Sowjetische Fahne in Berlin verboten – Justiz schlägt zu

Martin Suchanek, Infomail 1222, 9. Mai 2023

Vorweg: Wir verurteilen den reaktionären russischen Angriff auf die Ukraine – und zwar von Beginn an. Wir stehen auf der Seite der russischen Antikriegsbewegung und der ukrainischen Bevölkerung, die die Hauptlast dieses Kriegs trägt.

Wir schicken das vorweg, wohl wissend, dass uns in einem Land der demokratischen Kriegstreiberei und des deutschen NATO-Patriotismus schon allein deshalb der Vorwurf der „Putin-Versteherei“ entgegengehalten wird, weil wir auch die Kriegspolitik und Ziele des Westens bekämpfen.

Und dieser Kampf findet statt – nicht nur mit einem Sanktionsregime und Wirtschaftskrieg gegen Russland, sondern auch mittels Aufrüstung, Umstellung auf Kriegsproduktion, NATO-Erweiterung. Und er findet natürlich auch auf dem Feld von Ideologie und vor Gerichten statt.

Verbote durch Oberverwaltungsgericht

Die Berliner Justiz setzte am 8. Mai ihrerseits ein Zeichen, dass sie bei dieser Konfrontation nicht abseitsstehen will. Auf Antrag der Berliner Polizei erklärte das Oberverwaltungsgericht das Verbot russischer Fahnen, von St.-Georgs-Bändern und -Fahnen sowie das von Flaggen der Sowjetunion (!) am 8./9. Mai für rechtens.

Zuvor hatte das Verwaltungsgericht das Fahnenverbot noch für rechtswidrig erklärt. Doch die höchste Instanz hob diesen Entscheid auf Antrag der Polizei Berlin auf, weil die Flaggen als „Sympathiebekundung für die Kriegsführung (Russlands; Anm. d. Red.) verstanden werden“ könnten und „Gewaltbereitschaft“ vermitteln würden.

Dass russische Fahnen für einige Träger:innen auch eine Sympathie für Putin zum Ausdruck bringen, mag ja sein. Dass diese Sympathie politisch kritisiert werden darf und soll, ist sicher zutreffend.

Aber ebenso gut gilt die russische Fahne für andere als Symbol der Befreiung vom Faschismus, ganz so wie die US-amerikanische, britische oder französische – und bislang hat noch niemand deren Verbot anlässlich reaktionärer imperialistischer Interventionen gefordert.

Dass es sich bei dem Urteil um einen leicht durchschaubaren, aber nicht minder symbolträchtigen Akt politischer Justiz handelt, zeigt das Verbot der sowjetischen Fahnen. Russland ist anerkanntermaßen Kriegspartei in der Ukraine, das aus dem Zarismus stammende Georgs-Symbol ein imperiales Zeichen. Doch die Sowjetunion? Führt die etwa auch Krieg in der Ukraine? Allenfalls in der Einbildung von Reaktionär:innen, für die der Kalte Krieg nie zu Ende ging, für die es weder einen Bruch zwischen der frühen Sowjetunion Lenins und Trotzkis mit der bürokratischen Diktatur Stalins als auch der neuen imperialistischen Diktatur Putins gibt.

Es ist aber bezeichnend für das Geschichtsbild von Polizei und Justiz, dass sie diese Verknüpfung mit Verbotsantrag und -begründung ebenfalls vorgenommen haben. Russland sei gleich der Sowjetunion – damit entsorgt oder relativiert man symbolisch auch die für den deutschen Imperialismus lästige Tatsache, dass die Rote Armee maßgeblich die Niederlage der Wehrmacht und des Naziregimes herbeigeführt, die Sowjetunion die Hauptlast bei der Befreiung vom Faschismus getragen hat.

Das Verbot der sowjetischen Fahnen stellt nicht nur einen Akt politischer Justiz, sondern einen politischen Skandal, eine nachträgliche Verhöhnung der Opfer des Faschismus dar.

Nein zu reaktionären Fahnenverboten!

Das aktuelle Verbot stellt leider keinen Einzelfall dar. Schon 2022 hatte die Berliner Polizei ein skandalöses Verbot russischer und ukrainischer Nationalsymbole für Demonstrationen und Kundgebungen am 8. und 9. Mai, zum Tag der Befreiung, durchgesetzt. In diesem Jahr hoben die Gerichte jedoch die Verbote in der ersten Instanz auf – und gegen jene von ukrainischen Fahnen wurde zum Glück nicht geklagt. Es stellte natürlich auch einen Skandal dar, dass ukrainische Geflüchtete 2022 ihre Fahnen ebenfalls nicht tragen durften – trotz aller medial zur Schau gestellten „Solidarität“ der Regierenden.

Doch wir kennen reaktionäre solche Verbote auch zur Genüge gegen Kräfte des antiimperialistischen Widerstandes, seien es PKK-Fahnen und -Symbole, seien es solche von palästinensischen Organisationen.

Es handelt sich dabei um gesetzliche, polizeiliche und gerichtliche Maßnahmen zur Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Und jeder weitere Fall führt zur „Normalisierung“ dieser repressiven Praxis. Jedes weitere Verbot liefert der Polizei einen Vorwand zur Kontrolle und Schikane von Demonstrierenden. Die Angriffe auf das Demonstrations- und Versammlungsrecht sind natürlich kein Zufall, sondern eine Ergänzung zur verschärften imperialistischen Konfrontation, zur Militarisierung, zum Rassismus, zu Preiserhöhungen und zunehmender Verarmung. Und es gehört zur ideologischen Begleitmusik der „demokratischen“ Öffentlichkeit, alle, die die Politik ihres Staates, ihres Imperialismus kritisieren, als „Agent:innen“ der Gegenseite, in diesem Fall als Putin-Versteher:innen zu diffamieren. Davon dürfen wir uns nicht einschüchtern lassen! Daher müssen die Fahnenverbote wie jeder Angriff auf demokratische Rechte kritisiert und bekämpft werden.




Ukraine: Auf dem Weg zum endlosen Stellungskrieg?

Markus Lehner, Neue Internationale 273, Mai 2023

Der Krieg in der Ukraine nimmt immer mehr der fürchterlichen Merkmale des Ersten Weltkriegs an. Die Masse an eingesetzter Artillerie, Panzern, Drohnen, Munition und sonstiger militärischer Ausrüstung frisst ganze Industrieproduktionen auf. Ganz zu schweigen von den Soldat:innen, die zu zehntausenden im Stellungskrieg zermürbt, verwundet, getötet oder in der Schlacht um Bachmut wie einst in Verdun für kleinste Geländegewinne zu tausenden geopfert werden. Ganz zu schweigen von den zahlreichen Zivilist:innen, die ums Leben kamen.

Kriegsindustrie

Auch die „Munitionskrise“ erinnert an eine ähnliche Entwicklung 1915, als die Produktion nicht mehr mit dem Bedarf der „industriellen Kriegsführung“ Schritt halten konnte. An die 6.000 Artilleriegeschosse, die alleine die Ukraine am Tag verbraucht, führten im Februar zu Berechnungen, dass dem Land im Mai die Munition ausgehen könnte – und zwar, obwohl ihre westlichen Verbündeten schon liefern, was sie haben, sondern weil der Bedarf am Rande der Produktionskapazität selbst der USA liegt.

Dies führte dazu, dass für bestimmte Munitionsarten nicht nur eine Vervielfachung der Produktion stattfindet, sondern dass ganze neue Werke errichtet werden. Während dies für die USA oder Deutschland bekannt ist, gilt dies für die Art und Weise, wie Russland seine Munitions- und Waffenproduktionsengpässe löst, weniger. Jedenfalls hat das Land schon aufgrund des westlichen Sanktionsregimes längst auf Kriegsökonomie umgestellt bzw. dürfte, auf welchen Wegen auch immer, aus Zentralasien, China, Nordkorea oder dem Iran Nachschub erhalten.

Diese Art der „konventionellen“ Kriegsführung, die auf einer sich ständig steigernden industriellen Nachschubproduktion und gleichzeitig immer mehr modernster Waffentechnologie beruht (z. B. was Informations- und elektronische Steuerungstechnologie betrifft), macht diesen Krieg zu etwas anderem als die meisten militärischen Auseinandersetzungen, die wir seit 1945 kennen. Die Art der industriellen Kriegsführung gleicht tatsächlich mehr der globalen Konfrontation von imperialistischen Armeen und unterscheidet sich deutlich von anderen Kriegen zwischen einer imperialistischen Macht und einer Halbkolonie (z. B. USA – Irak).

Dies deutet auf den schon vielfach besprochenen vielschichtigen Charakter des Ukrainekrieges hin. Ohne Zweifel begann er mit dem imperialistischen Überfall Russlands, gegen den sich die Ukraine zu Recht verteidigt, gegen den sich auch die Masse der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen mit Recht zur Wehr setzt.

Vorgeschichte

Andererseits hatte der Krieg eine lange Vorgeschichte, die sich im Kontext einer immer mehr zuspitzenden Konfrontation neu sich bildender Blöcke imperialistischer Großmächte abspielte – ähnlich wie der Balkan am Vorabend des Ersten Weltkriegs. Die schwächer werdende Hegemonie der USA über die imperialistische Weltordnung wird spätestens seit der Weltwirtschaftskrise von 2008/2009 vom Aufstieg Chinas herausgefordert. Russland und die EU-Großmächte versuchten, sich zunächst dazwischen aufzustellen, wurden aber immer mehr in Richtung USA bzw. China gedrängt – nicht zuletzt durch die Frage der Blockbindung der Ukraine.

Diese schwankte nach dem Ende der Sowjetunion zwischen Aufrechterhaltung der ökonomischen, kulturellen und politischen Verbindungen zu Russland und einer Orientierung Richtung EU und NATO. Mit der „Euro-Maidan-Bewegung“ und dem Sturz des eher prorussischen Präsidenten Janukowytsch war dies jedoch innenpolitisch gegen Russland entschieden. Andererseits ist die Ukraine in ihren bestehenden Grenzen ein relativ junges Gebilde, ein Vielvölkerstaat mit vielen Minderheiten und umstrittenen Grenzen – aber mit einer nationalistischen Elite an der Macht, die von einer eindeutigen nationalen Identität gerade in diesen Grenzen träumt.

Der Konflikt mit den Minderheiten war vorprogrammiert und ließ sich von Russland, gerade was die ethnischen oder sprachlichen russischen Minderheiten auf der Krim und im (Süd-)Osten der Ukraine betrifft, leicht ausnützen. Auf die Annexion der Krim und die Assimilierung der 2015 gebildeten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk muss hier nicht weiter eingegangen werden. Andererseits begannen vor allem die USA und Britannien mit einem massiven Aufrüstungs- und Ausbildungsprogramm in der Ukraine, das aus der maroden ukrainischen Armee, die zunächst gegen die zusammengeschusterten Verbände der „Volksrepubliken“ nur mit Hilfe von extrem nationalistischen Freiwilligenverbänden bestehen konnte, eine tatsächlich starke und moderne Streitmacht formte.

Die Versuche der EU, insbesondere von Frankreich und Deutschland, mit den Minsker Abkommen einen Ausgleich zustande zu bringen, indem etwa Autonomie und Minderheitenrechte zu einer Lösung der Grenzkonflikte hätten führen können, wurden von den USA, der Ukraine und den nationalistischen Hardliner:innen sowohl in Russland als auch in den Volksrepubliken von vornherein torpediert. Seit 2015 schwelte so ein mehr oder weniger lauwarmer Krieg entlang der Demarkationslinien. Mit der Erstarkung der ukrainischen Armee und der aufgrund der wirtschaftlichen Probleme immer stärker werdenden Abhängigkeit der Ukraine vom Westen war für den russischen Imperialismus klar, dass es nur noch ein geringes Zeitfenster gab, um die Ukraine nicht gänzlich aus ihrem Einflussgebiet zu verlieren.

USA und China

Gleichzeitig führte die wachsende ökonomische „Eindämmungspolitik“ der USA gegenüber China (Zölle, Investitionsbeschränkungen, Technologie-Exportverbote, Maßnahmen gegen bestimmte chinesische Großkonzerne etc.) dazu, dass auch dieses in eine wachsende Konfrontation mit „dem Westen“ gerät, der es und Russland vermehrt in die Ecke der „antidemokratischen Revisionist:innen“ stellt. Das führte nicht nur zu einer weiteren Annäherung dieser beiden Staaten, sondern auch zu einer Art neuer Blockbildung, die sich seit dem Ukrainekrieg auch mehr und mehr verdeutlicht.

Sowohl die Rückendeckung aus Peking (Staatsbesuch während der Olympischen Spiele) als auch die vermeintliche Schwäche der USA im Zusammenhang mit dem Rückzug aus Afghanistan führten die russische Führung wohl zum Fehlschluss, dass ein Blitzkrieg gegen die Ukraine eine machbare Sache wäre, die dann bald zu einer Hinnahme der „Macht des Faktischen“ auch im Westen führen würde. Bekanntlich ging das gründlich schief. Die ukrainische Armee erwies sich als sehr viel stärker, die russische Kampfkraft als sehr viel schwächer, als viele vorher vermutet hatten. Dies führte nicht nur zu einem schnellen Scheitern der „Blitzkriegs“strategie, sondern auch zu einer stärkeren Einigkeit im „westlichen Lager“, insbesondere was das Ausmaß der ökonomischen Sanktionen auch in Bezug auf Energielieferungen betraf, als dies wohl Russland und China erwartet hatten. Inzwischen wurde die Ukraine mit einem beständigen Strom an militärischen Lieferungen und Krediten aus dem Westen bedacht, die im ersten Kriegsjahr in etwa die Höhe eines Vorkriegsbruttosozialprodukts des Landes ausmachen. Obwohl die Ukraine mit ihren an sich schwachen Finanz- und Waffenproduktionskapazitäten dem russischen Militärkomplex um ein Vielfaches unterlegen wäre, kann sie so standhalten und sogar von Zeit zu Zeit effektive Gegenoffensiven starten.

Verschiedene Charaktere

Mit der wachsenden Abhängigkeit von westlichen Waffen- und Munitionslieferungen wie auch ökonomischer „Hilfe“ wird der Charakter des berechtigten nationalen Verteidigungskrieges von Seiten der Ukraine immer deutlicher von dem eines Stellvertreterkrieges zwischen den Blöcken der Großmächte überlagert. Wir haben es mit einer Verquickung zweier Kriege zu tun.

Der Aspekt der innerimperialistischen Konkurrenz drückt sich dabei nicht nur in dem immer furchtbarer werdenden Ausmaß an Vernichtung von Menschen und Material aus, sondern auch darin, dass die Perspektive der Ukraine in jedem Fall immer prekärer wird. Auch im Fall eines militärischen Erfolges wäre nicht nur das Ausmaß der Zerstörungen für eine tatsächlich unabhängige, sich selbständig entwickelnde Ukraine eine kaum zu meisternde Bürde, sondern kommen die westlichen „Hilfen“ mit einem Preis. Rund um den letzten Megakredit (17 Milliarden US-Dollar) des Internationalen Währungsfonds (IWF) im März wurde sehr offen davon gesprochen, dass dieser die zentrale Institution der wirtschaftlichen Neugestaltung der Ukraine sein wird – mit allen bekannten Folgen vor allem für die Arbeiter:innen und die arme Landbevölkerung (so wie sich dies schon in den extrem neoliberalen Arbeitsrechtsänderungen der Regierung Selenskyj erkennen lässt). Eine „siegreiche“ Ukraine wird unter diesen Bedingungen ihre Rohstoffe und ihren wertvollen Agrarsektor an ausländische Investor:innen verscherbeln, vor allem aber ihre Arbeiter:innenklasse noch mehr als bisher schon als billiges Ausbeutungsmaterial für westliche Konzerne bereitstellen müssen.

Die ukrainischen Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen müssen daher vor jeglichen Illusionen in ihre „westlichen Wohltäter:innen“ und ihr Stellvertreterregime in Kiew gewarnt werden. Natürlich bildet für sie derzeit die Bedrohung durch die russische Mordmaschinerie und die mögliche nationale Unterjochung die unmittelbare Gefahr. Doch sollten sie sich schon jetzt so weit wie möglich unabhängig organisieren und für eine Auseinandersetzung mit den westlichen Ausbeuter:innen und den prowestlichen Oligarch:innen und der Regierung wappnen.

Getreu der Lenin’schen Position zum Kampf in Halbkolonien gegen imperialistische Aggression erkennen wir daher die Legitimität des Kampfes der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen gegen die Invasion an – trotz des Charakters seiner Führung. Ob dies in Verbänden der ukrainischen Armee, der territorialen Selbstverteidigung oder eigenen Milizen geschieht, ist eine Frage der konkreten Umstände (mit Ausnahme natürlich von faschistischen oder extrem nationalistischen Einheiten). Natürlich sind wir auch dafür, jegliche Waffen anzunehmen und einzusetzen, die man erhalten kann.

Gleichzeitig müssen immer die eigentlichen reaktionären Ziele der eigenen Führung und ihrer Hinterleute in den westlichen Regierungen offengelegt und kritisiert werden. Insbesondere fordern wir mit den ukrainischen Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen die Streichung aller Schulden, die aus den westlichen „Hilfen“ entstanden sind, die Offenlegung aller Pläne für die Nachkriegsordnung von IWF & Co und die Kontrolle Ersterer über Waffen und die knappen wirtschaftlichen Ressourcen. Dies kann ohne Konflikt mit den Herrschenden nicht abgehen. Daher treten wir für die Bildung demokratisch gewählter Komitees der Arbeiter:innen, Soldat:innen und Bauern/Bäuerinnen ein. Dies kann auch den Beginn markieren, dass aus der nationalen Selbstverteidigung gegen den russischen Imperialismus ein Kampf um ein auch von westlicher Ausbeutung befreites Land unter der wirklichen Demokratie der arbeitenden Bevölkerung wird.

Ausverkauf

Dies ist umso wichtiger, als ein Ausverkauf des Kampfes der Ukrainer:innen immer wahrscheinlicher wird. Abgesehen von den menschlichen Kosten des fortgesetzten Abnutzungskrieges sind es für die westlichen Imperialist:innen vielmehr die ökonomischen Folgen, die auf ein Ende des Krieges drängen. Die Belastungen einer sich ständig steigernden Kriegsökonomie, die auch Tendenzen zur weltweiten Verstetigung der Inflation verstärkt, aber auch die Folgen für die Weltwirtschaft durch die Belastungen der Blockbildung z. B. für Lieferketten und den Energiemarkt gemahnen zu einer Lösung.

