Offener Brief an die Klimabewegung in Deutschland

Erstunterzeichnende Organisationen, Infomail 1243, 25. Januar 2024

Wir veröffentlichen und unterstützen den folgenden offenen Brief. Wir rufen alle linken, internationalistischen und klassenkämpferischen Organisation sowie gewerkschaftliche Linke und Gliederungen auch, diesen Brief zu unterstützen und weiter zu verbreiten. Eine englischsprachige Fassung findet ihr am Ende des Posts.

Erstunterzeichnende/First signatories

Organisationen/Organisations: End Fossil International, REVOLUTION Germany, palestine speaks, pa_allies, MigrAntifa Braunschweig, Jüdische stimme für gerechten Frieden im nahen Osten, Ende Gelände Düsseldorf , FightforFalastin, Gruppe Arbeiter:innenmacht

Einzelpersonen/Persons: Betül Çınar,  Georg Ismael,  Hasan Özbay(@migrantischewut), Ela Sommer

Wer den Brief unterzeichnen will, unterzeichnet hier: Offener Brief an die Klimabewegung

Liebe deutsche Klimabewegung,

hiermit distanzieren wir uns von Fridays for Future Deutschland. Unter dem Deckmantel einer Stellungnahme gegen Antisemitismus hat FFF-Deutschland in den vergangenen Wochen mehrmals die Sache eines gemeinsamen, globalen Kampfes gegen die Klimakrise und für Gerechtigkeit & Freiheit verraten. Sie brechen dadurch nicht nur das Vertrauen der anderen FFF-Sektionen, die sich seit dessen Beginn gegen einen genozidalen Krieg in Gaza gestellt haben. Sie lassen auch herzlos die Menschen Palästinas im Stich und damit nicht nur von Krieg und Besatzung, sondern auch von der Klimakrise „most affected people and areas“. Wir sind der Meinung, dass Klima-Aktivismus ohne Internationalismus nicht funktionieren kann! Imperialistische Länder wie Deutschland oder USA exportieren Klimaschäden in die Länder des Globalen Südens, die in künstlicher Abhängigkeit gehalten werden. Dies geschieht z.B. indem besonders umweltschädigende Abschnitte von Produktionsketten in diese Länder verlegt werden oder indem direkt Müll und giftige Abfälle dort abgeladen werden. Es sind auch diejenigen, die am härtesten durch Dürren und Überschwemmungen, das Artensterben oder den steigenden Meeresspiegel bedroht sind, während ihnen die Mittel, sich dagegen zu schützen, verwehrt bleiben. Die Antwort darauf kann nur in einer internationalen Bewegung bestehen. Wir dürfen nicht auf die Taschenspielertricks der deutschen Regierung reinfallen, wenn sie uns ihren Green New Deal verkaufen wollen. Und genauso wenig, wenn sie über das „Selbstverteidigungsrechts Israels“ reden, es in Wirklichkeit jedoch nur um geopolitische und wirtschaftliche Interessen geht. FFF International veröffentlichte schon im Oktober ein Statement, in welchem sie sich solidarisch mit dem palästinensischen Kampf, dem Widerstand, der Befreiung und der Selbstverteidigung erklären. Sie schreiben sehr deutlich, dass sie im Angesicht von Aggression, Genozid und Faschismus nicht neutral bleiben können. Sie benennen die Besatzung als Resultat eines kolonialen Prozesses, angestoßen durch die westlichen Imperialmächte, damit diese ihre geopolitischen Interessen umzusetzen. FFF international schreibt deutlich, dass sie nicht schweigen werden, während die westlichen Mächte den Genozid in Palästina beklatschen. Wir unterstützen dieses klare Statement der internationalen Strukturen und lehnen die Position des deutschen Verbands und die unfundierte und politisch nicht begründete Abgrenzung von den internationalen Strukturen ganz klar ab. Außerdem solidarisieren wir uns mit dem Aktivisten Hasan, der für die Internationalen Statements verantwortlich gemacht wurde und dann von diesen Medien angegriffen wurde. Diese Hetzkampagne unterstützt Fridays for Future Deutschland. Wir sehen, wie FFF Deutschland Hand in Hand mit dem Deutschen Staat für Israel kämpft.

Nachdem FFF Deutschland schon seit Jahren linke oder antikapitalistische Kräfte systematisch aus der Bewegung drängt, zeigen sie mit diesen Statements erneut, dass antikapitalistische und antiimperialistische Positionen in dieser Bewegung nicht zur Diskussion stehen. Die Nutzlosigkeit von fünf Jahren Appellen an die Politik und das Nachlassen der Mobilisierungen in Folge dessen führen offenbar nicht zu einem radikalen Bruch mit dem deutschen Klimaimperialismus, sondern zu fortgesetzter Anbiederung an Grüne & Co.

Wir rufen alle linken Kräfte in der Klimabewegung, die dieser Kritik zustimmen, auf, den offenen Brief zu unterstützen und zu teilen. Tretet mit uns in Kontakt und lasst uns gemeinsam in Diskussion treten, wie die Klimabewegung mit antikolonialen Kämpfen weltweit verbunden werden kann und wie wir vom Kuschelkurs mit dem Grünen Kapitalismus hin zu einem vereinten Kampf für Klimagerechtigkeit und Befreiung international kommen.

Dafür wollen wir uns schon am 24.02.24 um 10 Uhr in Berlin treffen, um darüber gemeinsam zu diskutieren und uns zu vernetzen! Wenn ihr kommen wollt, gebt uns Bescheid.

Wann: 24.02.24 // 10 Uhr

Wo: Rungestr. 20, 10179 Berlin

Brief unterschreiben?! Hier.

Open letter to the climate movement in Germany

Dear German climate movement,

We hereby distance ourselves from Fridays for Future Germany. Under the guise of a statement against antisemitism FFF Germany has repeatedly betrayed the cause of a common, global fight against the climate crisis and for justice & freedom. In doing so, they are not only breaking the trust of the other FFF sections, which have fought against a genocidal war in Gaza since its inception. They also heartlessly abandon the Palestinian people and thus not only the people most affected by war and occupation, but also the people most affected by the climate crisis.

We are of the opinion that climate activism cannot work without internationalism!

Imperialist countries like Germany or the USA export climate damage to the countries of the Global South, which are kept in artificial dependency. This happens, for example, by transferring particularly environmentally damaging sections of production to these countries or by dumping waste and toxic waste there directly. It is also these countries which are hit hardest by droughts and floods, the extinction of species or rising sea sea levels, while at the same time they are denied the means to protect themselves against these catastrophes. The answer to this can only be an international movement. We must not fall for the not fall for the sleight of hand of the German government when they try to sell us their Green New Deal. And just as little when they talk about Israel’s „right to self-defense“, while in reality it’s all about geopolitical and economic interests. FFF International published a statement back in October in which it expressed its solidarity with the Palestinian struggle, resistance, liberation and self-defense. They write very clearly that they cannot remain neutral in the face of aggression, genocide and fascism. They name the occupation as the result of a colonial process, initiated by the Western imperial powers to realize their geopolitical interests. FFF international writes clearly that they will not remain silent while the Western powers applaud the genocide in Palestine.

We support this clear statement by the international structures and reject the position and the politically unfounded distancing from the international structures by FFF Germany. We also show our solidarity with the activist Hasan, who was made responsible for the international statements by the German media and was then attacked by this same media. A smear campaign is supported by Fridays for Future Germany. We see how FFF Germany fights hand in hand with the German state for Israel.

FFF Germany has been systematically pushing left-wing or anti-capitalist forces out of the movement for years. They show once again with these statements that anti-capitalist and anti-imperialist positions are not up for discussion in this movement. The uselessness of five years of appeals to politicians and the decline in mobilizations as a result of this are obviously not leading to a radical break with German climate imperialism, but to continued pandering to the Greens etc.

We call on all left forces in the climate movement who agree with this criticism to support and share the open letter. Get in touch with us and let’s get together to discuss how the climate movement can be linked to anti-colonial struggles worldwide and how we can move from cuddling up to green capitalism to a united struggle for climate justice and liberation internationally.

For this we want to meet on February 24th at 10am in Berlin to discuss this together and to network! If you want to come, let us know.

When: 24.02.24 // 10:00

Where: Rungestr. 20, 10179 Berlin

Wanna sign the letter? Here.




Degrowth: Grüne Alternative zum Kapitalismus?

Alex Zora, Infomail 1229, 1. August 2023

Wer sich in den letzten Jahren mit den Themen Klima, Umweltschutz und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt hat, wird wahrscheinlich auch irgendwann über das Thema Degrowth (Direktübersetzung: Wachstumsrücknahme bzw. Entwachstum) gestoßen sein. Oft wird auch das Wort Postwachstum für dasselbe Konzept verwendet. Vertreter:innen der Degrowth-Bewegung üben Kritik am Kapitalismus und seinem Wachstumszwang. Sie treten stattdessen für eine Gesellschaft ein, die sozial und ökologisch sein soll. Hört sich erstmal alles ganz vernünftig an, doch kann Degrowth wirklich eine Strategie zu Überwindung von Umweltzerstörung und Kapitalismus sein?

Eine kurze Geschichte

Die Ursprünge der Degrowth-Bewegung liegen Mitte der 1970er Jahre. 1972 publizierte der „Club of Rome“ (im Wesentlichen ein bürgerlicher Think-Tank aus einer Zeit bevor der Begriff Think-Tank populär wurde) „Die Grenzen des Wachstums“. In dieser Systemanalyse, basierend auf Computersimulationen, wurde festgestellt, dass aufgrund begrenzter Ressourcen kein unbegrenztes Wirtschaftswachstum möglich ist: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“

Der Bericht löste zwar große Debatten aus und ist mit 30 Millionen verkauften Exemplaren weltweit das meistverkaufte ökologische Buch, die Degrowth-Bewegung ist aber eigentlich erst ein Produkt des 21. Jahrhunderts. Wichtigen Input dafür lieferte das 2002 in Lyon gegründete „Institut zur Wirtschafts- und Sozialforschung für nachhaltigen Degrowth“[1], später breitete sich die Bewegung – vor allem im akademischen Bereich – weiter aus. Seit 2008 gibt es internationale Degrowth-Konferenzen, die alle 2 Jahre stattfinden. Heute ist Degrowth bzw. Wachstumskritik wichtiger Bestandteil der meisten Organisationen der Klimabewegung.

Was ist Degrowth?

Innerhalb der Degrowth-Bewegung gibt es sowohl radikale wie gemäßigte Teile. Teile der Grünen in Österreich und Deutschland sind Anhänger:innen des Konzepts, ehemalige Umwelt-Aktivist:innen wie Kathrin Henneberger sind als Degrowth-Anhänger:innen mittlerweile sogar im deutschen Bundestag vertreten, die deutsche Parteistiftung der Grünen war auch Unterstützer:in der Degrowth Konferenz 2014 in Leipzig. Aber auch in Österreich ist Degrowth z.B. in der Grünen Parteiakademie ein wichtiges Thema[2].

Gleichzeitig gibt es auch radikalere Teile, insbesondere die, die auch in der realen Klima(-gerechtigkeits-)bewegung aktiv sind. Teile der Degrowth Bewegung beziehen sich sogar positiv auf den Sozialismus (wie zum Beispiel der griechische Ökonom Giorgis Kallis) bzw. Teile des Ökoszialismus beziehen sich positiv auf Degrowth (wie zum Beispiel Michael Löwy). Eine gesonderte Auseinandersetzung mit den linken Auslegern der Postwachstum-Bewegung wäre mit Sicherheit auch fruchtbar, doch wir werden uns an dieser Stelle vor allem mit dem Mainstream der Degrowth-Bewegung auseinandersetzen.

Das Webportal degrowth.info beschreibt Postwachstum folgendermaßen: „Unter Degrowth oder Postwachstum verstehen wir eine Wirtschaftsweise und Gesellschaftsform, die das Wohlergehen aller zum Ziel hat und die ökologischen Lebensgrundlagen erhält. Dafür ist eine grundlegende Veränderung unserer Lebenswelt und ein umfassender kultureller Wandel notwendig. Das aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Leitprinzip lautet „höher, schneller, weiter“ – es bedingt und befördert eine Konkurrenz zwischen allen Menschen. Dies führt zum einen zu Beschleunigung, Überforderung und Ausgrenzung. Zum anderen zerstört die Wirtschaftsweise unsere natürlichen Lebensgrundlagen sowie die Lebensräume von Pflanzen und Tieren. Wir sind der Überzeugung, dass die gemeinsamen Werte einer Postwachstumsgesellschaft Achtsamkeit, Solidarität und Kooperation sein sollten. Die Menschheit muss sich als Teil des planetarischen Ökosystems begreifen. Nur so kann ein selbstbestimmtes Leben in Würde für alle ermöglicht werden. Praktisch gesehen heißt das:

  • Eine Orientierung am guten Leben für alle. […]

  • Eine Verringerung von Produktion und Konsum im globalen Norden, eine Befreiung vom einseitigen westlichen Entwicklungsparadigma und damit die Ermöglichung einer selbstbestimmten Gestaltung von Gesellschaft im globalen Süden.

  • Ein Ausbau demokratischer Entscheidungsformen, um echte politische Teilhabe zu ermöglichen.

  • Soziale Veränderungen und Orientierung an Suffizienz, statt bloßen technologischen Neuerungen und Effizienzsteigerung, um ökologische Probleme zu lösen. Wir betrachten die These von der Möglichkeit der absoluten Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als historisch widerlegt.

  • Regional verankerte, aber miteinander vernetzte und offene Wirtschaftskreisläufe.  […]“

Ein zentrales Konzept der Degrowth-Bewegung ist die Ablehnung des Bruttoinlandsprodukts (der Summe aller in einem Jahr erzeugten Dienstleistungen und Waren minus aller Vorleistungen) als zentrales Maß gesellschaftlicher Entwicklung. Statt eines fortschreitenden Wirtschaftswachstums soll die Wirtschaft gezielt geschrumpft werden. Ergänzt wird das oft damit, dass insbesondere der Throughput (also die Rate, mit der sich Waren (und Dienstleistungen) durch den Wirtschaftskreislauf bewegen) reduziert werden soll. Damit solle die Kopplung zwischen Wirtschaftswachstum und Treibhausgasausstoß (und Umweltzerstörung) bekämpft werden. Im Kapitalismus ist dieses gegenseitige Abhängigkeitsverhältnis in den Daten recht klar ersichtlich. Die einzigen Zeitpunkte seit dem Ende des Nachkriegsbooms, zu denen der Ausstoß von Treibhausgasemissionen gegenüber dem jeweiligen Vorjahr relevant gesunken ist, waren 1974 (1. Ölpreiskrise), Anfang der 1980er Jahre (2. Ölpreiskrise), 1992 (Zusammenbruch der UdSSR), 2009 (globale Finanzkrise) und 2020 (Corona-Krise). Die Verknüpfung von wachsender Wirtschaft und wachsender Belastung für die Umwelt sind deshalb – zumindest im heutigen Wirtschaftssystem – sehr eindeutig.

Es gibt durchaus Beispiele einzelner Länder oder Kontinente (z.B. der EU), die es zwar schaffen Wirtschaftswachstum mit sinkenden Treibhausgasemissionen zu verbinden. Hierbei werden aber Auslagerungseffekte (z.B. wird CO2-intensive Produktion aus Europa nach China oder Indien verlagert, die dort hergestellten Produkte aber weiterhin in Europa konsumiert) berücksichtigt. Der zentrale Punkt ist jedoch, ob die Summe (also Einsparung in Land A + Erhöhung in Land B) der Emissionen steigt oder sinkt, was zumindest auf globaler Ebene außerhalb der oben erwähnten Wirtschaftskrisen bisher nicht passiert ist. Das Argument, im Kapitalismus wäre Wirtschaftswachstum mit sinkenden Emissionen vereinbar, ist deshalb zumindest mehr als fraglich. Abseits davon umfasst ökologische Nachhaltigkeit noch um einiges mehr als das Thema Treibhausgase.

