Vorwort – Wohin treibt Europa?

Redaktion, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Krise der Europäischen Union, der britische Brexit, der wachsende Rechtspopulismus und Rassismus auf dem Kontinent verdeutlichen – in Europa, vor allem in der EU und Eurozone, treten die grundlegenden Widersprüche unserer Periode deutlicher hervor als in anderen imperialistischen Staaten oder Zentren.

Kein Wunder! Die EU selbst ist von tiefen inneren Gegensätzen durchzogen. Es wurde zwar ein Binnenmarkt geschaffen. Aber, anders als die USA, China oder selbst Japan und Russland ist die Union kein einheitlicher Staat.

Mit der größer gewordenen Dominanz Deutschlands traten auch die Gegensätze während der Krise deutlicher hervor – und daran droht die EU zu zerbrechen.

Sicher weint kein/e Linke/r einem imperialistischen „Einigungsprojekt“ eine Träne nach. Zugleich sollte aber auch niemand vergessen: Der Zerfall der EU in einzelne „unabhängige“ Nationalstaaten, der Austritt aus der Union oder der Eurozone stellt auf der Basis des kapitalistischen Staates eine reaktionäre Antwort auf die Krise dar. Die Erweiterung der Produktivkräfte, ein größerer Wirtschaftsraum, engere, übernationale ökonomische Verbindungen, vereinheitlichtere Kommunikations- und Verkehrssysteme, größere Freizügigkeit der Arbeitskraft stellen einen Fortschritt dar, auch wenn sie unter der Ägide des Finanzkapitals „von oben“ durchgeführt wurden. Mit dem Zerfall der EU in einzelne Nationalstaaten werden auch die Grenzen zwischen den ArbeiterInnenklassen Europas wieder errichtet, wird die rassistische Abschottung weiter verstärkt. Darum waren und sind die Auswirkungen des Brexit reaktionär.

Die Krise der EU verdeutlicht aber auch eines. Die Kapitalistenklassen und die imperialistischen Staaten sind nicht fähig, den Kontinent zu einen. Es sind ihre eigenen Klasseninteressen, die einer Einigung im Wege stehen oder ihr allenfalls die Form der zeitweiligen Unterordnung anderer geben können. Als Alternative zur imperialistischen Einigung droht die Zersplitterung des Kontinents, die die Beherrschung der „schwächeren“ Staaten durch die tradierten europäischen oder außereuropäischen Mächte nicht aufheben, sondern ihr allenfalls eine andere Form geben wird. Die „nationale Unabhängigkeit“ einer vom Weltmarkt getrennten „eigenständigen“ Entwicklung ist eine reaktionäre Fiktion, in der imperialistischen Epoche eine Utopie.

Die einzig fortschrittliche Alternative zur Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der Finanzkapitale Deutschlands, Frankreichs und ihrer Juniorpartner ist die Schaffung Vereinigter Sozialistischer Staaten von Europa.

Nur die ArbeiterInnenklasse vermag Europa zu einen. Dazu braucht sie jedoch eine politische Zielsetzung, eine Strategie, ein Programm und auch eine internationale, revolutionäre Partei. Diese Themen bilden den Rahmen dieser Ausgabe des „Revolutionären Marxismus“.

Wir eröffnen sie mit drei Resolutionen, die der Kongress unserer internationalen Strömung, der Liga für die Fünfte Internationale, im Frühjahr 2016 verabschiedet hat.

Der erste Text „Internationale politisch-ökonomische Perspektiven“ ist eine umfangreiche, wenn auch thesenartige Darstellung der Weltlage.

Darauf folgen die „Abschlusserklärung des Kongresses“ und die Resolution „Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse“.

Seit dem Kongress der Liga sind nur wenige Monate vergangen. Seither haben sich in vielen Regionen die politischen Ereignisse überstürzt. Das ist selbst ein Zeichen dafür, dass wir in einer historischen Krisenperiode, einer Phase des Umbruchs leben, die durch tiefe Krise des Gesamtsystems und durch den Kampf um eine Neuaufteilung der Welt gekennzeichnet ist. Eine solche Krise hat auch zur Folge, dass sich politische Veränderungen viel rascher vollziehen.

Auch wenn die Resolutionen des Kongresses mittlerweile durch eine ganze Reihe von politischen Entwicklungen ergänzt werden könnten, so haben diese umgekehrt die grundlegende Einschätzung vom März 2016 bestätigt.

Die Resolution zu Europa steht in diesem „Revolutionären Marxismus“ am Ende der Kongresstexte, weil sie auch den Übergang zu einem thematischen Schwerpunkt dieser Ausgabe bildet. Im Artikel „EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa“ beschäftigt sich Tobi Hansen mit den inneren Widersprüchen der kapitalistischen Vereinigung Europas und legt dar, warum es notwendig ist, an die Losung Trotzkis und der frühen Kommunistischen Internationale anzuknüpfen.

Im Anschluss veröffentlichen wir eine Resolution des Internationalen Sekretariats der Liga für die Fünfte Internationale „Das Referendum über den Brexit und seine Nachwirkungen“ und die Polemik „Varoufakis rettet Europa“, die die sozial-demokratischen Rezepte des ehemaligen Finanzministers aufs Korn nimmt.

Darauf folgen zwei Texte, die sich mit dem zunehmenden Rassismus in Europa, seinen Ursachen und der Politik der ArbeiterInnenbewegung und Linken beschäftigen. Anne Moll und Martin Suchanek widmen sich dem Thema „Imperialismus, Rassismus und die deutsche Linke“ und unterziehen dabei die Strategie unterschiedlicher Strömungen einer Kritik. Darauf folgt die Resolution „Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa“, die Arbeiter*innen*standpunkt und Gruppe ArbeiterInnenmacht im März 2016 gemeinsam verabschiedet haben und deren grundsätzliche politische Ausrichtung weiter aktuell ist.

Die Zerrüttung der Verhältnisse geht auch an den „tradierten“ politischen Organisationen nicht vorbei. Michael Märzen widmet sich ihnen und ihren Ursachen in einem Diskussionsbeitrag „Der Niedergang der SPÖ“. Im abschließenden Kapitel stellt er dar, welche Aufgaben sich daraus ergeben. Über die Tiefe und Signifikanz der SPÖ-Krise und die Bedeutung und Möglichkeiten des „Aufbruchs“ besteht allerdings im AST noch Diskussionsbedarf.

Die letzten beiden Artikelkomplexe beziehen sich auf die „radikale Linke“ in Deutschland und international. Wilhelm Schulz bilanziert in „Bilanz und Lehren eines Umgruppierungsprojekts“ die Geschichte, die Möglichkeiten und das Scheitern der „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NaO). Sein Beitrag wird durch Tobi Hansens Replik auf die NaO-Bilanzen von „Lila Wolken“, isl und RSB sowie ihrer Antworten auf die Dokumentierung der Auflösungserklärung der NaO abgerundet.

Schließlich veröffentlichen wir eine ausführliche Kritik der „Fracción Trotskista“ (FT), die in Deutschland durch RIO vertreten wird. Ihren Anspruch, den „orthodoxen Trotzkismus“ zu repräsentieren, vermag sie nicht einzulösen. Stattdessen tritt ihr workeristischer Maximalismus zutage.

Die beiden letzten Themenkomplexe – NaO und FT – mögen auf den ersten Blick den „großen Themen“ wie Krise der EU, Rassismus fern erscheinen. Manche mögen sie als „Kleingruppengezänk“ oder „innerlinke“ Debatte abtun. Wir halten eine solche Herangehensweise für oberflächlich. Wenn die Schwäche der „radikalen Linken“ überwunden werden soll, so muss die „radikale Linke“ nicht nur praktisch wirksamer werden, sie muss auch und vor allem theoretisch, programmatisch, taktisch, also in ihrem Verständnis des Marxismus aufrüsten, also die inhaltliche Auseinandersetzung forcieren.




Internationale politische und ökonomische Perspektiven

10. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, März 16, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Einleitung

Die internationale Lage ist von wachsender Instabilität, Reibung und offenen Konflikten zwischen Staaten gekennzeichnet. Während im vergangenen Jahrhundert kaum eine Periode ohne irgendeinen Krieg auf der Welt verstrichen ist, war 2015 das erste Jahr seit Jahrzehnten, in dem hauptsächlich lokale Auseinandersetzungen wie in der Ukraine, in Syrien, im Jemen die Großmächte mit hineingezogen haben und drohten, sich zu militärischen Konfrontationen zwischen ihnen auszuwachsen. Der syrische Bürgerkrieg hat ein Ausmaß an Zerstörung und Gefahr für den Weltfrieden erreicht, das jenem im früheren Jugoslawien der 90er, Spanien der 30er Jahre und den Balkankriegen 1912 – 1914 ähnelt. Überdies haben Konflikte wie in Syrien oder der Ukraine unweigerlich Nachwirkungen über die Grenzen dieser Länder hinaus. Millionen fliehen aus ihren Heimatländern und suchen Zuflucht tausende Kilometer entfernt. Auch der Handel ist bei den Staaten, die nicht unmittelbar darin involviert sind, unterbrochen.

Zugleich sind neue Handelsblöcke wie das von den USA dominierte TTP und das RCEP unter Führung von China, sowie das geplante TTIP, das wiederum den USA die größten Vorteile verschaffen würde, eindeutig dazu bestimmt, die Hauptkonkurrenten von diesen Blöcken auszuschließen. Dies wiederum legt die Grundlage für künftige Konflikte. Die sich bildenden Handelsblöcke umreißen geographisch die Zonen mit dem größten Konfliktpotenzial und enthüllen die Bruchlinien, an denen die Großmächte und ihre untergeordneten Staaten sich reiben und aneinandergeraten werden.

Zusätzlich hat die Europäische Union eine Reihe massiver Schockwellen durchlebt: drohenden Zusammenbruch des Bankensystems; Staatsschuldenkrise ihrer schwächeren Mitglieder; eine mögliche dauerhafte Desintegration des Schengen-Raums angesichts der Weigerung vieler Staaten, Flüchtlinge aufzunehmen; die Bedrohung durch den Brexit.

Diese Blöcke sind noch nicht voll ausgeformt oder verfestigt, zumal politische und strategische Bündnisse sich noch verändern können, aber die Triebkräfte sind im Wesen wirtschaftlicher Art. Allem anderen liegt der generelle Trend der Profitrate zu Grunde, der in allen imperialistischen Großmächten, v. a. in den USA, aus jedem Konjunkturzyklus niedriger hervorgeht. Dieser Trend kann bis zu den 70er Jahren zurückverfolgt werden. In jedem Investitionszyklus sind damit eine Ausdehnung des Fixkapitalstocks und finanzielle Erfordernisse verknüpft, die immer weniger durch die langsamer wachsende Profitmasse finanziert werden können. Diese Überakkumulation von Kapital, auf die Marx angespielt hat, als er schrieb: die wahre Grenze für die kapitalistische Produktionsweise ist das Kapital selbst“, kann nur durch eine gewaltige Kapitalvernichtung bereinigt werden. Wie bei früheren Krisen war die politische Antwort der kapitalistischen Regierungen 2008 die Verhinderung von Bankrotten, die eine solche Vernichtung gebracht hätten, in diesem Fall ging es um die Rettung der Banken, die „zu groß zum Scheitern“ gewesen waren.

Die Politik, mit der man versuchte, der Krise in den großen Ökonomien Herr zu werden, bestand aus Niedrigzinsen, Regierungsinvestitionen, Lockerung des Geldflusses (Quantitative Easing, QE) auf der einen sowie aus Kürzungen bei Sozialausgaben auf der anderen Seite. Doch weder das eine noch das andere löste das grundlegende Problem, vielmehr trugen diese Maßnahmen zu seiner Verschlimmerung bei. Gelder flossen weiter in den spekulativen Bereich und führten zu Fusionen und Aufkäufen statt in produktive Investitionen; die Kürzungen bei den Ausgaben drosselten den Verbrauch; geringere Steuern auf hohe Einkommen vergrößerten soziale Unterschiede.

Zugleich fordern die langfristigeren Auswirkungen der Aufteilung der Welt zwischen wenigen Großmächten und der großen Mehrheit von Staaten, in denen der Hauptteil der Menschheit lebt, weiter ihren Tribut. V. a. in Afrika sind Millionen zu Hunger, Krankheit und Armut verdammt, denn ihre Länder werden ihrer Quellen und Rohstoffe beraubt, um die Ökonomien der imperialistischen Länder zu füttern. Je mehr der Erdteil zum Streitobjekt zwischen Imperialisten oder deren Helfern wird, desto mehr nimmt eine steigende Anzahl von Regimen – selbst in formal demokratischen Staaten – Zuflucht zu bonapartistischen und autoritären Maßnahmen,.

Hinzu kommt der längste Trend von allen, die zunehmende Erderwärmung, die sich über der ganzen Welt zusammenbraut. Wie in den Jahren vor den 2 Weltkriegen, als die Großmächte Friedenskonferenzen abhielten, doch längst Kriegspläne schmiedeten, so werden heute Klimakonferenzen und Absichtserklärungen zur Schau gestellt, während die Konzerne und ihre Staaten bereits ihre Pläne zur Ausweitung von Kohlenwasserstoffgewinnung in Regionen fertig stellen, die aufgrund des Klimawandels besser ausbeutbar werden könnten.

Keine dieser Tendenzen entwickelt sich in einem luftleeren Raum. Alle haben Auswirkungen auf die Gesellschaft. In den vergangenen Jahren sind gelegentlich bemerkenswerte oppositionelle Bewegungen entstanden, die zumindest einen Eindruck von den gesellschaftlichen Kräften geben, die nicht nur gegen bestimmte Erscheinungsformen aufbegehren können, sondern auch gegen das System, das sie hervorbringt.

Viele politische Parteien oder deren Führungen erfuhren an der Regierung Verluste an Rückhalt in der Bevölkerung: von Mahinda Rajapaksa in Sri Lanka auf der Rechten bis zu Nicolás Maduro und Cristina Kirchner-Fernández de Kirchner und Dilma Rousseff auf der populistischen Linken. Dies liegt auch dem erdrückenden Sieg Narendra Modis von der chauvinistischen Hindu-Partei BJP über die indische Nationalkongress-Partei zu Grunde. Diese erlitt ihre schlimmste Niederlage aller Zeiten. Der Aufstieg von Bernie Sanders und Donald Trump in den USA, die Erfolge von Marine Le Pen in Frankreich, von Pablo Iglesias und Podemos in Spanien, der Triumph Jeremy Corbyns in der britischen Labour Party: dies alles sind Anzeichen für eine gewaltige Zunahme des Unmutes der Massen mit der etablierten Ordnung auf beiden Polen des politischen Spektrums.

Wie die Lösungsversuche der kapitalistischen Regierungen zur Behebung ihrer Systemkrise haben die Oppositionsbewegungen Taktiken und politische Maßnahmen ergriffen, die den Aufgaben völlig unangemessen waren. In der Erforschung und Bewertung der gegenwärtigen Lage und der Erarbeitung eines eigenen Programms, von Strategien und Taktiken auf dieser Grundlage müssen RevolutionärInnen deshalb sowohl die Dynamik der wirtschaftlichen und politischen Kräfte wie auch die Hauptirrtümer der derzeitigen Oppositionsbewegungen bloßlegen.

Die wirtschaftlichen Grundlagen und Hintergründe

Der Druck der Finanzkrise von 2008 auf den Welthandel erzeugte ein hohes Maß an Gleichzeitigkeit bei der darauf folgenden Rezession. „Lokale“ Faktoren bestimmten jedoch die antirezessive Politik in den verschiedenen Ländern. Dadurch kam es zu unterschiedlichen Formen der Erholung in den verschiedenen Teilen der Welt. Jede dieser Maßnahmen erwies sich allmählich als unzureichend, um das Wirtschaftswachstum zu erhalten, auch wenn dies in einigen Fällen vorübergehend gelang.

Die USA, immer noch bei weitem die größte Wirtschaft, durchlief eine Mischung aus Rezessionen und stockender Erholung. Die Produktionsstandards der Vorkrisenzeit wurden erst 2015 wieder erreicht. Die Politik des lockeren Geldflusses, die ursprünglich als Teil der Rekapitalisierung der Banken, die „zu groß zum Scheitern“ waren, aufgelegt wurde, wurde Jahr für Jahr ausgeweitet, weil der Wirtschaftsmotor nicht wie erwartet ansprang. Nur ein geringer Teil der in das System gepumpten Milliarden floss in die Erneuerung industrieller Anlagen; der Großteil hingegen befeuerte einen spekulativen Boom an den Aktienmärkten bzw. finanzierte Zusammenschlüsse und Aufkäufe, was wiederum eine größere Kapitalkonzentration bewirkte.. 2015 überstieg der Aktienwert an der New Yorker Börse den von 2007 um das Dreifache. Der Shiller-Preis/Gewinn-Index für die S&P 500, der die Aktienpreise gegen die längerfristige Produktivität der zu Grunde liegenden Werte misst, stand bei 27. Ein Wert über 25 kam nur dreimal vor: 1929, 1999 und 2007 (drei in der Geschichte des Finanzwesens wohlbekannte Daten) – dies weist neben anderen Beobachtungen darauf hin, dass die Finanzmärkte erneut in eine Hochrisikoperiode geraten sind.

Das heißt allerdings nicht, dass es keine Investitionen in produktive Anlagen gegeben hätte. Doch, die gab es. Die Entwicklung von neuen Industrien wie Ölschiefer- und Schiefergas-Förderung, erneuerbare Energiequellen und neue Technologien im Verein mit einigen Umrüstungen von bestehenden Industrien wie bei (Last-)Kraftfahrzeugen hat stattgefunden und wirft auch Profit ab. Nichtsdestotrotz sind solche Tendenzen im Vergleich zum Umfang der Wirtschaft jedoch vorerst Randerscheinungen. In der Gesamtwirtschaft spiegelt sich insgesamt betrachtet der Mangel an Investitionen in neue Anlagen in den Zahlen des Produktivitätsanstiegs vor und nach der Krise wider. Zwischen 1991 und 2008 stieg das Wachstum im Jahresschnitt um 2,3 %,; zwischen 2011, also nachdem der anfängliche Druck durch die Krise nachließ, und 2014, als eine zyklische Erholung normalerweise hätte voll greifen sollen, lag der jährliche Schnitt dagegen bei gerade einmal 0,5 %.

