Nahost: Israel droht mit Ausweitung des Krieges in der Region

Erklärung der Liga für die Fünfte Internationale, 14.4.2024, Infomail 1251, 15. April 2024

Am 13. April feuerte der Iran 300 Drohnen und ballistische Raketen auf Israel ab. Die große Mehrheit wurde von Israels hochentwickelten Luftabwehrsystemen, aber auch mit Hilfe der in der Region stationierten amerikanischen, britischen und französischen Streitkräfte sowie Jordaniens und Saudi-Arabiens abgeschossen.

US-Präsident Joe Biden, der Israels sechsmonatigen Völkermord im Gazastreifen weiterhin unterstützt und verteidigt, beeilte sich natürlich zu sagen: „Ich verurteile diese Angriffe auf das Schärfste“. Er fügte hinzu: „Ich habe gerade mit Premierminister Netanjahu gesprochen, um Amerikas eisernes Engagement für die Sicherheit Israels zu bekräftigen.“

Tatsächlich war der iranische Angriff eine Reaktion auf eine weitaus schädlichere Provokation Israels. Am 1. April feuerten israelische Kampfflugzeuge mehrere Raketen ab, die das iranische Konsulat in der syrischen Hauptstadt Damaskus zerstörten und Brigadegeneral Mohammad Reza Zahedi, einen hochrangigen Kommandeur des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC), einen weiteren iranischen General und 14 andere Personen töteten.

Militäranalyst:innen zufolge wurden die iranischen Angriffe absichtlich so gewählt, dass sie von der israelischen und verbündeten Luft- und Raketenabwehr leicht entschärft werden konnten. Außerdem handelte es sich bei den Zielen offenbar nicht um Bevölkerungszentren, sondern eher um einige abgelegene militärische Ziele auf den Golanhöhen und in der Wüste Negev. Der gesamte Angriff war höchst symbolisch und sollte der „Abschreckung“ vor weiteren israelischen Attacken dienen. In diesem Sinne erklärte auch der Sprecher der iranischen Mission bei den Vereinten Nationen, dass sie die Angelegenheit in Damaskus mit diesem Vergeltungsschlag als „erledigt“ betrachten.

Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die israelische Regierung dies auch so sieht. Für sie ist die iranische Regierung in eine Falle getappt, die sie mit der Provokation von Damaskus gestellt hatte. Die Netanjahu-Regierung braucht die „Einmischung“ des regionalen Hauptfeindes, um ihre militärische Stärke zu beweisen und den Gazakrieg zu einem Krieg mit allen Kräften in der Region auszuweiten, die den palästinensischen Widerstand unterstützen könnten. Wie ein israelischer Beamter sagte, ist es jetzt an der Zeit, die Fähigkeit des Irans auszulöschen, eine Bedrohung für Israel darzustellen.

Die Umwandlung des Genozids im Gazastreifen in einen regionalen Krieg, vor dem auch die Vereinigten Staaten seit langem gewarnt haben, ist damit einen großen Schritt vorangekommen. Es ist klar, dass dies eine bewusste Provokation des Kriegskabinetts von Netanjahu ist, die nicht nur auf den Iran abzielt, sondern auch darauf, seine amerikanischen und westeuropäischen Verbündeten direkter zu verwickeln.

Es stellt auch ein Mittel dar, um den Problemen zu entgehen, die durch die Großdemonstrationen in Tel Aviv und Jerusalem entstanden sind, bei denen sein Rücktritt gefordert wurde. Außerdem wurde er durch die Verurteilung des Massakers der Israelischen Sicherheitskräfte IDF an den Mitarbeiter:innen der World Central Kitchen, die am 1. April Hilfsgüter lieferten, durch die internationalen Medien kurzzeitig in Verlegenheit gebracht. Seine Verbündeten können nun zur Propaganda „Israel hat das Recht, sich zu verteidigen“ zurückkehren.

Die Gefahr, dass Israel, eine Atommacht mit der modernsten konventionellen Bewaffnung im Nahen Osten, bei einem Angriff auf den Iran, Libanon und Syrien aufs Ganze geht, ist sehr real.

Unterdessen geht der Genozid in Gaza weiter. In den drei Tagen des Eid al-Fitr (das Fest, das normalerweise das Ende des einmonatigen Fastenmonats Ramadan für Muslime markiert; Fest des Fastenbrechens, Zuckerfest) verübten die IDF Massaker an ganzen Familien und töteten über 170 Frauen und Kinder. Zur gleichen Zeit „randalierten“ 72 israelische Siedler:innen unter dem Schutz von IDF-Soldat:innen im besetzten Westjordanland, wie es die BBC nannte. Bei diesen gewalttätigen Ausschreitungen wurden Autos, Häuser und Geschäfte angezündet und ganze Straßenzüge zerstört.

All dies zeigt, dass der zionistische Staat weit davon entfernt ist, eingedämmt oder geschwächt zu werden, und dass er wild entschlossen ist, eine „zweite Nakba“ zu begehen, wie es etliche Minister:innen nennen. Dies könnte die lang erwartete Bodeninvasion in Rafah beinhalten, die Räumung des Gazastreifens von seiner traumatisierten Bevölkerung oder deren Einsperrung in ein noch kleineres Gefangenenlager, und im Westjordanland in die isolierten, überfüllten Stadtgebiete, während faschistische Siedler:innen Dorfbewohner:innen töten und das, was von palästinensischem Ackerland übrig ist, besetzen.

Die weltweite Bewegung gegen den Genozid, die in ihrer Langlebigkeit und Größe bereits beispiellos ist, muss über Proteste hinausgehen. Sie muss unwiderstehlichen Druck auf die Regierungen der westlichen imperialistischen Länder sowie der Monarchien und Militärdiktaturen des Nahen Ostens ausüben, um alle Waffenlieferungen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Israel zu unterbinden. Direkte Massenaktionen müssen durchgeführt werden, um die falschen Behauptungen zurückzuweisen, dass Antizionismus Antisemitismus sei, eine Tatsache, die durch die wachsende Zahl fortschrittlicher jüdischer Menschen, die Israels Handlungen verurteilen, immer deutlicher wird.

Für die Regierungen der USA, Großbritanniens, Deutschlands und anderer westlicher Länder ist eines klar: Sie stehen fest hinter dem israelischen Staat. Das macht eine Eskalation des Krieges und einen massiven Angriff auf den Iran, Syrien oder den Libanon zu einer realen Gefahr.

  • Wir stellen uns klar gegen solche zionistischen Offensiven! Wir stellen uns entschieden gegen jede imperialistische Intervention!

  • Für den sofortigen Abzug aller US- und anderer imperialistischer Truppen aus dem Nahen Osten! Wir sind für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen!

  • Stoppt die Waffenlieferungen und die finanzielle Unterstützung für Israel! Stoppt alle militärischen, politischen und wirtschaftlichen Verbindungen mit dem zionistischen Staat!

  • Beendet den Völkermord! Waffenstillstand jetzt! Abzug der israelischen Truppen! Beendigung der Blockade! Öffnung der Grenzübergänge!

  • Für das Recht auf Rückkehr für alle palästinensischen Flüchtlinge! Für ein säkulares, demokratisches, sozialistisches Palästina!



NATO-Erweiterung: Auferstehung des Militarismus

Robert Teller, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Noch Ende 2019 galt die NATO dem französischen Präsidenten Macron als hirntot. Trump drohte mit der Kürzung von US-Mitteln und sogar dem Austritt aus dem Kriegsbündnis. Der Krieg in der Ukraine lässt all das in Vergessenheit geraten und wird als Gelegenheit genutzt, neue Fakten zu schaffen. Binnen kurzer Zeit wurde, wenn auch nicht ohne Friktionen, der NATO-Beitritt von Schweden und Finnland in Angriff genommen.

Bestandsaufnahme der Expansion

Dieser wurde bereits auf dem NATO-Gipfel in Madrid am 29. Juni 2022 eingeleitet. Die Verabschiedung durch die beiden Beitritts- und sämtliche NATO-Mitgliedsländer wurde im Falle Finnlands bis April 2023 abgeschlossen. Im Falle Schwedens wird eine endgültige Einigung im Herbst diesen Jahres erwartet. Die Aufnahmen markieren eine Wende nach einer jahrzehntelangen Politik zumindest formeller Unabhängigkeit von geopolitischen Machtblöcken – der NATO, dem Warschauer Pakt und von Russland und dessen Bündnispartner:innen.

Nicht zuletzt sollte die jüngste Expansion der NATO auch die politische Botschaft aussenden, dass die Zeit des Manövrierens zwischen den imperialistischen Machtblöcken in Ost und West der Vergangenheit angehört, jedes Land sich entscheiden muss, auf welcher Seite es steht. Durchkreuzt wurde dieses Verdikt durch die Türkei, die eine strategische Ambivalenz gegenüber Russland als Druckmittel einsetzen konnte, um von Schweden und Finnland das Versprechen einer verschärften Repression gegenüber der PKK-Bewegung zu erhalten. Nach ihrer Drohung, die Beitritte zu blockieren, erhält die Türkei nun zugleich Rückendeckung für ihre militärischen Ziele in Rojava und im Nordirak.

Zwar fand unter dem Deckmantel ihrer Unabhängigkeit in den beiden skandinavischen Ländern schon lange – und verstärkt nach dem Zusammenbruch der UdSSR – eine Zusammenarbeit mit der NATO statt. Im Falle Schwedens beinhaltete dies auch die Teilnahme an NATO-Manövern und die Ausrichtung von Waffensystemen auf NATO-Standards. Die „Blockfreiheit“ beruhte immer auf der zentralen Prämisse, dass einer NATO-Mitgliedschaft faktisch nichts im Wege steht. Als Nicht-NATO-Mitglied sind Finnland – und Schweden als wichtigste Truppenstellerin – zudem schon seit 2008 Teil der „Nordic Battlegroup“ der EU.

Finnland praktizierte während des Kalten Kriegs eine Art „Schweizer Modell“, das eine Eingliederung in das westliche Militärbündnis vor allem dadurch vermied, dass eine eigenständige Verteidigung gegen eine mögliche Invasion auch ohne Beteiligung verbündeter Streitkräfte als glaubhaftes Abschreckungsszenario vorbereitet wurde, was ebenso ein vergleichsweise großes Heer an Reservist:innen erforderte wie das Primat der „Landesverteidigung“ auf allen Ebenen, also die Durchdringung aller Institutionen und ihre Vorbereitung auf ihre jeweiligen Aufgaben im Kriegsfall. Der wichtige Unterschied zur Schweiz ist jedoch, dass im Falle Finnlands nur die Sowjetunion als Kontrahentin in Frage kam.

Dennoch unterwarfen sich beide Länder bis 2022 nicht der NATO-Beistandspflicht und konnten daher nicht in NATO-Operationspläne, die im Fall einer militärischen Konfrontation mit der Sowjetunion bzw. mit Russland aktiviert werden können, eingebunden werden. Aus Sicht der NATO soll der Beitritt genau dies ermöglichen – das Schließen der nördlichen Flanke gegenüber Russland durch Einbeziehung der finnischen und schwedischen Streitkräfte. Laut Berichten wurde diese Integration auf dem jüngsten NATO-Gipfel im Juli 2023 durch Verabschiedung eines detaillierten Verteidigungsplans für Nordeuropa vollzogen, der auch die Einrichtung eines regionalen Hauptquartiers in den USA vorsieht – wie auch die Verabschiedung regionaler Verteidigungspläne und Hauptquartiere für Mittel- und Südeuropa.

Ausdehnung in Osteuropa

Militärisch wird die Neuaufnahme von Schweden und Finnland die Dominanz der NATO über die Ostsee weiter festigen, die im Falle einer größeren Konfrontation mit Russland strategisch bedeutsam wäre. Zur Vorbereitung auf ein solches Szenario dient bereits seit 2004 die „gemeinsame Luftraumüberwachung“ im Baltikum, die durch ein Rotationssystem aller NATO-Mitgliedsstaaten ein jederzeit einsatzbereites Kontingent an Abfangjägern in den baltischen Staaten in Einsatzbereitschaft hält. Insbesondere Deutschland betrachtet die Kontrolle der Seewege vom Nordatlantik über die Nordsee bis zur Ostsee als eine Kernaufgabe und hat zunehmend seine Marinekapazitäten auf dieses Einsatzgebiet ausgerichtet.

