Krankenhausreform: Kliniksterben in zwei Stufen

Jürgen Roth, Neue Internationale 276, September 2023

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte eine „Revolution“ angekündigt, doch seine Krankenhausreform endete als laues Lüftchen nach der Einigung mit seinen Länderkolleg:innen. Doch über die bundesdeutsche Kliniklandschaft wird sie als Orkan fegen, der Schneisen der Verwüstung hinterlassen wird.

Drohendes Defizit

Nach einem für 2023 gestopften Milliardenloch droht für 2024 ein erneutes Defizit. 2022 erzielten die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) noch ein Plus von 451 Millionen Euro. Die Einnahmen hatten sich pro Mitglied durch reguläre und Zusatzbeiträge um 4,37 % erhöht, die Ausgaben nur um 4,09 %. Doch die strukturellen Finanzierungsprobleme sind längst nicht beseitigt. Ihr Spitzenverband moniert, dass der Bund sich mehr an der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wie Schwangerschafts- und Mütterversorgung beteiligen müsse. Das brächte allein 10 Milliarden zusätzlich ein.

Eigentlich wollte das Bundesgesundheitsministerium bis zum 31. Mai 2023 Empfehlungen für eine „stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung“ vorgelegt haben. Daraus wurde nichts. Die Finanzierungslücke von 17 Milliarden Euro für 2023 wurde mit einmaligen Maßnahmen geschlossen. Unter anderem wurden Reserven der GKV und des Gesundheitsfonds, eines bürokratischen Monsters zwecks Risikoausgleichs zwischen den einzelnen Kassen, um 7,2 Milliarden abgebaut und der Zusatzbeitrag stieg von 1,36 auf 1,51 % (2,5 Milliarden).

Der GKV-Spitzenverband favorisiert eine Neuausrichtung der Krankenhausversorgung und fordert eine Verminderung der Klinikanzahl um 400 auf 1.250. Dabei wurden seit Einführung der Fallpauschalen (DRGs) 2004 ein Viertel aller Kinderkliniken geschlossen, 40 % Betten abgebaut, obwohl die Zahl der Kinder in Deutschland von 9,8 Millionen 2013 auf 10,9 Millionen 2022 zugenommen hat. Bis 2025 wird ein Viertel der Kinderärzt:innen in den Ruhestand gehen.

Ursachen

Bei Fortschreibung der Ertragsabschlüsse von 2021 bis 2023 droht bereits dieses Jahr 18 % der Krankenhäusern die Insolvenz, 2030 44 %. Ende diesen Jahres schrieben dann 47 % keine schwarzen Zahlen, 2030 58 %. Seit Beginn der Pandemie haben sie insgesamt 13 % weniger Patient:innen. Im Jahr 2021 waren die 437.000 Betten der Allgemeinkrankenhäuser nur zu 66 % ausgelastet. Der Krankenhaus-Rating-Report fordert denn auch einen Abbau auf 310.000 Betten, 1.165 Einrichtungen würden ausreichen. Diese Berechnung bleibt also noch unter der Zahl des GKV-Spitzenverbands.

Zudem wird es im Gegensatz zu akuten Pandemiezeiten keinen staatlichen Rettungsschirm mehr geben. 20 % der noch stationär erbrachten Leistungen könnten künftig ambulant erfolgen, so der Report. Doch die Hoheit über den stationären Sektor liegt bei den Ländern. Baden-Württemberg und Bayern verzeichnen mit 40 % den höchsten Anteil von Häusern mit Verlusten. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) verlangt ein Vorschaltgesetz zum Inflationsausgleich. Die Erlössteigerungen von insgesamt 6,5 % für 2022 und 2023 seien bei Preissteigerungen um 17 % unzureichend. Monat für Monat verschuldeten sich die Häuser um weitere 600 Millionen Euro.

Kernpunkte der Reform stoßen auf Widerstand

Dazu zählen 1. eine Änderung des Vergütungssystems, 2. Neuordnung mit Versorgungsstufen, 3. Einführung von Leistungsgruppen. Spezialisierung und Konzentration werden hierbei mit Qualitätsverbesserung gleichgesetzt. Bei ausbleibender Reform wird eine Rationierung von Leistungen befürchtet.

Am 29. Juni 2023 erzielte die Bund-Länder-Runde keine Einigung. Die Länder blockierten eine einheitliche Regelung der Level (Versorgungsstufen) und schrieben weitere Ausnahmen zu den vorgesehenen Leistungsgruppen fest. Die DKG schätzt die finanziellen Belastungen infolge Kapazitätsverlagerungen, Fusionen und Neubauten auf einen Betrag zwischen 24 und 50 Milliarden Euro. Lauterbach verweigerte sich dem Ansinnen des Vorschaltgesetzes. Auch die Bundesländer hätten keine Möglichkeit, hier finanzielle Unterstützung zu leisten. Einzig das Konzept der Vorhaltepauschalen, die die Abrechnung nach DRGs aufweichen sollen, traf auf Zustimmung.

Am 29. Juni blieb von der Verpflichtung zur Einteilung in verschiedene Level lediglich ihr Charakter als Empfehlung über. Der Bund will aber im Rahmen einer sog. Transparenzoffensive eine Qualitätsbewertung der Kliniken offenlegen mit Daten zu Komplikationsraten, Fallzahlen, Facharztdichte und Pflegepersonalausstattung.

Vorhaltekosten, die unabhängig, ob Patient:innen behandelt werden, entstehen, sollen je nach Leistungsgruppe ermittelt werden. In der Übergangszeit wird ihr Anteil je nach Leistungsgruppe auf zwischen 20 und 40 % festgesetzt und für die vereinbarte Fallzahl dem Krankenhaus ausbezahlt unabhängig davon, ob diese auch erreicht wurde. Jede Fallpauschalenabrechnung wird um diesen Anteil gekürzt.

Ökonomisierung geht weiter

Eine Revolution sucht man in diesem Regelwerk vergebens. Die Reform soll budgetneutral gestaltet sein, also nichts kosten. Der Warencharakter der Behandlung bleibt erhalten, weil die Abrechnung über DRGs weiter erfolgt, wenn auch mit Abschlägen. Die tatsächlichen Vorhaltekosten werden nicht refinanziert, sondern als auf Fallzahlen bezogene Pauschalen erstattet. Eine zweckgebundene Verwendung ist nicht vorgeschrieben, so dass sie als Gewinne ausgeschüttet werden können.

Die um ihr wirtschaftliches Überleben ringenden Einrichtungen werden die Reform gar nicht erleben oder sie wird ihnen nicht helfen, da sie budgetneutral umgesetzt werden soll. Während niemand auf die Idee käme, die Feuerwehr für ihre Löscheinsätze zu bezahlen oder Gewinne zu erwarten, ist das beim stationären Sektor grundsätzlich anders. Letztlich bleibt für viele Häuser nur die Wahl zwischen kaltem oder reguliertem Strukturwandel, Sterben vor der oder durch die Reform.

Einigung

Am Montag, den 10. Juli 2023, erfolgte dann doch noch rechtzeitig zur Parlamentssommerpause die Einigung zu den Eckpunkten einer zukünftigen Krankenhausreform zwischen Bund und Ländern mit einer Gegenstimme aus Bayern und einer Enthaltung aus Schleswig-Holstein. Somit kann Lauterbachs Hoffnung aufgehen, das Gesetz nach den Lesungen in beiden Kammern zum 1. Januar 2024 in Kraft treten zu lassen. Die Veröffentlichung der Qualitätsdaten je Haus soll die Länder zum Handeln zwingen. Diese können entscheiden, ob sie 2025 oder 2026 in die Umsetzung gehen. Die Länder können als Plus verbuchen, dass sie bei der Definition von Leistungsgruppen mitwirken können und ihnen ihre jahrelange Unterfinanzierung der Investitionskosten nicht vorgehalten wird, die dazu geführt hat, dass die Kliniken auf Kosten von Personal und Patient:innen zum Ausgleich gezwungen wurden, mit noch mehr Fällen mehr Geld zu verdienen. Der Bund kreidet sich als Plus an, dass es kein zusätzliches Geld geben wird.

Lauterbach wurde nicht müde zu betonen, dass die Reform eine „Existenzgarantie für kleine Kliniken auf dem Land“ bedeute. Die „Revolution“ der Vorhaltepauschalen – der Minister sprach sogar von 60 % – ermögliche das. Es ist genau umgekehrt: Sie erhalten nur Kliniken, die entsprechende Qualitätskriterien bzgl. Ausstattung, Personal und Behandlungserfahrungen – sprich hohen Fallpauschalen – erfüllten. Sie nutzen also v. a. den Versorgungsstufen II und höher, je höher desto mehr – und der Volksverdummung durch den Bundesgesundheitsschwätzer!

Über den Sommer soll nun eine Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen des Bundes sowie aus dem SPD-geführten Hamburg, dem grünen Baden-Württemberg, dem CDU-regierten Nordrhein-Westfalen und dem rot-roten Mecklenburg-Vorpommern ein Gesetz entwerfen. Nach Beschluss durch Bundestag und Bundesrat bis zum Jahresende soll es 2024 und 2025 in entsprechende Landesgesetze gegossen und jeweils ein Jahr später mit der Umsetzung begonnen werden.

Aufkommende Skepsis

DKG-Vorstand Gerald Gaß bemängelte, kaum waren die Eckpunkte festgezurrt, die vielen Prüfaufträge und Auswertungsanalysen, die noch realisiert werden müssten. Er fürchtete, die Mehrfachdokumentationspflicht werde durch die Vorhaltepauschalen noch größer. Zu den regionalen Gesundheitszentren gebe es keine genauen Vorstellungen. Ein Gerangel über die Zuständigkeiten sei zwischen Bundesländern und Kassenärztlichen Vereinigungen zu erwarten. Unklar bleibe auch, wer in welchem Umfang den Transformationsfonds finanzieren solle, klar indes, dass Konsens herrsche, dass vor der Reform Standorte verlorengehen würden, denn die Erlöse hinkten hinter den Kostensteigerungen (Inflation!) her. Ein Vorschaltgesetz sei ja dezidiert abgelehnt worden. Ins gleiche Horn tutete der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags Helmut Dedy. Zwar wollten einige Bundesländer ihre vernachlässigten Investitionen aufstocken, doch schon jetzt seien Finanzierungsprobleme mit Händen zu greifen. Laut Minister Lucha (Baden-Württemberg) erkennt die dortige GKV die Tarifsteigerungen in der Psychiatrie nicht an.

Im Gegenzug kritisierten die gesetzlichen Krankenkassen Pläne von Bund und Ländern, mit Zuschlägen für einzelne Leistungsgruppen in ihre Taschen zu greifen. Die Vorsitzende der Ärzt:innengewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna, wies darauf hin, schon die Zusammenlegung von Abteilungen und Umbauten seien nicht zum Nulltarif zu haben. Dem Deutschen Pflegerat fehlt eine jetzt gebotene neue Kompetenzverteilung der Gesundheitsfachberufe, sprich ein Bedeutungszuwachs für die Pflege.

Kritik der Linkspartei

„Integrierte Versorgung statt Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft“ lautet ein 14-seitiges Konzept, das u. a. von den Bundestagsabgeordneten Kathrin Vogler und Ates Gürpinar sowie gesundheitspolitischen Sprecher:innen aus 8 Bundesländern erarbeitet wurde. Hintergrund sei die „Zurückdrängung“ von Profit und Kostendruck. Auch der Linksreformismus verschreibt sich also fruchtloser Sisyphusarbeit als Transformationsstrategie, als sei die zentrale Akkumulationsdynamik unterm Kapitalismus eine lässliche Option. Parteivorsitzende Janine Wissler beschwichtigte gleich die bürgerliche Öffentlichkeit. Man habe es, versichert sie, nicht auf die Enteignung privater Kliniken abgesehen, sondern um einen rechtlich sicheren Weg zur Entprivatisierungs- und Rekommunalisierungsoffensive. Hauptsache legal und dem Kapital nichts gestohlen, so ist der Weg zum Sozialismus für die Genossin zwar verbaut, aber „rechtlich sicher“. Solche Worte erinnern an den Tenor sämtlicher „Sozialisierungs“- und DWE-&-Co.-Expert:innenkommissionen zur Verschleppung und Verhinderung der Enteignung.

Statt Fallpauschalen Erstattung der tatsächlichen Kosten und Ausgleich der Defizite durch die öffentliche Hand. Der Stein der Weisen ist das nicht! Vor der Einführung der DRGs erstatteten die Krankenkassen nicht die tatsächlichen Kosten, sondern zurrten in zähen Verhandlungen das Budget mit jeder einzelnen Klinik fest. Und warum soll die öffentliche Hand das finanzieren statt durch eine Reichensteuer?

Ferner bemängelt DIE LINKE die fehlende Finanzierung, auch der Investitionskosten durch die Länder und warnt vor der Existenzgefahr für viele Häuser – vor der Reform wie durch sie selbst. In der Hauptstadt könnte von 60 nur die Hälfte übrigbleiben. Schon jetzt erhielten manche keine Kredite mehr und Fachkräfte bewerben sich nicht bei kleinen Einrichtungen. Die Auswahl der Reformberater:innen durch den Bundesgesundheitsminister sei undemokratisch. Patient:innen- und Beschäftigtenvertretungen fehlten, Arbeitsbedingungen stünden nicht zur Debatte. Als künftiges Rückgrat einer wohnortnahen und integrierten Gesundheitsversorgung empfiehlt DIE LINKE Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft mit ambulanten, stationären und notfallmedizinischen Leistungen aus einer Hand und Anbindung an Krankenhäuser höherer Versorgungsstufen. Zu einer Rettungsstelle dürften höchstens 30 Fahrminuten liegen. Dass diesem richtigen Vorschlag zur Einebnung der Unterschiede zwischen ambulantem und stationärem Sektor seitens der niedergelassenen Ärzt:innenschaft erbitterter Widerstand entgegenschlagen wird, darauf sollte sich die Linkspartei allerdings einstellen. Sie will nach der Reform wegfallende Häuser entweder mit Zuschüssen erhalten (von wem?) oder in medizinische Versorgungszentren nach skandinavischem Vorbild (mit Gemeindepflegekräften) umgewandelt sehen.

Bei aller Kritik ist dieses Konzept doch der Kritik am Strohhalm im Auge der Reform überlegen und in etlichen Punkten unterstützenswert.

Gemeingut in Bürger:innenhand (GiB)

Wesentlich härter als DIE LINKE geht GiB mit der geplanten Reform ins Gericht. Eine Analyse des Bundesgesundheitsministeriums selbst (!) bestätigt, dass demnach 40 % keine stationäre Allgemein- und Notfallversorgung anbieten, weil sie entweder zu ambulanten Gesundheitszentren oder reinen Fachkliniken „abgestuft“ werden. Die lautstarke Opposition der Länder sei lediglich Symbolpolitik. Klaus Holetschek (Gesundheitsminister Bayerns, CSU) habe gegen die Eckpunkte gestimmt, weil Lauterbachs Versorgungsstufen (Level) das Angebot in der Fläche reduzierten. Das tun aber auch die von ihm favorisierten Leistungsgruppen. Die Landesregierungen, die seit Jahren gesetzlich vorgeschriebene Investitionsmittel zurückhielten, könnten diese nun im Zuge des Reformkahlschlags ganz legal einsparen. Durch geplante Umwandlungen und Schließungen seien weit über 100.000 Stellen betroffen, es drohten weitere Wege zum Arbeitsplatz, noch mehr Bürokratie und Arbeitsverdichtung und der Verlust von Ausbildungsplätzen. Über das Programm der LINKEN hinaus fordert die Bürger:innenbewegung Renditeverbot und in 30 Minuten erreichbare Allgemeinkrankenhäuser mit mindestens den Abteilungen Chirurgie, Innere Medizin, Gynäkologie, Geburtshilfe, Intensivmedizin und Basisnotfallversorgung.