China wiederum, die zweitgrößte Wirtschaft der Welt, steht vor ganz anderen Schwierigkeiten, die in der heimischen Wirtschaft begründet, jedoch mit grundlegenden internationalen Auswirkungen verbunden sind. Chinas Aufstieg zur Weltmacht fußte auf seinem Export. Durch den dramatischen Niedergang des Welthandels nach 2008 wurde Peking von einer wirtschaftlichen und politischen Unordnung bedroht. Die Antwort der Regierung bestand in einem sofortigen Konjunkturanreizpaket, das die Wirtschaft außerhalb der Küstenzonen entfalten helfen und den Verbrauch im Binnenland ankurbeln sollte.

Das 400 Milliarden $-Paket hat das BIP-Wachstum zweifelsohne durch riesige Investitionen in Infrastruktur und neue Industrieanlagen wieder befördert. Doch endete dieser Boom bereits 2014, und als sich selbst die Wachstumswerte der offiziellen Statistik entschleunigten, stellte sich heraus, dass dieser Anreiz die zu Grunde liegenden Schwächen der chinesischen Ökonomie noch verschärft hat.

Praktisch hatten Staatsunternehmen von den Staatsbanken Geld zu niedrigen Zinsen geliehen, um Projekte zu finanzieren, die entweder bestehende Vermögenswerte verdoppelten oder einfach nicht rentabel waren. D. h. die Anleihen konnten nie zurück gezahlt werden und somit eine Gefahr für den Bestand der Banken selber. Überdies stellten Chinas „Schattenbanken“ während des Aufschwungs Geld zur Verfügung, zur Hauptsache für Privatinvestoren oder Konzerne, die von der fieberhaften wirtschaftlichen Tätigkeit auch gern profitieren wollten. Jeder Abschwung birgt die Gefahr für Firmen, ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen zu können, und daraus folgend den Zusammenbruch von Banken, weil sie vom Staat nicht gestützt werden. Die beiden Bereiche des chinesischen Bankensystems, der staatliche und der Schattenbereich, können deswegen in Zukunft zu Finanzkrisen führen. .

Chinas neue Führung mit Xi Jinping und Li Keqiang, die erst nach einem langen Fraktionskampf in der chinesischen KP ans Ruder kamen, hat keine andere Wahl, als den gordischen Knoten zu zerschlagen, der die Staatsbanken und Staatsindustrien aneinanderkettet. Das aber wirft massive politische Probleme auf, weil das Bindeglied zwischen beiden die regierende KP selber ist.

Xis Strategie will die Staatsbanken bis zu einem gewissen Grad der Konkurrenz ausländischer Banken aussetzen, die bisher nur in den beschränkten „Freihandelszonen“ Geldeinlagen annehmen und Kredite vergeben dürfen. Damit hofft Xi, die Banken zu zwingen, ihre eigenen Operationen zu rationalisieren und ihre Geschäfte mit den Staatsunternehmen nach streng kommerziellen Grundsätzen vorzunehmen. So sollen die „Marktkräfte“ die Gewinner und Verlierer in der Wirtschaft zu bestimmen beginnen können.

In der Binnenwirtschaft ist die Bühne für eine Runde der Rationalisierung bereitet. Peking will zweifellos stufenweise vorgehen, wie es dies bei politischen Veränderungen in der Vergangenheit getan hat. Aber die KP-FührerInnen sind nicht allmächtig und der zyklische Abschwung könnte Kräfte freisetzen, die nicht so leicht zu kontrollieren wären.

Im ostchinesischen Meer liegt die drittgrößte Wirtschaft der Welt, Japan. Im Herbst 2015 befand sich der Inselstaat in seiner 5. Rezession seit 2009; allein dies verdeutlicht das Ausmaß seiner Schwierigkeiten. Seit Beginn der zweiten Amtszeit als Premierminister Ende 2012 hat Shinzo Abe eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die lang anhaltende Deflation und eine stagnierende Ökonomie zu überwinden. Seine „Abenomics“ bestanden im Wesentlichen aus Abwertung der Yen-Währung, die Einführung negativer Zinsraten und einem Anstieg der Staatsausgaben.

Innerhalb von 6 Monaten fiel der Yen um 25 % gegenüber dem US-Dollar, und die jährliche BIP-Zuwachsrate lag bei 3,5 %; dieser Wert konnte jedoch nicht gehalten werden. Die Abwertung zog eine Preiserhöhung der Einfuhren nach sich; Japan musste nach dem Tsunami von 2011 und der Schließung von Kernkraftanlagen fossile Brennstoffe einführen. Außerdem wurden zur Abtragung von Staatsschulden 2014 die Verbrauchssteuern von 5 auf 8 % erhöht. Dies wiederum wirkte sich einschränkend auf den Konsum aus und die BIP-Zuwachsrate sank um 6,9 % im Jahresmittel.

Die Europäische Union (EU) hat eine Reihe von großen Schocks durchlitten; der drohende Kollaps des Bankensystems, die Staatsschulden ihrer schwächeren Mitglieder, eine mögliche permanente Desintegration des Schengenbereichs durch die Verweigerung vieler Mitgliedsstaaten, Flüchtlinge hereinzulassen und die Drohung eines Verlassens der EU durch die Britten.

Wenn die Europäische Union eine einzelne wirtschaftliche Einheit wäre, würde sie die größte der Welt sein. Doch in Wirklichkeit sind es 28 nationale Ökonomien, und deren Unterschiede drohen die Grundlagen ihrer Koordination, die sich herausgebildet hat, zu untergraben.

Von Anfang an wurde die EU von einem Bündnis zwischen zwei imperialistischen Mächten, Deutschland und Frankreich, beherrscht. Ihre Herrschaft gründete sich auf die EU-Bürokratie und die Einführung des Euro, einer Währung nach dem Muster der D-Mark und reguliert durch die Europäische Zentralbank, die wiederum nach dem Vorbild der Deutschen Bundesbank aufgebaut worden war.

Trotz Jahrzehnte währender Zusammenarbeit und einiger Beispiele von Verschmelzung von deutschem und französischem Kapital wie in der Luft- und Raumfahrt oder im Chemiebereich bleiben beide doch zwei getrennte Nationalstaaten mit eigenen Interessen. Heute beherrscht das deutsche Kapital den gesamten europäischen Binnenmarkt, der Handelsüberschuss gegenüber Frankreich schwankt zwischen 25 und 35 Milliarden Euro jährlich.

Ein weiterer Störfaktor stellt die Rolle Britanniens dar, das immer noch über einen mächtigen Finanzplatz verfügt, aber kein Mitglied der Eurozone ist. Britannien war die treibende Kraft bei der EU-Erweiterung in Richtung Mittel- und Osteuropa, doch es stellt sich gegen die Bestrebungen nach einer „immer größeren Gemeinschaft“ von Ökonomien in der EU, was als beschönigender Ausdruck für noch größere deutsche Kontrolle gedeutet wird. Diese Spannungen zwischen den größten Nationen bringen die zwei möglichen Richtungen zum Ausdruck, in die sich die EU bewegen könnte: eine weitere Integration unter deutscher Vorherrschaft, was die Bourgeoisien der kleineren Länder auf kaum mehr als Kompradoren herabstufen würde, oder die Teilung in zwei oder mehr Blöcke, die die führenden Nationen um sich scharen könnten. Damit aber wäre Europa als möglicher Hauptdarsteller auf der Weltbühne erledigt.

Das strategische Ziel, Europa zu einigen, um mit den USA und China zu konkurrieren, wie es die „Lissaboner Agenda“ vorsah, erhielt einen ernsten, wahrscheinlich entscheidenden Rückschlag 2004/2005 durch das Scheitern, eine gemeinsame europäische Verfassung zu verabschieden. Mit der Verfassung wäre ein notwendiger institutioneller Rahmen gegeben gewesen, der das gesteckte Ziel der Vereinheitlichung hätte erreichbar werden lassen. Die Kräfte, die das Ziel getrennter Blöcke verfolgen, können bereits auf dem rechten Flügel in mehreren Ländern ausgemacht werden. Auch die Entscheidung Britanniens über eine Abstimmung zur fortgesetzten Mitgliedschaft in der EU ist ein Ausdruck davon.

Unmittelbar nach der Krise 2008/2009 schien es so, dass der größte Teil der EU deren Auswirkungen nicht so stark zu spüren bekommen würde, bedingt v. a. durch die Stärke der deutschen Wirtschaft, in der die Profite vor der Krise hoch lagen und zwar durch die neoliberalen Reformen der SPD/Grünen-Regierung unter Schröders Kanzlerschaft. Doch dieser Glaube erwies sich bald als Luftschloss, besonders für Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, die sogenannten PIIGS-Staaten, wie sie verächtlich genannt wurden. Diese Länder waren gezwungen, über den Mechanismus des Euro, Austeritätspakete zu schnüren als Gegenleistung für die finanzielle Rettung ihrer bankrotten Institutionen.

Dem folgte der Arbeitsplatzverlust für Millionen ArbeiterInnen auf dem Fuße. Die Arbeitslosenquote schwoll seit 2009 in Süd- und Osteuropa auf zwischen 20 und 25 % an, bei Jugendlichen gar über 40 % in etlichen Ländern. In der EU lebt insgesamt ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Armut. In Süd- und Osteuropa liegt der Anteil über 30 %, in Bulgarien sogar bei fast 50 %, und zeigt die tiefste soziale Not. Die Gesamtzahl der Arbeitslosen in der EU beläuft sich auf beinahe 30 Millionen, 20 Millionen davon leben in der Eurozone.

Der russische Imperialismus schien sich bis zur Ukraine-Krise weltpolitisch und ökonomisch unter dem bonapartistischen Regime Putin restabilisiert zu haben und versuchte auch den weiteren Verlust von Einflussgebieten an die USA und europäische Mächte einzudämmen, während gleichzeitig mit den europäischen Mächten – vor allem mit Deutschland – eine „strategische Partnerschaft angestrebt wurde. Doch die militärische Macht Russlands, seine globale politische Rolle und die Machtkonzentration in Putins Regime können nicht verbergen, dass Russland ökonomisch die schwächste aller imperialistischen Mächte ist.

Ein Großteil der Deviseneinkünfte hängt unmittelbar am Export von Rohstoffen zur Energiegewinnung. 2013 waren es 71,2 %. Die wirtschaftliche Krise hat Russland voll erfasst, die Inflationsrate steigt, die Krise verbreitet sich trotz wirtschaftlicher Intervention der Regierung weiter. Nur die diktatorische Machtkonzentration im System Putin, eine russisch-nationalistische Demagogie sowie die politische und organisatorische Schwäche der Opposition und erst recht der ArbeiterInnenbewegung verhindern bisher massivere Proteste gegen die Abwälzung der Krise auf die Masse der Bevölkerung.

Den wichtigsten Regionalmächten wie Brasilien, Indien, Australien, Südafrika hat die Periode seit der Krise ein unterschiedliches Los beschert. Mehrere Jahre lang haben Australien und Brasilien prosperiert. Australien konnte eine Rezession ganz vermeiden, während Brasilien jährliche Wachstumsraten von 8 % erreichte. Das Geheimnis ihres Erfolgs war allerdings in beiden Fällen die gewaltige Nachfrage nach Rohstoffen, Energie und Nahrungsmitteln aus China, als das Anreizpaket dort Früchte trug. Die Verlangsamung des chinesischen Wirtschaftstempos und für Brasilien der Verfall der Ölpreise veränderten schnell die Lage, so dass Brasilien 2015 in eine tiefe Rezession eintrat. Brasilien erlitt einen ernsten Wirtschaftsabsturz von durchschnittlich – 3,7 % im Jahr 2015, wobei ein anhaltendes Minus von 3 % für 2016 vorhergesagt wird.

Der Preisverfall für Energie und Mineralstoffe forderte auch von Südafrika seinen Tribut, wo die riesenhaften Bergbaukonzerne wie Glencore und Anglo-American ihre geplanten Investitionen aussetzen und bestehende Operationen einstellen mussten.

Zunehmende interimperialistische Rivalität

Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund haben die Großmächte ihre Strategien für die folgenden Jahrzehnte konzipiert. Für jede liegt der entscheidende Gesichtspunkt dabei auf der Vergrößerung ihres weltweiten Spielraums, ungeachtet dringlicher Schwerpunkte im Innern.

Die erste Priorität für den US-Imperialismus liegt folgerichtig nicht in der Runderneuerung seiner Industrie auf qualitativ fortgeschrittenerer technischer Grundlage. Das würde die Vernichtung existierender Kapitalanlagen in fast unvorstellbarem Ausmaß erfordern. Das US-Kapital hat längst aufgehört, sich vorrangig auf seine Industrie zu stützen, die nur noch etwa 15 % zur Wirtschaft im BIP-Maßstab beiträgt. Für seine vorherrschende Fraktion, das Finanzkapital, liegt der Weg v. a. darin, vollen Vorteil aus seiner globalen Dominanz zu ziehen, um noch mehr Profit aus anderen Ländern herauszuquetschen.

Das ist der Zweck von TTP und TTIP. Obwohl vieles vom Inhalt der vorgeschlagenen Verträge geheim bleibt, ist bekannt, dass sie Klauseln enthalten, die systematisch alle juristischen, verfassungsmäßigen oder wirtschaftlichen Bestimmungen verbieten, die sich als nachteilig für US-Firmen erweisen könnten, bei ihren Bestrebungen, Auslandsmärkte zu betreten. So stehen z. B. staatliche Dienstleistungen im Gesundheits- oder Bildungssektor und erst recht Staatseigentum an Industrien offen für die Anklage unlauteren Wettbewerbs durch US-Konzerne. Diese Klagen würden nicht in Gerichtshöfen verhandelt, sondern in Schiedstribunalen, die von Konzerninteressen dominiert werden.

In China ist Xis Strategie nicht auf Reformen des Bankenwesens und der staatlichen Industrie beschränkt; er hat auch Pläne entworfen für die buchstäbliche Neuordnung der Weltwirtschaft. Diese sind in einer Parole aus 4 Zeichen zusammengefasst: OBOR („One Belt, One Road“; „Ein Gürtel, Eine Straße“). Der „Gürtel“ ist die Seepassage von China nach Ostafrika über Südostasien und den Indischen Ozean, während „Straße“ die Sammelbezeichnung für die Überlandrouten von China nach Europa darstellt, mit Verbindungen zum Golf von Bengalen, der Andamanensee im östlichen Indischen Ozean, der malaiischen Halbinsel, dem arabischen Golf, dem Schwarzen Meer, der Ost- und Nordsee.

Obwohl es sich um einen Plan für mehrere Jahrzehnte handelt, nehmen einige Elemente bereits Gestalt an. Eisenbahnverbindungen nach Deutschland, Spanien und in den Iran sind schon in Betrieb, wenn auch mit geringer Kapazität. Der neue Hafen und die Freihandelszone von Gwadar in Pakistan ist schon der chinesischen Betreibergesellschaft übergeben worden. Laut der Ratingagentur Fitch hat CDB, die chinesische Entwicklungsbank, Ende 2014 125,9 Milliarden US-Dollar an Krediten für OBOR-Projekte ausgegeben und verfügt über Pläne, weitere 900 Projekte mit Investitionen in Höhe von 800 Milliarden US-Dollar zu finanzieren. Zusätzlich hat ein Konsortium chinesischer Geschäftsbanken aus Bank of China, China Construction Bank und China CITIC Bank eine Leihsumme von 198 Milliarden US-Dollar für OBOR-Projekte ins Auge gefasst.

In diesem Zusammenhang muss man nicht nur Chinas Förderung der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank (AIIB) verstehen, die die USA ausschließt, aber mittlerweile über die Unterstützung von 57 Staaten verfügt einschließlich bedeutenderer US-Verbündeter wie Britannien und Deutschland, sondern auch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), die Neue Entwicklungsbank (NDB) und die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP).

Was OBOR verdeutlicht, ist Lenins Bemerkung, eine neue imperialistische Macht sei gezwungen, zur Aufteilung der Welt, sich nicht nur auf die Neuausrichtung existierender ökonomischer Ressourcen zu beschränken, sondern dies könne die Schaffung gänzlich neuwertiger Produktionszentren und ungewohnter Wirtschaftsbeziehungen beinhalten. Was erhalten bleibt, sind unausweichliche Rivalitäten und Konflikte zwischen einer aufsteigenden Macht und den bestehenden Mächten. Die Betonung dieser Rivalitäten und Konflikte sollten wir als Resultat der Expansion Chinas sehen.

Obwohl Chinas Strategieplan erst 2014 amtlich bekanntgegeben wurde, wurde dieser seit vielen Jahren entwickelt und war anderen Mächten nicht unbekannt. Das wirft ein Licht auf politische Prozesse in Europa, besonders Deutschlands aufkeimende wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, die durch die Ereignisse in der Ukraine einen ernsten Rückschlag erlitten hat und den Beschluss des Vereinigten Königreichs (UK; Großbritannien und Nordirland ohne die Isle of Man und die Kanalinseln), um chinesische Kapitalanlagen im empfindlichen Sicherheitsbereich der Stromerzeugung aus Kernkraft zu ersuchen.

Auch an Washington kann das nicht unbemerkt vorbeigehen. Obamas „Dreh- und Angelpunkt für den Pazifik“ zielt ganz offensichtlich auf Eindämmen der chinesischen Ausweitung und, falls möglich, Abriegelung des „Gürtels“ zwischen der chinesischen Küste und Afrika. Die Verlautbarung der Pläne Pekings verleiht der säbelrasselnden US-Intervention in der Ukraine und ihrem Beharren auf der Errichtung vorgelagerter NATO-Stützpunkte in Ost- und Mitteleuropa einen Sinn.

Die Entwicklung derartiger Wirtschaftsblöcke ist symptomatisch für das prägende Merkmal der gegenwärtigen Periode: zunehmende interimperialistische Rivalität.. Die geschichtlich bedeutendste Rivalität mag zwischen den USA und China herrschen, doch ist sie gegenwärtig nicht die wahrscheinlichste Konfliktquelle. Der relative Niedergang des US-Imperialismus, am klarsten offenbart, als ihm sein Strafgericht in Afghanistan und dem Irak widerfuhr, hat Regionalmächte, einst seine Gendarmen, ermuntert, ihre eigenen Interessen vorzubringen, manchmal gegen Washingtons Wünsche.