Degrowth als Lösung?

Wir können also einige wesentliche Argumente der Degrowth-Bewegung nachvollziehen. Die Feststellung von Teilen der Bewegung, dass Nachhaltigkeit und Kapitalismus unvereinbar sind, teilen wir – auch wenn die Auffassung über das, was den Kapitalismus genau ausmacht, bei der Degrowth-Bewegung mehr als fraglich ist. Aber auch, wenn es einige Übereinstimmungen gibt, bestehen gleichzeitig wesentliche Unterschiede sowohl in der Analyse wie in den vorgeschlagenen Lösungen.

Analytisch ist das Problem bei den meisten Teilen der Degrowth-Bewegung, dass der Kapitalismus als Produktionsweise nicht verstanden wird. Denn sehr oft wird der Fokus der Kritik am Kapitalismus auf dessen Ideologie bezogen. Wachstumsideologie, Konzern-Gier oder kapitalistische Denkweise werden hier zum zentralen Ziel der Kritik. Kultureller Wandel, gesellschaftliches Umdenken und neue Werte stehen als Lösungen im Zentrum. Insbesondere bei den gemäßigten Teilen der Bewegung geht es deshalb in erster Linie darum, das „Wachstumsparadigma“ des Kapitalismus zu überwinden, nicht notwendigerweise um die Überwindung des Kapitalismus selbst. Die radikaleren Teile der Bewegung hingegen sehen die Lösung der Umweltprobleme und eine weitere Existenz des Kapitalismus als unvereinbar an. Doch wie und durch wen so eine Überwindung geschehen soll oder kann, ist dann auch wieder wenig ausformuliert. Meistens hängt man sich am neuen Modewort des linken Reformismus – Transformation – an. Ob damit auch zentrale Konzepte wie gramscianische Hegemonietheorie oder Poulantzas Staatstheorie [3] übernommen werden, bleibt meistens unklar, die Vermutung liegt aber nahe.

Für uns ist an dieser Stelle zentral festzuhalten, dass es zwar durchaus so etwas wie eine Wachstumsideologie im Kapitalismus gibt, aber dass diese ein Ausdruck der ökonomischen Verhältnisse und Zwänge des Kapitalismus selbst ist. Der Kapitalismus ist eine Gesellschaft basierend auf Privateigentum an Produktionsmitteln, Konkurrenz auf einem mehr oder weniger freien Markt und der Produktion für eben diesen Markt in Form von Waren. Unternehmenswachstum (was nichts anderes ist als Anhäufung bzw. Akkumulation von Kapital) ist ein essentieller Bestandteil der kapitalistischen Ökonomie. Wenn ein Unternehmen aufhört zu wachsen und seine Konkurrenz am Markt aber weiterhin gute Wachstumsraten zu verzeichnen hat, dann wird es im Wettbewerb verlieren. Wachstum ist deshalb ein essentieller Bestandteil des Kapitalismus, es erwächst aus dessen ökonomischen Prinzipien und nicht aus irgendwelchen falschen Denkweisen oder Paradigmen.

Postwachstumsgesellschaft

Erklärtes Ziel der Degrowth-Bewegung ist der Aufbau einer Postwachstumsgesellschaft als Alternative zu unserem aktuellen Wirtschaftssystem. Über die Frage, wie weitreichend diese Transformation sein muss – also ob es reicht, lenkend in die Marktwirtschaft einzugreifen und das Denken der Menschen zu ändern, oder ob das ganze kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem auf dem Misthaufen der Geschichte landen soll – besteht auch in der Degrowth-Bewegung keine Einigkeit.

Auch die zentrale Frage, was die Grundpfeiler einer Postwachstumsgesellschaft sein sollen, bleiben zumeist sehr vage beantwortet. Echte Demokratie, Nachhaltigkeit, gesundes Schrumpfen und viele andere werden als zentrale Werte einer Postwachstumsgesellschaft proklamiert, doch WIE eine Gesellschaft organisiert sein kann, die solche Werte umsetzen kann, wird nicht beantwortet. Solange keine Brücke geschlagen wird zwischen den materiellen Grundlagen sowie der gesellschaftlichen Organisation von Politik und Ökonomie auf der einen Seite und den angestrebten Werten auf der anderen Seite, bleibt Degrowth utopistisches Wunschdenken. Wie bei den utopischen Sozialist:innen des 19. Jahrhunderts fehlt die Verbindung zwischen Ideen für eine neue Gesellschaft, den materiellen Verhältnissen der heutigen Gesellschaft und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten dafür, wie eine neue Gesellschaft organisiert sein kann. Die Fragen, wie produziert wird und wer darüber bestimmt, welche Eigentumsverhältnisse und welche Organisation von Produktion und Verteilung es braucht, wird außerhalb eines kleines Teils der Degrowth-Bewegung mit explizit sozialistischem Anspruch nicht beantwortet.

Unserer Ansicht nach liegt der Schlüssel zur Überwindung des Kapitalismus in den widersprüchlichen Interessen der Klassengesellschaft. Um Waren zu produzieren und Gewinne zu realisieren, benötigt der Kapitalismus eine globale Klasse von Arbeiter:innen. Diese Arbeiter:innenklasse (darunter fallen überausgebeutete Näher:innen in Bangladesch genauso wie IT-Programmierer:innen mit Studienabschluss in Japan) hat die ökonomische Macht und das grundsätzliche Interesse, dieses System zu überwinden und die Grundlage für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung (sowohl von Mensch als auch Natur) und Unterdrückung zu legen.

Wachstumskritik und Kapitalismus

Wie weiter oben schon erwähnt, ist unserer Meinung nach ein grüner Kapitalismus nicht möglich. Solange das Motiv der Wirtschaft die Maximierung von Profit ist und die Entscheidungsmacht bei einzelnen Unternehmer:innen, Aufsichtsräten und CEOs liegt, wird der Kapitalismus weiterhin Mensch und Natur ausbeuten. Sie tun das nicht aus Böswilligkeit, Gier oder Unwissenheit, sondern wegen der Gesetze des Marktes, der Konkurrenz und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zur Profitmaximierung. Doch die Kritik der Degrowth-Bewegung richtet sich ja nicht gegen kapitalistisches Wachstum, sondern gegen jegliches Wirtschaftswachstum an sich.

Grundsätzlich sehen wir auch die Möglichkeit und Notwendigkeit, wesentliche Teile der kapitalistischen Ökonomie zu schrumpfen bzw. gänzlich abzuschaffen. In einer globalen, nachkapitalistischen Gesellschaft gäbe es keine Notwendigkeit mehr für eine Rüstungsindustrie und die Produktion von Luxusgütern; nahezu die gesamte Finanzbranche könnte ersatzlos gestrichen werden; weite Teile der Wirtschaft, die heute auf Werbung und Marketing ausgerichtet sind, würden entfallen; gesellschaftliche Ausgaben für Repression, Justiz und Strafvollzug würden massiv abnehmen; schnell verschleißende Billigproduktion könnte durch qualitativ hochwertige und langlebige Erzeugnisse ersetzt werden. Darüber hinaus gibt es bestimmt noch viele andere Branchen, in denen aktuell unnötig Ressourcen und Güter verschwendet werden.

Gleichzeitig gibt es Branchen, die massiv ausgebaut werden müssten. Große Teile der Welt brauchen einen massiven Ausbau der Infrastruktur; Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssysteme werden massiv ausgeweitet werden müssen. Und viele Probleme, die der Kapitalismus verursacht hat, erfordern auch nach Überwindung des Kapitalismus massive gesellschaftliche Ressourcen (z.B. wird die globale Verschmutzung insbesondere durch Mikroplastik nicht verschwinden, nur weil der Kapitalismus aufhört zu existieren).

Insgesamt ist es deshalb allein aus dieser Perspektive unklar, ob die vielfältigen Probleme des Kapitalismus eine schrumpfende oder eine wachsende Wirtschaft erfordern. Von Degrowth-Seite wird der kapitalistische Zwang zum Wachstum mit dem Zwang zum Schrumpfen beantwortet, der Fokus liegt damit nicht direkt, sondern nur indirekt auf Nachhaltigkeit und Ökologie. Statt sich anzusehen, wie die Wirtschaft demokratisch gestaltet und geplant werden kann, um die sozialen und ökologischen Probleme des Kapitalismus zu lösen, wird ein negatives Vorzeichen vor die ökonomischen Gesetze des Kapitalismus gesetzt. Nicht gesehen wird, dass mit einer Überwindung des Kapitalismus auch die blinden Kräfte des Marktes überwunden werden können.

Gleichzeitig ist dabei auch eine grundlegende Betrachtung dessen wesentlich, wie menschliche Arbeit und Produktion funktionieren. Alles, was heute an Infrastruktur, Wissen, Produktionsstätten, etc. existiert, ist das angehäufte Produkt von Jahrtausenden menschlicher Arbeit. Weil Menschen nicht ausschließlich alles, was produziert wurde, auch wieder unmittelbar konsumierten, konnte eine Entwicklung in Gang gesetzt werden, die es erlaubte, die Produktivkräfte massiv auszubauen. Es muss nicht mehr wie früher der Großteil der Gesellschaft an der unmittelbaren Produktion von Lebensmitteln beschäftigt sein. Die Gesellschaft, in der wir heute leben, lässt zwar hunderte Millionen Menschen in Armut, Hunger und ohne sauberes Trinkwasser leben, doch die materiellen Möglichkeiten sind geschaffen worden für ein gutes Leben für mittlerweile 8 Milliarden Menschen (wenn es nicht so etwas wie das Privateigentum an Produktionsmitteln gäbe).

Wenn wir deshalb zukünftigen Generationen ein fortschreitendes Maß an individueller und kollektiver Freiheit geben wollen, die Arbeitszeit nicht bei X Stunden pro Tag einfrieren, sondern nach und nach weiter reduzieren möchten und der Menschheit als Ganzes insgesamt mehr kollektive und individuelle Möglichkeiten geben wollen, dann braucht es eine Anhäufung von menschlicher Arbeit. Das ist natürlich nicht beschränkt auf unmittelbar materielle Güter (z.B. automatisierte Produktionsstätten und Supercomputer), sondern hat genauso eine wissenschaftlich-technisch-strategische Komponente. Beispielsweise hat die Frage, wie eine Gesellschaft ihr Gesundheitssystem so aufbauen kann, sodass Vorsorge und Prävention in einem optimalen Verhältnis zu Behandlung und Therapie stehen, einen bedeutenden Einfluss auf die Möglichkeit, die Produktivkräfte massiv zu steigern, ohne gleichzeitig unmittelbar auf abzubauende oder zu verheizende Ressourcen angewiesen zu sein. Eine sozialistische Akkumulation[4] müsste keineswegs nur eine quantitative Anhäufung von immer mehr und mehr materiellen Gütern, Maschinen und Co. bedeuteten, sondern kann auch eine qualitative Weiterentwicklung der Produktivkräfte bedeuten (wie zum Beispiel die Ersetzung von Glühbirnen durch LEDs; den massiven Ausbau des globalen Bildungssystems oder die alleine durch Abschaffung von Patenten ausgehenden Möglichkeiten von kollektiver Arbeit).

Unbegrenztes Wachstum und begrenzte Ressourcen?

Von Vertreter:innen der Degrowth-Bewegung wird gerne eines der ursprünglichen Probleme angeführt, das den Club of Rome dazu brachte „Die Grenzen des Wachstums“ herauszugeben. Wie funktioniert exponentielles Wirtschaftswachstum in einer Welt mit begrenzten Ressourcen. Und in der kapitalistischen Produktionsweise ist das eine mehr als berechtigte Frage, sind hier doch die Möglichkeiten rational in die Wirtschaft einzugreifen stark limitiert. Selbst dort, wo eingegriffen wird (z.B. durch eine CO2-Steuer, Subventionen für PV-Anlagen oder Förderungen für den öffentlichen Verkehr), passiert das in den meisten Fällen vermittelt über Marktanreize. Die Entscheidungen, was und wie produziert wird, werden von einer kleinen Klasse an Kapitalist:innen mit Hinblick auf Wettbewerb und Profitlogik getroffen.

Dabei muss eine Steigerung von Effizienz und Produktivität nicht unbedingt aus einem immer größeren Verbrauch von materiellen Ressourcen erwachsen. Zum Beispiel die hat die Einführung von Schrift vor vielen tausend Jahren unmittelbar sehr wenig materielle Ressourcen erfordert (abgesehen von Tontafeln und Papyrusrollen), doch die dadurch ermöglichten Fortschritte in Produktivität und Wissen(saustausch) waren enorm. Gleichzeitig gibt es rein technisch gesehen schon recht viele Möglichkeiten zum Recyceln im großen Stil. Doch solange die Entscheidung, ob die Förderung von Kobalt durch Kinderarbeit im Kongo oder durch das Recyceln von alten Batterien passiert, vom Preis der Produktion abhängt, wird sich an der Ausbeutung von Mensch und Natur wenig ändern. Wenn diese Entscheidung aber demokratisch von der Gesellschaft und nicht von der Klasse der Besitzenden getroffen wird, kann diese sich auch dafür entscheiden nachhaltig zu handeln, auch wenn das unmittelbaren Profitbetrachtungen im Weg stehen würde.

Demokratische Planwirtschaft

Die heutigen massiven Probleme, vor denen die menschliche Zivilisation steht, sind vielfältig. Nicht nur der in den Medien extrem präsente Klimawandel ist ein Problem für unsere Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten ist auch der globale Stoffwechsel massiv in Mitleidenschaft gezogen worden. Stickstoff- und Phosphorkreislauf sind hoch gefährdet, die Übernutzung von Boden und die Vernichtung von Biodiversität erreichen mittlerweile gefährliche Ausmaße. Insgesamt bedroht der Kapitalismus unmittelbar die Zukunft unseres Planeten.

Die Lösung dafür besteht, wie auch schon weiter oben erwähnt, nicht in einer Ökologisierung des Kapitalismus (nach Bild eines Green New Deal), in mehr Marktanreizen für grünere Produktion (etwa CO2-Steuer oder Emissionszertifikatshandel), sondern letztlich müssen wir als Gesellschaft direkt darin eingreifen können, was wie produziert wird. In einem System, in dem diese Entscheidungen privatisiert sind und das Recht auf Eigentum an Produktionsmitteln demokratische Entscheidungen darüber verhindert, gewinnt Profitorientierung immer über Nachhaltigkeit.

Stattdessen braucht es eine Organisation der Wirtschaft, in der demokratisch und rational entschieden werden kann was wie produziert wird – auch wenn das nicht unmittelbare Profite produziert. Es braucht außerdem eine globale Abstimmung und Arbeitsteilung über Produktion und Verteilung. Damit kann auch gewährleistet werden, dass die aufgrund imperialistischer Interessen gezielt unterentwickelt gehaltenen Länder des globalen Südens auf dasselbe Level von Produktivität und kollektiven Wohlstand kommen können. Für all das ist es sekundär, ob die Wirtschaft wächst oder schrumpft. Das zentrale Element ist die schnellstmögliche Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft und so gut wie möglich die Lösung der ökologischen Probleme des Kapitalismus. Entscheidungen können nach modernsten wissenschaftlichen Erkenntnissen rational von der Mehrheit der Gesellschaft getroffen werden. All das bedeutet nicht, dass das auch automatisch alles von allein passieren wird, aber eine demokratische Planwirtschaft ist die Voraussetzung dafür, dass solche Entscheidungen überhaupt erst getroffen werden können.