Lauterbach sei es gelungen, sein Prinzip von der Verwaltung des Mangels durchzusetzen. Zuvor hatte er in den Haushaltsberatungen so viele Kürzungen geschluckt wie kein anderes Ressort. Zum ganzen Prozedere passe auch die neue Richtlinie zur Ersteinschätzung in der ambulanten Notfallversorgung, wonach künftig in Rettungsstellen Patient:innen ohne ärztliche Begutachtung abgewiesen werden dürften. Die Einschätzung, Klinikschließungen könnten dem Markt mehr Personal zur Verfügung stellen und Geld für die Behandlungen sparen, weist GiB als Legende zurück. Werden an anderer Stelle mehr Patient:innen behandelt, braucht man dort auch mehr Personal. Viele Beschäftigte wollten aber gar nicht wechseln und bei größeren Konzentrationsprozessen dem Beruf den Rücken kehren. Auch Maximalversorger würden pro Bett mindestens die gleichen Summen brauchen.

Dem Fazit der GiB ist Recht zu geben: „Bis 2026 werden wir ein regelloses Sterben unter den 60 Prozent der Kliniken erleben, die seit Jahren rote Zahlen schreiben. Mit Inkrafttreten der Reform kommt die Phase des geregelten Kliniksterbens – dann steuert der Bund die Schließungen über seine Qualitätsvorgaben, die festlegen, dass kleine Krankenhäuser zumachen und ihr Personal an Großkliniken abgeben müssen.“ (GiB-Infobriefe 1.6.2023 und 13.7.2023)

Kliniksterben in zwei Stufen eben!

Gegenwehr und Forderungen

Doch weder DIE LINKE noch GiB gehen über mehr oder weniger richtige Vorschläge, Lobbyismus und Parlamentarismus hinaus.

Forderungen wie Gemeineigentum unter demokratischer Verwaltung verklären dagegen sowohl den bürgerlichen Staat wie seine Demokratie. Sie umgehen nicht nur die Frage der entschädigungslosen Enteignung bei der Wiederverstaatlichung der privaten Klinikketten, sondern suggerieren, staatskapitalistisches Eigentum sei schon Vergesellschaftung (Gemeineigentum). Der staatliche und frei-gemeinnützige Krankenhaussektor hinderte die herrschende Klasse in der BRD in der Vergangenheit ja nicht an umfangreichen Kostendämpfungsprogrammen, die schließlich über zahlreiche Stufen zur immer mehr gesteigerten Umwandlung in die heutige weiße Fabrik geführt haben und weiter führen werden.

Dagegen können nur Klassenkampfmethoden bis hin zum Generalstreik den geplanten Kahlschlag wirksam verhindern!

Erste Ansprechpartnerin dafür sollte die Krankenhausbewegung sein, von der der Startschuss dafür auf einer Strategiekonferenz gegen Krankenhausumstrukturierungen fallen muss. Schließlich hat sie für Entlastung zumindest teilweise erfolgreich bekämpft und sollte eine solche „Lösung“ der Personalknappheit unbeugsam bekämpfen.

Doch reicht ein Tarifvertrag dafür nicht. Auf Regierungskommission, ja selbst auf skeptische Bundesländer und DKG dürfen wir uns nicht verlassen! Die Arbeiter:innenbewegung braucht ihre eigene politische Gegenmacht in Gestalt von Kontrollräten über das gesamte Gesundheitswesen einschließlich seiner Finanzierung durch Progressivsteuern und gesetzliche Sozialversicherungspflicht für alle unter Kontrolle von Gewerkschaften, Beschäftigten und Patient:innen, um den Weg zu seiner nachhaltigen, integrierten, letztendlichen sozialistischen Umgestaltung einschlagen zu können.




Krankenhäuser: großer Kahlschlag geplant

Jürgen Roth, Neue Internationale 273, Mai 2023

In diesem Sommer soll das neue Krankenhausreformgesetz verabschiedet werden. Wenn sich die Vorstellungen der Regierungskommission um Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach durchsetzen, wird es damit zum größten Kahlschlag in der Krankenhauslandschaft nach dem Zweiten Weltkrieg kommen.

Vom Beifall in der Coronapandemie zum Kliniksterben

Was wurde doch das Krankenhauspersonal für seinen unermüdlichen Einsatz während der Pandemie mit Beifall von den Balkonen bedacht! Manche glaubten bereits, das Rad würde sich zurückdrehen, bessere Ausstattung und Arbeitsbedingungen sowie mehr Personal in den Kliniken seien die unvermeidliche Lehre aus den Defiziten, die das Virus damals im BRD-Gesundheitswesen schonungslos aufgedeckt hatte. Die Vorschläge der Bertelsmann-Stiftung, die Zahl der Krankenhäuser um zwei Drittel zu reduzieren, schienen damit endgültig vom Tisch. Doch ausgerechnet die, die unter Höchstlast Coronapatient:innen versorgt haben, sind jetzt akut von der Insolvenz bedroht.

Zahlen und Fakten

Beispiel Niedersachsen: Existierten in diesem Bundesland vor wenigen Jahrzehnten noch über 200 Kliniken, gelten derzeit 40 von noch verbliebenen 168 in den kommenden 10 Jahren als vom Aus bedroht. Laut Bundesrechnungshof steht bundesweit ein Zehntel kurz vor der Insolvenz, 40 % schrieben rote Zahlen. Gab es 1980 noch 3.783 Krankenhäuser mit 879.605 Betten, sind es heute noch knapp 2.000 mit etwa 500.000. Der Anteil in öffentlich-rechtlicher Hand ist auf 29 % geschrumpft, der privater Träger hat sich zwischen 1991 und 2018 von 15 % auf 37 % mehr als verdoppelt. Die NRW-Landesregierung gab eine Studie in Auftrag, der zufolge 60 % der dortigen Krankenhäuser zu schließen seien. Über 40 mussten seit 2020 schließen, darunter allein 13 im Jahr 2022. Die Zahl der akut bedrohten Kliniken erreicht aktuell mit 74 Einrichtungen einen traurigen Rekord.

Die Logik der Umgestaltung der Krankenhauslandschaft, die schon seit Jahren läuft, trifft v. a. kleinere Einrichtungen auf dem Land und läuft auf weniger, aber größere hinaus. Der Krankenhausstrukturfonds trägt dazu bei, dass Schließungen, Konzentrations- und Umwandlungsvorhaben auch noch mit Geld belohnt werden. Neben 34 in den letzten Jahren darunter fallenden Häusern wurden allein zwischen 2016 und 2018 36 Abteilungen an weiteren 24 Standorten geschlossen.

Gründe und Folgen

Die BRD finanziert ihre Krankenhäuser seit 1972 nach einem dualen System. Für den Bau, Unterhalt und für Investitionen sind die Bundesländer zuständig. Die laufenden Betriebskosten (Personal, Material) tragen die Krankenkassen. Beide Finanzierungssäulen werden seit Jahren vernachlässigt und untergraben.

Während die Inflationsentwicklung zwischen 2000 und 2021 – von der aktuell wesentlich höheren gar nicht zu reden – eine Investitionssteigerung von mehr als einem Drittel verlangt hätte, hat sich die Investitionsfinanzierung durch die öffentliche Hand den letzten 20 Jahren halbiert (2017: 44,3 %)! Der Krankenhaus Rating Report 2020 errechnete für mehr als ein Drittel der Häuser (600) ein mittleres bis hohes Insolvenzrisiko. Die Kliniken müssen, um überleben zu können, die fehlenden Investitionen aus Eigenmitteln aufbringen oder Kredite aufnehmen. Ihre Bilanzbelastung durch Schuldendienste hat sich im gleichen Zeitraum vervierfacht!

Bis zur Jahrtausendwende wurde die 2. Finanzierungssäule durch Kostenerstattung geprägt. Für jeden Tag Liegezeit erhielt die Klinik eine Pauschale, den Tagessatz. Dieses Verfahren löste der Gesetzgeber zwischen 1999 und 2002 durch die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs) ab, es wurde nach Zahl und Schwere der behandelten Fälle gezahlt. Liegezeitverkürzung und Fallzahlerhöhung waren die Folge. Trotz massiver Stellenstreichungen – allein in der Pflege 60.000 – erhöhte sich die Patient:innenzahl um ein Fünftel. Folglich stieg der Arbeitsdruck enorm.

Aus den DRGs ergibt sich der Case Mix Index als Durchschnitt aller Diagnosepauschalen, die ein Haus den Krankenkassen zur Abrechnung vorlegt. Das Fatale an diesem Bezahlsystem ist die Verknüpfung der medizinischen Tätigkeit und Diagnose mit der Höhe der Erlöse. Tausende Kodierfachkräfte und Medizincontroller:innen ringen mit wiederum Tausenden ihrer Pendants bei den Kassen um jeden Cent.

Das Versagen der dualen Finanzierung, die Tatsache, dass jetzt Bilanzen – nicht medizinische Notwendigkeit – den Ausschlag gaben, bildet den Hintergrund für Schließungen und Privatisierungen. Heute steht Deutschland mit der Zahl der privatisierten Krankenhausbetten an der Weltspitze, noch vor den USA, denn immer mehr Kommunen können die Defizite nicht mehr ausgleichen. Weil das DRG-System die kinderärztliche Tätigkeit völlig unterbewertet, schlossen viele Kinderkliniken. Einen ähnlichen Weg geht die Geburtshilfe mit der Schließung zahlreicher Kreißsäle.

Die Erlaubnis, Gewinne machen zu dürfen – ein weiterer Meilenstein im Umbau der Krankenhauslandschaft zu einer Industrie wie jede andere –, führte neben der Einführung der DRGs ab den 1990er Jahren zu einem Privatisierungsschub. Die Privaten spezialisieren sich v. a. auf aufwendige Behandlungen, während Erhaltung und Grundversorgung schlecht vergütet werden. Durch Personaleinsparungen und Auslagerungen von Tätigkeiten an externe Dienstleister:innen bzw. outgesorcte Tochterunternehmen mit schlechteren Tarifverträgen für die Beschäftigten lassen sich Gewinne erzielen bzw. Defizite reduzieren.

Konturen der drohenden Krankenhaus„reform“

Im 1. Pandemiejahr schlossen doppelt so viele Kliniken (20) wie im Durchschnitt der Vorjahre. Dazu kamen 22 Teilschließungen und 50 von Schließungen bedrohte Einrichtungen, von denen 31 bereits feststanden. Im Koalitionsvertrag der Ampelbundesregierung wurde das Problem der flächendeckenden Klinikschließungen und der klinischen Unterversorgung mit keinem Wort erwähnt. Das DRG-System wurde nicht grundlegend in Frage gestellt.

Ein Teil der Kliniken kam kurzfristig im 1. Pandemiejahr mit einer Entlastung durch die Krise. Unmittelbar danach häuften sich die Hiobsbotschaften. Unter anderem Energie- und Beschaffungskosten stiegen schneller als die Erlöse. 60 % erwarten für 2022 tiefrote Zahlen. Folglich hatte die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) im Vorfeld des Treffens der Gesundheitsminster:innen des Bundes und der Länder Anfang Januar 2023 Forderungen nach mehr Geld angemeldet. Sie kritisierte die von der Expert:innenkommission der Bundesregierung für die geplante Krankenhausreform unterbreiteten Pläne für die Minister:innenkonferenz. Diese schlug 3 neue Vergütungskriterien vor: Vorhalteleistungen, Versorgungsstufen und Leistungsgruppen. Vorhaltung bedeutet, dass feste Beträge für Personal und Medizintechnik einer Notaufnahme fließen sollen, unabhängig davon, ob diese ständig gebraucht werden. Strittig blieb die Einteilung in 3 Level mit entsprechender Förderung: Kliniken der Grundversorgung für Notfälle und einfache chirurgische Eingriffe, Regel- und Schwerpunktversorgung und die dritte Gruppe der Maximalversorger. Neben dem Dilemma, sich nicht mit Fragen der Planung und Investitionsuntererfüllung durch die Länder beschäftigt zu haben, betrachtet der Kommissionsentwurf Gesamtkosten und Finanzierungsquellen nicht für den gesamten Gesundheitsbereich als Paket. Zu Recht forderte im Kontrast dazu der Sozialverband VdK eine vollständige Abkehr von jeder Gewinnorientierung und die Aufgabe der Fallpauschalen. Ein Bündnis aus 9 Initiativen, darunter Krankenhaus statt Fabrik, setzt sich für eine Gemeinwohlorientierung und Gewinnverbot im Sektor neben verbindlichen Personalschlüsseln und demokratischer Planung und Steuerung ein.

Der Vorschlag der Kommission wundert angesichts ihrer Zusammensetzung nicht: 14 Professor:innen, Führungskräfte des Sanakonzerns, Chefärzt:innen, Sozialrechtler:innen, aber niemand aus Gewerkschaft, Pflege oder Berufsverbänden. Umso dringender war es geboten, dass die Minister:innenkonferenz den Eindruck erwecken wollte, mit einem milden Zurückfahren der DRGs (Vorhaltung) die Probleme der stationären Versorgung lösen zu können. Dieses Zuckerbrot unterm Schlagwort Entökonomisierung soll aber die weit gewichtigeren Peitschen Versorgungsstufen und Leistungsgruppen übersehen helfen.

Pferdefüße

Auch wenn einige Bundesländer und die DKG betonten, eine „Eins-zu-eins-Umsetzung“ werde es nicht geben, deutet eine solche „Kritik“ mehr Kompromissbereitschaft als Kampfeswillen an.

1.) Das Zwei-Säulen-Modell aus Vorhaltung und Fallpauschalen (Hybridfinanzierung) führt ja nicht dazu, dass mehr Geld bei den Krankenhäusern ankommt. Es soll kostenneutral gestaltet und mit einem Budgetdeckel versehen werden. Die beiden weiteren Vorschläge – Einführung der Krankenhauslevel und Leistungsgruppen – zielen direkt auf eine radikale Veränderung der stationären Versorgung.

2.) Level 1i (Grundversorgung ohne ärztliche Anwesenheitspflicht 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche; Gesundheitszentren) soll nicht ärztlich, sondern von ausgebildeten Pflegekräften geleitet werden und nur über stationäre Pflegebetten verfügen. Ärztliche Verfügbarkeit rund um die Uhr ist nicht vorgesehen. Soll’s etwa der auf dem Land schon heute ausgedünnte niedergelassene Bereich mit der ärztlichen stationären Versorgung richten? Absurd! Den Vogel schießt der Kommissionsvorschlag aber mit der Einbeziehung der Angehörigen in die Pflege ab. Es ist davon auszugehen, dass die bundesweit 657 Krankenhäuser, die laut Gemeinsamem Bundesausschuss die Anforderungen an Notfallstufen nicht erfüllen, als Krankenhäuser zu existieren aufhören und Level-1i-Einrichtungen degradiert werden.

Solche des Levels 1n (Grundversorgung für Notfälle und einfache chirurgische Eingriffe) bleiben als solche erhalten, allerdings nur auf Basisniveau (Innere Medizin, Chirurgie, Notfallaufnahmen) – ohne Geburtshilfe!

