der“ Politik wolle und könne man sich nicht anlegen. Der damalige „Kompromiss“ mit Schröder – nennen wir es lieber Verrat – habe die Gewerkschaften mehr geschwächt als gestärkt. Diese Politik des organisierten Zurückweichens begründen einige mit dem Argument: „Die Gewerkschaften sind zunächst ihren Mitgliedern verpflichtet.“ Angesichts von „nur“ 3 Prozent LeiharbeiterInnen seien deren Interessen eher nachrangig. Der Arbeitsrechtler Holger Thieß trifft des Pudels Kern: „Die große Mehrheit der Mitglieder ist nicht persönlich betroffen. Und immerhin steigert eine günstige und praktikable Leiharbeit die Wettbewerbsfähigkeit vieler Unternehmen und sichert dadurch die Stammarbeitsplätze.“

Der merkliche Protest eines Großteils der GewerkschafterInnen straft ihn Lügen.

Die aktuelle Situation in den Gewerkschaften bietet eine Chance, den Kampf gegen Leiharbeit zu beschleunigen, wenn sich die Opposition nicht zu sehr in juristischen und tariftechnischen Details veliert. Denn natürlich muss auch die Gewerkschaftslinke davon ausgehen, dass Staat und Justiz die Kündigung der DGB-Tarifverträge so außer Kraft setzen können, dass sie eben nicht zum equal pay führen.

Politischer Streik

Die fortschrittlichste Rolle in dieser Kampagne spielen das Stuttgarter Antikrisenbündnis und die IVG. Aus ihren Reihen stammen Vorschläge, die Kündigung der Zeitarbeitstarifverträge als erste Stufe zu einem gesetzlichen Verbot der Leiharbeit in Angriff zu nehmen. Dies geht allerdings nur unter einer Bedingung: dass die linke Opposition klar und eindeutig das AÜG einschließlich des Entsendegesetzes ablehnt. Diese Klarheit kommt aber nicht zum Ausdruck. In der Argumentation wird unseres Erachtens zu einseitig betont, entsprechende Passagen im AÜG auszunutzen. Dies suggeriert, die organisierte Arbeiterbewegung könne es, von seinen Makeln befreit, für sich in Bewegung setzen. Beides sind aber bürgerliche Gesetze, die prekäre Arbeitsverhältnisse regeln sollen im Interesses des BRD-Gesamtkapitals, Leiharbeit zum Einen, Arbeitsimmigration zum Anderen!

Die Arbeiterklasse braucht deshalb politische Forderungen, die branchenübergreifende Interessen aller Arbeitenden einschließlich der LeiharbeiterInnen und EinwanderInnen verkörpern: Verbot von Leiharbeit und Scheinwerksverträgen! Für einen gesetzlichen Mindestlohn von 11,- Euro netto und steuerfrei! Entschädigungslose Enteignung der Leiharbeitsfirmen! Weg mit AÜG und Entsendegesetz! Für einen Plan gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zu Tariflohn und unter Arbeiterkontrolle, bezahlt aus Unternehmerprofiten! Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!