Eingeleitet wurde die Osterweiterung der NATO im Grunde schon mit der deutschen Wiedervereinigung. Am 3. Oktober 1990 wurde nicht nur die Bundesrepublik um die ehemalige DDR erweitert, sondern auch das NATO-Gebiet. Zugleich versicherten jedoch damals die westlichen Führungsmächte gegenüber der Sowjetunion, dass eine weitere Ausdehnung der Allianz nicht vorgesehen sei. Von diesen Versprechen wurde, wie vorauszusehen, nichts gehalten. Allerdings dauerte es fast ein Jahrzehnt, bis die NATO-Ausweitung 1999 mit der Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns neuen Schwung erhielt. Dies fällt nicht zufällig mit der Rekonsolidierung des russischen Imperialismus als globalem Konkurrenten unter Putin zusammen und seiner klaren Bestimmung als strategischen Gegner der USA, während die europäischen führenden Mächte damals eine andere Strategie verfolgten.

Unter dem Schlagwort der „Open Door Policy“ wurde die Aufnahme weiterer Staaten ins Auge gefasst. Insgesamt wurden zwischen 1999 und 2020 14 Länder Osteuropas als Neumitglieder aufgenommen, darunter 9 ehemalige Mitglieder des Warschauer Pakts, vier Nachfolgestaaten Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien) sowie Albanien. Zu deren Integration in die NATO gehört auch die permanente Stationierung von NATO-Bataillonen in Osteuropa, die seit 2016 umgesetzt wird. Auf dem NATO-Gipfel 2022 wurde deren deutliche Aufstockung beschlossen. Deutschland hat im Juni 2023 zugesagt, für dieses Vorhaben 4.000 Soldat:innen samt Ausrüstung dauerhaft in Litauen zu stationieren. Zur Zeit sind rund 40.000 NATO-Truppen in Osteuropa stationiert.

Aufrüstung im Pazifikraum

Auch wenn die aktuellen Diskussionen sich auf den Ukrainekrieg konzentrieren, ist der geopolitische Einfluss im „Indopazifik“ – kurz gesagt im Umkreis von China – ein strategisches Kernanliegen der USA und zentral im übergeordneten imperialistischen Hauptkonflikt zwischen den ihnen und China. Im NATO-Strategiedokument von 2022 schlägt sich dies auch in der Formulierung nieder, dass „Entwicklungen im Indopazifik die euro-atlantische Sicherheit direkt beeinflussen“ und daher die NATO ein Interesse an dieser Region habe.

Seit 2022 nehmen Japan, Australien und Südkorea mit ihren Delegationen an NATO-Gipfeln teil. Die USA haben Anfang 2023 die Zustimmung der philippinischen Regierung (auf Grundlage eines schon seit 2014 bestehenden Abkommens) zur Einrichtung von vier neuen Militärstützpunkten erreicht, die einen direkten Zugang zu dem Teil des Westpazifiks ermöglichen, der neben China (dort unter der Bezeichnung „South China Sea“) auch von Vietnam („Östliches Meer“), den Philippinen („West Philippine Sea“) und teils von Indonesien („North Natuna Sea“ nach dem zu Indonesien gehörenden Natuna-Archipel) beansprucht wird und letztlich im Zentrum der „Indopazifik“-Debatten steht. Auch Joe Bidens Staatsbesuch in Vietnam Mitte September 2023 unterstreicht das Interesse des US-Imperialismus, sich in der Region zu verankern.

Gemeinsame Manöver von US-Streitkräften mit Australien, Japan und den Philippinen fanden zuletzt im August 2023 im Westpazifik statt. Unabhängig davon laufen seit 2009 jährliche Übungen der US- und indonesischen Streitkräfte, an denen sich in den vergangenen beiden Jahren auch das Vereinigte Königreich, Frankreich, Japan, Singapur und Australien beteiligten. All das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch enge US-Verbündete wie Japan, Südkorea und Singapur enge wirtschaftliche Beziehungen zu China pflegen und nicht bereit sind, sich in eine einseitige Abhängigkeit zu begeben.

Geschichte der NATO

All dies verdeutlicht, wie sehr sich die NATO seit dem Kalten Krieg verändert hat. Allerdings gibt es keinen Grund, dabei ihre Vergangenheit zu verklären. Seit ihrer Gründung 1949 bildet sie eine Allianz der mächtigsten kapitalistischen Staaten der Welt, verpflichtet zur gewaltsamen Durchsetzung ihrer Hegemonie.

Zur Zeit ihrer Gründung bedeutete dies die konterrevolutionäre Stabilisierung einer Nachkriegsordnung vor allem in Europa – also die Wiedererrichtung der bürgerlichen Nationalstaaten. Diese sollten sowohl über den kapitalistischen Weltmarkt als auch über politische und militärische Allianzen in einen globalen Einflussraum unter Führung der USA eingebunden werden.

Vor allem erforderte dies die Entwaffnung der Arbeiter:innenklasse, die den wichtigsten Beitrag zum Sieg über den Faschismus geleistet hatte. Diese angestrebte Nachkriegsordnung wurde ideologisch verklärt zum Reich der selbstbestimmten demokratischen Nationen. Dies war jedoch immer ein Hohn, wie schon ein Blick auf die Gründungsmitglieder zeigt, zu denen auch solch demokratische Musterschüler wie der „Estado Novo“ – das Portugal unter der Diktatur von António de Oliveira Salazar – oder Kolonialreiche wie Frankreich gehörten. Die Botschaft an den Rest der Welt war, dass ein Land, sofern es sich für die „richtige“ Seite entschieden hatte, auf die wirtschaftliche und militärische Unterstützung der USA hoffen konnte.

Auch wenn die Sowjetunion der Hauptgegner des imperialistischen Projekts werden musste, konnte die konterrevolutionäre Stabilisierung nicht ohne Mithilfe der stalinistischen Bürokratie erzielt werden. Die Aufteilung Osteuropas – wie unter den Siegermächten vereinbart – setzte voraus, dass die mit der UdSSR verbündeten stalinistischen Parteien ihre Aktivitäten und Programmatik so anpassten, dass sie mit den außenpolitischen Zielen der Kreml-Bürokratie verträglich waren, also der Kampf für proletarische Revolution und gegen die imperialistische Militärmaschinerie in der westlichen Sphäre „nicht länger auf der Tagesordnung“ stand. Die NATO indes machte durch die Aufnahme der BRD, ihre Wiederbewaffnung und die Stationierung von US-Atomwaffen auf ihrem Territorium den Krieg gegen die Sowjetunion in Mitteleuropa zu dem realistischen Bedrohungsszenario, das sie zur „Eindämmung des Kommunismus“ für geboten hielt.

Veränderte Doktrin nach Kaltem Krieg

Das Selbstverständnis der NATO als „Verteidigungsbündnis“ war schon immer eine Lüge, die über ihren eigentlichen Zweck – die Durchsetzung und Absicherung imperialistischer Hegemonie – hinwegtäuscht. Der Wegfall des Hautgegners durch den Zusammenbruch der Sowjetunion war daher zwar Anlass für allerlei chauvinistischen, bürgerlich-demokratischen Siegestaumel, nicht aber für eine Auflösung der NATO. Sie wurde vielmehr neu ausgerichtet für eine Welt, in der kein kohärenter Machtblock mehr der Durchsetzung ihrer Ziele im Weg steht. Vor dem Hintergrund der Jugoslawienkriege und der Bürger:innenkriege in der ehemaligen sowjetischen Peripherie rückte nun die Fähigkeit zu schnellen globalen, auch präventiven Militärinterventionen in den Fokus. Der NATO-Gipfel in Madrid 1997 erklärte solche Einsätze auch ohne UNO-Mandat für legitim und dehnte den möglichen Einsatz von Atomwaffen weit über die Abschreckungsdoktrin des Kalten Kriegs aus. Von der Eindämmung Russlands ist die NATO hingegen nie abgekommen – sie wurde lediglich verkauft als Verwirklichung neu erlangter Souveränität der neu aufgenommenen Staaten.

Vor dem Hintergrund der neuen Doktrin folgte der Angriff auf Afghanistan (2001) und den Irak (2003). Die 2000er Jahre zeigten auch die Spaltungstendenzen innerhalb der Allianz durch Bestrebungen Deutschlands und Frankreichs, die sich am deutlichsten in einer (wenn auch inkonsequenten) deutschen Opposition zur Irakinvasion ausdrückten, eine eigenständigere europäische Bündnisformation zu etablieren. Kernfrage dieser Spaltungslinie war, ob der deutsche und französische Imperialismus als eigenständiger Block einen gleichberechtigten Platz neben den USA beanspruchen kann.

Eng damit verbunden war die Idee, Russland einen Platz in der zweiten Reihe der imperialistischen Mächte zuzugestehen, es in eine „europäische Sicherheitsarchitektur“ einzubinden (also sein militärisches Drohpotenzial zu neutralisieren) und zugleich dem deutschen Imperialismus einen verlässlichen Konkurrenzvorteil durch stetig verfügbare fossile Energie zu Preisen unter Weltmarktniveau zu verschaffen. In dieser Frage war auch die deutsche Bourgeoisie bis zuletzt gespalten. Erst die russische Invasion der Ukraine vermochte es, in hier Klarheit zu schaffen und zugleich Schröder und Merkel – unbestritten verdiente Veteran:innen der deutschen Sache – als „bei Lichte betrachtet“ geblendete Naivlinge, weil Putinversteher:innen, zu entlarven. Erwähnt sei noch, dass eines der wichtigsten „Friedensargumente“ der reformistischen Linken – die Kritik, NATO bzw. Regierung seien nicht „ernsthaft“ genug auf die russischen Sicherheitsanliegen eingegangen – im Wesentlichen eine Verteidigung des deutschen Imperialismus von gestern gegen den von heute liefert.

NATO-Doktrin 2022

Die 2022 neu gefasste NATO-Doktrin beschreibt Russland als militärische Hauptbedrohung, die den Aufbau eines neuen, „glaubhaften“ Abschreckungspotentials erfordert. China wird vor allem durch seine Wirtschaftsmacht und seinen Griff nach strategischen Rohstoffvorkommen als Hauptfeind für NATO-Interessen ausgemacht. Dem Land werden aber auch explizit „böswillige“ und „undurchsichtige“ Absichten unterstellt, die die „regelbasierte internationale Ordnung“ untergraben würden. Erklärtes Ziel der NATO-Doktrin ist die Vorbereitung auf einen „High Intensity“-Krieg gegen „nuklear bewaffnete Konkurrent:innen“, also Russland und China.

Schon in den 2000er Jahren hatte die NATO gemäß ihrer globalen Strategie eine sog. „schnelle Eingreiftruppe“ (NRF) geschaffen. Diese umfasste zu Beginn des Ukraine-Krieges rund 40.000 Soldat:innen, die innerhalb kurzer Zeit einsetzbar sein sollten. Dies entsprach der Doktrin, die Interessen der NATO-Mitglieder auch außerhalb des Bündnisgebietes rasch umsetzen zu können, vorzugsweise als Ordungsmacht in halb-kolonialen Ländern.

Mit der zunehmenden Konfrontation mit Russland und seit dem Ukraine-Kriegs veränderte sich die Lage. So schlug NATO-Generalsekretär Stoltenberg im Sommer 2022 auf dem Gipfel von Madrid vor, die NRF massiv auszubauen. Sie soll auf mindestens 300.000 vergrößert werden, also fast verzehnfacht. Außerdem geht es bei den meisten dieser Truppen nicht um den Einsatz irgendwo auf der Welt, sondern vor allem gegen den altem und neuen Hauptfeind Russland. So sollen z. B. Teile der deutschen Kontingente der Eingreiftruppe gemäß dem sog. New Force Modell in Deutschland stationiert bleiben, aber ständig bestimmten Ländern oder Territorien als Einsatzgebiet zugeordnet sein.

Mit der Umstellung geht auch eine massive Ausweitung der Verteidigungsbudgets auf allen Ebenen einher. Die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind hier sicher nur ein erster Teil, die Armee, Verteidigungspolitiker:innen und Expert:innen trommeln längst für mehr.

Ausweitung und Planung

Schließlich umfassten die Ausweitung und das Testfeld Ukraine nicht nur einen massiven Export, sondern auch eine Erneuerung der Waffenbestände der NATO-Armeen weltweit. In Europa werden neue Systeme angeschafft. Die Armeen werden – anders als noch vor einigen Jahren, wo sie auf einen Kernbestand an rasch einsatzfähigen, kleinen Interventionstruppen konzentriert werden sollten – wieder zu großen Streitkräften, die gegen eine imperialistische Macht im Landkrieg siegen können. Daher auch wieder neue Kampfpanzer, schweres Gerät, moderne Luftwaffen usw.

Schließlich bedeutet das auch, dass die Bundeswehr und andere NATO-Armeen nicht nur andere, sondern auch mehr Soldat:innen brauchen. Der Beruf soll daher attraktiver, die Werbung an Schulen verbessert werden. Hilft das alles nichts (was durchaus sein kann), steht früher oder später die Wiedereinführung der Wehrpflicht, der „Schule der Nation“ ins Haus.

Wie bekämpfen?