Dass der Generalstabschef der USA für „realistische Kriegsziele“ plädiert, hängt wohl damit zusammen, dass das Pentagon auch noch für andere Konfliktherde Ressourcen braucht, nicht zuletzt mit China – und auch die notwendige Haushaltseinigung mit der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus nicht unbegrenzte Mittel für den Ukrainekrieg verheißt. Nicht erst seit den US-Geheimdienstleaks ist klar, dass die Vereinigten Staaten nicht nur sporadische Hilfe in der elektronischen und informationstechnischen Kriegsführung liefern, sondern dabei auch beträchtliche operationelle Kräfte aus dem „Tagesgeschäft“ im Einsatz sind.

Zugleich hegen sie kein Interesse, in eine direkte Konfrontation mit Russland über den NATO-Artikel zu geraten bzw. gar den Einsatz nuklearer Waffen zu riskieren. Angesichts der logistischen Probleme, z. B. im Munitionsbereich, ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Ukraine in den nächsten Monaten zu einer Form der Beendigung des Krieges gedrängt wird. Insofern ist zu erklären, welche Bedeutung der wohl kommenden „Frühjahrsoffensive“ beigemessen wird, sowohl von ukrainischer Seite wie von den westlichen Verbündeten. Es geht wohl darum, vor einem möglichen Waffenstillstand und kommenden Verhandlungen noch so viel Boden wie möglich gutzumachen (wahrscheinlich im Südosten) und Russland sowenig wie möglich an „Erfolg“ zu lassen. Klar ist, dass dabei letztlich ein „Frieden“ herauskommt, der weit davon entfernt sein wird, die Frage der Selbstbestimmung im Südosten und auf der Krim demokratisch zu lösen – und eine weitere Ausdehnung der NATO bedeuten wird. Eine freie und unabhängige Ukraine sieht so jedenfalls nicht aus.

Daher müssen wir hier im Westen die Kriegsziele unserer Herrschenden hinter der Fassade des „Kampfes um die Demokratie“ und für eine „freie Ukraine“ kritisieren und bekämpfen. Das Ziel  ist die Stärkung der eigenen Großmachtinteressen in Washington, London, Berlin oder Paris. Und das schließt den Ausverkauf der ukrainischen Reichtümer und die unbeschränkte Ausbeutbarkeit der ukrainischen Arbeiter:innen, die jetzt schon Billigarbeitskräfte im Pflegebereich in Masse stellen bzw. in osteuropäischen Niederlassungen des deutschen Kapitals für Hungerlöhne schuften dürfen, ein. Insofern müssen wir auch die Hilfeleistungen der Regierungen an die Ukraine kritisieren, die letztlich zu einer langfristigen Abhängigkeit und Unterordnung dieses Landes dienen. Daher fordern wir auch z. B. DIE LINKE und SPD im Bundestag dazu auf, gegen die Sanktionen und Waffenprogramme (ob für die eigene Aufrüstung oder für „Hilfslieferungen“) zu stimmen. Alles andere würde unwillkürlich einer Zustimmung zu den Kriegszielen des deutschen Imperialismus gleichkommen.

Gleichwohl erkennen wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung an – und darauf, sich dafür auch die nötigen Mittel zu beschaffen. Der legitime Widerstand gegen den russischen Imperialismus  schließt allerdings nicht die Eroberung der Krim und der Donbasrepubliken ein.

Revolutionäre Marxist:innen sollten dafür eintreten, den Ukrainekrieg auf einer gerechten und demokratischen Grundlage zu beenden. Dies müsste folgende Eckpunkte inkludieren: Russland raus aus der Ukraine, Nein zum innerimperialistischen Kalten Krieg und Selbstbestimmung für die Krim und die Donbasrepubliken. Dies muss verbunden werden mit der längerfristigen Perspektive einer unabhängigen sozialistischen Ukraine, denn nichts anderes würde einen gerechten und dauerhaften Frieden bringen.

  • Für die Niederlage der russischen Aggression! Russische Truppen raus aus der Ukraine!

  • Für eine wirklich unabhängige Ukraine – auch frei von westlicher Ausbeutung und politisch-militärischer Bevormundung!

  • Nein zur Intervention der NATO und des Westens! Nein zu einem imperialistischen Frieden!

  • Für die Umwandlung des Krieges in den Kampf um soziale Befreiung in der Ukraine und Russland unter Führung einer unabhängigen Arbeiter:innenbewegung!



Kontext verzerrendes Bildergewitter gewinnt vier Oscars

Leo Drais, Infomail 1216, 13. März 2023

Da hat die deutsche Netflix-Neuverfilmung von „Im Westen Nichts Neues“ also vier Oscars gewonnen: ein bildgewaltiger Film, dessen Plot jedoch eine Welt versinnbildlicht, die wieder am Rand des Weltenbrandes steht und keinen Ausweg daraus findet. Warum ist das so?

Krieg als Kunst als Ware

Dass ein Antikriegsfilm – und als solcher darf sich die Arbeit von Regisseur Edward Berger auf jeden Fall bezeichnen – auch nichts anderes als eine Ware ist, die Geld auf dem Filmmarkt einspielen soll, ist ja kein Geheimnis. Genauso wenig, dass die Oscars selbst Teil dieser Industrie sind, die sich in der Verleihungschoreographie quasi selbst geil findet.

Zwangsläufig führt das jedoch zu einer besonderen Form der Dramaturgie, die schnell ins Ahistorische übergeht. Zum Beispiel, wenn der Film in einer der Anfangsszenen die mythisierte Kriegsbegeisterung ins Jahr 1917 verlegt, eine Zeit, die längst von Hunger, Kriegsmüdigkeit und Zynismus geprägt war.

Oder indem die Handlung des Romans auf 148 Minuten zusammengestaucht wird. Relevante Szenen des Romans – etwa der Streich Paul Bäumers und seiner Kameraden an ihrem erniedrigenden Ausbilder; der Fronturlaub; das Unverständnis und die Verlorenheit, die Bäumer zuhause fühlt; seine Begegnung mit russischen Kriegsgefangenen – haben da drin logischerweise keinen Platz. Es bleibt das Geschehen in den Gräben, wo der Film technisch groß aufgefahren hat und durchaus sehr überzeugende schauspielerische Leistungen zeigt.

Dennoch: Netflix produziert doch sonst aus jedem noch so abgedroschenen Thema eine von durchschnittlicher Mittelmäßigkeit durchsetzte Serie. Hier wäre mal die Chance gewesen, darüber hinauszuwachsen.

Aber letztlich ist das egal. Den durchschnittlichen Zuschauer:innen reicht das Gemetzel, um ihrer Angstlust nachzugehen und dann zu sagen: „Schrecklich!“ oder „Krass!“

Konzernproduktionen von Netflix, Warner oder Disney haben weder die Aufgabe noch den Anspruch, historische Ereignisse korrekt zu kontextualisieren. Ihre Macher:innen haben auch selbst gar kein Bewusstsein dafür. Das ist ja gerade die Crux mit der Ideologie. Am Set denken sie vielleicht wirklich, sie tragen hier dazu bei, zukünftige Kriege zu verhindern. Aber ob es diese Gedanken gestern auch beim Applaus gab?

Klar könnte man jetzt sagen, dass Erich Maria Remarques Roman diesen Kontext selbst nicht herstellt. Das stimmt. Die Kritik ist trotzdem gerechtfertigt, weil Bergers Film bei allen Weglassungen aus dem Roman selbst einen zweiten Handlungsstrang zusätzlich geschaffen hat, der direkt so, wie er dargestellt wird, auf Geschichtsklitterung im Dienste des Dramas hinausläuft.

Kriegsende ohne Revolution

Es geht um die Verhandlungen im Eisenbahnwagen im Wald von Compiègne, die zum Waffenstillstand führten.

Was der Film definitiv gut darstellt, ist die besondere Sinnlosigkeit der letzten Angriffsversuche selbstsüchtiger Befehlshaber, die noch Minuten vor dem Waffenstillstand Menschen ins Feuer trieben.

Das Problem liegt im Kontext der Verhandlungen selbst.

Während die Herrschenden auf allen Seiten vier Jahre lang kein Problem damit hatten, Massen auf die Schlachtbank zu führen, taucht nun der gute Matthias Erzberger von der konservativen Zentrumspartei auf und appelliert vor Humanismus triefend bei den französischen Unterhändlern um Frieden.

Noch 1916 stand derselbe Erzberger für einen Siegfrieden ein, ab 1918 für einen „Verständigungsfrieden“ – also einen Frieden, den die Imperialist:innen am Runden Tisch beschließen, um die Welt dort unter sich aufzuteilen.

Das größte Problem an der Erzählung im Film ist, dass diese Friedensbemühungen bei Erzberger (Daniel Brühl) als rein einsichtige Guter-Mensch-Tat erscheint, auch wenn immerhin anklingt, dass die Oberste Heeresleitung in ihm einen nützlichen Trottel gefunden hat, der das schmutzige Geschäft des Friedens – also der Niederlage – übernahm und das Militär somit die Dolchstoßlegende zur Wahrung des eigenen Gesichts bemühen konnte.

Aber ohne die aussichtslose Kriegssituation und vor allem ohne die heraufziehende Novemberrevolution lassen sich die Waffenstillstandsbemühungen auf deutscher Seite nicht verstehen. Letzteres lässt der Film sträflich einfach weg. Während im Roman der Protagonist „Entweder gibt es Frieden oder eine Revolution“ denkt, fällt dieses R-Wort nirgends im Film. Das wäre aber Pflicht gewesen im Sinne einer historischen Richtigkeit. Denn während das Buch im Oktober 1918 endet, treibt der Film die Handlung ja bis in den November.

Natürlich war auch Remarque kein Revolutionär. Aber er vermied es, sich die Finger am falschen Frieden zu verbrennen, indem er sich rein auf die Perspektive Paul Bäumers konzentrierte.

Berger und Netflix sind aber absichtlich über dieses Perspektive hinausgegangen und bei ihnen ist der ganze Frieden nicht mehr als eine gute Tat der Herrschenden. Er erscheint nicht als etwas, womit sie ihren eigenen Kopf vor der Revolution retteten. Denn selbstredend war Erzberger genauso wie Ebert, Noske und Co. ein entschiedener Gegner der sozialistischen Revolution.

Kontext heute

Und damit mal zurück in die Gegenwart, in die Zeit des Krieges in der Ukraine, wo der Kampf um die Neuaufteilung der Welt erneut eskaliert. Die NATO handelt hier in der Unterstützung der Ukraine genauso wenig selbstlos wie ein Erzberger in Compiègne. Sie verfolgt durch das ukrainische Militär eigene imperialistische Interessen gegenüber der russischen Konkurrenz.

Es gibt viele frappierende Parallelen, sei es, dass es wie ein Jahr nach dem Beginn des ersten Weltkrieges auch heute wieder einen Munitionsmangel gibt oder sei es, dass Bachmut mit Verdun verglichen wird.

Entsprechend kam der Film für die westlichen Verbündeten zur genau richtigen Zeit. Russland erscheint in den Köpfen der Meisten als der Aggressor – was es ja auch ist. Die Kriegsziele werden jedoch kaum hinterfragt, was die westliche Seite angeht. Jetzt taucht so ein Film auf, der die Schrecken des Krieges zeigt, und: Oha! Das wiederholt sich ja heute, und Russland hat Schuld daran. Über die Angst vor dem Krieg bindet „Im Westen Nichts Neues“ die Zuschauer:innen in die westlichen Kriegsbemühungen ein, der Pazifismus landet auf dem Bauch. Die vier Oscars sind kein Zufall. Mindestens unbewusst wirken die Bilder des Krieges von damals und heute zusammen.

Für die Macher:innen des Films gilt, dass sie sich, indem sie mit dem Finger mahnend auf die Vergangenheit weisen, heute moralisch auf der richtigen Seite wähnen. Aber: Psst! – auf dieser Seite wähnten sich viele Kulturschaffende auch vor 109 Jahren!

Russland hat den Krieg zwar begonnen, aber wenn dieser zum Dritten Weltkrieg ausartet tragen dafür alle daran beteiligten Herrschenden Schuld, und alle sind sie von ihrer Unschuld überzeugt. Manche Regisseur:innen von Antikriegsfilmen sind vielleicht, ohne es zu wissen, auf dem besten Weg, zur moralischen Unterstützung des Krieges zu werden.

Stellt sich noch die Frage nach der Verhinderung und dem Ende des Krieges.

Für Marxist:innen ist in Gedenken an Rosa Luxemburg (über deren Tod Matthias Erzberger bestimmt nicht traurig war) klar, dass die Weltlage auf Sozialismus oder Barbarei hinausläuft.

Der Sozialismus ist kaum als eine Alternative für unsere Gegenwart bekannt. Das ist auch den Produzent:innen nicht vorzuwerfen. Wohl aber, historisch inkorrekt und unvollständig gearbeitet zu haben. Und das wirkt nun mal auch ins barbarische Heute.

In den letzten Jahren gab es viele Filme, die die Geschichte zum Gegenstand nahmen. Babylon Berlin ist ein anderes Beispiel dafür, wobei die Serie offen zur eigenen Fiktion steht.

Trotzdem: Das Ergebnis dieser Produktionen ist, auch wenn das die Macher:innen vielleicht nicht wollen, dass die Vergangenheit noch rätselhafter, willkürlicher und naturgesetzlicher erscheint, als sie das sowieso schon im Schulunterricht ist. Aber Geschichte ist Pseudonatur. Sie wird von Menschen gemacht und Menschen können sie auch positiv bewusst auflösen.

Weit weg von solchen Ideen (Wofür auch, es ist ja eine kapitalistisch vergewaltigte Kunst, die Geld und Ruhm bringen soll!) ist die Vergangenheitsbewältigung der modernen Großfilmindustrie darauf reduziert, die Geschichte als mitreißendes Drama auf die Leinwand zu tragen – und damit selbst zum Teil des sehr realen Gegenwartsdramas zu werden.




Der Ukrainekrieg und seine Auswirkungen auf Frauen

Jaqueline Katherina Singh, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 11, März 2023

Seit mehr als einem Jahr bestimmt der Ukrainekrieg die Schlagzeilen. Im Folgenden wollen wir eine kurze Skizze der aktuellen Situation anfertigen und uns damit auseinandersetzen, wie sich die aktuelle Situation auf Frauen auswirkt, um schließlich allgemein Kriegsfolgen für Frauen zu betrachten. Bevor wir dazu kommen, wollen wir kurz Stellung zum Konflikt beziehen.

Vom Angriffskrieg zum Stellungskampf

Klar ist, dass der Angriff seitens des russischen Imperialismus auf die Ukraine zu verurteilen und der Wille zur Selbstverteidigung seitens der ukrainischen Bevölkerung gerechtfertigt ist. Gleichzeitig muss das Geschehen auch im internationalen Kontext betrachtet werden. Es spielt sich nicht im luftleeren kraRaum ab, sondern vor dem Hintergrund einer krisenhaften Entwicklung des imperialistischen Weltsystems und eines Kampfs um die Neuaufteilung der Welt unter den Großmächten.

Somit ist es auch nicht irgendeine Auseinandersetzung, die zufällig mehr Aufmerksamkeit bekommt als der Bürger:innenkrieg im Jemen, weil der bewaffnete Konflikt im Westen stattfindet. Er ist auch Ausdruck einer zugespitzten globalen Weltlage und trägt in sich das Potenzial, mehr Kräfte in kriegerische Auseinandersetzungen zu ziehen. Darüber hinaus findet die Auseinandersetzung zwar augenscheinlich nur zwischen der Ukraine und Russland statt. Doch das fragile Gleichgewicht von prowestlichen und prorussischen wirtschaftlichen und politischen Eliten in der Ukraine und der Ausgleich zwischen ihren Nationalitäten wurde mit dem Maidan 2014 über den Haufen geworfen. Damals wurde der lavierende, Russland zuneigende Präsident Janukowytsch durch eine klar prowestliche Regierung abgelöst. Diese verwandte zwecks Machtsicherung viele der extrem rechten und nationalistischen Maidankräfte in ihrer Administration und ihren Sicherheitskräften und machte ihnen auch politisch Konzessionen. Damit war letztlich auch der bewaffnete Zusammenstoß mit den sich in ihren Minderheitenrechten bedroht fühlenden Bevölkerungsgruppen insbesondere in der Ostukraine vorprogrammiert und Russland nahm den inneren Bürger:innenkrieg zum Vorwand für die Inkorporation der Krim, wo jedoch schon länger eine prorussische Mehrheit lebte.

Weder Putin noch NATO!

Somit geriet das Gebiet der Ukraine zum Zankapfel zwischen russischem Imperialismus und der NATO. Wirkliche Verbesserung für alle Teile der Bevölkerung kann es nicht geben, wenn man sich einer dieser Kräfte politisch unterordnet. Dabei sind die von Putin angegebenen Gründe für seine „Militäroperation“ mehr als scheinheilig. Ihm geht es nicht um eine Denazifizierung, sondern darum, den seit 2014 stärker gewordenen Einfluss des westlichen Imperialismus zurückzudrängen. Dieses Interesse ist vor allem durch die Zunahme der internationalen Konkurrenz seit der Wirtschaftskrise um die Pandemie stärker geworden und auch durch die wirtschaftliche Schwäche Russlands bedingt.

Auf der anderen Seite muss gesagt werden, dass sowohl die massive finanzielle Unterstützung sowie die Waffenlieferungen seitens der NATO-Verbündeten nicht aus reiner Selbstlosigkeit erfolgen, weil man die ukrainische Bevölkerung nicht leiden sehen kann, sondern das Ziel anpeilen, die Ukraine als geostrategische Einflusssphäre zu festigen sowie den russischen Imperialismus zu schwächen und seine Fähigkeit, als Weltmacht zu agieren, massiv zu reduzieren, wenn nicht zu verunmöglichen. Natürlich agiert der Westen dabei nicht als geschlossener, einheitlicher Block. Vielmehr erweisen sich die USA als eindeutige Führungsmacht auch über ihre europäischen Verbündeten, für die jede stärkere ökonomische Durchdringung Russlands in weite Ferne gerückt ist.