Gegenwärtig sind die grässlichsten Folgen davon in Syrien sichtbar, wo das Patt zwischen den zersplitterten Kräften der demokratischen Revolution unter unzulänglichen Führungen und Assads Regime ein Machtvakuum geschaffen hat, in das benachbarte Mächte wie Saudi-Arabien, Katar, Türkei, Libanon, Iran, Israel stießen. Der daraus resultierende Krieg tötete nicht nur 250000 und zwang Millionen zur Landesflucht, sondern sah auch das Emporkommen des „Islamischen Staats“, anfangs ein Erzeugnis des Zusammenbruchs des Irak und finanziert durch die Golfstaaten, dessen lokaler Vormarsch Staatsgrenzen von der Landkarte ausradierte. Solche Instabilität, die auch die KurdInnen des Irak, Syriens und der Türkei einbezog, konnte von den Großmächten nicht ignoriert werden. Ihr Versuch, die Situation mittels eines UNO-Mandates zu kontrollieren, war schlicht ein Deckmantel für ihre jeweiligen Eigeninteressen.

Unausweichlich führte das Blutbad in Syrien zu Konsequenzen weit über das Land hinaus. Auch dies prägt die Periode. Bezüglich interimperialistischer Rivalität stärkte es Russlands Zugriff auf einen weiteren Konflikt, bei dem auch eine direkte Konfrontation zwischen den Großmächten drohte: die Ukraine. Dort wurde ein von Deutschland veranlasster EU-Vorstoß, Präsident Janukowytsch, nachdem er sich einem Abkommen mit der EU verschloss, durch eine Alternative zu ersetzen, die EU-freundlich eingestellt war, aber willens, einen Kompromiss mit Russland zu akzeptieren, von den USA torpediert. Durch Mobilmachung des äußersten rechten Flügels des ukrainischen Nationalismus unter Einschluss faschistischer Milizen bekam Washington seinen Willen, provozierte aber einen Bürgerkrieg im östlichen Landesteil, der von Russland Hilfe erhielt.

Auf der anderen Seite Europas erfuhr die französische Intervention in Syrien eine Antwort in Form von Bombenattentaten durch ISIS in Paris im November 2015, was zur Ausrufung des Ausnahmezustands führte. Zweifellos wurde in Paris nicht nur Vergeltung geübt wie schon beim Attentat auf Charlie Hebdo für Syrien, sondern auch für die zunehmende Islamophobie im Land und andere Militärinterventionen in Libyen, Mali, Niger, dem Tschad, Burkina Faso und der Elfenbeinküste.

Allgemeiner gesprochen gibt es einen Wettlauf um Afrika wie in der Morgenröte der imperialistischen Epoche. Diesmal beteiligen sich nicht nur die europäischen Mächte daran, sondern auch die USA und – als Zeichen der Zeit – China. Bis vor kurzem war Chinas Einmischung beschränkt auf Entwicklungshilfe, vorwiegend für Infrastruktur und Erzabbau, an Regime, deren Umgang mit Menschenrechten und antiimperialistischer Rhetorik sie zu unangenehmen Partnern für die westlichen Imperialismen, oft genug die früheren Kolonialmächte, machten. Jetzt sind aber chinesische Truppen als „Friedenshüter“ im Sudan stationiert.

Der neue „Wettlauf um Afrika“, den wir in unseren letzten Perspektiven skizzierten, hat während der Großen Rezession Fahrt aufgenommen und wird es im nächsten Zeitrahmen weiterhin tun. Das imperialistische Kapital sucht nach profitablen Anlagen für sein überakkumuliertes Kapital. Verschiedene imperialistische Mächte haben sich für verschiedene Investitionsstrategien entschieden; China hatte sich für Jahrzehnte auf die Entwicklung der Infrastruktur konzentriert, die oftmals durch garantierte Lieferungen von Mineral- und Energievorräten bezahlt wurde. Die größte Quelle einer solchen Investition war in den letzten Jahren Frankreich gewesen mit einer Summe von 18.5 Mrd US Dollar im Jahr 2014 während sich die Summe der USA auf 8 Mrd US-Dollar belief. Die Erträge solcher Investitionen waren lukrativ: zwischen 2003 und 2012 fließen ca. 528 Mrd. US-Dollar in die Zentren der Metropolen zurück (das sind 5,5 % des BIP des europäischen Kontinents).

Schließlich hat in der Republik Südafrika die vom Zusammenbruch des Bergbaus und der Rohstoffi ndustrie losgetretene Wirtschaftskrise zur Destabilisierung des ANC (und besonders von Staatspräsident Zuma) geführt. Die Branchengewerkschaft NUMSA brach mit ihm und dem Gewerkschaftsdachverband COSATU. Ob NUMSA und/oder die aus der Spaltung der Bergarbeitergewerkschaft hervorgegangene AMCU eine ArbeiterInnenpartei gründen und die ArbeiterInnenklasse um ihr Banner werden scharen können, wird zur Schlüsselfrage künftiger Klassenauseinandersetzungen geraten.

Chinas auf Ostafrika zulaufender „Gürtel“ findet sein strategisches Gegenstück, missverständlich „Perlenkette“ getauft, in einer Reihe von Marineeinrichtungen entlang der Route nach Afrika; sie umfassen Sri Lanka und Pakistan wie auch Myanmar. An ihrem Ostende, im Südchinesischen Meer, hat Peking künstliche Inseln durch Aufbau der Riffe vor den Spratly- und Paracel-Inseln errichtet und dadurch die Nachbarstaaten Indonesien, Philippinen, Vietnam und Malaysia brüskiert, die näher an den Inseln liegen. Der Bau von Stützpunkten auf diesen Inseln einschließlich von Flugrollbahnen hat bereits die US-Marine provoziert, in deren Nähe zu manövrieren, um die „Freiheit auf See“ zu bekräftigen – eine halbe Weltreise von ihren eigenen Küsten entfernt.

Weiter nördlich, im Ostchinesischen Meer, findet ein ähnlicher Zusammenprall zwischen China und Japan um die Besitzrechte an den Senkaku- oder Diaoyu(tai)-Inseln statt. Hier hat es Auseinandersetzungen zwischen Flottenschiffen und Fischerbooten gegeben, an sich unbedeutende Zwischenfälle, aber mit dem Potenzial, unter passenden Umständen, ernsthafte Konflikte zu entfachen. In diesem Zusammenhang bestätigt Shinzo Abes Beschwörung des Slogans der Meiji-Restauration – „fukoku kyohei“, „Bereichert das Land, stärkt die Armee!“ -, als er sein Wirtschaftsprogramm und seine Vorschläge zur Tilgung der pazifistischen Artikel aus der japanischen Verfassung vorstellte, dass diese Region ein weiterer möglicher Brennpunkt ist.

Auf der anderen Seite des Pazifik, einst als „Amerikas Hinterhof“ betrachtet, verebbt nun die „rosa Welle“ populistisch-sozialistischer Dirigenten wie Chávez in Venezuela, Lula da Silva in Brasilien, Evo Morales in Bolivien und Raffael Correa in Ecuador deutlich, die sich erhob und aufgrund steigender Grundstoffpreise halten konnte, diese aber nun infolge einer sich abkühlenden Weltwirtschaft, besonders eines Nachfragerückgangs aus China, abstürzen. Nach den Wahlen vom Dezember 2015 steht Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro einer feindlichen Parlamentsmehrheit gegenüber. Dilma Rousseff, Amtserbin Lulas, wird wegen Korruption angeklagt, und der Neoliberale Mauricio Macri ist zum argentinischen Präsidenten gewählt worden undbeendet damit die aufeinanderfolgenden linksperonistischen Regime unter Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner.

Alle diese Entwicklungen deuten auf eine mögliche Wiederherstellung des US-amerikanischen Einflusses in der Region hin. Das gilt sogar für die Normalisierung der Beziehungen zu Kuba, dessen politische Führung dem europäischen Kapital schon die Tür geöffnet hat und auf eine kapitalistische Restauration nach dem Modell der chinesischen Erfahrungen aus zu sein scheint. Das zunehmend missachtete US-Embargo ist währenddessen zu einem Hindernis für das US-Kapital geworden. Seine Aufhebung wird langfristig eine Stärkung der restaurativen Kräfte und eine Störung der Zusammenarbeit zwischen Kuba und seinen einstigen lateinamerikanischen Verbündeten gestatten.

Nach der Wiederwahl Dilmas in Brasilien gibt es vermehrte Anläufe rechtsbürgerlicher Kräfte, die Massendemonstrationen gegen Korruption und eine beachtliche Kampagne des bedeutenden TV-Netzwerks „Globo“ inszenieren, um die gewählte Präsidentin und damit die PT aus der Regierung zu scheuchen. Dies war von scharfer Spargesetzgebung durch den Bundeskongress im Zuge der heftigen Wirtschaftskrise begleitet, woraufhin eine große soziale Bewegung rund um die Gewerkschaften, aber auch die Bewegungen der Land- und Obdachlosen (MST, MTST) aufkam. Dies signalisiert ein erhöhtes allgemeines Klassenkampfniveau in Brasilien. Nach der Verhaftung Lulas entstand eine riesige Gegenbewegung gegen die reaktionäre Mobilmachung und den bürgerlichen Versuch, eine Rechtsregierung des sozialen Angriffs zu formieren. Das Ergebnis dieses Zusammenstoßes auf politischer und gesellschaftlicher Ebene wird entscheidend für die Frage sein, ob der Rechtstrend in Lateinamerika umgekehrt werden kann oder nicht.

Wie die Balkanländer des frühen 20. Jahrhunderts bleibt der Nahe Osten in der bevorstehenden Periode das „Pulverfass“, wo Russland und die NATO mit unvorstellbaren Auswirkungen aneinandergeraten könnten. Die Türkei und Saudi-Arabien helfen nicht nur konterrevolutionären Kräften im Ausland – in Libyen, Jemen und Syrien -, sondern werden im Innern zunehmend repressiver. Hier handelt es sich tatsächlich um eine Region, wo eine starke einheimische Konterrevolution sich auf dem Vormarsch befindet – sie tritt in Ägypten, Bahrain, Libyen und Syrien die Errungenschaften des Arabischen Frühlings von 2011 in den Staub. Solche Unterdrückung und massive, durch Bürgerkriege fabrizierte Zerstörung kann eine lang gedehnte konterrevolutionäre Phase bedeuten. Aber die wirtschaftliche und soziale Instabilität der Regime wird früher oder später zu Rissen und Spaltungen führen, durch welche das revolutionäre Feuer wieder emporlodern wird, ernsthafter und gefährlicher als zuvor.

Die ArbeiterInnenklasse nach der Krise

Die gesamte kapitalistische Entwicklung bringt notwendig Veränderungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse mit sich, sowohl bezüglich ihrer räumlichen Verteilung wie ihrer Zusammensetzung. Die beiden letzten Jahrzehnte erlebten einen großen Wandel, am offensichtlichsten aufgrund des Wachstums des Kapitalismus in China, aber auch in anderen Teilen Asiens und Lateinamerikas, am auffälligsten in Brasilien. Der bedeutende Unterschied zu China besteht darin, dass dieses sich als imperialistische Macht etabliert hat, unabhängig vom Kapitalzufluss aus dem Ausland, um sein Wachstum am Laufen zu halten. Dies hat bereits zu einer Schichtung innerhalb der chinesischen ArbeiterInnenklasse geführt, die mit der Zeit die Herausbildung einer ArbeiterInnenaristokratie erlauben könnte.

Eine Konsequenz aus der Produktionsverlagerung nach Asien beinhaltete die Restrukturierung der traditionellen ArbeiterInnenklassen in den älteren imperialistischen Ländern Europas und Nordamerikas. Dieser Prozess wurde beschleunigt durch die Krise, die nicht nur die Arbeitslosigkeit hochschnellen ließ – die Internationale Arbeitsorganisation der UNO (IAO/ILO) rechnet mit einem Anstieg um 30 Millionen auf 193 Millionen -, sondern auch Millionen stark verschlechterte Arbeitsbedingungen und Löhne hinzunehmen zwang. Selbst in Deutschland, einer stärkeren Volkswirtschaft, werden 25 % der Arbeitskräfte „prekärer“ Beschäftigung zugerechnet.

In der halbkolonialen Welt hat die Hoffnungslosigkeit des Landlebens mittlerweile Millionen in aufblühende Megastädte vertrieben. Erstmalig ist jetzt die Stadtbevölkerung größer als die dörfliche. Aber der Lebensstandard der LohnarbeiterInnen ist oft wenig unterschieden von dem der Armen: man nimmt an, dass 1,25 Milliarden von weniger als 1,25 $ täglich leben müssen; davon stehen 447 Millionen in bezahlter Beschäftigung.

Die Migration erfolgt natürlich nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch transnational. Aus den Halbkolonien durch Armut in die Metropolenzentren getriebene ArbeiterInnen besitzen oft keinen legalen Aufenthaltsstatus. Sie sind gezwungen, Superausbeutung und Vorenthaltung fundamentaler Rechte zu akzeptieren und erleiden überall im Alltagsleben chauvinistische und rassistische Diskriminierungen.

Weltweit hat sich die Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse auch durch den Eintritt zunehmender Zahlen von Frauen in die Belegschaften geändert, oft ebenso schlimmsten Arbeitsbedingungen und allen zusätzliche Nachteilen, bedingt durch ihre familiären Verpflichtungenausgesetzt. . Die Kriege in Nahost und Afrika, der Strom von Geflüchteten über Kontinente, Meere und Grenzen hinweg steigern die Entbehrungen von Frauen und ihren Familien. Die Stärkung reaktionärer salafistischer Srömungen – die Verbündeten Al-Qaidas Boko Haram und Laschkar-e Taiba, die pakistanischen und afghanischen Taliban usw. und v.a. ISIS, teilweise als Reaktion auf die imperialistischen Interventionen und Krise des Kapitalismus entstanden – führten zu einer zunehmenden Zahl von Angriffen auf Frauen und deren Rechte. Die soziale Krise und konterrevolutionäre religiöse bzw. kirchliche Regimes ermutigen oder gestatten Vergewaltigungen und körperliche Attacken gegen Frauen wie die Vorenthaltung ihrer Rechte auf Bildung ein soziales Leben und Arbeit außerhalb des Hauses.

Industriearbeiterinnen in ganz Asien oder Lateinamerika erleiden oft schreckliche Arbeitsbedingungen; manche grenzen an ausgemachte Sklaverei. In den letzten 5 Jahren standen eine Reihe Fabrikbrände auf dem indischen Subkontinent dafür Zeuge wie der grauenhafte Einsturz des Rana Plaza-Fabrikgebäudes in Sabhar (Bangladesch), bei dem mehr als 1000 ArbeiterInnen umkamen. Doch die Arbeiterinnen in der Textil- und Bekleidungsbranche haben einige mutige Kämpfe aufgenommen. In Pakistan begannen sich die Arbeiterinnen in der Heimindustrie zu organisieren; in Indien hat es eine beachtliche Bewegung gegen Vergewaltigungen und Belästigungen von Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln gegeben. Kurz, die Bestrebungen zur Verteidigung von Frauenrechten haben im vergangenen Zeitraum zugenommen.

Nichtsdestotrotz führt die Notwendigkeit kapitalistischer Entwicklung Bedingungen herbei, die einigen Schichten der ArbeiterInnenklasse, nicht nur ausschließlich in den imperialistischen Ländern, beträchtlich bessere Arbeitsbedingungen zu erringen gestatten – Ergebnisse einer Mischung aus Verknappung an qualifizierten Arbeitskräften, strategischen Stellungen im Wirtschaftsgeschehen und höherem gewerkschaftlichen Organisationsgrad.

Diese „ArbeiterInnenaristokratie“, die gemeinhin die soziale Basis für stabile, häufig bürokratisierte Gewerkschaften und reformistische Parteien stellt, erfährt selbst Umwälzungen. In den jüngsten Jahrzehnten hat die weltweite industrielle Umstrukturierung ganze Branchen aus einigen Ländern vollständig verschwinden lassen, die einst die Basis für die ArbeiterInnenaristokratie abgaben. Gleichzeitig hat der technische Fortschritt eine umfangreiche Zahl jener, die ehedem zu den „lohnabhängigen Mittelschichten“ zählten, aus professionellen Berufen in die besser entlohnten Ränge der ArbeiterInnenklasse gezwungen.

In globalem Maßstab verringerte die Krise nicht die Größe der ArbeiterInnenklasse, zwang sie aber generell zum Rückzug, zur Hinnahme niedrigerer Löhne, härterer Arbeitsbedingungen, zur Aufgabe vergangener Errungenschaften, was Rechte und Sozialleistungen betrifft. In den imperialistischen Ländern und in Halbkolonien mit bereits eingewurzelter LohnarbeiterInnenschaft lag darin der Preis, den die Gewerkschaften an eine Unternehmerklasse zahlten, die selbst die Krise eindämmen wollte als sie „ihre Arbeit tun zu lassen“. Die angewandten Maßnahmen, um sie zu entschärfen – Lösegelder zur Rettung vor Bankrotten, niedrige Zinsfüße und QE – haben die verfügbaren Reserven drastisch reduziert, um eine weitere Krise zu bekämpfen, von der schon Signale in Form spekulativer Blasen sichtbar sind.

Ein vollständig anderes Bild ist in China zu besichtigen, dessen geschwinde kapitalistische Entwicklung die größte nationale ArbeiterInnenschaft der Welt, ja in der Geschichte, geschaffen hat. Diese Klasse war im Allgemeinen in der Lage, stetige Verbesserungen ihrer Lebensumstände zu erzielen dank anhaltender Produktionsausweitung, obwohl sie noch nicht die gesetzliche Anerkennung ihrer Rechte errungen hat. Sie schaffte dies nicht ohne häufige Massenaktionen einschließlich Streiks, Besetzungen und Blockaden. Doch unter der fortbestehenden Diktatur der KPCh war sie noch nicht imstande, unabhängige Gewerkschaften oder politische Organisationen zu bilden.

