Der Sonderweg der KPÖ Steiermark – ein Vorbild für die Linke?

Michael Märzen, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt (Österreich), ursprünglich erschienen in Flammende 1, Infomail 1196, 16. August 2022

Von den verschiedenen Landesorganisationen der Kommunistischen Partei Österreich nimmt die steirische einen besonderen Platz ein. Sie ist die bisher erfolgreichste Teilorganisation, aber auch diejenige, welche recht deutlich aus dem programmatischen und ideologischen Verständnis der Bundespartei ausschert. Aus diesem Grund war und ist ihr Verhältnis zum Bundesvorstand von Konflikten geprägt. Die KPÖ Steiermark hat sich daher aus dem zentralen Führungsgremium zurückgezogen und geht ihren Weg autonom vom Rest der Partei.

Viel interessanter und wichtiger als dieses besondere Verhältnis zur restlichen Partei sind aber die Wahlerfolge der KPÖ Steiermark. Nicht nur, dass sie in Graz Ende der 1980er Jahre als Einzige ihr Mandat im Gemeinderat halten konnte oder sie im Landtag der Steiermark seit 2005 vertreten ist, bei den Wahlen der steirischen Landeshauptstadt 2021 konnte sie ihre Stimmen um ganze 8,5 % ausbauen. Sie wurde mit 28,8 % zur Siegerin, stellt nun mit Elke Kahr die Bürgermeisterin von Graz und führt eine linke Koalition an – gemeinsam mit Grünen und SPÖ. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die KPÖ Steiermark einen gewissen Respekt und sogar Bewunderung innerhalb von Teilen der österreichischen Linken genießt. Die Partei habe sich durch ihren ehrlichen Stil, ihre hartnäckige Unterstützungsarbeit für die Grazer Bevölkerung und ihre Bescheidenheit die Unterstützung ihrer Wähler:innen verdient. Für die österreichische Linke gelte es demnach, sich diese Erfolgsstrategie in Form von langfristiger Verankerung auf kommunalpolitischem Gebiet zu eigen zu machen.

Dem Glanz der KPÖ Steiermark stehen aber auch immer wieder politische Skandale gegenüber, die auch die wohlwollende Linke verdutzt den Kopf schütteln lassen. So wurde medienwirksam skandalisiert, dass der Landtagsabgeordnete Werner Murgg auf Vermittlung der österreichisch-weißrussischen Gesellschaft ins autoritär regierte und staatskapitalistische Weißrussland reiste, um im dortigen Staatsfernsehen die Sanktionen der EU zu kritisieren: „Sie treffen nur die einfachen Leute, das könnte Aufstände provozieren.“ Oder die Rede von Thomas Pierer im Brucker Gemeinderat, in der er mit einer kopierten AfD-Rede genderneutrale und gendersensible Sprache verhöhnte.

Auch wenn die Erfolge der KPÖ Steiermark nicht von der Hand zu weisen sind, wollen wir mit diesem Beitrag linke Organisationen und Aktivist:innen davor warnen, diese als politisches Vorbild zu betrachten bzw. ihre Politik oder gar Programmatik nachzuahmen. Die Politik der steierischen Landesorganisation ist eine defensive Ausprägung ihres stalinistischen Erbes, die kurzfristig als Erfolgsmodell erscheinen mag, aber langfristig nur in einer reformistischen1 Sackgasse enden kann.

Von Erfolgen und Konflikten

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlitterte die Kommunistische Partei Österreich in eine tiefe Krise. War sie schon davor jahrzehntelang in der politischen Landschaft marginalisiert, stellte sich nun die Frage ihrer Existenz. Der Stalinismus hatte abgewirtschaftet und auch die Reformversuche der Perestroika waren gescheitert. Die KPÖ war immer eine sehr treue Partei gegenüber der Linie der KPdSU gewesen. Ihre Beschönigung der bürokratischen Diktaturen über das Proletariat sowie die Unterdrückung von progressiven Bewegungen, wie z. B. im Prager Frühling 1968, hatten der Partei schon früher geschadet. Nun war die stalinistische KPÖ ihres wichtigsten politischen Bezugspunktes beraubt, ihre Glaubwürdigkeit am Boden. Die Wahlergebnisse erreichten ihren Tiefpunkt.

Die Erneuerungsversuche unter Michail Gorbatschow wurden zwar noch mit Hoffnung betrachtet, aber über die Ergebnisse bestanden in der österreichischen Partei nicht ausgetragene Meinungsverschiedenheiten. Mit der Krise des „kommunistischen Systems“ verfestigten sich in der KPÖ auf der einen Seite eine Mehrheit der „undogmatischen“ Erneuerung und auf der anderen Seite ein „traditionalistischer“ Flügel. Der außerordentliche Parteitag im Juni 1991 in Graz sollte ein „Reformparteitag“ sein. Der „Maxismus-Leninismus“2 der kommunistischen Parteien habe sich von vielem Neuen (Frauenfrage, Ökologie usw.) abgekapselt, hieß es dort. Die Partei sollte sich ideologisch öffnen für einen vom Dogmatismus befreiten Marxismus. Die stalinistische Diktatur habe schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Offen gehalten wurde die Option einer „echten Erweiterung der KPÖ und ihre Vereinigung mit anderen linken Kräften“ sowie eine ausführliche programmatische Debatte. Der demokratische Zentralismus3 wurde mit einem neuen Statut abgeschafft. Die Selbstauflösung der Partei wurde zwar überwunden, aber die Krise hatte erst begonnen.