Auswirkungen weltweit

Bevor wir zur Situationen in der Ukraine kommen, wollen wir uns den internationalen Folgen des Krieges widmen. Neben einer verstärkten Militarisierung haben der Krieg und vor allem die massiven Sanktionen nicht nur den Wirtschaftskonflikt mit Russland zugespitzt, sondern auch die Inflation befeuert und Energiepreise in die Höhe schnellen lassen. Die steigenden Kosten für Öl und Gas haben erhebliche Auswirkungen auf die Energiearmut von Frauen und Mädchen und den ohnehin schon ungleichen Zugang dazu. Dieser wurde vor allem durch die Pandemie drastisch verschlechtert, da so jene, die erst vor kurzem Zugang zu Energie erhalten hatten, diesen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit verloren, darunter 15 Millionen Afrikaner:innen südlich der Sahara. Der Krieg verschärft dies nun, da der sprunghafte Anstieg der Energiepreise in den letzten zwei Jahren der stärkste ist seit der Ölkrise von 1973. Darüber hinaus verursacht der Krieg eine Lebensmittelkrise. Der Anstieg der Lebensmittelpreise war der höchste seit 2008, was daran liegt, dass sowohl Russland als auch die Ukraine zentrale Getreideproduzent:innen sind. So importieren Länder wie Armenien, Aserbaidschan, Eritrea oder Somalia über 90 % des Getreides aus diesen beiden Ländern. Darüber hinaus stellt die Ukraine eine wichtige Weizenlieferantin des Welternährungsprogramms (WFP) dar, das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern unterstützt.

Situation vor dem Krieg

Auch wenn es nicht möglich ist, hier ein komplettes Bild der Situation von Frauen zu zeichnen, wollen wir einen kurzen, allgemeinen Überblick geben. Vor dem Krieg machten Frauen 54 % der Gesamtbevölkerung aus und etwa 48 % aller Erwerbstätigen. Eine genaue Aufschlüsselung, wie hoch die Arbeitsbeteiligung von Frauen in unterschiedlichen Industrien ausfällt, ist nicht verfügbar. Jedoch lieferte die ILO 2008 einen groben Überblick, aus dem hervorgeht, dass Frauen vorwiegend im Caresektor sowie in der industriellen Produktion tätig waren (https://www.ituc-csi.org/IMG/pdf/Country_Report_No8-Ukraine_EN.pdf, S. 31).

Rechtliche Gleichstellung existierte zwar formal auch in Bezug auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Dennoch gab es ein recht hohes Gender Pay Gap von 27 – 33 % im Zeitraum 2003 – 2012. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Frauen oftmals in den schlechter bezahlten Berufen arbeiten. Doch auch innerhalb von Berufsgruppen gab es Unterschiede. So wurden die größten geschlechtsspezifischen bei den Gehältern im Finanzsektor festgestellt, während die geringsten in der Landwirtschaft bestehen, wo die Löhne jedoch im Allgemeinen viel niedriger ausfallen als in allen anderen Bereichen der ukrainischen Wirtschaft.

Flucht

Im Krieg sind Frauen besonders Gewalt ausgesetzt, neben Bomben, ausländischen Armeen direkt vor der Haustür, Angst und Engpässen bei der Strom- oder Nahrungsmittelversorgung. Kein Wunder also, dass mehrere Millionen Menschen, darunter vor allem Frauen und Kinder, seit Beginn des Krieges geflohen sind. Laut Angaben der UN sind davon 5,3 Millionen Binnenvertriebene, also innerhalb des Landes geflohen. Dies verschärft die Situation, da bereits seit 2014 aufgrund des Konflikts in der Ostukraine mehr als 1,5 Millionen Menschen gezwungen wurden umzusiedeln. Zwei Drittel von ihnen waren Frauen und Kinder, die seitdem unter dem erschwerten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Wohnraum sowie Beschäftigung leiden.

Darüber hinaus sind im Februar 2022 rund 8 Millionen Menschen über die ukrainischen Landesgrenzen geflohen. Davon sind über 80 % Frauen und Kinder, was unter anderem daran liegt, dass die Ausreise von Männern zwischen 18 und 60 Jahren seitens der ukrainischen Regierung verboten wurde. Frauen sind dabei auf der Flucht besonders sexueller Gewalt ausgesetzt. So stiegen die Suchanfragen nach Schlüsselwörtern wie „Escort“, „Porno“ oder „Vergewaltigung“ in Verbindung mit dem Wort „ukrainisch“ um 600 %, während sich „Ukraine refugee porn“ laut OSZE-Büro der Sonderbeauftragten und Koordinatorin für die Bekämpfung des Menschenhandels in Wien als Trendsuche herauskristallisierte. (https://www.euronews.com/2023/01/17/ukraine-refugee-porn-raises-risks-for-women-fleeing-the-war).

Zwar ist noch unklar, inwiefern ukrainische Frauen stärker von sexualisierter Gewalt betroffen sind als andere Gruppen weiblicher Geflüchteter. Klar ist jedoch, dass rassistische Stereotype, die innerhalb der EU existieren und osteuropäische Frauen sexualisieren, dies mitverursachen. Die Gefahr, sexuellen Missbrauch zu erleben oder Opfer von Menschenhandel zu werden, wird durch unsichere Fluchtrouten oder die Praxis z. B. in Großbritannien, wo 350 Pfund für die Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten gezahlt werden, begünstigt.

Um die Situation für Geflüchtete zu verbessern, müssen wir für Folgendes eintreten:

  • Offene Grenzen, sichere Fluchtwege und Staatsbürger:innenrechte für alle!

  • Statt Behausung in Lagern: Dezentrale Unterbringung durch die Enteignung von leerstehendem Wohnraum, Hotels sowie Spekulationsobjekten!

  • Nein zur Spaltung: Anerkennung der Bildungsabschlüsse sowie das Recht, die Muttersprache bei Ämtern zu benutzen, für alle Geflüchteten!

Auch wenn die letzte Forderung für ukrainische Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, größtenteils Realität ist, muss sie aufgestellt werden, um eine weitere Spaltung zwischen ukrainischen und anderen Geflüchteten zu verhindern. Dass die Ausstellung von Arbeitserlaubnissen etc. für Ukrainer:innen so rasch passierte, zeigt nur, was eigentlich möglich ist, wenn die eigene Regierung ein unmittelbares Interesse dabei verfolgt. Deswegen sollte dies genutzt werden, um die Rechte anderer Geflüchteter anzugleichen.

Situation der Daheimgebliebenen

Jedoch konnten nicht alle fliehen. Alter, persönliche Fitness, Kontakte in anliegenden oder anderen europäischen Ländern sind weitere Faktoren, die es realistischer erscheinen lassen, sich mittel- oder langfristig ein „neues Leben“ aufzubauen. Wer hingegen pflegebedürftig ist oder selber jemanden pflegt, gehört zu den Gruppen, die es besonders schwer haben, das Land zu verlassen. Zwar gibt es Erfolgsgeschichten von Gruppen wie bspw. von etwa 180 Gehörlosen, die es nach Berlin geschafft haben. Doch wer ans Bett gefesselt oder auf fremde Hilfe angewiesen ist, hat schlechte Chancen.

Hier tragen auch vor allem Frauen die Hauptlast. Bereits vor der Eskalation der Feindseligkeiten im Februar 2022 führte die unbezahlte Hausarbeit in der Ukraine zu einer massiven Mehrbelastung. Frauen brachten im Schnitt 24,6 Stunden pro Woche für reproduktive Tätigkeiten auf, während es bei Männern 14,5 waren. Laut UN-Bericht „Rapid Gender Analyses in Ukraine“ geben die Befragten durchweg an, dass seit dem Beginn des Krieges der Umfang der unbezahlten Arbeit sowohl für Männer als auch für Frauen zugenommen hat. Dies liegt vor allem daran, dass Sozialdienste, medizinische und Bildungseinrichtungen sowie Kinderbetreuung durch den Krieg eingestellt oder reduziert wurden.

Das Wegbrechen dieser Infrastrukturen führt dementsprechend auch zu Verschlechterungen in allen diesen Bereichen. So sind beispielsweise Schwangere durch den Wegfall medizinischer Versorgung einer Lage ausgesetzt, die auch den Kindstod begünstigt. Um die Situation vor Ort einigermaßen erträglich zu machen, treten wir ein für:

Kontrolle und Verteilung der gelieferten Hilfsgüter durch demokratisch gewählte Komitees der Bevölkerung! Die Vertreter:innen müssen rechenschaftspflichtig und jederzeit wähl- und abwählbar sein!

So kann flächendeckend verhindert werden, dass Lebensmittel unterschlagen werden, wie beispielsweise durch zwei führende Ministeriumsbeamte, die Ende Januar dafür entlassen wurden. Das ist keine Kleinigkeit, denn über ein 1/3 der ukrainischen Bevölkerung ist von starken Nahrungsmittelengpässen betroffen. Viele Teile der Bevölkerung sind bereits in Hilfsstrukturen integriert – und sie sollten diese auch selber kontrollieren.

Denn zum einen kann durch die Verteilungskomitees überprüft werden, in welchen Regionen nicht nur mehr Hilfsgüter benötigt werden, sondern auch, wo es noch anderer Strukturen wie beispielsweise Kantinen oder anderer Hilfe bedarf. Diese sollten zum anderen als Momente kollektiver Reproduktionsarbeit nach dem Krieg erhalten bleiben und flächendeckend ausgeweitet werden. Denn nur durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit – also der Aufteilung der Sorge- und Carearbeit auf alle Hände – kann die Doppelbelastung von Frauen sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung beendet werden. Es gilt, hier eine Grundlage zu legen, um künftigen Verschlechterungen entgegenzuwirken.

Arbeitsrechte

Diese Situation wird dadurch verstärkt, dass unter der Regierung von Selenskyj seit Beginn des Krieges massive Angriffe auf die Arbeitsrechte vorgenommen wurden. Am 24. März 2022 trat das Gesetz Nr.-2136-IX Über die Organisation der Arbeitsbeziehungen im Kriegsrecht in Kraft, was unter anderem die Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche auf 60 hochsetzt, Arbeit an Wochenenden, Feiertagen und arbeitsfreien Tagen nicht mehr verbietet und Betrieben ermöglicht, die Auszahlung des Gehalts zu verzögern, wenn nachgewiesen werden kann, dass Krieg oder „höhere Gewalt“ eine solche Verzögerung verursacht haben. Das Ganze wird begleitet vom Verbot von Oppositionsparteien, die Verbindungen nach Russland haben, sowie einer Degradierung von Gewerkschaften zu Organen der „Bürgerkontrolle“, die die Einhaltung des Gesetzes überwachen.

Diese Verschärfungen sind dabei nur eine zugespitzte Fortführung Selenskyjs neoliberaler Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse. Bereits 2020 gab es den Versuch eines reformierten Arbeitsgesetzes, welches eine massive Aufweichung der Arbeits- und Tarifrechte enthielt. Durch Proteste seitens der Gewerkschaften konnte damals verhindert werden, was nun Praxis ist.

Was das für praktische Auswirkungen hat, skizziert Bettina Musiolek (Clean Clothes Campaign; Kampagne für Saubere Kleidung) in einem Interview mit der GEW. Zwar ist der Anteil der Textilindustrie innerhalb der Ukraine am BIP gering. Laut Angaben von Ukraine Invest existieren jedoch rund 2.500 Textilbetriebe mit mehr als 200.000 Mitarbeiter:innen innerhalb des Landes, von denen zwischen 80 und 90 % der gesamten Erzeugnisse für den Export bestimmt sind. Die überwiegende Mehrheit ihrer Beschäftigten ist weiblich. Produziert wird unter anderem für Marken wie Adidas, Benetton, Boss, S.Oliver, Tommy Hilfiger, Zara oder Handelskonzerne wie Picard oder Aldi. Diese nutzen die Not brutal aus, wie Musiolek erklärt:

 „Die meisten Näherinnen werden das alles akzeptieren, weil sie den Job brauchen. Gegen das neue Gesetz zu demonstrieren oder zu streiken, ist für sie keine Option – ihnen droht unter dem Kriegsrecht, verhaftet zu werden. [ … ] Da werden im Schatten des Krieges rote Linien überschritten. Zwar soll die Arbeitsrechtsreform nur während des Kriegsrechts gelten. Aber unsere ukrainischen Gewerkschaftspartner bezweifeln, dass die Punkte nach dem Krieg wieder rückgängig gemacht würden.“ (https://www.gew.de/aktuelles/detailseite/hungerloehne-unter-dem-deckmantel-des-kriegsrechts)

Das bedeutet praktisch, dass wir uns gegen diese Angriffe wehren müssen, was leichter geschrieben als getan ist. Es verdeutlicht, dass die herrschende Klasse der Ukraine nicht nur eine enge Verbündete der NATO ist, sondern – wie jede andere – auch im Krieg ihre Klasseninteressen vertritt.

Das Kriegsrecht richtet sich hier ganz konkret gegen die Lohnabhängigen und muss bekämpft werden. Die Aufgabe von Revolutionär:innen und fortschrittlichen Kräften muss darin bestehen aufzuzeigen, dass der Krieg alleine nicht den Klassencharakter aufhebt, nicht alle Ukrainer:innen vor ihm gleich werden und dieselben Interessen verfolgen dürfen. Deswegen muss gesagt werden:

  • Nein zu den Angriffen des Arbeitsrecht! Für die sofortige Rücknahme der Verschärfungen wie des einseitigen Kündigungsrechts oder der Ausweitung der Arbeitszeit!

  • Statt Arbeitslosigkeit und mehr Stunden braucht es Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich!

  • Für ein Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation!

  • Entschädigungslose Enteignung aller Kriegsgewinnler:innen, ukrainischer wie imperialistischer Unternehmen, die sich auf Kosten der Massen bereichern, unter Arbeiter:innenkontrolle!

Gewalt

Dass Gewalt gegen Frauen in Zeiten von Krisen zunimmt, ist spätestens seit der Coronapandemie kein Geheimnis mehr. Aktuelle offizielle Zahlen sind nicht verfügbar, jedoch gaben laut einer vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) im Jahr 2019 veröffentlichten Studie etwa 75 Prozent der ukrainischen Frauen an, seit ihrem 15. Lebensjahr irgendeine Form von Gewalt erlebt zu haben. Eine von drei Frauen berichtete, dass sie körperliche Formen von sexueller Gewalt erleiden musste.

Durch die verschlechterte ökonomische Situation kann sich dies verschlimmern, und da darüber hinaus in Konflikten sexuelle Gewalt und Vergewaltigung häufig als Kriegswaffe eingesetzt werden, um Macht über den Feind zu demonstrieren, sind die ukrainischen Frauen – inmitten der militärischen Invasion Russlands in ihrem Land – einem erhöhten Risiko sexueller und körperlicher Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung und Folter ausgesetzt. Um sich gegen die zunehmende Gewalt zu wehren, treten wir ein:

  • Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees der Bevölkerung, die auch Zugang zu Waffen haben!

  • Für Entschädigungszahlungen an Betroffene von Gewalt sowie kostenlosen Zugang zu therapeutischen Angeboten auch nach dem Krieg!

Militär

Doch es wäre falsch, die Rolle von ukrainischen Frauen derzeit auf Care- und Hilfsarbeit zu reduzieren. In der ukrainischen Armee dienen schätzungsweise zwischen 15 – 22 % Frauen. Manche kehren sogar aus den sicheren Ländern, in die sie geflohen waren, zurück, um an der Front zu kämpfen. Dies ist jedoch eine neuere Entwicklung. Seit 2014 sind Frauen Teil der ukrainischen Armee. Seit 2016 ist auch erlaubt, dass sie nicht nur klassische Hilfskraftjobs wie medizinische Versorgung oder Kochen ausüben. Dass sie nun auch an der Front kämpfen dürfen, heißt jedoch nicht, dass das Militär sich in einen Ort der Gleichberechtigung verwandelt. So hat die Zahl der Soldatinnen zwar zugenommen, aber ihre Mobilisierung erfolgte eher unregelmäßig. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass die klassische Arbeitsteilung in Armeen (Fokus der Frauen auf Hilfsjobs) trotz ihrer höheren Beteiligung erhalten bleibt, was begleitet wird durch Berichte über sexistische Kommentare oder die Tatsache, dass Frauen Uniformen wesentlich schlechter angepasst werden. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Männer mittels Kriegsrecht hat darüber hinaus verfestigt, dass es Frauen sind, die außerhalb der Armee die Last der Betreuung von Kindern und älteren Menschen tragen müssen. Um die tatsächliche Gleichstellung in der Armee zu gewährleisten, treten wir ein:

  • Für die Wähl- und Abwählbarkeit von Offizier:innen durch Soldat:innenräte sowie deren Kontrolle über Ausbildung und Waffen!

  • Für eine Kampagne innerhalb der Armee für Gleichstellung, aber auch gegen Nationalismus und Chauvinismus! Recht der Frauen auf gesonderte Treffen!

Zentral ist es darüber hinaus, dass Soldat:innen auch dafür argumentieren, den Krieg nur solange zu führen, wie er zur Selbstverteidigung dient, und beispielsweise gegen die Rückeroberung der Krim oder der Volksrepubliken auftreten. Vielmehr sollte die dort lebende Bevölkerung entscheiden, wo sie zukünftig leben und welchem Staat sie angehören möchte. Alles, was darüber hinausgeht, führt zu einer weiteren Verlängerung des Krieges, ohne seine tatsächliche Ursache zu bekämpfen.

Perspektiven

Die reaktionäre Invasion des russischen Imperialismus stellt bekanntlich nicht den einzigen Faktor im Krieg dar. Es wäre vielmehr verkürzt, den Charakter eines Kriegs unabhängig von der internationalen Lage zu bestimmen. Die Entwicklung, die zur Invasion führte, und vor allem jene seit dem reaktionären Überfall Russlands bestätigt in mehrfacher Hinsicht, dass es sich im Kern nicht bloß um einen nationalen Verteidigungskrieg handelt, sondern die politische, wirtschaftliche und militärische Einflussnahme der NATO auf internationaler Ebene selbst einen entscheidenden Faktor darstellt.

Das bedeutet, dass die Arbeiter:innenklassen in Russland wie auch in den NATO-Staaten vor allem für den Kampf gegen die Kriegsziele ihrer eigenen Bourgeoisien gewonnen und mobilisiert werden müssen. Dort steht der Hauptfeind eindeutig im eigenen Land.

In der Ukraine ist die Lage differenzierter zu betrachten. Hier sind die Massen Opfer der russischen imperialistischen Invasion. Einerseits spielt der innerimperialistische Konflikt eine prägende Rolle, andererseits existiert auch ein wichtiges Element der realen nationalen Unterdrückung. Dies bedeutet, dass Revolutionär:innen das Recht der Ukraine, sich gegen die russische Okkupation zur Wehr zu setzen, verteidigen müssen, jedoch ohne der Regierung Selenskyj irgendeine Form der Unterstützung angedeihen zu lassen.

In der Ukraine bildet daher das Recht auf Selbstverteidigung gegen die russische Invasion ein Element revolutionärer Politik, doch für den Fall des Rückzugs von russischen Truppen sollte klar sein, dass der Kampf danach weitergeht. Jedoch nicht mit dem Ziel, Vergeltung gegen Russland als Aggressor auszuüben, sondern in dem Wissen, dass NATO & Co. ihre Unterstützung nicht zugesagt haben, damit sie dann ebenfalls die Ukraine in Ruhe lassen, sondern sie als ausgebeutete Halbkolonie in ihren Machtbereich integrieren werden.