3.) 128 (!) Leistungsgruppen werden z. B. die Innere Medizin rigoros aufsplitten. Rigide Mengenvorgaben, die automatisch Qualitätszuwachs und -sicherung suggerieren sollen verbieten Häusern mit vorhandener Kompetenz und Erfahrung zukünftig bestimmte Behandlungen. Fällt z. B. während einer Bauchspeicheldrüsen-OP der Herzschrittmacher aus, muss das Krankenhaus für die Leistungsgruppe Herzkrankheiten zugelassen sein, sonst darf es die erforderlichen Gegenmaßnahmen nicht durchführen. Behandelt es dennoch, dem Überleben des/r Patient:in zuliebe, wird es von den Krankenkassen abgestraft. Medizinisch unnötige Operationen werden zunehmen, wenn der Druck gegen Jahresende steigt, die erforderlichen Mengenvorgaben erfüllen zu müssen, um die Leistungsstufen„kompetenz“ beizubehalten.

4.) Alle 3 Reformvorschläge erfordern zusätzlichen Dokumentations- und Verwaltungsaufwand über das bisher durch die Abrechnung nach Fallpauschalen bereits bedingte eklatant hohe Maß von einem Drittel der Arbeitszeit hinaus. Fälle wie o. a. Pankreas-OP führen zu gesteigerten Auseinandersetzungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

Auch bei einer abgemilderten Umsetzung der Reform wird die durchschnittliche Lebenserwartung sinken. Wenn von 810 Geburtsstationen noch 428 übrig bleiben, werden mehr Mütter und Kinder sterben. In allen Bereichen werden sich die Wartezeiten verlängern. Das Beispiel Britannien winkt. Angesichts sinkender Klinikzahlen werden sich die der ausgebildeten Pflegekräfte parallel verringern, wird die ärztliche Ausbildung unter weiterer Spezialisierung leiden, werden ganzheitliche Behandlungsansätze aus dem Blickfeld verschwinden, weil sich die verbleibenden Einrichtungen auf Leistungsgruppen spezialisieren müssen.

Hinzu kommen: mangelnde ärztliche Versorgung in den Einrichtungen des Levels 1; noch längere Anfahrtswege bis zu den Kliniken der Level 2 ( Regel- und Schwerpunktversorgung) und 3 (Maximalversorger wie Unikliniken); Unklarheit, welche Klinik bei welchen Notfällen und Krankheitsbildern aufgesucht werden sollen inkl. damit über das schon jetzt überlastungsbedingte hohe Maß hinausgehender verbundener Abweisung von Patient:innen, unerträglich lange Wartezeiten auf Diagnosen und Behandlungen in den verbleibenden Kliniken und Rettungsstellen.

Gegenwehr und Forderungen

Das rührige Bündnis für Klinikrettung hat seit Jahren erheblich dazu beigetragen, auf das Kliniksterben aufmerksam zu machen und sich gründlich recherchierend energisch gegen die geplante „Reform“ ins Zeug gelegt. Mehr als 15.000 unterzeichneten eine Petition dagegen. Zu den ersten Unterzeichner:innen gehörte der heutige Bundesgesundheitsminister! Den Forderungen nach Selbstkostendeckung ist ebenso zuzustimmen wie denen des VdK und der 9 Initiativen. Die SoL fügt ihnen in ihrer 1. Ausgabe von Antiserum – Publikation der SoL für ein öffentliches Gesundheitswesen nach Bedarf, nicht für Profit die nach Überführung u. a. des Krankenhaussektors in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung hinzu. Doch in doppelter Hinsicht wird von ihnen die Klassenfrage nur ungenügend aufgeworfen. Bürger:innenbewegungen und Lobbyismus, stellen zwar kein Hindernis dar, sie und ihre Forderungen zu unterstützen. Ja, auch wir haben die Petition unterschrieben und fordern alle Leser:innen auf, es uns gleichzutun. Doch nur Klassenkampfmethoden bis hin zum Generalstreik können den geplanten Kahlschlag wirksam verhindern!

Erste Ansprechpartnerin dafür sollte die Krankenhausbewegung sein, von der der Startschuss dafür auf einer Strategiekonferenz gegen Krankenhausumstrukturierungen fallen muss. Schließlich hat sie für Entlastung zumindest teilweise erfolgreich bekämpft und sollte eine solche „Lösung“ der Personalknappheit unbeugsam bekämpfen.

Doch reicht ein Tarifvertrag dafür nicht. Auf Regierungskommission, ja selbst auf skeptische Bundesländer und DKG dürfen wir uns nicht verlassen! Die Arbeiter:innenbewegung braucht ihre eigene politische Gegenmacht in Gestalt von Kontrollräten über das gesamte Gesundheitswesen einschließlich seiner Finanzierung durch Progressivsteuern und gesetzliche Sozialversicherungspflicht für alle unter Kontrolle von Gewerkschaften, Beschäftigten und Patient:innen, um den Weg zu seiner nachhaltigen, integrierten, letztendlichen sozialistischen Umgestaltung einschlagen zu können. Forderungen wie Gemeineigentum unter demokratischer Verwaltung verklären dagegen sowohl den bürgerlichen Staat wie seine Demokratie. Sie umgehen nicht nur die Frage der entschädigungslosen Enteignung bei der Wiederverstaatlichung der privaten Klinikketten, sondern suggerieren, staatskapitalistisches Eigentum sei schon Vergesellschaftung (Gemeineigentum). Der staatliche und frei-gemeinnützige Krankenaussektor hinderte die herrschende Klasse in der BRD in der Vergangenheit ja nicht an umfangreichen Kostendämpfungsprogrammen, die schließlich über zahlreiche Stufen zur immer mehr gesteigerten Umwandlung in die heutige weiße Fabrik geführt haben und weiter führen werden.




Lehren eines bedeutenden Streiks

Beschäftigte bei Charité, Vivantes und Tochtergesellschaften setzen Tarifvertrag Entlastung und einen Tarifvertrag mit ersten Angleichungen an den TVöD durch

Vernetzung kämpferische Gewerkschaften (VKG), Infomail 1178, 7. Februar 2022

Der folgende Beitrag wurde zuerst auf der Seite Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften veröffentlicht.

Nach über sieben Wochen Erzwingungsstreik hatte der Berliner Krankenhauskonzern Vivantes zuletzt für seine ausgelagerten Tochtergesellschaften gemeinsam mit Vertreter*innen der Gewerkschaft ver.di ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das einige Verbesserungen, die an den TVöD anknüpfen, enthalten soll. Bereits zuvor, am 7.10., gab es nach 30 Streiktagen ein Eckpunktepapier zur Entlastung der Pflegekräfte bei der Charité und 4 Tage später folgte der Vivantes-Konzern. Die Streiks wurden nach der Einigung auf die Eckpunktepapiere bis zur Unterzeichnung von entsprechenden Tarifverträgen ausgesetzt. In der Zwischenzeit gibt es für beide Häuser einen Tarifvertrag Entlastung und für die Vivantes-Töchter einen ausgehandelten Tarifvertrag über eine Annäherung an den TVöD, die zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten sind. Dieser Erfolg war nur möglich, weil zum einen die Vorbereitungen bereits im Frühjahr 2020 begonnen wurden, verbunden mit einer erfolgreichen Kampagne zur Gewinnung von neuen ver.di-Mitgliedern: Insgesamt wurden über 2000 neue Gewerkschafter*innen gewonnen, eine wichtige Voraussetzung, um überhaupt in diese harte Auseinandersetzung gehen und bestehen zu können. Zum anderen wurden Strukturen wie die Teamdelegierten aufgebaut und diese auch in ihren Aufgaben geschult. Ein wichtiges Element, um zum einen die Beschäftigten zu aktivieren und für die Streiks zu mobilisieren. Zum anderen stellen sie auch Ansätze zur Kontrolle über die Entscheidungen der Tarifkommissionen dar.

Abschluss bei der Charité:

Ver.di-Verhandlungsführerin Melanie Guba erkärte zum Abschluss des Eckpunktepapiers, alle Forderungen seien in diesem Papier, das mit der Charité-Geschäftsführung ausgehandelt wurde, berücksichtigt worden: Mindestbesetzungsregelungen für alle Bereiche, darunter Stationen, OP-Säle und Notaufnahmen/Rettungsstellen; Regelung eines Belastungsausgleichs; Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. War auf Intensivstationen bisher eine Pflegekraft für bis zu 4 PatientInnen zuständig, im Nachtdienst für 20 – 30, so soll der neue Personalschlüssel 1:1 bzw. 1:10 – 1:17 lauten. In den Kreißsälen soll es wieder möglich werden, dass eine Hebamme nur eine Frau bei der Geburt begleitet. Es sollen 3 neue Ausbildungsstationen und 1 multiprofessionelle Intensiv-Lehrstation eingerichtet werden.

Wenn eine Abteilung unterbesetzt ist, Leiharbeitskräfte eingesetzt werden, oder nach Gewalterfahrungen gibt es Belastungspunkte. Die Punkte können dann in Freizeitausgleich, Erholungsbeihilfen, Kinderbetreuungszuschüsse, Altersteilzeitkonten oder Sabbaticals (längere Auszeiten) umgewandelt werden. Der Belastungsausgleich im Fall der Unterschreitung der Mindestpersonalbesetzung im TVE sieht 1 freie Schicht für 5 in Überlastung vor. Die Ausgleichsschichten sind jedoch in den nächsten 3 Jahren gedeckelt: 2022 max. 5, 2023 10, 2024 15 Tage.

Bei der Charité sollen in den nächsten 3 Jahren 700 neue Stellen geschaffen wie auch akademisierte Gesundheitsfachberufe aufgebaut werden („Gesamtstrategie 2030“).

Vergleich mit dem Vivantes-Mutterkonzern-Eckpunktepapier:

Im Kern soll der TVE die Angleichung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Berliner Krankenhäusern anstreben. Die Verhandlungsführung von Vivantes wollte anfangs gar nicht über einen TVE verhandeln und war gegen den Streik gerichtlich per einstweiliger Verfügung vorgegangen. Nun trat mit dem Abschluss an der Charité sicher eine Situation ein, nach der Vivantes sich nicht mehr komplett verweigern konnte. Eine weitere Blockade hätte die Gefahr einer Abwanderung des Personals zur Charité heraufbeschworen oder zumindest hätte es einen Imageverlust bedeutet und es wäre schwieriger geworden, Fachpersonal zu aquirieren. Das Eckpunktepapier und auch der TVE bleibt aber in vielen Punkten hinter dem der Uniklinik zurück. Zwar soll auch hier ein Punktesystem eingeführt werden, wenn Schichten unterbesetzt sind, mit entsprechenden Freischichten, dieses ist aber schlechter geregelt als bei der Charité: Im Kern fällt 1 Freischicht auf 9 in Überlast (Charité: 5). Gegenüber einem vorherigen Angebot (1:12) stellt dies eine deutliche Verbesserung dar. Das gilt auch für das Ergebnis für Auszubildende (1:48). Allerdings bekommen diese den Freizeitausgleich erst angerechnet, wenn sie nach Ende ihrer Ausbildung von Vivantes übernommen werden. Es gibt auch keine Zusage für Neueinstellungen wie bei der Charité. Kolleg*innen können auch statt Freizeit eine entsprechende Auszahlung in Geld wählen. Die Konzernleitung hatte stattdessen im Laufe des Arbeitskampfes angedeutet, dass sie planen, Leistungen abzubauen, um mögliche Mindestpersonalbesetzungen zu erfüllen, also Bettenkapazitäten zu reduzieren. Der TVE soll in beiden Konzernen eine Laufzeit von 3 Jahren aufweisen.

Die Gefahr ist groß, dass es zumindest bei Vivantes zu keinem spürbaren Personalaufbau, sondern eher zu einem Abbau der Leistungen – sprich der Bettenkapazitäten – kommen wird, was wiederum zu einer Beeinträchtigung der Notfall- und Grundversorgung führen kann. Die Belegschaften haben die ausgehandelten Tarifverträge bei der Urabstimmung zwar mit überwältigender Mehrheit angenommen – bei der Charité mit 96,3 %, bei Vivantes mit 96,7 %. Trotzdem hätten die KollegInnen die Möglichkeit erhalten müssen, in Abteilungsversammlungen (unter Berücksichtigung von Notdiensten) über das für und wider der Tarifverträgen (inkl. von Beispielrechnungen) zu diskutieren, was auch die Annahme oder Ablehnung hätte beinhalten müssen.

Wichtige Teilerfolge der Streiks

Die Berliner Krankenhausbewegung hat es geschafft, durch einen langen und hartnäckig geführten Streik erfolgreich zu sein – trotz einiger Schwächen. Der TVE an der Charité ist in vielerlei Hinsicht besser als bisherige Entlastungstarifverträge und es ist gelungen, die Vivantes-Geschäftsführung schließlich zum Einlenken und zu einem Abschluss zu zwingen. Dies ist umso wichtiger, da die kommunalen Arbeitgeberverbände ihren Mitgliedern bisher den Abschluss eines TVE untersagten. Der TVE in beiden Krankenhäusern umfasst deutlich mehr Bereiche als 2015, darunter auch nicht-stationäre wie Kreißsäle, OPs und Funktionsabteilungen (Notaufnahmen/Rettungsstellen, Untersuchungsräume) und bietet zudem konkretere Entlastungsregelungen.

Dazu kommt, dass es nun ein Konsequenzenmanagement gibt, was es beim ersten – 2015 bei der Charité erkämpften – TVE so noch nicht gab. Der Arbeitgeber soll so gezwungen werden, auf die ein oder andere Weise eine Entlastung des Personals umzusetzen – entweder durch Einsatz von mehr Personal, oder durch Abbau von Leistungen. Letzteres mit der möglichen Konsequenz der Beeinträchtigung der Gesundheitsversorgung in den Bezirken.

Doch klar ist, dass damit die Probleme nicht gelöst sind und noch lange keine ausreichende Personalausstattung sicher gestellt ist: Es besteht die Gefahr, dass gerade da, wo der TVE auch eine Bezahlung anstatt Freizeitausgleich möglich macht, in der Praxis starker Druck auf die Beschäftigten ausgeübt wird, sich doch gegen den Freizeitausgleich zu entscheiden, um die Situation auf Stationen nicht zu verschlimmern. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn – zumindest von ver.di – beabsichtigt wird, Freizeitausgleich den Vorzug zu geben. Was zur Folge haben kann, dass es zu keinem spürbaren Personalaufbau kommt.

In diesem Zusammenhang wäre es aus unserer Sicht sinnvoll, unter den Beschäftigten und Aktiven folgende Fragen zu diskutieren: Wie können die Beschäftigten selbst die Umsetzung der Regelungen aus den TVE kontrollieren? Und wie können die Beschäftigten auch über Sanktionen – wie z.B. Bettensperrung und Aufnahmestopps – entscheiden, wenn die Klinikleitungen sich nicht an die Vereinbarungen halten? Gerade in einer Phase ohne Streiks sind solche Maßnahmen wichtig, um den Druck auf die Klinikleitungen nach Einstellung von mehr Personal aufrechterhalten zu können. Die Beschäftigen selbst müssen diese Mittel in die Hand bekommen, da sie es sind (und auch die PatientInnen), die ein wirkliches Interesse an einer Gesundheitsversorgung entsprechend dem Bedarf mit entsprechend guten Arbeitsbedingungen haben.