Politische Antworten

Es gehört zu den scheinbaren Paradoxien des Kapitalismus, dass die krisenhafte Situation der globalen Kapitalverwertung zugleich zu einem enormen Anstieg der Vermögen an der Spitze der Einkommenshierarchie und einer weiteren Verschärfung der Kluft zwischen Arm und Reich führt. Gerade die Überakkumulation von Kapital, d. h. der Mangel an profittragenden produktiven Investitionsmöglichkeiten, erzeugt einen Anstieg eines parasitären Rentier-(zinstragenden) Kapitalismus, der mehr und mehr von Wertpapiergeschäften, Immobilien und Finanzspekulationen lebt.

In den imperialistischen Zentren macht der Kapitalstock heute durchschnittlich das 6-fache des Sozialprodukts aus (in den 1950er-Jahren war es bloß das Doppelte), wovon wiederum z.B. in den USA 70 % vom obersten Zehntel kontrolliert wird (bzw. 35 % von den obersten 1 %). Die Bourgeoisie der imperialistischen Staaten verfügt heute über nie dagewesene Mittel, die sie flexibel und global in ihrem Interesse einsetzen kann. Überakkumulation, Vermögenskonzentration und Finanz-Globalisierung führen zu einer weiteren Untergrabung nationalstaatlicher politischer Handlungsspielräume gegenüber der finanziellen Macht dieser Klasse. Dies zeigt sich unter anderem darin, dass trotz der gewaltig gestiegenen Vermögen auf der anderen Seite die Reichen prozentual immer weniger davon über Einkommens- und Vermögenssteuern zur Finanzierung der gesamtstaatlichen Aufgaben abgeben. Jeder Nationalstaat, der diesem Steuer- und Abgabentrend entgegenwirkt, wird sofort von der „Strafe der Märkte“, durch Kurs-, Währungs-, Zinsturbulenzen oder Investitionstransfers bestraft. In diesem Sinn sind die Nationalstaaten heute chronisch unterfinanziert, bei gleichzeitig stattfindenden Dumpingwettbewerben um die niedrigsten Steuern, die besten Investitionsbedingungen und möglichst niedrige Arbeitskosten. Die Verschuldungskrise führt zu Privatisierungen im industriellen Bereich, wie auch bei Wohnungsgesellschaften oder öffentlichen Diensten – womit weitere Investitionsmöglichkeiten für das parasitäre Vermögenskapital geschaffen werden. Ausgerechnet die Finanzkrise, die durch Spekulation mit prekär finanzierten Immobilienhypotheken begann, hat letztlich zu einer enormen Ausweitung der Investition in Immobilien durch die großen Vermögensbesitzer geführt.

Diese Spirale von Sozial- und Steuerdumping, Staatsverschuldung, Austerität, Privatisierung und weiterer Bereicherung der Superreichen wird gerne als „Neoliberalismus“ bezeichnet. Dieser Begriff kann möglicherweise missverstanden werden, tatsächlich bildet er ein Aktionsprogramm dessen Slogans und Forderungen – Privatisierung, Deregulierung des Arbeitsmarkts, freie Märkte – , den dringenden Handlungsbedarf der entscheidenden Teile des Kapitals zum Ausdruck bringt. Dem werden von der reformistischen und rechts-zentristischen Linken gerne keynesianische Programme von progressiven Einkommens- und Vermögenssteuern, Entlastung der unteren Einkommen, Investitionsprogramme, Ankurbelung des öffentlichen Konsums, Rekommunalisierung privatisierter Versorgungsunternehmen, etc. als praktikable Alternative im Kapitalismus entgegengesetzt. Dies verkennt sowohl den Kapitalzwang der Überakkumulation, die Globalisierung der Kapitalmacht, wie auch die Veränderung des Kräftegleichgewichts zugunsten der großen Vermögen. Neoliberalismus ist keine Ideologie, sondern ein durch „die Macht der Märkte“ ausgeübter „Sachzwang“ auf die politischen Marionetten in den Staatsapparaten – welcher politischen Couleur auch immer. Welche Regierung auch immer die angeblichen Machtpositionen im Staat besetzt, sie wird durch diese hinter ihrem Rücken wirkenden Kapitalzwänge notwendigerweise nichts anderes als neoliberale Politik umsetzen können. Die Erfahrung mit der Syriza-Regierung in Griechenland war hier ein eindeutiges Lehrstück, das aber wiederum von einem Großteil der Linken im Kern überhaupt nicht verstanden wurde. Eine andere als eine neoliberale Politik kann heute überhaupt nur durch die tatsächliche Eroberung der Macht, d. h. durch die Vergesellschaftung der Produktions- und Reproduktionsbedingungen eines Landes erreicht werden, die zugleich in den Rahmen einer internationalen Umwälzung gegen das globale Kapital eingebunden ist.

Linksreformistische Ökonomen von Piketty bis Varoufakis verkünden, dass ein Durchbrechen der „neoliberalen Logik“ und eine Krisenbewältigung möglich wäre durch Schuldenstreichung, Vermögensabgaben, progressive Besteuerung von Einkommen und Vermögen des großen Kapitals, eine Kapitaltransfersteuer etc. Ihr Argument ist, dassdie großen Vermögen in der Lage wären, Staatsschulden, die Finanzierung der Renten- und Gesundheitssysteme und der bestehenden Sozialtransfers gleich mehrfach zu bezahlen („Geld ist genug da“). Dem Reformismus fehlt jedoch eine internationale politische Strategie, und er geht einer entscheidenden Konfrontation mit dem großen Kapital auch auf nationaler Ebene aus dem Weg. Bewegungen wie attac, später Occupy oder „We are the 99 %“ agierten zwar international, waren aber nicht in der Lage, den Kampf um ihre Partikularforderungen trotz oftmals radikalerer Aktionsformen mit dem revolutionären Kampf um die Macht im Sinne welche Klasse soll die Macht ergreifen zu verbinden. Auch für RevolutionärInnen sind natürlich Schuldenstreichung, Enteignung der großen Vermögen, progressive Besteuerung Elemente des Programms – aber nur in Verbindung mit dem Kampf um ArbeiterInnenkontrolle und im Rahmen von Übergangsforderungen, die klar machen, dass nicht einmal grundlegende Fragen der Umverteilung und sozialen Sicherung im Rahmen des heutigen Krisenregimes umsetzbar sind.

Die Politik der etablierten reformistischen Parteien – heißen sie SozialistInnen, SozialdemokratInnen oder Labour – erfüllte angesichts des Beginns der härtesten Krise seit dem Krieg exakt die von der Bourgeoisie an sie gestellten Bedingungen. Diejenigen, die sich zum Ausbruchszeitraum der Krise an der „Macht“ befanden oder in ihrem Gefolge an die Regierung gelangten, griffen zum Glaubenslehrsatz „unausweichlicher“ Sparpolitik. Gleichzeitig lösten sie Banken und Großbetriebe aus der Verschuldung aus und attackierten jene ArbeiterInnenschichten, die Widerstand leisteten. Einschlägige Beispiele verkörperten die Labour-Regierung unter Gordon Brown im Vereinigten Königreich und später die Sozialistische Partei François Hollandes in Frankreich. Bis zu einer gewissen Grenze stellten sie sicher, dass Sparpakete, Lohneinbußen und Arbeitsplatzverluste ihre arbeiteraristokratische Basis nicht so empfindlich trafen, aber zur selben Zeit förderten sie bei einem großen Teil der Arbeitskräfte die Zunahme unsicherer, Teilzeit- und Niedriglohnjobs (Prekariat) .

Die Gewerkschaften in Griechenland, Frankreich, Italien und den USA mobilisierten zu vielköpfigen Protestmärschen und eintägigen Streiks. Im Zeitabschnitt von 2009 – 2014 ging die Zahl ein- oder zweitägiger Aktionen in Griechenland in die Dutzende; seit Syrizas Verrat beginnen sie wieder. Selbst in Großbritannien verabschiedete der TUC eine Resolution, die mit einem Generalstreik drohte, und eine Allianz „linker“ Gewerkschaften lancierte eine Kampagne für koordinierte Arbeitskampfmaßnahmen. Aber die Aktionstage blieben isolierte Einzelaktionen baren Trotzes.

Die Gewerkschaftsbürokratie – besonders wo „Links“regierungen an der „Macht“ waren (SozialdemokratInnen in Europa, PopulistInnen in Lateinamerika, Obama in den USA) – garantierten, dass diese nicht ernsthaft in Verlegenheit kamen, geschweige denn mit ihrem Sturz bedroht wurden durch nachhaltige und kämpferische Mobilisierungen.. Die traditionellen linken KritikerInnen der sozialdemokratischen Mehrheitsströmungen wie DIE LINKE, Izquierda Unida, Überreste von Rifondazione Comunista (RC) in Italien strebten regionale oder nationale Koalitionen an, was ihrer Alternative zum reformistischen Hauptstrom die Spitze brach. Kurz, die reformistischen politischen Parteien und Gewerkschaftsbonzen aller Schattierungen, rechter wie linker, kapitulierten vor der Herausforderung durch die Rezession und handelten mit dem Ergebnis von Desorganisation und Dämpfung des Widerstands, anstatt ihn gegen einen anfänglich geschwächten und diskreditierten Kapitalismus ins Feld zu führen.

In Ländern ohne solche reformistischen Parteien, wo die Gewerkschaften traditionell sich entweder an eine der großen bürgerlichen Parteien wie in den USA bzw. an mehr oder weniger linke nationalistische bzw. volkstümlerische Parteien anschmiegten, war das Muster im Grunde dasselbe. Die Identifikation mit den Interessen der Kapitalistenklasse oder eines ihrer Flügel, führte zur Aufgabe der Verteidigung von Klasseninteressen und folglich einer Einbuße in Größe und Einfluss des Gewerkschaftswesens als gesellschaftlicher Kraft. Das war z.B. in Venezuela und Argentinien der Fall. Die einzige bedeutende Ausnahme passierte in der Republik Südafrika, wo Gewerkschaften ihr Bündnis mit dem ANC aufgekündigt haben.

Wo Unterdrückerregimes zuvor dafür gesorgt hatten, dass Gewerkschaften im Untergrund oder nur halblegal operieren mussten, schuf die Wucht der Krise Bedingungen, wo diese dramatisch anschwellen und sich an die Spitze der Massenopposition setzen konnten, die sogar Regierungen zu stürzen vermochte. Am dramatischsten wurde das in Tunesien, anschließend in Ägypten, demonstriert, wo die Erhebungen den Arabischen Frühling auslösten. Doch selbst hier brachte es die politische Borniertheit des reinen GewerkschafterInnentums mit sich, dass die Leitung der Massenbewegung klassenfremden Kräften zugestanden wurde: der Volksfront in Tunesien sowie Mursi und der Muslimbruderschaft in Ägypten.

Woanders schlugen sich gewerkschaftliche Schwäche, Sparpolitik der überkommenen reformistischen Parteien und unvermeidbare Beschränktheit „spontaner“ Massenbewegungen im Anwachsen von Parteien nieder, die eine neue Form politischer Organisation zu verkörpern vorgaben, aber tatsächlich Spielarten des Linkspopulismus darstellten. Solche Parteien wie Podemos in Spanien waren auch stark von kleinbürgerlichen Ideologien aus „Mittelklasse“schichten durchtränkt, die ebenfalls heftig von der Krise in Mitleidenschaft gezogen wurden. Viele äfften die bolivarischen Regimes Lateinamerikas nach, die sie zu Leitfiguren erkoren. Diese Parteien adoptierten eine Form von plebiszitärer Demokratie für ihre eigene Organisation, was unausweichlich in ein autoritäres Regiment einer kleinen Clique um den/die zentrale ChefIn mündete.

Wie in der Vergangenheit führte das Versagen der ArbeiterInnenorganisationen, ein zusammenhängendes antikapitalistisches Programm vorzulegen, in Verbindung mit anhaltender Unfähigkeit der bestimmenden Fraktionen der herrschenden Klasse, die wirtschaftliche Krisenfolgen zu lösen, zur Ermunterung des Aufstieges der extremen Rechten. Das nahm verschiedene Gestalten an: von der Tea Party bei den US-Republikanern und UKIP im Vereinigten Königreich zur FN in Frankreich und FPÖ in Österreich und schloss regelrechte faschistische Parteien wie Jobbik in Ungarn und Goldene Morgenröte in Griechenland ein. Die meisten tauchten in Europa auf, wo sie nicht nur von der Fremdenfeindlichkeit gegenüber EinwanderInnen und Geflüchteten profitierten, sondern auch von allgemeiner Unzufriedenheit mit Sparmaßnahmen, die der EU zur Last gelegt wurden. Der Aufstieg von Modis hindunationalistischer BJP in Indien beweist, dass dieses Phänomen nicht auf diesen Kontinent begrenzt ist.

Selbst wo solche Kräfte nicht die auserlesenen Instrumente der herrschenden Klasse darstellen, kann ihre Zunahme in Spaltung, Desorganisation und Demoralisierung der Lohnabhängigen und ihrer Organisation enden, was das Durchpeitschen reaktionärer Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik erlaubt. Der Kampf gegen die Rechte kann sich nicht auf die Verteidigung früherer Errungenschaften oder demokratischer Rechte beschränken, sondern muss sich in eine Strategie einfügen, die auf den Sturz des kapitalistischen Systems selbst abzielt.

Die Linke

In Anbetracht der tiefen kapitalistischen Krise und ihrer sozialen und politischen Verwerfungen haben die Kräfte der radikalen und subjektiv revolutionären Linken, in Wahrheit zentristische Gebilde des einen oder anderen Zuschnittes, deutlich darin versagt, eine alternative Quelle proletarischer Führung zur Verfügung zu stellen, die auf einer in sich schlüssigen Strategie zum Sturz des Kapitalismus fußt.

Mit teilweisen Ausnahmen in Griechenland, Spanien und Frankreich lag das an ihrer Unfähigkeit, die einflussreichen reformistischen Parteien im Wahlkampf und in den Gewerkschaften herauszufordern. Ihrem Unwillen, mit der Bürokratie zu brechen bedeutete, dass sieeinerseits beim Aufbau einer machtvollen Basisbewegung versagten, andererseits, dass sie sie in kritischen Momenten nicht in Frage stellten, wo sie den Kampf abwürgten oder verrieten, wenn er objektiv die Machtfrage aufwarf.

In Griechenland betraf dieses Versagen sowohl die Gewerkschaftsebene in den Jahren von Massenstreiks und Besetzungen (2009 – 2014) wie die politische während Syrizas Aufstieg an die Regierung (2012 – 2015). Hier stand die extreme Linke entweder in passiv-propagandistischer Isolierung von der erheblich mächtiger gewordenen reformistischen Partei oder war Teil von ihr als höfliche Kritikerin der Tsipras-Spitze. Trotz all der Verbindungen, die die Reformisten an die griechische bürgerliche Herrschaft bindet, war Syriza das Werkzeug, das die Massenprotestbewegung gegen die Troika sich auf der politischen Ebene schuf und stand so unter enormen Druck von unten. Ein weitergehender Schritt in der Konfrontation mit der Bourgeoisie zusammen mit einer gut begründeten Intervention durch die revolutionären Kräfte hätte sie auf eine progressive Art und Weise von der Bourgeoisie wegbrechen können und die Basis für die Gründung einer revolutionären Partei legen und die Bildung einer wirklichen ArbeiterInnenregierung auf die Tagesordnung setzen können.

Es ist ganz offensichtlich, dass diese Perspektive nun vorüber ist. Syriza hat sich von einem Instrument der Massen im Kampf gegen die Sparkurse in ein Werkzeug, um den Sparkurs zu implementieren, verwandelt. Wie andere sozialdemokratische Formationen wird Syriza von den ArbeiterInnen nur noch gewählt, weil sie eine Partei ist, die die Sparpollitik etwas abmildert und noch nicht so korrupt ist wie andere. Obwohl es immer noch Verteidigungskämpfe gegen einzelne Maßnahmen der Regierung und der EU gibt, gibt es aber keine generelle politische Offensive gegen diese Angriffe. Der Zusammenbruch des revolutionären Potenzials und die Eröffnung des konterrevolutionären Prozesses durch den Verrat von Syriza eröffnet die sehr reale Möglichkeit, dass eine steigende Desillusionierung mit Syriza nicht notwendigerweise den sozialen und linken Widerstand stärkt, sondern mittelfristig den Weg zu einer reaktionären Lösung für die griechische Krise ermöglicht.

Dieses Muster wird sich wahrscheinlich innerhalb von Podemos wiederholen. Sie steht vor der Gelegenheit, entweder die PSOE zu zwingen, mit ihr eine Regierung auf Grundlage eines Anti-Sparkurses zu bilden. Alternativ könnte sich die PSOE dazu entscheiden, Mariano Rajoy, den Vorsitzenden der Partido Popular (PP) zu helfen, sich an die Macht zu klammern. Egal welches Szenario es würde Podemos die Gelegenheit bieten von der Unfähigkeit der PSOE, entscheidende Maßnahmen gegen das Kapital zu ergreifen, zu profitieren. Genauso wie Syriza vom Betrug der Pasok gestärkt wurde, könnte Podemos zu einer Partei werden, die eine Wahl gewinnen und die Macht ergreifen könnte. Sollte das der Fall sein, wäre das Ergebnis ähnlich wie in Griechenland, es sei denn es gäbe eine ArbeiterInnenmassenmobilisierungen, bei der die UGT- und CCOO-Gewerkschaftsbonzen den Griff auf ihre Mitglieder verlieren würden.

In Bezug auf den Kampf gegen die etablierte Führung der reformistischen Massenparteien und Gewerkschaften und gegen die Unzulänglichkeiten der neuen Führungen, die im Widerstand gegen die Sparolitik aufgeworfen wurden, , haben die Zentristen 3 umfassende Kategorien an Irrtümern offenbart,, aus denen die revolutionäre Bewegung Lehren ziehen muss:

Abstentionismus: Dies ist eine sektiererische Tradition, die aus Verrat durch die und Schwächen der existierenden Massenorganisationen schlussfolgert, entweder müsse man gegen Organisierung überhaupt auftreten oder die reformistischen Parteien bzw. Gewerkschaften seien trotz ihrer Massenmitgliedschaft in keiner Weise überhaupt noch Organisationen der ArbeiterInnenklasse. Das klingt radikal, ist aber doch ein Rezept, diese Massenorganisationen weiterhin der Regie durch pro-kapitalistische Kräfte preiszugeben statt Illusionen in diese zu zerstreuen und die Mitgliederbasis für revolutionäre Politik zu gewinnen.