Neben stärkerer militärischer Präsenz ist es wahrscheinlich, dass westliche Firmen sich freuen, die ukrainische Infrastruktur wieder aufzubauen – auf dem Rücken der Bevölkerung vor Ort, die als billige Arbeitskräfte überausgebeutet werden kann. Die rechtlichen Grundlagen wurden ja bereits geschaffen. So ein Kampf kann nur erfolgreich sein, wenn bereits im Hier und Jetzt Strukturen aufgebaut werden, die sich der prowestlichen und neoliberalen Politik Selenkyjs nicht unterordnen wollen, aber auch kein Interesse hegen, sich an Putins Regime zu verkaufen. In Regionen wie der Krim, Donezk oder Luhansk sollten Referenden durch die Bevölkerung organisiert werden – nicht durch irgendeine Großmacht.

Im Westen, in der EU und den USA muss die Arbeiter:innenbewegung vor allem aber gegen die imperialistischen Ziele des „eigenen“ Imperialismus mobilmachen. Das bedeutet ein Nein zur jeder Aufrüstung, zu Waffenlieferungen und vor allem zu Sanktionen und Wirtschaftskrieg gegen Russland. Die US-amerikanische, deutsche und andere westliche Regierungen verfolgen damit keine demokratischen und humanitären Interessen. Das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine und erst recht deren Demokratie sind ihnen völlig egal, wie das jahrelange Paktieren mit Ultrarechten beweist. Für sie ist die Ukraine vor allem eine Frontlinie auf dem geostrategischen Schlachtfeld und außerdem ein Reservoir für billige Arbeitskräfte und Rohstoffe. Hier gilt es, Solidarität und Widerstand aufzubauen, die die objektiven Interessen der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse unterstützen, und nicht mit den Machtinteressen der jeweils eigenen Regierung zu paktieren.




Historische Kämpfe gegen den Krieg

Romina Summ, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 11, März 2023

Vietnamkrieg

Beginnend mit dem offiziellen Eintritt der USA in den Vietnamkrieg im August 1964 kam es international zu breiten Protesten, auch in Deutschland. Entstanden war die Bewegung zunächst durch Student:innenorganisationen. Die bekannteste war sicherlich die SDS (Students for a Democratic Society), welche sich aus radikalen pazifistischen Gruppen der Antiatombewaffnungsbewegung heraus entwickelte. Angeschlossen hatten sich neben Hippies, liberalen Bürgerrechtler:innen, Akademiker:innen auch Kunstschaffende. Wesentlich beteiligt und um einiges militanter als die „Make Love Not War“-Bewegung waren Frauenorganisationen wie die „Women Strike for Peace (WSP)“, welche sich zunächst erfolgreich gegen Atombombentests einsetzte. Gegründet wurde diese nach einem am 1. November 1961 stattgefundenen eintägigen Streik unter dem Slogan „End The Arms Race Not The Human Race“, an dem schätzungsweise 50.000 Frauen in 60 US-Städten teilgenommen hatten. Der Streik verlief sehr erfolgreich und löste in weiterer Folge eine große Dynamik aus. Die WSP wurde ins Leben gerufen und zog noch mehr Frauen in den Kampf gegen die Bedrohung durch Atomkriege und zur sofortigen Beendigung von Atomtests. Als die WSP bereits nach knapp zwei Jahren mit dem Inkrafttreten des Vertrags über das begrenzte Verbot von Atomtests einen bedeutenden Sieg verbuchen konnte, wurde der Vietnamkrieg zum Hauptanliegen der Bewegung. Initiativen wie „The Jeannette Rankin Brigade“ (1968) brachten Aktivisten:innen zusammen, die sich für Frauenbefreiung, Antirassismus, Armutsbekämpfung und Antikriegspolitik einsetzten. Einige Mitglieder der WSP nahmen sogar an Treffen mit dem Vietkong (Nationale Front für die Befreiung Südvietnams; NFB) in Nordvietnam teil. Sie trugen durch die Organisation dieser Proteste und der daraus entstandenen gesellschaftlichen Ablehnung entscheidend dazu bei, dass die US-Regierung in Nordvietnam keine Atomwaffen einsetzte und sich das Kräfteverhältnis zu Gunsten der Vietkong verschob.

Innerhalb der Antikriegsbewegung gab es allerdings eine große Zersplitterung und keine gemeinsame Dachorganisation. So hatte man zwar ein gemeinsames Ziel, es wurde aber heftig über die anzuwendenden Mittel diskutiert. Die Bewegung, welche von bürgerlichen Kräften dominiert war, konnte jedoch durch den breiten gesellschaftlichen Protest enormen innenpolitischen Druck auf die damalige US-Regierung aufbauen. Diese sah sich 1969 gezwungen, die Zahl ihrer Bodentruppen in Nordvietnam zu minimieren, von rund 480.000 auf 335.000, bis sie 1973 nach dem Abschluss eines Waffenstillstandes (Pariser Abkommen) mit Nordvietnam komplett abgezogen wurden. Zusätzlich wurden eine Reform des Einzugsverfahrens ins Militär durchgesetzt sowie die Wehrpflicht aufgehoben. Dies alles führte zu einer der verheerendsten Niederlagen des US-Imperialismus und einem Sieg der vietnamesischen Befreiungsarmee.

Irakkrieg

Bald 20 Jahre ist es her, als die bis dahin größte Antikriegsbewegung ihren Höhepunkt erreichte. Am 15. Februar 2003 gingen in mindestens 650 Städten weltweit zwischen 25 und 30 Millionen Menschen auf die Straße, um gegen den durch die USA geführten Irakkrieg zu protestieren. Diese Bewegung zeichnete sich besonders durch das Ausmaß der Beteiligung in den westlichen Staaten aus, wo Regierungen den Krieg entweder duldeten oder die USA sogar direkt unterstützten. Getragen wurde die Bewegung von Friedensgruppen, Kirchen, NGOs und Gewerkschaften. Ebenso gab es an Schulen zahlreiche Streiks gegen den Krieg. Auch innerhalb dieser Antikriegsbewegung spielten Frauen wieder eine zentrale Rolle. So hatten beispielsweise am 8. März 2003, dem Internationalen Frauentag, tausende in verschiedenen US-Städten gegen den Irakkrieg demonstriert. Aufgerufen hatte die Organisation „Code Pink: Women for Peace“.

Die Bewegung versuchte, in den einzelnen Ländern durch Proteste und zivilen Ungehorsam (wie Sitzblockaden auf dem Stützpunkt der US-Airbase in Frankfurt) innenpolitischen Druck auf die nationalen Regierungen auszuüben, um damit eine Kriegsbeteiligung zu verhindern. Die Bewegung erreichte, dass sich viele Länder nicht aktiv am Krieg beteiligten, da sie den Widerstand innerhalb der Gesellschaft gegen den Krieg kannten und weitere Proteste befürchteten. Auch verfolgte die Europäische Union unter Führung von Deutschland und Frankreich andere geopolitische Interessen. Dennoch wollte sie keine Eskalation mit den USA riskieren. So gewährleistete Deutschland beispielsweise Transporte und den Schutz von US-Militär. Auch genehmigte sie der NATO sogenannte Überflugrechte über dem Bundesgebiet.

Erster Weltkrieg und Beginn der Februarrevolution

Nachdem in Russland viele Männer für den ersten Weltkrieg von 1914 – 1917 eingezogen wurden, waren Frauen gezwungen, in den Fabriken zu arbeiten, um fehlende Arbeitskräfte zu ersetzen. Gleichzeitig wurden die Arbeitsbedingungen schlechter. Die Preise stiegen und es herrschte ein Mangel an Waren. Am internationalen Frauentag, dem 23. Februar/8. März 1917 organisierten Arbeiterinnen einen großen Streik mit rund 90.000 Teilnehmer:innen in den Fabriken von St. Petersburg, um gegen den imperialistischen Krieg und seine verheerenden Folgen zu protestieren. Obwohl Streiks verboten waren und die Arbeiter:innenbewegung starker Repression ausgesetzt war, organisierten Arbeiterinnen aus dem Wyborger Bezirk in den dort ansässigen Textilfabriken illegale Treffen unter den Thema „Krieg, hohe Preise und die Situation der Arbeiterin“. Sie entschieden sich zu streiken, zogen zu tausenden auf die Straßen und forderten unter den Slogans „Brot, Land, Frieden“ sowie „Gebt uns unsere Männer zurück“ weitere Arbeiterinnen und Männer in nahegelegenen Fabriken zur Teilnahme auf. Diese Aktion war äußerst erfolgreich. Bereits um 10 Uhr waren rund 27.000 Arbeiter:innen am Streik beteiligt. Diese Zahl stieg im Verlauf des Tages auf über 50.000 Menschen an. In den darauffolgenden Tagen umfasste die Streikwelle gar 240.000 Arbeiter:innen. Die Februarrevolution war ausgebrochen.

Dabei spielte die SDAPR-Frauenzeitung „Rabotniza“ und deren Redaktion, welche aus den Organisatorinnen des Streiks bestand, eine wesentliche Rolle. Unter ihnen die Revolutionärin Alexandra Kollontai, die deutlich machte, dass der Krieg, welcher auf dem Rücken der Arbeiter:innen geführt wird, mit Mitteln des Klassenkampfes bekämpft werden muss und es dafür eine Partei der Arbeiter:innenklasse mit einem Kampfprogramm gegen den Kapitalismus braucht. Entsprechend traten sie für Forderungen ein, die sich nicht auf nationale Interessen beschränkten, sondern im Interesse der Klasse waren, wie der 8-Stunden-Tag, die Vergesellschaftung der Wäschereien und höhere Löhne.




Guten Fragen, gute Antworten: 5 Fragen zu Frauen, Patriarchat und Krieg

Aventina Holzer / Jaqueline Katherina Singh, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 11, März 2023

1. Patriarchat schafft Krieg?

„Kriege werden von Männern ausgelöst“, „Mächtige Männer setzen ihre Interessen über die Köpfe der anderen durch“ und „Krieg ist männlich“ sind Aussagen, die einem häufig über den Weg laufen. Wenn man sich die Realität anschaut, könnte man dem auf den ersten Blick zustimmen. Die überwiegende Mehrheit der Regierungschef:innen sind Männer und auch fernab von Amtsträger:innen hat Gewalt überwiegend ein männliches Gesicht.

Das Problem an diesen Sätzen ist jedoch, dass man eine falsche Systematik oder gesellschaftliche Problematik herausarbeitet. Es scheint so, dass Kriege entstehen, da oftmals Männer Entscheidungsträger sind. Dies ist ein Ergebnis des Patriarchats, welches sich durchgesetzt und reproduziert hat durch männliche Gewalt. Damit wird einem unterschwellig suggeriert, dass es „in der Natur“ von Männern liege, gewalttätig zu sein.

Doch Kriege entstehen nicht einfach durch individuelle Willkür. Sie sind selbst ein Produkt von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind sie oft Ergebnis ökonomischer Konkurrenz mit dem Ziel jeweiliger Nationen bzw. Kapitalfraktionen, sich eigene Einflusssphären zu sichern – auf Kosten anderer. Krieg scheint männlich, da eben viele Männer für die Kriegsführung und -erklärung verantwortlich sind. Das suggeriert sehr stark, dass es anders wäre, wenn Frauen in diesen Positionen sind. Annalena Baerbock oder Hillary Clinton und ihre „feministische Außenpolitik“ lassen grüßen. In der Realität schicken diese aber ebenso Waffen, um die Interessen ihrer jeweiligen herrschenden Klasse zu vertreten. Sie sind nicht freundlicher oder rationaler, nur weil sie Frauen sind. Davon auszugehen, verschleiert die tatsächlichen Verhältnisse und den realen patriarchalen Aspekt von Kriegen enorm, während man gleichzeitig tradierte Rollenbilder reproduziert.

Ähnliches gilt für männliche Gewalt an sich. Gewalt ist nicht nur eine Frage von individueller Mentalität, Erziehung oder Tendenz. Es ist nichts, was „natürlich“ in Männern existiert, sondern Ergebnis historischer Unterdrückung – von Frauen, aber auch und vor allem von Klassen oder im Kapitalismus von Kolonialvölkern und Nationen.

Somit ist die Aussage „Patriarchat schafft Krieg“ nicht nur eine sehr, sehr vereinfachte Analyse von Patriarchat als „männlicher Dominanz“ und ein Abschieben der Schuld auf „die“ Männer. Darüber hinaus vermittelt es zwei weitere problematische Ideen. Zum einen entsteht eine Diskussionsverschiebung. Es wird sich darauf konzentriert, welches Geschlecht  den Krieg führt und verwaltet. Doch eigentlich geht es dabei um die Durchsetzung von Klasseninteressen, um geopolitische und strategische Machtverschiebungen. Diese haben zwar massive negative Auswirkungen auf FLINTA-Personen, aber auch auf die männliche Arbeiter:innenklasse, die als Kanonenfutter für die herrschende Klasse eingesetzt wird.

Das zweite Problem mit der Aussage „Patriarchat schafft Krieg“ besteht darin, dass alle Kriege als reaktionär erscheinen. Das ist grundfalsch. Antikoloniale und antiimperialisische Befreiungskriege, Bürger:innenkriege oder Kriege zur Verteidigung einer sozialen Revolution tragen einen fortschrittlichen Charakter. Die Abschaffung des Kapitalismus und der Frauenunterdrückung sind letztlich ohne sozialistische Revolution, d. h. ohne gewaltsame Erhebung der Unterdrückten unmöglich. Abstrakte, ahistorische Phrasen, die den Unterdrückten einen allgemeinen Gewaltverzicht nahelegen, entwaffnen sie letztlich nur. Sie tragen ungewollt dazu bei, jene Verhältnisse – kapitalistische Ausbeutung und Frauenunterdrückung – zu verewigen, die sie zu bekämpfen vorgeben.

2. Warum gibt es Krieg im Kapitalismus?

Wer effektiv gegen Krieg kämpfen will, muss auch verstehen, was dessen Wurzel ist. Spoiler: es sind nicht einzelne, verwirrte Staatsoberhäupter oder die grundlegende „Natur“ des Menschen. Die Erklärung ist eine andere. Dabei ist wichtig anzuerkennen, dass das grundsätzliche Verhältnis zwischen den Akteur:innen im Kapitalismus die Konkurrenz ist. Jede/r muss für sich selber schauen, wo er/sie bleibt, und darum kämpfen, dass er/sie nicht von anderen Kapitalist:innen abgehängt wird oder am besten sogar schneller als Elon Musk zum Mars fliegt. Dieser Konkurrenzkampf durchzieht die gesamte Gesellschaft. Somit stehen auch die Besitzer:innen der Fabriken und des Kapitals, also die Kapitalist:innen, miteinander in stetigem Kampf darum, wer die meisten Profite bekommt, um mit diesen neue Investitionen zu tätigen und somit zu wachsen und immer größere Teile der Wirtschaft in der eigenen Hand zu vereinen. Doch Profite zu machen, ist nicht so einfach in der heutigen Welt.

Unsere aktuelle Epoche zeichnet sich dadurch aus, dass jeder Winkel der Welt unter die konkurrierenden Kapitale aufgeteilt ist. Beispielsweise in Deutschland wird beinahe alles bewirtschaftet und der Bedarf an den meisten Sachen ist befriedigt. Also muss man raus aus Deutschland und in anderen Teilen der Welt investieren, wo noch was zu holen ist. Und da sich alle Imperialist:innen unter Konkurrenzdruck befinden, hat man unter Umständen auch gar keine andere Wahl, als diese Kriege um Wirtschaftswege (westafrikanische Küste), Wirtschaftsräume (Mali) oder geostrategische Einflusssphären (Ukraine, Syrien, Afghanistan) zu führen, da man ansonsten von den Kapitalist:innen in anderen Ländern bedroht wird oder vielleicht sogar abgehängt. Im Prinzip ist also Politik die zugespitzte Form der ökonomischen Konkurrenz (wie beispielsweise durch Handelsabkommen oder Troikapolitik gezeigt) und Krieg die Fortführung dieser mit anderen Mitteln.

Als revolutionäre Marxist:innen erkennen wir auch an, dass Kriege einen unterschiedlichen Charakter tragen, je nach dem der Kriegsziele der beteiligten Kräfte und Klassen. So besitzen beispielsweise solche zwischen imperialistischen Mächten einen reaktionären Charakter, während wir die unterdrückter Nationen und halbkolonialer Länder gegen imperialistische Staaten als berechtigt und unterstützenswert betrachten.

So weit eine knappe Antwort auf eine komplexe Frage.

3. Treffen Kriege Frauen stärker?

Die Antwort ist: jein. Kriege versetzen die gesamte Bevölkerung in einen Ausnahmezustand. Die Zunahme von Nationalismus, Zerstörung der Infrastruktur oder Mobilmachung haben Auswirkungen auf alle. Frauen sind dabei teilweise stärker oder spezifisch betroffen. Dies liegt darin begründet, dass der Krieg bereits vorhandene Frauenunterdrückung massiv verstärkt oder jedenfalls es tun kann. Er muss es aber nicht, wenn Frauen selbst eine aktive, ja führende Rolle in Befreiungs- oder Bürger:innenkrieg für die fortschrittliche Seite spielen.

Die Auswirkungen lassen sich dabei grob in direkte sowie indirekte einteilen. Beispielsweise fördert der Zusammenbruch der medizinischen Infrastruktur eine höhere Sterblichkeit von Geburten und die kriegsbedingte Zunahme an Frühwitwen führt meist zu schlimmerer Altersarmut von Frauen, die noch jahrelang anhält. Ein spezifisches Merkmal von Kriegen ist der Anstieg von Gewalt gegen Frauen. Herauszustellen hierbei ist, dass diese nur teilweise zunehmen, weil die Lebensbedingungen schlechter werden.

Vielmehr muss Gewalt gegen Frauen – hierbei vor allem Vergewaltigung – auch als gezielte Waffe verstanden werden zur ethnischen Säuberung und Demoralisierung. Beispielsweise wurde im Jahr 1994 Ruanda von einem Völkermord heimgesucht. Man schätzt, dass in etwas mehr als hundert Tagen fast eine Million Menschen getötet wurden. Im gleichen Zeitraum wurden schätzungsweise 250.000 bis 500.000 Tutsifrauen vergewaltigt. Insbesondere in diesem Jahrhundert gibt es zahlreiche Belege für massive Vergewaltigungen als Kriegsphänomen. Ein weiteres Beispiel finden wir 1937, wo in einem Monat 20.000 Frauen von Japanern in Nanjing (früher: Nanking; China) vergewaltigt wurden.