Eine Haltung zur imperialistischen Kriegsmaschinerie einzunehmen, bedeutet in erster Linie, sich zu deren Zielen, zu den Interessen des eigenen Imperialismus überhaupt zu positionieren, also eine Klassenposition zum imperialistischen Staat einzunehmen. Als Revolutionär:innen lehnen wir nicht nur die gewaltsamen Mittel ab, mit denen imperialistische Staaten ihre Einflussräume erobern und verteidigen – sondern bereits ihren Anspruch, die Welt in Sphären ökonomischer, politischer und militärischer Kontrolle unter sich aufzuteilen, selbst wenn dies am Verhandlungstisch geschieht.

Andererseits erkennen wir das Recht halbkolonialer Länder an, sich gegen imperialistische Angriffe zu verteidigen. Das entscheidende Moment bilden dabei der Klassencharakter der kämpfenden Kriegsparteien und die Klasseninteressen, die sie wirklich verfolgen. Die entscheidende Aufgabe einer Antikriegsbewegung liegt darin, eine Bewegung aufzubauen und eine soziale Basis zu gewinnen, die die militärischen Pläne der Imperialist:innen tatsächlich durchkreuzen können, statt sie nur moralisch zu kritisieren. Und das heißt vor allem, eine Bewegung der Arbeiter:innenklasse aufzubauen, die auch in den Betrieben gegen die Kriegstreiber:innen vorgehen kann. Das bedeutet auch antimilitaristische Arbeit in der Armee und unter einfachen Soldat:innen.

Der revolutionäre Antimilitarismus unterscheidet sich dabei grundsätzlich vom kleinbürgerlichen Pazifismus der „alten“ Friedensbewegung, die unbestritten auf eine lange Geschichte des Protests gegen Aufrüstung und Kriegseinsätze zurückblickt. Der Krieg, der sich nun vor unseren Augen abspielt, lässt sie jedoch ratlos zurück. Als Beispiel hierfür kann ein Redebeitrag von Gerhard Trabert zum Antikriegstag in Stuttgart genannt werden, der von DIE LINKE anschließend veröffentlich wurde. Er gesteht gleich zu Beginn zu, dass mehr Militärausgaben „eventuell notwendig“ seien, um „sich gegenüber Diktatoren und Despoten wehren zu können und Demokratien zu verteidigen“. Ob dies eine Zustimmung zum 100-Milliarden-Programm und zur Aufrüstung der NATO-Ostflanke ist, bleibt bewusst im Unklaren, denn der Rest des Beitrags ist eine Predigt für die christliche „Feindesliebe“.

In der Rivalität verschiedener imperialistischer Mächte oder Blöcke ergreifen wir keine Seite. Dieser revolutionäre Defätismus entbindet uns jedoch nicht von der Pflicht, die von imperialistischen Mächten angegriffenen Nationen zu verteidigen. Während wir im gegenwärtigen Krieg das Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer:innen gegen den russischen imperialistischen Überfall anerkennen (und somit auch ihr Recht, sich die Mittel zur Verteidigung zu beschaffen), lehnen wir jede Unterstützung der Politik und der Kriegsziele Deutschlands und der NATO kategorisch ab.

Letztere Position wiederum hindert uns nicht daran, innerhalb der Ukraine die Politik der Selenskyj-Regierung zu bekämpfen, die bereit ist, die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine den Kriegszielen der westlichen „Partner:innen“ unterzuordnen. Es hindert uns auch nicht daran, die nationalen und demokratischen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung, einschließlich etwa des Rechts auf Lostrennung für die Krim, auf die Tagesordnung zu setzen. Deren Verwirklichung stehen jedoch vor allem die Interventionen beider imperialistischen Machtblöcke im Weg.

Wir bekämpfen jede Aufrüstung von Bundeswehr und NATO, wie wir auch grundsätzlich jedes Militärbudget dieser Staaten und ihrer Bündnisformationen ablehnen. Angesichts der engen Verknüpfung der NATO-Expansions- und Aufrüstungspläne mit der militärischen Unterstützung der Ukraine (etwa in Form von „Ringtausch“-Programmen) lehnen wir auch die Forderung nach Waffenlieferungen des NATO-Lagers an die Ukraine und jede Zustimmung zu diesen in den Parlamenten ab. Aus dem gleichen Grund lehnen wir auch alle Formen von Wirtschafts- und Handelssanktionen der imperialistischen Staaten ab. Jede Unterstützung ihrer „Verteidigungs-“ und iMilitärausgaben würde letztlich einer politischen Unterstützung des deutschen Imperialismus gleichkommen. Denn im Kampf um die Neuaufteilung der Welt stellt dieser für die Arbeiter:innenklasse in Deutschland den Hauptfeind dar.




Weder Putin noch NATO! Frieden für die Ukraine! Aber wie?

Flugblatt von Arbeiter:innenmacht und REVOLUTION zur Kundgebung „Aufstand für Frieden“, Infomail 1214, 25. Februar 2023

Der barbarische Angriff Russlands auf die Ukraine jährt sich. Weit über 100.000 Tote hat der Krieg in nur einem Jahr gefordert. Rund 15 Millionen Menschen – ein Drittel der Bevölkerung – wurden zu Flüchtlingen im eigenen Land oder in ganz Europa.

Ein Ende der Barbarei scheint nicht in Sicht – und die Gefahr, dass sich der Krieg zum Flächenbrand ausweitet, ist längst nicht gebannt. Kein Wunder, dass Millionen Menschen, die sich mit der Bevölkerung der Ukraine solidarisieren, ihr Recht auf Widerstand durchaus anerkennen, fragen, wie es weitergehen soll. Sie fragen sich: Wie kann die Konfrontation zwischen Russland und den westlichen Großmächten, insbesondere der USA, aber auch Deutschland und der EU gestoppt werden? Und wer soll das tun? Die Großmächte, die diesen Krieg selbst direkt verursacht oder maßgeblich befeuert haben? Wie soll ein „Frieden“, der von ihnen ausgehandelt wird, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung bringen?

Unserer Meinung nach geht es darum, eine internationale Antikriegsbewegung aufzubauen. Eine solche müsste die Arbeiter:innenklasse und die Linke im Westen, die Lohnabhängigen und fortschrittlichen Kräfte in der Ukraine und die Antikriegsbewegung in Russland umfassen. Es müsste eine Bewegung sein, die sich keiner imperialistischen Gruppierung unterordnet. Dazu ist es notwendig, den Charakter des Kriegs und seine verschiedenen Aspekte zu verstehen.

Nein zu Putins Krieg!

Die Invasion und Besatzung von rund 20 % der Ukraine durch den russischen Imperialismus haben einen Krieg entfacht, für den es keine Rechtfertigung gibt. Die russische Armee und die bezahlten Söldner:innen Putins haben in der Ukraine nichts verloren. Alle Rechtfertigungen für den lange als „Spezialoperation“ verharmlosten Einmarsch erwiesen sich von Beginn an als Lügen. Es geht nicht um den Kampf gegen den „Faschismus“, dem so manche Gefolgsleute des russischen Regimes selbst gefährlich nahekommen. Es geht schon gar nicht um die Befreiung eines „Brudervolkes“, dessen nationale Existenz von Putin persönlich als Erfindung abgetan wird.

Dem Regime Putin ging es nur um eines: die ökonomischen und geostrategischen Interessen des russischen Imperialismus. Dafür nahm er in Kauf, ein ganzes Land in Schutt und Asche zu legen. Dafür nimmt er auch in Kauf, dass die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung von Russland nichts mehr wissen will.

Das Ringen um die Ukraine

Zweifellos, Putin tritt das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine mit Füßen. Niemand kann der Bevölkerung ihr Recht abstreiten, sich gegen die Invasion, die Bombardierungen, den Artilleriebeschuss, willkürliche Morde und Vergewaltigungen zur Wehr zu setzen.

Doch der Krieg ist zugleich auch Teil eines globalen, imperialistischen Konflikts, der seit Jahrzehnten von den USA, der NATO, aber auch von Deutschland und der EU aktiv geschürt und vorangetrieben wurde. So waren z. B. am prowestlichen Regimewechsel 2014 auch deutsche Politiker:innen maßgeblich beteiligt.

Mit dem Einmarsch in die Ukraine versuchte Russland militärisch, eine Einflusssphäre zurückzuholen, die es aufgrund seiner ökonomischen Schwäche schon weitgehend an den Westen verloren hatte. Ironischerweise hat die Barbarei der Putintruppen jedoch genau das beschleunigt, was sie eigentlich verhindern sollten: die stärkere Westanbindung der Ukraine, Ausdehnung und Aufrüstung der NATO.

Der Krieg beinhaltet daher nicht nur Aspekte der berechtigten nationalen Selbstverteidigung, sondern auch eines Stellvertreter:innenkriegs.

Imperialistische Konfrontation

Die Regierung Selenskyj erweist sich auch im Krieg als verlässliche Verbündete des Westens. So berechtigt die Selbstverteidigung gegen die russischen Truppen auch ist, so wenig dürfen wir die Augen vor den nationalistischen und arbeiter:innenfeindlichen Zielen der Regierung in Kiew verschließen. Für sie geht es nicht nur um die Selbstverteidigung des Landes, sondern auch Rückeroberung der Volksrepubliken und der Krim, wie (un)realistisch das auch erscheinen mag. Sie öffnet sich die Ukraine weiter dem westlichen Kapital und den ukrainischen Oligarchen, während die demokratischen Rechte der Opposition beschnitten und die der Lohnabhängigen kassiert werden.

Auch wenn die Westmächte nicht direkt vor Ort kämpfen, so unterstützen sie die Ukraine mit Krediten und Waffen in einem gigantischen Ausmaß. Obendrein haben die G7-Staaten und die EU einen Wirtschaftskrieg mit Russland vom Zaun gebrochen, dessen Sanktionsregime die globale Ökonomie nach unten drückt.

Damit werden nicht nur massive Preissteigerungen und wirtschaftliche Einbrüche in Russland befördert, um die dortige Bevölkerung zu zermürben. Dafür werden nicht nur Inflation und Armut in den westlichen Ländern billigend in Kauf genommen, sondern auch Lebensmittelknappheit, Hyperinflation und Hunger im globalen Süden, in den Ländern der sog. Dritten Welt.

Nein zu NATO-„Friedensstifter:innen“! Nein zum Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung!

Allein diese Tatsache verdeutlicht, dass es den USA, der EU und Deutschland nicht um „Gerechtigkeit“ geht. Es geht ebenfalls um ihre geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen. Auch wenn sich viele Ukrainer:innen über Waffenlieferungen aus dem Westen freuen, so handelt es sich hier nicht um selbstlose Unterstützung.

Im Rahmen eines größeren Kampfes um die Neuaufteilung der Welt wird die NATO erweitert, werden Schweden und Finnland aufgenommen, sollen die schnellen Einsatzkräfte auf 300.000 aufgestockt werden. Daher wird das Rüstungsbudget erhöht, werden 100 Milliarden zusätzlich für die Bundeswehr lockergemacht. Die ganze Politik der Waffenlieferungen via Ringtausch dient auch zur Aufrüstung der NATO-Staaten selbst.

Während hunderte Milliarden für Aufrüstung und Krieg ausgegeben werden, müssen wir schon jetzt für seine Kosten zahlen – durch gestiegene Preise, Rationalisierungen und Sparmaßnahmen. Hunderttausende Beschäftigte fehlen im Gesundheitswesen und an Schulen. In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst müssen wir uns das Gejammer von den leeren Kassen anhören.

All das ist nicht einfach eine „falsche Politik“. In Wirklichkeit vertritt die Bundesregierung unter Olaf Scholz nur die Interessen des deutschen Imperialismus. An diesem Punkt zeigt sich die zentrale politische Schwäche des „Manifest für Frieden“. Es wird so getan, als würden Deutschland und die EU in die Konkurrenz zwischen Russland und den USA nur „hineinschlittern“, Bundesregierung und EU keine Großmachtinteressen vertreten. Eine solche Kritik verkennt nicht nur den „eigenen“ Imperialismus, sie öffnet leider auch Tür und Tor für konservative und rechte „Friedensfreund:innen“, ehemalige Bundeswehrgeneräle, abtrünnige Konservative oder gar AfDler:innen, die nur für eine andere geostrategische und nationalistische Ausrichtung des eigenen Imperialismus stehen.

Eine von Deutschland initiierte „Friedensallianz“ brächte ebenso wenig „Frieden“ und Gerechtigkeit für die Ukraine wie Chinas „Verhandlungsplan“. Ein solcher imperialistischer Frieden wäre nur das Abbild des momentanen Kräfteverhältnisses zwischen den Großmächten. Er würde den verschiedenen kapitalistischen Konzernen einen noch größeren Anteil an den Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten in der Ukraine aushändigen und das Land in noch größere Abhängigkeit bringen. Ein solcher „Frieden“ würde keines ihrer sozialen und demokratischen Probleme lösen.