Befürwortung „breiter Parteien“: Dies stellt eine opportunistische Antwort auf die Randständigkeit revolutionärer Tradition dar. Sie gipfelt in Vorschlägen für neue Parteien, die sowohl reformistische als auch revolutionäre Strömungen umfassen. Das sei gegenwärtig die einzig „praktikable“ Strategie. Sie führt praktisch aber zur Anpassung an den Linksreformismus und zur Ablehnung,, klar revolutionäre Programme anzunehmen. Eine aus der Tradition der Kommunistischen Arbeiterinternationale (CWI) stammende Variante davon kombiniert sektiererische Enthaltung von der Einmischung in bestehende sozialdemokratische Parteien – diese seien verbürgerlicht – mit opportunistischer Unterstützung für neue Parteien auf „breiten“ programmatischen Fundamenten.

Antikapitalismus: Auch dies ist ein zentristischer Fehler. Die offene Unterstützung für reformistische Programme oder Parteien wird zwar verworfen, aber von allen anderen Strömungen wird gefordert, sich um eingeschränkte Programme herum zu vereinigen, die nicht ausgesprochen und vollständig revolutionär sind. Diese seien erst realisierbar als Resultat gemeinsamer Erfahrung und eines Prozesses politischer Intervention. Beispiele dafür liefern die Neue Antikapitalistische Partei in Frankreich und Antarsya in Griechenland. Die Awami ArbeiterInnenpartei in Pakistan stellt eine Mischung diese Vorgehens und des Aufbaus einer „breiten Partei“ dar. Dieses Herangehen an den Parteiaufbau lässt außer Acht, dass besonders in der aktuellen Situation Schlachten gegen Austeritätsmaßnahmen und zur Verteidigung vergangenen politischen wie ökonomischen Erbes hier und jetzt ausgetragen werden müssen. Wenn die korrekten revolutionären Methoden und Ziele nicht an Bord gehievt werden, werden diese Auseinandersetzungen in Niederlagen enden. Als Auswirkung davon wird die Klasse zurückgeworfen.

RevolutionärInnen sind auf Grund ihrer geringen Stärke und schwachen Verankerung in der ArbeiterInnenavantgarde gezwungen, danach zu streben, diesen Missstand zu überwinden. Sie müssen dazu innerhalb dieser Parteien als erkennbare, unterschiedene revolutionäre Tendenz oder Fraktion arbeiten, ihre Treue gegenüber demokratischen Mehrheitsentscheidungen, was Aktionen betrifft, mit der Präsentation eines klaren revolutionären Aktionsprogramms und einer alternativen Führung verbinden. Diese von Lenin für die britischen Kommunisten in den frühen 1920er und von Trotzki allgemeiner in den 1930 Jahren aufgestellt.e Taktik wird in der kommenden Periode wieder notwendig werden. .Ihre EpigonInnen entstellten sie in sektiererischer bzw. opportunistischer Auslegung. Sie dürfen sich aber nicht in eine Strategie verwandeln, gemäß der RevolutionärInnen wie Chamäleons die Farbe ihre Wirte annehmen und auf einen objektiven Prozess warten, der ihnen erlaubt, sich offen darzustellen und an die Spitze einer Massenorganisation eskortiert zu werden.

Schlussfolgerungen

100 Jahre nach dem Erscheinen von Lenins „Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” können wir klarer noch als in den Nachkriegsjahrzehnten die Wahrheit seiner Analyse dieser Ära als eine von „besonders intensiven Kämpfen um die Teilung und Neuaufteilung der Welt“ geprägte Zeit erkennen. Wir leben in einer Periode, in der sich der Niedergang des Kapitalismus in wiederkehrenden Krisen ausweist, die das Auseinanderbrechen von alten Verbünden und sogar von Nationalstaaten (Britannien, Spanien, die EU selbst), als auch Kriege und Revolutionen auf die Tagesordnung setzen. Ein neuer hoch technisierter Rüstungswettlauf und gefährliche Eingriffe in Kriege zwischen rivalisierenden regionalen Verbündeten der Imperialisten haben bereits begonnen.

Diese interimperialistischen und Auseinandersetzungen zwischen Regionalmächten haben Bewegungen für politischen und gesellschaftlichen Wandel wie den Arabischen Frühling von 2011 in die falsche Richtung gelenkt oder aus dem Gleis geworfen und den Weg für den Aufstieg reaktionärer Bewegungen wie den ISIS bereitet. Islamistische politische Bewegungen haben den Platz eingenommen, den im 20. Jahrhundert arabisch-nationalistische, sozialistische und stalinistische Parteien ausgefüllt haben, weil sie scheinbar Widerstand gegen die militärisch aktiven imperialistischen Mächte USA, Russland, Britannien und Frankreich leisten, die den nahen Osten ein Jahrhundert lang geteilt und ausgebeutet haben.

2015 haben die Interventionen der USA und Britanniens im Irak und in Syrien, von Frankreich in dessen ehemaligen Kolonien und Russlands Hilfe für Assad terroristische „Gegenschläge” provoziert, auf die der französische Staat mit der Verhängung eines drakonischen und unbefristeten Ausnahmezustands reagiert hat. Die andere Gegenbewegung war der Zustrom von Flüchtlingen in angrenzende nahöstliche Länder, auf den Balkan und auch in mittel- und westeuropäische Staaten. Dies führte zu größeren Grenzkrisen innerhalb der EU und stachelte die Zunahme von Rassismus in den angestammten konservativen Parteien, von Rechtspopulismus und offenem Faschismus an. Die Islamfeindlichkeit ist zur zentralen unterschwellig rassistischen Ideologie von PopulistInnen und FaschistInnen geworden, zum Antisemitismus des 21. Jahrhunderts.

Keiner der imperialistischen Blöcke stellt einen irgendwie gearteten fortschrittlichen Aspekt dar, den SozialistInnen unterstützen könnten – auch nicht kritisch. Sie sind alle, wie Lenin sie einmal benannte, „Räuberbanden“. Die ArbeiterInnenklasse ist eine internationale Klasse, die nicht für ihre eigenen historischen Interessen kämpfen kann, wenn sie sich irgendeinem Block oder einer einzelnen imperialistischen Macht unterordnet, auch nicht, wenn sie sich der herrschenden Kapitalistenklasse von kleineren unterdrückten und ausgebeuteten Nationen unterwirft. Die Selbstständigkeit der ArbeiterInnenklasse ist ausschlaggebend, gerade in der Erkenntnis, dass wir inmitten einer solchen Periode nicht Jahrzehnte entfernt sind von Kriegen und Revolutionen, sondern diese uns in den nächsten Jahren wiederholt bevorstehen.

Wie die Erfahrungen des Arabischen Frühlings gezeigt haben, setzt der Sturz eines langjährigen Diktators allein noch keinen unumkehrbaren objektiven revolutionären Prozess in Gang. RevolutionärInnen müssen die Lehren ziehen, die die ArbeiterInnenklasse lernen muss:

  • Sie muss den Unterschied zwischen berechtigten demokratischen Aufständen gegen tyrannische Regierungen und Konterrevolutionen erkennen, die sich als Revolution tarnen, wie in der Ukraine.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss die Führung bei all solchen demokratischen Revolutionen übernehmen, ihre eigenen Organisationen formen, mit denen sie die alte Staatsmacht brechen und jedes Rädchen ihres Unterdrückungsapparates ausschalten kann.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss dann die Aufgaben der sozialistischen Revolution anpacken und den Kampf in die umliegende Region und sogar in die ganze Welt hinaustragen.

In allen imperialistischen Ländern muss die Richtschnur unseres Handelns „Der Hauptfeind steht im eigenen Land” lauten. Eine vordringliche Aufgabe ist die Mobilisierung gegen die Kriegsführung, gegen Sanktionen, gegen Grenzzäune und Ausnahmezustände und gegen die Vorbereitung von Kriegen durch die imperialistischen Mächte. RevolutionärInnen müssen alle Maßnahmen entlarven und vor ihnen warnen wie den des Rückzugs in die nationale Abschottung, die zu Handelskriegen, kalten Kriegen und schließlich zu interimperialistischen Kriegen führen können.

In den meisten europäischen Staaten haben 5 Jahre Austerität bei großen Teilen der Bevölkerung zu Enttäuschung von den Parteien geführt, die diese Politik durchgeführt haben, sowohl von rechten wie auch von vermeintlich linken. Es gibt eine weitgehende Entfremdung von den alten reformistischen Parteien der 2. Internationale. Viele glauben auch nicht mehr an das „Zweiparteiensystem”, denn beide Seiten haben ähnliche, oft genug ein und dieselbe Politik gemacht. Jüngste Wahlergebnisse in Europa haben eine Suche der WählerInnenschaft nach Alternativen gezeigt, sowohl nach rechts wie in Polen, wie nach links wie in Portugal, Griechenland und Spanien. Populistische Parteien auf der rechten wie auf der linken Ebene sind kometenhaft aufgestiegen. Einige wie die reformistische Syriza stellten zwischen 2012 und 2015 scheinbar eine neue aufregende Alternative dar. Heute verspricht die Bewegung, die dem neuen britischen Labour-Führer Jeremy Corbyn den Rücken stärkt, eine Umwandlung der Labour Party in eine ähnliche Richtung.

Wo die ArbeiterInnenmassen sich von solchen Vorgängen angezogen fühlen, wäre es sektiererisch von RevolutionärInnen, abseits zu stehen. Aber sie müssen sich diesen Auseinandersetzungen illusionslos anschließen und vor den verhängnisvollen Schwächen der FührerInnen und deren Programmen warnen. Unser Ziel, wo Beteiligung an diesen Massenparteien oder -bewegungen unter unserer eitenen politischen Fahne möglich ist, muss die Umwandlung dieser Parteien in echte, d. h. revolutionäre ArbeiterInnenparteien sein. Wirtreten dabei nicht nur für ein sozialistisches Übergangsprogramm zur Annahme durch die Partei ein, sondern benennen auch die innerparteilichen Hindernisse bei dessen eventueller Ausführung: d. h. die reformistische Bürokratie und ihre wirkungslosen Organisationsformen, die sie den ArbeiterInnenorganisationen übergestülpt hat.

Die Lösung der Führungskrise, die die ArbeiterInnenklasse auf der ganzen Welt betrifft, erfordert von der kleinen Zahl von revolutionären KommunistInnen die Anwendung von Taktiken, die sie an die Seite der kämpfenden Massen bringen mittels der verschiedenen Einheitsfronttaktiken. Ein wichtiger Ausdruck dieser Führungskrise bestand darin, dass es gegen die Auswirkungen der Krise von 2008 mit Ausnahme des Arabischen Frühlings und der Occupy-Bewegungen in Europa und Nordamerika einen viel geringeren international organisierten und perspektivischen Widerstand gegeben hat als in der Zeit zwischen 1998 und 2003 mit den Sozialforen und Gipfelblockaden.

Die revolutionäre Linke muss ihre Kräfte für den Widerstand sammeln und diesen Negativtrend umkehren, eine Aufgabe, die eine weitere Vertiefung der kapitalistischen Krise und der Herrschaft kapitalistischer Regierungen aller Schattierungen noch dringlicher erscheinen lässt. Wir brauchen sofort massenhafte Einheitsfronten gegen Austerität und imperialistischen Krieg, gegen Rassismus und reaktionären Populismus, gleich ob in religiösem oder weltlichem Gewand. Wir müssen die Kräfte vom linken Flügel der ArbeiterInnenmassenorganisationen zusammenbringen wie auch neue Kräfte in der ArbeiterInnenschaft, Frauen, Jugend und rassisch wie national Unterdrückte, um revolutionäre ArbeiterInnenparteien und eine neue fünfte Internationale aufzubauen.




Erklärung des 10. Kongresses

Liga für die Fünfte Internationale, März 2016, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Seit 2008 befindet sich der globale Kapitalismus in einer neuen historischen Krisenperiode. Diese kann durch schwache Erholung, Stagnation und wiederkehrende Rezessionen charakterisiert werden. Dies hatte neben ökonomischen auch politische, ökologische sowie ideologische Auswirkungen, gegen welche sich die politischen wie auch gewerkschaftlichen Organisationen der ArbeiterInnenklasse als machtlos erwiesen haben.

Dieser Schwäche liegt zugrunde, dass diese Organisationen keinerlei effektive Strategien oder Formen eines politischen Programms vorzuweisen haben, welche die Krise auf Kosten der herrschenden und unterdrückenden Klasse und nicht auf dem Rücken der ArbeiterInnenklasse überwinden würden. Um es kurz zu sagen, es offenbart eine Führungskrise.

Die von der herrschenden Klasse angewandten Maßnahmen, um ihren eigenen Wohlstand sowie ihre Privilegien zu schützen, beinhalteten auf der einen Seite Angriffe auf die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse und auf der anderen Seite Unternehmungen, anderen Nationen die Kosten der Krise aufzuzwingen. Dies wiederum hat die Spannungen und Rivalität zwischen unterschiedlichen Ländern erhöht,  Das seinerseits macht Kriege – auch zwischen Großmächten – wahrscheinlicher.

Hundert Jahre nach der Veröffentlichung seiner Schrift: „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ ist Lenins Beschreibung dieser Epoche als „eines besonders intensiven Ringens um die Aufteilung sowie Neuaufteilung der Welt“ immer noch aktuell wie akkurat. Das Aufkommen Russlands und Chinas als neue imperialistische Mächte im 21. Jahrhundert hat schon zur Destabilisierung der vorhergehenden „Weltordnung“ geführt. Vor allem mit Hinblick auf China wird dessen weiteres Wachstum die Dominanz anderer Mächte in immer mehr Regionen der Welt herausfordern.

Keine der imperialistischen Mächte oder deren jeweilige Allianzen repräsentieren historisch betrachtet etwas Progressives. SozialistInnen können sich daher nicht an die Seite dieser Kräfte stellen, egal wie „kritisch“. All jene Mächte sind zumindest an barbarischer Unterdrückung in verschiedenen Teilen der Welt beteiligt. SozialistInnen müssen sich daher mit all jenen solidarisieren, welche gegen imperialistische Interventionen vorgehen.

Dies trifft sowohl in der Ukraine gegen den von faschistischen Milizen angeführten und von den USA unterstützten „Maidan-Putsch“ wie auch gegen Assad in Syrien zu, wo Russland einen Vorteil für sich erlangen will.

Hundert Jahre Imperialismus haben ebenfalls die Unvereinbarkeit von kapitalistischer Entwicklung und der Aufrechterhaltung der natürlichen Umwelt – von der jegliche Lebensform abhängt – demonstriert. Die unstillbare Suche des Kapitals nach Profit führt nicht nur zur Ausbeutung von Menschen, sondern auch von Naturressourcen, unabhängig davon, wie diese Ausbeutung sich langfristig auf beide auswirkt.

Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels in Form von Wüstenbildung, Überschwemmungen und weiteren extremen Wetterereignissen, gefolgt von Hunger und Epidemien, können nur abgefangen und erst recht langfristig nur umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den Händen der großen Kapitalisten entrissen wird, die die Menschheit an den Rand eines Desasters geführt haben. Alleine eine sozialistische Revolution wird die optimal geplante Verwendung der Ressourcen unter der Kontrolle der Mehrheit ermöglichen, eine Planung, welche die Entwicklung der Städte und der Natur in gleichem Maße nicht nur in nationalem Rahmen, sondern auch auf globalem Maßstab ausbalancieren kann.

Entwicklung

Trotz ihrer üblen Begleiterscheinungen ermöglicht die anhaltende kapitalistische Dominanz weiterhin soziale Veränderung, ja sogar Entwicklung. Eine davon ist in China die Schaffung der größten ArbeiterInnenklasse,  welche die Welt je gesehen hat. Obwohl ihr immer noch das Recht auf unabhängige Organisierung verwehrt wird, hat sie sich schon als dazu fähig erwiesen, große Zugeständnisse, ob von Unternehmern oder auch von Staatsseite, zu erzwingen. Beispiele hierfür sind Auseinandersetzungen um sichere Arbeitsbedingungen sowie für höhere Löhne und soziale Gesetze in den Megastädten, in welchen das chinesische Proletariat seine Arbeit verrichtet.

Nicht weniger wichtig war die Einbindung von Millionen weiblicher Arbeitskräfte – hauptsächlich jüngeren Frauen – in die moderne, industrielle Produktion in Ländern über den gesamten Globus hinweg. Obwohl sie häufig fast sklavenähnlichen Bedingungen ausgesetzt sind, haben sie nichtsdestotrotz mutige Kämpfe gegen einerseits ökonomische Ausbeutung sowie ihre soziale Unterdrückung geführt. Die Arbeiterinnen bereicherten somit die Reihen der weltweiten ArbeiterInnenklasse mit einer dynamischen und wichtigen Kraft.

Die krisengeschüttelte Natur des modernen Kapitalismus wird ebenfalls durch die plötzlichen Ausbrüche an sozialen Krisen und Revolutionen reflektiert, selbst bei Regimes, die für ihre repressive Stabilität bekannt waren. Der „Arabische Frühling“ hatte mehr als alle andere Bewegungen nicht nur die Sehnsucht nach Demokratie und Menschenrechten aufgezeigt, sondern auch den innewohnenden internationalen Charakter einer jeden tiefgreifenden revolutionären Bewegung.

Innerhalb einer viel zu kurzen Zeit wurde auch die entscheidende Rolle einer Führung demonstriert. Eine etablierte und organisierte ArbeiterInnenpartei, die eine klare Strategie mit dem Ziel verfolgt, die Macht des Staatsapparates zu brechen und sie  durch Organe der ArbeiterInnenklasse zu ersetzen, hat gefehlt. Dadurch trat der Kern der Massenbewegung in Ägypten die Führung an die klerikalen Kräfte ab, welche anschließend durch einen militärisch-bonapartistischen Putsch unter al-Sisi abgelöst wurden. In einer Welt, die von ökonomische Unsicherheiten und Rivalitäten zwischen Nationen heimgesucht wird, kann ein Schock in einem Lande schnell auf andere übergreifen. Der „Arabische Frühling“ inspirierte rund um den Globus Massenbewegungen, welche hauptsächlich von Jugendlichen dominiert wurden und zu der Besetzung der Wall Street sowie von öffentlichen Plätzen in einem Land nach dem anderen führten. Aber auch diese waren unfähig, eine erkennbar progressive Richtung einzuschlagen, als sie im Angesicht von Polizeigewalt nichts Substantielles entgegenzusetzen hatten außer der Beteuerung, das Recht der „99%“ zu haben.