Um zu einer demokratischen Planwirtschaft zu gelangen, die sich bewusst und deutlich von den bürokratischen Planwirtschaften des Stalinismus abgrenzen muss, braucht es die Vergesellschaftung von Produktion und Verteilung. Die Arbeiter:innenklasse muss die Macht in den Betrieben übernehmen und sie in gesellschaftliches Eigentum überführen. Auf verallgemeinerter Ebene (und nicht nur in isolierten Hochburgen inmitten des kapitalistischen Marktes) kann das nur durch die Übernahme der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse gelingen. Der bürgerliche Staat kann aber nicht übernommen oder transformiert werden, er muss zerschlagen und durch eigene Organe der proletarischen Gegenmacht (Räte) ersetzt werden. So ein Programm mag sich sehr entfernt anhören, doch eine langsame Transformation des Kapitalismus in einer sozial-ökologischen Wende ist nicht nur noch viel weiter weg, sondern letztlich auch eine gefährliche Illusion.

Endnoten

[1] Institut d’Etudes. Economiques et Sociales pour la Décroissance Soutenable, http://www.decroissance.org/

[2] https://wien.gbw.at/artikelansicht/beitrag/gruenes-wachstum-im-wandel/

[3] Für eine ausführliche Kritik am Konzept der Transformationstheorie siehe „Modell Oktoberrevolution – Aktualität und Diskussion der bolschewistischen Revolutionskonzeption“ in Revolutionärer Marxismus Nr. 49

[4] Sie hierzu auch Die Neue Ökonomik von Jewgeni Preobraschenski




Ampel auf Rot: Nachsitzen fürs Heizungsgesetz

Jürgen Roth, Infomail 1228, 23. Juli 2023

Am späten Mittwochabend des 5. Juli 2023 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Eilantrag des CDU-MdB Thomas Heilmann stattgegeben. So kann der Bundestag erst nach der Sommerpause mit der 2. und 3. Lesung beginnen. In der 1. Sitzungswoche ab 4. September, in der auch über den Bundeshaushalt beraten werden soll, ist die Gebäudeenergienovelle angesetzt. Die Schlussberatung im Bundesrat könnte am 29. September stattfinden.

Kritik am Hauruckverfahren

Heilmann erklärte, er wolle der Ampel einen „Gefallen“ erweisen. Wenn das Gesetzgebungsverfahren nicht ordentlich ablaufe, entstehe die Gefahr, ein formal verfassungswidriges Gesetz zu beschließen. Die Koalition wollte das umstrittene Gebäudeenergiegesetz (GEG) unbedingt vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Trotz Zustimmung im Kabinett Mitte Mai war man sich über wichtige Gesetzesteile nicht einig, worauf es zu wochenlangen Verzögerungen kam. Nicht nur die parlamentarische Rechte begrüßte die einstweilige Anordnung des BVerfG. Für den Co-Vorsitzenden der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, stellt der Karlsruher Richterspruch einen „Schuss vor den Bug“ der Regierung dar, ohne zu vergessen, darauf hinzuweisen, dass auch die Große Koalition regelmäßig im Hauruckverfahren Gesetze durch den Bundestag zu peitschen.

Auch der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, kritisierte, dass im Vorfeld trotz geplanter Mietrechtsänderung nicht einmal der Rechtsausschuss angehört wurde. Die Ampel hatte sich verzockt und steht nun einstweilen auf Rot.

Kommunale Wärmeplanung

Von den rund 41 Mio. Haushalten heizt jeder 2. mit Erdgas und ein weiteres Viertel mit Heizöl. Das Gesetz besagt im Kern, dass künftig nur noch Heizungen eingebaut werden dürfen, die auf Dauer zu mindestens 65 % mit erneuerbaren Energien (EE) betrieben werden können. Doch das soll ab 2024 unmittelbar erst einmal nur für Neubaugebiete gelten.

Für Bestandsbauten soll eine verpflichtende kommunale Wärmeplanung den Dreh- und Angelpunkt bilden: Für Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohner:innen soll diese ab 2026 und für die restlichen mit mehr als 10.000 Einwohner:innen ab 2028 vorliegen. Kommunen unter 10.000 Einwohner:innen brauchen das nicht zu tun. Ab August 2024 soll das GEG Anwendung finden. Diese Regelung soll also die Frage beantworten: Wo macht eine Wärmepumpe Sinn, wo der Anschluss an ein Nah- bzw. Fernwärmenetz, wo an ein Gas- oder Wasserstoffnetz?

Was kommt auf die Hausbesitzer:innen zu?

Wie lange dürfen sie ihre alte Gas- oder Ölheizung noch nutzen? Funktionierende müssen nicht ausgetauscht werden, auch wenn noch keine kommunale Wärmeplanung vorliegt. Unter bestimmten Bedingungen und mit zahlreichen Ausnahmen müssen nur Anlagen ausgetauscht werden, die älter als 30 Jahre sind.

Darf künftig überhaupt noch eine Gas- oder Ölheizung eingebaut werden? Grundsätzlich ja, aber wieder mit Ausnahmen. Wer seine nach dem 1. Januar 2024 auswechseln will, soll eine verpflichtende Beratung bekommen, um angesichts steigender CO2-Bepreisung auf eine mögliche Kostenfalle bei Nutzung fossiler Energieträger hinzuweisen. Bis zur Vorlage einer Wärmeplanung können auf Wasserstoff umrüstbare Gasheizungen eingebaut werden. Ist aber dann in der Kommune kein Wasserstoffnetz vorgesehen, gelten schrittweise Vorgaben zur Beimischung klimaneutraler Gase wie Biomethan (ab 2029 mind. 15 %, ab 2035 30 %, ab 2040 60 %. Biomasseheizungen (z. B. mit Holzpellets) sollen uneingeschränkt in Alt- wie Neubauten betrieben werden dürfen. In Neubaugebieten müssen unabhängig von der Wärmeplanung auf Wasserstoff umrüstbare und mit EE-Pflichtanteil betreibbare Gasheizungen installiert werden.

Ist die Heizung irreparabel kaputt, gibt es Übergangsfristen von 5 Jahren für neue Heizungen, die nicht die Anforderungen von 65 %-EE-Anteil erfüllen. Nach Fristablauf soll man sich auf Basis kommunaler Wärmeplanung für eine passende klimafreundliche Heizung entscheiden.

Entfallen ist aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sonderregel für Eigentümer:innen von Gebäuden mit bis zu 6 Mietwohnungen, die älter als 80 Jahre sind, im Fall einer nicht mehr reparierbaren Heizung nicht eine solche mit 65 % Ökoanteil einbauen zu müssen. Härtefälle müssen gesondert geltend gemacht werden. Zinsverbilligte Darlehen soll es über ein KfW-Programm geben.

Einkommensunabhängig soll es einen einheitlichen Fördersatz von 30 % geben, für solche mit einem zu versteuernden Einkommen von unter 40.000 Euro zusätzlich 30 %. Zudem ist ein „Geschwindigkeitsbonus“ von 20 % geplant, der ab 2028 alle 2 Jahre um 3 Prozentpunkte sinken wird. Der Fördersatz wird aber bei 70 % gedeckelt. Unklar bleibt bisher noch, wo die Fördermittel beantragt werden können und ob sie auch für moderne Gas- und Ölheizungen fließen.

Was kommt auf die Mieter:innen zu?

Auf die Mieter:innen in solchen Gebäuden kommt also eine Modernisierungsumlage zu. Sie sollen vor stark steigenden Mieten geschützt werden, aber gleichzeitig die Vermieter:innen Anreize bekommen, in klimafreundliche Heizungen zu investieren. Die Modernisierungsumlage beträgt 8 %/Jahr und fällt „natürlich“ auch nach Amortisation der Anlage weiter an. Sie kann auf 10 %/Jahr steigen, wenn die Vermieter:innen staatliche Förderung in Anspruch nehmen und diese Summe von den umlegbaren Kosten abziehen.

Die maximale Mieterhöhung pro Quadratmeter und Monat soll bei 50 Cent gekappt werden. Doch gilt diese Deckelung nur für 6 Jahre, unabhängig von der Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel. Steigt die Miete dadurch auf mehr als 30 % des verfügbaren Haushaltseinkommens, soll nur eine beschränkte Umlagefähigkeit gelten. Mieterhöhungen wegen Heizungsaustausches sollen bei Indexmieten ausgeschlossen sein.

Sebastian Bartels bemängelt, dass im Gegensatz zur früheren Vorlage Energiekosten auf die Mieter:innen abgewälzt werden, die einen bestimmten Durchschnittswert übersteigen, z. B. bei Heizungen mit Biogas oder Wasserstoff. Berechtigt ist ferner sein Ärger darüber, dass Vermieter:innen Fördermittel, die sie nicht beantragt haben, nicht von der Modernisierungsumlage abziehen müssen.

Viele werden die Gelegenheit des Heizungsaustauschs auch nutzen, um zusätzliche Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen, was dann wieder zu Kostenbelastungen von bis zu 3 Euro pro qm und Monat führe, so Bartels – um nach 6 Jahren weiter zuzunehmen. Manch ein/e Vermieter:in würde die Heizung angesichts der unklaren Planungslage innerhalb weniger Jahre auch zweimal austauschen, wenn er/sie sich verkalkuliert hat. Die wenigsten Mieter:innen wissen darüber hinaus, dass ein Härtegrund spätestens einen Monat nach Erhalt einer Modernisierungsankündigung geltend gemacht werden muss, z. B. wenn dadurch bedingt die Miete auf mehr als 30 % des Monatseinkommens steigt.

Ampelkoalition schönt eigene Klimabilanz

Kein Wunder also, dass es bei derart intransparenten und komplizierten Regelungen und gleichzeitigem Mangel an kollektiven Umbauplänen (siehe dazu auch: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/07/10/gebaeudeenergiegesetz-zieht-euch-warm-an/) die rechte Opposition Wasser auf ihre Mühlen bekommt. Zudem stockt das, was hierzulande als Energiewende schöngeredet wird. Sie endet in der Steckdose und auch hier fließt v. a. Schwachstrom. Zur Halbzeit der Bundesregierungsperiode kommt die Stromwende zwar etwas schneller voran, der Ausbau von Wind- und Solarenergie genießt jetzt den rechtlichen Vorrang eines öffentlichen Interesses. In diesem Jahr werden 10.000 MW Photovoltaik ans Netz gebracht, doppelt so viel wie 2021. 4.000 MW Windkraft kommen hinzu, zwei Drittel mehr als im letzten Jahr. Doch die hier nötigen 10.000 MW liegen in weiter Ferne.

Noch schlimmer steht es um die Reform des Klimaschutzgesetzes. Die Koalition gibt de facto die Emissionsminderungsziele für die Sektoren Verkehr und Gebäude auf. Sehr zum berechtigten Verdruss von Fridays for Future und Umweltverbänden weigerten sich Verkehrs- und Bauressort, ein Programm vorzulegen, nachdem der von der Bundesregierung einberufene Klimaexpert:innenrat bereits im April moniert hatte, dass die Emissionsvorgaben dort für 2022 verfehlt wurden. Eigentlich sieht das geltende Klimaschutzgesetz vor, dass ein Plan zwecks Lückenschluss vorgelegt werden muss. Diese Frist lief am Montag, den 17. Juli 2023, ab. Mit der vom Bundeskabinett im Juni beschlossenen Novelle des Klimaschutzgesetzes und den Maßnahmen im Entwurf zum „Klimaschutzprogramm 2023“ sei diese Pflicht wegen Überschreitung in den Vorjahren entfallen, so die Minister:innen Geywitz und Wissing unisono.

Nicht einmal 70 % der Emissionsvorgaben sind durch beschlossene Maßnahmen einigermaßen gesichert. Im letzten Monat wurde das GEG fast neu geschrieben. So wurde die Lebensdauer fossiler Heizungen um Jahre verlängert. Ferner sind zu erwähnen: der LNG-Boom – klimatisch bedenklicher als Braunkohle –, Tausende MW geplanter Backupkraftwerke für das zukünftige Stromsystem (ohne vernünftige Netzstruktur und Speicherkapazitäten), der Trick mit den wasserstofffähigen Heizungen, die auf Jahre ebenso wie die Elektrizitätswerke mit Erdgas statt grünem Wasserstoff laufen dürften. Diese Marktanarchie wird von Rot-Grün-Gelb gefördert, nicht die ökologisch sinnvolle Überbrückbarkeit der Zeit, in der die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Der Unsinn des Handels mit Strom an der Leipziger Warenterminbörse wird darüber hinaus den enormen Zuwachs beim Solarstrom konterkarieren, wenn sonnige Tage den Strompreis auf null drücken.

Versagen fördert rechten Diskurs: Bundesregierung und DIE LINKE

Die Debatte ums sogenannte Heizungsgesetz bildet ein Muster dafür, wie ökologisch unzureichendes Tun auf rechts gedreht wird. Im dieses Frühjahr durchgesickerten Referent:innenentwurf war nicht geklärt, wie die Förderung der Eigenheimbesitzer:innen aussehen sollte, noch weniger die Entlastung der Mieter:innen. Es wurde der Eindruck erweckt, Heizen mit Öl und Gas werde ab 2024 verboten. Selbst führende Mitglieder der Linkspartei fielen in den Tenor der AfD, Union und Springerpresse vom „Heizungsdiktat“ ein. Diesen ging es im Grunde darum, eine Klimapolitik anzugreifen, die auf Verbote und Ordnungspolitik setzt. Mit Erfolg! Klima- und sozialpolitisch wurde das GEG entkernt bzw. bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Habecks Gesetz sah klimafreundlichere Heizungen vor, hätte aber via Modernisierungsumlagen die Mieten hochgetrieben. Eigentümer:innen sollten begrenzt bezuschusst werden. Neoliberaler Alltag mit grün-roter Sozialtünche. Den Klassenkampf von oben verschärfte die Rechte inkl. FDP. Ihre Empörungskampagne stand ganz im Zeichen der lukrativen Gasindustrie. Die Grünen geraten hier zur Zielscheibe, nicht weil sie eine offen bürgerliche Partei sind, sondern als Symbol für alles Progressive. Sämtliche Talkshows, in denen erhitzte Gemüter mehr oder weniger künstlichen Dampf ablassen konnten, laberten an Kernkonflikten wie Kostenverteilung und Industrieprofiten vorbei. Auch Mitglieder der LINKEN entblödeten sich nicht, sich unterm Deckmantel des Mieter:innenschutzes mit den fossilen Kräften gegen die Grünen zu verbünden.

DIE LINKE stand in dieser wichtigen Debatte mal wieder am Spielfeldrand. Dabei wäre, Sozial- und Klimapolitik miteinander zu verknüpfen, ein Leichtes gewesen.

Während das Motto der selbsternannten Fortschrittskoalition bestenfalls „Unser Kapitalismus muss grüner werden“ lautet, beschränkte sich die Linkspartei auf Kritteleien in puncto soziale Flankierung des Heizungsaustauschs und Mieter:innenschutz. Kollektive und erschwingliche Lösungen wie massiver Ausbau und Verstaatlichung der (Wärme-)Netze; Verbot, mit Wärme Profit zu machen, das sucht man bei ihr vergebens mit Ausnahme einiger Einzelpersonen. Demgegenüber treten wir ein:

Für eine sozialistische Wärmewende!

Statt über Marktanreize einen Übergang ungeplant und unkoordiniert vor sich hinlaufen zu lassen und die Verantwortung fast vollständig auf die Immobilienbesitzer:innen zu übertragen, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Plan für eine echte Wärmeverbrauchsreduktion als Teil einer integrierten Energiewende aller Sektoren. Statt Ausschüttung von Direktinvestitionen mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem bürokratischen Aufwand braucht es eine Finanzierung durch progressive Besteuerung aller Einkünfte.

In einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland drängt sich an erster Stelle der verpflichtende Ausbau von kommunalen Fernwärmenetzen auf. Wo dies sich gesamtgesellschaftlich nicht rechnet, bieten sich individuelle Lösungen an wie Wärmepumpen, aber auch Solarthermie (Erzeugung von Wärme im Unterschied zur Photovoltaik, die Strom aus Sonnenenergie erzeugt). Ausbau von Fernwärme im Verbund mit kommunalen Wasserspeichern (Brauch- und Trinkwasser getrennt!) genießt darüber hinaus den Vorteil, dass die Abwärme aller Sektoren genutzt werden (Anschlusszwang, Wärmetauschanlagen) sowie Wasserheizung mit überschüssigem erneuerbaren Strom erfolgen kann – jedenfalls vorrangig vor seinen anderen möglichen Speicherarten (chemisch, Druckluft).

Natürlich muss dieser Plan Hand in Hand gehen mit Ausbau der Stromnetze und -speicher, Kollektivierung des Verkehrs (ÖPNV, kommunale Taxis) und seiner Umstellung auf erneuerbare Energien (Stromleitung, Biomethan). Schließlich gelingt die Wärme- ebenso wie die Energiewende nur, wenn die Netzbetreiber:innen und Stromproduzent:innen sowie fossilen Großkonzerne entschädigungslos enteignet werden und auch wie jene Immobilienbesitzer:innen, die sich Anschlusszwang und Erneuerung widersetzen. Das gilt auch für Firmen der Bau- und Ausrüstungsindustrie, die die Umsetzung dieses Plans, aus nicht technisch bedingten Gründen, unnötig verzögern.




Klimawandel: Der nächste Waldbrandsommer?

Leo Drais, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Verschwunden sind die Rauchfahnen südlich von Berlin. Nach zwei langen Wochen konnte das Feuer im Waldgebiet bei Jüterbog Mitte Juni gelöscht werden. 733 Hektar Wald gingen verloren, mehr als doppelt so viel wie das Berliner Tempelhofer Feld. Was bleibt ist ein Bild der Verwüstung. Erschwert wurden die Löscharbeiten durch das Vermächtnis der imperialistischen Armeen deutscher Vergangenheit des Kaiser- und Dritten Reichs, nach 1945 aufgestockt v. a. durch die Hinterlassenschaft der sowjetischen Besatzungsarmee: tonnenweise Munitionsrückstände, die über die Waldgebiete verstreut sind. Ein ähnliches Problem gab es bereits in den vergangenen Jahren bei Bränden im Berliner Grunewald oder bei Treuenbrietzen.

Immer häufiger werden auch in Deutschland Waldgebiete durch verheerende, nicht zu kontrollierende Brände vernichtet. Und mit ihnen – wie etwa in Jüterbog, das sich seit Jahrzehnten in  Renaturierung befand – der Rückzugsraum für teils bedrohte Tierarten und ein Erholungsgebiet für die Bevölkerung. Insbesondere Nordost-, Ost- und Südwestdeutschland sind von Waldbränden zunehmend bedroht. In Bayern werden inzwischen Flugzeuge eingesetzt, um nach Brandherden Ausschau zu halten. Keine Region scheint wirklich mehr sicher vor Waldbränden. Die menschengemachte Klimaerwärmung mit ihren Dürresommern macht es möglich.

Plantagen, keine Wälder

Dabei wird bei fast allen in der jüngeren Vergangenheit eines klar: Die kapitalistische Forstwirtschaft ist mitverantwortlich. Ihr Profitinteresse steht einer ökologischen Waldnutzung entgegen – und erhöht stattdessen stetig die Gefahr, die jetzt, mit den trockenen Sommern, ausbricht.

Egal ob staatlich oder privat, die profitgelenkte Forstwirtschaft kennt nur eine Maxime: So viel verkäufliches Holz wie nur möglich aus einem Waldgebiet herauszuholen, dass es gerade eben erhalten bleibt. Der Weg dorthin führt unweigerlich über die Monokultur: Die exklusive Bepflanzung mit Fichten und Kiefern versprach den größten Gewinn in Gestalt schnellwachsender Bäume, wobei sich die Fichte auch noch hervorragend als Bauholz eignet. Die eigentlich heimischen Bäume wie Buchen oder Eichen wachsen deutlich langsamer. Buche ist zudem als Bauholz ungeeignet. Hinzu kommt ein steigender Brennholzbedarf, wo wiederum vor allem Buchen verbrannt werden.

Kaum noch ein Wald in Deutschland setzt sich annähernd naturnah aus Mischhölzern zusammen. Ihr Anteil ist seit langem rückläufig. Selbst in Nationalparks wie dem Harz oder der Sächsischen Schweiz wurden Fichtenplantagen angelegt, die nun großteils abgestorben oder verbrannt sind. Die Hauptprobleme bei diesen sind, dass Nadelhölzer randvoll mit gut brennbaren ätherischen Ölen und vor allem Fichten durch anhaltende Trockenheit nicht mehr in der Lage sind, sich gegen den Borkenkäfer zu wehren, und absterben, was zusätzlich trockenes, brennbares Gehölz bedeutet. Zudem sind Fichten- und Kiefernplantagen nicht in der Lage, viel Wasser zu speichern, und heizen sich somit stärker auf. Es fehlt der Kühleffekt durch Verdunstung. Gerade für Brandburg wird immer wieder das Argument vorgetragen, dass es die sandigen Böden sind, die das Wasser nicht speichern. Jedoch provoziert die Monokulturbepflanzung mit Kiefern genau diese Versandung. Es gibt Mischwälder, die, ebenfalls auf sandigen Böden stehend, ihren eigenen Wasserspeicher bilden. Hinzu kommt, dass durch die maschinisierte Forstwirtschaft die Böden in den Rückegassen und Harvesterschneisen verdichtet sind, Wasser hier also auch nicht versickert, sondern stehenbleibt und nach wenigen trockenen Tagen verdunstet ist.

Kapitalistische Misstöne

Der kapitalistische Dreiklang des Waldbrands lautet also: Waldvernichtung, Artendegradierung und Klimawandel. Das ist übrigens nicht erst seit den vergangenen Dürresommern bekannt. Der Holzhunger der Forstwirtschaft wurde z. B. auch 1970 beim Brand in der Lüneburger Heide bitter bezahlt: Mehr als 13.000 Hektar Wald, Moor- und Heideland verbrannten, sieben Menschen starben. Auch beim größten Waldbrand in der Geschichte Deutschlands spielten Kiefernmonokulturen – also die profitorientierte Nutzung der Waldgebiete – eine erhebliche Rolle. Große Teile der verbrannten Gebiete wurden erneut mit Kiefern aufgeforstet, wider besseres Wissen.

Und schließlich ist die größte Auslöserin von Waldbränden menschliche Fahrlässigkeit oder Mutwilligkeit.

Klimawandelfolgenbewältigung

Der Großteil der modernen Forstwirtschaft kennt keine adäquaten Antworten auf das Problem. Abgebrannte oder abgestorbene Gebiete werden beräumt und wieder plantagenartig aufgeforstet, mit ordentlich staatlicher Förderung. Kahle, sich leicht aufheizende Flächen entstehen, die im Sommer schnell vertrocknen.

Hinzu kommt die unzureichende Ausrüstung von Katastrophenschutz und Feuerwehren. Beide werden zu über 90 Prozent im Ehrenamt betrieben. Mit Satelliten ließen sich Waldbrände binnen kurzer Zeit erkennen, aber weil die Überwachung durch sie teuer ist, wird bisher wenig davon Gebrauch gemacht. Daneben bleibt vielerorts das spezifische Problem von militärischen Altlasten.

Für Regionen wie Deutschland, aber auch generell spielt Wald eine sehr wichtige Rolle dabei, wie sehr Gebiete von Trockenheit und Hitze betroffen sind. Die Dürre in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern hängt auch damit zusammen, dass große Teile der Landfläche dort land- und forstwirtschaftlich genutzt werden und der Wald als „Regenmacher“ fehlt. Im Kontinentalklima bildet er einen der wichtigsten Faktoren für die Wolkenbildung. Wälder reichen das Wasser über die Landmasse weiter . Es gilt als erwiesen, dass der Regen in Nordchina sein Wasser eigentlich aus dem Atlantik bezieht.

Es wäre also wichtig, wieder mehr Wald – und zwar naturnahen – zu haben. Es zeigt sich bereits, dass wenn der Wald mehr sich selbst überlassen wird, er sowohl sturmfester als auch brandresistenter wächst. In Deutschland würden sich langfristig standortheimische Bäume durchsetzen. Pionier:innen wie Birken und Pappeln zeigen in Untersuchungen, dass diese als erste verbrannte Flächen erobern und effektiver Wasser speichern als neu angepflanzte Douglasien oder Stieleichen. Erstere wachsen schneller und bieten die Wachstumsvoraussetzungen für z. B. für Buchen.

Hinzu kommt der Aspekt, dass Wälder gigantische Kohlenstoffspeicher sind, im Kampf gegen die Klimaerwärmung also einen der wichtigsten Verbündeten darstellen.

Kapitalismus, Natur und Sozialismus

Wie im Generellen offenbart sich auch im Umgang, in der Nutzung und Ausbeutung der Wälder, deren Brandanfälligkeit zu großen Teilen eine Folge davon ist, wenigstens in gemäßigten Klimazonen  – ein Mensch-Natur-Verhältnis, in dem der Kapitalismus über natürliche Grenzen hinauszutreiben versucht und damit Ökosysteme ins Wanken bringt.

Am offensichtlichsten ist das beim Vergleich Holznutzungsdauer zu Baumwachstum. Bspw. wird kaum ein Möbelstück von IKEA solange genutzt, wie die Bäume, aus denen ihr Holz stammt, zum Wachsen gebraucht haben. Bei Papier oder Energie-/Wärmeerzeugung fällt dies noch mehr auf. Eine ökologische Kreislaufwirtschaft müsste bedeuten, dass im Schnitt so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann, jedoch müsste zuvor deutlich mehr Fläche wieder bewaldet werden – Stichwort: Wald und Lokalklima, siehe oben.

Erst dann wäre hier ein ausgeglichenes Mensch-Natur-Verhältnis im Kohlenstoffkreislauf erreicht. Hier wird bereits deutlich, dass das Problem nicht isoliert gelöst werden kann. Der Holzhunger der Industrie steht ökologischen Erfordernissen entgegen. Die Enteignung und Verstaatlichung der Holzindustrie als auch der Forste selbst, die Etablierung eines demokratischen Wirtschaftsplans, kontrolliert von Forstarbeiter:innen, Wissenschaftler:innen und Holzverarbeiter:innen, ist daher die Voraussetzung für eine wirkliche Nachhaltigkeit. Dieser könnte zum Beispiel eine Holznutzungskette etablieren, sprich Holz mehrfach nutzen lassen (etwa: Bauholz und dann erst Brennholz), was heute selten passiert.

Der Wald ist dabei ein Beispiel dafür, wie lange, selbst wenn sie in den nächsten einhundert Jahren erreicht würde, eine sozialistische Gesellschaft an den Folgen des Kapitalismus zu knabbern hätte, auch wenn Tätigkeiten wie Katastrophenschutz und Feuerwehr dann nicht ins Ehrenamt gedrängt würden und eine bessere Waldbrandüberwachung gewährleistet werden könnte. Zudem würde in einer sozialistischen Gesellschaft durchschnittlich das Bewusstsein für Natur und Mensch steigen, würden Waldbrände aus Unachtsamkeit und Böswilligkeit also wahrscheinlich zurückgehen.

Vor allem aber – und das kann wenigstens Hoffnung machen – zeigen Orte, die, zum Beispiel auch nach Waldbränden, der Natur selbst überlassen wurden, dass hier eine relativ schnelle Wiederbewaldung erfolgt. Das bedeutet, dass eine der wichtigsten Lebensgrundlage der Menschen sich auch schon ohne ihr Zutun mitunter am besten regeneriert. Wenn es ein Gesellschaftssystem gibt, das in der Lage ist, sich auf die Langsamkeit der Bäume einzustellen, kann das von Menschenhand erstmals gesamtgesellschaftlich rational überwacht, gesteuert und im Sinne der Wiederherstellung eines ausgeglichenen Mensch-Natur-Verhältnisses, einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, gefördert werden.




Gebäudeenergiegesetz: Zieht euch warm an!

Jürgen Roth, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Das vom Bundestag noch zu verabschiedende Gesetz bewegt die Republik wie selten ein zweites. In diesem Artikel wollen wir den Charakter dieser Debatten ebenso beleuchten wie die Konturen des Gesetzentwurfs. Schließlich skizzieren wir eine grundlegende Alternative, die sich sowohl über die Grenzen der bisherigen Diskussion als auch über den Dschungel aus Förderungen und Subventionen, Marktwirtschaft und Ordnungspolitik zu erheben versucht, der in breiten Kreisen der Bevölkerung durch seine Intransparenz Unverständnis, Ratlosigkeit, Angst und Wut auslöst.

Primärenergieverbrauch nach Sektoren

Zwischen 2010 und 2020 sanken in der BRD die Treibhausgasemissionen in Mio. t CO2-Äquivalenten von 932 auf 731, um zwischen 2020 und 2022 wieder auf 746 anzusteigen. Lt. Klimaschutzgesetz sollen sie bis 2030 auf 440 fallen.

Gliedern wir den Verbrauch und den Anteil erneuerbarer Energien im Jahr 2022 nach Sektoren auf, so ergeben sich für den Bruttostromverbrauch 550 Mrd. kWh, davon stammen 46,2 % aus erneuerbaren Energien. Der Endenergieverbrauch im Verkehrssektor beläuft sich auf 597 Mrd. kWh, der Anteil der Erneuerbaren beträgt 6,8 %, der für Wärme (und Kälte!) 1.155 Mrd. kWh, bei einem Anteil von 17,4 % aus Erneuerbaren. Somit verbraucht dieser Sektor mehr Primärenergie als die beiden anderen zusammen und ist der mit dem zweitniedrigsten Anteil an erneuerbaren Energien.

Es hört sich also gut an, dass die Bundesregierung den Anteil erneuerbarer Energien bei Gebäuden erhöhen will. Allerdings spart die Gesetzesvorlage klassenpolitisch selbstverständlich im letzten Sektor Industrie, Handel und Dienstleistungen aus und beschränkt sich auf Immobilien- und Wohnungseigentum.

Von den 41 Mio. deutschen Haushalten werden 80 % derzeit mit fossilen Energieträgern beheizt: fast die Hälfte mit Erdgas, 25 % mit Öl und 14 % mit Fernwärme. Richtig angepackte Umgestaltung vorausgesetzt, könnte das Stiefkind Wohnungssektor also durchaus einen merklichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Doch dazu müsste das Gebäudeenergiegesetz vernünftig konzipiert sein.

Konturen

Ursprünglich sollte der Gebäudesektor erst 2025 gesetzlich erfasst werden. Dies wurde nun auf 2024 vorgezogen. Die „Wärmewende“ beinhaltet, dass ab diesem Jahr Heizungen, die bis 1991 installiert wurden, gegen neue ausgetauscht werden müssen, die zu mind. 65 % mit erneuerbarer Energie betrieben werden, also z. B. mit Wärmepumpen, die Zugang zur Erdwärme verschaffen (geothermisches Prinzip). Bis 2045 sollen dann alle Heizungen diese Auflagen erfüllen und ansonsten ausgetauscht werden.