Welcher Frieden? Welche Bewegung?

Ein dauerhafter Frieden, der diesen Namen verdient, kann nicht durch diplomatische Manöver von Großmächten erzielt werden. Dazu müssten diese selbst ihre eigenen ökonomischen, politischen und militärischen Interessen zurückstellen, was angesichts des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der schärfer werdenden globalen Konkurrenz einfach unmöglich ist. Der Imperialismus kann nicht friedlich gestaltet werden – weder in Russland, noch in den USA, aber auch nicht in Deutschland oder der EU.

Wir können uns daher nur auf uns selbst verlassen. Ein echter Frieden, eine gerechte Lösung für die Ukraine müsste die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des Landes bei gleichzeitiger Wahrung der Selbstbestimmung der Volksrepubliken im Donbass und auf der Krim beinhalten.

Um aber überhaupt dorthin zu kommen, müssen wir eine internationale Bewegung gegen den Krieg und gegen dessen Auswirkungen aufbauen; eine Bewegung der gemeinsamen Aktion der deutschen, der europäischen, der US-amerikanischen, der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse, der Gewerkschaften, der Linken und Arbeiter:innenparteien. Eine solche Bewegung muss sich um bestimmte, gemeinsame Forderungen formieren. Dazu schlagen wir vor:

  • Nein zu Putins Angriffskrieg! Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!

  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!

  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!
  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen jede Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

  • Keinen Cent für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Nein zu allen Sanktionen! Streichung der Schulden der Länder der sog. Dritten Welt, die durch die Sanktionen in wirtschaftliche Not geraten sind!

  • Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Unterstützung der Tarifkämpfe der Gewerkschaften! Für eine automatische Anpassung der Löhne und Einkommen an die Preissteigerung für alle Beschäftigten, Rentner:innen, von Erwerbslosen und Studierenden!



Manifest für Frieden: bürgerlicher Pazifismus am Pranger

Wilhelm Schulz, Infomail 1214, 22. Februar 2023

Die Petition „Manifest für Frieden“ wurde am 10. Februar von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer veröffentlicht. Sie stellt einen Aufruf für die sofortige Einstellung von Waffenlieferungen und Einleitung von Friedensverhandlungen dar. Der Text fordert die Bundesregierung und den Bundeskanzler auf, Verhandlungen einzuleiten, um „Schaden vom deutschen Volke [zu] wenden“. Der Entrüstungssturm über die Petition zeigt jedoch weniger deren politische Begrenztheit auf als den Beweis, welche Anfeindungen selbst linksliberaler oder sozialchauvinistischer Pazifismus aktuell erfährt.

Auch wenn wir die Petition nicht unterstützen, so halten wir sie doch für den momentan lautstärksten Vorstoß aus den Reihen der Friedensbewegung. Die Versammlung am 25. Februar wird rund um das bittere erste Jubiläum des russischen Angriffs auf die Ukraine vermutlich die größte jener sein, die sich gegen den Aufrüstungs- und Eskalationskurs der deutschen Regierung stellen wollen. Auch wenn wir Pazifismus als Form bürgerlicher Ideologie ablehnen, so ist der der Massen ein nachvollziehbarer Ansatz angesichts drohender Verschärfung der Barbarei und des Mangels an einer fortschrittlichen Perspektive zu ihrer Überwindung. Aus diesem Grund werden wir an der Versammlung teilnehmen, während wir von den Organisator:innen fordern, sich vor Ort deutlich von etwaigen rechten Akteur:innen abzugrenzen und diese, falls sie anwesend sollten, durch Ordner:innen aus der Versammlung zu werfen.

Die Petition verzeichnet mittlerweile fast 600.000 Unterstützer:innen (Stand: 22.02.23). Neben den beiden Initiatorinnen gibt es noch 69 Erstunterzeichner:innen – eine breite Palette, die mit dem Begriff linksliberal nur verzerrt zusammengefasst werden kann.

Auch wenn aufgrund des öffentlichen Drucks einige wie die ehemalige Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche (EKD), Margot Käßmann, ihre Unterschrift zurückgezogen haben, so bleiben die meisten Unterzeichner:innen Wissenschaftler:innen und Kulturschaffende, die dem Spektrum von SPD, Linkspartei und Grünen nahestehen.

Es ist aber bezeichnend für die politische Ausrichtung der Initiatorinnen Schwarzer und Wagenknecht, dass einige Prominente aus dem konservativen und rechten Spektrum, darunter Erich Vad, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr und von 2006 bis 2013 Militärpolitischer Berater von Angela Merkel im Kanzler:innenamt, dahinterstehen. Vad hat zudem in der Vergangenheit vor rechten Burschenschaftlern referiert und für die rechtspopulistische Junge Freiheit vor etwa 20 Jahren geschrieben.

Die Unterstützer:innenliste umfasst jedoch nicht nur Ex-Funktionsträger:innen und mehr oder weniger bekannten linke Persönlichkeiten, sondern auch Repräsentant:innen der reformistischen Arbeiter:innenbewegung wie Christof Ostheimer, der ver.di-Bezirksvorsitzende Südholsteins, oder Michael Müller, den Bundesvorsitzenden der sozialdemokratischen Naturfreunde. Daneben natürlich Wagenknecht, die Galionsfigur der Linken, die in den letzten Jahren der Klassenpolitik den Rücken kehrte und ein linkspopulistisches Programm für DIE LINKE zu etablieren versucht. Und Schwarzer, eine bürgerliche Feministin der zweiten Welle des Feminismus, die vor allem durch Transfeindlichkeit in den letzten Jahren bei neuen Generationen von Feminist:innen angeeckt ist.

Insgesamt handelt es sich um ein volksfrontartiges, klassenübergreifendes Personenbündnis. Der Aufruf stellt keine Aufforderung zum aktiven Handeln dar, sondern letztlich nur den kleinsten gemeinsamen Nenner der Initiator:innen. Aber er hat hunderttausende Unterschriften erhalten, weil nicht zuletzt Millionen Lohnabhängige über die Militarisierung und den Kriegskurs der Bundesregierung zu Recht beunruhigt sind.

Zum Inhalt

Das Manifest selbst spricht sich für die sofortige Einstellung von Kriegshandlungen aus. Es droht vor einer latenten Gefahr der Ausweitung über ihre bisherigen Grenzen bis hin zum Weltkrieg. Der Überfall Russlands auf die Ukraine und die Notwendigkeit von Solidarität mit ihrer Bevölkerung wird benannt. Dies bleibt allerdings letztlich ohne konkrete politische Folgen, weil nirgendwo das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigt oder als Ziel eines etwaigen Friedens benannt wird. Nirgendwo wird der Rückzug der russischen Invasionstruppen aus den seit Februar 2022 eroberten Gebieten gefordert.

Der Text spricht sich im Anschluss nur gegen den Kriegskurs der Bundesregierung und des ukrainischen Präsidenten Selenskyj aus. Militärstrategisch sieht sich der Petitionstext vor einer Pattsituation. So schreiben die Initiatorinnen: „Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“ Aus dieser Erkenntnis folgt der Aufruf an die Bundesregierung, zwischen den USA und Russland zu vermitteln oder auf die europäischen Nachbar:innen einzuwirken. Demnach soll Olaf Scholz die Waffenlieferungen einstellen und eine „Allianz für einen Waffenstillstand“ aufbauen.

Die hier aufgeworfene Perspektive verbleibt vollständig innerhalb des Horizonts bürgerlicher Diplomatie. Den Krieg können anscheinend nur Diplomat:innen stoppen. So heißt es: „Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken.“ Daher müssten wir „unsere Regierung“ in die Pflicht nehmen und Olaf Scholz zum Anführer einer „Friedensallianz“ krönen.

Doch die „Friedensallianz“, die keine eigenen Klasseninteressen vertritt, gibt es nicht und kann es nicht geben. So wie die deutsche Regierung mit Sanktionen und Waffenlieferungen ihre eigenen imperialistischen Interessen verfolgt, die Ukrainer:innen im Krieg für ihre eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Zwecke unterstützt, wird sie das natürlich auch am Verhandlungstisch tun – und genauso werden das alle anderen Beteiligten auf dem Rücken der ukrainischen Bevölkerung versuchen.

Letztlich soll der geforderte Frieden dem deutschen Interesse dienen. Demnach ist der Krieg einer zwischen den USA (im Aufruftext Amerika) und Russland. Eine Beteiligung oder genauer deren Fortsetzung entsprächen nicht den Interessen Deutschlands bzw. denen des deutschen Kapitals. In diesem Sinne appelliert der Aufruf an die deutsche Bourgeoisie und ihren Staat, um diese für die Linie der vergangenen Jahrzehnte zurückzugewinnen. Eben jene konnte den Kriegskurs aber nicht stoppen, weil sie keine oder nur wenige Anhänger:innen unter der herrschenden Klasse in Deutschland besitzt. Das kann sich natürlich ändern – und darauf hoffen letztlich Schwarzer und Wagenknecht.

Es ist auch kein Wunder, dass daher Forderungen, die das direkte Interesse des deutschen Imperialismus auch in der Konkurrenz zu Russland berühren, außen vor bleiben. So werden weder die Abschaffung der Sanktionen noch der Stopp der Aufrüstung der Bundeswehr und NATO auch nur erwähnt. Dabei befeuern die Sanktionen nicht nur die Inflation und Armut hierzulande, sondern vor allem auch den Hunger und Not in der Welt. Ihre Folgewirkungen bedrohen das Leben Hunderttausender.

Das 100-Milliarden-Programm, die europäische Rüstungsinitiative und die Aufstockung der schnellen NATO-Eingreiftruppe auf 300.000 Soldat:innen finden sich im Aufruf mit keinem Wort.

Zu diesen Fragen gibt es unter den Initiator:innen entweder keine Einigkeit oder man möchte konservative Gegner:innen des Ukrainekriegs nicht mit Abrüstungsforderungen an die deutsche Regierung „abschrecken“. So bleibt es beim allgemeinen Ruf nach Frieden – im deutschen Interesse. Der Sozialpazifismus wird als die beste Politik für „unseren“ Imperialismus präsentiert.

Und wie wird darüber gesprochen?

Die öffentliche Kritik am Aufruf lässt sich in zwei Stoßrichtungen einteilen, wobei die eine die andere erkennbar bestimmt. Einerseits jene, die jedweden Bruch mit der konfrontativen Politik gegenüber dem russischen Imperialismus als reaktionär abstempelt. Andererseits jene, die dem ausweicht und die Gefahr der Beteiligung reaktionärer Anhänger:innen über die Notwendigkeit stellt, für eine internationalistische und klassenkämpferische Ausrichtung der Opposition gegen die Kriegspolitik der Bundesregierung zu kämpfen. Als Produkt kommt bei beiden Kritiken ähnliches raus: Passivität gegenüber der neuen Orientierung des deutschen Imperialismus.

Die Petition ist in der Linken, aber vor allem in DIE LINKE, sehr umstritten. Der Parteivorstand der LINKEN hat am Donnerstag, dem 16.2, bekanntgegeben, den Protest zu unterstützen, der sich für Frieden und Waffenstillstand einsetzt und von rechts abgrenzt – nicht aber die größte Kundgebung gegen die Bundesregierung. Das Ausbleiben einer Erwähnung des „Manifest für Frieden“ spricht hier Bände, denn es ist aus den Reihen der Partei der aktuell bekannteste Ansatz. Die Stellungnahme stellt dementsprechend eine indirekte Distanzierung dar, die umgekehrt aber allen freistellt, doch hinzugehen oder den Aufruf zu unterzeichnen.

Das Manifest ist in seiner Perspektive weder neu noch innovativ. Es vertritt eine Form bürgerlicher Politik, die mittels eines Appells an den Staat in Form von Bundesregierung und -kanzler zum Richtungswechsel in Fragen der Waffenlieferungen und Friedensverhandlungen drängen möchte und die alles mit dem Verweis auf deutsche Interessen begründet. Der Richtungsstreit wird im Militärjargon als jener zwischen Falken, den sogenannten Hardliner:innen, und Tauben, der Orientierung auf Verhandlungen, beschrieben. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) formuliert den Standpunkt der Hardliner:innen, aber auch ihren Punktsieg in der politischen Stimmung in Deutschland deutlich, wenn sie die Unterzeichner:innen des Manifests „zu propagandistischen Helfern eines Kriegsverbrechers“ abstempelt.

Dabei greift sie zwar genüsslich wirkliche Schwächen des Aufrufs auf und dessen Verharmlosung des russischen Imperialismus, aber die FAZ unterschlägt dabei natürlich die imperialen Kriegsziele der NATO, der USA und auch Deutschlands.