Bei den Nationalratswahlen 1994 erreichte die KPÖ mit lediglich 11.919 Stimmen ihren historischen Tiefpunkt. In eine andere Richtung ging der Trend lediglich in der Steiermark. In Graz hatte die Partei 1988 trotz Krise der Sowjetunion ihr Gemeinderatsmandat mit Ernest Kaltenegger halten können. Bei den Gemeinderatswahlen 1993 konnte sie noch ein zweites Mandat für Elke Kahr dazugewinnen. In der Stadt hatte sich die KPÖ Graz mit Wohnungspolitik und Mieter:innenberatung sowie –hilfe ein lohnendes Politikfeld geschaffen. 1998 erzielte sie schon 7,9 % und erreichte den Einzug von Ernest Kaltenegger in den Stadtsenat (so heißt die dortige Proporzregierung), wo er Wohnungsbaustadtrat wurde. 2003 kam dann beinahe der Durchbruch, als die KPÖ vor dem Hintergrund der tiefen Krise der FPÖ 20,8 % in Graz erreichte, allerdings bei der darauffolgenden Wahl 2008 auf 11,2 % abrutschte. Dazwischen gelang jedoch noch einer der bedeutendsten Erfolge, nämlich der Einzug der KPÖ Steiermark in den dortigen Landtag, mit 4 Mandaten (Ernest Kaltenegger, Renate Pacher, Claudia Klimt-Weithaler, Werner Murgg) – auf Landesebene immer noch das beste Wahlergebnis. Nach 2008 ging es aber zumindest in Graz schrittweise bergauf, bis zum Wahlsieg im letzten Jahr.

Wahlergebnisse der KPÖ Graz
1945 6,7 %
1949 5,7 %
1953 5,8 %
1958 3,9 %
1963 3,5 %
1968 2,8 %
1973 3,0 %
1978 2,0 %
1983 1,8 %
1988 3,1 %
1993 4,2 %
1998 7,9 %
2003 20,8 %
2008 11,2 %
2012 19,9 %
2017 20,3 %
2021 28,84 %

Die KPÖ Steiermark hatte entgegen der Bundespartei der alten Doktrin des „Marxismus-Leninismus“ nicht abgeschworen. Somit bestand eine ideologische Spannung, die sich folglich zu einer politischen Zuspitzung entwickelte. Beim 31. Parteitag im Dezember 2000 unterstützte ein Teil der steirischen Parteileitung eine „Alternativplattform“, welche wesentliche Positionen der „Erneuerung“ zurücknehmen wollte. Außerdem sollte die Parteispitze abgewählt werden, was misslang. Im Herbst 2003 legte die Landespartei eine „Grundlage für ein noch zu beschließendes Programm“ zur Diskussion vor. Die bedeutendsten praktischen Differenzen drehten sich jedoch um die Haltung zur Europäischen Union und zum Pluralismus als Parteikonzeption. Vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 war die KPÖ gegen einen Beitritt gewesen und anschließend für einen Austritt4. Mit der Zeit weichte sie diese Position aber auf und ließ sie als unmittelbare Forderung fallen. In diesem Kontext diskutierte sie auch die Verbindung mit anderen Linksparteien in Europa und nahm an der Gründung der Partei der Europäischen Linken5 im Jahr 2004 teil. Anstelle dieser Haltung zur Europäischen Union und der ELP wollte die KPÖ Steiermark lieber auf traditionalistische und stalinistische Parteien wie die KP Griechenland orientieren. Der Pluralismus, wie er auch in der Europäischen Linken gelebt werde, führe laut ihrer Kritik zu einer Kapitulation6. In weiterer Folge formierten sich Teile der steirischen Partei (z. B. Werner Murgg) mit anderen traditionalistischen Kräften innerhalb der KPÖ zur „Kommunistischen Initiative zur Erneuerung der KPÖ“. Mehrere Oppositionelle wurden nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Legitimität des 33. Parteitags (Dezember 2004) ausgeschlossen und die Kommunistische Initiative ging einen organisatorisch unabhängigen Weg (heute trägt sie den Namen „Partei der Arbeit“). Die KPÖ Steiermark ging jedoch den eigenständigen Weg nicht mit. Die steirischen Mitglieder akzeptierten die Beschlüsse des Parteitags nicht, zogen sich aus dem Bundesvorstand der KPÖ zurück und betrachten ihre Organisation seither als autonom gegenüber der Bundespartei.

Wahlsieg in Graz

Die Grazer Gemeinderatswahlen im September 2021 hievten die KPÖ überraschenderweise – offenbar hatte sie bis kurz davor selbst nicht damit gerechnet – mit 28,84 % an die Spitze. Im November wurde die Stadtregierung als Koalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ mit Elke Kahr als Bürgermeisterin angelobt. Der Wahlkampf in Graz und die Arbeit der KPÖ in der Regierung sind wohl die wichtigsten Referenzen, um zu verstehen, wie die Praxis der steirischen Genoss:innen aussieht. Aber zunächst stellt sich die Frage: Wie konnte es überhaupt zu diesem Erfolg kommen?

Der Aufstieg der KPÖ in Graz ist nicht ohne den Abstieg der Sozialdemokratie zu verstehen. Diese hielt 2003 in der Landeshauptstadt noch knapp 26 % der Stimmen. Von da an ging es schrittweise bergab, bis sie 2017 nur noch 10 % erreichte und von der KPÖ vom zweiten Platz verdrängt wurde. Im letzten Jahr verlor sie zwar prozentuell nicht mehr so viel, rutschte aber auf den fünften Platz zurück, nur noch vor den NEOS und den anderen Kleinstparteien. Schon in den 1990er Jahren, als sich die SPÖ dem Neoliberalismus hingab, wurde die Partei unbeliebter. In der jüngeren Vergangenheit der Steiermark war aber die sogenannte „Reformpartnerschaft“ von Bedeutung. Im Wesentlichen war das ein gemeinsam von ÖVP und SPÖ groß angelegtes Sparprogramm, um das Landesbudget auf dem Rücken von Lohnabhängigen, Frauen, Kindern und Bedürftigen zu sanieren. So wurden im Doppelbudget 2013/14 ganze 1,5 Mrd. Euro eingespart. Dabei wurde nicht nur in der Verwaltung gekürzt oder wurden Gemeinden fusioniert, unter den Einsparungen litt auch der Sozialbereich, dessen Beschäftigte auf die Straßen gingen, und es wurden viele kleinere Volksschulen geschlossen. Dazu kommt aber auch die beharrliche Arbeit der KPÖ insbesondere im Wohnungsbereich, erst unter Ernest Kaltenegger und dann mit Elke Kahr. 1992 zog Kaltenegger den Mieternotruf auf, welcher Mietverträge, Betriebskostenabrechnungen und die Höhe von Provisionen prüfte sowie bei Schikanen, Kündigungen und Räumungsklagen unterstützte. Auch die Tatsache, dass KPÖ-Mandatar:innen von ihrem Einkommen nur einen Teil in der Höhe eines Facharbeiter:innenlohns beziehen und den Rest für Sozialpolitisches spenden, hilft dem Image der Partei, das sie auch sehr behutsam als ehrlich, hilfsbereit, nicht abgehoben usw. pflegt. Hinzu kommt der Absturz der ÖVP bei der Wahl 2021 um beachtliche 11,88 Prozentpunkte! Das hatte zu tun mit teuren und unpopulären Groß- und Prestigeprojekten, welche die ÖVP umsetzte oder plante, beispielsweise das Mur-Kraftwerk oder eine mögliche U-Bahn. Es hing aber wohl auch mit den Skandalen rund um Sebastian Kurz zusammen, die die ÖVP damals erschütterten. Und mit ihrem plumpen Antikommunismus, mit dem die Konservativen eine Katastrophe im Falle eines kommunistischen Wahlsiegs beschworen, hatten sie sich auch noch lächerlich gemacht und die Sympathie für die KPÖ gestärkt.