Eigentlich müssten ab nächstem Jahr 4 Mio. neue Heizungen eingebaut werden, aufgrund zahlreicher Ausnahmen sind es aber „nur“ hunderttausende. Auch hybride Systeme dürfen benutzt werden wie neue Erdgasheizungen, die vielleicht irgendwann später auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Ökologisch gesehen ist der Einsatz von Wasserstoff, selbst wenn er „grün“ erzeugt werden sollte, für Verbrennungszwecke jedoch ziemlicher Unsinn. Aber das stört ja nicht, wenn ein Teil der deutschen Energieindustrie und des Finanzkapitals Rieseninvestitionen in die „Wasserstoffstrategie“ plant und tätigt.

Heilige Kuh Privateigentum

Ende 2020 existierten in der Bundesrepublik 19 Mio. Wohngebäude, davon 2/3 Einfamilienhäuser. Nur 3 Mio. beherbergten 3 und mehr Wohnungen. In Einfamilienhäusern lebten durchschnittlich 3 Personen. Diese sind auch am weitesten von ökologischer Nachhaltigkeit entfernt. Studien zeigen, dass diese erst ab einer Wohnfläche von unter 45 m² pro Kopf erreicht werden kann. Die Zersiedelung vergrößert zudem den Gegensatz zwischen Stadt und Land, verlängert Wege und damit erhöht sie den Energieverbrauch unnötig. Gebäudesanierungen an Einfamilienhäusern drosselten zudem nicht den Energieverbrauch, sondern führten zu erhöhter Innentemperatur (durchschnittlich um 2° C). Das Eigenheim ist also die ökologisch schädlichste Form des Wohnens.

Eine zukünftige sozialistische Gesellschaft wäre aus all diesen Gründen gut beraten, seine Förderung gänzlich einzustellen, auf derartige Neubauten zu verzichten und zu einer Besiedlung nach dem Clusterprinzip überzugehen. Cluster meint hier die gleichmäßige Verteilung von Industrie, Dienstleistung, Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft und Forsten sowie Freizeiterholung und Wohnen etc. Dieses Prinzip verbindet genügend Fläche für rationale Betriebsweisen mit diversen, praktisch überall leicht verfügbaren Angeboten im nahen und mittleren Bereich.

Die ökologisch schädlichste Form des Wohnungsprivateigentums beizubehalten und an ihrem Energieverbrauch herumzudoktern, ist schon Klimafrevel genug, doch wenn schon heiliges Privateigentum, dann richtig. So denken jedenfalls Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck und sein Stab. Darum setzt das Gebäudeenergiegesetz ja auch auf die kleinteilige Einzellösung Heizungstausch und die ebenso individuelle „Verantwortung“ der Immobilienbesitzer:innen. Es grünt so grün, wenn Habecks Flausen blühen! Darum ist in seiner ganzen Anlage das Gesetz weder ökologisch noch sozial.

Koalitionsklima

Auch hier waren Hitzerekorde zu verzeichnen. Kurz nach Kabinettsbeschluss kritisierte die FDP, deren Verkehrsminister Wissing dafür sorgt, dass in seinem Sektor der Anteil erneuerbarer Energien am heftigsten gedeckelt ausfällt, an der Vorlage deren „planwirtschaftliche“ Regulierungswut zu Lasten der Privaten, mangelnde Technologieoffenheit und Überforderung der Haus- und Wohnungseigentümer:innen. Zudem seien Starttermine unklar.

Ende Mai beförderte die Entlassung von Wirtschaftsstaatssekretär Graichen – ein „Amigo“ Habecks – weitere Dissonanzen. In diesen kakophonen Chor fielen dann auch die Abgeordneten Göring-Eckardt (Grüne), Kruse (FDP), der Verband kommunaler Unternehmen und die Gewerkschaft IGBCE ein. Bundesbauministerin Geywitz machte am 2. Teil des Gebäudeenergiegesetzes ein neues Fass auf und kritisierte die zu hohen Auflagen bzgl. Wärmedämmung bei Neubauten (EH40). Nicht etwa, dass sie zu Recht bemängelt hätte, dass diese Regelung die besonders sanierungsbedürftigen Bestandsbauten gänzlich außer Acht ließ, nein, sie meinte, weniger Dämmung bei Neubauten täte es auch (EH 55).

Somit stand es lange Zeit auf der Kippe, ob das Gesetz überhaupt vor der Sommerpause durchs Parlament beschlossen werden konnte. Am 13.6. einigte man sich auf Leitplanken im Kabinett, so dass ab 15.6. die 1. Lesung im Bundestag beginnen konnte.

Geywitz und Habeck hatten dann zur Abwechslung mal eine gute Idee. Sie wollen das Gebäudeenergiegesetz mit kommunaler Wärmeplanung koppeln. Aber auch diese Absicht wird von der Realität konterkariert.

Die kommunale Wärmeplanung steht nämlich lt. Umfrage des Deutschen Städtetags vielerorts noch am Anfang. Lediglich 4 % von 119 befragten Kommunen befinden sich bereits in der Umsetzung. Sie soll ab 2026 für Großstädte und ab 2028 für die restlichen Gemeinden vorliegen. Allein die Planungs- und Beratungskosten pro Gemeinde werden auf bis zu 200.000 Euro geschätzt, notwendiges zusätzliches Personal nicht mit eingerechnet. Schuldenbremser Lindner wird’s nicht freuen, aber der ist ja vielleicht dann nicht mehr zuständig. Angesichts der Klimakrise erinnert das Agieren des Kabinetts Scholz an einen Komödienstadl. Andere Länder wie Dänemark sind da Jahrzehnte weiter.

Konservative Kritik

Diese Art Kritik am Gesetz spielt insofern einen Doppelpass mit der AfD, als die Überforderung mancher Kleineigentümer:innen etwas Richtiges anspricht, weil viele durchaus der Schuh drückt. Dabei geht es nicht nur um Finanzen, sondern um undurchsichtige und bürokratische Förderungsregelungen sowie Ratlosigkeit, welche Alternativen zur alten Heizung die besseren sind. Auf Wasserstoff aus Marokko oder vom Arabischen Golf warten oder doch die teurere Wärmepumpe bestellen, die möglicherweise – es hängt ja von der verfügbaren Erdwärme ab – nichts bringt? Und wann kann das Installations- und Heizungsgewerbe überhaupt liefern?

Die zweite Hauptkomponente dieses Rechtsdiskurses – mangelnde Technologieoffenheit – haben wir oben bereits widerlegt (Wasserstoffhype). Sie stimmt schlicht und einfach nicht. Außerdem verschweigt die Klimarechte, dass die Ampelkoalition ihre „Bedenken“ im Gesetz für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung aufnimmt, dem zufolge die geplante „Wärmewende“ mit anderen Sektoren „verrechnet“ werden kann. So steht die Förderung von 147 Autobahnprojekten ganz oben auf dem Zettel.

Linke Bedenken

DIE LINKE hebt sich diesmal wohltuend von diesem Diskurs ab. Sie weist darauf hin, dass zentrale Ungerechtigkeiten im Gesetz erst gar nicht vorkommen. Schließlich lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung zur Miete. Die Kosten für eine neue Heizung können Vermieter:innen jährlich in Höhe von 8 % auf die Miete im Rechnungsposten Modernisierungsumlage draufsatteln – abzüglich der staatlichen Förderung. Doch diese ist nicht degressiv, also sozial gestaffelt. Zudem ist es für die Eigner:innen günstiger, keine zu beantragen und sich den unsäglichen Papierkram, der überdies ein ganzes Heer staatlich Bediensteter beschäftigen wird, zu ersparen. Während nämlich die staatlichen Zuschüsse zeitlich begrenzt laufen, werden die bis zu 8 % Mietzuschlag auf Immobilienlebenszeit eingesackt und erhöhen so die Wohnungsrente.

DIE LINKE fordert also zu Recht die Abschaffung der Modernisierungsumlage, eine sozial gerechte Finanzierung und planvolles Vorgehen in Gestalt einer ökologisch sinnvollen „Wärmewende“ unter Berücksichtigung von Fernwärme. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung mit ihrem ebenso skurrilen wie ineffektiven Mischmasch aus Regulierungen, neoliberaler Umverteilung von unten nach oben und populistischem Festhalten an fossilen Energieträgern unterm Deckmantel Technologieoffenheit formuliert sie nicht. Grundsätzlich hegt sie keine Einwände am Regelwerk aus Förderhöhen, Einkommensgrenzen und Mieter:innenschutzklauseln, akzeptiert Subventionen und Marktmechanismen.

Für eine sozialistische Wärmewende!

Statt über Marktanreize einen Übergang ungeplant und unkoordiniert vor sich hinlaufen zu lassen und die Verantwortung fast vollständig auf die Immobilienbesitzer:innen zu übertragen, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Plan für eine echte Wärmeverbrauchsreduktion als Teil einer integrierten Energiewende aller Sektoren. Statt Ausschüttung von Direktinvestitionen mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem bürokratischen Aufwand braucht es eine Finanzierung durch progressive Besteuerung aller Einkünfte.

In einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland drängt sich an erster Stelle der verpflichtende Ausbau von kommunalen Fernwärmenetzen auf. Wo dies sich gesamtgesellschaftlich nicht rechnet, bieten sich individuelle Lösungen an wie Wärmepumpen, aber auch Solarthermie (Erzeugung von Wärme im Unterschied zur Photovoltaik, die Strom aus Sonnenenergie erzeugt). Ausbau von Fernwärme im Verbund mit kommunalen Wasserspeichern (Brauch- und Trinkwasser getrennt!) genießt darüber hinaus den Vorteil, dass die Abwärme aller Sektoren genutzt werden (Anschlusszwang, Wärmetauschanlagen) sowie Wasserheizung mit überschüssigem erneuerbaren Strom erfolgen kann – jedenfalls vorrangig vor seinen anderen möglichen Speicherarten (chemisch, Druckluft).

Natürlich muss dieser Plan Hand in Hand gehen mit Ausbau der Stromnetze und -speicher, Kollektivierung des Verkehrs (ÖPNV, kommunale Taxis) und seiner Umstellung auf erneuerbare Energien (Stromleitung, Biomethan). Schließlich gelingt die Wärme- ebenso wenig wie die Energiewende nur, wenn die Netzbetreiber:innen und Stromproduzent:innen sowie fossilen Großkonzerne entschädigungslos enteignet werden ebenso wie jene Immobilienbesitzer:innen, die sich Anschlusszwang und Erneuerung widersetzen. Das gilt auch für Firmen der Bau- und Ausrüstungsindustrie, die die Umsetzung dieses Plans, nicht technisch bedingt, unnötig verzögern.




Komödiant:innenstadl Ampelkoalition: das Gebäudeenergiegesetz

Gerald Falke, Infomail 1226, 28. Juni 2023

Nachdem die Grünen ein Markenzeichen – die Ablehnung militärischer Mittel zur Konfliktlösung – längst abgelegt haben, sie gewissermaßen mittlerweile olivgrün geworden sind, konzentrieren sie sich auf das Thema Klimawandel. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) sollte den ramponierten Ruf der Ökopartei aufpolieren. Raus kam ein Rohrkrepierer.

Kosten

Immerhin kann sich eine Klasse der Gesellschaft über die Maßnahmen der Ampel freuen. Begleitend zu den mit dem GEG verbundenen Kosten erfolgte eine deutliche Senkung der Energiepreise für die Industrie.

Nachdem die durch den initiierten Wirtschaftskrieg gegen Russland verstärkte Inflationswelle eine erhebliche Verarmung der Bevölkerung erzwang, wurde jetzt auch eine finanzielle Entlastung der Industriebetriebe durchgesetzt, für deren Ausgleich letztlich wieder die Bevölkerung wird zahlen müssen. Kam also erst der Angriff auf die Einkommen und Ersparnisse durch die erhöhten Energiepreise, so wurde jetzt mit Verweis auf die international gefallenen eine weitere finanzielle Belastung ermöglicht. Solche Geschenke fördern freilich neue Begehrlichkeiten, weshalb jetzt die Wirtschaftsministerien der Länder eine weitere Senkung des Industriestrompreises von 6 auf 4 Cent pro Kilowattstunde fordern.

Das GEG, das von Beginn an heftigst kritisiert und unter dem Druck verschiedener gegensätzlicher Interessen immer wieder modifiziert wurde, gilt offenbar als so bedenklich, dass es inzwischen sogenannte „Leitplanken“ mit „angemessenen Übergangsfristen“ erhielt. In diesen Auseinandersetzungen verdeutlichte sich für die Grünen die Schwierigkeit, aus einer scheinbar klassenunabhängigen Perspektive heraus eine gesamtbürgerliche Strategie umzusetzen. Angesichts dieser erlebten realen Machtverhältnisse räumte die Fraktionschefin Britta Haßelmann vorweg noch weitere Veränderungsmöglichkeiten in den Fachausschüssen ein. Die Regierungsvorlage, die diese Woche verabschiedet wurde, unterscheidet sich kaum noch vom Entwurf der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Dennoch bemühte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch um beruhigenden Optimismus und sieht die Koalition in „neuem Schwung“.

Der Druck aus der Basis kommt mittlerweile auch eher von außen und versuchte nur noch beim Thema der europäischen Asylpolitik ein Aufständchen. Die Kritik daran erfolgte auf einem kleinen Parteitag zunächst schriftlich, dann moderat mündlich und letztlich praktisch eher unerheblich.

FDP

Die FDP zeigt sich in ihrem typischen Pragmatismus, frei nach dem Motto: Wahr ist, was mir nützt. Dazu wurde zunächst die Koalitionsvereinbarung zum GEG schlichtweg ignoriert.

Scheinbar überrascht nannte der Abgeordnete Frank Schäffler, seinerzeit Kritiker des „Eurorettungsschirms“, dieses Gesetz eine „Atombombe für unser Land“ und forderte eine grundlegende Revision nach dem Motto: „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Und der bayerische FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen sprach auch auf einer Demo in Erding gegen (!) die Heizungspläne.

Hintergrund dafür war vermutlich ein befürchtetes Absinken der Liberalen in die Bedeutungslosigkeit. Während andere Parteien ihre Größe als Druckmittel verwenden, ist es bei der FDP ihre Kleinheit. Immerhin würde aus ihrem Untergang auch der der Regierung resultieren. Damit sieht sie sich offenbar in der Position, in der Ampel eine Oppositionsrolle einzunehmen – noch dazu eine mit der Finanzhoheit. Und weil ja ohne Geld alles nichts ist, wähnt sie sich auch in der Rolle einer Regierung in der Regierung.

Nachdem die Ignoranz nicht nachhaltig wirksam war, ist die bevorzugte Technik jetzt die der Verzögerung: Wie Finanzminister Lindner den Haushalt für das nächste Jahr blockiert und fordert, dass sich die Ministerien einmal zusammenreißen sollen, so wird auch der von den Koalitionspartner:innen angestrebte Zeitplan für unhaltbar erklärt.

Für diese Unhaltbarkeit bürgt freilich vor allem die eigene Rolle. Erst wenn die an Habeck gestellten 100 Fragen beantwortet wurden, können Beratungen beginnen.

SPD

Die SPD wiederum fällt in diesem Streit durch ihre verhältnismäßige Unsichtbarkeit und ihre zwangsläufige Vermittlungsrolle auf. Gegenüber den Ansprüchen seitens der Industrie machte sich beispielsweise Olaf Lies, Wirtschaftsminister aus Niedersachsen, stark für eine staatliche Hilfe bei den Stromkosten der Wirtschaft zur Standortsicherung.