Vorwurf der Querfront oder zumindest rechten Unterwanderung

Der AfD Co-Vorsitzende Tino Chrupalla hat öffentlich verkündet, das Manifest unterschrieben zu haben. Dies hat er nicht als einer der Erstunterzeichnenden getan, sondern einfach nur ein Kontaktformular auf einer Homepage unterschrieben. Chrupalla und das von Jürgen Elsässer geführte, neurechte Magazin Compact riefen darüber hinaus zur Beteiligung an der Kundgebung am 25. Februar in Berlin auf. Wagenknecht distanzierte sich im Interview mit dem SPIEGEL öffentlich davon und untersagte die Beteiligung von AfD und anderen Akteur:innen der Rechten. Oskar Lafontaine, der ehemalige Mitbegründer der LINKEN und Erstunterzeichner, riss diese Brandmauer kurz darauf erneut nieder, indem er die „Gesinnungsprüfung“ oder Parteibuchkontrolle bei Einlass zur Demonstration ausschloss. Eine politische Schmierenkomödie mit ungewissem Ausgang.

Im Aufruf selbst wird die Abgrenzung nach rechts jedoch nicht deutlich formuliert. Auch wenn wir diese bereits im Petitionstext für notwendig erachtet hätten, so fand die Distanzierung schlussendlich doch statt. Die konsequente Fortsetzung dessen müsste eine eindeutige Abgrenzung im Rahmen der Versammlung und ein Rauswurf öffentlich bekannter oder auftretender rechter Akteur:innen durch Ordner:innen bedeuten. Ob es dazu kommt, steht in den Sternen.

Die AfD versucht mittels ihrer Kriegsposition, ähnlich wie das Manifest für Frieden, eine alternative Ausrichtung für das deutsche Bürger:innentum anzubieten. In diesem Sinne ist ihr Aufruf zur Unterstützung nachvollziehbar, aber das hat noch einen zweiten positiven Punkt für die Rechten. Es ist ihren Akteur:innen vermutlich sehr deutlich klar, dass ein Mobilisierungsaufruf ihrerseits die Demobilisierung im Lager der Arbeiter:innenbewegung befeuern würde.

Sie würden damit sowohl die Verbitterung im Lager der Initiator:innen und ihrer Unterstützer:innen anspornen, während sie ihre eigenen Mobilisierungen weiterhin als die relativ stärksten verkaufen können. Notwendig wäre eine klassenkämpferische Position, die die Schwächung des eigenen Imperialismus, die Beendigung des Krieges durch Klassenkampf ins Zentrum stellt. Ein solcher Aufruf hätte sich jedoch an den DGB und seine Mitgliedschaft richten sollen, eine Verbindung zu den das Jahr 2023 durchziehenden Arbeitskämpfen gebraucht. Eine solche Perspektive gilt es, auch in die Tarifauseinandersetzungen zu tragen.

Begrenzter Pazifismus

Laut Unterstützer:innen der Petition in der LINKEN unterstütze weiterhin eine Mehrheit der Parteimitglieder den Vorstoß. Was jedoch deutlicher zu erkennen ist, ist die Kapitulation der Partei angesichts der aktuellen Herausforderungen. DIE LINKE versteht sich seit ihrer Entstehung als Antikriegspartei, eine Position auf dem Sand des Pazifismus gebaut. Beide Bewegungsrichtungen (Parteivorstand und Regierungssozialist:innen oder Wagenknechtlager), in die pazifistische Politik angesichts des Krieges taumelnd, zeigen deren Begrenztheit auf. Die Mehrheit des Parteivorstandes hält die Füße still, da sie schlussendlich den Frieden nur durch einen militärischen Sieg der Ukraine für möglich halten will und die Rolle der NATO herunterspielt. Der andere Teil sieht dies als unmöglich an und orientiert dementsprechend auf Verhandlungen zwischen jenen Akteur:innen, die spätestens seit 2014 regelmäßig Öl ins Feuer kippen.

Beide Ansätze verstehen den Krieg als externen Schock, den es zu beseitigen gilt, um die rechtmäßige (bürgerliche) Ordnung wiederherzustellen. Dabei ist der Krieg dem Kapitalismus innerlich. Er bietet eine Chance, dessen Überakkumulationskrisen durch massive Vernichtung von Kapital und Arbeit, aber auch Verdrängung imperialistischer Konkurrenz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zu lösen. Sowohl der Fokus der Hardliner:innen als auch jener der Verhandlungsbefürworter:innen überlässt die Handlungsfähigkeit den Herrschenden. Beide bieten Arbeiter:innen und Unterdrückten keine eigenständige Handlungsperspektive.

Insgesamt lehnen wir Verhandlungspredigten ab. Sie haben auf verschiedenen Ebenen einen passiven Charakter. Erstens erhoffen sie gerade von jenen imperialistischen Regierungen einen „gerechten Frieden“, die selbst maßgeblich den Krieg befeuert haben und befeuern. Zweitens unterstellen sie den Krieg als etwas Außerordentliches, in dem es nur um Töten oder getötet Werden geht. Das Zurückholen der jeweiligen Staaten an den Verhandlungstisch, die den vorherigen „friedlichen“ Zustand wiederherstellen sollen, bleibt die letzte waffenlose Form der Vaterlandsverteidigung.

Wer ist das Subjekt einer Antikriegsbewegung?

Der Aufruf für den 25. Februar macht dies ganz deutlich. Die deutsche Bevölkerung – also auch die Arbeiter:innenklasse – können ihm zufolge nichts bewirken. Daher muss Olaf Scholz als Friedensarchitekt ran.

Doch nicht nur die deutsche Bevölkerung taucht als Subjekt nicht auf. In der Ukraine und in Russland gibt es anscheinend auch nur Herrschende. Die ukrainischen Massen, die die Hauptlast des Kriegs tragen müssen, erscheinen nur als bedauernswerte Opfer. Ihre eigenen sozialen und demokratischen Rechte und Interessen gibt’s anscheinend nur als Restgröße der Verhandlungen zwischen Putin und Biden, unter Vermittlung von Scholz und Macron. Die russische Arbeiter:innenklasse und die dortige Antikriegsbewegung werden erst gar nicht erwähnt.

Als Revolutionär:innen stellen wir im Kampf gegen diesen Krieg und seine Folgen den Klassenkampf, die Frontstellung zur herrschenden Klasse und zum „eigenen“ Imperialismus in den Mittelpunkt. Zugleich solidarisieren wir uns mit den Arbeiter:innen in der Ukraine und Russland. So haben wir schon im Mai letzten Jahres folgende Vorschläge für den Aufbau einer Antikriegsbewegung in Deutschland erbracht, die in ihren Grundzügen bis heute (leider) noch immer Gültigkeit haben:

„ – Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Antikriegsbewegung in Russland!

– Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!

– Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommenen!

– Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

– Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

– Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampelkoalition!

– Die Kosten für die Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle! Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!

– Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!“

Doch um diese Perspektive zu verbreiten, müssen wir diese auch unter die Arbeiter:innen tragen – auch unter jene, die vom Pazifismus geprägt sind und aus diesem Grund den Aufruf unterzeichnet haben bzw. zur Kundgebung kommen. Für sie erscheint die Verhandlung, ein Mittel zur Beendigung der Barbarei darzustellen, ohne dabei jedoch die Frage nach deren Ursprung und Wiederholungspotential aufzuwerfen. In diesem Sinne rufen wir alle linken und klassenkämpferischen Organisationen dazu auf, sich an der Versammlung zu beteiligen und für eine Position des Klassenkampfes einzutreten.




Gegen Krieg und Krise: Aber wie?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 265, Juni 2022

Seit der Invasion des russischen Imperialismus in die Ukraine hört man öfter das Wort „Zeitenwende“. In der Tat hat der Krieg hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeläutet. Die imperialistische Konkurrenz spitzt sich zu, es formen sich, ähnlich wie vor den letzten beiden Weltkriegen, Machtblöcke, die um die Weltherrschaft kämpfen.

Das Ganze wird begleitet von Stagnation und Inflation. Die Preise im Energiebereich oder bei Lebensmitteln steigen in dramatische Höhen. Das trifft vor allem die Lohnabhängigen, die daneben auch mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich rechnen müssen, denn die Kosten für den Krieg werden auf sie abgewälzt.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht auch, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellen. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des deutschen Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Deshalb wollen wir im folgenden einige Kernforderungen beleuchten, die die Basis für eine erfolgreiche Antikriegs- und Krisenbewegung legen und diskutieren wie wir so eine Bewegung aufbauen können.

1. Der Hauptfeind steht im eignen Land: Klassenkampf statt nationaler Einheit!

Deutschland und der Westen verteidigen nicht das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, sondern verfolgen vielmehr das Ziel, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und die Ukraine dauerhaft zu ihrer Halbkolonie zu machen. Die Behauptung, dass es den herrschenden Klassen Deutschlands oder seiner NATO-Verbündeten um einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Willkür und Menschenrechten ginge, ist eine Lüge. Deswegen ist es wichtig, dass wir hierzulande nicht zu den deutschen Interessen schweigen, sondern klar sagen:

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

Dementsprechend müssen wir uns auch gegen die Aufrüstung des deutschen Imperialismus stellen. Für den neuen militärischen Kurs und der „Zeitenwende“ eines Olaf Scholz sollen riesige Geld in den Rüstungsetat fließe. Das heißt praktisch:

  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampel-Koalition!

2. Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und der Antikriegsbewegung in Russland!

Eine Antikriegsbewegung, die diesen Namen verdient, muss die Invasion in der Ukraine verurteilen, den sofortigen Abzug der Truppen und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine fordern. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch seitens der Ukraine das Selbstbestimmungsrecht der Krim und des Donbass verlangen.

  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Gefangenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger_innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

3. Wir zahlen Krieg und Krise nicht!

Wie oben bereits geschrieben, können wir Krieg und Krise nicht separat betrachten. Dabei ist es zentral, dass wir uns gegen Sozialabbau, Kürzungen und Steuererhöhungen für die Massen stellen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren oder die Krisenkosten zu finanzieren. Das heißt, dass die Kosten der Preissteigerung die Herrschenden zahlen sollen. Wir wollen weder hungern, noch frieren für ihren Krieg, ihre Sanktionen und ihre Krise!

  • Koordinierter branchenübergreifender Kampf, um die Lohnverluste auszugleichen! Automatische Angleichung der Löhne und Sozialleistungen an die Inflation!
  • Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals!
  • Keine Profite mit dem Morden: Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Umwandlung der die Produktion, z. B. in Beatmungsgeräte unter Arbeiter:innenkontrolle!

4. Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Sollten die NATO-Länder zu einer direkten militärischen Intervention z. B. durch die Errichtung von Flugverbotszonen schreiten, muss die Arbeiter:innenklasse unmittelbar gegen diese Eskalation mobilisiert werden, um mit einem politischen Streik bis hin zum Generalstreik die gefährliche Katastrophe zu verhindern und die Kriegstreiberei zu stoppen! Wie sinnvoll solche Aktionen sind, zeigen schon jetzt Arbeiter:innen in Belarus, Italien oder Griechenland, die die Lieferung von Waffen verhindert haben, indem sie sich weigerten, diese zu liefern. Die Ablehnung jeder Klassenzusammenarbeit, jeder Unterstützung der Regierung und ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht nur unerlässlich. Sie schafft zugleich auch die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung – insbesondere auch in Russland und in der Ukraine.

Antikriegsbündnis aufbauen, aber wie?

Berechtigterweise sollte nun die Frage aufkommen, wie wir das in die Praxis umsetzen. Unsere Aufgabe muss es sein, innerhalb der breiten Proteste, die in Solidarität mit der Ukraine stattfinden, Menschen für eine klare Klassenanalyse und unsere Forderungen zu gewinnen. Ebenso müssen wir in aktuellen Streiks intervenieren, um die Ursache für die aktuellen Preissteigerungen hereinzutragen. Dies kann im Kleinen natürlich durch Diskussionen auf Demonstrationen und Veranstaltungen stattfinden.

Auf der anderen Seite muss dies aber auch im größeren Rahmen geschaffen werden. Dazu braucht es ein Bündnis linker Kräfte, die eine internationalistische Position (also gegen die Imperialist:nnen in Ost und West) vertreten.

Das heißt natürlich nicht, dass eine antikapitalistische Ausrichtung eine Vorbedingung für jede gemeinsame Aktivität oder Aktionseinheit gegen Krieg oder Aufrüstung darstellt oder umgekehrt eine Antikriegsposition Voraussetzung für gemeinsame betriebliche oder gewerkschaftliche Abwehrkämpfe wäre. Eine solche Politik wäre ein sektiererischer Ultimatismus, der Revolutionär:innen zur Passivität verurteilen würde – sei es zum bloßen Kommentieren oder durch die Beschränkung auf Pseudoeinheitsfronten kleiner linker Gruppen. Letztere lehnen wir zwar nicht kategorisch ab, sie haben aber nur dann einen Wert, wenn sie versuchen, Massenorganisationen und -kräfte in die Bewegung zu ziehen, und nicht bloß die politische Selbstbefriedigung einer linken Szene darstellen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne gegen Aufrüstung und Krieg in Berlin an der wir uns auch beteiligen, die am 29. Mai eine Demonstration gegen das 100-Milliarden-Programm organisierte.