Wie sah nun die Politik der KPÖ im Wahlkampf aus? Wirft man einen Blick auf die wohl öffentlichkeitswirksamsten Elemente, die Wahlplakate, dann findet man Slogans wie „Soziales darf nicht untergehen“, „Lebensraum vor Investoren“, „Wohnraum bezahlbar für alle“ oder „Da sein wenn‘s drauf ankommt“. Alles Plakate, die sich keineswegs von sozialdemokratischen oder grünen unterscheiden, geschweige denn sich durch Radikalität, Kapitalismuskritik oder Aufzeigen eines Klassenwiderspruches abheben. In dieselbe Kerbe schlägt auch das Wahlprogramm der KPÖ Graz. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhältnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, was eine propagandistische und aufklärerische Rolle zur Herausbildung von Klassenbewusstsein spielen kann, und aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der Arbeiter:innenklasse formuliert werden könnte. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt werden. Den Schlüssel bildete, auch schon im Kleinen die Macht der Kapitalist:innen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.

Linke Koalition

Was kann man also von der linken Koalition und ihrem Regierungsprogramm halten? Das sogenannte „Arbeitsprogramm“ trägt den Titel „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial. Klimafreundlich. Demokratisch.“ Es liest sich eingangs durchaus positiv und vieles kann man auch begrüßen. Es stellt sich ideologisch in die Tradition des Antifaschismus, der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung. Die Klimakrise wird als eine zentrale Herausforderung benannt. Aber es stellt sich eben auch nur in die Tradition dieser Bewegungen. Weitere Bezüge auf Kämpfe und Bewegungen bzw. deren Rolle zur Durchsetzung von wichtigen sozialen Veränderungen gibt es keine. Für einen Eindruck vom Arbeitsprogramm der Koalition seien an dieser Stelle ein paar der 21 Schwerpunktprojekte genannt: An erster Stelle die Realisierung der Südweststrecke, einer Straßenbahnverbindung, die schon vor zwei Jahren im Grazer Gemeinderat beschlossen wurde. An zweiter Stelle die Schaffung leistbaren Wohnraums durch den Bau neuer Gemeindewohnungen, aber leider nicht, wie viele. An dritter Stelle kommt „jeden Tag einen Baum pflanzen“. Weitere nennenswerte Punkte sind die Reduktion der Kinderbetreuungsbeiträge, die Erhöhung des Zuschusses zur Jahreskarte Graz und zum Klimaticket Steiermark, ein Fahrrad für jedes Kind oder die Ausrichtung der Wirtschaftsförderung nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien. Und – abseits von diesen Schwerpunkten – das Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget.

Ein zentrales Anliegen im Wahlprogramm der KPÖ Graz war die „Wiedereingliederung aller ausgelagerten Betriebe in das Eigentum der Stadt und Rückführung der Grazer Linien in einen städtischen Eigenbetrieb“. Dabei ging es insbesondere um das „Haus Graz“, also um die direkten und indirekten Beteiligungen der Stadt, denn die Ausgliederungen brächten keine Einsparungen und der Gemeinderat habe keine Entscheidungsbefugnis über Leistungen, Tarife und Personalpolitik mehr. Nach der Wahl war das Thema schnell vom Tisch. Laut KP-Klubobmann Manfred Eber habe man sich das genauer angesehen und festgestellt, dass man bei einer Rekommunalisierung unter den Abteilungen keine Gegenrechnungen mehr machen könnte und Körperschaftssteuer zahlen müsse. Das würde Belastungen in Höhe von einem bis zu zweistelligen Millionenbetrag jährlich bedeuten. Stattdessen findet sich im Koalitionspakt nur noch die Sicherstellung von Plätzen in den Aufsichtsräten für alle im Stadtsenat vertretenen Parteien. Das Argument ist schwer nachvollziehbar, immerhin müssten sich über Zusammenführungen und die Abschaffung von teuren Managergehältern deutliche Einsparungen bewirken lassen. Und wenn nicht, könnte man es sich oder die Reichen ruhig auch ein bisschen kosten lassen. Denn die Überführung von zentralen Unternehmen in öffentliches Eigentum ist wohl das wichtigste Anliegen kommunistischer Politik, weil es den Weg aus der Profitlogik ebnet und demokratische Kontrolle bis zur Verwaltung durch die Arbeiter:innen selbst ermöglicht und damit die Durchsetzung der Interessen jener, welche die notwendige Arbeit in unserer Gesellschaft leisten.

Erst kürzlich tat sich die Grazer Stadtregierung positiv damit hervor, dass sie die jährliche Erhöhung von Kanal- und Müllgebühren sowie der Mieten in den Gemeindewohnungen aussetzte. Argumentiert wurde das mit den im Zuge der massiven Inflation ohnehin schon stark gestiegenen Lebenserhaltungskosten. Grundsätzlich ist das natürlich auch ein begrüßenswerter Schritt. Aber auch hier wird wieder einmal klar, dass sich die KPÖ Steiermark voll und ganz im bürgerlich-demokratischen Rahmen bewegen möchte. Denn gesetzlich ist es nicht möglich, den vom Justizministerium festgelegten Richtwert der Miete zu beeinflussen, geschweige denn eine generelle Beschränkung der (Privat-)Mieten in Graz.