Gegenüber den kritischen Stimmen aus der übrigen Bevölkerung bemüht sich die SPD vor allem um Beschwichtigung: So schlug sie vor, das Gesetz auf Neubauten und den Austausch defekter Heizungssysteme zu beschränken. Fraktionschef Rolf Mützenich räumte zusätzlich ein, dass die Wärmepumpe auch nicht überall funktionieren werde.

Mittlerweile wurde dank der reformistischen Weitsicht auch deutlich, dass damit die Misere im Bereich der Wohnungsmieten noch drastisch verstärkt zu werden droht. Da hatte die Bundesbauministerin Klara Geywitz wohl die Dimension einer vorprogrammierten Schwierigkeit übersehen: der Modernisierungsumlage von 8 % jährlich, die den Mieter:innen auch nach Amortisation der neuen Heizung erhalten bleibt. Jetzt ereifert sich das Führungspersonal umso mehr mit einer sozial akzentuierten Haltung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plädiert für eine sozial darstellbare Lösung und Co-Vorsitzender Lars Klingbeil möchte, dass die Modernisierungsumlage nicht vollständig auf die Mieten umgelegt werden soll. Jetzt wird über zumutbare Eigenanteile und eine gestaffelte soziale Unterstützung diskutiert. Beispielsweise meint Daniel Keller, SPD-Landtagsfraktionsvorsitzender in Brandenburg, dass eine finanzielle Förderung durch den Bund nicht auf 30 bis 50 % begrenzt werden soll.

Solche Initiativen drücken aber insgesamt mehr den Druck der eigenen Basis aus als eine Bemühung um eine Gesamtkonzeption, in der sowohl die gesellschaftlichen Ursachen der ökologischen Krise verstanden als auch ein sozial angemessenes Programm ausgedrückt werden.

Außerhalb?

Die CDU wiederum hat ihre innere Führungskrise auch unter Merz nicht überwunden. So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass vor allem die AfD weitere Zugewinne verzeichnen kann. Während nämlich die Ampelkoalition den vernünftigen politischen Weg in den objektiven Tendenzen sieht, die das Kapital vorgibt, präsentiert sich die AfD als Sammelbecken aller bürgerlichen und kleinbürgerlichen wirklichen und vermeintlichen Opfer diese Politik – verbindet sie mit Populismus, Nationalismus und Rassismus.

DIE LINKE ist hingegen hilflos und paralysiert, nachdem sie große Teile des Gesetzentwurfs prinzipiell akzeptiert und lediglich eine „sozial gerechte“ Finanzierung als größtes Problem versteht. Im Übrigen ist sie am meisten mit ihrer Selbstzerfleischung beschäftigt.

Wer die AfD wirklich stoppen will, darf sich nicht wie die Gewerkschaften als bessere Sozialpartner:innen oder wie DIE LINKE opportunistisches Anhängsel im Bund der „Demokrat:innen“ betätigen, die gerade die Festung Europa dichtmachen und einen neuen Kalten Krieg forcieren. Nur wenn die Arbeiter:innenbewegung unabhängig von den Rechten und der Regierung agiert, kann sie Anziehungskraft für die gesamte Klasse der Lohnabhängigen entwickeln.




Deutsche Bahn: Zwischen Tarifkämpfen und Umstrukturierung

Leo Drais, Neue Internationale 274, Juni 2023

An sich kann so ein Eisenbahnsystem eine feine Sache sein, das Rückgrat einer umfassenden Verkehrswende, überall auf dem Kontinent in einem stabilen Netz mit hoher Taktung und für alle da.

Züge werden sicher auf einem Gleis geführt. Eine ganze Reihe an funktionierenden Sicherungssystemen wie Stellwerken oder Zugbeeinflussungen sorgt dafür, dass keine Kollisionen passieren und Weichen und Bahnübergänge sicher befahren werden können. Geschehen einmal menschliche Fehler, greift die Technik ein. Ein gut ausgebildetes Eisenbahnpersonal weiß mit Störungen souverän umzugehen, hat dafür ein widerspruchsfreies und anwendungsorientiertes Regelwerk zur Hand und ist für Reisende überall mit Rat und Tat da.

So faszinierend wie ausgereift.

Und dann noch der bestechende Vorteil in der Klimabilanz. Das System wird flächendeckend mit Strom aus erneuerbaren Energien durch eine Oberleitung versorgt und muss seine Energie daher nicht mitführen. Beim Bremsen wird eine große Menge Strom zurückgespeist, wobei der Energieverbrauch pro Tonne sowieso schon viel geringer als bei Straßenfahrzeugen ist. Durch die geringe Reibung zwischen Stahlrad und Schiene kann ein durchschnittlicher erwachsener Mensch eine 80 Tonnen schwere Lok im ebenen Gleis von Hand verschieben.

Die schöne Welt der Eisenbahn.

Nur, so ist sie nicht.

Sinnbildliche Entgleisung

In der deutschen Bahnwelt ist das alles höchstens teilweise vorhanden, wenn überhaupt. Verspätungen und Ausfälle kennen alle. Weniger bekannt ist, was die Ursachen dafür sind. „Gründe dafür sind Verzögerungen im Betriebsablauf“, eine euphemistische Tautologie, eine schöngerechnete Statistik, ausgefallene Züge gelten nicht als verspätet. Der Streik der EVG Ende März bedeutete für DB Fernverkehr den pünktlichsten Tag seiner Geschichte – wo kein einziger Zug fährt, kann doch im DB-Neusprech auch keiner verspätet gewesen sein?

Die Verzögerung ist doch nicht anderes als eine synonyme Verspätung, aber warum gibt es sie? Da sind die Gleise, die nicht mehr vorhanden sind oder nur noch eingeschränkt befahren werden können. Da sind die Züge, die kaputt sind, ohne Ersatz. Da ist das Personal, das es nicht gibt. Aber auch das sind ja Symptome, keine Ursachen einer privatwirtschaftlich ausgerichteten Bahn im Staatsbesitz. So bleibt man gerade auf einem durchschnittlich soeben noch erträglichen Level, dort festgehalten von Kolleg:innen, die trotz literweise Eisenbahnherzblut die Schnauze voll haben und sich sagen „So geht es nicht weiter!“, und am nächsten Tag geht es doch weiter, irgendwie, vielleicht sogar mal zufällig ganz nach Plan. Der Zusammenbruch des Bahnbetriebs droht nicht an einem Tag X in der nahen Zukunft, er findet täglich statt, mal nur punktuell, dann regional und beim nächsten Herbststurm mal wieder flächendeckend.

Dass es so nicht weitergehen darf, dieser Meinung sind auch FDP, CDU und Grüne. Sie meinen, die Fehler der ersten Bahnreform von 1994 erkannt zu haben und fordern schon länger eine Bahnreform 2.0. Was die SPD im Koalitionsvertrag noch durch Verklausulierung abtun wollte, wurde im April von der Union mit einem Reformpapier wieder in die Debatte getragen. Leider darf man nicht darauf hoffen, dass die Bestrebungen im Bundestag wie alle anderen Absichtserklärungen zu einer besseren Bahn im Tagesgeschäft von Parlament und Autoministerium untergehen. Es scheint, als würde die Bahn ab 1. Januar wirklich von allen Problemen befreit – InfraGo!

Die Ideen der Union einerseits und von FDP und Grünen in der Ampel andererseits sind nicht deckungsgleich, aber teilen eine gemeinsame Motivation: die weitere Trennung von Netz und Betrieb, eine Losung, die bereits bahntechnische Ahnungslosigkeit, dafür politischen Neoliberalismus offenbart.

Das Rad-Schiene-System ist eines, wo kurz gesagt im Zug Triebfahrzeugführer:innen sitzen und diesen fahren und vom Stellwerk aus Fahrdienstleiter:innen diesen lenken. Beide gestalten Bahnbetrieb, netz- und fahrzeugseitig. Kein anderes Transportsystem verfügt über eine innigere Verbindung zwischen Fahrweg und Fahrzeug. Allein schon deshalb ist beide voneinander zu trennen nichts anderes als eine sinnbildliche Entgleisung.

Aber aus neoliberaler Sicht macht diese seit Jahrzehnten Sinn. Denn während es (Großbritannien hat es vorgemacht) kaum möglich ist, die sehr aufwendige und komplexe Fahrweginfrastruktur gewinnbringend zu privatisieren, ohne dass sie binnen kürzester Zeit wirklich unbefahrbar wird, ist das mit Fahrzeugen eher möglich. Immerhin operieren sich gegenseitig im Weg stehend in Deutschland mittlerweile 400 sogenannte Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) auf den Gleisen der bundeseigenen DB Netz AG, wobei hinter vielen dieser EVU auch nur große Monopole oder Töchter anderer europäischer Staatsbahnen stehen.

KaputtGo

Die Ampel sieht vor, ab dem 1. Januar 2024 die Infrastruktursparten DB Netz und DB Service und Station zusammenzuführen – Name: InfraGo, „Infrastruktur gemeinwohlorientiert“, ein Ansatz der im Gegensatz zum Begriff der Gemeinnützigkeit zu nichts verpflichtet.

Das ist sicher sinnhaft, immerhin ist die Trennung zwischen Bahnsteigkante (DB Service und Station) und Gleis (DB Netz) eine Lücke, die Reisende beim Einstieg in den Zug (der dann DB Regio oder Abellio oder Transdev  oder … gehört) zwar mühelos überschreiten, aber innerbetrieblich mitunter unüberwindbar scheint. Diese Infrastruktursparte, zu der DB Energie wiederum nicht gehören soll, obwohl ein Zug so wenig ohne Strom oder Diesel fahren kann wie ohne Gleis, soll zu 100 Prozent im „integrierten DB-Konzern“ verbleiben.

Aber was steht sonst noch im Koalitionsvertrag? Man wolle die DB in öffentlicher Hand weiterführen, man wolle die Struktur und Transparenz verbessern, die Infrastruktursparte dürfe ihre Gewinne behalten, und man beabsichtige, mehr in letztere zu investieren. Außerdem würden die EVU markt- und gewinnorientiert weitergeführt.

Diese Klauseln lassen viel Spielraum. Klar ist jedoch, dass man zwischen einem „Weiter so“, einem „Irgendwie muss es besser werden“ und einem „Da lässt sich doch Geld mit verdienen“ liegt. Am grundlegenden Gedanken – der Staat pumpt Steuergeld in die Infrastruktur, die EVU fahren auf dieser, unterbieten sich und verdienen Geld, das auf Kosten der Reisenden und Beschäftigten in privater Hand (oder der anderer DB-Unternehmen oder Staatsbahnen) landet – wird nichts geändert. Letzteres ist in den vergangenen Jahren im Nahverkehr wiederholt in die Hose gegangen, Stichwort Abellio Baden-Württemberg.

Darüber hinaus lassen die Ideen der Ampel die Tür zu einer Teilprivatisierung anderer DB-Teile außerhalb der Infrastruktur offen, schließen dafür die, durch die von staatlicher Seite her Investitionen ins rollende Material (bspw in eine große europäische Nachtzugflotte) stattfinden sollten.

Die Pläne der Union laufen demgegenüber auf eine offenere Zerschlagung hinaus. Sie will eine Autobahn-GmbH 2.0, sprich die Schieneninfrastruktur in eine GmbH des Bundes überführen. Scheuer weiß eben, wie es geht. Begründet wird dies damit, dass bei einer AG wie der DB der Durchgriff der Eigentümerin ins Geschäft des Konzerns fehle, eine GmbH ermögliche diesen. Der DB-Konzern solle weiterhin ein international tätiger Logistikkonzern bleiben – immerhin ist DB Schenker die Profitperle von dem Laden, der außerdem „im Hinblick auf China“ stark bleiben müsse.

Weder der eine noch der andere Plan wird uns ein Eisenbahnsystem bringen, das dem beschriebenen Verkehrswendetraum aus der Einleitung näher kommt. Weder InfraGo im DB-Konzern, noch eine bundeseigene Schienen-GmbH ändern etwas an den neoliberalen strukturellen Problemen, nichts daran, dass beim gegenwärtigen Planungsrecht und Investitionsstau der Ausbau der Oberleitung noch 175 Jahre dauert, bis das gesamte Netz elektrisch fährt. Es ändert nichts daran, dass das, was 30 Jahre lang zerstört, runtergefahren und entlassen wurde, unter kapitalistischen Bedingungen nicht in ein, zwei Jahren repariert, ausgebaut, eingestellt, ausgebildet ist. Es verkleinert nicht den Managementwasserkopf auf das gesamte Bahnsystem hin betrachtet, wo jedes Unternehmen natürlich seinen eigenen hat. Es ändert nichts an der politischen Bevorzugung der Straße gegenüber der Schiene. Deutschland – Autoland, passend waren die Ex-Chefs der DB Mehdorn und Grube Zöglinge der Autoindustrie, und keiner von beiden hatte vergessen, wer ihn groß gemacht hat.

Und es bleibt vermutlich dabei, dass die Schweiz 5 – 6 mal mehr pro Kopf in die Schiene steckt als die BRD.

Und die Gewerkschaften?

Die unterschiedliche bahnpolitische Ausrichtung von Union und Ampel findet ihren Spiegel in den Gewerkschaften EVG und GDL und passt „zufälligerweise“ zum Parteibuch ihrer Vorsitzenden.

Die „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) mit ihrem großen Vorsitzenden Claus Weselsky (CDU) steht für eine Zerlegung des DB-Konzerns, die „Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft“ (EVG) mit dem ehemaligen SPD Bundestagsabgeordneten Martin Burkert an der Spitze der Bürokratie will die DB behalten.

Hinter beidem steht ein politisches Kalkül der jeweiligen und konkurrierenden Apparate. Die DGB-Gewerkschaft EVG ist historisch eng mit dem DB-Konzern verflochten. Der frühere Vorsitzende der Vorgängerin Transnet, Norbert Hansen, ist damals dann auch mir nichts, dir nichts vom Vorstand der Gewerkschaft in den des Konzerns gewechselt. Viele ihrer Mitglieder arbeiten in Büroetagen der DB AG und es ist vor allem dieser Konzern, wo die EVG insgesamt eine Mitgliedermehrheit gegenüber der GDL hat. Zudem gibt es wohl hunderte EVG-Betriebsräte, die ihr Pöstchen eben in einem der vielen DB-Wahlbetriebe besetzen, wo die GDL bisher nicht gut ihren Fuß reinbekommen hat. Logisch, dass da im Apparat die Alarmglocken schrillten, als die FDP und Grünen während der Koalitionsverhandlungen mit ihren Zerschlagungsplänen um die Ecke kamen. Es wurde eine Demo in Berlin organisiert, und die mit dem EVG-Apparat verbundene SPD setzte die oben beschriebenen Klauseln durch. Hauptsache, erstmal regieren! Jetzt machen ihre Koalitionär:innen Ernst und es hängt tatsächlich an der SPD, ob und in welcher Form InfraGo kommt.

Die GDL (Mitglied im historisch konservativen Beamtenbund) rechnet dafür darauf, dass eine Zerschlagung der DB ihren Einfluss im Eisenbahnsektor unterm Strich vergrößern würde. Sie ist in der DB vor allem in Opposition zur EVG und hierin durch härter geführte Tarifkämpfe und ein verbal lauteres Donnerwetter groß geworden. Die von der Transnet Verratenen fanden eine Alternativgewerkschaft, die seither vieles durchsetzten konnte, was die EVG dann nachgetragen bekam. Trotzdem – und hier kommt das von Burkert und SPD mit gebaute und verabschiedete Tarifeinheitsgesetz ins Spiel – hat in vielen der DB-Unternehmen die EVG die Mehrheit oder ihr wurde sie zweifelhaft zugesprochen (S-Bahn Berlin). Heißt: Der Tarifvertrag der EVG gilt, nicht der der GDL. Und es ist was dran, wenn Claus Weselsky der DB eine größere Nähe zur EVG vorwirft. Trotzdem und ganz gleich, ob darin mehr Kritik oder Neid liegt (auch die GDL-Spitze will zuerst Sozialpartnerin sein, auch ihre Führung verbringt mehr Zeit mit Vorständen und Aufsichtsräten als mit den Beschäftigten an der Basis), Weselsky musste die Kränkung erfahren, dass die EVG beim Streik aufgrund einer besseren Organisiertheit in den Stellwerken das schaffte, was der GDL bisher nicht gelang – weitgehender Stillstand auf den Schienen.