In andern Ländern Nordafrikas und des Mittleren Ostens rief die Instabilität Interventionen von Welt- sowie Regionalmächten hervor. Diese generierten und verbreiteten jedoch noch mehr Instabilität. Dies tritt nirgendwo anders so deutlich zu Tage wie in Syrien, dessen Revolution, Konterrevolution und Bürgerkrieg nicht nur zur Herausbildung von ISIS geführt hat und nicht nur zur Steigerung der Konfrontation zwischen den USA und Russland beitrug, sondern auch zur internen Desintegration der Europäischen Union, indem sie mit Millionen verzweifelter Flüchtlinge konfrontiert wird.

Die neue Periode hat ebenfalls ihre Auswirkungen auf die schon vor 2008 existierenden Bewegungen. Dies wird besonders in Lateinamerika sichtbar, wo die bolivarischen, populistischen sowie sozialdemokratischen Regime, welche im letzten Jahrhundert an die Regierung kamen und zu Beginn des 21. Jahrhunderts florierten, nun mit dem Rücken zur Wand stehen. Das ökonomische Modell des „(reformistischen) Sozialismus des 21.Jahrhunderts“, welches hauptsächlich auf dem Export von Rohstoffen basierte, erwies sich als zeitlich beschränkt und sehr von den zweistelligen Wachstumsraten Chinas abhängig.

Neue Parteien

Generell kann die Aussage kann getroffen werden, dass die politischen Auswirkungen der neuen Periode die soziale Basis der etablierten Parteien und Gewerkschaften unterminierten oder manchmal gar abtrugen, während die Gesellschaft nach links und rechts radikalisiert wurde. In Europa wird dies auf der Rechten durch die „Alternative für Deutschland“, die „5-Sterne-Bewegung“ in Italien, die Front National in Frankreich, die UKIP in Britannien sowie die chauvinistischen Regierungen Ungarns und Polens verkörpert. Auf der Linken sahen wir das Erstarken von Syriza (Griechenland), Podemos (Spanien) und Bloco (Portugal).

In sehr unterschiedlicher Form entfaltet sich eine ähnliche Dynamik bei der Wahl von Jeremy Corbyn zum Parteiführer der Labour Party in Großbritannien, im Wachstum der „Black Lives Matter“ und der „$15-Mindestlohn“-Bewegung sowie den unerwarteten Erfolgen von Bernie Sanders bei den Demokratischen Präsidentschaftsvorwahlen in den USA. Das Erstarken der populistischen Rechten in den USA wird klar durch Donald Trump verkörpert, während der aufkommende Hindu-Nationalismus und die Modi-Regierung in Indien klar machen, dass dies nicht nur auf die „etablierten“ Länder beschränkt ist.

Im Vergleich zum „Antikapitalismus“ der ersten Jahre des neuen Jahrhunderts und zu den durch den „Arabischen Frühling“ inspirierten „Occupy“-Bewegungen haben die AktivistInnen bspw. von Syriza, Podemos oder der Corbyn-Bewegung die Notwendigkeit von Aktionen und Lösungen auf Regierungsebene erkannt und weisen somit eine größere politische Reife auf. Die Stärken wie aber auch die Gefahren ihres schnellen Aufstiegs und der Reaktionen der Linken auf diese können am besten am Fall Syrizas illustriert werden.

Die Abspaltung ihres eigenen rechten Flügels trieb Syriza nach links und brachte ihr Unterstützung in den Massenmobilisierungen der griechischen ArbeiterInnenklasse ein, da sie sich offen dagegen aussprach, mit der Troika und ihren Kürzungspaketen zusammenzuarbeiten. Durch die Tatsache, dass sich Syriza aus unterschiedlichen Tendenzen zusammensetzte, kam es nicht überraschend, dass es kein entwickeltes Programm zur Hand hatte, um den Kampf gegen die Troika aufzunehmen. Vor allem stellte sich Syriza nicht die Aufgabe, die aus dem Stegreif entstandenen Organisationsformen der Massenbewegung in demokratisch kontrollierte Organe zu verwandeln, die wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Kürzungen hätten durchsetzen können.

Viele innerhalb der Linken, allen voran die Sektionen des Vereinigten Sekretariats der 4.Internationale, sahen im schnellen Aufstieg Syrizas eine Bestätigung ihrer eigenen Ablehnung des „leninistischen“ Parteiaufbaumodells und dessen Ersetzung durch „breite“ Allianzen, welche revolutionäre sowie reformistische Tendenzen zusammenbringen. Es war jedoch durchaus richtig, sich positiv auf Erscheinungen wie Syriza zu beziehen, anstatt sich als RevolutionärInnen passiv daneben zu stellen und auf das kommende Versagen zu verweisen. Dies hätte keinerlei positiven Effekt für die Vorbereitung der ArbeiterInnenklasse auf den kommenden Kampf gebracht. Es war andererseits völlig falsch, darauf zu verzichten, die fundamentalen Schwächen des Syriza-Projekts von vornherein aufzuzeigen.

Die plötzliche Kapitulation der Syriza-Regierung trotz mehrheitlicher Unterstützung seitens der Bevölkerung im OXI-Referendum bewies nicht nur einen abstrakten Punkt politischer Theorie. Es stellte einen Wendepunkt im Schicksal der griechischen ArbeiterInnenklasse dar: eine strategische Niederlage.

Reform und Revolution

Betrachtet man die Fülle an kürzlich abgehaltenen Jahrhundertfeiern zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, sind die Lehren, welche von Syriza gezogen werden sollen, ironischerweise genau dieselben wie jene, welche die Linke in damaliger Zeit zog: Die Partei, die die ArbeiterInnenklasse benötigt,  kann keine Allianz zwischen ReformistInnen und RevolutionärInnen sein. Wie Rosa Luxemburg bemerkte, bewegen sich diese zwei Tendenzen nicht allein auf unterschiedlichen Straßen zum selben Ziel – selbst ihre Ziele stehen sich entgegen.

Gleichzeitig kann die Regierung, welche die ArbeiterInnenklasse benötigt, nicht abhängig von den existierenden staatlichen Institutionen sein, wie von Syriza praktiziert,. Sie muss vielmehr auf kämpfenden Organen der ArbeiterInnenklasse fußen, organisiert und bereit sein, ihr Programm durchzusetzen, das Enteignungen und Kontrolle der Agenturen des Kapitals vorsieht.

Welche unterschiedlichen Auswirkungen die kapitalistische Krise auf verschiedene Länder auch haben mag, sie  hat internationalen Charakter, und international muss auch die Lösung der ArbeiterInnenklasse sein. Mit Hinblick darauf waren die jüngeren Bewegungen ein Schritt rückwärts im Vergleich zum Internationalismus der vorhergegangenen Bewegungen mit ihrem Fokus auf Gipfelbelagerungen, Sozialforen und international koordinierten Aktionen.

Die griechische ArbeiterInnenklasse wurde im Grunde in ihrem Kampf alleingelassen. Konfusionen über die internationalen Hintergründe zu den Ereignissen in Syrien und der Ukraine führten zu wenig internationaler Solidarität mit den fortschrittlichen Kräften in diesen Ländern. Im größeren Maßstab gab es keine internationale Opposition zum „Krieg gegen den Terror“ oder eine Solidaritätsbewegung der ArbeiterInnenklasse mit den Opfern der „Flüchtlingskrise“ in Europa.

Die Unfähigkeit des Kapitalismus, seine Krise zu überwinden und irgendeine Art von anhaltendem ökonomischen Wachstum zu generieren, wird wiederkehrende Vorfälle von politischen, ökonomischen und sogar militärischen Konfrontationen hervorrufen, vor allem verbunden damit, dass die mächtigsten Staaten sich weiterhin auf Kosten anderer stärken müssen. In dieser Situation sind die zentralen Aufgaben der geringen Anzahl von RevolutionärInnen hauptsächlich solche von PropagandistInnen: die Darstellung der vielen Ideen eines revolutionären Programms für die  fortgeschrittensten AktivistInnen, auch wenn diese ohne Zweifel zuerst die Minderheit in den Reihen derjenigen darstellen, welche sich gegen Kürzungen, soziale Unterdrückung und militärische Repression wenden.

Nichtsdestotrotz weist das rasche Aufkommen von Bewegungen darauf hin, dass revolutionäre PropagandistInnen auch in sehr kurzer Zeit zur Aktion gezwungen oder gar in die Führungsrolle gebracht werden können. In einer solchen Situation kann die scharfe Axt in Form eines Programm, das sich der Lage gewachsen zeigt, auch durch schwere Hindernisse dringen, wie Trotzki sagte.

Dieses Programm muss sich auf die Notwendigkeiten der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten fokussieren, eigene demokratisch kontrollierte Kampforgane zu schaffen. Es besteht darauf, dass der Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zwar mit direkten ökonomischen und politischen Forderungen beginnen kann, sich ein solcher Kampf jedoch nicht auf deren Durchsetzung beschränken darf.

Der Kampf muss vielmehr „permanent” geführt werden, wie er von Marx und Engels zunächst verstanden worden ist und später von Trotzki verallgemeinert wurde. Er muss immer weiter vorangetrieben werden und die Festungen des Kapitalismus schleifen; er darf weder vor den Institutionen des Staates noch vor Grenzen des Landes, in dem der Kampf begonnen hat, haltmachen. Dieses Programm muss in die lebendigen Auseinandersetzungen der großen Mehrheit der Menschheit hineingetragen werden, aber zu dem Zweck müssen die Befürworter des Programms sich selbst organisieren.

Darum besteht die hauptsächliche Aufgabe für heutige RevolutionärInnen darin, für den Aufbau revolutionärer Organisationen einzutreten, die vergleichbar sind mit jenen, die von den KommunistInnen vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges und seiner Auswirkungen gegründet wurden – das ist der Kampf für die 5. Internationale.




Die Krise der Europäischen Union und die Aufgaben der ArbeiterInnenklasse

10. Kongress der Liga für die Fünfte Internationale, März 16, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Die Europäische Union sieht sich mit der größten Krise ihrer gesamten Geschichte konfrontiert. Zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte sie sich das Ziel, die dynamischste Ökonomie der Welt zu werden. Die Verträge von Lissabon und die Europäische Verfassung sollten die ökonomische, soziale und politische Vereinheitlichung des Kontinents vorantreiben.

Dies hätte vervollständigt, was der französische und deutsche Imperialismus nach dem Fall der Berliner Mauer erreichen wollten: die Osterweiterung der EU und die Einführung des Euro, also die Etablierung einer Europäischen Union, die unter ihrer Führung und Hegemonie eine ernsthafte Herausforderung der USA und anderer Kontrahenten im Wettstreit um weltweiten Einfluss darstellt.

Anstelle dessen wurde die EU nach der Finanzkrise von 2007/2008 und der nachfolgenden weltweiten Rezession selbst zum Zentrum der weltweiten Unruhen. Dem deutschen Imperialismus war es möglich, den schwächeren Staaten der Union, besonders jenen in Süd-Europa, die Kosten der Krise aufzuzwingen. Das gesamte Euro-System wurde zu einem Mechanismus, der die Ungleichheit zwischen den Mitgliedsländern vergrößerte. Die südeuropäische „Schuldenkrise“ erlaubte es dem deutschen Imperialismus und seinen engeren Verbündeten, Griechenland in ein EU-Protektorat zu verwandeln und Ländern wie Italien, Spanien und Portugal ihrePolitik aufzuzwingen.

Die Krise demonstrierte aber auch die Schwäche der EU und ihrer dominierenden Kraft. Die angewandte Politik zur Rettung der Monopole und des Finanzkapitals in den europäischen Kernländern, sowie die Austeritätspolitik, die nicht nur Südeuropa, sondern auch Frankreich aufgedrückt wurde, werden die inneren Spannungen erhöhen.

Die so genannte „Flüchtlingskrise“, also die kurzlebige Möglichkeit von Menschen, vor Krieg und Armut zu fliehen und Schutz in Europa zu suchen, hat die wachsenden inneren Widersprüche der EU hervorgehoben und eindeutig gezeigt, dass die EU weit davon entfernt ist, ein Supra-Staat zu sein. Die Flüchtlingskrise hat auch klar gemacht, dass Deutschland zwar die eindeutig stärkste, dominierende imperialistische Macht der EU ist, deren Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer Politik in der EU als Ganzes aber begrenzt ist.

Während der Deal mit der Türkei von der deutschen Regierung und Angela Merkel als Sieg ihrer Position dargestellt wird, zeigt er eigentlich die Möglichkeit der kleineren Länder, die Lösung zu blockieren, die Deutschland und andere zentrale Akteure der EU durchsetzen wollten.

Außerdem zeigten die Krisen in der Ukraine und im Nahen Osten, dass die EU keine einheitliche und aktive außenpolitische Rolle nach den Vorstellungen besonders Deutschlands einnehmen kann. In der Ukraine war es den USA möglich, den innerstaatlichen Konflikt zu nutzen, um einen „neuen Kalten Krieg“ zu beginnen und somit ihre europäischen Verbündeten, allen voran Deutschland, vorerst zur Beendigung ihrer strategischen Partnerschaft mit Russland zu zwingen. Im Mittleren Osten hingegen nimmt Russland im Syrien-Konflikt eine Schlüsselposition ein.

Nun, da der Austritt Großbritanniens durch den Brexit möglich ist, zieht eine weitere Krise am Horizont der EU herauf. Während eine funktionierende deutsch-französische Partnerschaft vor einigen Jahren froh gewesen wäre, den britischen Imperialismus als pro-amerikanisches Hindernis los zu werden, würde Großbritanniens Austritt heute von europäischem Finanzkapital und entscheidenden imperialistischen Regierungen als Katastrophe gewertet werden.

Risse innerhalb der Staaten und der herrschenden Klassen

Die Europäische Union und der Euro werden die heutigen Herausforderungen wohl „überleben“. Aber es ist klar, dass die angehäuften Krisen, Hindernisse und Niederlagen, sowie der andauernde Rückfall der EU und seiner führenden Mächte hinter die USA und China insbesondere die herrschenden Klassen und die bürgerlichen Führungen in Deutschland, England und Frankreich zu einer Neuausrichtung ihrer europäischen und globalen Strategien zwingen.

Die Beziehungen zwischen diesen drei imperialistischen Mächten sind der Schlüssel zu der Frage, ob und wie eine kapitalistische Einigung Europas fortschreiten kann. Zur Zeit Kohls und Mitterrands oder Schröders und Chiracs war die deutsch-französische Partnerschaft der Motor Europas, der mit gleichen Zielen als Kern der EU diente. Heute ist diese Partnerschaft in der Klemme, während Großbritannien seine Position gegenüber den USA und der EU neu justiert.

Das bedeutet, dass wir nicht nur einen Kampf zwischen Nationalstaaten und herrschenden Klassen um die Zukunft Europas miterleben, sondern auch einen Kampf innerhalb der herrschenden Klassen und zwischen verschiedenen Fraktionen des Kapitals über ihre zukünftige Ausrichtung. In der derzeitigen Krisenperiode, in ihrem Kampf um die Neuordnung Europas und die Neuaufteilung der Welt, stehen die Kapitalisten einer politischen Krise gegenüber, einer Krise ihrer historischen Strategien.

Letzten Endes spiegelt dies die Unfähigkeit der Bourgeoisie wider, Europa zu einigen. Die EU und der Euro selbst resultieren aus der Entwicklung der Produktivkräfte über nationale Grenzen hinaus. Natürlich klammern sich wichtige Fraktionen des Kapitals und imperialistischer Strategen (und große Teile der Eliten schwächerer, semi-kolonialer Staaten) an die EU. Sie sind sich sehr bewusst, dass ein Zusammenbruch der Eurozone oder der Union ihre Position auf dem Weltmarkt wahrscheinlich schwächen würde.

Zur gleichen Zeit drohen die nationalen Interessen der herrschenden Klassen und die Widersprüche zwischen den zentralen imperialistischen Mächten Europa erneut auseinanderzureißen. Im Kapitalismus kann eine größere Vereinigung nur durch die Unterordnung der semi-kolonialen Staaten in Europa und der EU gelingen, durch eine dynamischere Intervention auf dem Weltmarkt und immer offenere politische und militärische Interventionen im Kampf um die Neuaufteilung der Welt. Am wichtigsten aber: Dies kann aber nur durch die Dominanz einer imperialistische Bourgeoisie über die anderen historischen Mächte geschehen; es ist also der Antagonismus zwischen diesen Mächten, Deutschland, Großbritannien und Frankreich, der das eigentliche Hindernis für eine organische, andauernde Vereinigung Europas darstellt.

Für die deutschen Kapitalisten, aber auch für jede andere imperialistische Bourgeoisie ist es klar, dass die EU, das Europäische Parlament und die europäischen Institutionen im Allgemeinen nicht zu einem „größeren Deutschland“ führen werden – trotz der ökonomischen Dominanz des Landes. Sie hören die Uhren ticken, weil die Widersprüche innerhalb der EU sie immer weiter hinter die USA und China zurückfallen lassen. Also ist eine „neue Strategie“ vonnöten. Das könnte ein entschlossener Vorstoß des deutschen Imperialismus sein, mit dem seine ökonomische Rolle zu politischer und militärischer Dominanz führte. Aber wie wir an der Politik der Europäischen Zentralbank und der Finanzmacht Großbritanniens sehen können, ist selbst Deutschlands ökonomische Dominanz bei weitem nicht absolut.

Deshalb ist eine Periode der Neuausrichtung zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannies und deren Versuch einer gewissen Restrukturierung der EU wahrscheinlicher – auch wenn deren endgültige Form sowie die Beziehungen zu den USA, China und Russland unklar bleiben und nicht ohne zukünftige Krisen und Konfrontationen zu etablieren sein werden.