Vivantes-Töchter

Im Tarifkonflikt bei den Tochtergesellschaften der landeseigenen Vivantes-Kliniken sollen die Beschäftigten nun bis Ende 2025 schrittweise mehr Geld erhalten. Wesentliche Bestandteile des TVÖD-Mantels sollen nun zur Geltung kommen. Dazu gehören 30 Tage Urlaub. Andere Vergünstigungen wie zur betrieblichen Altersvorsorge bleiben außen vor. Zur Zufriedenheit trügen die stark an ihm orientierte Zulagenregelung sowie die Verlängerung des Krankengeldzuschusses über die 6. Woche (eigentlich überhaupt ein Krankengeldzuschuss, denn bis zur 6. Woche gilt ja die gesetzliche Lohnfortzahlung) hinaus bei, so Alexander Thonig von VivantesClean (Reinigungsgesellschaft), Mitglied der ver.di-Tarifkommission. (Quelle: NEUES DEUTSCHLAND, 1.11.2021, S. 10). „Insbesondere in den unteren Lohngruppen bedeutet das in Zukunft deutlich höhere Einkommen und deutlich mehr Gerechtigkeit“, teilte Verdi-Verhandlungsführer Ivo Garbe mit.

Doch von einer Angleichung an die TVÖD-Tabellen ist das Papier weit entfernt: Je nach Tochter sollen ihre Löhne und Gehälter in den kommenden vier Jahren nach und nach auf 91 beziehungsweise 96 Prozent des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) steigen – wie z.B. bei Vivantes Rehabilitation. Sauer stößt vielen Beschäftigten auf, dass keine vollständige Angleichung an den TVöD erreicht werden konnte, geschweige denn eine Rückkehr in den Schoß der Konzernmutter, die ja von Senat und Abgeordnetenhaus versprochen worden war. Melanie Meißner, Medizinische Fachangestellte in einem MVZ, macht ferner darauf aufmerksam, dass manche ihrer Kolleg*innen in den Bestandsschutz schlüpfen müssen, um nicht weniger zu verdienen als zuvor. In Anlehnung an den TVöD nehmen die Eckpunkte nämlich die Lohngruppeneinteilung nach Dauer der Betriebszugehörigkeit vor. Verhandlungsführer Ivo Garbe bezeichnet das Ergebnis denn auch als „teils gut und teils schmerzhaft“.

Für das Labor Berlin, ein gemeinsames Tochterunternehmen mit der Charité, gelten die Eckpunkte nicht. Der Verhandlungsaufforderung ver.dis sind die Geschäftsführungen bisher nicht nachgekommen.

Auch hier haben die Beschäftigten in der Urabstimmung dem Tarifvertrag mit 95,7 % zugestimmt trotz aller Schwächen und setzen auf 2025, um den Rest der Forderungen durchzusetzen (so die Physiotherapeutin Lynn Stephainsiki – selbst eine der aktiven Teamdelegierten – in einem nd-Interview vom 4.12.21). Wir hätten den Kolleg*innen jedoch empfohlen aufgrund der Schwächen der langen Laufzeit und der weiterhin großen Lücke zum TVÖD das Ergebnis abzulehnen. Ein Nein in der Urabstimmung – eine verbindliche Urabstimmung hatte ver.di nicht vorgesehen – bedeutet natürlich auch, eine Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Streiks zum Ausdruck zu bringen. Hierfür wäre es nötig, alle wichtigen Lehren wie zur Streikdemokratie und Organisierung einer gewerkschaftlichen Solidaritätskampagne zu ziehen.

Streikdemokratie

Anders als in den meisten betrieblichen oder Tarifauseinandersetzungen gab es eine starke Einbeziehung und Beteiligung der streikenden Kolleg*innen. Fast jeder Bereich inklusive der Tochterunternehmen hatte ein/e Sprecher*in auf den Kundgebungen. Neben diesen Mobilisierungen ermittelte jede Station ihre Personaluntergrenzen, stellte Notdienstpläne auf und brachte ihre Meinung zum Stand der Verhandlungen ein. Dafür wurden überall Teamdelegierte gewählt, die als Verbindungsglied zwischen den Streikenden und der Tarifkommission und Verhandlungsführung fungieren sollten. Zudem wurde eine repräsentative Tarifkommission gewählt, in der zahlreiche unterschiedliche Disziplinen vertreten waren. Mit den Teamdelegierten wurden Organe geschaffen, die zum einen aktiv zur Beteiligung der Beschäftigten während der Streiks beitrugen, als auch eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Umsetzung des TVE ausüben könnten. Dies stellt alles ein gutes Vorbild für zukünftige Arbeitsauseinandersetzungen inkl. von Tarifrunden dar. Zudem bieten die im Kampf geschaffenen neuen Aktivenstrukturen nun die Möglichkeit, aktive ver.di-Betriebsgruppen und Vertrauensleutestrukturen zu stärken bzw. aufzubauen.

Die Berliner Krankenhausbewegung hat sich somit durch demokratischere Strukturen ausgezeichnet, als die meisten anderen Streikbewegungen. Es ist jedoch wichtig, dass die Kontrolle über den Streik und vor allem über Streikaussetzung und Ergebnisse wirklich bei den Streikenden selbst liegt. Alle Verhandlungsstände sollten stets transparent gemacht werden, und den Streikenden die Möglichkeit zur Diskussion und Abstimmung über die nächsten Schritte und Streikstrategien gegeben werden. Dafür sind regelmäßige Streikversammlungen nötig. Um diese Kontrolle während einer Auseinandersetzung permanent auszuüben und die nächsten Aktionen zu planen bzw. Versammlungen einberufen zu können, braucht es Organe, die von den Beschäftigten aus den Stationen gewählt werden, diesen rechenschaftspflichtig sind und von diesen jederzeit abgewählt werden können – nämlich gewählte Streik- oder Arbeitskampfleitungen bzw. Streikkomitees.

Auch ein Verhandlungsergebnis sollte grundsätzlich erst demokratisch auf einer Streikversammlung diskutiert werden und die Aussetzung des Streiks erst erfolgen, wenn die Streikenden darüber abstimmen konnten. Das war nicht der Fall. Dass ein Streik auch bis zur Urabstimmung gehen kann, zeigte 2011 der Streik beim Charité Facility Management (CFM). Als es nach drei Monaten Streik ein Angebot gab, dem die Verhandlungs- und Tarifkommission von ver.di zugestimmt hatten, wurde der Streik fortgesetzt, bis das Ergebnis der Urabstimmung bekannt war – um den Kolleg*innen die Möglichkeit zu geben, in Ruhe über das Ergebnis zu beraten und auch Lehren aus ihrem Streik gemeinsam zu diskutieren.

Gemeinsamer Kampf

Die gemeinsame Streikbewegung an beiden großen landeseigenen Krankenhäusern war ein großer Schritt nach vorn. Die Kolleg*innen vernetzten sich durch den Streik miteinander und die Solidarität untereinander ist groß. Zudem gibt es viele Elemente dieses Kampfes, die für einen erfolgreichen bundesweiten Kampf aufgegriffen werden könnten. Wie man allerdings genau mit der Frage umgeht, was zu tun ist, wenn es zu einem ersten Abschluss kommt, und wie man mit der dadurch entstehenden Aufspaltung des Streiks umgeht, wurde von der ver.di-Führung nicht zur Diskussion gestellt.

Sicher ist es richtig zu sagen, dass das Ergebnis an der Charité die Vivantes Geschäftsführung auch so schon unter Druck setzte, etwas abzuschließen. Doch führte die Streikaussetzung der Kolleg*innen an der Charité bei einigen Vivantes-Kolleg*innen zu dem Gefühl, dass es jetzt schwieriger ist, den Druck noch weiter zu erhöhen. Besonders schwierig wurde die Lage für die Beschäftigten der Tochtergesellschaften, die am Ende allein weiter streiken mussten. Es wäre wichtig gewesen, wenn dies in großen und regelmäßigen Streikversammlungen und Streikleitungen bzw. Streikkomitees, die allein den Streikenden gegenüber verantwortlich sind, gemeinsam diskutiert und abgestimmt worden wäre. Da es sich rechtlich um drei verschiedene Tarifverhandlungen handelt, war dies keine einfache Frage. Wir hätten in einer solchen Diskussion für eine gemeinsame Streikfortsetzung argumentiert, auch weil die Verantwortung für beide Krankenhäuser letztlich beim Eigentümer, dem Land Berlin liegt.

Für einen gemeinsamen Kampf der Krankenhausbeschäftigten mit der arbeitenden Bevölkerung

 Ein bedeutender Faktor war in der gesamten Berliner Krankenhausbewegung die Frage der Solidarität. So konnte mit wirksamen Aktionen die breite Öffentlichkeit und Bündnisse wie deutsche Wohnen & Co. Enteignen einbezogen werden. Wichtig war zum Beispiel eine große Demonstration am Samstag, den 9. Oktober, wo auch die Berliner Bevölkerung, insbesondere soziale Bewegungen wie auch Gewerkschaften aufgerufen wurden, teilzunehmen. Diese Demonstration war sehr kämpferisch und laut. Sie fand nach der Aussetzung des Streiks an der Charité und unmittelbar vor der Unterzeichnung des Eckpunktepapiers für den TVE bei Vivantes statt. So gut diese Demonstration war, muss trotzdem gesagt werden, dass eines gefehlt hat: Delegationen von anderen Berliner Betrieben und aus den DGB-Gewerkschaften. Dafür wäre es nötig gewesen, schon Wochen vorher eine bewusste Kampagne von den Berliner Gewerkschaften in die Betriebe hinein zu tragen. Auf diese Weise hätte aus der Berliner Krankenhausbewegung eine breite gesellschaftspolitische Bewegung werden können, bei der tausende Berliner Beschäftigte auch aus anderen Betrieben gemeinsam mit den Krankenhausbeschäftigten demonstriert hätten. So hätte der Druck massiv gesteigert und auch die politischen Fragen der Krankenhausfinanzierung, die letztlich über die Frage der Personalausstattung entscheidet, noch mehr zugespitzt und angegangen werden können.

Die Berliner Krankenhausbewegung als Ausgangspunkt für einen bundesweiten Kampf für mehr Personal

In der Ende November abgeschlossenen Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder wäre eine weitere Möglichkeit gewesen, die Frage der Entlastung mit aufzunehmen. ver.di hatte wie in der letzten Tarifrunde Bund/Kommunen darauf verzichtet und lediglich eine Gehaltsrunde durchgeführt, womit diese Chance verpasst wurde. Es gab zwar neben der allgemeinen Lohnerhöhung für Pflegekräfte noch zusätzliche Steigerungen bei den Zulagen. Auch neue Berufsgruppen im Gesundheitsbereich wie Logopäd*innen, Diätassistent*innen oder medizinische Fachangestellte erhalten nun die allgemeine Pflegezulage, jedoch nicht in vollem Umfang, sondern nur zur Hälfte. Aber zum einen stellen diese Erhöhungen keinen Ausgleich für die steigende Inflation dar, noch ändern diese etwas an der prekären Versorgung der Krankenhäuser mit genügend Pflegekräften entsprechend dem Bedarf.

Positiv zu bewerten ist es, dass die Kolleg*innen der Unikliniken in NRW – angeregt durch das positive Beispiel aus Berlin – im nächsten Jahr anstreben, eine gemeinsame Entlastungskampagne zu initiieren. In mehreren Treffen und Veranstaltungen haben die Kolleg*innen aus Berlin ihre Erfahrungen mit Kolleg*innen aus den Unikliniken in NRW ausgetauscht und damit den Stab weitergegeben. Die Berliner Kolleg*innen planen darüber hinaus im nächsten Jahr zusammen mit dem Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite, eine Veranstaltung zur Frage der bedarfsgerechten Finanzierung der Krankenhäuser und gegen Privatisierung im Gesundheitsbereich zu organisieren, um auch in dieser grundlegenden Frage ein Stück voranzukommen. Nötig wäre, dass ver.di auch andere Kliniken – ob Uniklinik, kommunal verwaltet oder bereits privatisiert – in weiteren Bundesländern in einen gemeinsamen Kampf für mehr Personal führt.

Von daher besteht die Aufgabe, den beispielhaften gemeinsamen Kampf an den Berliner Krankenhäusern als Ausgangspunkt für eine bundesweite Bewegung für Entlastung und Angleichung an den TVöD zu nehmen. Dafür sollte ver.di eine bundesweite Krankenhauskonferenz mit allen aktiven Kolleg*innen organisieren, auf der ein offener Austausch über die positiven und negativen Erfahrungen erfolgen sollte. Als nächster Schritt sollte der gesamte DGB sowie Organisationen, Bündnisse und Initiativen, die sich für die Interessen der KollegInnen und PatientInnen engagieren, einbezogen werden, um eine entsprechende Unterstützungskampagne zu planen und die entsprechende gesellschaftliche Kraft aufzubauen, die Schluss macht mit einem Gesundheitssystem, das dem Profit einiger weniger Gesundheitskonzerne dient.

Sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen hegen, zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften über die laufende Tarifrunde hinaus. Mit einer solchen Mobilisierung, bis hin zu Solidaritätsstreiks, könnte eine gesellschaftspolitische Bewegung geschaffen werden, die die Kraft hat, einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors zu führen. Der Kampf um eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung für alle und unter guten Arbeitsbedingungen kann nur gewonnen werden, wenn Schluss gemacht wird mit der Privatisierungspolitik, die Fallpauschalen ersetzt werden durch eine Finanzierung, die den realen Bedarf deckt und die bereits privatisierten Kliniken rekommunalisiert werden unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und PatientInnen und ihrer Organisationen.




Tarifvertrag bei Vivantes rückt näher

Jürgen Roth, Infomail 1166, 15. Oktober 2021

Bis in die Nacht zum Montag, den 11. Oktober, liefen die Gespräche zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Deutschlands größtem kommunalen Klinikunternehmen Vivantes. Nach 34 Tagen Vollstreik hatte man sich wie 4 Tage zuvor bei den Universitätskliniken der Charité auf ein Eckpunktepapier geeinigt, das bis Ende November zu einem Tarifvertrag Entlastung (TVE) führen soll. Der Streik beim Vivantes-Mutterkonzern wurde daraufhin ausgesetzt. Bei der Charité ist er das seit 7. Oktober.

Details

Im Kern soll der TVE die Angleichung und Verbesserung der Arbeitsbedingungen in den Berliner Krankenhäusern anstreben. Die Einigung ver.dis mit der Charité-Spitze im dortigen Eckpunktepapier zeigte in Anbetracht des Pflegepersonal- und Nachwuchsmangels auch bei der weit widerspenstigeren Verhandlungsführung Vivantes‘ schließlich Wirkung. Weitere Sturheit hätte die Gefahr einer Abwanderung eigenen Personals zur Charité heraufbeschworen.

Die neuen Eckpunkte folgen der gleichen Systematik. Bereich für Bereich wird geschaut, ob unterschiedliche Belastungssituationen und Unterbesetzung bestehen. Bei Charité und Vivantes soll ein Punktesystem eingeführt werden. Bei den 3 Uniklinikstandorten gibt es Belastungspunkte, wenn eine Abteilung unterbesetzt ist, Leiharbeitskräfte eingesetzt werden, oder nach Gewalterfahrungen. Bei der Charité können die Punkte dann in Freizeitausgleich, Erholungsbeihilfen, Kinderbetreuungszuschüsse, Altersteilzeitkonten oder Sabbaticals (längere Auszeiten) umgewandelt werden. Vivantes sprach in einer Mitteilung am Montag lediglich allgemein von einer Umwandlung in Entgelt oder Freizeit.

Während die Charité 3 neue Ausbildungsstationen und 1 multiprofessionelle Intensiv-Lehrstation einrichten will, will Vivantes die Ausbildungsbedingungen tariflich regeln, z. B. durch Ausstattung mit Notebooks. Der Konzern legte sich auch nicht auf Neueinstellungen fest, während die Landesunikliniken 700 neue Pflegekräfte binnen 3 Jahren anwerben wollen. Der TVE soll in beiden Konzernen eine Laufzeit von 3 Jahren aufweisen und bei Vivantes.