Auffällig ist, dass die Täter nur selten strafrechtlich verfolgt werden. In der Machel-Studie wird darauf hingewiesen, dass beispielsweise nur 8 Täter angeklagt wurden, obwohl die Zahl der Vergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien auf 20.000 geschätzt wird. Ziel der systematisch betriebenen Übergriffe ist es, der Gesamtbevölkerung der Gegenseite zu schaden – auch langfristig, weil die Reproduktionsfähigkeit beschädigt wird, etwa wenn in bestimmten Kulturen die Frau als Heiratspartnerin nach einer Vergewaltigung nicht mehr infrage kommt. Es wird also nicht nur der einzelnen Frau mit diesem Kriegsverbrechen geschadet, sondern der ganzen Gruppe.

4. Was ist mit der Carearbeit?

Dadurch, dass größtenteils Männer eingezogen werden sowie Haushaltseinkommen schrumpfen, gibt es starke Veränderungen in der Verteilung der Hausarbeit sowie auf dem Arbeitsmarkt. Kurzum: Frauen agieren hierbei als flexible Reservearmee von Arbeitskräften, die je nach Situation aktiv einbezogen oder isoliert werden. Der Grund dafür ist vor allem die Organisierung der Reproduktionsarbeit. Diese ändert sich ebenfalls im Rahmen des Krieges. Denn in einem Land, was angegriffen wird, wird massiv Infrastruktur zerstört. Alle Bereiche der Pflege und Kindererziehung fallen somit meist auf Frauen zurück – und das findet unter schlechteren Verhältnissen statt. Nach dem Krieg ändert sich das nicht unmittelbar, da die Zahl von Verletzten auch gestiegen ist.

Kurzum: die Doppelbelastung von Frauen, die ohnedies existiert, wird massiv verstärkt. Doch nicht nur in angegriffenen Ländern verändert sich die Situation. So hatten bspw. die USA im Zweiten Weltkrieg die Möglichkeit, um die Waffenproduktion am Laufen zu halten, Teile der Carearbeit zeitweise zu „sozialisieren“. Dies fand beispielsweise 1942  im Rahmen des Community Facilities Act (auch Lanham Act genannt) statt. Im Rahmen dieses Gesetzes hatten alle Familien (unabhängig vom Einkommen) Anspruch auf Kinderbetreuung, teilweise bis zu sechs Tage in der Woche, einschließlich der Sommermonate und der Ferien. So wurden die ersten Kinderbetreuungseinrichtungen der US-Regierung und sieben Einrichtungen für 105.000 Kinder gebaut. Dies scheint nach heutigen Maßstäben recht wenig zu sein, ist aber ein Ausdruck, was möglich ist: Statt die Reproduktionsarbeit ins Private zu verlagern, wurden Teilbereiche öffentlich organisiert – also verstaatlicht („vergesellschaftet“), da Frauen als Arbeitskräfte benötigt wurden. Dieses Angebot blieb natürlich nicht ewig bestehen. Nach Ende des Krieges und der Rückkehr der Männer von der Front wurden die Angebote wieder gestrichen, um Kosten zu sparen.

5. Trifft Krieg  alle gleich?

Insgesamt ist es wichtig anzuerkennen, dass wie bei Gewalt die Auswirkungen von Krieg alle Frauen treffen. Aber eben nicht gleich. Frauen aus der Arbeiter:innenklasse, alle mit niedrigen Einkommen, sind den Folgen wesentlich stärker ausgesetzt, da sie keinen finanziellen Spielraum haben, Preissteigerungen auszugleichen oder zu fliehen. Dementsprechend kann auch nicht in der „Einheit“ aller Frauen die Antwort auf den Kampf gegen den Krieg bestehen. Vor allem nicht mit der Argumentation, dass Frauen friedliebender als Männer sind. Dies ist nur eine Fortführung von tradierten Rollenbildern, die auf die Müllhalde der Geschichte gehören. Wie am Anfang schon gesagt: Krieg wird nicht durch toxische Männlichkeit oder „verrückte Diktatoren“ vom Zaun gebrochen und geführt. Um Krieg effektiv zu bekämpfen, ist es aber zentral, ihn als Ergebnis von Klassengegensätzen und der internationalen Konkurrenz unterschiedlicher, nationaler Kapitalfraktionen zu verstehen. Wenn Frauen dann einfach nur dieses System mit verwalten oder glauben, dass Krieg vermeidbar sei, wenn man mehr miteinander redet, dann bietet das keine Lösung für irgendein Problem – weder zur Bekämpfung von Krieg noch dessen Auswirkungen auf die Frauenunterdrückung. Effektiver Widerstand muss aktuelle Probleme aufgreifen und deren Bekämpfung mit der Beseitigung ihrer Ursache – des Kapitalismus – verbinden, um erfolgreich zu sein.




Antikriegsbewegung in Russland

Jaqueline Katherina Singh, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung 11, März 2023

Ein Jahr seit Beginn des Angriffskrieges – und das Regime Putins scheint nicht zu bröckeln, ja nicht mal kleine Risse zu bekommen. Doch die Fassade täuscht, denn der Druck, den Krieg gewinnen zu müssen, wächst stetig für die russische Regierung. Zwar wurde am Jahresanfang seitens Putins, aber auch der internationalen Gemeinschaft festgestellt, dass die Sanktionen die Nation nicht so stark treffen, wie es sich manch eine/r erhofft hat.

Dennoch ist das Loch im russischen Haushalt nicht besonders klein. Russland verkauft bereits Devisen im Wert von 8,9 Milliarden Rubel (gut 112 Millionen Euro) pro Tag, um das Defizit zu decken. Auch Goldreserven werden veräußert. Die Zentralbank hat zuletzt davor gewarnt, dass ein hohes Defizit die Inflation anheizen könnte. Sie wäre dadurch zu Zinserhöhungen gezwungen, die wiederum die Konjunktur belasten würden. Es kann also nicht ewig so bleiben. Doch wie kann der Krieg beendet werden? Und welchen Widerstand gibt es überhaupt?

Ein grober Überblick

Die Kritiker:innen des Krieges kommen aus allen politischen Spektren in Russland, denn nur die wenigsten profitieren von der sogenannten „Spezialoperation“. So gab es unmittelbar nach dem Einmarsch Petitionen und Positionierungen von bekannten Personen der russischen Öffentlichkeit gegen den Krieg. Aber auch aus der breiteren Bevölkerung kamen offene Briefe wie beispielsweise einer aus der IT-Branche, der von rund 30.000 Beschäftigten unterzeichnet wurde.

Es folgten Aktionen von Künstler:innen wie des Kollektivs Nevoina aus Samara oder die anonyme Bewegung „Krankschreibung gegen den Krieg“. Die größten koordinierten Aktivitäten stellten die Aktionstage am 6. und 13. März 2022 sowie im September dar. Trotz dieser Unternehmungen ist es jedoch bisher nicht gelungen, eine breite Antikriegsbewegung aufzubauen. Die Gründe dafür sind zahlreich.

Chronik der Repression

Die Aktivist:innen selber erleiden seit dem ersten Tag des Krieges eine massive Repression seitens des russischen Staates. Das Versammlungsrecht war bereits vor dem Krieg drastisch eingeschränkt worden. Neben massiver Polizeigewalt gab es bis zum 13. März 14.000 Festnahmen. Diese Ordnungsverwahrungen endeten zwar häufig nach 10 – 15 Tagen, jedoch wurde auch vereinzelt von Fällen berichtet, bei denen Festgenommene gefoltert wurden. Das Ziel seitens des russischen Staatsapparates war von Beginn an, die Proteste im Keim zu ersticken.

So gab es für das gesamte Jahr 2022 laut OVD-Info mehr als 21.000 Festnahmen sowie mindestens 370 Angeklagte in Strafverfahren wegen Antikriegsäußerungen und -reden. Mehr als 200.000 Internetressourcen wurden gesperrt und 11 Urteile wegen Staatsverrats verhängt. Darüber hinaus haben Behörden bestätigt, dass bisher 141 Personen wegen Teilnahme an Antikriegsprotesten mittels Gesichtserkennungssystemen (z. B. in der Moskauer U-Bahn) ermittelt wurden.

Mit der massiven Repression hatte das Putinregime bisher Erfolg. Die Proteste wurden klein gehalten, große Teile der Bevölkerung eingeschüchtert und wichtige Aktivist:innen für den Widerstand haben mit Repression zu kämpfen oder mussten fliehen. Die Oppositionsgruppen haben in dieser Situation Aufrufe zu öffentlichen Kundgebungen eingestellt, weil sie beim aktuellen Kräfteverhältnis nur zum Verheizen der Aktivist:innen führen würden.

Weitere Gründe für diese Schwäche

Doch nicht nur die Repression alleine erschwert den Aufbau einer Antikriegsbewegung. Hinzu kommen zwei weitere Gründe, die wir nur kurz anreißen können:

a) Fehlende Programmatik und Klarheit

Die eher autonom geprägte Gruppe „Alt-Left“ ging in ihrer Auswertung des Aktionstags am 13. März 2022 davon aus, dass die Führung der Bewegung eine liberale Prägung habe und es in der Bevölkerung eine mehrheitliche Unterstützung für die „Spezialoperation“ und eine starke Zunahme des Nationalismus gebe. Das ist natürlich ein Ergebnis von Putins Propagandahoheit, aber auch der Tiefe der historischen Niederlage, die mit der Restauration des Kapitalismus einherging, und einer Linken, die an sich selbst den Zusammenbruch des Stalinismus erfuhr und sich und die Arbeiter:innenklasse bisher nicht so reorganisieren konnte, dass sie einen alternativen gesellschaftlichen Pol gegen Putin darstellen. Teile der „linken“ Kräfte – insbesondere die Spitzen der KPR und der offiziellen Gewerkschaften – unterstützen Putins Krieg. Andere nehmen keine klare Position ein, erkennen das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine grundsätzlich nicht an oder betrachten Russland nicht als imperialistische Kraft. All das hat verhindert, dass sich ein klarer antikapitalistischer und antiimperialistischer Pol in der Bewegung bildete.

b) Mangelnde Verankerung

Weiterhin fehlt eine Verankerung der radikalen, gegen das Regime gerichteten Linken innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Letztere ist massenhaft vor allem in der staatstragenden Gewerkschaftsföderation organisiert und durch diese kontrolliert. Die aktuellen Proteste können sich somit richtigerweise gegen den Krieg Russlands richten, aber darüber hinaus können sie in ihrem aktuellen Ausmaß nur die Keimform einer breiten Antikriegsbewegung darstellen. Davon, den Krieg stoppen zu können, sind sie weit entfernt. Die Linke ist marginalisiert, die Arbeiter:innenklasse tritt nicht als eigenständige Kraft auf.

Rolle von Frauen

Doch nicht alles ist aussichtslos. Von Anfang an bildeten Frauen eine treibende Kraft der Antikriegsbewegung. OVD-Info verzeichnete, dass zwischen dem 24. Februar und 12. Dezember mindestens 8.500 Administrativverhaftungen von Frauen wegen Äußerungen von Antikriegspositionen in verschiedenen Formen stattfanden, was etwa 45 % aller bekannten Inhaftierten entspricht.

In den letzten Jahren ist der Anteil der bei Kundgebungen festgenommenen Frauen deutlich gestiegen: 2021 betrug er bei solchen zur Unterstützung von Alexei Nawalny 25 – 31 % und 2022 dort nach Ankündigung der Mobilisierung am 21. und 24. September 51 % bzw. 71 %. Der Autor und Herausgeber Ewgeniy Kasakow kommt im Buch „Spezialoperation und Frieden – Die russische Linke gegen den Krieg“ zur Schlussfolgerung, dass das feministische Spektrum das bestorganisierte in der aktuellen Situation sei. Das liegt seiner Einschätzung nach daran, dass es im Gegensatz zur restlichen Linken am wenigsten gespalten in der Frage der Ukraine gewesen sei. Zum anderen schaffte es am schnellsten, „horizontale Strukturen“ auszubilden, und war somit in der Lage, zu unterschiedlichen Fragen Agitationsmaterialien zu erstellen und Solidaritätskampagnen zu organisieren. Die größte nachvollziehbare Kraft stellt dabei das Netzwerk Feministischer Antikriegswiderstand dar, das aktuell auch die stärkste im Kampf gegen Krieg auszumachen scheint.

Das Feministische Antikriegswiderstand (FAS)

So gab es am 8. März 2022 in über 90 Städten stille Proteste, bei denen Blumen vor Denkmäler gelegt wurden wie beispielsweise einem Wandgemälde in der Kiewer U-Bahnstation in Moskau, das für die russisch-ukrainische Freundschaft steht. Was sich nach einer Kleinigkeit anhört, führte jedoch allein in Moskau zur Verhaftung von 90 Personen und zeigt, wie gering der Spielraum für Proteste ist.

Um so positiver ist es, die Aktivitäten der FAS über die letzten Monate zu verfolgen: Neben der Sammlung von Spenden für ukrainische Geflüchtete, der Unterstützung von nach Russland Abgeschobenen hat sie mehr als 10 Ausgaben der Printzeitung Zhenskaya Pravda (Frauenwahrheit) herausgegeben, mit der sie vom Staat unabhängige Informationen über den Krieg gewährleistet.

Ebenso finden sich Artikel wieder, die thematisieren, wie Söhne vor der Armee geschützt werden können oder sich der Krieg auf das Familienbudget und die Wirtschaft Russlands auswirkt. Auf Teletype veröffentlicht sie regelmäßig Zwischenberichte ihrer Arbeit sowie Reden von einzelnen Koordinator:innen des Netzwerks. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag in der Agitation gegen den Krieg und beweist flexibles Nutzen von Onlineaktivismus und illegaler Arbeit, die nicht nur auf Onlinemedien basieren kann.

Positionen

Klar sollte sein, dass das Netzwerk keine total homogene Struktur verkörpert, die auf Basis eines tiefer gehendenen einheitlichen Programms agiert. Es dient als Sammelbecken für linke wie auch liberale Aktivist:innen in Russland und international, die auch unterschiedliche Einschätzungen bezüglich des Charakters Russlands im Weltgefüge vertreten. Dennoch hat es am 25. Februar ein Manifest veröffentlicht, das mittlerweile in über 20 Sprachen verfügbar ist. Dort bezieht es klar Stellung zum Krieg und schreibt: „Russland hat seinem Nachbarn den Krieg erklärt. Es hat der Ukraine weder das Recht auf Selbstbestimmung noch irgendeine Hoffnung auf ein friedliches Leben zugestanden. Wir erklären – und das nicht zum ersten Mal –, dass der Krieg in den letzten acht Jahren auf Initiative der russischen Regierung geführt wurde. Der Krieg im Donbas ist eine Folge der illegalen Annexion der Krim. Wir glauben, dass Russland und sein Präsident sich nicht um das Schicksal der Menschen in Luhansk und Donezk kümmern und gekümmert haben und dass die Anerkennung der Republiken nach acht Jahren nur ein Vorwand für den Einmarsch in die Ukraine unter dem Deckmantel der Befreiung war.“

Angesichts des russischen Angriffskrieges ist die klare Positionierung der FAS essentiell und unterstützenswert. Im Späteren wurde ergänzt, wem die FAS hilft, wie Unterstützung aussehen kann. Ferner wurden 9 konkretere Forderungen zum Krieg verabschiedet. Auch hier halten wir den Großteil für sinnvoll wie die Ablehnung des bloßen Pazifismus, die Amtsenthebung Putins und aller beteiligten Beamt:innen. Doch sehen wir auch Sachen anders wie beispielsweise in der ersten Forderung: „Für den vollständigen Abzug der russischen Truppen aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine und die Rückgabe aller besetzten Gebiete an die Ukraine (Wiederherstellung innerhalb der Grenzen bis 2014)“.

Wir unterstützen den sofortigen Abzug russischer Truppen, treten jedoch dafür ein, dass die Bevölkerung der Krim sowie der Volksrepubliken unabhängig vom russischen wie vom ukrainischen Staat selbst Referenden organisiert, welchem Gebiet sie sich anschließen will – mit dem Recht, egal wie die Entscheidung ausfällt, Sprache etc. der jeweiligen Minderheit zu schützen.

Veränderung ist möglich

In einem Blogbeitrag beschreibt die FAS die unterschiedlichen Stadien von Antikriegskampagnen und wirft dabei die Frage auf: „In welcher Phase befinden wir uns Ihrer Meinung nach? Wie kann man den Beginn der dritten, vierten und fünften Stufe beschleunigen?“ Besagte Stadien stellen dabei 3. die „Wachstumsphase der Unterstützung“, bei der die Unterstützung über den Kern der aktiven Gruppen hinaus zunimmt und sich das 4. „Stadium der Meinungsbildung“ entwickelt, bei dem die Antikriegsposition in breiten Teilen der Bevölkerung diskutiert wird, hin zum 5. „Stadium der politischen Stärke“, wo beispielsweise der Beginn oder die aktive Wiederaufnahme von Verhandlungen anstehen sowie kleine Zugeständnisse an die Antikriegsbewegung erfolgen.

Manche Lesende werden jetzt vielleicht stutzig werden, da sie sich unter „politischer Stärke“ wahrscheinlich etwas anderes vorgestellt haben. Dem liegt folgende Aussage zugrunde: „Fast alle Forscher sind sich einig, dass die Antikriegskampagne selbst den Krieg nicht beendet: Kriege enden aus anderen Gründen, zu denen neben wirtschaftlicher Erschöpfung auch die Unbeliebtheit und Nichtunterstützung des Krieges in der Gesellschaft gehören. Es sind Kampagnen, die den Grad dieser Unterstützung verändern können, indem sie die Basis von Kriegsgegnern ständig erweitern und neue Menschen in die Bewegung einbeziehen.“

Richtig mag sein, dass Kampagnen nicht Kriege beenden. Dennoch können aus ihnen politische Kräfte entstehen, die sich als Organisationen oder Parteien formen, die eben dies tun. Denn vor allem, wenn das Ziel unter anderem auch die Amtsenthebung Putins sein soll, braucht es eine Kraft, die klar als Alternative auftreten kann.