Die vermehrten imperialistischen Interventionen Frankreichs in seinen historischen Einflussgebieten – mit Bodentruppen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik, dem Bombardement in Syrien und klandestinen Einsätzen in Libyen – sind sicherlich ein Zeichen für diese Periode der Neuausrichtung. Sie zeigen auch ein neues Bewusstsein der französischen Bourgeoisie, dass eine weiterführende und wiedererstarkende Dominanz in dem Rest seiner Kolonien für seine zukünftige Rolle als Imperialmacht wichtig sein könnte.

Im Rahmen der EU, aber auch in Bezug auf „die großen Drei“, können wir weitere Interventionen im „nahen Umfeld“ erwarten. Der Deal der EU mit der Türkei, der die europäischen Grenzen abschotten soll, spiegelt auch Deutschlands Ambitionen wider, eine Rolle bei der Neuaufteilung des Mittleren Ostens zu spielen. Allein die Politik gegenüber Russland, der wichtigsten europäischen Macht außerhalb der EU, wird eine Quelle andauernder Auseinandersetzungen sein. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Deutschland und England ihre wirtschaftlichen Beziehungen zu China stärken und damit möglicherweise den Grundstein für eine zukünftig engere politische Zusammenarbeit legen – eine Entwicklung, welche die USA mit Sorge beobachten.

Ungeachtet der Details sind die Aussichten für die nächsten Jahre klar: es wird eine Intensivierung der europäischen Krise, größere Instabilität in Europa und eine Zuspitzung der Widersprüche zwischen und innerhalb der einzelnen Staaten geben.

Die Krise des „Projekts Europa“, die anhaltenden Austeritätsprogramme und das Bestreben Deutschlands, den Kontinent politisch und ökonomisch zu dominieren, führen zur Zunahme von Sektoren der herrschenden Klassen, die nationalistische Lösungen vorschlagen und von Kleinbürger- und Mittelschichten unterstützt werden.

In vielen Ländern erleben wir ein Anwachsen nationalistischer, rechtspopulistischer, rassistischer oder sogar faschistischer Kräfte. Einige fordern die „soziale Zerstörung“ der EU demagogisch heraus; andere, wie die rechten Parteien, die in Osteuropa regieren, oder die AfD in Deutschland, halten an einer ultra-neoliberalen Sozialpolitik fest. Sie wollen keinen einzigen Cent abdrücken, weder an Flüchtlinge noch an die Länder Südeuropas, die durch das europäische Kapital gedemütigt wurden. Andere, wie der Front National (FN) in Frankreich, präsentieren sich auf demagogische Weise als Verteidiger „des französischen Arbeiters“. Rassismus gegen MigrantInnen – und gegen Muslime/a im Besonderen – ist ein verbindendes Motiv all dieser Parteien. Es ist klar, dass eine Reihe dieser Parteien und Bewegungen zu Werkzeugen für schärfere Angriffe nicht nur auf MigrantInnen in Europa, sondern auch auf die ArbeiterInnenklasse als Ganze werden mögen, um sie die Kosten kommender globaler Wirtschaftskrisen zahlen zu lassen.

Die derzeitige politische Krise der EU wird wegen der anhaltenden Stagnation auf dem Kontinent, der wachsenden Ungleichheit und einer heraufziehenden Rezession noch akuter werden. Deutschland und einige Länder, die an dessen Konjunktur angebunden sind, konnten ihre Position in der EU/Eurozone stärken – sie taten dies aber auf Kosten eines anhaltenden sozialen und ökonomischen Abstiegs der Länder Süd- und Osteuropas. Die osteuropäischen Regime und die baltischen Staaten handeln indessen als buckelnde Anhänger des Neoliberalismus. Weil ihre EinwohnerInnen die sozialen Verwüstungen der kapitalistischen Restauration erleben mussten, fordern sie, dass niemand vor seinem Niedergang „gerettet“ werden muss.

Auch wenn der britische und deutsche Imperialismus Teile ihrer industriellen und finanziellen Stärke erhalten konnten, wurde von allen historischen Mächten der französische Imperialismus (ganz zu schweigen von Italien und Spanien) am härtesten von der ökonomischen Krise der EU getroffen. Über Jahrzehnte handelten die französischen Regierungen als gleichrangige, wenn auch weniger dynamische Partnerinnen Deutschlands. Jetzt aber wird es schwer für die französische Regierung, diese Gleichrangigkeit auch nur zu behaupten und dies ihrer Bevölkerung zu verkaufen. Sie will den französischen ArbeiterInnen jetzt ein Ääquivalent der deutschen „Agenda 2010“ aufdrücken, um verlorenen Boden wiedergutzumachen. Sollte dieses Programm durchgebracht werden, wäre das sicherlich eine strategische Niederlage der französischen ArbeiterInnenklasse. Ob es dem französischen Kapitalismus Aufwind verschaffen könnte, ist zumindest zweifelhaft.

Die derzeitige Krise hat auch gezeigt, dass die „Werte“ der Europäischen Union und die Pläne für ein soziales Europa, die in den 1990er Jahren ein Kennzeichen der Sektionen der europäischen Sozialdemokratie und selbst der Christ-Demokraten waren, längst geopfert wurden. Während der Flüchtlingskrise wurde jeder Appell Merkels, Junckers oder Schulz’ im Namen dieser europäischen Werte an andere europäische Politiker mit blanker Verachtung entgegnet. Das enthüllte nicht nur die Grenzen der deutschen Macht, sondern auch die ideologische Krise der Europäischen Union.

Das Ausmaß der politischen Krise wird durch die wirtschaftliche Krise weiter betont. In den letzten Jahren hat sie Süd-Europa getroffen und hat zu massiven Erschütterungen und Widerstand geführt. Jetzt erreicht sie auch die europäischen Kernländer, Deutschland, England, Frankreich – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die kommenden ökonomischen Turbulenzen werden eine europäische Krise einleiten und synchronisieren.

Es ist klar, dass die Spaltung der europäischen Regierungen und die sich entfaltenden Widersprüche zwischen den herrschenden Klassen einen gemeinsamen Gegenangriff der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten erlaubt hätten. Anstelle dessen funktionierten die Gewerkschaftsbürokratien, die reformistischen Massenparteien sozialdemokratischer und stalinistischer Tradition als Stabilisatoren  der bürgerlichen Herrschaft.

Es ist nicht überraschend, dass nun, im Gegensatz zur Zeit nach der Krise 2007/2008, reaktionäre, nationalistische und rassistische Kräfte von der Krise profitieren. Dies ist ein Resultat wichtiger Niederlagen in der vergangenen Periode und des Niedergangs der klassischen ArbeiterInnenbewegung, der Erosion des Gewerkschaftertums und der Repräsentation der ArbeiterInnen, sowie der Parteien, die historisch und organisch auf der ArbeiterInnenklasse aufbauen.

Daher tritt die ArbeiterInnenklasse in einer geschwächten Position und als europäische Kraft beinahe paralysiert in die kommende Periode ein. In Griechenland finden natürlich noch anhaltende Abwehrkämpfe gegen die Rentenreform statt, aber sie werden vor dem Hintergrund einer strategischen Niederlage geführt, welche die griechische ArbeiterInnenklasse im Oxi-Verrat und der Installation der zweiten Syriza-ANEL-Regierung erlitten hat.

Rechtsruck des Reformismus

Dies war der Höhepunkt einer Reihe von Vertrauensbrüchen der Führung der ArbeiterInnenklasse in Europa. Nicht, weil die Syriza-Führung schlimmer ist, als die Reformisten anderer Länder, sondern weil ihr Aufstieg und die vorrevolutionäre Situation, die sie geschaffen hatte, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung und der revolutionären Lösung der Krise aufwarf. Die Niederlage hatte massive reaktionäre Konsequenzen, nicht nur in Griechenland, sondern für die ArbeiterInnenbewegung des gesamten Kontinents.

Diese Niederlage bedeutet dennoch nicht, dass weitere Klassenkämpfe in der kommenden Periode auszuschließen sind. In Frankreich zum Beispiel sind nach den Wahlen 2017 weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse zu erwarten, was eine Welle von Widerstandsbewegungen auslösen könnte. Dies ist heute mit der weiter anwachsenden Bewegung gegen das neue Arbeitsgesetz (Gesetz El Khomri) bereits teilweise der Fall, die eine Möglichkeit gemeinsamen Widerstands der Jugend und der ArbeiterInnenbewegung bietet. Zur gleichen Zeit könnten Verrat und Sabotage der reformistischen Führungen Selbstvertrauen und Kampfkraft der ArbeiterInnenbewegung erneut unterminieren, wenn keine revolutionäre Alternative auftaucht.

Während der Krisenperiode erfuhren die bürokratische kontrollierten Gewerkschaften und reformistischen, sozialdemokratischen Massenparteien im allgemeinen einen Verfall und eine Bewegung nach rechts. Selbst dort, wo sie versprachen, die herrschenden Klassen herauszufordern,  kapitulierten sie vor ihr und richteten sich gegen ihre eigene ArbeiterInnenbasis – wie im Fall Hollandes in Frankreich.

Im Allgemeinen suchten die reformistischen Führungen in der derzeitigen Krise nach Allianzen mit „ihren Regierungen“ und „ihrer Bourgeoisie“. In allen wichtigen politischen Punkt verweigerten sie es, Widerstand zu leisten. Angesichts zunehmender imperialistischer Interventionen und wachsender Militarisierung blieben sie bestenfalls schweigsam, während die meisten von ihnen die Interventionen der NATO und „ihrer Regierungen“ im Nahen Osten, Afrika und der Ukraine unterstützten. Eine Minderheit von ihnen erhob pazifistische Bedenken, aber Massenmobilisierungen blieben aus. Tatsächlich unterstützten die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen im Fall des „Kriegs gegen den Terrorismus“ sogar Angriffe auf demokratische Rechte, spielten gemeinsam die Karte des anti-muslimischen Rassismus, arbeiteten mit „ihren“ herrschenden Klassen zusammen und unterstützten sogar die Verhängung des Ausnahmezustands wie in Frankreich. In der Flüchtlingskrise gingen sie nicht in Solidarität mit allen Migranten und Geflüchteten auf die Straße, um die Mauern der Festung Europa niederzureißen, sondern unterstützten entweder Merkel und ihre Politik der kontrollierten Immigration oder trieben selbst die Grenzschließungen voran, wie die österreichische Regierung.

Diese sozialchauvinistische Politik hat die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten weiter gespalten; die Geflüchteten, migrantischen ArbeiterInnen und Jugendlichen sind ihre ersten Opfer und sie wird zu weiteren Spaltungen der arbeitenden Massen in ganz Europa führen. Es gab eine massive Wendung zugunsten nationalistischer Lösungen, die das Schicksal der ArbeiterInnen an das des nationalen Kapitals fesseln und welche die deutschen, britischen, französischen, schwedischen oder österreichischen Regierungen als geringeres Übel als die „weit entfernten“ Bürokraten in Brüssel bezeichnen.

Die Wahl Jeremy Corbyns in der britischen Labour Party war eine Ausnahme in dieser Entwicklung, als Hunderttausende dem rechten Flügel der Partei und der Parlamentsfraktion eine herbe Niederlage beibrachten. Aber auch dies wird ohne einen entschiedenen Bruch mit dem rechten Flügel der Partei, der britischen Bourgeoisie und der Überwindung des bürokratischen Parteiapparats nur ein temporärer Sieg sein. Während dies eine schwierige Aufgabe ist, muss es die Pflicht von RevolutionärInnen sein, diesem Kampf ohne Zögern beizutreten. Sie müssen sich mit Corbyns Unterstützern gegen den rechten Parteiflügel vereinigen, alle Konzessionen an letzteren ablehnen und gleichzeitig die Grenzen von Corbyns Strategie und Programm eines (linken) Reformismus aufzeigen. Der Verrat von Syriza, die Rechtsentwicklung der populistischen Partei Podemos und die Politik der Linken Parteien in Europa im Allgemeinen zeigen, dass Reformismus und Keynesianismus am Ende unfähig sind, der ArbeiterInnenklasse in Europa und andernorts Lösungen zu präsentieren. Ihr wichtigster Slogan war der eines „sozialen, demokratischen, ökologischen, feministischen, antirassistischen …“ Europas; mit anderen Worten, eine reformierte Europäische Union, die auf einer „sozialen Marktwirtschaft“ basiert und vermutlich die Herrschaft des Finanzkapitals erhalten würde.

Der Bankrott dieser Politik wurde in den letzten Jahren millionenfach aufgezeigt. Nur eine schrumpfende Zahl von Reformisten oder erratischen Marxisten wollen dieses Programm wiederbeleben und einem toten Körper neues Leben einhauchen.

Ironischerweise sucht der reformistische Mainstream sein Heil bei einer anderen Leiche, die vor einiger Zeit schon begraben wurde: dem unabhängigen Nationalstaat. Wenn die Reform einer kapitalistischen EU nicht funktioniert, warum sollten wir nicht „unseren Staat“ wiedererobern? Obwohl Revolutionäre das Recht einer jeden Nation verteidigen, die EU zu verlassen (ohne deshalb dazu aufrufen); und sie anerkennen, dass die EU nicht reformiert werden kann, lehnen sie die reaktionäre und utopische Idee ab, dass die Rückkehr zu vielen „unabhängigen“, kapitalistischen Nationalstaaten, mit ihren „unabhängigen“ Währungen und Banken, ihren Grenzkontrollen und der Abschaffung der Bewegungsfreiheit auf dem gesamten Kontinent eine Lösung ist. Alle diese Maßnahmen sind durch und durch rekationär und würden vereinten Aktionen zwischen den ArbeiterInnenschaften und Unterdrückten ganz Europas weitere Hindernisse entgegenstellen.

Revolutionäre müssen dieser reaktionären Antwort auf die kapitalistische EU gemeinsamen Kampf für demokratische und soziale Rechte auf dem gesamten Kontinent, die Öffnung der Grenzen, die Abschaffung der Austeritätsverträge, gegen Krieg und imperialistische Intervention entgegensetzen. Sie müssen zu gemeinsamen und europaweiten Aktionen aufrufen, um von den Gewerkschaften und den Massenparteien der ArbeiterInnenklasse zu fordern, dass sie mir „ihrer“ Bourgeoisie brechen und ihre Millionen von Mitgliedern zu solchen Auseinandersetzungen mobilisieren.

Wenn diese einmal Massencharakter in Form von Massenstreiks und Besetzungen angenommen haben, werden sie die Machtfrage zurück auf die Agenda bringen. Sie werden erneut, wie in Griechenland bis Mitte 2015, die Frage nach einer ArbeiterInnenregierung aufwerfen, also Regierungen, die mit der herrschenden Klasse brechen, die Notfallprogramme für die ArbeiterInnenklasse, die Bauern und die Armen einführen; ein Programm, um der herrschenden Klasse die Kontrolle über Finanz- und Industriekapital aus den Händen zu nehmen, es unter Kontrolle der ArbeiterInnen zu enteignen und mit einem demokratischen Programm, um die Bedürfnisse der ArbeiterInnen und Armen zu erfüllen. Der Klassenkampf in Griechenland hat gezeigt, dass dies nur auf Grundlage kämpfender Organisationen möglich ist – mit Räten und Aktions-Komitees -, welche die ArbeiterInnen und unterdrückten Massen vereinigen, gegen die herrschende Klasse mobilisieren und die Macht im Staat in eigene Hände nehmen können. Er hat demonstriert, dass ein revolutionärer Verlauf der Dinge unmöglich ist ohne die Gründung von ArbeiterInnenmilizen und die Gründung von SoldatInnenkomitees in der Armee, um den bürgerlichen Repressionsapparat zu zerbrechen.Nur einer ArbeiterInnenregierung, die auf solchen Organen basiert, wird es möglich sein, die konterrevolutionären Angriffe der Bourgeoisie, ihrer Staatsorgane und imperialistischen Verbündeten abzuwehren.

Die Geschichte hat gezeigt, dass ein solches Programm nicht in einem Land allein eingeführt werden kann. Selbst die mächtigste europäische Wirtschaft, Deutschland, geriete ins Chaos und machte Einbußen, wenn die Verbindungen zu ihren europäischen Nachbarn durchtrennt würden. Die ArbeiterInnenklasse Europas hat kein Interesse daran, den Kontinent in ein Mosaik kleinerer und größerer kapitalistischer Staaten zu verwandeln. Im Gegenteil, die Klasse als Ganze und jede ArbeiterInnenregierung, die in einem Land entstehen könnte, muss dafür kämpfen, den gesamten Kontinent ökonomisch und politisch zu reorganisieren. Dies kann nur durch die Vereinigung des Kontinents unter der Herrschaft der ArbeiterInnen geschehen, durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa und ihre Gründung.

Eine Partei für den Kampf um ein sozialistisches Europa

Die Reformisten haben den Kampf für den Sozialismus längst aufgegeben. Sie oszillieren zwischen bürgerlichen, „pan-europäischen“ Utopien und dem Weg „nationaler Reform“. Aber welche Alternative hat die radikale, anti-kapitalistische Linke aufgezeigt? Keine. Während die Reformisten den verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und ihrer Politik hinterherkriechen, kriecht die radikale Linke den Reformisten hinterher. Sie unterscheiden sich hauptsächlich darin, wem sie folgen.

Eine lange Zeit folgten große Teile der „extremen Linken“, besonders die Sektionen der Vierten Internationale, den Advokaten eines „sozialen Europas“. Dies korrespondiert mit ihrer Unterstützung einer „breiten linken Partei“, die alle Strömungen der ArbeiterInnenbewegung in einem Zustand friedlicher Koexistenz auf Grundlage eines reformistischen Programms vereinigen soll.

Da sich immer mehr Fraktionen der europäischen linken Parteien und populistischer Kräfte hiervon verabschiedet haben, propagieren einige Gruppen der radikalen Linken nun den Austritt aus der EU.

Während die Reformisten behaupten, dass dies die Realisierung eines reformistischen Programms auf Grundlage einer Reihe keynesianischer Maßnahmen vereinfachen würde, behaupten zunehmend Teile der „radikalen Linken“, dies sei der einfachere „Weg zum Sozialismus“. Für sie ist Kapitalismus kein internationales System, sondern eine Summe von Nationalstaaten und Internationalismus die Summe nationaler Klassenkämpfe. Letztendlich sind dies neuzeitliche Imitationen der stalinistischen Utopie vom „Sozialismus in einem Land“.