Generell zeichnet sich die Linkskoalition also nicht gerade durch eine Konfrontation mit dem Kapital aus. In einem Bündnis mit den Grünen und der Sozialdemokratie ist das auch nur schwer vorstellbar. Zugegeben, die Möglichkeiten einer Stadtregierung hierfür sind durchaus begrenzt und die Stimmung der Massen ist nicht unbedingt revolutionär. Aber trotzdem wäre es die Aufgabe einer linken Regierung unter Führung von Kommunist:innen, in Worten und Taten die Widersprüche zwischen den Klassen für alle sichtbar zu machen und zuzuspitzen. Konkrete Mobilisierung auf der Straße und in den Betrieben für die Politik, die an die Grenzen des bürgerlich-kapitalistischen Rechtsstaats stößt, wären hier ein Anfang. Statt sich aber darauf zu konzentrieren, betont die KPÖ lieber die Arbeit auf Augenhöhe selbst mit den reaktionären bürgerlichen Kräften ÖVP und FPÖ.

Wenn sie sich nicht auf die Enge des Stadtbudgets einschränken würde, könnte sie weitreichende Sozialmaßnahmen einleiten und einen politischen Kampf um deren Finanzierung führen. Die Strategie der KPÖ Graz läuft auf das Gegenteil hinaus, nämlich Haushaltssanierung, wie ein Artikel auf ihrer Homepage zeigt. Was das für die Reformbemühungen der Linkskoalition bedeutet, wird spannend zu beobachten. Große Würfe darf man sich jedenfalls nicht erwarten. Laut dem Artikel erzielte die Stadt im letzten Jahr ein negatives Nettoergebnis von 73 Mio. Euro und hatte einen Schuldenstand von 1,6 Milliarden Euro. Laut Grazer Haushaltsordnung müsse nach dreimalig negativem Nettoergebnis ein Haushaltskonsolidierungsplan erstellt werden, wobei 2020 und 2021 schon negativ waren. „Auch unter der derzeitigen wirtschaftlichen Lage werden wir alles daransetzen, die Vorgaben des Landes Steiermark zu erfüllen sowie unter Berücksichtigung einer möglichen Wiedereinführung des Stabilitätspakts zu budgetieren.“

Programmatik

Wie kann man die Politik der KPÖ Graz bzw. der KPÖ Steiermark verstehen? Gibt es theoretische, ideologische oder programmatische Auffassungen, aus denen sich ihr Handeln ableitet? Oder herrschen Pragmatismus und personelle Beliebigkeit? Nach einem Studium ihres Landesprogramms glauben wir, dass sich die Praxis der Landespartei schon aus ihrem programmatischen Verständnis ergibt, insbesondere unter den Umständen eines niedrigen Klassenbewusstseins und Klassenkampfes. Wie sieht dieses Verständnis also aus?

Das Programm der KPÖ Steiermark (Fassung 2012) überrascht auf den ersten Blick. Der oftmals „unideologischen“, pragmatischen Praxis (siehe Beispiel Graz) der Organisation steht ein in orthodox-marxistischer Terminologie geschriebenes Programm gegenüber. Es erscheint der Eindruck, die steirische KPÖ nehme den Marxismus ernster als die Bundespartei und positioniere sich konsequenter. So verortet sie die Entwicklung des Kapitalismus weiterhin in seinem imperialistischen Stadium, versucht, die kapitalistische Krise mit einer marxistischen Theorie zu erklären, betont den Charakter der Partei als einer marxistischen Partei der Arbeiter:innenklasse und spricht von der Revolution. Gleichzeitig verschreibt sie sich einer „progressiven Reformpolitik“, deren Ziel nicht ein revolutionäres Erkämpfen des Sozialismus darstellt, sondern der Aufbau eines „progressiven Sozialstaates“. Hier erkennen wir die Tradition der stalinistischen Etappentheorie7 in Form einer antimonopolistischen Demokratie.

Spannend am Imperialismusverständnis der KPÖ Steiermark ist, dass zwar die USA als hegemoniale Weltmacht bezeichnet werden und die Europäische Union als Bündnis imperialistischer Staaten, abseits davon aber keine imperialistischen Mächte benannt werden. Russland kommt in dieser Beziehung überhaupt nicht vor und bei China scheint sich die KPÖ Steiermark nicht einmal sicher zu sein, dass es sich um ein kapitalistisches Land handelt und nicht etwa um einen legitimen Weg zum Sozialismus („Die KP China definiert das Land in der Anfangsphase des Sozialismus“).

Interessant im Kontext der Einschätzung der Weltlage ist der Blick auf Lateinamerika. Dort hätten sich revolutionäre Bastionen entwickelt. Gemeint sind die Staaten der „Bolivarischen Allianz“ (ALBA) unter der damaligen Führung Venezuelas. Vollkommen unkritisch wird der Linksnationalist Hugo Chávez zitiert, der den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ beschwört. Bei aller Sympathie und Solidarität mit den damaligen linken Bewegungen, die diese Regierungen in Lateinamerika an die Macht brachten, muss man schon feststellen, dass es sich dabei keineswegs um revolutionäre Regierungen der Arbeiter:innenklasse oder um sozialistische Experimente handelte. Die Länder des Sozialismus des 21. Jahrhunderts waren großteils linkspopulistische und teilweise bonapartistische8 Regimes, die weder vermochten noch beabsichtigten, die Macht des Kapitals zu brechen, und daher mit ihrem Anspruch umfassender Sozialreformen für die ärmere Bevölkerung scheitern mussten.