Doch kommen wir zurück zur eigentlichen Frage: Wie kann die Antikriegskampagne ausgeweitet werden? Diese ist eng verknüpft damit, wen man als Subjekt der Veränderung betrachtet. Dabei glauben wir, dass der Begriff der „Zivilgesellschaft“ nicht hilft, da er das Bild zeichnet, dass zum einen viele Teile der Bevölkerung gleichgestellt sind, zum anderen keine wirkliche Unterscheidung zwischen NGOs, Initiativen und Individuen getroffen wird. Die „Zivilgesellschaft“ in ihrer Gesamtheit besteht aus Schichten, die letztlich entgegengesetzt Klasseninteressen haben können – was es schwierig macht, klare Forderungen zu entwickeln, und den gemeinsamen Kampf notwendigerweise auf eine Reform des bürgerlichen Systems beschränken muss.

Als Marxist:innen gehen wir davon aus, dass die Arbeiter:innenklasse das zentrale Subjekt der Veränderung darstellt. Dabei gehen wir davon aus, dass das Bild der Arbeiter:innenbewegung als Darstellung weißer Männer in Blaumännern der Realität nicht gerecht wird. Schauen wir uns die Arbeiter:innenklasse international an, dann ist sie multiethnisch und divers in ihren Geschlechtsidentitäten. Es geht also nicht um die Frage, Unterdrückung zu verleugnen, sondern die Kämpfe miteinander zu verbinden.

Die Arbeiter:innenklasse als solche ist aufgrund ihrer Rolle im Produktionsprozess relevant. Durch die Fähigkeit zu streiken, also die Produktion lahmzulegen, sitzt sie an einem effektiven Hebel, dem Krieg sowohl den Geldhahn als auch praktisch die Mittel abzudrehen. Ein Blick zurück in die russische Geschichte zeigt, welche Schlüsselrolle die Arbeiter:innenklasse – und insbesondere Frauen – einnehmen können, um Kriege zu beenden. Die Antwort auf die Frage, wie die Antikriegskampagne ausgeweitet werden kann, lautet für uns also: Wie können die Arbeiter:innen für eine Antikriegspolitik gewonnen werden? Und welche politischen Ziele sind damit verknüpft? Soll nämlich der Kampf gegen den Krieg zum Sturz des russischen Imperialismus auswachsen, so muss er für die Errichtung einer revolutionären Arbeiter:innenregierung geführt werden.

Wie kann es weitergehen?

Die FAS vertritt eine solche Perspektive nicht. Unsere Kritik bedeutet natürlich nicht, dass wir sie im Kampf gegen die Kriegspolitik nicht unterstützen würden. Im Gegenteil, wir suchen diese Diskussion mit den Aktivist:innen und Genoss:innen.

Darüber hinaus ist auch hervorzuheben, dass die FAS auch wichtige klassenpolitische Forderungen erhebt. So heißt es:

„Wir kämpfen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen für alle und für die Einhaltung der Arbeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Mit Beginn des Krieges steigt die Zahl der Entlassenen und Arbeitslosen. Die Arbeitgeber nutzen ihre Macht und ihren Druck, um Arbeitnehmer für ihre Antikriegshaltung zu bestrafen. Die ersten Leidtragenden der Kürzungen im Arbeitsrecht sind die Frauen!* und die sogenannten nationalen Minderheiten, Migranten. Wir unterstützen die Arbeit unabhängiger Gewerkschaften und Streiks.“

Wir halten diese Positionierung für sinnvoll, da der Krieg, wie die FAS feststellt, für eine Verschlechterung der Lebensbedingungen vieler sorgt. Um mehr Elemente für eine Antikriegsposition zu gewinnen, müssen aktuelle Probleme wie Lohnkürzungen sowie ausbleibende Lohnzahlungen und steigende Lebensunterhaltungskosten direkt angesprochen und mit Forderungen für konkrete Verbesserungen verbunden werden.

Dabei ist es sinnvoll, selbst die regimetreuen Gewerkschaften aufzufordern, um diese Fragen aktiv zu werden, statt stumme Burgfriedenspolitik zu betreiben. Dies dient vor allem dazu, diejenigen, die zum einen Illusionen frönen, dass ihre Gewerkschaft etwas für sie tut, wegzubrechen, zum anderen jenen, die sie als bloße Kulturinstitution verstehen, aufzuzeigen, dass sie ein Ort des gemeinsamen Kampfes sein muss.

Dies sollte kombiniert werden mit kleineren Aktivitäten in Betrieben, wo über die Aufforderungen diskutiert werden kann. Die aktuelle Repression erschwert es, dies offen und öffentlich mit der Frage des Krieges zu verbinden oder schnell in Mobilisierungen umzuwandeln. Jedoch muss es Ziel sein, die Unzufriedenheit zu schüren, um sie schließlich produktiv zu nutzen.

Perspektivisch könnte das Ziel darin bestehen, einen gemeinsamen, branchenübergreifenden Aktionstag beispielsweise unter dem Motto „Gegen die Krise!“ für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu organisieren, der a) als Überprüfung dienen kann, wie viele bereit sind, auf die Straße zu gehen, und b) genutzt werden kann, Kämpfe miteinander zu verbinden.

Denn man sollte sich bewusst sein: Chauvinismus gegenüber Ukrainer:innen, Sexismus und LGBTIA+-Diskriminierung werden in der breiten Bevölkerung nicht einfach so verschwinden, nur weil die Situation durch den Krieg schlechter wird. Unmittelbar droht sogar eine Zunahme. Der Schlüssel liegt jedoch weder darin, dies zu ignorieren, noch eine vollkommende Solidarität zur Vorbedingung eines gemeinsamen Kampfes zu machen.

Vielmehr muss im Rahmen von Kämpfen für Verbesserungen gezeigt werden, dass man gemeinsame Interessen hat, während gleichzeitig in den Strukturen Schutzräume für gesellschaftlich Unterdrückte wie Caucuses geschaffen werden sollten. Ebenso wird die Arbeit zurzeit dadurch erschwert, dass die Gewerkschaften dem Krieg recht passiv gegenüberstehen. Aber gerade deswegen ist es wichtig, sie herauszufordern, was nicht gegen die bereits existierende Arbeit gestellt werden sollte, die die FAS betreibt, da diese auch die Grundlage schafft, Gehör zu finden.

Internationale Solidarität statt Isolation

Die Aktivist:innen der russischen Antikriegsbewegung spielen eine Schlüsselrolle bei der Beendigung des Krieges. Hierzulande sollten wir uns dafür einsetzen, dass a) die eigene Kriegstreiberei nicht das Bild einer russischen Bevölkerung zeichnet, die komplett Putin unterstützt. Wer das so sieht, leugnet nicht nur die Realität und unterstützt weitere mögliche Kriegstreiberei, sondern verpasst die Chance, den Widerstand zu stärken. Wir sollten b) fortschrittliche Kräfte wie die FAS in ihrer Oppositionsarbeit unterstützen, c) gegen die Sanktionen gegenüber der russischen Bevölkerung auf die Straße gehen, da diese vor allem ihre Lebensbedingungen verschlechtern, während wir gleichzeitig das Selbstverteidigungsrecht der Ukrainer:innen anerkennen.

Darüber hinaus bedarf es einer Strategiedebatte, die international geführt werden muss. Dies bedeutet zum einen, von Aktivist:innen aus Russland zu lernen, insbesondere wie politische Arbeit in der aktuellen Situation möglich ist. Auf der anderen Seite bedarf es auch inhaltlicher Debatten über die Fragen des Charakters des russischen Regimes im imperialistischen Weltsystem, des Krieges und der Strategie, wie er beendet werden kann.




Ein Jahr Krieg in der Ukraine

Dave Stockton, Infomail 1214, 24. Februar 2023

Auf den 23. und 24. Februar fällt der erste Jahrestag des Ukrainekrieges von Wladimir Putin. In dieser Nacht starteten 190.000 russische Streitkräfte einen massiven Angriff auf das Land. Ihr Ziel war es, die Hauptstadt zu besetzen, die Regierung zu stürzen und das Volk zu überwältigen. Staatspräsident Putin nannte es eine „militärische Spezialoperation“. In Wirklichkeit handelte es sich um einen Angriffskrieg, der seinen Namen nicht auszusprechen wagte, zumindest nicht gegenüber den russischen Bürger:innen.

Er behauptete, das Ziel sei die „Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine“ und die „Sicherung ihres neutralen Status’“. In Wirklichkeit glaubte niemand außer Putinapologet:innen und verrückten Verschwörungsjunkies, dass das Land von Nazis regiert wurde. Er war weit entfernt von einer neutralen Ukraine und wollte das Land in eine Kolonie Russlands verwandeln. Zu diesem Zweck hatte er mehrere Aufsätze verfasst und Reden gehalten, in denen er bestritt, dass die Ukraine jemals eine „echte Staatlichkeit“ besessen habe und dass sie ein integraler Bestandteil von Russlands „eigener Geschichte, Kultur und geistigem Raum“ sei.

Doch innerhalb eines Monats scheiterte der Versuch, Kiew einzukesseln und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu töten oder gefangen zu nehmen, unter großen Verlusten an Menschenleben und militärischer Ausrüstung. Offensichtlich hatten die Ausrüstungslieferungen und Ausbildung seitens der NATO seit 2014 die Kampfkraft der ukrainischen Streitkräfte erhöht – insbesondere im Vergleich zu ihren Leistungen bei den Kämpfen im Osten in den Jahren 2014 – 2015. Der Faktor „Moral“ ist in einem Krieg von enormer Bedeutung, und der Umstand, dass die Ukrainer:innen ihr eigenes Land verteidigten, spielte eine äußerst wichtige Rolle.

Putin hat keines seiner Hauptziele erreicht. Er hat keinen Regimewechsel in der Ukraine herbeigeführt und weder Kiew noch die zweitgrößte Stadt, Charkiw, die für russische Angriffe sehr anfällig ist, erobert. Er hat auch nicht die Expansion der NATO gestoppt, ganz im Gegenteil: Sie expandiert in die baltischen Staaten, in historisch neutrale Länder: Schweden und Finnland. Im September begann das ukrainische Militär mit Gegenoffensiven und konnte bis Ende 2022 mehr als die Hälfte des im letzten Jahr an Russland verlorenen Gebiets zurückerobern.

Der Gegenstoß des Westens gegen Putin war viel stärker, als er sich vorgestellt hat. Weit davon entfernt, sich von der Flut ukrainischer Flüchtlinge abschrecken zu lassen, haben Deutschland eine Million und Polen anderthalb Millionen aufgenommen, während Großbritannien magere 85.000 aufgenommen hat. Die Regierung Biden und der US-Kongress haben der Ukraine fast 50 Milliarden US-Dollar an Unterstützung zukommen lassen, davon 50 % militärisch, 30 % finanziell und 20 % humanitär. Die EU hat 32 Milliarden Euro zu den Finanzen der Ukraine beigetragen.

Massive militärische Unterstützung wurde in erstaunlicher Geschwindigkeit bereitgestellt. Es wurden Sanktionen verhängt und eine Abkehr von der russischen Energieversorgung eingeleitet. Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping hat Putin kaum mehr als rhetorische Unterstützung angeboten, und auch das nicht ausdrücklich für seinen Krieg. Er hat Russland keine Waffen geliefert und es vermieden, die globale Sanktionsverhängung zu verletzen.

Dennoch hat der Krieg enormen Schaden angerichtet. Am 23. Januar 2023 veröffentlichte das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCR) Zahlen von 7.068 registrierten zivilen Toten und 18.483 Verletzten, warnte aber, dass die tatsächliche Zahl noch wesentlich höher liegen würde. Zwischen 10.000 und 13.000 ukrainische Soldat:innen wurden getötet und eine weitaus höhere Zahl an Russ:innen; offizielle Zahlen wurden von russischer Seite jedoch nicht vorgelegt.

Nach Angaben des Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen sind bis zum 16. Januar 2023 7.977.980 Menschen aus der Ukraine in europäische Länder geflohen. Dies entspricht etwa 19 % der ukrainischen Bevölkerung. Darüber hinaus sind schätzungsweise 8 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben worden.

Neben dem menschlichen Leid wurden auch große Teile der Infrastruktur des Landes, Wohnungen, Krankenhäuser, Schulen, Fabriken, Eisenbahnen und Brücken mutwillig zerstört. Etwa 135.800 Wohngebäude waren von Beschädigungen  betroffen oder sind nicht mehr zu reparieren, darunter 119.900 Einzelhäuser und 15.600 Mehrfamilienhäuser, mindestens 7 % des gesamten Wohnungsbestands. Mitte Dezember meldeten die Vereinten Nationen, dass die Hälfte der Energieinfrastruktur des Landes lahmgelegt worden war. Die Zerstörung eines neunstöckigen Wohnblocks in Dnipro (füher: Dnipropetrowsk), der durch eine Rakete in zwei Hälften gesprengt wurde und 29 Tote, 73 Verletzte und weitere unter den Trümmern Eingeschlossene hinterließ, verkörpert nur die jüngste Grausamkeit.

Ein Kampf der „Imperien“

Obwohl Russland unter seinem autokratischen Führer Wladimir Putin eindeutig der Aggressor ist und die Ukrainer:innen, die sich in großer Zahl zur Verteidigung ihres Landes versammelt haben, jedes Recht haben, zurückzuschlagen und den Eindringling aus ihrem Land zu vertreiben, liegt die Schuld an diesem tragischen Krieg nicht bei einem einzigen Mann oder Land.

Hinter dem Konflikt steht auf beiden Seiten die Konfrontation zwischen den wichtigsten Großmächten auf europäischen Boden mit ihren Industrien, die in der Lage sind, immer mehr Tötungsmaschinen zu produzieren. Dies ermöglicht einen Krieg von sehr langer Dauer und in der Tat eine zunehmende Eskalation, was die Art der Waffen betrifft, bis hin zu so genannten (taktischen) „Schlachtfeld“atomwaffen.

Dieser Konflikt ist nicht aus „alten nationalen Antagonismen“ oder einem Kampf der Kulturen entstanden, sondern aus einer Krise des imperialistischen Weltsystems. Seit der Großen Rezession von 2008 hat die globalisierte kapitalistische Wirtschaft insgesamt an Dynamik eingebüßt. Gleichzeitig hat China eine stärkere Position gegenüber den USA eingenommen, die nun nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch die Konkurrenz zurückdrängen.

Lenin nannte es einen Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten. Der ist wieder im Gange und wird den Charakter der gesamten kommenden Periode bestimmen. Unabhängig davon, ob der Ukrainekrieg kurzfristig mit einer Verschärfung des Taiwankonflikts einhergeht oder nicht, sind wir in eine neue Periode verstärkter militärischer Konfrontation eingetreten, die die bisherige wirtschaftliche Konkurrenz der Globalisierung auf eine neue Ebene hebt.

Trotz seiner rücksichtslosen Unterdrückung der Opposition im eigenen Land und seines skrupellosen Vorgehens in der Ukraine und davor in Tschetschenien, Syrien usw. kann das Putinregime im marxistischen Sinne nicht als faschistisch gelten. Es ist ein bonapartistisches Regime, das sich über das parlamentarische System erhebt, die Wahlen zu einem reinen Beliebtheitsplebiszit für den großen Führer macht und die verschiedenen Wellen von Straßenprotesten unterdrückt, die es gegeben hat.

Im Dezember 2011 kam es in Dutzenden von Städten zu Massenprotesten gegen die offenkundig gefälschten Wahlen zur Duma. Es folgten weitere Proteste im Jahr 2017, ausgelöst durch den Vergiftungsversuch und die anschließende Inhaftierung von Alexei Nawalny. Die farbigen Revolutionen der ersten Jahre dieses Jahrhunderts und die Umwälzungen in der Ukraine und Belarus (Weißrussland) sind die Albträume, mit denen Putin lebt. Seine Antwort darauf ist die Ermordung seiner Gegner:innen und ein zunehmend totalitäres Polizeiregime.

Dieses Regime ist ein Kind der neoliberalen Schocktherapie, die nach dem Sturz der stalinistischen kommunistischen Partei und dem Zerfall der Sowjetunion aus dem Westen importiert wurde. Dadurch wurden etwa 50 % der russischen Produktionskapazitäten vernichtet, was zu größerem und längerem Leid führte als die Große Depression in den USA, die 1929 begann. Die Privatisierung brachte die so genannten Oligarch:innen hervor: Männer wie Wladimir Gusinsky, Boris Beresowski und Michail Chodorkowski, die sagenhaft reich wurden.

Sie dachten, sie könnten Russland bis in alle Ewigkeit regieren, aber als der gealterte und unfähige Jelzin einen ehemaligen KGB-Agenten, Wladimir Putin, zu seinem Nachfolger ernannte, trafen sie endlich auf ihren Meister. Putins Lebenswerk bestand darin, die politische Macht des Staates in Russland und seinen internationalen Status als „Großmacht“ wiederherzustellen, und zwar nicht nur in den Regionen, die formell zur UdSSR gehörten, sondern auch in den Ländern auf der ganzen Welt, die während des Kalten Krieges auf den Schutz Russlands gesetzt hatten.

Putin verdrängte die alten Oligarchen und brachte neue ins Spiel, Männer, die durch staatliche Aufträge aus den wieder verstaatlichten Rohstoffindustrien reich geworden sind: Yukos, Lukoil, Rosneft und Norilsk Nickel. Sein engster Kreis besteht aus Mitgliedern des KGB-Nachfolgers FSB (Föderaler Sicherheitsdienst der Russischen Föderation), die als „Silowiki“ bekannt sind, was im übertragenen Sinn „Männer der Macht“ bedeutet. Einer der engsten Vertrauten Putins ist Igor Setschin, Vorsitzender und Geschäftsführer des staatlich kontrollierten Ölkonzerns Rosneft, des größten Unternehmens Russlands, das rund 6 % des weltweiten Ölvorkommens fördert und 300.000 Menschen beschäftigt.

Die enormen Gewinne aus den russischen Öl- und Gaslieferungen, die Konzentration in riesigen Kapitalblöcken sowie das Erbe der Sowjetunion mit einer riesigen Armee und Rüstungsindustrie, Atomwaffen und einem Sitz im UN-Sicherheitsrat mit Vetorecht ermöglichten es Russland, in den Club der imperialistischen Mächte aufgenommen zu werden.

Aber jeder Imperialismus muss expansiv sein, wenn er sich wirtschaftlich und geostrategisch gegen seine Rival:innen behaupten will. Für eine kurze Zeit hoffte Putin, wie die glücklosen Amtsvorgänger Gorbatschow und Jelzin, dass die Rückkehr Russlands in die Rolle einer Großmacht mit Hilfe von Paris und Berlin mit Washington ausgehandelt werden könnte.