In zwei Themen unterscheiden sich die Advokaten des „sozialen Europas“ und die des EU-Austritts weit weniger, als sie zuzugeben bereit sind. Beide folgen einem reformistischen Programm und beide argumentieren gewöhnlich zweitens, dass der Kampf für ein revolutionäres Programm der Machtergreifung und für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa nicht „auf der Tagesordnung“ steht. Selbst dort, wo sie es nicht offen ablehnen, bezeichnen sie den Kampf für ein sozialistisches Europa für eine Aufgabe der mehr oder weniger fernen Zukunft. Sie behaupten, dass nur ein Programm zur Reform der EU oder der Kampf für bessere Zustände auf nationaler Ebene „realistisch“ sei. Beide Wege führen letztlich ins Nirgendwo.

Wenn die ArbeiterInnenklasse Europas verhindern will, dass sich der Kontinent in eine Ansammlung krisengeschüttelter Staaten aufteilt, die zunehmend verzweifelt jedes Mittel anwenden werden, um Dominanz zu erlangen – wie dies bereits zwei Weltkriege hervorgebracht hat -, dann muss sie sich auf ein Programm für die Vereinigung des Kontinents auf der Grundlage von ArbeiterInnenmacht und öffentlichem Besitz der Produktionsmittel unter Kontrolle der ArbeiterInnen und einem demokratischen Plan stellen.

Hierfür benötigt die ArbeiterInnenklasse neue politische Organisationen, neue revolutionäre Parteien in jedem Land und eine neue, fünfte, Internationale. Im vergangenen Jahrzehnt haben die europäische ArbeiterInnenklasse, die Jugend und Linke wertvolle Zeit verloren. Das kapitalistische Europa ist in der Krise und die Herrschenden bereiten einen Alptraum an Reaktion vor, wie wir an den EU-Außengrenzen, am Erstarken der politischen Rechten, den imperialistischen Interventionen in Afrika und im Nahen Osten, den sozialen Verheerungen in Ost- und Südeuropa sowie den heraufziehenden sozialen und politischen Angriffen sehen können.

Deshalb rufen wir alle RevolutionärInnen und AntikapitalistInnen in Europa dazu auf, sich gemeinsam an die Aufgabe zu machen, ein Aktionsprogramm für die sozialistische Transformation Europas zu entwerfen! Schließt euch uns bei dieser Aufgabe an!




Abschlusserklärung des 9. Kongresses der Liga für die Fünfte Internationale: Für eine neue Internationale!

Liga für die 5. Internationale, April 2013, Neue Internationale 179, Mai 2013

5Historische Krisenperioden des kapitalistischen Systems wie die seit 2007/08 unterziehen alle politischen und gesellschaftlichen Kräfte einer Prüfung. Die ersten 5 Jahre dieser globalen Krise haben das bestätigt. Trotz der kurzlebigen Aufschwünge in wenigen Ländern nach der weltweiten Rezession müssen selbst die optimistischsten bürgerlichen Kommentatoren, Ökonomen und ‚Experten‘ einsehen, dass die Krise längst noch nicht vorbei ist.

Es handelt sich eben um keine normale zyklische Konjunkturkrise. Die Ereignisse zeigen, dass eine langfristige Periode von Stagnation und Niedergang eingesetzt hat. Die Herrscher dieser Welt, die Kapitalistenklassen der großen imperialistischen Mächte können ihr System nicht ohne einen historischen Angriff auf die Arbeiterklasse, auf Jugendliche, Frauen, nationale und ethnische Minderheiten in den eigenen Ländern retten. Sie kommen auch nicht ohne die Vernichtung von Produktivkräften in größerer Dimension aus, ohne das Schleifen der Sozialsysteme, ohne die massenhafte Zerstörung von Arbeitsplätzen und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitermassen, ohne die Verschärfung der Gegensätze zwischen Herrschern und Unterdrückten.

Sie können ihr System nicht retten, ohne die verschärfte imperialistische Ausbeutung und Ausplünderung der unterdrückten Nationen. Die neue Weltordnung nach dem Ende des Sowjetblocks hat zur Vertiefung der Widersprüche und der Krisenanfälligkeit geführt. V.a. zeigt die Restauration des Kapitalismus in China und dessen Aufstieg zu einer neuen imperialistischen Macht, dass die Zukunft des Kapitalismus nur schärfere Konflikte zu bieten hat. Die Großmächte können ihr System nicht ohne eine Neuaufteilung der Welt umgestalten und „verjüngen“. Neue Allianzen und Blöcke formieren sich, Drohungen und Militarisierung begleiten die ‚Abrüstungsgespräche‘. All dies vollzog sich schon einmal Anfang des 20. Jahrhunderts und sollte die Arbeiterklasse alarmieren.

Die Anti-Krisen-Maßnahmen der herrschenden Klasse verstärken außerdem die Gefahr, die das kapitalistische System bereits jetzt für die Umwelt, die natürlichen Überlebensbedingungen der Menschheit darstellt. Überall behält das Streben nach Profit und Kapitalakkumulation die Oberhand über Umweltschutz und nachhaltige Produktionsweise. Selbst die Abschmelzung der Polkappen wird nur als Gelegenheit für die bessere Erschließung von Öl- und Gasvorkommen betrachtet.

Ausmaß und Dauer der derzeitigen Krise beweisen, dass die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse eine Fessel für die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft sind. Das System des Privateigentums und dessen Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion der Weltwirtschaft müssen verschwinden, wenn sich die Menschheit vom doppelten Joch von Ausbeutung und Unterdrückung befreien will,  wenn ein durchdachtes System demokratischer Planung von Produktion und Reproduktion errichtet werden soll, das auf menschlichen Bedürfnissen und nicht auf Profitstreben fußt.

Instabilität, schnelle Wechsel in der politischen und ökonomischen Situation, unerwartete Brüche in scheinbar etablierten Regimen, massive politische Mobilisierungen der scheinbar ruhigen, unpolitischen Massen sind durchgängige Merkmale der gegenwärtigen Periode.

Widerstand

Der Widerstand gipfelte in revolutionären Situationen und Massenmobilisierungen von Millionen Menschen in Europa, besonders in Griechenland. Er führte zu Massenbewegungen wie Occupy in den USA oder den „Empörten“ in Spanien. In China finden zehntausende Auseinandersetzungen zwischen ArbeiterInnen und BäuerInnen auf der einen und der Staats- und Parteibürokratie und den Kapitalisten auf der anderen Seite statt.

Die Jugend ist besonders hart von der Krise betroffen. Eine ganze Generation sieht einer Zukunft entgegen, die nur noch mehr Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung verspricht. Kein Wunder, dass die Jugend an vorderster Front der Kämpfe, Erhebungen und Revolutionen steht. Sie muss für einen bewussten Kampf für Sozialismus und den Aufbau einer internationalen revolutionären Jugendbewegung gewonnen werden!

In Indien fanden zwei Generalstreiks mit Beteiligung von Millionen statt, auch eine Frauenmassenbewegung hat sich dort formiert. Die Krise trifft Frauen besonders drastisch, v.a. in den Halbkolonien. Sie verstärkt die Doppelbelastung für Frauen durch Lohnarbeit und Hausarbeit. Die Formierung einer proletarischen Frauenbewegung ist daher der Schlüssel im Kampf um die Frauenbefreiung.

Vor zwei Jahren erhoben sich in den arabischen Revolutionen Millionen Menschen und stürzten Diktatoren wie Ben Ali, Mubarak und Gaddafi, die Jahrzehnte lang fest im Sattel zu sitzen schienen. Die internationale Bewegung, die diese Revolutionen entfachte, besteht heute fort im heldenhaften Kampf der syrischen Massen gegen Assad.

Diese wahrhaft revolutionären Ereignisse zeigen – ohne die konterrevolutionären Gefahren dabei außer Acht zu lassen -, dass die Massen nicht mehr wie bisher weiterleben wollen. Sie beweisen, dass die Arbeiterklasse, die Bauernschaft, die Armen in Stadt und Land nicht mehr hinnehmen wollen, für die globale Krise zu bluten.

Aber die Revolutionen in Nahost und Nordafrika haben nun ein entscheidendes Stadium erreicht, in dem der Imperialismus, die islamistischen und liberal-bürgerlichen Kräfte hoffen, die Bewegung vom Kurs abzubringen und die ArbeiterInnen und Armen der Früchte ihrer Kämpfe zu berauben.

Zugleich waren die letzten 5 Jahre geprägt von einer Ungleichzeitigkeit der politischen und sozialen Verhältnisse. Das wiederum war Ergebnis der Politik der Imperialisten, um den Zusammenbruch des globalen Finanzsystems durch massive Auskäufe zur Rettung der finanziellen und industriellen Monopole zu verhindern. Diese Maßnahmen werden ihrerseits jedoch die strukturellen Ursachen der Krise vertiefen und künftige Explosionen nur noch gewaltiger machen.

Die herrschende Klasse in den USA u.a. großer imperialistischer Staaten wie Deutschland waren nicht in der Lage, ihr System nach der globalen Rezession ohne die Unterstützung durch die Spitzen von Gewerkschaften und der großen sozialdemokratischen und Labour-Parteien auch nur vorübergehend zu stabilisieren. Die Politik dieser Führungen unterhöhlte allerdings auch den Rückhalt in der Mitgliedschaft und erzeugte Opposition und Unzufriedenheit. Das mindert nicht nur ihre Fähigkeit, sich dem Kapital wieder mit gleicher Kraft in künftigen Krisen anzudienen, sondern führt zur Abkehr der ArbeiterInnen von ihren traditionellen Organisationen oder zu Spaltungen in ihren Reihen. Diese Aufbrüche müssen RevolutionärInnen energisch nutzen!

Solche Konflikte beleuchten das wesentlichste Merkmal der Krise: das Fehlen einer proletarischer Führung, von Parteien, die imstande sind, einen wirkungsvollen Widerstand gegen die Kapitalisten und ihre Staaten anzuführen. Jahrzehnte nach dem Fall der 4. Internationale, der letzten wahrhaft revolutionären internationalen Partei, spitzt sich die Führungskrise immer mehr zu. Die revolutionären Kräfte bleiben am Rande. Die Organisationen der „extremen Linken“, von denen viele ihren Ursprung in der Konkursmasse der 4. Internationale haben, kämpfen nicht für ein klares revolutionäres Programm, sondern pendeln zwischen Revolution und Reform, meist in einer Kombination von revolutionären Losungen und opportunistischer Anpassung an bestehende Führungen.

Jahrzehnte falscher Führung durch Stalinisten, Sozialdemokraten, Populisten, Syndikalisten und Bürokraten haben die Arbeiterorganisationen überall auf der Welt geschwächt und demoralisiert. Sie behindern und lähmen durch die bürokratischen Organisationen die Militanz und die Schöpferkraft der Massen gerade dann, wenn die ArbeiterInnen versuchen, mit dem Krisendruck fertig zu werden.

Die Lösung der Führungskrise ist nicht nur eine Frage der Ersetzung der bestehenden Führungen. Es geht v.a. um die Neugestaltung der Arbeiterbewegung auf jeder Ebene und auf allen Kampfgebieten – in Betrieb und Gewerkschaft, bei der Organisierung der Unorganisierten, der Einwanderer, der rassisch und national Unterdrückten, durch die Bekämpfung aller Formen von Unterdrückung von gleichgeschlechtlich und transsexuell orientierten Menschen, durch das Eintreten für eine proletarische Frauen- und eine revolutionäre Jugendbewegung.

Dafür brauchen RevolutionärInnen eigene revolutionäre Organisationen, eigene revolutionäre Strömungen auf Grundlage eines gemeinsamen Programms, eines gemeinsamen Verständnisses der vor uns liegenden Aufgaben und als gemeinsames Ziel den Aufbau von neuen revolutionären Arbeiterparteien und einer neuen, der 5. Internationale.

Diese neue Internationale, diese neuen Parteien können weder am Reißbrett von Sekten oder selbsternannten Minimassenparteien noch in der libertären Traumwelt entstehen, in der ArbeiterInnen und Unterdrückte keine Kampforgane auf revolutionärem Programm und mit demokratischem Zentralismus brauchen würden.

Erneuerung der Arbeiterbewegung

Neue revolutionäre Organisationen müssen im Hier und Jetzt aufgebaut werden, in den Massenkämpfen, indem wir uns mit Entschlossenheit der Neuformierung der Arbeiterklasse und ihrer Bewegung widmen.

In allen größeren Kämpfen werden Jugendliche und Unterdrückte nicht nur in die Auseinandersetzung gedrängt, sie schaffen auch neue Kampfformen, welche die Selbstorganisation der Klasse fördern – Massenversammlungen, Aktionsausschüsse, Direktwahl und Abberufbarkeit ihrer RepräsentantInnen. Wenn wir die Bewegungen der ArbeiterInnen und der Unterdrückten neu aufstellen wollen, ist es wesentlich, in allen Kämpfen für die Selbstorganisierung unserer Klasse, für die Überwindung aller sektoralen, nationalen, geschlechtsspezifischen u.a. Spaltungen und für Kampforgane auf Grundlage von Arbeiterdemokratie zu streiten. So können ArbeiterInnen und Unterdrückte die notwendigen Kampforganisationen aufbauen – nicht nur zum Sturz der Herrschaft der Kapitalisten und ihrer Staaten, sondern auch, um den repressiven Apparat durch eigene Organe von Arbeitermacht zu ersetzen.

Doch Organisation an sich ist keine ausreichende Antwort. In den bestehenden Organisationen und Kämpfen müssen wir auch die FührerInnen der Arbeiterklasse für die Strategie der sozialistischen Revolution zu gewinnen suchen. Wenn unsere Kämpfe erfolgreich sein sollen, wenn die demokratischen Forderungen der Arabischen Revolution sich erfüllen sollen und die Attacken von Troika und einheimischen Kapitalisten in Griechenland abgewiesen werden sollen, müssen wir die Auseinandersetzung bis zum Ende führen. Wir müssen die Revolutionen in Nahost permanent machen. Wir dürfen nicht Halt machen bei eintägigen Streiks – wir brauchen unbefristete Streiks, um die Austeritätsregierungen zu Fall zu bringen und durch Arbeiterregierungen zu ersetzen, die auf Kampforganen und Arbeiterräten basieren.

Schon vor Krisenausbruch 2008 begannen große Teile der Arbeitervorhut, sich neuen ‚antikapitalistischen‘ Parteien zuzuwenden oder hegten Hoffnungen auf linksreformistische Kräfte als Alternative zu den neoliberalen Parteien. Das zeigt, dass ArbeiterInnen und Jugendliche nach einer politischen Alternative Ausschau halten, nach antikapitalistischen Parteien und Organisationen.

RevolutionärInnen müssen an der Seite dieser Militanten arbeiten. Das kann Eintreten für die Bildung neuer Arbeitermassenparteien bedeuten, Eintritt in eine bestehende Massenpartei oder Kampf für die Einheit mit antikapitalistischen und sozialistischen Organisationen, die den Aufbau neuer Parteien als Alternative zum Reformismus anstreben.

Aber die Erfahrung lehrt, dass solche Parteien durch die Prüfungen des Klassenkampfes nicht bestehen, sich als ungeeignet für die Herausbildung einer revolutionären Führung erweisen, wenn sie sich nicht auf einem revolutionären Programm, auf revolutionärer Strategie und Taktik gründen. In der augenblicklichen Lage werden linksreformistische Organisationen wie Syriza oder breite Neuformierungen wie der „Linke Block“ von Ken Loach in Britannien oder die NPA schnell auf den Prüfstand des Klassenkampfs gestellt. Die Krise mit ihren scharfen politischen und wirtschaftlichen Wendungen prüft alle Programme in kurzer Zeit, enthüllt nicht nur den bürgerlichen Charakter des Reformismus, sondern auch die Sackgasse aller Bemühungen um Kompromisse zwischen reformistischen und revolutionären Programmen und Strategien.

Für die 5. Internationale!

Deshalb streiten die Sektionen und Mitglieder der Liga für die 5. Internationale auf  solidarische Weise für den Erfolg solcher Konstellationen, z.B. in Pakistan mit der Teilnahme an der Awami Workers Party, in Deutschland am Aufbau einer neuen antikapitalistischen Organisation (NaO), in Britannien durch das Ja zum Aufruf zum „Linken Block“. Wir schlagen den antikapitalistischen, sozialistischen, kommunistischen u.a. linken Organisationen dringend eine Debatte und eine Zusammenarbeit vor, die gemeinsam für Klassenkampfmethoden in der Arbeiterbewegung und demokratische Koordinationen des Widerstands gegen Kürzungspolitik, Krieg, nationale Unterdrückung, Rassismus und Faschismus vorgeht. Wir schlagen gleichzeitig vor, dass jene Organisationen, die sagen, dass sie sich für eine antikapitalistische Alternative zum Reformismus stark machen wollen, sich auf Diskussionen um das Programm und die Organisation einlassen, die die Arbeiterklasse brauchen, um sich an die Spitze des Kampfes stellen zu können.

Es gibt oder wird Strömungen der internationalen Linken geben, die willens sind, in einen Fusionsprozess mit unserer Strömung einzugehen. Wir werden positiv und begeistert auf jeden solchen Vorschlag antworten, sofern er nach festen Grundsätzen und mit der Absicht, die revolutionäre Einheit auf Grundlage eines gemeinsamen Programms, dem Verständnis von Parteiaufbau und des Eingreifens in den Klassenkampf herzustellen, erfolgt.

Darin, wie in allen anderen Interventionen lassen wir uns von Marx´ Aussage leiten, dass es Kommunisten hassen, ihre Überzeugungen zu verschleiern. Wir stehen offen für ein revolutionäres Programm von Übergangsforderungen. Mit Trotzki erkennen wir die erste Pflicht von RevolutionärInnen an: die Wahrheit auszusprechen, „zu sagen, was ist“ und v.a. zu sagen, was notwendig ist, um die Arbeiterklasse zu gewinnen: Eine neue, 5. Internationale, eine Weltpartei der sozialistischen Revolution!