Schon positiver liest sich der Abschnitt zur „Bilanz des Realsozialismus“, besonders wenn man bedenkt, dass sich die KPÖ Steiermark nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den traditionalistischen Block eingeordnet hatte. Selbst bezeichnet sie sich natürlich nicht als stalinistisch9, auch wenn sie davon ein ungenaues, unklares und eingeschränktes Verständnis hegt. „Der Marxismus-Leninismus beruhte zum Teil auf dogmatisch eingeengten Bruchstücken des Marxismus“, „Die Politik des Realsozialismus war teils richtige, teils verfehlte, teils vereitelte Politik“, „Der Stalinismus nach Stalin brach mit dem Terror, aber nicht mit den Deformationen und den unwissenschaftlichen Methoden, die sich verfestigten“, „Gemessen an dieser Aufgabenstellung [der Wiederherstellung der kommunistischen Bewegung und einer revolutionären Perspektive] ist der Stalinismus ein Synonym für Dogmatismus, Verflachung, Einengung, Realitätsverlust, ein Anachronismus“. Richtig an der steirischen Analyse des „Realsozialismus“ ist das Problem des Aufbaus des Sozialismus im rückständigen Russland bei Scheitern der internationalen Ausweitung der Revolution auf das ökonomisch fortgeschrittene Europa. „Die ökonomischen und politischen Strukturen entfremdeten sich der Masse der Gesellschaft und entwickelten eine Eigenlogik, den Vollzug der Eigeninteressen einer exklusiven, der demokratischen Kontrolle entzogenen bürokratischen Schicht.“ Dass die wesentlichen Grundlagen des Sozialismus laut Programm durch „schwerwiegende Deformationen“ beeinträchtigt wurden, liest sich vor diesem Hintergrund fast schon beschönigend. Wesentlich ist unserer Auffassung nach hingegen, dass die soziale und politische Degeneration einen Bruch mit der Bürokratie und ihrer Politik bedingen. Dafür brauchte es eine von den stalinistischen Regimen unabhängige Organisierung der Arbeiter:innenklasse sowie den Sturz der Bürokratien der stalinistischen Länder in einer politischen Revolution. Diese Konsequenzen hat die KPÖ Steiermark bis heute nicht gezogen, weil sie das Phänomen des Stalinismus und seine reaktionäre politische Rolle immer noch nicht richtig erfasst hat.

Aus den Erfahrungen des „Realsozialismus“ schließt das Programm glücklicherweise auf die Notwendigkeit, „neue Sozialismusvorstellungen zu entwickeln, die auf der vollständigen und konsequenten Demokratisierung aller Bereiche der Wirtschaft, des Staates und der Zivilgesellschaft beruhen“. Unglücklicherweise besinnt sie sich dabei aber nicht auf die positiven Errungenschaften der Russischen Oktoberrevolution im Sinne der Diktatur des Proletariats – einer Arbeiter:innendemokratie in Form von Räteherrschaft und Arbeiter:innenkontrolle. An deren Stelle tritt bei der KPÖ Steiermark die alte Leier einer „sozialistischen Demokratie“. Dabei ist es kein Zufall, dass nirgendwo von der Notwendigkeit gesprochen wird, den von einer tatsächlichen demokratischen Kontrolle der Bevölkerung bürokratisch abgehobenen kapitalistischen Staat zu zerschlagen und die Macht in die Hände von Organen der proletarischen Gegenmacht10 zu legen. Anstelle der organisierten Arbeiter:innenklasse tritt für die KPÖ Steiermark der progressive Nationalstaat (dazu gibt es ein eigenes Kapitel: „Progressiver Nationalstaat – Basis und Hauptstütze von Gegenmacht“).

Dazu ein paar Zitate: „Wie der neoliberale Staat die Interessen des Großkapitals stützt, muss sich eine demokratische Reformbewegung auf einen erst zu erkämpfenden, neuartigen Sozialstaat stützen können, der der Wohlfahrt seiner Bürger verpflichtet ist und in dem die Lohnabhängigen das entscheidende Wort zu sprechen haben. (…) Anders als durch die Rückeroberung des Staats durch die revolutionären Kräfte ist es unmöglich, eine progressive Sozialpolitik zu betreiben. Dazu braucht der Staat Organe, die mit umfangreichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kompetenzen ausgestattet sind, um, wenn nötig auch mit Mitteln des außerökonomischen Zwangs eingreifen zu können. (…) Letzten Endes läuft alles darauf hinaus, dass der Staat dem Kapital Zügel anlegt und seine Institutionen in Einflusssphären des öffentlichen Eigentums verwandelt, die in Händen einer progressiven Volksmacht liegen. (…) Erst dann, wenn jedes Land das Recht hat, über seine Geschicke frei zu entscheiden (…) sind Kapitalverkehrskontrollen, Besteuerung von Transaktionen des Geld- und Finanzkapitals, wichtige Bausteine für die Rückgewinnung einer gesellschaftlichen Steuerung, möglich. (…) Aus kommunistischer Sicht steht also nicht die ‚Abschaffung des Nationalstaates‘ auf der Tagesordnung, sondern die Umformung vom Staat des Monopolkapitalismus in progressive Nationalstaaten, die, wenn sie auf Dauer bestehen wollen, Schritte in Richtung Sozialismus machen müssen.“

Die KPÖ Steiermark verfolgt das Konzept einer antimonopolistischen Demokratie, welche erst einmal durch Reformen des bürgerlichen Staates verwirklicht werden soll. Erst dann wäre es möglich, Schritte Richtung Sozialismus zu setzen. Eine solche Konzeption ist natürlich reine Utopie und ähnelt der stalinistischen Vorstellung, nach der die Bürokratie der Sowjetunion kapitalistische Pufferstaaten („Volksdemokratien“) in Ost- und Mitteleuropa errichten wollte, frei vom politischen Einfluss des westlichen Kapitals. Das war überhaupt nur denkbar z. B. durch die militärische Kontrolle Osteuropas durch die Rote Armee nach dem Zweiten Weltkrieg und ist gescheitert, worauf „von oben“ die Umwandlung in bürokratische Arbeiter:innenstaaten erfolgte. Die Idee, im Bündnis mit einer „antimonopolistischen“ Bourgeoisie den Kapitalismus so weit zu reformieren, dass in weiterer Folge Schritte zum Sozialismus ergriffen werden können, verkennt, dass auch die „nichtmonopolistische“ Bourgeoise lieber das Bündnis mit dem Monopolkapital sucht als mit der Arbeiter:innenklasse und die imperialistische Epoche eine des Niedergangs und der kapitalistischen Krise ist, in der eine friedliche Reformperiode hin zum Sozialismus keine ökonomische und politische Basis besitzt.