Wie gewinnen wir mehr Menschen für unsere Ideen?

Um Menschen für eine konsequente Antikriegs- und Krisenpolitik zu gewinnen, ist es notwendig die scheinbar „politisch-neutralen Bereiche“ des Lebens politisieren. Konkret heißt das, Politik an die Orte zu tragen, wo sich die Menschen tagtäglich bewegen müssen, wie Schule, Unis und Betriebe. Schon jetzt unterhalten sich die Leute viel an ihrer Arbeit oder Bildungseinrichtung über den Krieg in der Ukraine oder die Preissteigerungen.

Aktive Gewerkschafter:innen und politische Aktivist:innen sollten die Fragen, wo vorhanden, in Vertrauensleutekörpern, in Betriebsgruppen oder einfach mit Kolleg:innen aufwerfen. Wo es möglich ist, sollten dort Aktionskomitees gegründet werden. Im Zuge von Mobilisierungen ist dies einfacher, da dort Voll- und Betriebsversammlungen einberufen werden können, um gemeinsam zu diskutieren, sowie mit Flugblättern, Veranstaltungen oder Kundgebungen versucht werden kann, die Debatte zu starten. Dies sollte insbesondere für die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung gelten, denn „Mobilisierung“ bedeutet nicht nur seinen Namen unter einen Aufruf zu schreiben, sondern aktiv die eigene Mitgliedschaft dazu zu bringen für die Aktion zu werben.

Bereits in reformistischen Parteien Organisierte müssen in ihren eigenen Strukturen für eine Antikriegs- und Antikrisenpolitik kämpfen. So sollten z. B. Mitglieder von solid und der Linkspartei die Partei öffentlich aufrufen sich konsequent und geschlossen gegen die Nato und Sanktionen zu positionieren, wie es beispielsweise Teile von Solid tun. Die Initiator:innen von #appell müssen in ihren eigenen Parteien den Kampf gegen die Politik der Ampel-Koalition aufnehmen.

In den Gewerkschaften muss angestrebt werden, eine klassenkämpferische Bewegung aufzubauen, die für ihre Forderungen mit Streiks kämpft – gegen die Bürokratie. Die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) stellt zur Zeit den wichtigsten Ansatz für eine solche Strömung in den Betrieben und Gewerkschaften dar. Das heißt, dass wir die Gewerkschaften auch klar auffordern, mit ihrer Politik der Klassenzusammenarbeit und Unterstützung der Regierung zu brechen und sich zu beteiligen und aktiv zu mobilisieren. Denn das Ziel muss es letztlich sein, eine Massenbewegung gegen Krieg und Kriegs aufzubauen, die auch wirklich in der Lage ist die Kriegspolitik der Regierung und die Angriffe des Kapitals zu stoppen.




SDAJ-Konferenz: Kein Schritt zur Antikriegsbewegung

Jonathan Frühling, REVOLUTION, ursprünglich veröffentlicht auf http://onesolutionrevolution.de/,Infomail 1185, 25. April 2022

Am Samstag, den 23. April 2022, lud ein von der SDAJ geführtes Bündnis, bestehend aus u. a. DIDF, [‚solid], ver.di Jugend, GEW Jugend und Naturfreundejugend zu einer Antikriegskonferenz von Jugendlichen ein. Revolution beteiligte sich mit Genoss_Innen aus verschiedenen Städte daran, auch wenn wir – wie eine Reihe anderer linker Gruppen – nicht in die Vorbereitung involviert worden waren.

Da die SDAJ ihre gesamte Mitgliedschaft mobilisierte, waren ca. 250 Leute anwesend, was sehr beachtlich war. Insgesamt begrüßen wir diesen Vorstoß und haben uns deshalb gerne daran beteiligt. Allerdings hat die Konferenz am Ende mehr den desaströsen Opportunismus der SDAJ zur Schau gestellt, als dass sie die Antikriegsbewegung praktisch oder theoretisch vorangebracht hätte.

Expert:innenvorträge und Workshops

Zu Beginn gab es sogenannte „Expert:innenvorträge“ z. B. von der LINKEN und einem ehemaligen IG Metall-Vorstandsmitglied. Das war zwar zum Teil interessant, allerdings konnten uns diese Leute mit ihrem lauwarmen Reformismus keine Antworten auf Krieg, Aufrüstung und imperialistische Unterdrückung liefern. Es schloss sich eine Workshopphase an, in der relativ frei diskutiert werden konnte. Allerdings war auch hier der Fokus vor allem auf Deutschland gerichtet. Dort brachten unsere Genoss_Innen ein, dass wir uns unbedingt zur NATO und zum Krieg in der Ukraine positionieren müssen, was von der SDAJ kategorisch zurückgewiesen wurde. Am Ende kam eine Frau aus dem Vorstand der SDAJ sogar auf uns zu und hat gesagt, es wäre unsolidarisch, wenn wir das vor dem großen Podium ansprechen würden, weil sich ja die Organisator_Innen im Vorfeld schon geeinigt hatten, dazu zu schweigen!

Die Resolution

Zum Schluss wurde eine Resolution verabschiedet. Sie war allerdings politisch extrem schwach. Es gab KEINE (!) Einschätzung der aktuellen (Welt-)Lage, sondern nur ein paar antimilitaristische Forderungen. Diese sind zwar unterstützenswert, aber fokussieren sich nur auf Deutschland. Zudem reichen sie nicht dazu aus, einer Antikriegsbewegung der Jugend Handlungsorientierung zu geben, zumal sie sich um alle internationalen Fragen drücken. Folgende Worte fanden überhaupt keine Erwähnung: Arbeiter_Innenklasse, Gewerkschaft, Streik, NATO, Russland, (Anti-)Kapitalismus, Imperialismus. Das alleine sollte Beweis genug dafür sein, wie unzureichend die Resolution ist.

Aufgrund unserer Intervention in der Workshopphase fühlte sich der Vorstand der SDAJ dazu genötigt, vor der Diskussion zur Resolution anzukündigen, dass man bitte nichts zu dem Ukrainekrieg sagen soll! Es gebe dazu keine Einigung unter den Gruppen und deshalb hätten die Organisator:innen im Vorfeld beschlossen, die Frage auszuklammern! Als von uns und der MLPD-Jugendorganisation Rebell Anträge zu den Themen imperialistische Aggression, NATO und einem Bezug zur Arbeiter:innenklasse eingebracht wurden, wurde einem unserer Genoss:innen sogar kurzzeitig das Mikrophon aus der Hand gerissen! Die Anträge wurden dann von der Protokollantin zum Teil gar nicht notiert oder mit der Begründung „Es hat ja jemand dagegen gesprochen“ einfach nicht in die Resolution aufgenommen. Eine demokratische Abstimmung zu den gestellten Anträgen fand einfach nicht statt! Diese bürokratische Vorgehensweise war wirklich eine Schande. Da das beschämende Verhalten der SDAJ-Führung offen vor dem gesamten Plenum passiert ist, bleibt zu hoffen, dass das nicht nur uns übel aufgestoßen ist.

Auch praktisch sah es nicht rosiger aus. Die beachtliche Größe dieser Konferenz wurde nicht dazu genutzt, Aktionen wie z. B. dezentrale Aktionen an dem Tag, an dem im Bundestag über den 100-Mrd.-Sonderetat der Bundeswehr abgestimmt wird, zu planen. Stattdessen blieb es bei einem folgenlosen „Beteiligt euch an Aktionen zum 8. Mai (Tag der Befreiung) und zum 1. September (Antikriegstag)!“

Die Tatsache, dass für dieses zentrale Papier nur 20 Minuten für Diskussion, Anträge und Abstimmung geplant waren, zeigt, dass ein demokratischer Prozess zur Erstellung einer Resolution von Anfang an nicht gewünscht war.

Fazit

Die Konferenz hätte dazu genutzt werden können, um die drängenden Fragen zum Thema Krieg und Frieden unserer Zeit zu diskutieren. Es ist so wichtig, dass wir unsere Analysen und Forderungen austauschen und diskutieren. Nur wenn wir verstehen, was gerade passiert und wieso, können wir programmatische Antworten finden und um dieses Programm eine schlagkräftige Bewegung formieren.

Das Argument, dass man alle strittigen Punkte ausklammert und z. B. nicht die NATO kritisiert, damit ver.di die Resolution unterstützt, ist feiger Opportunismus und blockiert den Aufbau einer kämpferischen Antikriegsbewegung. Wie sollen wir die Millionen Gewerkschaftsmitglieder und Jugendlichen von unseren Positionen überzeugen, wenn wir sie ihnen nicht mitteilen und einladen, darüber zu diskutieren?

Leider bleibt zu sagen, dass die Konferenz keinen Schritt in Richtung einer Jugendbewegung gegen Krieg setzte. Am Ende sind wir alle nach Hause gefahren und konnten uns nicht einmal denken: „Schön, dass wir mal drüber geredet haben.“ Denn selbst das war von den Organisator_Innen nicht gewünscht.




Antikriegsbewegung aufbauen: Klassenkrieg dem Krieg!

Martin Suchanek, Neue Internationale 263, April 2022

Die Invasion des russischen Imperialismus in die Ukraine hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeläutet. Der Krieg offenbart nicht nur den reaktionären Charakter von Putins Regime, dessen barbarischer Kriegsführung Tausende zum Opfer gefallen sind – und täglich zum Opfer fallen werden.

Millionen Menschen fragen sich: Wie kann das Morden gestoppt werden? Millionen tragen ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine Woche für Woche auf die Straße.

Die Unterstützung der Opfer der russischen Invasion ist ein Gebot der Stunde. Doch zugleich droht der sich seit Jahren verschärfende Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den „alten“ imperialistischen Mächten, den USA und jenen in Westeuropa, einerseits sowie den „neuen“ wie China und Russland andererseits, zu einem heißen Krieg zu eskalieren.

Eine internationale Antikriegsbewegung muss daher sowohl ihre Solidarität mit den Opfern von Putins barbarischem Krieg zum Ausdruck bringen wie auch der akuten globalen Kriegsgefahr Rechnung tragen.

In den westlichen Ländern – so auch in Deutschland – kommt es darauf an zu verhindern, dass die NATO von der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützerin der ukrainischen Regierung zu einer direkten Kriegspartei wird, der globale Konflikt zum offenen, Dritten Weltkrieg ausartet.

Die Gefahr ist real. Die Politik der USA, der NATO-Mächte und der Bundesregierung, die extremen ökonomischen Sanktionen gegen Russland und die massive Aufrüstung sind kein Akt der „Verteidigung der Demokratie“ und Menschenrechte, wie es die Regierung und Opposition im Bundestag predigen. Vielmehr werden so nur die imperialistischen Interessen im Kampf um die Ukraine verkleidet.

Für eine Antikriegsbewegung ergeben sich daher mehrere wichtige Schlussfolgerungen.

1. Aufdecken der Interessen des „eigenen“ Kapitalismus – Ablehnung jeder Form des nationalen Schulterschlusses

Deutschland und der Westen verteidigen nicht das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, sondern verfolgen vielmehr das Ziel, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und die Ukraine dauerhaft zu ihrer Halbkolonie zu machen. Die Behauptung, dass es den herrschenden Klassen Deutschlands oder seiner NATO-Verbündeten um einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Willkür und Menschenrechten ginge, ist eine Lüge. Sie soll nur die Bevölkerung auf Aufrüstung, NATO-Expansion nach Osten, Unterstützung der Sanktionen und ggf. ein direktes militärisches Eingreifen ideologisch vorbereiten und einstimmen.

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

2. Keinen Cent für die imperialistische Politik

Auf den neuen Kurs, auf die „Zeitenwende“ eines Olaf Scholz sollen die Lohnabhängigen nicht nur ideologisch eingeschworen werden. Sie sollen auch dafür zahlen – sei es durch höhere Preise infolge der Sanktionen, sei es durch zukünftigen Sozialabbau, Kürzungen und Steuererhöhungen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren.

  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampel-Koalition!
  • Die Kosten der Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle! Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!

3. Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Antikriegsbewegung in Russland!

Eine Antikriegsbewegung, die diesen Namen verdient, muss die Invasion in der Ukraine verurteilen, den sofortigen Abzug der Truppen und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine fordern (genauso wie von der Ukraine jenes der Krim und des Donbass zu verlangen ist). Eine Bewegung, die glaubwürdig gegen die Politik der NATO-Mächte kämpfen will, darf zum russischen Imperialismus nicht schweigen.