Vergleiche

Die Tarifbewegung Entlastung startete schon 2012 an der Charité und führte dort 2015 zu einem TVE, der 2016 von ver.di gekündigt wurde. Grund: Die darin festgehaltenen Regelungen galten nur für einige Bereiche, waren zu wenig auf die Bedürfnisse abgestimmt und überdies nicht einklagbar. Auch wenn die Eckpunkte bei Vivantes weniger konkret als bei der Charité ausfallen oder schlechter scheinen, können wir davon ausgehen, dass der zukünftige TVE in beiden Krankenhausketten deutlich mehr Bereiche, darunter auch nicht-stationäre wie Kreißsäle, OPs und Funktionsabteilungen (Notaufnahmen/Rettungsstellen, Untersuchungsräume) umfassen wird als der von 2015 und zudem konkretere Entlastungsregelungen enthält. Susanne Feldkötter, Vizevorsitzende des ver.di-Landesbezirks Berlin-Brandenburg, bezeichnete die bei der Charité verabredeten Eckpunkte als einmalig. Sie sollten als „Leitwährung in der gesamten Branche“ gelten.

Möglich wurde dieser Erfolg durch einen langen und hartnäckig geführten Streik, der auch mit wirksamen Aktionen die breitere Öffentlichkeit und Bündnisse wie deutsche Wohnen & Co. enteignen oder Gesundheit statt Profite einbeziehen konnte. Zudem beteiligte sich die Gewerkschaftsbasis außergewöhnlich engagiert. Neben o. a. Mobilisierungen ermittelte jede Station ihre Personaluntergrenzen, stellte Notdienstpläne auf und brachte ihre Meinung zum Stand der Verhandlungen ein, sorgte für eine repräsentative Tarifkommission, in der zahlreiche unterschiedliche Disziplinen vertreten waren. In Gestalt der Teamdelegierten schuf diese breíte Bewegung Organe, die einerseits die AktivstInnen umfassen wie in gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörpern und somit zur Etablierung lebendiger ver.di-Betriebsgruppen in den Häusern beitragen, aber auch eine wichtige Funktion bei der Kontrolle der Umsetzung des TVE ausüben können.

Wie weiter?

Deren dringlichste Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass es keinen Abschluss ohne Urabstimmung, ohne Zustimmung der Basis geben darf. Eine Schwäche des Streiks bestand darin, dass es keinen Beschluss von unten, durch Streikvollversammlungen und von ihnen gewählte und jederzeit neu wählbare Streikkomitees über die Aussetzung des Streiks nach der Einigung auf die Eckpunktepapiere gab. Vielmehr wurde der Streikabbruch von oben ohne Debatte an der Basis verkündet und somit dem Hauptamtlichenapparat die Streikführung nicht strittig gemacht.

Mit dem Faustpfand ihres vorläufigen Erfolgs und ihren Arbeitskampferfahrungen muss sich die Berliner Krankenhausbewegung auch zur Vorreiterin einer bundesweiten für die gleichen Ziele (TVE, Angleichung an den TvöD) machen.

Nehmen wir also Feldkötters Leitwährungsgerede für bare Münze! Wir können damit beginnen, im 1. Schritt die Beschäftigten der Vivantes-Tochterunternehmen nicht im Regen stehenzulassen, so wie dies die Charité-Beschäftigten gezeigt haben, die am 9. Oktober auf die Straße gegangen sind, obwohl sie nach Einigung auf ihre Eckpunkte sich nicht mehr im Ausstand befanden. Am 13. hatten mehrere Hundert vor dem Roten Rathaus für die Angleichung an den TvöD bei den Vivantes-Servicegesellschaften demonstriert und ihren KollegInnen in den Mutterkonzernen zum Erfolg gratuliert. Am 14. Oktober wurde bei den VSG unter dem Moderator Platzeck weiter verhandelt und der Streik an diesem Tag ausgesetzt. Kommt es hier nicht aus eigener Kraft zu einem Abschluss, der mindestens den gleichen Tarif wie bei der Charité-Tochter CFM durchsetzt, muss die Berliner Krankenhausbewegung vom Senat fordern, die Übernahme des Tarifvertrags zu erzwingen.

Der 2. Schritt muss die Einberufung einer bundesweiten Krankenhauskonferenz, organisiert durch ver.di sein, die die Umsetzung der „Leitwährung“ auch in bundesweit gültige klingende Münze – TVE und TvöD für alle – voranbringen hilft. Vorrangig muss Druck aufgebaut werden, damit diese Ziele auch zusätzlich zum Gegenstand der anstehenden Lohn- und Gehaltsrunde der Bundesländer (TVöD-L) geraten können.

Kontrolle

Den Teamdelegierten fällt eine weitere wichtige Rolle im Aufbau einer wirksamen Kontrolle über die Umsetzung des TVE zu. Kommt es nämlich nicht zu einer durch progressive Besteuerung des Kapitals und gesetzlicher Krankenversicherungspflicht für alle ohne Beitragsbemessungsgrenzen finanzierten massiven Neueinstellungswelle in der Pflege und steuern chefärztlich umgesetzte Renditeziele weiterhin die Krankenhausmedizin, dann drohen die Entlastungsregelungen, zu einem langfristigen individuellen Lebensarbeitskonten ohne Überstundenzuschläge zu verkommen. Von Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Behandlungsqualität blieben wir dann genauso weit entfernt wie jetzt.

Ein Manko gegenüber dem Abschluss von 2015 besteht darin, dass Interventionsmittel wie Bettensperrungen und Aufnahmestopps im zukünftigen TVE gar nicht mehr angedacht sind. Die Beschäftigten und PatientInnenorganisationen haben aber ein objektives Interesse an der Kontrolle von unten – auch wenn es beim Pflegepersonalmangel bleibt, dem akut durch Freizeitausgleich in ferner Zukunft nicht abgeholfen werden kann. Der Marburger Bund und die in ver.di organisierten ÄrztInnen können und müssen für vergleichbare Entlastungen beim ärztlichen Personal eintreten und notfalls streiken. Damit könnten eine weitere Bresche in das Finanzierungssystem nach Fallpauschalen geschlagen und die Tür zu einem rationalen, nichtkommerziellen, letztlich sozialistischen Gesundheitswesen eine Spalt weiter geöffnet werden.




Gleicher Abschluss für alle! Solidarität mit der Berliner Krankenhausbewegung!

Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1166, 9. Oktober 2021

Vollstreik bringt Bewegung. Nach einem Monat Arbeitskampf bei Charité, Vivantes und den Vivantes-Töchtern beginnt die Front der sog. ArbeitgeberInnen zu bröckeln. Vor dem Streik galt ein Tarifvertrag Entlastung als unverhandelbar oder gar nicht tariffähig; die Angleichung der Einkommen bei den Vivantes-Töchtern sei ganz und gar unmöglich.

Teilerfolg

Nun machen die Klinkleitungen erste Zugeständnisse. Unter dem Druck der Bewegung unterzeichnete die Charité-Führung gemeinsam mit ver.di ein Eckpunktepapier für einen zukünftigen Tarifvertrag Entlastung. Unter anderem sieht es Mindestbesetzungsregelungen für alle Bereiche, darunter Stationen, OP-Säle und Notaufnahmen/Rettungsstellen, eine Regelung für Belastungsausgleich und eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen vor. Außerdem sollen in den kommenden 3 Jahren 700 zusätzliche PflegemitarbeiterInnen eingestellt werden.

Doch dieser Teilerfolg an der Charité geht mit weiterem Stillstand bei Vivantes einher. Bei den Tochtergesellschaften hat sich der Senat eingeschaltet und den ehemaligen Brandenburger SPD-Ministerpräsidenten Platzeck als „Mediator“ aus dem Hut gezaubert. Die Vivantes-Leitung selbst spielt auf Zeit.

Doch selbst ein Eckpunktpapier ist noch lange kein Tarifvertrag; eine Mediation schon gar nicht. Wie ein Abschuss genau aussieht, wird davon abhängigen, ob und wie viel Druck wir weiter gemeinsam aufrechterhalten werden.

Einheit ist unsere Stärke

Mit dem Arbeitskampf und mit der Berliner Krankenhausbewegung haben die Beschäftigten und alle UnterstützerInnen sehr viel erreicht. Tausende sind in den letzten Monaten ver.di beigetreten und haben sich den Aktionen angeschlossen. Die große Mehrheit der PatientInnen und der Berliner Bevölkerung hat längst erkannt, dass der Streik auch ihre Angelegenheit ist.

Vor diesem Hintergrund haben die Arbeit„geber“Innen ihre Taktik zu ändern begonnen. Nachdem über Monate Gewerkschaftsmitglieder und Streikende v. a. bei Vivantes lächerlich gemacht, gemobbt oder eingeschüchtert wurden, merken die Klinikleitungen, dass sie damit nicht durchkommen. Mit diesen schäbigen Methoden konnten sie weder den Arbeitskampf noch die Moral der Beschäftigten brechen. Daher versuchen sie es jetzt mit anderen Taktiken.

Die Charité-Leitung sucht Zuflucht in einem möglichen eigenen Haustarif. Bei den Vivantes-Töchtern soll der Streik während Platzecks Mediation ausgesetzt bleiben. Beim Vivantes-Konzern hofft das Management wohl, dass die Beschäftigten nach einem Abschluss an der Charité allein weiterkämpfen müssen und ihnen die Kraft fehlt, den gleichen Tarifvertrag durchzusetzen.

Kurzum, sie hoffen, unsere Einheit durch getrennte Verhandlungen, durch verschiedene Tarife, durch Mediationen, Schlichtungen und durch ein Aussetzen der Streiks zu schwächen und zu unterlaufen.

Das dürfen wir nicht zulassen!

Aber wie können wir dieser Gefahr begegnen? Liegt es nicht in der Logik eines Kampfes um Haustarife, dass Klinken zu verschiedenen Abschlüssen kommen? Letzteres Problem besteht zweifellos und ist auch ein, wenn auch ungewolltes Resultat der Taktik von ver.di, die Tarifverträge für Entlastung in einzelnen Häuserkämpfen und nicht im Rahmen eines bundesweiten Tarifvertrages anzugehen.

Aber die Beschäftigten bei Vivantes müssen nicht allein weiterkämpfen, nur weil es ein erstes Eckpunktepapier an der Charité gibt. Im Gegenteil, wenn wir unseren Druck aufrechterhalten wollen, dürfen wir sie und die KollegInnen bei den Tochterunternehmen nicht im Regen stehen lassen.

Dazu brauchen wir keine Mediation und keine Schlichtung, denn unsere Forderungen sind klar und wir sollten uns nicht von Leuten wie Platzeck hinter verschlossenen Türen über den Tisch ziehen lassen. Vielmehr müssen alle Verhandlungen und Gespräche offen und für alle Beschäftigten und Streikenden transparent geführt, am besten, indem sie öffentlich übertragen werden.

Während etwaiger Verhandlungen kann und muss der Streik aufrechterhalten werden. Die letzten vier Wochen haben gezeigt, dass die unbefristete gemeinsame Arbeitsniederlegung das beste Mittel ist, sie alle in die Knie zwingen. Steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein – und genau nach diesem Motto müssen wir vorgehen.

Das Angebot der Charité und das Eckpunktepapier müssen nicht nur von allen auf Streikversammlungen diskutiert werden. Es darf keinen Abschluss, kein Aussetzen der Aktionen ohne vorherige Diskussion und Zustimmung durch die Kämpfenden geben. Außerdem müssen wir fordern, dass das Eckpunktepapier und ein eventueller Tarifvertrag vollumfänglich von Vivantes übernommen wird. Sollte die dortige Klinikleitung dazu nicht bereit sein, müssen wir mit den Streiks, mit Demonstrationen und der Mobilisierung anderer Gewerkschaften und aller UnterstützerInnen aus der Berliner Bevölkerung vom Senat fordern, dass ein solcher Abschluss – sollte er die Zustimmung der Belegschaft erhalten – ohne Abstriche übernommen wird.

Dasselbe gilt für die Beschäftigten bei den Vivantes-Töchern. Die Mobilisierung der Belegschaften von Charité und Vivantes soll solange aufrechterhalten bleiben, bis es die Angeleichung an den TVöD gibt. Auch hier müssen wir nicht nur die Kliniken, sondern auch den Senat unter Druck setzen. SPD, Grüne und Linkspartei wurden zwar im Wahlkampf nicht müde, um unsere Stimmen zu werben und zu erzählen, wie wichtig doch die Beschäftigten an den Krankenhäusern wären. Allein, wir wollen keine wohlfeilen Worte mehr hören, sondern Taten sehen!

  • Unbefristeter Vollstreik bis zur Erfüllung der Forderungen! Öffentliche, von der Basis kontrollierbare Verhandlungen! Keine Aussetzung des Streiks ohne Abstimmung unter den Streikenden! Keine Teilabschlüsse in einem Krankenhaus oder der Tochtergesellschaften, sondern nur gemeinsamer Abschluss!

Berliner Vorbild bundesweit nachahmen!

Der Kampf in den Berliner Krankenhäusern ist weit mehr als einer für einzelne Verbesserungen. Er kann auch als Katalysator für eine bundesweite Bewegung für Entlastung und Angleichung an den TVöD  wirken. Christian Hoßbach, DGB-Vorsitzender Berlin-Brandenburg, redet zu Recht nur von einem wichtigen Teilerfolg bei der Charité und verweist auf die Brandenburger Asklepios-Kliniken, wo Beschäftigte bis zu 11 Tagen pro Jahr bei bis zu 21 % weniger Entgelt als ihre KollegInnen in Westdeutschland arbeiten. Sie traten genauso in den Warnstreik für Angleichung an den TVöD-L wie Beschäftigte der Berliner AWO und am letzten Mittwoch Berliner GEW-LehrerInnen für Klassenobergrenzen (TV Gesundheit). Am 6. Oktober gingen die Berliner GEW-LehrerInnen in einen Arbeitskampf für Klassenobergrenzen (TV Gesundheit).

In der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder müssen die Anliegen dieser KollegInnen vollständig aufgenommen werden wie die der Uni- und psychiatrischen Kliniken. Da die Uni-Kliniken bundesweit im TV-Länder sind, könnten sie sofort die Gehaltsforderungen mit dem Kampf für eine Personalbemessung verbinden. Doch ver.di plant lediglich eine Gehaltsrunde. Die Interessen der Pflegekräfte an Entlastung werden an einem bedeutungslosen Gesundheits(katzen)tisch vorgetragen, die der LehrerInnen gar nicht – aber sie müssen zum Verhandlungsgegenstand und streikfähig gemacht werden! Kollege Hoßbach, setzt Du Dich auch dafür ein und lässt Deinen Worten Taten folgen?

Sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen hegen, an Eurer Seite zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften. Mit einer solchen Mobilisierung – aus streikenden KollegInnen in den Krankenhäusern und KollegInnen aus allen Betrieben, einem politischen Streik – würden die  Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.

Für ein Gesundheitswesen im Interesse der 99 %!

Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dieses System ständig am Rande des Zusammenbruchs funktioniert. Damit muss Schluss sein, wenn wir ein menschenwürdiges Gesundheitssystem aufbauen wollen! Der Markt richtet nichts, jedenfalls nicht für die Masse der Bevölkerung.