Schlussfolgerung

Ein kommunistisches Programm sollte eigentlich zwei wesentliche Aufgaben erfüllen. Auf der einen Seite sollte es eine Handlungsanweisung für den Klassenkampf bzw. den politischen Rahmen dafür bilden. Auf der anderen Seite sollte es im Inneren der Partei als gemeinsames Verständnis dienen, durch das eine kollektive und demokratische Praxis möglichst der gesamten Partei ermöglicht wird. Das Programm der KPÖ Steiermark ist dagegen eine Art langwierige Grundsatzerklärung und kann dadurch den ersten Anspruch nicht erfüllen und aufgrund der Abgrenzung ihrer alltäglichen Praxis von diesen Grundsätzen auch nicht den zweiten. Diese Aufspaltung von hochtrabenden Erklärungen in irgendwelchen Schriften auf der einen Seite und der Beschränkung auf kleine Reförmchen in der eigentlichen Arbeit entspricht sehr dem – für Sozialdemokratie und Stalinismus typischen – Aufspalten der Programmatik in einen Maximalteil, wo das Ziel des Sozialismus beschworen wird, und einen Minimalteil, in dem konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt formuliert werden, ohne dass eine Verbindung der beiden Hälften hergestellt wird.

Das Konzept der „progressiven Reformpolitik“ und des „progressiven Nationalstaats“ reproduziert die Kluft von Minimal- und Maximalprogramm und erklärt in gewisser Weise die orthodox-ideologische Programmatik der KPÖ Steiermark bei ziemlich ideologiefreier, pragmatischer politischer Praxis. Die Orientierung auf die Kommunalpolitik ist die logische Konsequenz dieser Strategie, weil aufgrund der eigenen Schwäche nur auf der niedrigen Ebene Möglichkeiten für „Reformen“, praktische Hilfestellungen und mittelfristige Eroberungen von Posten im bürgerlichen Staat erkannt werden.

Natürlich kann eine solche Politik kurz- und mittelfristig Erfolg haben. Wer in der politischen Praxis aber nicht versucht, in Propaganda und Agitation die Arbeiter:innenklasse als politisches Subjekt anzusprechen, die Konfrontation mit dem Kapital zu suchen und dadurch anzustreben, ein revolutionäres Klassenbewusstsein zu prägen, wird mittel- und langfristig über keine Machtbasis verfügen, um über kleine demokratische und soziale Reförmchen hinaus zu wirken. Sollte sich der Einfluss der KPÖ Steiermark steigern, wird sie sich mit dieser politischen Praxis in der kleinteiligen und bescheidenen Reformarbeit verlieren und schlichtweg den Platz der steirischen Sozialdemokratie einnehmen. Zum Abschluss wollen wir dieses Problem noch mit einem Zitat von Franz Stephan Parteder (ehem. Vorsitzender der Landespartei) unterstreichen: „Wir wollten eigentlich als ganz normale Partei, die innerhalb des Verfassungsbogens steht, verstanden werden.“ Wer so etwas will, braucht sich mit dem Aufbau einer Partei zur Überwindung des Kapitalismus wohl auch nicht weiter zu beschäftigen.

Referenzen

Endnoten

1 Unter Reformismus verstehen wir eine Praxis, welche die Politik der Arbeiter:innenklasse auf Verbesserungen (oder Abwendung von Verschlechterungen) innerhalb des kapitalistischen Rahmens eingrenzt und somit letztlich in bürgerlicher Politik befangen bleibt. Dabei kann sich der Reformismus in Worten durchaus radikal oder gar marxistisch geben.

2 Der Marxismus-Leninismus ist die stalinistisch entstellte Kanonisierung des Leninismus.

3 Der demokratische Zentralismus ist ein Grundprinzip der leninistischen Parteikonzeption und bezeichnete vor der Entstellung durch den Stalinismus das Verhältnis von innerparteilicher Demokratie zur Einheit der Partei in der Aktion nach außen.

4 Der Arbeiter*innenstandpunkt hat sowohl die neoliberalen und undemokratischen, als auch die für die Lohnabhängigen positiven und sie zusammenführenden Seiten der Europäischen Union betont und bei der Volksabstimmung 1994 für eine Enthaltung argumentiert. Einen Austritt aus der Europäischen Union lehnen wir ab, weil wir in einem „Zurück zum alten Nationalstaat“ keine besseren Kampfbedingungen für die Arbeiter:innenklasse erkennen, sondern nur das Gegenteil. Wir kämpfen für die internationale Einheit der Arbeiter:innenklasse und eine europäische sozialistische Revolution.

5 Die Europäische Linkspartei ist ein Zusammenschluss von eurokommunistischen und anderen linksreformistischen Parteien. Mittlerweile hat sie sich stark der Position einer „Transformation“ des Kapitalismus verschrieben. Wir kritisieren die sogenannte Transformationstheorie als eine Form von Reformismus.

6 Auch wenn wir mit der Parteikonzeption der KPÖ Steiermark gewiss nicht viel Übereinstimmung haben, können wir ihre Zurückweisung des Pluralismus teilen. Unserer Auffassung nach ist eine marxistische Partei ein Instrument zur Verwirklichung eines revolutionären Programms und bedarf zu diesem Zweck einer ihm angemessenen Klarheit und Geschlossenheit. Das ist keine Absage an unterschiedliche Meinungen, sondern eine strategische und taktische Handlungsunfähigkeit.

7 Etappentheorie bedeutet hier, dass vor der revolutionären Enteignung der Kapitalist:innenklasse und dem anschließenden Aufbau des Sozialismus eine besondere Etappe liegen müsste. Erst nach deren Absolvierung kann dann an eine sozialistische Revolution gedacht werden. In der Tradition des Stalinismus wurde ein solches Modell oftmals auf halbkoloniale Länder angewandt, also Länder, die aufgrund ihrer Abhängigkeit indirekt von imperialistischen Mächten beherrscht werden. Dort müsse man, gestützt auf die Volksmassen und im Bündnis mit dem patriotischen Kapital, das ausländische Kapital zurückdrängen und eine bürgerliche Demokratie erkämpfen.

8 Als Bonapartismus bezeichnet man im Marxismus ein autoritäres Regime, welches seine Macht auf eine Balance zwischen gegensätzlichen Klassen oder Blöcken von Klassen stützen, dafür aber die Herrschaft autoritär und ideologisch absichern muss. Dabei kann sich dieses Regime, scheinbar und im Sinne der Nation über die Klassen und gesellschaftlichen Gegensätze erheben.