Während sich die GDL in den letzten Jahren bei Tarifverhandlungen oft als die kämpferischere Gewerkschaft präsentierte, steht sie bei der Frage der Zerschlagung der DB deutlich rechts von der EVG. Während letztere ein Bündnis mit Bahnvorstand und der SPD in dieser Frage sucht, sekundiert die GDL den Neoliberalen von CDU, FDP und Grünen und der Seite der konkurrierenden Kapitalfraktionen.

Vom GDL-Vorstand gibt es daher erst gar keine Vorbehalte gegen die weitere Bahnprivatisierung. Doch auch die EVG-Spitze spricht nicht wirklich an, was notwendig wäre, um die Eisenbahn stabil einzugleisen, so dass es heißen muss: Nein zur Zerschlagung der DB, aber auch kein weiter so als DB! Keine Kungelei mit dem DB-Vorstand in dieser Frage! Einem technisch untrennbaren System muss nicht nur eine ebensolche organisatorische Struktur entsprechen. Es kommt auch darauf an, wer diese in wessen Interesse kontrolliert und umbaut – in der eines staatlichen, gewinnorientierten Konzerns oder in dem der Beschäftigten und lohnabhängigen Nutzer:innen? Das heißt, eine verstaatlichte europäische Bahn ohne Gewinnausrichtung und unter Kontrolle der Lohnabhängigen und Nutzer:innen muss das Ziel sein!

Dies wäre ein Schritt zu einem integrierten, europäischen Verkehrssystem. Ein solches wird jedoch auf privatkapitalistischer Basis nie zu haben sein, es erfordert nicht nur technische Kompetenz, massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs und dementsprechende Neueinstellungen, sondern auch eine demokratische planwirtschaftliche Reorganisation der gesamten Produktion und Infrastruktur im Verkehrssektor.

Ansatz Tarifrunden

Spricht man diese Vorstellungen aus, treffen sie auf Zustimmung und offene Ohren unter Kolleg:innen, aber in der Folge darauf sofort auch auf Resignation und Fatalismus. Daran tragen beide – GDL wie EVG – ihren Anteil. Ihre Politik läuft darauf hinaus, der neoliberalen Realität eines zerstörten Bahnsystems nicht eine andere mögliche Realität entgegenzuhalten, sondern wesentlich den eigenen Platz in hunderten Bahnunternehmen zu finden und ihn der anderen Gewerkschaft nicht zu überlassen. Gesetzen wird sich sogar verbal gefügt, der Realität sowieso. „Es ist nun einmal so, wie es jetzt ist, die Bahnreform ist lange passiert, es gibt kein Zurück mehr.“ Visionen werden als Träumerei abgetan, nett zwar, aber eben – unrealistisch.

Es ist die Aufgabe aller linken Eisenbahner:innen klarzumachen, dass das Jetzt keine Unvermeidlichkeit darstellt, eine andere Bahn möglich ist, auch wenn sie nicht vom Himmel fällt und es viel Ausdauer dafür braucht. Ansätze dafür sind da. Wer das als Träumerei abtut, für den wird es schwerlich ein Erwachen aus dem gegenwärtigen Albtraum geben können.

Die künstliche Trennung zwischen Netz und Betrieb zu beenden, heißt die Spaltung zwischen den Eisenbahner:innen in zwei Gewerkschaften zu überwinden.

Was jetzt gerade zwar ein gewisses Feuer in die Tarifrunden bringt, ist auf lange Frist und in der täglichen Zusammenarbeit schädlich. Dass die gerade in Tarifverhandlungen stehende EVG-Spitze noch keinen schlechten Abschluss wie ver.di bei der Post oder im öffentlichen Dienst unterschrieben hat, liegt nicht nur daran, dass die Angebote der DB so beschissen waren und der Druck durch die Inflation hoch ist, sondern eben auch daran, dass im Hintergrund eine GDL lauert, die ab Herbst verhandeln und sich entsprechend auf alles konzentrieren wird, was die EVG nicht abschließt.

Darüber hinaus bringt die Spaltung zwischen EVG und GDL jedoch nur ihren Apparaten (beide existieren durch sie) und den Unternehmen was. Beide Apparate haben ein paternalistisches Verständnis ihren Mitgliedern gegenüber: Die EVG schrieb in ihrem letzten Aushang so was wie „Wir verhandeln weiter, es kann jedoch sein, dass wir Euch nochmal brauchen.“ Beide wollen die Kontrolle über die Kämpfe behalten und nicht der Basis überlassen. Beide haben kein Interesse, die der DB vorgeworfene intransparente Struktur bei sich selbst durch direkte Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit aller Funktionär:innen zu ersetzen, führen Tarifgespräche hinter verschlossenen Türen, tätigen Abschlüsse, die unter Umständen für viel Unmut sorgen.

Die drohende Zerschlagung der Bahn – um nicht immer beim verharmlosenden Wort Umstrukturierung zu bleiben – stellt letztlich für die Beschäftigten und Nutzer:innen einen noch grundlegenderen Angriff als die Tariffragen dar. Doch genau für diese sieht das deutsche Recht keine Streikmöglichkeit vor. Das erschwert natürlich objektiv die Kampfbedingungen, zumal die EVG-Führung peinlich darauf achtet, nicht über das gesetzlich Vorgegebene hinauszugehen. Umso dringender ist es, dass klassenkämpferische Gewerkschafter:innen in EVG und GDL das Spiel ihrer eigenen Führungen nicht länger mitmachen und einen gemeinsamen Kampf gegen die sog. Bahnreformen fordern, ein klares NEIN zu jeder Zerschlagung und weiteren Privatisierung. Um diesem Angriff entgegenzutreten, braucht es gemeinsame Belegschaftsversammlungen und die Vorbereitung von Arbeitskampfmaßnahmen bis hin zu unbefristeten politischen Streiks. Eine solche Bewegung bedarf zugleich der Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse, aller Gewerkschaften.

Das alles sind Punkte, um eine Opposition gegen festgefahrene und undemokratische gewerkschaftliche Strukturen, aber auch gegen die der Eisenbahn selbst aufzubauen, um überhaupt erstmal wieder die Diskussion darüber zu führen, wie alles anders sein könnte und wie wir konkret – per Bahn – dahin kommen.




Razzien gegen Letzte Generation: Mut soll kriminalisiert werden

Georg Ismael, Infomail 1223, 24. Mai 2023

Der Klimawandel und die Umweltzerstörung sind bekanntermaßen eine, wenn nicht die zentrale Herausforderung für die Menschheit des 21. Jahrhunderts. Insbesondere die deutsche Regierung ist sich ihrer Verantwortung bewusst wie keine andere. Die Aufgabe ist klar, bei aller Zustimmung zur Rettung der Menschheit müssen natürlich vor allem die Profite und Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals und die Unantastbarkeit seines bürgerlichen Staates selbst geschützt werden.

Sagen darf in Deutschland freilich jede/r, dass der Kapitalismus die Umwelt und das Mensch-Natur-Verhältnis grundlegend zerstört. Handeln – darüber hinaus mit friedlichen Mitteln und zugunsten rational vollkommen nachvollziehbarer Forderungen –, hier hört die Freiheit auf. Das gilt für den effektiven Streik scheinbar genauso wie für die direkte Aktion.

Umso mehr muss dies natürlich der Fall sein, wenn jenes Handeln die Passivität nicht nur der unmittelbaren Akteur:innen selbst durchbricht, sondern auch den Raum der öffentlichen Debatte zu bestimmen, zumindest aber zu verändern beginnt. Immerhin sind gerade in bürgerlichen Demokratien nebst dem Gewaltmonopol des Staates die Vorherrschaft von Gedanken, die die Interessen des Kapitals stärken oder schützen, ein hohes Gut.

In diesem Sinne muss man jenes feststellen: Eine der erfolgreichsten Bewegungen der vergangenen Jahre in Deutschland, die die Hegemonie der herrschenden Diskurse unter Druck setzte und klimapolitische Forderungen anhand ihrer allgemeinen Sinnhaftigkeit und nicht ihrer Verträglichkeit mit aktuellen Kapitalinteressen in die Debatte trug, ist fraglos die Letzte Generation.

Ihren Aktionen schlossen sich zahlreiche junge und alte Menschen an, die sich seit 2019 über drei Jahre restlos hatten überzeugen können, dass die Fakten gepaart mit letztlich symbolischen Massendemonstrationen wie von Fridays for Future keine oder deutlich unzureichende Maßnahmen durch Staat, Kapital und Regierung zur Folge hatten.

Es ist eben nicht eine vermeintlich kriminelle Energie, die die Aktiven der Letzten Generation antreibt. Ihren Mut ziehen sie aus der faktisch absehbaren Überschreitung der Kipppunke in den Umweltsystemen. Dieser Prozess ist bereits im vollem Gange, mit Folgen, die einen dystopischen und bisher kaum absehbaren Charakter annehmen werden.

Nachdem anderthalb Jahre vergangen sind und eine energische Kampagne der bürgerlichen Medien gegen die Letzte Generation zwar die Spaltung der öffentlichen Meinung, keinesfalls aber eine Minderung der Popularität der Bewegung herbeiführte, nachdem Inhaftierungen und eine erste Inszenierung der Letzten Generation als krimineller Vereinigung scheiterten, konnte die Bewegung einen, wenn auch kleinen Erfolg vorweisen. Die Zustimmungswerte zu Tempolimits auf deutschen Autobahnen steigen in der deutschen Bevölkerung.

Damit kommt genau der richtige Zeitpunkt für Staatsanwaltschaft und Polizei, eine großangelegte Razzia gegen die Bewegung durchzuführen. Fünfzehn Wohnungen wurden am Mittwochmorgen des 24. Mai im Bundesgebiet durchsucht. Die Internetseite der Letzten Generation wurde abgeschaltet.

Besonderes Interesse galt auch ihren Spendengeldern. Immerhin kann es in einem Rechtsstaat nicht angehen, dass Arbeiter:innen wie auch Angehörige der Mittelschichten, aus denen sich ihre Aktiven zusammensetzen, auf kollektiven Beistand hoffen dürfen, wenn sie sich der individuellen Kriminalisierung durch den bürgerlichen Staat ausgesetzt sehen.

Ziel der Razzia ist es, die Letzte Generation organisatorisch zu schwächen und über die Kriminalisierung der Bewegung vielleicht nicht unmittelbar ihre bisher Aktiven an weiteren Aktionen zu hindern, sicherlich aber den Zustrom weiterer Aktiver zu hemmen und mögliche Spender:innen zu verunsichern.

Den Inhalt der Bewegung selbst nicht vergessen wollend, etwas, dessen sich viele Medien und Politiker:innen regelmäßig schuldig machen: aus rationaler, ökologischer, sozialer und volkswirtschaftlicher Sicht sind ihre Forderungen nach einem 9-Euro-Ticket und einem Tempolimit von 100 km/h vollkommen berechtigt. Die Forderung, einen Gesellschaftsrat technokratisch einzusetzen, hat einen utopischen Charakter, der auch die politischen Schranken dieser Gruppierung deutlich macht.

Dass die sogenannte „Fortschrittskoalition“ insbesondere auch diesen zwei Forderungen nicht nachgeben möchte, weil dann womöglich ein Teil der oberen Mittelschichten sich von dieser abwenden könnte, vermutlich noch wichtiger, weil man einer sozialen und ökologischen Bewegung zu ihren Bedingungen entgegenkäme, das lässt tief blicken.

Es mag in der Debatte über die Strategie der Letzten Generation selbst viele unterschiedliche Meinungen geben. Wir haben etliche unserer Gedanken und auch Kritik an anderer Stelle geäußert. Ganz sicher entblößt sie aber durch ihr Handeln die innere Dynamik sowohl des bürgerlichen Diskurses als auch Staates.

Wir fordern daher ein sofortiges Ende der Kriminalisierung der Letzten Generation und rufen zu Solidaritätsaktionen auf. Ebenfalls denken wir, dass sich die ökologischen und sozialen Bewegungen in Deutschland eines ganz gewiss von der Letzten Generation abschauen können: mutig und selbstgewiss im Angesicht von öffentlicher Diffamierung als auch Gewalt durch Staat und Wutbürger:innen ihren berechtigten Anliegen nachzugehen.




Stellungnahme: FFF schmeißt REVO raus – Sind Antikapitalismus und die Klimabewegung unvereinbar?

REVOLUTION, Revolutionär-kommunistische Jugendorganisation, zuerst veröffentlich auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1222, 4. Mai 2023

Die Katze ist aus dem Sack: Pünktlich zum Ersten Mai hat uns die Nachricht erreicht, dass nun tatsächlich ein Antrag durchgekommen ist, der eine Unvereinbarkeit von Fridays For Future (FFF) Deutschland mit REVO beschließen soll. Unser Name prangt nun im Hufeisen neben AFD, NPD, MLPD und dem III. Weg im offiziellen Strukturpapier. Dass hier linke und faschistische Gruppen so nebeneinander genannt werden, müsste schon für Empörung sorgen. Anfang April wurde auf bundesweiter Ebene von FFF entsprechender Antrag gestellt. Dieser ist so weit FFF-intern zu behandeln, weswegen wir nicht auf Details der Erklärung eingehen können. Wir möchten dennoch zumindest im Groben einige der Lügen und Vorwürfe hier einordnen, damit die Debatte einem breiteren Kreis von Aktivist:innen zugänglich wird.

Im Antrag werden wir als isolierte Organisation dargestellt, deren ausschließliche Politik ein parasitäres und hinterhältiges Unterwandern anderer linker Kräfte sei. Angeblich schrecken wir dabei so wenig vor Druckausübung bis hin zu unmittelbarer Gewalt zurück, dass allen Aktivisti angst und bange werden müsste. Untermalt wird dies mit dem Vorwurf, dass wir ein unkritisches Verhältnis zur DDR oder der RAF hätten. Für all diese Vorwürfe hätte ein fünfminütiger Besuch unserer Insta- oder Webseite ausgereicht, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Man hätte dort beispielsweise gesehen, dass wir tatkräftig in der Umweltbewegung aktiv sind, aktionistische Basisarbeit an Schulen leisten, solidarisch in diversen Bündnissen mitwirken und himmelweit davon entfernt sind, mordlustige Monster zu sein. Und wenn wir schon bei der schlechten Informationslage sind: Die Gruppe Arbeiter:innenmacht wurde auch direkt als unsere „Dachorganisation“ ausgeschlossen, während wir in Wahrheit von dieser unabhängig sind.

Die politische Herkunft derjenigen, die uns hier als „Parasiten“ bezeichnen, hat dabei schon eine gewisse Ironie: Eine Führung, in welche Millionen Schüler:innen ihre Hoffnung gesetzt haben, welche aber gleichzeitig keine politischen Erfolge gegen die Regierung durchsetzen konnte und stattdessen mit den Grünen und den NGOs im Rücken ein paar ansehnliche Posten gefunden hat, sollte mit diesem Wort vorsichtiger umgehen gegenüber einer kleinen, aktivistischen Gruppe von Jugendlichen. Angesichts der immer größeren Dringlichkeit der Klimakatastrophe, der Mobilisierungsschwäche unserer Bewegung und der Antwort der Ampel-Regierung, die in Lützerath knochenbrechende Bullen auf uns los gehetzt hat und nun mehr und mehr Aktivist:innen einknastet (von LG z. B. ), wäre es rühmlicher, wenn die Führung der Bewegung eine allgemeine Debatte darüber anstieße, wie wir in die Offensive übergehen können, anstatt diejenigen, die es auf eigene Initiative versuchen, auszuschließen.