  • Entschädigungslose Enteignung privater und privatisierter Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Entschädigungslose Enteignung der Pharma- und Medizintechnikkonzerne! Freigabe der Patente auf Impfstoffe!
  • Für ein ausreichendes Pflegepersonalgesetz in allen Sektoren, auch der Altenpflege! Personalbedarf für die PatientInnenversorgung, errechnet durch die Beschäftigten sowie PatientInnen und ihre Organisationen selber! Laufende Personalbesetzungs- und Betriebsregelungen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit Beitragsbemessungsgrenzen, Befreiungs- und Ausstiegsmöglichkeiten von der gesetzlichen Krankenversicherung! Für weitere Finanzierung des Plans durch progressive Steuern auf Kapital, Gewinne und Vermögen!
  • Plan- statt Marktwirtschaft: Erstellung eines Plans für ein integriertes Gesundheits-, Rettungs-, Kur- und Rehabilitationswesen von unten!



Berliner Krankenhausbewegung: Gleicher Abschluss für alle durch Streik!

Jürgen Roth, Infomail 1166, 8. Oktober 2021

Nach über 4 Wochen Vollstreik hat das Berliner Krankenhausunternehmen Charité nach 21-stündigem Verhandlungsmarathon am Donnerstag, den 7. Oktober 2021, um 6 Uhr früh gemeinsam mit VertreterInnen der Gewerkschaft ver.di ein Eckpunktepapier unterzeichnet, das binnen 5 Wochen in einem Tarifvertrag Entlastung (TVE) münden soll. Beide Seiten bezeichneten es als Durchbruch, sogar als Meilenstein.

Details

Ver.di-Verhandlungsführerin Melanie Guba erkärte, alle Forderungen seien in dem Papier berücksichtigt worden: Mindestbesetzungsregelungen für alle Bereiche, darunter Stationen, OP-Säle und Notaufnahmen/Rettungsstellen; Regelung eines Belastungsausgleichs; Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. War auf Intensivstationen bisher eine Pflegekraft für bis zu 4 PatientInnen zuständig, im Nachtdienst für 20 – 30, so soll der neue Personalschlüssel 1:1 bzw. 1:10 – 1:17 lauten. In den Kreißsälen soll es wieder möglich werden, dass eine Hebamme nur eine Frau bei der Geburt begleitet. Man hofft darauf, dass 250 freiberufliche Hebammen ihre Zusage einhalten, unter diesen verbesserten Umständen wieder als Angestellte in die Kliniken zurückzukehren.

Nach uns vorliegenden Informationen sieht der Belastungsausgleich im Fall der Unterschreitung der Mindestpersonalbesetzung 1 freie Schicht für 5 in Überlastung vor. Den Auszubildenden sollen 4 neue Lehrstationen eingerichtet werden, womit eine disziplinübergreifende Lehre besser möglich ist. Ferner soll es möglich sein, Sabbaticals zu nehmen (längere Auszeiten).

Die „Gesamtstrategie 2030“ der Charité will den Stellenanteil erhöhen wie auch akademisierte Gesundheitsfachberufe gewinnen. In den kommenden 3 Jahren sollen 700 zusätzliche PflegemitarbeiterInnen eingestellt werden. Dies ist eine Reaktion auf hohe Krankenstände, Wechsel von Voll- in Teilzeit und hoher Fluktuationsrate. Viele PflegerInnen üben ihren Beruf nur wenige Jahre aus.

Die Laufzeit des TVE soll 3 Jahre betragen.

Wichtiger Teilerfolg

Das Ergebnis ist nur durch einen engagierten, langen Streik zustande gekommen. Hier haben Beschäftigte Basisstrukturen wie die TarifberaterInnen aufgebaut, eigene Forderungen in Rücksprache mit allen KollegInnen aufgestellt, während des Ausstands selbst für Notdienstregelungen gesorgt und mit Onlineveranstaltungen und Demos für die Mobilisierung einer breiteren Öffentlichkeit gesorgt. Dies stellt alles ein leider zu seltenes Vorbild für Arbeitskämpfe dar.

Doch ist es der TVE, der nun all das regelt, was vorhergegangene Tarifkämpfe – denken wir nur an den 2015 bei der Charité erkämpften – nicht vermochten, wie ver.di-Verhandlungskommissionsmitglied, Dana Lützkendorf, behauptet? Und finanzieren sich zusätzliche Pflegekräfte durch das Bundespflegepersonalstärkungsgesetz wie von selbst? Lt. unseren Informationen sind die Ausgleichsschichten in den nächsten 3 Jahren gedeckelt: 2022 max. 5, 2023 10, 2024 15 Tage. (https://www.kma-online.de/aktuelles/klinik-news/detail/verdi-glaubt-an-einigung-mit-charite-und-vivantes-a-46324)

Das o. a. Gesetz und die Herausnahme der Pflegekosten aus den Fallpauschalen (DRGs) seit Anfang 2020 bedeuten mitnichten die Selbstkostenerstattung durch die Krankenkassen, sondern eine Rückkehr zu langwierigen Budgetverhandlungen mit ihnen wie vor Einführung der DRGs. Kommt es dann eben nicht zur gewünschten Personalaufstockung, wird auch der Freizeitausgleich schnell an seine Grenzen stoßen. 2015 wurde vereinbart, bei Überlastungen eine schwerfällige, mehrstufige sog. Interventionskaskade in Gang zu setzen. Am Ende entschied dann die Krankenhausleitung, ob für diesen Fall Bettensperrungen, Stationsschließungen, Behandlungs- und Aufnahmestopps erfolgen. Deshalb müssen wir die Kontrolle darüber für die Beschäftigten verlangen! Die TarifberaterInnen können eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Umsetzung des TVE durch die Basis spielen, auch bei der der ärztlich gesteuerten medizinischen Behandlung gemäß der Gewinn- und Verlustlogik des DRG-Marktes, die ja unangetastet bleiben soll!

Kein Abschluss nur bei der Charité! Vivantes und VSG mit ins Boot holen!

Das Ergebnis ist zum Zweiten nur ein Teilerfolg, weil droht, dass die Vivantes-, VSG- und Labor Berlin-Kolleginnen im Regen stehengelassen werden. Vivantes und VSG haben immer wieder die Verhandlungen verschleppt, sogar das Arbeitsgericht eingeschaltet. Der Konzern bietet z. B. erst ab 12 Überlastungsschichten eine Freischicht an (bei Auszubildenden 48!), weniger als die Hälfte des Angebots der Unikliniken. Die VSG gestand eine Angleichung an den TvöD bis 2028 zu ohne Angaben zu Zeitzuschlägen und Zulagen. Zudem will sie die MVZs und das Labor Berlin von den Verhandlungen ausnehmen.

Deshalb ist es gut, dass am 9.10.2021 ver.di, unterstützt vom DGB, zu einer Großdemonstration aufgerufen hat. Dort sollten wir lautstark klarmachen, weshalb der Streik bei der Charité nicht sofort und auf Dauer ausgesetzt werden darf. Zumindest muss darüber wie über die Annahme des Ergebnisses eine Urabstimmung stattfinden. Im Fall eines Mehrheitsvotums für Streikabbruch und Annahme des Verhandlungsergebnisses fordern wir: Zwingt den Senat, den TVE auf den Vivantesmutterkonzern und den bestehenden, besseren der CFM (bzgl. Angleichung an den TVöD) auf die VSG und das Labor Berlin anzuwenden!

Unbefristeter Vollstreik bis zur Erfüllung der Forderungen! Öffentliche, von der Basis kontrollierbare Verhandlungen! Keine Aussetzung des Streiks ohne Abstimmung unter den Streikenden! Keine Teilabschlüsse in einem Krankenhaus oder der Tochtergesellschaften, sondern nur gemeinsamer Abschluss!

Berliner Vorbild bundesweit nachahmen!

Der Kampf in den Berliner Krankenhäusern ist weit mehr als einer für einzelne Verbesserungen. Er kann auch als Katalysator für eine bundesweite Bewegung für Entlastung und Angleichung an den TVöD  wirken. Christian Hoßbach, DGB-Vorsitzender Berlin-Brandenburg, redet zu Recht nur von einem wichtigen Teilerfolg bei der Charité und verweist auf die Brandenburger Asklepios-Kliniken, wo Beschäftigte bis zu 11 Tagen pro Jahr bei bis zu 21 % weniger Entgelt als ihre KollegInnen in Westdeutschland arbeiten. Sie traten genauso in den Warnstreik für Angleichung an den TVöD-L wie Beschäftigte der Berliner AWO und am letzten Mittwoch Berliner GEW-LehrerInnen für Klassenobergrenzen (TV Gesundheit).

In der anstehenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder müssen die Anliegen dieser KollegInnen vollständig aufgenommen werden wie die der Uni- und psychiatrischen Kliniken. Doch ver.di plant lediglich eine Gehaltsrunde. Die Interessen der Pflegekräfte an Entlastung werden an einem bedeutungslosen Gesundheits(katzen)tisch vorgetragen, die der LehrerInnen gar nicht – aber sie müssen zum Verhandlungsgegenstand und streikfähig gemacht werden! Kollege Hoßbach, setzt Du Dich auch dafür ein und lässt Deinen Worten Taten folgen?

Sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen haben, an Eurer Seite zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften. Mit einer solchen Mobilisierung – aus streikenden KollegInnen in den Krankenhäusern und KollegInnen aus allen Betrieben –, einem politischen Streik würden die  Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.

Für ein Gesundheitswesen im Interesse der 99 %!

Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dieses System ständig am Rande des Zusammenbruchs funktioniert. Damit muss Schluss sein, wenn wir ein menschenwürdiges Gesundheitssystem aufbauen wollen! Der Markt richtet nichts, jedenfalls nicht für die Masse der Bevölkerung.

  • Entschädigungslose Enteignung privater und privatisierter Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Entschädigungslose Enteignung der Pharma- und Medizintechnikkonzerne!
  • Für ein gesetzliche Personalbemessung, die den tatsächlichen Bedarf widerspiegelt und die  in allen Sektoren, auch der Altenpflege gilt!
  • Für ein ausreichendes Pflegepersonalgesetz in allen Sektoren, auch der Altenpflege! Personalbedarf für die PatientInnenversorgung, errechnet durch die Beschäftigten sowie PatientInnen und ihre Organisationen selber! Laufende Personalbesetzungs- und Betriebsregelungen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit Beitragsbemessungsgrenzen, Befreiungs- und Ausstiegsmöglichkeiten von der gesetzlichen Krankenversicherung! Für weitere Finanzierung des Plans durch progressive Steuern auf Kapital, Gewinne und Vermögen!
  • Plan- statt Marktwirtschaft: Erstellung eines Plans für ein integriertes Gesundheits-, Rettungs-, Kur- und Rehabilitationswesen von unten!



Berliner Krankenhausstreiks: Schlichtung droht

Ernst Ellert, Infomail 1165, 5. Oktober 2021

Das Neue Deutschland (ND) vom 4. Oktober gibt einen Einblick in die Stimmungen unter den Streikenden nach fast 4 Wochen Vollstreik. „Sie haben es ausgesessen“, „Gleichzeitig versucht man, uns Sand in die Augen zu streuen, indem man sagt, die Klinikleitungen würden in Tarifverhandlungen nicht den Vorgaben des Senats folgen“, „Aber die Geschäftsführungen agieren auch deshalb so unangebracht hart, weil sie von übertariflichen Gehältern profitieren und deshalb das Lohndumping des Senats verteidigen“, so Charité-Krankenpfleger Markus F. Er vergaß hinzuzufügen: Während für jede/n klar ist, was mit unliebsamen Beschäftigten in Konzernen passiert, deutet das Handeln des Senats gegenüber den Klinik- und Töchtergeschäftsführungen auf gegenseitiges Einvernehmen hin.

Ausgehender Senat: Taten und Unterlassungen

Der Vorwurf des Bruchs mit dem Koalitionsvertrag der letzten Legislatur wird unter Streikenden laut. Im Jahr 2016 hieß es, dass in Landesunternehmen zügig Tarifverträge (TV) abgeschlossen werden sollten mit dem Ziel der Angleichung an den TVöD. Zudem sei sich der Senat seiner Investitionsfinanzierung gemäß dualer Krankenhausfinanzierung bewusst. Im Dezember 2018 beschloss das Abgeordnetenhaus eine Tarifstruktur für Vivantes, inklusive einer Gleichbezahlung für alle Beschäftigten. Abweichende Regelungen zum Mutterkonzern seien auszuschließen.

Es geht hier also vorrangig um den TVöD für die ausgegliederten Betriebsteile (VSG, Labor Berlin). In den bisherigen Verhandlungen erweist sich das als die härteste Nuss. Im Wahlkampf wies die grüne Spitzenkandidatin, Bettina Jarasch, darauf hin, dass SPD-Finanzsenator Kollatz gesagt habe: „Verhandlungen ja, Geld nein.“ Er und seine Vorgänger hätten die Unternehmensberatung McKinsey zu Vivantes geschickt, um beim Personal zu sparen. Die Klinikleitungen könnten aber ohne zusätzliches Geld vom Senat gar nicht erfolgreich verhandeln.

Ausnahmsweise hat sie mit allem recht – „vergaß“ aber, die Rolle ihrer Senatspartei dabei zu erwähnen, deren Rolle sich noch mehr als die von DIE LINKE mit dem Begriff passive Duldung erschöpfend skizzieren lässt.

Falsche Hoffnungen

Es war ein gravierender Fehler von ver.di-FunktionärInnen und auch der Vertreterin der Linkspartei, auf der Auftaktveranstaltung zur Streikrunde im Unionstadion an der alten Försterei Anfang Juli so getan zu haben, als finanziere sich zumindest der TV Entlastung für mehr Personal in der Pflege von allein dadurch, dass seit Anfang 2020 letztere aus den Fallpauschalen (DRGs) rausgenommen worden sei. Die Rückkehr zum alten Finanzierungssystem vor Einführung der DRGs bedeutet mitnichten eine automatische Kostendeckung durch die Krankenkassen, sondern das vorherige sog. Kostenerstattungswesen sah langwierige Budgetverhandlungen mit diesen und einem entsprechenden Spardruck vor. Und für die ausgelagerten Bereiche bedeutet dies aktuell vergeblichen Trost, denn sie fallen ja nicht darunter.

Tobias Schulze (DIE LINKE) räumt ein, dass die Investitionen, obwohl in der abgelaufenen Legislaturperiode gesteigert, zur Ausfinanzierung nicht ausreichten und deshalb wolle seine Partei in den kommenden 5 Jahren jährlich weitere 100 Millionen in den Haushalt einstellen und widme diesem Thema höchste Priorität in den Koalitionsverhandlungen.

SPD-Landesvorsitzende und designierte Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey, erklärte die Krankenhausfinanzierung denn auch zum Thema der Sondierungsgespräche mit allen Parteien und schlug den ehemaligen Brandenburger Ministerpräsidenten, Matthias Platzeck (SPD), als Konfliktvermittler vor.

In den Tochterunternehmen hat sich ver.di-Streikleitung auf eine Moderation durch Platzeck eingelassen, betont aber, dass im Unterschied zu einer Schlichtung der Streik nicht ausgesetzt werden soll.

Kein Vertrauen in Schlichtungsgespräche

Zurecht sieht Sylvia Bayram von der „Berliner Aktion gegen Arbeitgeberunrecht“ eine Schlichtung kritisch. Die sog. Vermittlung stellt letztlich nur einen ersten Schritt in diese Richtung dar. Welche negativen Konsequenzen bei einer Moderation oder Schlichtung durch Platzeck zu befürchten sind, zeigt seine Rolle bei der Charitétochter CFM. Der von ihm vermittelte seinerzeitige Tarifabschluss unterläuft das Ziel „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Deswegen befindet sich die CFM im Unterschied zur VSG und Labor Berlin heute nicht im Streik. Und deswegen muss auch die Übernahme eines besseren Ergebnisses für CFM per Landesgesetz zur Forderung der aktuell Streikenden an die eingehende Landesregierung werden!