9 Wir verstehen unter Stalinismus das soziale Phänomen der bürokratischen Degeneration eines Arbeiter:innenstaates sowie damit zusammenhängend die politischen Ausprägungen der Kommunistischen Partei im Interesse dieser Bürokratie, was mit einer entsprechenden Entstellung des Marxismus einhergeht. Wir charakterisieren die Herrschaftsformen in der Sowjetunion, China, Jugoslawien, Kuba und Nordkorea dementsprechend ebenfalls als stalinistisch sowie auch die politischen Ausprägungen der KPdSU nach der „Entstalinisierung“ unter Nikita Chruschtschow.

10 Unter proletarischer Gegenmacht verstehen wir eigene, vom bürgerlichen Staat unabhängige, demokratische Organisationen der Arbeiter:innenklasse. Solche können bestehen in Form von Parteien, Gewerkschaften, Streikkomitees, Betriebsgruppen, Kontrollkomitees, Milizen und in ihrer höchsten Form als Arbeiter:innenräte.

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Linke Koalition in Graz: Fortschritt nur oberhalb der Wurzel

Michael Märzen, Infomail 1173, 19. Dezember 2021

Nach dem jüngsten Wahlsieg der KPÖ in Graz steht nun die linke Koalition gemeinsam mit Grünen und SPÖ. Die Stadtregierung wurde am 17. November angelobt und Elke Kahr zur Bürgermeisterin gewählt. Das Arbeitsprogramm der Linkskoalition trägt den Titel „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial. Klimafreundlich. Demokratisch.“ Viele linke Kräfte in Österreich sehen in der Arbeit der KPÖ Graz nun ein mögliches Erfolgsmodell. Denn nicht nur der Wahlkampf war erfolgreich, der Koalitionspakt lässt auch einige Verbesserungen erhoffen. Es zeigt sich allerdings ebenfalls, dass diese Linksregierung keine Ansätze für radikale Veränderungen in Planung hält.

Regierungsprogramm

Das Arbeitsprogramm der neuen Grazer Stadtregierung liest sich eingangs durchaus positiv. So stellt sie sich in die Tradition des Antifaschismus, der Friedens-,

Frauen- und Umweltbewegung. Außerdem wird die Klimakrise als eine zentrale Herausforderung unserer Zeit bezeichnet. Das zeigt klar, wo sich die drei Parteien mit ihrer gemeinsamen Arbeit verorten. Weitere Bezüge auf eine Bewegung, eine wirkliche Einbindung der Bevölkerung oder gar eine Ermächtigung der Lohnabhängigen fehlen allerdings.

Für einen Eindruck vom Arbeitsprogramm der Koalition seien an dieser Stelle ein paar der 21 Schwerpunktprojekte genannt: An erster Stelle wird die Realisierung der Süd-West-Strecke genannt, einer Straßenbahnverbindung, die schon vor zwei Jahren im Grazer Gemeinderat beschlossen wurde. An zweiter Stelle steht die Schaffung leistbaren Wohnraums durch den Bau neuer Gemeindewohnungen, aber leider nicht, wie viele. An dritter Stelle kommt „jeden Tag einen Baum pflanzen“. Weitere nennenswerte Punkte sind die Reduktion der Kinderbetreuungsbeiträge, die Erhöhung des Zuschusses zur Jahreskarte Graz und zum Klimaticket Steiermark, ein Fahrrad für jedes Kind oder die Ausrichtung der Wirtschaftsförderung nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien. Und – abseits von diesen Schwerpunkten – das Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget.

Brisanz „Haus Graz“

Ein zentrales Anliegen im Wahlprogramm der KPÖ Graz war die „Wiedereingliederung aller ausgelagerten Betriebe in das Eigentum der Stadt und Rückführung der Grazer Linien in einen städtischen Eigenbetrieb“. Dabei ging es insbesondere um das „Haus Graz“, also um die direkten und indirekten Beteiligungen der Stadt, denn die Ausgliederungen brächten keine Einsparungen und der Gemeinderat habe keine Entscheidungsbefugnis über Leistungen, Tarife und Personalpolitik mehr. Nach der Wahl war das Thema schnell vom Tisch.

Laut KP-Klubobmann Manfred Eber habe man sich das genauer angesehen und festgestellt, dass man bei einer Rekommunalisierung unter den Abteilungen keine Gegenrechnungen mehr anstellen könnte und man Körperschaftssteuer zahlen müsse. Das würde Belastungen in Höhe von einem bis zu zweistelligen Millionenbetrag jährlich bedeuten. Stattdessen findet sich im Koalitionspakt nur noch die Sicherstellung von Plätzen in den Aufsichtsräten für alle im Stadtsenat (= Proporzregierung) vertretenen Parteien. Das Argument ist schwer nachvollziehbar, denn immerhin müssten sich über Zusammenführungen und die Abschaffung von teuren Managergehältern deutliche Einsparungen bewirken lassen. Und wenn nicht, könnte man es sich oder die Reichen ruhig auch ein bisschen kosten lassen. Denn die Überführung von zentralen Unternehmen in öffentliches Eigentum ist wohl das wichtigste Anliegen kommunistischer Politik, weil sie den Weg aus der Profitlogik ebnet und demokratische Kontrolle bis zur Verwaltung durch die ArbeiterInnen selbst ermöglicht und damit die Durchsetzung der Interessen jener, welche die notwendige Arbeit in unserer Gesellschaft leisten.

Kommunismus und Kommunalregierung

Überhaupt zeichnet sich die Linkskoalition nicht gerade durch eine Konfrontation mit dem Kapital aus. In einem Bündnis mit den Grünen und der Sozialdemokratie ist das auch nur schwer vorstellbar. Zugegeben, die Möglichkeiten einer Stadtregierung hierfür sind durchaus begrenzt und die Stimmung der Massen ist nicht unbedingt revolutionär.

Aber trotzdem wäre es Aufgabe einer linken Regierung unter Führung von KommunistInnen, in Worten und Taten die Widersprüche zwischen den Klassen für alle sichtbar zu machen und zuzuspitzen. Als Stoßrichtung wäre es ratsam, sich die Worte der Kommunistischen Internationale von 1920 aus den Leitsätzen über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus in Erinnerung zu rufen. Dort heißt es unter anderem, dass KommunistInnen die „Mehrheit in Kommunaleinrichtungen nutzen sollen, um revolutionäre Opposition gegen die bürgerliche Zentralgewalt“ zu treiben, „die Schranken (zu) zeigen, die die bürgerliche Staatsgewalt wirklich großen Veränderungen entgegensetzt“ und „auf dieser Grundlage schärfste revolutionäre Propaganda (zu) entwickeln“.