Die USA machten jedoch schon bald durch die Ausweitung der NATO und der EU nach Osteuropa und die Invasion in Afghanistan, Irak usw. deutlich, dass sie nicht zulassen würden, dass Moskau die dominierende Macht wird, auch nicht im „Hinterhof“. Hinzu kam die Einmischung der USA in die so genannten farbigen Revolutionen und die Befürchtung, dass diese Taktik auch auf Putin angewendet werden könnte. Also machte dieser sich auf den Weg, um auf seinen Einzug in den Club der Großmächte zu drängen.

Die USA nutzen den Vorteil

Joe Biden führt den Konflikt des Westens gegen Putin an und „macht Amerika wieder groß“, viel effektiver, als Trump es je getan hat. Die massive Unterstützung des westlichen Imperialismus für die Ukraine ist nicht durch die Verteidigung demokratischer Werte oder die Bildung eines „Lagers“ gegen die Autokratie motiviert. Es gibt zu viele Autokraten in Bidens Lager (die Herrscher von Saudi-Arabien, Ägypten usw.), um diese Behauptung glaubhaft zu machen, außer für diejenigen, die sich täuschen lassen wollen.

Der Westen nutzt die Ukraine als eine Art Stellvertreterkrieg gegen Putin und sendet so an Xi Jinping und China eine ernste Warnung. Aus gutem Grund, nicht zuletzt weil Russland die zweitstärkste Atommacht der Welt ist, erfolgt keine direkte Beteiligung von NATO-Truppen.

Dennoch sind der Wirtschaftskrieg gegen Russland und das Ausmaß der wirtschaftlichen, logistischen und waffentechnischen Unterstützung für die Ukraine von beispiellosem Ausmaß für einen solchen Konflikt.

Die Aufrüstungsprogramme aller NATO-Staaten, auch des einst zögerlichen Deutschlands, werden verstärkt. In Verbindung mit den Wirtschaftssanktionen kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass der westliche Imperialismus den ukrainischen Verteidigungskrieg nutzt, um seinen russischen Rivalen entscheidend zu schwächen. Er wurde auch als günstige Gelegenheit ergriffen, die führenden imperialistischen Mächte der EU, Deutschland, Frankreich und Italien, in diese Konfrontation hineinzuziehen.

Deshalb müssen wir in den westlichen imperialistischen Staaten dagegen kämpfen, das Recht aus Selbstverteidigung der Ukraine als Vorwand zu missbrauchen, dass auf ukrainischem Boden ein zwischenimperialistischer Stellvertreterkrieg geführt wird. Wir müssen auch gegen die eskalierenden Waffenlieferungen für die an Russland angrenzenden NATO-Staaten Stellung beziehen. Selbst die Waffenlieferungen an die Ukraine, die zumindest in einem tatsächlichen Krieg benötigt werden, sind von denen, die sie schicken, darauf ausgelegt, Russland unterzuordnen, nicht die Ukraine zu befreien.

Ebenso ist die Selenskyjregierung trotz des berechtigten Widerstands gegen eine russische Annexion der gesamten Ukraine oder von Teilen davon aufgrund ihrer enormen Abhängigkeit von Waffenlieferungen der NATO sowie von Ausbildung und Geheimdienstinformationen der CIA und des Pentagons ihren Hinterleuten und deren Kriegszielen ausgeliefert. Aus diesem Grund müssen sich revolutionäre Sozialist:innen dem Kriegstreiben ihrer Regierungen in den NATO-Ländern entgegenstellen.

Auch in der Ukraine müssen sich Revolutionär:innen den Plänen ihrer Regierung widersetzen, der NATO oder der EU formell beizutreten. Sie sollten das nationalistische Regime verurteilen, das seit der „Revolution“ auf dem Maidanplatz versucht hat, Sprachgesetze durchzusetzen, die das Ukrainische bevorzugen und zumindest potenziell die russisch- und ungarischsprachigen Minderheiten unterdrücken. Ebenso müssen wir die strengen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze und das Verbot von Parteien verurteilen.

Wir müssen uns auch gegen die Sanktionen gegen Russland aussprechen, da sie nicht von dem globalen Konflikt, der gerade geführt wird, getrennt werden können. Nicht zuletzt birgt dieser Krieg das Potenzial, bei einer Niederlage der einen oder anderen Seite zu einer unmittelbaren Konfrontation zwischen Russland und der NATO, d. h. zu einem offenen Weltkrieg, zu eskalieren.

Aus all diesen Gründen müssen wir die ukrainischen Arbeiter:innen warnen, dass die „großzügige“ Hilfe des Westens nicht ohne Kosten für sie kommen wird. Vom Imperialismus unterstützte Kriege enden mit einem von ihm aufgezwungenen „Frieden“, wie die Verträge von Versailles und Potsdam gezeigt haben. Sie enden mit Teilungen und Annexionen, die den Boden für künftige Kriege bereiten.

Die Arbeiter:innen der Ukraine und Russlands müssen dafür kämpfen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Erstere müssen die Verteidigung ihres Landes übernehmen und sich dagegen wehren, dass es als Stellvertreter für die NATO benutzt wird, Letztere Putin stürzen. In den NATO-Ländern müssen ihre Klassengenoss:innen sich allen Aspekten des neuen Kalten Krieges, seinen heißen Kriegen und der Aufrüstung ihrer Länder widersetzen.

Das Ziel der arbeitenden Bevölkerung Europas und der Welt muss darin liegen, die Kriegstreiber :innen zu entwaffnen und zu entthronen und durch eine internationale sozialistische Revolution die einzige sichere Grundlage für den Weltfrieden zu schaffen.




Die verschiedenen Ebenen des Ukrainekriegs

Markus Lehner, Neue Internationale 271, Februar 2023

Der Krieg in der Ukraine ist sicherlich eine historische Zäsur. Da hilft es auch nicht, wenn Linke wie Sahra Wagenknecht immer wieder betonen, dass er nur einer von vielen sei – und die meisten würden ja vom „Wertewesten“ geführt oder unterstützt. Tatsächlich waren die meisten Kriege mit Beteiligung von Großmächten seit dem 2. Weltkrieg „asymmetrische“ (außer dem Koreakrieg oder den beiden Vietnamkriegen), bei denen eine Seite militärisch vollkommen überlegen war.

Der Ukrainekrieg ist ein grausamer „konventioneller“, zerstörerisch wie der Zweite Weltkrieg, mit allen Schrecken von Artillerie- und Panzerschlachten, Schützengrabenkämpfen, Bombardements, wochenlangen Belagerungen und Kesselschlachten. Dazu kommt, dass dahinter die Konfrontation der wichtigsten Großmächte im europäischen Raum steht und somit auch die industrielle Massenfertigung der Tötungsmaschinerien auf beiden Seiten dafür immer weiter hochgefahren wird – mit der Gefahr einer sehr langen Dauer und wachsender Eskalation, was die Art der Waffen bis hin zu Nuklearsprengsätzen betrifft. Dieser Konflikt ist eingebettet in eine krisenhafte Entwicklung des imperialistischen Weltsystems, in dem eine schwächelnde kapitalistische Weltwirtschaft zur Neuaufteilung der Welt unter die Großmächte, insbesondere China und die USA, drängt. Ob dabei der Ukrainekrieg auch noch gekoppelt wird etwa mit einer Verschärfung des Taiwankonflikts oder nicht – wir sind jedenfalls in eine neue Periode der gesteigerten, auch militärischen Konfrontation der großen imperialistischen Mächte eingetreten, die die rein ökonomische Globalisierungskonkurrenz auf eine neue Ebene hebt.

Problematische Vergleiche

Es wurden schon verschiedene Vergleiche mit den beiden Weltkriegen bzw. deren Vorläuferkonflikten angestellt. In der bürgerlichen Debatte herrscht der mit dem Zweiten Weltkrieg vor, insbesondere um an den „antifaschistischen Kampf“ bzw. die „historischen Lehren“ aus den Fehlern von „Appeasementpolitik“ anzuschließen. Vorherrschend ist die Erzählung vom „durchgedrehten“ Autokraten Putin, der analog zu Hitler sein Land mit einer faschistischen Diktatur überzogen habe und dessen irre Gefährlichkeit von den „naiven“ demokratischen Regierungen insbesondere in Europa lange nicht gesehen worden wäre. Aus marxistischer Sicht ist das Putinregime natürlich kein Faschismus, wohl aber ein über Jahre gefestigtes autoritäres, das dem nach der Restauration des Kapitalismus entstandenen russischen Imperialismus aus einer Position der Schwäche heraus mit allen Mitteln einen Platz im Orchester der Großmächte zu sichern versucht. Das „System Putin“ ist damit auch nicht an seine besondere Person gebunden, sondern umfasst eine mit den großen Rüstungs- und Rohstoffkonzernen eng verflochtene politische Führungsschicht, deren imperialistische Extraprofite aufs Engste mit dem Erhalt von Einflusssphären und militärischer Potenz verbunden sind. Die Expansion der NATO bzw. USA in Osteuropa und Zentralasien ebenso wie seine wachsende ökonomische Schwäche mussten daher Russland um seine Stellung als Weltmacht fürchten lassen. Konkret in der Ukraine wurde nach 1990 lange Zeit eine Art Patt zwischen prorussischen und -westlichen Kräften aufrechterhalten, das mit der Maidanbewegung um 2014 kippte und zum Konflikt um die Ostukraine und Krim führte. Die Geschichte des Hineinschlitterns in den Krieg mitsamt der Rolle der verschiedenen Großmächte und nationalistischen Kräfte in der Ukraine erinnert dann auch mehr an den Prolog zum Ersten Weltkrieg und die „schlafwandlerische“ Eskalation rund um den Balkan.

Umgekehrt gibt es auch in Teilen der Linken den Missbrauch des Faschismuslabels. So bezeichnet die „Junge Welt“ die Selenskyjregierung gerne als „faschistischen Büttel der NATO“, die mit dem „Maidanputsch“ 2014 in der Ukraine eine naziähnliche Diktatur errichtet hätte. Auch wenn ukrainische Nazis für den unmittelbaren Machtwechsel 2014 eine wichtige Rolle spielten, reicht dies keinesfalls aus, um das danach entstandene westlich orientierte System eines oligarchischen Kapitalismus in der Ukraine treffend zu charakterisieren. Die ökonomische Dauerkrise zwingt dieses Regime, den Nationalismus als gesellschaftlichen Kitt zu verwenden und insbesondere im Sicherheitsapparat viele extrem rechte Kräfte einzusetzen. Doch sind dies eher untergeordnete Aspekte gegenüber einer generellen Westorientierung, die bei den Massen in der Ukraine mit großen Illusionen in „westliche Demokratie und Wohlstand“ verbunden sind.

Beide Seiten des „Lager“kampfes gegen den „Putinfaschismus“ oder die Maidannazis begehen eine üble Verschleierung des tatsächlichen Charakters des Krieges. Die Beschwörung des angeblich faschistischen Charakters der jeweils anderen Seite dient offenbar der Rechtfertigung einer Parteinahme für einen „demokratischen“ oder „antifaschistischen“ Imperialismus, also für eine offene Unterstützung der NATO oder Russlands im „antifaschistischen Kampf“. Wie immer nützt die „antifaschistische Volksfront“ hier der Aufgabe von Klassenpolitik zugunsten der politischen Unterordnung unter die reaktionären Ziele eines der sich bekämpfenden bürgerlichen Lager. Der Charakter dieses Krieges sollte also zunächst mal jenseits dieser falschen Fährte Krieg gegen den Faschismus verstanden werden.

Susan Watkins hat im „New Left Review” in dem Artikel „Five Wars in One” eine hilfreiche Aufschlüsselung seiner verschiedenen Ebenen erstellt. In Analogie zur bekannten Analyse von Ernest Mandel zum Zweiten Weltkrieg hat sie für diesen als „Weltordnungskrieg“ fünf Konfliktebenen dargestellt. Anhand dieser lassen sich gut die Probleme für eine linke Positionsfindung und die Gefahren von Verkürzungen darstellen.

1. Imperialistischer Angriffskrieg

Der erste und sicher offensichtlichste Aspekt ist, dass es sich um einen brutalen imperialistischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine handelt. Anders als in der bürgerlichen Öffentlichkeit wird dabei nicht auf eine „imperialistische“ Ideologie des Putinregimes Bezug genommen, sondern auf die in der gegenwärtigen Epoche des Weltkapitalismus bestehende imperialistische Weltordnung. Der Imperialismus ist dabei Ausdruck der Unfähigkeit des globalen Kapitalismus, die historisch überholte Form des Nationalstaates durch ein den globalen Problemen angemessenes politisches Weltsystem zu ersetzen. An dessen Stelle tritt ein System von Großmächten und deren Einflusssphären, das notwendig mit den Prinzipien nationalstaatlicher Souveränität in Konflikt geraten muss. Die westlichen imperialistischen Mächte sichern ihre heute im günstigsten Fall durch „Softpower“.

Die Halbkolonien des Westens scheinen sich freiwillig für „Demokratie und Menschenrechte“ zu entscheiden, die von der NATO und ähnlichen Mächten dann „geschützt“ werden (und nur zu oft mit militärischen Mitteln). Wenn jetzt zu Russland gesagt wird, die Verteidigung seiner „Einflusssphäre“ wäre „veraltetes Denken“, so wird nur verschleiert, dass es bei z. B. der NATO-Osterweiterung oder der EU-Ausdehnung natürlich auch um deren Sicherung geht. Anders als „der Westen“ hat Russland jedoch immer weniger ökonomische und politische Vorteile anzubieten und erscheint sicherlich nicht als eine weniger unterdrückerische und demokratischere Alternative. Ein schwächelnder Imperialismus neigt, wie die Geschichte, zeigt, dazu, seine Einflusssphäre dann eben militärisch zu sichern.

Diese Erklärung des russischen Angriffs ist aber natürlich in keiner Weise eine Rechtfertigung. Es ist vor allem ein Argument dafür, dass das imperialistische System als Ganzes menschenverachtend und krisenbehaftet ist und als solches überwunden werden muss. Dies bedeutet vor allem auch, dass die Arbeiter:innenklassen in den imperialistischen Staaten ihren Führungen die Waffen aus den Händen schlagen und sie gegen ihre Kriegsherr:innen selber richten müssen. Die Position von Sozialist:innen in der russischen Föderation muss eine des verstärkten Klassenkampfes gegen das reaktionäre, nationalistische Putinregime sein. Hier vertreten wir den revolutionären Defaitismus und die Umwandlung des Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg zum Sturz des russischen Imperialismus.

Wir lehnen daher auch die Scheinlösungen ab, die in Linkspartei und DKP zur Beilegung des Konflikts vorherrschen: Man müsse eine Friedensordnung erreichen, die die „berechtigten Sicherheitsinteressen Russlands“ garantiere. Diese Position beinhaltet sowohl eine Erzählung von der NATO-Osterweiterung u. a. als Grund, warum „fehlende Sensibilität“ gegenüber Russland zum Krieg geführt habe. Sie beinhaltet aber auch den „Plan“, dass eine Friedenslösung mit Russland über ein Abkommen mit den westlichen Mächten zur „Sicherheitsarchitektur“ in Europa den Konflikt nachhaltig entwirren könne. Einerseits wird bei dieser Art von Lösung ausgeblendet, dass es hier tatsächlich um den Kampf um Einflusssphären imperialistischer Mächte geht, der noch weit von einer Entscheidung wie dem seinerzeitigen Potsdamer Abkommen entfernt ist.

Es wird vor allem stillschweigend darüber hinweggegangen, dass es hier auch um die Frage der Selbstbestimmung von Ländern wie der Ukraine geht, die im Rahmen solcher „Sicherheitsarchitekturen“ tatsächlich durch das eine oder andere halbkoloniale System unterjocht werden. Die Frage ist dabei auch nicht, ob Beitritt zu einem Bündnis oder durch Sicherheitsgarantien begleitete „Neutralität“ Auswege wären, sondern dass nur eine antiimperialistische Bewegung in der Ukraine und in den Arbeiter:innenklassen Europas für ein Ende des Zwangs zur Einbindung in welche Einflusssphären, Militärbündnisse, Wirtschaftsunionen auch immer sorgen könnte. Nicht irgendwelche Abkommen zwischen EU, Russland und den USA über die zukünftige Ordnung in Europa können, sondern nur der Kampf um vereinigte sozialistische Staaten von Europa durch soziale Revolution von unten kann eine wirkliche Friedensordnung auf diesem Kontinent herstellen.

2. Selbstverteidigungskrieg

Der zweite Aspekt ist der eines nationalen Selbstverteidigungskrieges von Seiten der Ukraine. Sie ist eines der ärmsten Länder des Kontinents, das gleichzeitig reich an mineralischen und agrarischen Rohstoffen ist. In ganz Europa wird ukrainische Arbeitskraft aufs Blut ausgebeutet. Im Land selbst herrscht ein extrem korrupter Oligarchenkapitalismus, der seine ausbeuterische Fratze hinter demokratischen Phrasen und der nationalistischen Verteidigungspose verbirgt.

All dies ist nicht ungewöhnlich für ausgebeutete Halbkolonien auf der ganzen Welt. Im Fall des Angriffs einer imperialistischen Macht, die sich dieses Land einverleiben will, gibt es bei den Massen trotz aller Entfremdung zu ihrer Führung den klaren Impuls, das demokratische Selbstbestimmungsrecht auf einen eigenen Staat zu verteidigen. Insbesondere war die Ukraine seit Jahrhunderten von ihren Nachbarstaaten unterjocht – nicht nur von Russland, sondern auch von Polen/Litauen und der Habsburger Monarchie. Auch wenn jetzt sowohl von Putin als auch den ukrainischen Nationalist:innen verhöhnt, waren es Lenin und die Bolschewiki, die zuerst den Kampf gegen Zarismus und Habsburger:innen nicht nur mit dem internationalen Klassenkampf sondern auch mit dem um die Selbstbestimmung der Ukraine verbunden haben.

Seit Jahrhunderten wurde damit nach dem Bürgerkrieg zum ersten Mal ein ukrainischer Staat gebildet – auch wenn dessen Unabhängigkeit in der stalinisierten Sowjetunion mehr als prekär geriet. Aber nur so wurde in den Wirren der Auflösung der Sowjetunion die Ukraine als eigenständiger Nationalstaat möglich. Auch wenn sie selbst ein Vielvölkerstaat ist, gibt es eine große Mehrheitsbevölkerung, die sich der ukrainischen Identität zugehörig fühlt und sich keineswegs wieder einem anderen Nationalstaat unterordnen will. Sozialist:innen müssen diesen demokratischen Wunsch nach nationaler Selbstbestimmung respektieren – so wie sie das auch im Freiheitskampf um Irland oder Kurdistan immer schon getan haben.