  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

4. Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Sollten die NATO-Länder zu einer direkten militärischen Intervention z. B. durch die Errichtung von Flugverbotszonen schreiten, muss die Arbeiter:innenklasse unmittelbar gegen diese Eskalation hin zum direkten Krieg imperialistischer Mächte mobilisiert werden, um mit einem politischen Streik bis hin zum Generalstreik die gefährliche Katastrophe zu verhindern, um die Kriegstreiberei durch den Klassenkrieg zu stoppen!

Die Ablehnung jeder Klassenzusammenarbeit, jeder Unterstützung der Regierung und ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht nur unerlässlich im Kampf gegen den „eigenen“ Imperialismus, den Hauptfeind im eigenen Land. Sie schafft zugleich auch die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung – insbesondere auch in Russland und in der Ukraine. Wenn sich die Lohnabhängigen in Deutschland und anderen westlichen Ländern gegen ihre eigene Regierung stellen, so untergräbt das auch den reaktionären völkisch-nationalistischen großrussischen Nationalismus.

Antikriegsbündnis aufbauen!

Die Gruppe Arbeiter:innenmacht und REVOLUTION beteiligen sich gemeinsam mit anderen internationalistischen, sozialistischen, klassenkämpferischen und gewerkschaftsoppositionellen Strömungen aktiv am Aufbau einer Antikriegsbewegung unter den Losungen „Gegen die Aufrüstung! Nein zum Krieg! Weder Putin noch NATO!“

Gemeinsam intervenierten wir auf den großen Ukraine-Solidaritätsdemonstrationen wie z. B. am 13. März in Berlin. Zugleich organisieren wir eigene Antikriegsdemonstrationen und Kundgebungen wie z. B. am 9. April in Berlin, 14.00 Uhr vor der russischen Botschaft (Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße). Wir versuchen, dafür Lohnabhängige und Gewerkschafter:innen, Schüler:innen, Studierende dort zu organisieren, wo sie arbeiten oder lernen. Wir halten dies für strategisch notwendig, wenn wir eine Antikriegsbewegung aufbauen wollen, die sich auf die Arbeiter:innenklasse stützt, Kriegstreiber:innen, Kapital und Kabinett durch ihre Aktionen wirklich stoppen kann, um die Kräfte für einen Kurswechsel in den Gewerkschaften, aber auch in den reformistischen Parteien zu sammeln.

Um eine Antikriegsbewegung aufzubauen, brauchen wir Aktion und Diskussion. Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz Anfang Mai vor, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie wir die Bewegung voranbringen können. Eine solche muss zugleich auch grundlegende Fragen des Kampfes gegen Imperialismus und Krieg diskutieren, um die politische Klärung innerhalb der Bewegung und der Linken voranzubringen. Es gilt, jene Kräfte zu formieren, die nicht nur eine Bewegung, ein Bündnis aufbauen, sondern auch eine revolutionäre Organisation und Internationale bilden wollen – mit dem Ziel, den drohenden imperialistischen Krieg zum Klassenkrieg gegen den Kapitalismus zu transformieren.




Pisa, Italien: Flughafen-Arbeiter:innen blockieren Waffenlieferungen

Susanne Kühn, Neue Internationale 263, April 2022

Am 14. März verweigerten Beschäftigte des Flughafens „Galileo Galilei“ in Pisa, Kriegsmaterial zu verladen, das über einen NATO-Stützpunkt in Polen weiter in die Ukraine verschickt werden sollte.

Die Aktion ist eine der ersten, wo Lohnabhängige die Kriegsanstrengungen „ihrer“ Regierung und der NATO blockierten, die den Angriff des russischen Imperialismus ihrerseits zum Vorwand nehmen, um die Ost-Erweiterung der NATO voranzutreiben und ihren Einfluss in der Ukraine auszubauen.

Zusätzliche Brisanz erhielt der Waffentransport dadurch, dass die Beschäftigten des Zivilflughafens über den eigentlichen Inhalt der Luftfracht bewusst getäuscht wurden. Offiziell sollten mit dem Flug Lebensmittel, Medikamente und andere nützliche Produkte für die ukrainische Bevölkerung geliefert werden, die in den letzten Wochen unter den Kämpfen zu leiden hatte. Die Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB), deren Mitglieder die Aktion gegen die Waffenlieferungen maßgeblich initiiert und getragen hatten, prangerte die dreiste Lüge offen an, „die auf zynische Weise den humanitären Deckmantel nutzt, um den Krieg in der Ukraine weiter anzuheizen“.

Diese Täuschung und Geheimhaltung ist keineswegs zufällig. In einem gemeinsamen Erlass der Ministerien für Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten und Wirtschaft beschloss die Regierung Draghi, die Liste des an die Ukraine über die NATO gelieferten Kriegsmaterials nicht zu veröffentlichen, sondern geheim zu halten und auch den Parlamentarier:innen nicht zur Prüfung vorzulegen. So viel zum Kampf für „Demokratie“!

Nach der Verhinderung des Waffentransportes rief die USB auch zu einer Demonstration gegen die Kriegspolitik der Regierung Draghi am 19. März unter dem Motto „Aus der Toskana – Brücken des Friedens und keine Kriegsflüge“ auf dem Flughafen von Pisa auf.

Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern beschränkt sich die Politik der Regierung auch in Italien natürlich nicht auf Waffenlieferungen. Auch die Regierung Draghi beteiligt sich aktiv und offensiv am Wirtschaftskrieg gegen Russland und an immer drastischeren Sanktionen. Wie in Deutschland sollen die jährlichen Militärausgaben auf über 2 % des BIP erhöht werden, also von derzeit 25 Mrd. Euro auf 38 Mrd. 2022. Zugleich sollen die Ausgaben für das Gesundheitswesen um 6 Mrd. sinken – ein Skandal, der die Prioritäten der herrschenden Klasse verdeutlicht!

Die Aktionen der Arbeiter:innen in Pisa machen aber Folgendes deutlich: Erstens, eine Alternative zum nationalen Schulterschluss und zur Burgfriedenspolitik der bürokratisierten Gewerkschaftsapparate (wie z. B. der DGB-Spitzen) und der reformistischen Arbeiter:innenbewegung ist möglich. Zweitens kann sich so die Arbeiter:innenklasse selbst zur zentralen gesellschaftlichen Kraft gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung aufschwingen, wenn sie den Kampf dagegen mit dem gegen deren Kosten ohne jegliche Rücksicht auf das sog. „nationale“ Interesse verbindet.




Ukrainekrieg: Pazifismus zusehends hilflos

Jürgen Roth, Neue Internationale 263, April 2023

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine dauerte erst wenige Tage an, da löste sich die Schockstarre. Der größte Friedensprotest seit dem Irakkrieg 2003 führte europaweit mehrere Millionen Teilnehmende auf die Straßen, darunter mehr als eine halbe Million allein am 27. Februar in Berlin. Fast zeitgleich kündigte Kanzler Scholz nur wenige hundert Meter entfernt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte an. Wahrlich eine Zeitenwende, die auch an Friedensbewegung und DIE LINKE nicht spurlos vorübergehen wird!

Alle Redner:innen befürworteten Sanktionen seitens der Bundesregierung. Eine Sprecherin aus der Ukraine forderte, ganz im Einklang mit der Linie ihrer Regierung, Waffen. Viel interessanter war, was in allen Reden nicht einmal benannt wurde. Es fiel kein Wort über die just zuvor beschlossene massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Osterweiterung der NATO und ihre Manöver an der belarussischen und ukrainischen Grenze. Auch die jüngere ukrainische Geschichte seit den Euromaidanprotesten war keine Erwähnung wert. Den Ruf nach Sanktionen schluckte die Mehrzahl der Friedensbewegten also bereits. Damit meinte sie, sich weiterhin offensichtlich genug vom Militarismus abgrenzen zu können, schließlich stand das der Forderung nach Waffen (und deutscher Kriegsbeteiligung) und somit ihrem pazifistischen Image förderlich entgegen – einstweilen!

Dilemma des Pazifismus

Wir sehen also, dass der Pazifismus in letzter Konsequenz gegen sein eigenes Mantra verstoßen muss, sobald der erste Schuss fällt. Pazifist:innen teilen alles Bürgerliche – außer Kriegsgewalt. Diese erscheint ihnen nicht als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, als aus den Widersprüchen der Klassengesellschaft erwachsen, sondern als unerklärlicher Betriebsunfall der Geschichte, Sieg des Bösen über das Gute im Menschen.

Bricht der Krieg entgegen allen pazifistischen Formeln doch aus, so bleibt entweder das letztlich abstrakte Beschwören des Friedens – oder man schließt sich notgedrungen jener Seite an, die das „Gute“ zu verkörpern scheint, in unserem Fall der Bundesregierung und der NATO. Damit begibt sich der Pazifismus auf die Rutschbahn nach rechts – zum Chauvinismus und entwaffnet sich trotz aller Friedensbekundungen vor dem Kriegstreiben der „eigenen“ Regierung.

Die reformistischen Parteien (SPD, Linkspartei) und viele zentristische Organisationen der Arbeiter:innenbewegung teilen entweder Chauvinismus oder Pazifismus bzw. schwanken zwischen diesen, weshalb wir auch von Sozialchauvinismus bzw. -pazifismus sprechen. Geht ersterer spätestens mit Kriegsausbruch offen ins Regierungslager über, appelliert letzterer an den Willen zum Friedensschluss – mitten im Krieg! Der Status quo ante soll also wieder hergestellt werden, das Pulverfass der imperialistischen Widersprüche unversehrt voll bleiben – nur ohne Lunte! Eine unabhängige Klassenpolitik, die auf die Niederlage der „eigenen“ Regierung keine Rücksicht nimmt, lehnt der Sozialpazifismus ab. Der Logik „töten oder getötet werden“ kann er sich nicht entziehen. Er gerät damit zu einer „alternativen“ Form der Vaterlandsverteidigung, die große Teile bald auf die Abgleitfläche zur echten rutschen lässt.

Allerdings müssen wir zwischen dem ehrlichen, berechtigten Pazifismus Lohnabhängiger aus Angst vor Krieg und in Solidarität mit den ukrainischen Massen und dem heuchlerischen der Kirchenfürst:innen, Politiker:innen und Journalist:innen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil wir unter ihnen unsere Verbündeten im Kampf gegen die Kriegsgräuel suchen müssen, nicht in Parlamenten, Amtsstuben und Militär. Dazu ist jedoch ein politischer, geduldiger Kampf gegen die grundlegenden Fehler und Schwächen dieser Ideologie unerlässlich.

Anders als die (Sozial-)Pazifist:innen unterscheiden wir zwischen fortschrittlichen und reaktionären Kriegen. So ist der Bürger:innenkrieg zur Erringung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse ebenso zu unterstützen wie der Kampf einer unterdrückten Nation um Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf Abtrennung von Gebieten, wenn deren Bevölkerungsmehrheit das will. Im imperialistischen Krieg treten wir dagegen für den revolutionären Defaitismus ein, den Klassenkampf ohne Rücksicht auf die Niederlage der „eigenen“ Regierungen.

Aber sollten die Arbeiter:innen nicht einen reaktionären Krieg verhindern? Ja, unbedingt! Aber mit eigenen Mitteln des Klassenkampfes, nicht mit zahnlosen Appellen an die Regierungen!

Katalysator Kriegsfrage

In Zeiten verschärften Konflikts um die Neuaufteilung der Welt geraten auch die halbkolonialen Länder wie die Ukraine zusehends ins Gravitationsfeld der einen oder anderen imperialistischen Machtkonstellation. Das gilt leider auch für den (Sozial-)Pazifismus. Kann der Ausbruch eines Kriegs nicht verhindert werden, ist das Friedenslatein schnell am Ende. Jetzt ist der Klassenkampf noch unmöglicher als zuvor geworden, scheint es. Sind nicht die jungen Arbeiter:innen an der Front? Gebietet nicht der Krieg die Einstellung aller unabhängigen Klassenaktivität? Denn diese könnte doch die Niederlage der „eigenen“ Regierung heraufbeschwören? Und wäre das nicht gleichbedeutend, einseitig das Werk der Kriegsgegner:innen zu verrichten?

Da Imperialismus die Konzentration des Kapitals und herrschende Politik konzentriertester Ausdruck gesamtkapitalistischer nationaler Interessen bedeuten, spitzt der Krieg alle Widersprüche zu. Das ist der Hintergrund, warum Pazifist:innen ins (sozial-)chauvinistische Lager überlaufen müssen, wenn sie nicht die Niederlage der „eigenen“ Regierung in Kauf nehmen wollen.