Statt sich aber darauf zu konzentrieren, betont die KPÖ lieber die Arbeit auf Augenhöhe selbst mit den reaktionären bürgerlichen Kräften ÖVP und FPÖ. Wenn sie sich nicht auf die Enge des Stadtbudgets einschränken würde, könnte sie weitreichende Sozialmaßnahmen einleiten und einen politischen Kampf um deren Finanzierung führen. Und zumindest über die Rekommunalisierung könnte sie mit demokratischen Kontrollmechanismen in den Betrieben gewisse Möglichkeiten zur Ermächtigung der arbeitenden Menschen aufzeigen. Im Gegensatz dazu ist lediglich der Aussage des Klubobmanns der SPÖ-Graz beizupflichten, dass der Regierungspakt sehr viele sozialdemokratische Themen beinhalte. Und was das in der Realität bedeutet, haben Jahrzehnte sozialdemokratischer, bürgerlicher Reformpolitik zur Genüge bewiesen.




KPÖ Wahlsieg in Graz: (K)ein Grund zum Fürchten?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1167, 19. Oktober 2021

Die Gemeinderatswahlen in Graz brachten für viele eine große Überraschung: Die KPÖ ist mit 28,84 % (+ 8,5 %) stärkste Kraft und löst damit die ÖVP mit 25,91 % (- 11,88 %) unter Bürgermeister Siegfried Nagl ab. Nach der schwarz-blauen Koalition folgen nun Sondierungsgespräche über Rot-Rot-Grün. Herrscht ab jetzt in Graz der Kommunismus?

Gründe für den Wahlsieg

Die KPÖ in Graz bildet in Österreich eine Ausnahme. In keiner anderen bedeutenden Gemeinde ist die Kommunistische Partei so stark. Die Wurzeln für diesen Erfolg liegen in den 1990er Jahren, als sich die damals langjährig regierende SPÖ immer unbeliebter machte (mittlerweile bei 9,53 %), während die KPÖ mit einer bodenständigen und ehrlichen Kommunalpolitik punktete. Vor allem ihr unermüdlicher Einsatz für die Ärmsten in der Gesellschaft, ihr Fokus auf die immer brisanter werdende Wohnungsthematik und die Tatsache, dass KPÖ-MandatarInnen nur ein Einkommen in der Höhe eines durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohns beziehen und den Rest spenden, haben der Partei Anerkennung gebracht. So konnte sie schon 1998 mit Ernst Kaltenegger als Wohnbaustadtrat einen Sitz in der Grazer Proporzregierung einnehmen.

Aber natürlich gehört zu einer Gewinnerin auch der Beitrag der Verliererin. So hat die ÖVP gezeigt, dass sie keine Lösung für die steigenden Wohnkosten hat, sondern diese nur durch Prestigeprojekte für InvestorInnen steigert, während sie gleichzeitig die Verschuldung hochtreibt.

Linke Aufbruchstimmung

Der Wahlsieg hat natürlich breite Begeisterung in der österreichischen Linken ausgelöst. Tatsächlich eröffnet dieser Wahlerfolg die Möglichkeit, dass linkere Kräfte über Graz hinaus wieder ernster genommen werden und ebenfalls profitieren können. Dazu müsste aber auch die KPÖ Graz tatsächlich ein gutes Beispiel als gestaltende Kraft abgeben, was ihr nur gelingen kann, wenn sie ihre angestrebte Sozialpolitik auf die Macht der organisierten ArbeiterInnenklasse stützen würde. Dazu müsste sie über ihre kommunalpolitische, wohltäterische und elektorale Strategie hinausgehen und eine klassenkämpferische im allgemeinpolitischen Sinn einschlagen.

Neuer alter Reformismus

Hinter der kommunalpolitischen Strategie der KPÖ Graz steht eigentlich ein althergebrachtes Fehlkonzept. Zum einen ist die Orientierung auf das Kommunale und Lokale ein Ausdruck der Schwäche, quasi das, wo man zumindest ein bisschen etwas bewirken kann, wenn auch nichts Entscheidendes. Zum anderen verkörpert die KPÖ Steiermark mehr als die Bundes-KPÖ die stalinistischen Überbleibsel der Partei. Dazu gehörte eigentlich immer schon ein Sich-gut-Stellen mit der österreichischen Bourgeoisie im Interesse der „demokratischen“ österreichischen Nation, was man heute noch an der Offenheit für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP sehen kann. An diesem Problem des Sich-Abfindens mit dem kapitalistischen System ändert auch nichts die Selbstbezeichnung von Elke Kahr als Marxistin oder die neue mediale Debatte um Kommunismus, in der man die Selbstdiffamierung des Antikommunismus erblickt.

Den altbekannten Reformismus der KPÖ Graz erkennt man eigentlich schon sehr gut, wenn man sich ihr Wahlprogramm zu Gemüte führt. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhätlnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse formuliert wird. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte man zumindest erwarten, dass die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt wird. Der Schlüssel läge auch schon im Kleinen darin, die Macht der KapitalistInnen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.

Für eine echte neue Linke!

Trotz der offensichtlichen Grenzen der kommunalreformistischen Politik der KPÖ begrüßen wir ihren Wahlerfolg selbstverständlich. Er gibt allen fortschrittlichen AktivistInnen Kraft und Mut und hoffentlich eine bessere Ausgangslage für den Klassenkampf in Österreich. Soll er aber weitere Erfolge nach sich ziehen, dann muss schon jetzt eine Debatte gestartet werden, wie der nächste linke Wahlkampf auf Bundesebene aussehen soll. Wir sprechen uns für eine gemeinsame, klassenkämpferische Wahlkampagne links von SPÖ und Grünen aus. Die akute Regierungskrise aufgrund der Inseratenaffäre um Sebastian Kurz mag zwar überwunden sein, aber die Regierung Schallenberg stellt nur ein Intermezzo zu einem neuen politischen Kräfteverhältnis in Österreich dar.