Bei aller Klassenspaltung in der Ukraine werden die Arbeiter:innen kaum für ihre zentralen sozialen Kämpfe gewonnen werden können, wenn man nicht zugleich mit ihnen gegen die nationale Unterjochung kämpft, was ihnen als Voraussetzung dafür erscheint, auch ihre ureigensten Klassenkämpfe auf vertrautem Terrain führen zu können. Bei aller Kritik an der korrupten, proimperialistischen Führung des Verteidigungskrieges rufen wir, zumindest bis eigenständige Kampfverbände aufgebaut sind, dazu auf, in die bestehenden Verteidigungsstrukturen zu gehen (sofern sie nicht offen faschistische Einheiten sind). Auch dort müssen wir den verräterischen und klassenfeindlichen Charakter der politischen Führung aufzeigen wie auch die Gefahr des Missbrauchs des Verteidigungskrieges für die westlichen imperialistischen Interessen – also auch für die Fortsetzung des Kampfes nach Abwehr des russischen Angriffs. Diese Kritik kann aber nicht dazu führen, die Niederlage der Ukraine einfach billigend in Kauf zu nehmen. Diese würde die Kampfbedingungen der ukrainischen Arbeiter:innen um ein Vielfaches verschlechtern und es zugleich faktisch unmöglich machen, sie von ihren Illusionen in das prowestliche Regime zu lösen.

Insofern lehnen wir die pazifistischen Positionen gegenüber dem berechtigten Kampf für Selbstverteidigung genauso ab wie die Versuche, die Verteidigungskräfte der Ukraine insgesamt nach dem Bild des Asowregiments zu charakterisieren. Auch wenn wir die Einheiten, die an die Nazikollaborateurtruppen des Stepan Bandera anknüpfen, ablehnen und sie nicht als „Kampfgenossinnen“ akzeptieren, so weigern wir uns, diese mit dem ukrainischen Kampf insgesamt gleichzusetzen. Auch im palästinensischen Widerstand ist es unvermeidlich, z. B. mit der Hamas auf denselben Barrikaden zu stehen. Dies bedeutet, dass Revolutionär:innen das Recht der Ukrainer: innen verteidigen, sich gegen die russische Okkupation zur Wehr zu setzen, jedoch ohne der Regierung Selenskyj irgendeine Form der Unterstützung angedeihen zu lassen.

3. Bürger:innenkrieg

Der dritte Aspekt ist der des innerukrainischen Bürger:innenkriegs. Das fragile Gleichgewicht von prowestlichen und -russischen wirtschaftlichen und politischen Eliten in der Ukraine genauso wie der Ausgleich zwischen den Nationalitäten im Vielvölkerstaat Ukraine wurden mit dem Maidan 2014 über den Haufen geworfen. Damals wurde der lavierende, Russland zuneigende Präsident Janukowytsch durch eine klar prowestliche Regierung abgelöst. Diese verwendete zwecks Machtsicherung viele der extrem rechten und nationalistischen Maidankräfte in ihrer Administration und den Sicherheitskräften und machte ihnen auch politisch Konzessionen. Damit war der letztlich auch bewaffnete Zusammenstoß mit den sich in ihren Minderheitenrechten bedrohten Bevölkerungsgruppen insbesondere in der Ostukraine und auf der Krim vorprogrammiert. Der Kampf um Minderheitenrechte und Autonomie, der dort begann, war sicherlich berechtigt und musste von Sozialist:innen ebenso im Sinn des Selbstbestimmungsrechtes verteidigt werden. Allerdings wurde er letztlich vom russischen Imperialismus für seine Intervention und Annexionspolitik missbraucht.

In der gegenwärtigen Situation ist diese Frage daher der des Selbstverteidigungsrechts der Ukraine untergeordnet. Andererseits wird keine Lösung des Konflikts zentral auch um den Status von Donbas(s) (Donezbecken), Luhansk und der Krim herumkommen. Dabei wird auch die Heuchelei aller „Verteidiger:innen des Völkerrechts“ klar, die betonen, die Ukraine müsse um jeden Preis in ihren ursprünglichen Grenze, also sogar mit Eroberung der Krim wiederhergestellt werden. In den genannten Regionen gibt es historische und ethnische Gründe, die durchaus dafür sprechen, dass die Bevölkerung dort selbst bestimmen können sollte, in welchen Grenzen sie zukünftig leben will – ob in der Ukraine, Russland, als autonome Region bei einem von beiden, selbstständig etc.

Die Fetischisierung bestehender Grenzen erwies  sich bei von Nationalitätenkonflikten gebeutelten Grenzregionen noch nie als Frieden stiftend. Es ist auch eine ziemliche Heuchelei, wenn heute gegen eine Lostrennung der Krim von der Ukraine das Völkerrecht ins Spiel gebracht wird, im (ebenso berechtigten) Fall des Kosovo gegenüber Serbien jedoch nicht. Hier zeigt sich letztlich, dass es dem westlichen Imperialismus nicht um das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Völker geht, sondern um den Sieg ihres nationalistischen Stellvertreterregimes unter Inkaufnahme einer brutalen Unterdrückung der russischen Minderheit. Daher müssen Revolutionär:innen auch in der Ukraine deutlich machen, dass die Zukunft der sog. Volksrepubliken und der Krim weder vom ukrainischen nationalistischen Regime noch von Russland oder der NATO entschieden werden darf. Wir treten daher für die Anerkennung der Ukraine als Staat und den vollständigen Abzug der russischen Truppen ein! Zugleich verteidigen wir das Selbstbestimmungsrecht für die Krim und die „Volksrepubliken“.

4. Westlicher Imperialismus

Der vierte Aspekt des Krieges ist die massive Unterstützung des westlichen Imperialismus für die Ukraine, die ihn de facto zu einem Stellvertreterkrieg macht. Angefangen bei den USA sprechen auch alle deren Verbündeten von einem „Krieg der Demokratie“ gegen den „Autoritarismus“. Wenn also aus bestimmten Gründen keine direkte Beteiligung von NATO-Verbänden gegeben ist, so ist doch sowohl der Wirtschaftskrieg gegen Russland wie auch das Ausmaß ökonomischer, logistischer und waffentechnischer Unterstützung von bisher nicht gesehenem Umfang in einem solchen Konflikt.

Die Ukraine, die vor dem Krieg praktisch zahlungsunfähig war, erhielt im ersten Kriegsjahr Hilfspakete und Waffen im Umfang von zwei Dritteln ihres Sozialprodukts – praktisch täglich die Summe an Unterstützung, die zu Hochzeiten jährlich in Afghanistan investiert wurde. Sie stellt sogar die der USA für Israel in den Schatten. Dabei werden nicht einfach nur Waffen geliefert. Die ukrainische Armee wurde und wird systematisch an neuen Waffensystemen technisch und taktisch ausgebildet ebenso wie offensichtlich die modernsten Kommunikationssysteme zur Gefechtsunterstützung umstandslos zur Verfügung gestellt werden.

Ziemlich unverhohlen werden nachrichtendienstliche Erkenntnisse über den Gegner sofort an die Ukraine weitergeleitet wie auch Taktik und Strategie mit Militärberater:innen aus den NATO-Stäben abgestimmt. Über Ringtausche ist die Bewaffnung der Ukraine dabei auch ganz klar in Aufrüstungsprogramme aller NATO-Staaten, auch der Bundesrepublik, einbezogen. In Kombination mit den Wirtschaftssanktionen, die ähnlich der alten Kriegstaktik der „Kontinentalsperre“ wirken sollen, kann man mit voller Berechtigung davon sprechen, dass der westliche Imperialismus den ukrainischen Verteidigungskrieg dazu benützt, den russischen Imperialismus per Stellvertreterkrieg entscheidend zu schwächen. Dies entspricht der langfristigen globalen Strategie der USA, die gegenüber China und Russland als globalen Hauptkonkurrenten entwickelt wurde. Der Ukrainekrieg wurde da als günstige Gelegenheit ergriffen, um die EU-Imperialist:innen ebenso auf diese Konfrontation einzuschwören und Russland als Hauptverbündeten Chinas auf Jahre in die zweite Reihe zu verbannen.

Es scheint aber auch so zu sein, dass die USA nicht zu unbeschränkter Unterstützung der Ukraine bereit sind. Die umstrittenen Äußerungen des US-Generalstabschefs (CJCS) Mark A. Milley, dass die Ukraine den Krieg nicht gewinnen könne, kann wohl als Ausplaudern der Pentagonstrategie verstanden werden: Wenn die USA wollten, könnten sie natürlich solche militärische Unterstützung leisten, die den Krieg längst beendet hätte – aber das ist wohl nicht bezweckt. Sie wollen offenbar Russland aufgrund seiner geostrategischen Bedeutung nicht gänzlich zum Zerfallskandidaten machen und andererseits auch nicht in Europa neue militärische Rivalen entstehen lassen. Insofern nimmt man im Pentagon wohl gerne einen langwierigen, blutigen Stellungskrieg in der Ukraine in Kauf, der Europa und Russland auf lange Sicht als globale Rivalen schwächt.

Von daher müssen wir in den westlichen imperialistischen Staaten gegen diesen Missbrauch des Verteidigungskrieges der ukrainischen Bevölkerung und seine blutige Verstetigung als Stellvertreterkrieg protestieren. Wir müssen daher auch gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland Stellung beziehen, da sie nicht getrennt werden können von den Aufrüstungsprogrammen der NATO und dem globalen Konflikt, der hier mithilfe der Ukraine geführt wird. Auf globaler Ebene ist dieser Aspekt das dominierende Element, auch wenn dies nicht bedeutet, dass deshalb der Kampf um Selbstverteidigung in der Ukraine keine Berechtigung hätte. Alle Waffenlieferungen an sie, ob über Ringtausche oder direkt, sind einerseits ganz klar mit eigenen Rüstungsprojekten, dem Ausbau der eigenen Rüstungsindustrie und deren Profiten verbunden, andererseits an die US-Strategie zur Niederringung der chinesischen und russischen globalen Rivalen gekettet. Ebenso müssen wir die ukrainischen Arbeiter:innen davor warnen, dass die große Hilfe aus „dem Westen“ nicht ohne Kosten für sie daherkommen wird. Die Rechnung dafür wird genau ihnen und den Ärmsten präsentiert werden, die dafür mit Überausbeutung in Sonderaufbauprogrammen der westlichen Imperialist:innen für ihre neue Halbkolonie bezahlen werden.

5. Weltkriegspotential und das Verhältnis der verschiedenen Dimensionen des Krieges zueinander

Schließlich beseht der fünfte Aspekt des Krieges darin, dass er jederzeit das Potential birgt, zu einer unmittelbaren Konfrontation zwischen Russland und der NATO – also zu einem offenen Weltkrieg – zu eskalieren. Durch die Art der Unterstützung des Westens für die Ukraine ist dies zwar angelegt, aber bisher noch nicht Realität geworden. Die ukrainische Führung und einige osteuropäische und baltische Staaten sind an sich für eine „Endlösung der russischen Bedrohung“ und tun viel dafür, dass die Bereitschaft dazu im Westen wächst. Andererseits stellt die russische Führung ebenso den Westen bereits als kriegsführende Partei dar und deutet bei ungünstigem Verlauf auch die Möglichkeit des Einsatzes von Nuklearwaffen an – was wahrscheinlich rasch zu Gegenschlägen führen würde.

Diese mögliche Eskalation wird auch von einigen Linken als Grund genannt, den Ukrainer:innen de facto zu raten, möglichst rasch zu einem Waffenstillstand zu kommen. Eine zynische Position: Insofern müsste dann in jedem Konflikt mit imperialistischen Mächten eigentlich sofort kapituliert werden, weil ansonsten vielleicht ein Welt- oder Nuklearkrieg drohen. Angesichts der globalen Zuspitzung der imperialistischen Gegensätze und dem beginnenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt erweist sich der Pazifismus als hoffnungslos desorientiert. Nur internationaler Klassenkampf zur Zerschlagung, Entwaffnung der mörderischen Arsenale, Aufdeckung und Bekämpfung der räuberischen Absichten aller Seiten kann den drohenden Weltkrieg tatsächlich abwenden.

Den Charakter eines Krieges unabhängig von der internationalen Lage zu bestimmen, würde zu einem schweren Fehler führen. Viele Linke kommen heute zu dem Schluss, dass die Invasion eines halbkolonialen Landes wie der Ukraine durch eine imperialistische Macht mit dem Ziel, es zu einer Kolonie Russlands zu machen oder zumindest große Teile seines Territoriums zu annektieren, reaktionär ist und deshalb die Unterstützung der Ukraine durch die NATO in Form einer beispiellosen wirtschaftlichen und militärischen Hilfe ebenfalls gerechtfertigt und fortschrittlich sein muss.

Dabei wird aber die Tatsache ignoriert, dass die Intervention der NATO nicht durch demokratische Ideale motiviert ist, sondern durch den Wunsch, Russland als ihren imperialistischen Rivalen auf der Weltbühne zu schwächen und es so unfähig zu machen, die USA auf Schauplätzen wie dem Nahen Osten und Afrika südlich der Sahara herauszufordern. Andere Motive Washingtons waren, die wirtschaftlichen Beziehungen der EU zu Russland zu sabotieren und China eine Warnung vor seiner unverminderten militärischen Macht und anhaltenden wirtschaftlichen Dominanz zu senden. Kurz gesagt, die demokratische Rhetorik der NATO ist nur eine zynische Tarnung, um Handlungen zu rechtfertigen, die ausschließlich durch ihre imperialistischen Eigeninteressen motiviert sind.

Die Entwicklungen, die zu dem reaktionären Einmarsch Russlands geführt haben, bestätigen in mehrfacher Hinsicht, dass es sich im Kern nicht nur um einen Krieg der Landesverteidigung handelt, sondern auch der politische, wirtschaftliche und militärische Einfluss der NATO selbst ein entscheidender Faktor ist und zu einem zwischenimperialistischen Krieg von beispielloser Zerstörungskraft für die Menschheit führen könnte.

Angesichts einer Weltlage, in der multiple Krisen und der zunehmende Kampf um die Neuaufteilung der Welt viele solch komplexer Situationen wie den Ukrainekrieg hervorrufen (z. B. Taiwan), ist es notwendig, dass die Linke zu einer programmatisch klaren sozialistischen Antikriegsposition findet. Diese kann nicht in abstrakt allgemeinen Formeln bestehen und muss sowohl die gegenwärtige Weltlage wie auch die konkreten Analyse der Kriegssituation beinhalten. Im gegenwärtigen Moment bedeutet das die Anerkennung des Rechts auf Selbstverteidigung der Ukraine bei gleichzeitiger Bekämpfung des Eingreifens der westlichen Imperialist:innen, die diesen Konflikt zur Niederwerfung ihres Konkurrenten nutzen.

Die Grundlinien einer solchen Positionsfindung müssen also beinhalten: Unterstützung der Antikriegsopposition in Russland und Umwandlung des Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg zum Sturz des russischen Imperialismus; Verteidigung der Ukraine bei gleichzeitigem Aufzeigen des reaktionären Charakters der Führung des Kampfes, Verweigerung jeder politischen Unterstützung seines Missbrauchs als Stellvertreterkrieg; Verurteilung und Bekämpfung der Aufrüstungspolitik in den NATO-Staaten und des Missbrauchs der Waffenlieferungen an die Ukraine als Mittel zur Führung eines Stellvertreterkrieges; Aufbau einer Antikriegsbewegung, die sich der wachsenden Gefahr eines neuen Weltkriegs bei weiter wachsenden Atomwaffenarsenalen entgegenstellt.




Nein zum Panzerpakt!

Martin Suchanek, Infomail 1211, 26. Januar 2023

Einmal mehr ist Kanzler Scholz eingeknickt. Und das nicht zum ersten Mal. Seit Monaten trommelten nicht nur die oppositionelle CDU/CSU, sondern auch Grüne und FDP dafür, endlich auch Kampfpanzer in die Ukraine zu schicken.

Nun haben auch Scholz und die SPD zugestimmt. Notdürftig wird das Nachgeben als „umsichtige“ Abwägung verkauft, als Teil eines „Panzerpakts“ mit den USA und allen anderen Verbündeten. Dass die USA der Lieferung von Abrams-Tanks auch nur widerwillig und gegen das Pentagon zugestimmt haben, macht die Sache nicht besser.

Zur Zeit wird davon ausgegangen, dass Berlin und die anderen europäischen NATO-Verbündeten insgesamt 90 Leopard-Panzer liefern. Hinzukommen sollen 31 US-amerikanische Abrams (plus 14 britische Challenger 2). Wann diese genau ankommen werden und wie sehr sie den Krieg wirklich beeinflussen, ist zwar offen.

Klar ist aber, dass die Entscheidung einhergeht mit der allgemeinen Aufrüstung der NATO. Schließlich sollen die Bundesrepublik und die anderen NATO-Staaten die Leopard-Panzer nicht einfach abgeben, sondern diese sollen durch modernere und kampffähigere neue Typen ersetzt werden. Deutsche und andere Waffen und Truppenverbände sollen zur Stärkung der NATO-Truppen beschafft werden. Milliardenaufträge also für die Rüstungsindustrie. Und angesichts von Milliarden für den Verteidigungshaushalt und Sondervermögen für die Bundeswehr werden diese nicht die letzten sein.

Der berechtigte Widerstand der Ukrainer:innen gegen den russischen, imperialistischen Angriff und die Besatzung bildet für die Entscheidung letztlich nicht die Grund, sondern die ideologische Rechtfertigung. Für die NATO, für die USA, die Bundesrepublik und alle anderen westlichen Verbündeten, stellt die Selbstverteidigung der Ukraine nur einen wohlfeilen Vorwand zur Verfolgung ihrer eigenen geostrategischen Interessen der: die Ausdehnung der eigenen wirtschaftlichen und politischen Interessenssphäre und der Zurückdrängung des russischen imperialistischen Rivalen.

Mögen sich auch viele Ukrainer:innen (nicht nur die Regierung) über die Waffen freuen, so seien sie gewarnt. Ihre westlichen Verbündeten liefern sie nicht selbstlos, sondern aus eigenen, imperialistischen Motiven.

Für die NATO-Staaten fungiert die Ukraine als Stellvertreter, als Vorposten in einem größeren globalen Konflikt, im innerimperialistischen Kräftemessen um die Neuaufteilung der Welt. Dieser wird schließlich nicht nur politisch und militärisch, sondern auch als Wirtschaftskrieg ausgetragen mittels von Sanktionen. Dass dieser die Inflation und die globale ökonomische Krise befeuert, wird billigend und durchaus bewusst in Kauf genommen.

  • Nein zum Panzerpakt der Regierung und der NATO-Staaten! Nein zu den Sanktionen! Nein zur Ukraine-Politik der Bundesregierung!