DIE LINKE: haltloser Pazifismus

Das Milieu, aus dem sich Friedens- wie manch andere humanitäre Bewegung (Seebrücke, NGOs) vorrangig rekrutieren einschließlich der Linkspartei, wird ein politisches Erdbeben erleben.

So diskutierte die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am ersten Märzwochenende und deren Co-Vorsitzender Carsten Schatz forderte: „Sofortiger Rückzug der russischen Truppen!“ Die richtige Forderung wird freilich zur Anpassung an die Bundesregierung, wenn jede Kritik an der NATO-Politik ausbleibt. Kultursenator Lederer bezichtigt Putin des „offensiven Bruchs mit der europäischen Friedensordnung“, für die Deutschland und die EU Verantwortung zu übernehmen hätten.

Ohne Namen zu nennen, geht er ans vermeintliche Eingemachte der Partei: antimilitaristische Haltung, Position zur NATO, zu Russland: „Lasst es einfach weg!“ Pankows Bezirksbürgermeister Benn sieht ein „Selbsterschrecken“ in den eigenen Reihen, ein tiefes „Selbstbefragen einer ganzen Reihe von Positionen“ am Horizont aufziehen. Sozialsenatorin Kipping legt nach: „Keine Verharmlosung von Putin mehr. Putin ist nun mal Feind der Linken.“

Für die Ex-Parteivorsitzende steht der Hauptfeind exklusiv im anderen Land. Mögen ihr beim alljährlichen Gedenkritual an die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs die Nelken in der Hand verdorren! Tobias Schulze bemerkt scheinheilig: „Was für die Rüstung geht, geht offenbar für die städtische und soziale Infrastruktur nicht, nämlich die Schuldenbremse auszusetzen.“ Gäbe es also die Schuldenbremse nicht, so drängt sich auf, wäre die Aufrüstung für DIE LINKE zustimmungsfähig. Welch‘ prinzipienfester Antimilitarismus!

Die Abgrenzung von wirklichen oder vermeintlichen „Putinversteher:innen“ erfüllt beim rechten Flügel der Linkspartei längst nicht mehr allein die Funktion einer Kritik an der Verharmlosung des russischen Imperialismus – vielmehr sollen so alle Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die an einer angeblichen starren NATO-Ablehnung festhalten wollen. Es ist damit zu rechnen, dass der starke „Reformer“-Flügel um die sog. Regierungssozialist:innen, welcher sich offen prowestlich und hinter vorgehaltener Hand pro-NATO aufstellt, zum Angriff auf die in die Jahre gekommenen traditionslinken, sozialpazifistischen Grundsätze blasen wird, denen er sich bislang unterordnen musste. Die Ukrainekrise bringt nun neue Bewegung in den Transformationsprozess der Linkspartei nach rechts, während der linke Flügel noch weiter in die Defensive gerät. Es rächt sich heute, dass über Jahre Pazifismus, humanitäre Friedensphrasen und das Beschwören von Völkerrecht und UNO als Ultima Ratio der internationalen Ordnung als „Antimilitarismus“ verklärt wurden. In Wirklichkeit wurde nur das Fehlen einer antiimperialistischen und internationalistischen Politik schöngeredet, was heute dem rechten Flügel der Partei in die Hände spielt.

Interventionistische Linke (IL)

Doch nicht nur die reformistische Linke gerät in schweres Fahrwasser. Auch die größte Organisation der „radikalen Linken“, die IL, gerät ins Studeln.

In ihrem Aufruf vom März 2022 verurteilt sie den russischen Angriff. Gleichzeitig lehnt sie eine Parteinahme im Konflikt ab: „Wir lehnen die falschen Alternativen ab, weil die behauptete Alternativlosigkeit jeden Raum für Widersprüche und Kritik verschließt. [ … ] Wir entziehen uns der Identifikation mit staatlicher Macht. Stattdessen sind wir mit jenen parteilich, die unter dem Krieg leiden und sich ihm widersetzen [ … ], wenn sie fliehen, desertieren, zivilen Ungehorsam leisten oder kämpfen.“

Leider „entzieht“ sich die IL auch einer klaren revolutionären Antwort, wie der Krieg gestoppt werden kann. Sie spricht sich für die Unterstützung der „Menschen vor Ort“ aus? Doch worin soll diese bestehen? Welche Politik sollen die Arbeiter:innenklasse und Linke in Russland oder in der Ukraine vertreten? Über diese Fragen schweigt sich die IL aus und verbleibt letztlich bei einer sicherlich löblichen, politisch aber unzureichenden humanitären Unterstützung von Opfern des Krieges.

Darüber hinaus wendet sie sich gegen kapitalistische Geopolitik und westliche Doppelmoral, bezeichnet den Krieg „als vorläufige[n] negative[n] Höhepunkt von weltweit immer schärfer werdenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konflikten.“ Sie tritt zu Recht gegen die Aufrüstung der Bundeswehr ein, für Solidarität mit Geflüchteten aller Hautfarben und Herkunft aus der Ukraine, Kriegsdienstverweiger:innen, Friedensaktivist:innen, Frauen und LGBTIQ, Genoss:innen der sozialen, linken, sozialistischen und anarchistischen Bewegungen aus beiden kriegführenden Ländern.

Richtig ist auch ihre Aufforderung, aktiv zu werden, eine Bewegung gegen Militarismus und Krieg aufzubauen, die lebendig, links und internationalistisch agieren soll. Doch für die Grundlage eines solchen Antikriegsbündnisses macht sie keinen Vorschlag. Stattdessen prophezeit sie (fälschlich): „Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung finden in der Klimagerechtigkeitsbewegung einen neuen, starken Gegner. [ … ] Bringen wir zusammen, was zusammengehört: die Kämpfe gegen alle Grenzen, gegen Imperien und Kriege, gegen Klimakrise, Patriarchat und Kapitalismus.“ Mit dämlichen Parolen wie „Heizung runter für den Frieden!“, „Pullover statt Erdgas!“, am 24. März zu sichten, dürfte das Zusammenbringen arg schwierig ausfallen.

So wenig selbst blau-gelbe Pullover eine Antwort auf drohende Energiearmut liefern, so großzügig sieht die IL über die Untauglichkeit einer Bewegung im Sog des Vaterlandsverteidigungstaumels für ein Antikriegsbündnis hinweg. Die IL spielt ein Chamäleon, das hinter „Bewegungen“ unkritisch hinterher trabt, statt ihnen eine antikapitalistische Perspektive anzubieten. Die Farbe Rot verblasst gerade, wenn’s drauf ankommt!

Dahinter steckt nicht nur ein mehr oder weniger hoffnungsfroher „Optimismus“ – es wird auch das Fehlen jeder Klassenpolitik deutlich. Die Frage, wie die Lohnabhängigen, wie Gewerkschafter:innen, die reformistisch dominierte Arbeiter:innenbewegung für eine Antikriegsbewegung gewonnen werden können, stellt sich die IL erst gar nicht. Den Spitzenbürokrat:innen im DGB, bei der Linkspartei und erst recht in der SPD wird’s recht sein. Uns nicht.




Klimastreik am 25. März: Auch der Hauptfeind des Klimas steht im eigenen Land

Arbeiter:innenmacht-Flugblatt, Infomail 1182, 25. März 2022

Um die schlimmsten Klimafolgen abzuwenden, müsste der globale CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 % reduziert werden – aber aktuell zeigt er eine steigende Tendenz. Das legt der aktuelle IPCC-Bericht Nr. 6 akribisch dar. Die Prognosen sind düster und werden konkreter, vergangene Vorhersagen zu Ausmaß und Folgen der Erderwärmung werden von der Realität überboten. Die Diskrepanz zwischen einem für die Menschheit zerstörerischen Eingriff in unseren planetaren Lebensraum und dem Fehlen angemessener Maßnahmen zur Abschwächung der Schäden ist offenkundig, sie verweist auf einen grundlegenden gesellschaftlichen Widerspruch: Die Kapitaleigentümer:innen und ihre Regierungen sind nicht fähig und willens, eine Politik zu verfolgen, die mit den natürlichen Lebensvoraussetzungen der Menschheit kompatibel ist.

Drohende Katastrophe

Die drohende Klimakatastrophe ist nur eine Facette eines kaputten und krisenhaften Systems; nur eine der von Menschen entfesselten Gewalten gegen Menschen. Das haben auch viele Klimaaktivist:innen in den letzten Wochen zum Ausdruck gebracht, indem sie die Proteste gegen den russischen Einmarsch unterstützt haben. Auch FFF verbindet den heutigen Klimastreik mit dem Antikriegsprotest.

Die Ampel-Koalition dagegen nimmt den Krieg zum Anlass, das größte Aufrüstungsprogramm der Geschichte der BRD durchzusetzen und nutzt die Klimakrise zynisch, um ihre Kriegsvorbereitung als Wohltat für die Menschheit zu präsentieren. Die bislang uneingelösten Versprechungen einer grünen Transformation erhalten nun einen neuen Zweck, indem gesagt wird, die Abkehr von russischen Energieträgern diene nicht nur der „nationalen Sicherheit“, sondern auch dem Klimaschutz. Grün ist das neue Patriotisch. Gas aus Russland fließt allerdings erstmal weiter – nur mit der Dankbarkeit dafür ist es vorbei.

Krieg, Profit, Imperialismus

Öl und Gas aus Nicht-Russland ist dagegen plötzlich gefragter denn je. Die OPEC erhöht die Förderquoten, und das liegt nicht daran, dass Katar, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate ein Gütesiegel für Demokratie und Frieden besäßen, sondern dass Marktanteile neu zu verteilen sind und der Preissprung an den Ölbörsen dabei auch hohe Gewinne verspricht. All das bedeutet nicht, dass russisches Öl im Boden bleiben muss – es findet zu erheblichen Preisnachlässen neue Abnehmer u. a. in Indien und China.

100 % (erneuerbare) Energie aus Deutschland geht nicht von heute auf morgen. Daher geht es der Regierung auch nicht darum, wie wir rasch auf Öl und Gas verzichten können. Vorgeblich soll dreckiges, blutiges und klimaschädliches Diktatorengas aus Russland durch grünes Demokratiegas mit Menschenrechtssiegel ersetzt werden, das vorzugsweise aus Nahost oder auch in den USA importiert wird. Eigentlich geht es also darum, die Handelsbeziehungen des deutschen und europäischen Kapitals der neuen Realität anzupassen, in der Russland eine feindliche Militärmacht ist. Gas soll weiterhin verlässlich zu uns strömen, und nicht versiegen, etwa wenn der Feind uns im ungünstigsten Moment den Hahn zudreht. Außenministerin Baerbock erwägt sogar einen späteren Kohleausstieg, weil das der Preis sei, den „wir“ für Putins Krieg bezahlen müssten.

Autokratisch oder demokratisch ist nicht das Erdgas, sondern höchstens der Staat jener Kapitalist:innenklasse, die es fördert. Das Gas ist vor allem eine Ware, die Profit verspricht. Zur Zeit wird es auch zum Instrument der Machtausübung, also zur Waffe im Kampf um die Neuaufteilung der Welt – der Rest ist moralische Reinwaschung imperialistischer Machtpolitik. Die von FFF Deutschland aufgestellte Forderung nach einem Handelsboykott entspricht daher der Logik zwischenstaatlicher imperialistischer Konflikte, indem sie voraussetzt, auf der „richtigen“ Seite des Konflikts zu stehen. Damit werden die Ziele der Bewegung den Interessen des deutschen Kapitals untergeordnet und ein gemeinsamer Kampf in West und Ost gegen Krieg und Klimakrise verhindert.

Das Problem kommt daher, dass in der bürgerlichen Strömung der Klimabewegung die Vorstellung vorherrschend ist, dass richtige Klimapolitik nur die Frage richtiger Einsicht und konsequenten Handelns sei. Die Vorstellung einer „objektiv vernünftigen“ Klimapolitik führt jedoch weg von Klimastreik und Kampfaktionen, die die Systemlogik von Kapital und Regierung in Frage stellen. Dabei bräuchten wir gerade diese – und keinen Schulterschluss mit den Klimakiller:innen und Kriegstreiber:innen der Ampel-Koalition.

Klimakampf bedeutet Kampf gegen das Kapital – gegen den Hauptfeind im eigenen Land:

  • Entschädigungslose Verstaatlichung der Energie- und Rüstungsindustrie unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse!
  • Gesamtgesellschaftlich geplante Transformation zu gesellschaftlich nützlichen und klimaneutralen Produkten!
  • Nein zu Putins Angriffskrieg, Nein zur NATO-Intervention! Nein zu Sanktionen, Nein zur Aufrüstung der Bundeswehr!
  • Streiks und Blockadeaktionen zur Verhinderung von russischen wie auch NATO-Waffentransporten in die Ukraine oder an die NATO-Ostgrenze!