40 Streikende von Charité und Vivantes erklärten kürzlich in einer Videobotschaft: „Man nimmt uns in den Verhandlungen nicht ernst.“ Wie wahr! Nach Ablauf des im Mai an den Senat gestellten Ultimatums, nach dreitägigen Warnstreiks, der Urabstimmung und 26 Tagen im Vollstreik können wir feststellen, dass sich die klammheimliche Hoffnung der ver.di-Spitze und vieler Streikender auf einen Abschluss vor den Wahlen genauso zerschlagen hat wie auf ein Eingreifen „der Politik“ zu ihren Gunsten. Diese steht zumindest überwiegend aufseiten des Managements und die Streikenden sind fast ganz allein auf ihre Kraft und Solidarität angewiesen.

Gemeinsamer Kampf!

Daher müssen die Streikenden eine Schlichtung unter vorgeblich neutraler Vermittlung kategorisch ablehnen. Sollte es dennoch zu einer Schlichtung kommen, was wir in Anbetracht der ausgesandten Signale befürchten, darf deshalb der Vollstreik nicht eingestellt oder vermindert, sondern muss eher verstärkt werden. Des Weiteren müssen wir dafür eintreten, dass die anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder (TVöD-L) die beiden Anliegen des Berliner Streiks (Entlastung, TVöD-Angleichung) in ihre Forderungen für die diesbezüglichen Länderbeschäftigten (Uni-, psychiatrische Landeskliniken und deren Tochterunternehmen) aufnimmt.

Auch die Beschäftigten bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Berlin und in den an die große, private Klinikkette Asklepios verscherbelten ehemaligen 3 Brandenburger Psychiatrieeinrichtungen kämpfen für Angleichung an den TVöD und müssen in der anstehenden Tarifauseinandersetzung mit an Bord genommen werden. Schließlich darf es bei Charité, Vivantes, der VSG sowie der VSG-Sparte Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und beim Labor Berlin nur zu einem gemeinsamen Abschluss kommen, der keinen Betriebsteil im Regen dastehen lässt. Dieser soll per Landesgesetz auf die von Platzecks Schlichterspruch enttäuschten und betrogenen CFM-KollegInnen, die schließlich einen mehrjährigen, beispielhaften Kampf für ein besseres Ergebnis geführt hatten, übertragen werden.

All das wird uns eine Vermittlung durch Platzeck oder sonst jemanden nicht bringen. Nein zur Schlichtung!




Vorläufige Bilanz des Berliner Klinikstreiks: Vor der Entscheidung?

Jürgen Roth, Neue Internationale 259, Oktober 2021

In der Entgelttarifrunde für den öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden in diesem Frühjahr wurde er angekündigt: der Kampf für einen Tarifvertrag Entlastung (TVE) bei den Berliner Kliniken Vivantes und Charité. Die dortigen Beschäftigten holten ihre KollegInnen der ausgegliederten Vivantes-Tochterunternehmen (VSG) für eine Angleichung an den TVöD ins Boot, steigerten ihren gewerkschaftlichen Organisationsgrad deutlich und organisierten eine erfolgreiche Unterschriftensammlung für ihre Vorhaben in den Betriebsteilen. Lt. ver.di (Ver.di Publik 6/2021) sind seit März weit über 2.000 KollegInnen Gewerkschaftsmitglied geworden, davon 1.000 allein in den letzten 2 Monaten. Mit der Corona-Pandemie war die Situation noch schlimmer geworden. Das hatte viele dazu gebracht zu sagen: „Jetzt reicht’s!“

Fast 9.000 Unterschriften konnten sie sammeln und Ende Mai dem Senat übergeben, verknüpft mit einer 100-Tagefrist, um die Forderungen umzusetzen. Nach deren Ablauf und diesbezüglicher Untätigkeit der Landes- und Stadtregierung erfolgten ab Ende August mehrtägige Warnstreiks. Nach äußerst erfolgreicher Urabstimmung (ca. 98 % Zustimmung) kam es dann ab dem 9. September zu Vollstreiks, unbefristet beim nichtärztlichen medizinischen Personal und übers Wochenende ausgesetzt bei der VSG. Die Tochterunternehmen der Charité blieben mit Ausnahme des Labors Berlin, einer gemeinsamen Einrichtung mit Vivantes, außen vor, weil sie schon zuvor eine Angleichung an den TVöD erkämpft hatten.

Ablauf

Viele Teams auf Station und in den Funktionsabteilungen hatten ausgerechnet, wie viel Personal nötig ist, um gut arbeiten zu können. Frühzeitig kündigten die Pflegekräfte an, wie viele sich am Streik beteiligen wollten, und forderten die Arbeit„geber“Innen auf, die Bettenbelegung bis hin zur Schließung der ganzen Station zu reduzieren. Bereits während des dreitägigen Warnstreiks im August wurden auf diese Weise bei Charité und Vivantes über 10 Stationen stillgelegt. Die Notfallversorgung war gesichert, oft genug durch von den Beschäftigten aufgestellte Pläne, denn nicht immer kam es zu einer einvernehmlichen Notfallregelung. Nichtsdestotrotz gab es Einrichtungen, wo während der Arbeitszeit kaum eine/r streiken konnte angesichts der dürftigen Personalausstattung im „Normalzustand“ (z. B. im Mutter-Kind-Zentrum Vivantes Neukölln).

Verhandlungen

Eigentlich sollte vor den Wahlen alles in Sack und Tüten sein, doch die Gespräche scheiterten. Viele Streikende werden sicher darauf hoffen, dass eine Lösung Teil der Berliner Koalitionsverhandlungen wird. Am Tag 20 der Arbeitskampfmaßnahmen (28.9.2021) standen mehr als 1.000 KollegInnen im Vollstreik, noch einmal mehr als in der Woche zuvor.

Eine „gewisse Ungleichzeitigkeit“ bei den Verhandlungsständen konstatiert Melanie Guba (ver.di-Tarifkommission Charité). Hier habe man sich bzgl. Mindestpersonalbesetzung, Freizeitausgleich und Ausbildungsverbesserungen angenähert. Unklar bleibe, wie die Personalsituation verbessert werden soll. Deshalb reicht auch die Forderung nach Freizeitausgleich nicht, wenn es nicht zu einer Qualifizierungs-, Ausbildungs- und Einstellungsoffensive kommt!

Tim Graumann, Verhandlungsführer für den TVE bei den Vivantes-Mutterunternehmen, spricht dagegen von einem deutlich schleppenderen Verlauf. Das alte Angebot war sehr vage gehalten und knüpfte die Aufnahme von Unterredungen an die Bedingung, den Streik auszusetzen. Man wollte Arbeits- und Ausbildungsbedingungen verbessern. Zu den gewerkschaftlichen Forderungen nach mehr Praxisanleitung für Azubis und personeller Mindestbesetzung bzw. Belastungsausgleich bei deren Unterschreitung fand sich kein Wort. Konkret war nur vom Ende des Arbeitskräfteleasings die Rede.

Trotz fortlaufender Streiks legte die Geschäftsführung dann am 23.9.2021 ein Eckpunktepapier vor, das Graumann als unzureichend in puncto Verbindlichkeit der Umsetzung des Tarifwerks bezeichnete. Nach Sondierungen am 26.9. sollten weitere Gespräche folgen. Laut dem Bündnis Gesundheit statt Profite hatte der Konzern diesen Gesprächstermin abgesagt (Neues Deutschland, 29. September 2021).

Stand Ende September hatte Vivantes immerhin zugesagt, über den von ver.di gewünschten TVE überhaupt zu verhandeln. Im Einzelnen: Einen Ausgleichstag  bei Unterschreitung der Mindestpersonalgrenzen bietet der kommunale Konzern erst nach 12  unterbesetzten Schichten an, bei den Auszubildenden erst nach 48 (zum Vergleich: bei den Uniklinka gibt es diesen Ausgleichstag bei 5 Schichten).

Zum zweiten Thema neben Entlastung, der Angleichung der Einkommen und Bedingungen der Tochterunternehmen der beiden Klinikmütter (VSG im Fall von Vivantes und Labor Berlin auch bei der Charité), schlug Vivantes eine Angleichung bis 2028 (!) unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Häuser vor. Also wenig mehr als nichts. Auch nichts dazu, wie hoch Zulagen, Zuschläge und Weihnachtsgeld und die Angleichungsschritte in den Tabellen ausfallen sollen. Die Verhandlungssituation ist lt. ver.di-Unterhändler, Ivo Garbe, seitdem eskaliert: Erstens habe man mit den Medizinischen Versorgungsunternehmen (MVZ), niedergelassenen Praxen, die die Kliniken mit angestellten ÄrztInnen betreiben, und dem gemeinsam mit der Charité unterhaltenen Labor Berlin zwei Betriebe von den Verhandlungen für einen TVöD ausgeschlossen. Zweitens habe ver.di die Arbeit„geber“Innen zweimal an den Verhandlungstisch gebeten – bisher ohne Rückmeldung.

Die Krankenhausbewegung darf sich von solchen Schikanen nicht spalten lassen! Sie muss auf gemeinsamem Abschluss für alle drei Betriebe bestehen und darf die VSG, insbes. die MVZ und das Labor Berlin nicht im Regen stehen lassen. Analog gilt dies auch für den TVE: Kein Separatabschluss bei der Charité ohne Gleiches für die Vivantes-Häuser! Angesichts der Streikstärke erscheint das als realistisches Unterfangen. Es ist aber ratsam, die während der Verhandlungen weitestgehend unterbrochenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Beschäftigten gerade jetzt wieder aufzunehmen, wo Vivantes, Labor Berlin, MVZ und VSG dringender denn je die Solidarität der KollegInnen und Berliner ArbeiterInnenschaft brauchen!

Stärken des Streiks

Neben dem versuchten Schulterschluss mit anderen Beschäftigten und sozialen AktivistInnen, der erfolgreichen Mitgliederwerbung für ver.di, der Unterschriftensammlung seien hier 2 Punkte erwähnt, die bei sonstigen Arbeitsstreitigkeiten oft fehlen: Die Krankenhausbeschäftigten wurden von Anfang an nicht müde, ihr Anliegen in die breitere Öffentlichkeit zu tragen und in diesem Sinne zu politisieren. Es verging kaum ein Streiktag, an dem nicht auch Kundgebungen oder Demonstrationen auf öffentlichen Plätzen stattgefunden hätten. Nicht zu unterschätzen war hierbei auch die Mobilisierung von UnterstützerInnen, seien es ver.di-SeniorInnen oder Bündnisse wie Gesundheit statt Profite, die bei der Organisierung von Online-, aber auch Freiluftveranstaltungen wie Anfang Juli im Stadion an der alten Försterei, dem Kulttempel der mittlerweile überraschend auf europäischem Niveau kickenden BalltreterInnen des FC „Eisern“ Union, eine wichtige Rolle spielte. Die Berliner Krankenhausbewegung geht weit über das Spektrum der unmittelbar Beschäftigten hinaus.

Dies ist richtungsweisendes „Social Organizing“, ein Fingerzeig für hoffentlich zukünftige Auseinandersetzungen in breiterem Rahmen. Schon 2015 hatte ja der Charitéstreik für mehr Personal der bis dahin auf Sparflamme von Petitionen an PolitikerInnen und Bundesrat sowie halbstündigen „Streiks“ in der Mittagspause vor sich hinköchelnden ver.di-Kampagne „Der Druck muss raus!“ überhaupt Leben eingehaucht und greifbare, wenn auch unbefriedigende und schwer zu kontrollierende Ergebnisse erzielt.

Zweites Faustpfand für diesen Arbeitskampf stellt das Gerüst an Teamdelegierten dar. Vorher hießen sie TarifberaterInnen bzw. -botschafterInnen. Ohne sie wären die Erhöhung des gewerkschaftlichen Organisationsgrads, die vielfältigen Mobilisierungen nicht möglich gewesen. Sie spielten auch eine entscheidende Rolle bei der Aufstellung der Forderungen und schalten sich auch unseres Wissens nach in die Tarifkommission ein, damit der Gewerkschaftsapparat diese nicht so leicht für einen billigen Kompromiss unter den Tisch kehren kann. Zudem bilden sie praktisch das Rückgrat des Streiks, agieren de facto als Streikkommission. Daneben und darüber hinaus scheint es eine solche nicht zu geben. Von ihnen ausgehend kann einerseits eine Reaktivierung gewerkschaftlicher Betriebsgruppen und Vertrauensleutekörper in Szene gesetzt, die Kontrolle über den Streik von unten erfochten werden, falls sie jederzeit den Streikvollversammlungen gegenüber rechenschaftspflichtig und jederzeit abwähl- und ersetzbar bleiben.

Letztere sind allerdings ein unverzichtbares Inventar wirklicher Basisdemokratie. Ohne sie drohen die Teamdelegierten, die ja auch die Schnittstelle zu den FunktionärInnen verkörpern und diese kontrollieren sollen, zu einer Geisel des Apparates zu werden. Kurz: es gilt für die Vernetzung kämpferischer Gewerkschaften (VKG), diese Schicht von BasisaktivistInnen mit in ihr Boot zu holen, will sie einen wirklichen Schritt hin zu einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbasisbewegung gehen!

Fallstrick Umsetzung und Kontrolle eines TVE

Darüber hinaus sind die Teamdelegierten bei der Umsetzung eines TVE wichtig, soll diese im Interesse der Beschäftigten und PatientInnen und unter deren Kontrolle erfolgen (mehr Personal, bessere Pflege und Medizin, Umstrukturierung des Gesundheitswesens). Bisher kranken die oft schwerfälligen Interventionskaskaden daran, dass die Entscheidungsmacht über Aufnahmestopps, Bettensperrungen, Stationsschließungen und Personalausgleich bei Unterschreitung der tariflich vereinbarten Mindestbesetzungen in der Hand der Klinikleitungen, also letztlich beim Kapital verbleibt.

Ausgehend von ArbeiterInnenkontrolle im Fall eines durchgesetzten TVE könnten diese Organe aber die Aufgabe anpacken, diese auf eine bundesweite über das gesamte Gesundheitswesen auszudehnen. Als Sprungbrett müssen sie im Gleichschritt mit der gesamten Berliner Krankenhausbewegung auch für die dringend notwendige Überwindung des leider zur ver.di-Tradition verkommenen Häuserkampfschemas fungieren.

Zusammenführen!

Gerade in dieser Hinsicht war es ein Fehler, die beiden wichtigsten Anliegen der Krankenhausbeschäftigten nicht mit der Entgelttarifrunde bei Bund und Kommunen zu verknüpfen, wo man die Kraft aller dort Beschäftigten somit dafür hätte einsetzen und ausnutzen können.

Im Oktober geht das Ringen um einen neuen TvöD-L bei den Lohn- und GehaltsempfängerInnen der Bundesländer los. Die berechtigten Forderungen der dortigen Krankenhausbeschäftigten (z. B. Uni-, psychiatrische Landeskliniken), aber z. B. auch der „Arbeiterwohlfahrt (AWO)“ nach Entlastung und für Angleichung der Arbeitsbedingungen bei deren Töchtern an den TVöD, besser für vollständige Gleichstellung und am allerbesten für deren Rückkehr unters Dach ihrer Mütter, müssen in der kommenden Tarifrunde aufgegriffen und dürfen nicht für das Linsengericht eines Gesundheits(katzen)tisches geopfert werden!

Die Arbeit„geber“Innen spielen in ihrer Begründung für Ablehnung der Tarifbelange schließlich auf ihrer Argumentationsklaviatur neben der Fallpauschalenpartitur (Ertragseinbrüche) die Sonate des drohenden Rauswurfs aus ihren Verbänden Kommunaler Arbeitgeberverband (KAV) und Tarifgemeinschaft Länder in G(eh!) Moll. Nehmen wir ihr diese Noten aus der Hand, indem wir das Anliegen der Beschäftigten in Landeskliniken zu dem aller (dort) Arbeitenden im nächsten Schritt machen – und im übernächsten den Fall der DRGs durch politische Massenstreiks.

Die Keime eines solchen Schulterschlusses sehen wir in Streiks unter Kontrolle der Basis und in eindrucksvollen Bewegungen wie an den Berliner Krankenhäusern. Lassen wir diese jetzt aufblühen und die Ernte einfahren, um der giftigen Saat des Gesundheitskapitals von hier ausgehend ihr Ende einzuläuten!




Warnstreiks in psychiatrischen Kliniken Brandenburgs

Ernst Ellert, Infomail 1163, 23. September 2021

Nicht nur in Berlin wird gekämpft. Zusätzlich zu den Streiks bei Charité und Vivantes sowie dem Arbeitskampf bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO) laufen nun auch Warnstreiks in den 3 Brandenburger Psychiatrie-Fachkliniken an, die seit 2005 zum Asklepios-Konzern gehören. Ver.di rief in der Stadt Brandenburg/Havel, Teupitz und Lübben (beide Landkreis Dahme-Spreewald) ab Dienstag, den 21. September 2021, zu einem viertägigen Warnstreik für 1450 Beschäftigte auf. Ziel ist eine Angleichung der dortigen Haustarife an den TVöD.

Forderungen

Lt. Verhandlungsführer Ralf Franke würde das eine Erhöhung der Entgelte um 10 bis 13 Prozent in der Pflege, bei den TherapeutInnen um 20 bis 22 Prozent bedeuten. In 5 Verhandlungsrunden haben die Brandenburger Kliniken bisher kein akzeptables Verhandlungsangebot vorlegen können, obwohl der Konzern in  Hamburg bereits nach TVöD bezahle. Während der Warnstreiks von  Dienstag bis Freitag, den 24. Septenber, soll es erstmals nur für die 30 Akutstationen einen Notdienst geben, aber nicht für 22 sonstige Stationen und Tageskliniken. Einbezogen werden soll auch der Maßregelvollzug für psychisch kranke Straffällige in der Stadt Brandenburg.

Dieses Beispiel zeigt zweierlei: Erstens ist die Forderung nach entschädigungsloser Enteignung privater Klinikketten und ihre Rückführung in Staatshand (ob Land oder Kommune) unter Kontrolle durch Beschäftigte, PatientInnen und ArbeiterInnenorganisationen nicht nur eine unabdingbare Voraussetzung für die Umstrukturierung des Gesundheitswesens, sondern auch den einheitlicheren gewerkschaftlichen Kampf, der sich nicht voneinander isoliert in einzelnen Häusern abspielen muss. Zeitgleich befinden sich nämlich die KollegInnen von Charité und Vivantes in Berlin seit fast 14 Tagen im Vollstreik für mehr Personal und Angleichung an den TvöD und die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder bundesweit tritt in ihre heiße Phase.

Zweitens belegt es, wie wichtig es ist, die von Berliner AWO und Brandenburgs Psychiatrie gelieferten beispielhaften kämpferischen Vorlagen als Sprungbrett zunächst und unmittelbar für die anstehende Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder zu nutzen und die Forderungen nach Entlastung in der Pflege und Angleichung an den TVöD-L bei den ausgegliederten Betriebsteilen – nicht nur der Krankenhäuser, sondern in allen Landeseinrichtungen – in die anstehenden Auseinandersetzungen aufzunehmen. Dass die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst bei Gemeinden und im Bund dies nicht im Frühjahr 2021 getan hatte, wiegt wie ein Mühlstein um den Hals der Gewerkschaftsbewegung und programmierte den Häuserkampf. Wir wollen keinen Staffellauf von Betrieb zu Betrieb, sondern möglichst geschlossenes und konzentriertes Vorgehen jetzt!

Der 9. Warnstreiktag: Protest in Potsdam

Am 22. September begann die 3. viertägigen Warnstreikwelle an den o. a. Asklepios-Kliniken, die seit März des Jahres – immer wieder unterbrochen – andauert. Vier Busse aus Brandenburg/Havel, Lübben und Teupitz brachten 150 Warnstreikende zum Protestzug in die Landeshauptstadt Potsdam. Für einige hatte am Morgen um 6:15 Uhr gerade ihre Nachtschicht geendet. Unter ohrenbetäubendem Lärm zogen sie zum Landtag, wo sie von allen anwesenden Abgeordneten der LINKEN und einem der Grünen empfangen wurden. Vorher machten sie Zwischenstation am städtischen Ernst-von-Bergmann-Klinikum. Vor einiger Zeit hatte nach einem erfolgreichen Bürgerbegehren das Potsdamer Stadtparlament beschlossen, dort wieder nach TVöD zu bezahlen.

Franke erzählte, dass lt. letztem Angebot des Konzerns TherapeutInnen noch immer 20 % weniger Lohn als ihre KollegInnen in Hamburg, wo nach TVöD bezahlt wird, erhalten würden. Bei Krankenpflegekräften seien es je nach Berufsjahren zwischen 8 und 13 %. Asklepios meint, seine Offerte bewege sich im Rahmen von Haustarifverträgen, die ver.di für andere Brandenburger Krankenanstalten abgeschlossen habe. Den TVöD könne man als privates und insolvenzfähiges Unternehmen nicht zahlen.

Profite zulasten der KollegInnen

Doch, „man“ kann – in Hamburg! Nach 31 Jahren deutscher Wiedervereinigung wird es im Osten wohl langsam Zeit mit tariflicher und sonstiger Gleichstellung mit der Alt-BRD! Zudem lieferte Asklepios eine unfreiwillige Vorlage für die notwendige Rückübernahme der 3 Häuser in Landesbesitz.

2019 hat die Klinikkette einen Gewinn von 172 Mio. Euro getätigt. Im Coronajahr wies die Bilanz allerdings 65 Mio. Miese auf, doch kaufte sie in diesem Zeitraum für 512 Mio. Euro Aktien der Rhön-Kliniken AG, um auf der Skala von Europas größten Gesundheitskonzernen noch weiter nach oben zu klettern.

Urabstimmung jetzt!

Unmittelbar müssen sich die Warnstreikenden auf die Einleitung einer Urabstimmung zum Vollstreik einrichten, sollte kein Abschluss zustande kommen. Diesen gilt es, unter Kontrolle der Basis zu führen – kämpferische Entschlossenheit ist schließlich zuhauf vorhanden. Davon zeugte die Aktion augen- und ohrenscheinlich!




Vollstreik bis zum Sieg! Solidarität mit der Berliner Krankenhausbewegung!

Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht, Infomail 1161, 9. September 2021

Personalnotstand, Outsourcing, prekäre Arbeitszeiten, Überlastung, Privatisierungen. Nach Jahren des Notstandes an den Krankenhäusern befinden sich die Klinikleitungen von Charité und Vivantes in der Defensive. Endlich!

Die Mobilisierung der Berliner Krankenhausbewegung trägt nun Früchte. Ohne monatelange Anstrengung wäre das unmöglich gewesen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad stieg in den letzten Monaten, Tausende neue Mitglieder traten ver.di bei. Die Warnstreiks und Großkundgebungen haben gezeigt, dass eine erfolgreiche Organisierung trotz massiven Drucks in den Krankenhäusern, trotz Auslagerungen, trotz künstlicher Zersplitterung und Spaltung der Belegschaften, trotz unterschiedlicher Tarifverträge möglich ist.

An der Charité stimmten 97,85 Prozent, bei Vivantes 98,45 Prozent und in den Tochterunternehmen 98,82 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten für den Arbeitskampf. Allein das spricht eine deutliche Sprache. Es gibt keine Alternative zum unbefristeten Streik.

Die einzige Sprache, die sie verstehen

Über Monate, ja Jahre hinweg haben die Klinikleitungen von Charité und Vivantes alle möglichen fadenscheinigen Gründe angeführt, warum sie die Forderungen nach einem Tarifvertrag Entlastung und einem „TVöD für alle“, also nach Einstellung von mehr Personal, verbesserten Arbeitsbedingungen und gleichen Einkommen für alle nicht erfüllen könnten.

Nun, nachdem fast 100 % der Gewerkschaftsmitglieder für einen unbefristeten Streik votierten, zaubern sie plötzlich neue Last-Minute-Verhandlungsangebote aus dem Hut. Zugeständnisse wären jetzt möglich – wenn die Beschäftigten und die Gewerkschaft ver.di nur den Streik abblasen würden. Nachdem die Vivantes-Leitung im August noch versuchte, die Warnstreiks per Gericht zu verbieten, klagt sie jetzt über den Mangel an „Kooperation“ und „Vertrauen“ der Beschäftigten.

Klar, diese Leute wollen lieber verhandeln, wenn wir nicht streiken, wenn wir die Aktionen aussetzen – denn dann ist ihre Verhandlungsposition stärker, ist der Druck, unsere Durchsetzungsfähigkeit geringer. Daher sollte auch kein Streik, kein Streikposten, keine Aktion heruntergefahren werden, solange es keinen Abschluss gibt, der die Forderungen erfüllt und von den Streikenden akzeptiert wird. Streik – das ist die einzige Sprache, die die sog. ArbeitergeberInnen verstehen; und das ist auch das beste Mittel, die Einheit der Beschäftigten und den Organisationsgrad der Gewerkschaft weiter zu stärken.

Neben den Aktionen braucht es tägliche Streikversammlungen, wo der Stand der Auseinandersetzung diskutiert wird, wo die Streikleitungen gewählt und gestärkt, wo neue Aktive einbezogen werden können. Darüber hinaus kann und sollte bei den Versammlungen diskutiert und beschlossen werden, wie der Arbeitskampf unbefristet und solange weiter geführt werden kann, bis Vivantes und Charité klein beigeben.

  • Unbefristeter Vollstreik bis zur Erfüllung der Forderungen! Keine Aussetzung des Streiks ohne Abstimmung unter den Streikenden! Keine Teilabschlüsse in einem Krankenhaus, sondern nur gemeinsamer Abschluss!

Dynamik nutzen, Kampf ausweiten!

Zur Zeit befinden wir uns und unsere Gewerkschaften in einer günstigen Position. Der Streik und die Forderungen sind bei der Bevölkerung populär.

Erstens streiken wir nicht nur für unsere Löhne und Arbeitsbedingungen, sondern auch für eine menschenwürdige Versorgung aller PatientInnen, aller Lohnabhängigen. Hinzu kommt zweitens, dass kurz vor den Wahlen fast alle PolitikerInnen ihr Herz für das Gesundheitswesen entdecken. Wir sollten darauf nicht viel geben, aber die Situation nutzen und den Senat noch mehr unter Druck setzen.

Drittens sollten wir den Streik in direkte Verbindung mit anderen Arbeitskämpfen setzen, vor allem mit dem Streik der GDL und der anstehenden Tarifrunde der Länder im öffentlichen Dienst. Gerade letzte müssten wir mit dem Kampf für mehr Personal, für Wiedereingliederung outgesourter Tochterunternehmen, für gleiche Tarife, kürzere Arbeitszeiten und höhere Einkommen verbinden, für die Abschaffung der unsäglichen DRGs und ein Gesundheitssystem, das sich nicht an Markt und Profiten, sondern an den Bedürfnissen der Menschen orientiert.

  • Koordinierung des Streiks bei den Krankenhäusern mit dem Arbeitskampf der GDL und mit der nächsten Ländertarifrunde! Nutzen wir den Kampf für einen Entlastungstarifvertrag in Berlin als Sprungbrett für den um einen bundesweiten Tarifvertrag Entlastung!
  • Umgekehrt dürfen Vivantes und Charite nicht alleine bleiben! An allen Orten muss ver.di jetzt die Klinikbelegschaften streikfähig machen! Die Tarifbewegung bei den Uni-Kliniken ist ein guter Ansatz, die Bewegung sofort zu verbreitern!

Öffentliches Gesundheitssystem unter Kontrolle der Beschäftigten!

Der Kampf in den Berliner Krankenhäusern ist weit mehr als einer für einzelne Verbesserungen. Nicht erst die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass dieses System ständig am Rande des Zusammenbruchs funktioniert, alle Privatisierungen und marktkonformen Reformen der letzen Jahre und Jahrzehnte auf Kosten der Beschäftigten und der Masse der PatientInnen gingen, während sich private Klinken und KrankenhausbetreiberInnen,  Pharmakonzerne und medizintechnische Industrie bereichern konnten.

Damit muss Schluss sein, wenn wir ein menschenwürdiges Gesundheitssystem aufbauen wollen! Der Markt richtet nichts, jedenfalls nicht für die Masse der Bevölkerung.

  • Entschädigungslose Enteignung privater und privatisierter Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Entschädigungslose Enteignung der Pharma- und Medizintechnikkonzerne!
  • Für ein gesetzliche Personalbemessung, die den tatsächlichen Bedarf widerspiegelt und die  in allen Sektoren, auch der Altenpflege gilt!
  • Für ein ausreichendes Pflegepersonalgesetz in allen Sektoren, auch der Altenpflege! Personalbedarf für die PatientInnenversorgung, errechnet durch die Beschäftigten sowie PatientInnen und ihre Organisationen selber! Laufende Personalbesetzungs- und Betriebsregelungen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit Beitragsbemessungsgrenzen, Befreiungs- und Ausstiegsmöglichkeiten von der gesetzlichen Krankenversicherung! Für weitere Finanzierung des Plans durch progressive Steuern auf Kapital, Gewinne und Vermögen!
  • Plan- statt Marktwirtschaft: Erstellung eines Plans für ein integriertes Gesundheits-, Rettungs-, Kur- und Rehabilitationswesen von unten durch Beschäftigte und PatientInnen unter Hinzuziehung von ExpertInnen ihres Vertrauens!

Diese Forderungen können einen Schritt darstellen zur Sozialisierung der gesamten Care- und Reproduktionsarbeit einschließlich der unbezahlten in Privathaushalten.

Sich dafür einzusetzen und sich an die Seite der streikenden KollegInnen zu stellen und dafür alle Beschäftigten, die ein Interesse an einem gut funktionierenden Gesundheitssystem unter guten Arbeitsbedingungen haben, an Eurer Seite zu mobilisieren, wäre die Aufgabe aller DGB-Gewerkschaften. Mit einer solchen Mobilisierung – streikende KollegInnen in den Krankenhäusern und KollegInnen aus allen Betrieben – würden die  Regierenden in die Knie gezwungen werden können. Dies wäre der Weg für einen erfolgreichen Kampf gegen Privatisierungen und mangelnde personelle und finanzielle Ausstattung des gesamten Gesundheitssektors.

Das kann auch die prekär Beschäftigten auf unterster Stufenleiter unabhängig von ihrer Staatszugehörigkeit, ferner alle Azubis mitnehmen und die Tür aufmachen zu einem vernünftigen Gesellschaftssystem, das den arbeitenden Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt der Produktionszwecke stellt: Sozialismus statt Kapitalismus!