Im Konkreten beziehen sich die gegen uns erhobenen Vorwürfe zum allergrößten Teil auf angebliche Handlungen eines unserer Genoss:innen. Mensch hat sich 2019 als Schüler:in in FFF politisiert, sich davon wegradikalisiert und ist vor circa einem Jahr bei uns gelandet. Dennoch hat sich Mensch bis zum Schluss als Teil von FFF verstanden und noch schwindende Hoffnungen reingesteckt, dass auch die Bewegung die offensichtlichen Widersprüche erkennt, in denen sich eine bürgerliche Umweltbewegung befindet. Hierbei war Mensch unter anderem im linken Flügel von FFF aktiv und zwar weitestgehend eigenständig und unabgesprochen mit uns als REVO.

Erst recht haben wir den linken Flügel nicht geheim orchestriert. Dennoch wird uns genau dies vorgeworfen, wobei unerheblich ist, ob bestimmte Geschichten stattfanden, bevor besagte Person überhaupt bei uns war und welchen Anteil sie selbst daran geleistet hat. Wir werden dabei für ein Großteil der jüngeren linken Oppositionsarbeit verantwortlich gemacht, als könnte so etwas nicht auch spontan in FFF passieren.

Uns erscheint es so, als seien alle halbgaren Infos und Vorwürfe zusammengekratzt worden, die gefunden werden konnten, um unsere Positionen aus den Prozessen in FFF auszuschließen. Das andere sich an bestimmten Verhaltensweisen gestört haben, ist sicherlich nachvollziehbar. Aber dass für eine relativ kleine Orga direkt der große Hammer „Unvereinbarkeit“ rausgeholt wird, wirft schon Fragen auf.

Was ist der politische Hintergrund?

Millionen von Aktivisti haben sich der Bewegung angeschlossen, haben Gegenwind geerntet und viel Energie in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass der Abstand zwischen unseren Aktionen größer und die Aktionen selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert von der Bewegung zurückgezogen haben. Die Bewegung hat sich polarisiert in diejenigen, die für die Grünen im Bundestag sitzen, während wir uns wie viele andere von den Bullen aus dem Danni oder Lützi prügeln lassen.

In unserem Strategiepapier zur Krise der Klimabewegung haben wir ausführlich dargelegt, welche Schritte wir als nächstes gemeinsam gehen müssen, wenn wir die Bewegung retten und diesen Planeten erhalten wollen. Wir müssen die Basis unserer Bewegung erweitern. Es kann nicht sein, dass wir hauptsächlich aus Schülis und Studis bestehen. Wir müssen auf die Beschäftigten in den für das Klima relevanten strategischen Wirtschaftssektoren zugehen und uns zusammen organisieren. Inhaltlich müssen wir unsere Forderungen daran ausrichten, die Klimafrage mit der Sozialen Frage zu verbinden. Andernfalls werden die Rechten diese Lücke füllen und ihre Klimaleugnerei als Sozialpolitik verkaufen. Wir brauchen Klimaforderungen, die zugleich soziale Verbesserungen für alle mit sich bringen, statt Verbote, Entlassungen und Green Washing. Gleichzeitig müssen wir anfangen unsere Forderungen auch dort an die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen.

Innerhalb von FFF rumort es und immer mehr Antikapitalist:innen fangen an, die Politik der Führung von FFF in Frage zu stellen. Als Organisation sind wir dabei ein leichtes Ziel, für diejenigen, die das verhindern wollen. Weil wir offen und unangepasst auftreten und dadurch vielleicht nicht zu den Allerbeliebtesten gehören, und darauf sind wir stolz.  Den verbliebenen linken Kräften innerhalb von FFF sollte klar sein: Wenn man mit solchen Vorwürfen durchkommt, erhöht das den Anpassungsdruck auf alle anderen antikapitalistischen Kräfte und schwächt deren Position massiv. Das sollte eben diese Kräfte zum Nachdenken anregen, welche Rolle FFF noch spielen kann. Es gibt eine große Kluft zwischen einigen Ortsgruppen und der Bundesorga und die politische Perspektivlosigkeit, dass man durch Appelle ein Einlenken der Regierung erreichen will, hat sich ein ums andere Mal gezeigt. Wir wollen FFF zugutehalten, dass sie die Klimakrise auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aber zur Bewältigung brauchen wir kämpferische und antikapitalistische Antworten.

Wir schlagen vor, gemeinsam mit linken Kräften der Umweltbewegung eine antikapitalistische Klimakonferenz zu organisieren, um Forderungen und Aktionsformen zu entwickeln, die diese Antworten leisten. Die Wähl- und Abwählbarkeit ist hierbei zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Außerdem müssen wir dafür Sorge tragen, dass an diesen Debatten und Auseinandersetzungen sowohl Arbeiter:innen als auch marginalisierte Gruppen teilnehmen können und gehört werden. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames antikapitalistisches Klima-Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen.

  • Der Widerstand gegen die Klimakrise geht also weiter und wir lassen uns nicht unterkriegen!

  • Kämpfen wir zusammen in den Schulen, Unis, Betrieben, Gruben, Wäldern und auf der Straße!

  • Falls ihr eure Solidarität zeigen wollt, könnt ihr den Beitrag gerne teilen!



Konversion der Autoindustrie – eine Frage des Plans

Leo Drais, Neue Internationale 273, Mai 2023

Von der Fläche her ist es die größte Fabrik der Welt – das VW-Werk bei Wolfsburg. Ursprünglich gebaut von den Nazis, finanziert mit Geld, das die NSDAP von den verbotenen Gewerkschaften raubte. Nach dem Krieg wurde aus dem Kraft-durch-Freude-Wagen der Volkswagen. Außer dem geänderten Namen sah der VW Käfer genauso aus wie in Hitlers Massenmotorisierungsträumen. Wirklichkeit wurde das, was mal als Größenwahn galt – jedem Mann ein Auto, das Land zerschnitten von Asphalt – spätestens ab den 1960er Jahren, Nachkriegswestdeutschland beerbte Nazideutschland.

Geerbt wurde ein zerbombtes Land. Die Städte in Schutt und Asche boten Gelegenheit, gründlich aufzuräumen. Straßen breit machen, weg mit den lästigen Schienen und ab damit unter die Erde. Die Straßenbahn wurde zur U-Bahn, der Platz für die autofreundliche Stadt war frei. Die Kinder zäunte man ein, wo sie den zum Dosenfleisch gewordenen deutschen Mann der 1960er Jahre bei seinen PS-Spielen nicht störten. Der Spielplatz war geboren und wo sonst noch etwas Grün frei war, da passte doch viel besser ein Parkhaus hin.

Der Käfer wurde zum Symbol des Wiederaufbaus und machte das Vergessen leichter. Wer denkt schon an Auschwitz, wenn man so wunderbar gedankenverloren durch die grünen Wälder braust?

Auch das war Hitlers Erbe, der die Idee von Ford geklaut hatte: Man kette den Menschen ans Fließband, wo er sich für den Konzern oder den Staat abrackert, aber nach Feierabend darf er in seinem in Raten abzuzahlenden Automobil allen Frust auslassen, alles vergessen, Spaß haben, Freude am Fahren, ein bisschen den Wind schnuppern, der ihn glauben lässt, er sei frei.

Ideologisiertes, mystifiziertes – Blech

Dabei ist diese Freiheit doch eigentlich nur auf den rechten Fuß beschränkt, der auf das Gaspedal steigt und dessen Besitzer:in bei 180 auf der Autobahn orgiastisch denkt: „Danke FDP!“ („Danke Union, Danke AfD.“) Außerhalb dessen ist sie für die meisten Fiktion, weder wo die Arbeiter:innenklasse lebt (zur Miete oder im „Eigenheim“ der Bank), noch wo sie arbeitet (am Fließband oder Bildschirm), ist sie frei. Es ist eine gefakte bürgerliche Freiheit, die sonst eigentlich nur für die Bosse und Reichen existiert.

Heute gibt es in der BRD fast 50 Millionen PKW, aber keineswegs 50 Millionen Autobesitzer:innen. Zweit- und Drittwagen verzerren die Statistik. In keinem anderen europäischen Land sind Wohlstand und Individualität, und seien sie auch nur scheinbar, ideologisch so sehr mit dem Auto verbunden. Das „Wirtschaftswunder“, das nichts anderes war als die Erneuerung des deutschen Kapitalismus dank der Zerstörungen des Krieges, bedeutete eine Neuausrichtung des deutschen Kapitals. An der militärischen Eroberung der Welt war man gescheitert, starke Bankkonzerne hatte man im Vergleich zu den USA oder Großbritannien nicht, aber wo man mitspielen konnte, war in der Industrie. Die Fabriken waren zerstört. Während die USA, Frankreich und Großbritannien mit veralteten Maschinen im Rückstand waren, hatten deutsche Konzerne bitter ironisch den Vorteil des Neustarts. Das Know-how erbte man aus den Kriegsfabriken und von der Konkurrenz.

Politisch hatte man als Verlierer des Krieges und als gespaltenes Land nichts zu melden, aber für den Neustart des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt war das Auto wie gemacht. Es war ein Massenkonsumgut, Produktion und Produkt ständig und hochgradig technisch revolutionierbar, Letzteres damit prädestiniert für hohe immer neue Profite.

Von Anfang an ist dieses neue Flaggschiff der deutschen Industrie aufs Engste mit dem Staatsapparat verschränkt. Immerhin ist im imperialistischen Stadium des Kapitalismus die Konkurrenz der Konzerne auch die der Staaten. Immerhin muss das Produkt unter das Volk gebracht werden, muss Deutschland der Welt zeigen, wie Wiederaufbau geht. Am offensichtlichsten ist diese Verbindung natürlich an der Entwicklung des Fernstraßennetzes und dem Freiräumen der Städte für das Auto ablesbar (und an der Verstümmelung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs auf der Schiene). Darüber hinaus profitiert die Autoindustrie aber bis heute und bis zum Abwinken von massiven staatlichen Subventionen, die sich nur in Namen und Programm unterscheiden. Mal heißen sie Abwrackprämie, mal Umweltbonus (für E-Autos, die dann mit Kohlestrom fahren).Entsprechend war und ist jeder Verkehrsminister (bisher alles bekennende Cismänner) diesen Konzernen nicht nur verpflichtet, sondern stets selbst ein leidenschaftlicher Autofahrer gewesen. Volker Wissing peitscht 144 Autobahnprojekte durch, die Grünen kriegen als Trostpflaster Solaranlagen neben die Fahrbahn gestellt.

Vernunft am Steuer?

Und da sind wir, in der Gegenwart einer verkehrspolitischen Dystopie, in der die Stadt stinkt und lärmt und vollgestopft ist mit Blech, in der das Land vernarbt ist von Asphalt und der Bahnhof von Mittelnirgendwo stumm vor sich hin verfällt. Völlig unzureichende Klimaziele werden weit verfehlt. Die Mobilitätswende ist in allen Mündern, passiert aber nicht in der Realität.

Denn für die Autoindustrie und ihren Verkehrsminister bedeutet sie: Erneuerung der Fahrzeugflotte durch übergewichtige E-Autos, E-Fuels in den SUV. VW (Volker Wissing) fährt nach Brüssel und dem EU-Verbrenner-Aus in die Karre. VW plant ein E-Autowerk auf dem Acker gleich hinter der heutigen (Alb-)Traumfabrik. Sie sind die, über die Macht verfügen. Wenn wir als Klimabewegung, linke Gewerkschafter:innen oder Antikapitalist:innen ernsthaft über eine Verkehrswende sprechen, müssen wir uns überlegen, wie wir diese brechen können.

Das wird entscheidend sein. Die fossilen Kapitale und ihre politischen Vertreter:innen beweisen jeden Tag, dass sie kein Interesse an einer echten Verkehrswende hegen. Sie können es auch gar nicht und heucheln es nicht einmal vor. Eine echte Verkehrswende hätte so wenig wie möglich, so viel wie nötig die Schiene als Rahmen. Im Kapitalismus ist das unmöglich. Selbst eine relevante Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene fände doch immer noch unter der Voraussetzung permanenter Ausweitung der Produktion, des Wachstums statt. Schon jetzt sind die Hauptgüterkorridore des Schienenverkehrs in Deutschland überlastet. In einem Gesellschaftssystem, dass sich stärker als jemals zuvor in der Konkurrenz verwirklicht, kann Vernunft keine Rolle spielen. Was gesamtgesellschaftlich völlig irrational ist – z. B. die Verkehrspolitik der letzten 100 Jahre – macht nur Sinn für die Bosse, Aktionär:innen und Politiker:innen VWs, Daimlers und BMWs. Eine echte Verkehrswende umzusetzen, wäre ihr Klassenverrat. Es würde bedeuten, die größte Profitquelle und damit Machtbasis Deutschlands zu ersticken, ihren eigenen Reichtum zu gefährden.

Enteignung und …

Ihre Macht zu zerbrechen, heißt, ihnen ihren Besitz wegzunehmen, über den die größten Aktionär:innen nach Belieben kommandieren, die Welt mit Autos bewerfen können. Es heißt, Quandt, Porsche, die Qatar Holding und so weiter entschädigungslos zu enteignen und die riesigen industriellen Kapazitäten der Autofabriken für sinnvolle Zwecke zu verstaatlichen. Das ist natürlich leicht gesagt und weit weg und mit heutigen legalen Mitteln gar nicht zu verwirklichen. Der Staat schützt Eigentum. Die Freiheit für Privatbebesitzen ist doch die eigentliche bürgerliche Freiheit.

Durch einen äußeren Druck der Klimabewegung alleine wird so eine Verstaatlichung kaum passieren, wie das Beispiel Ende Gelände zeigt, das die Enteignung RWEs fordert. Wir sehen die Möglichkeit realistischer in den Fabriken selbst. Wenn die Beschäftigten von VW sagten, wir bauen diese Masse an Autos nicht mehr, sie dafür streikten, dann würde sie auch nicht mehr gebaut werden.

Anlässe für die Arbeiter:innen in den Autowerken, ihre Arbeiten selbst in die Hand zu nehmen, gibt es genug. In jedem Warnstreik steckt das schon als winziger Keim. Zudem sind die Jobs in der Autoindustrie keineswegs auf ewig sicher. Durch Produktivitätssteigerung, Standortverlagerungen und E-Auto werden sie sowieso immer neu in Frage gestellt. Zudem wird für einen übersättigten Markt produziert. Die Geschichte von Opel Bochum beweist, wie schnell die Tore für immer zugesperrt werden können, ebenso die vielen Werksschließungen von Zulieferbetrieben in den letzten Jahrzehnten, etwa GKN Zwickau oder Mahle Alzenau.

Im Kampf gegen diese Schließungen, aber auch schon in jeder Nulltarifrunde offenbart sich dann auch immer die zweifelhafte Rolle der IG Metall, genauer ihrer Führung. Seit Jahrzehnten ist sie eine aus selbstgefälligen, privilegierten Eigeninteressen getriebene treue Partnerin der Autobosse. Werksschließungen werden mit abgewickelt, Leiharbeiter:innen zugunsten der Kernbelegschaften ausverkauft, Tarifrunden lieber abgebrochen bevor sie mit unbefristeten, flächendeckenden Erzwingungsstreiks eskalieren. Sie will die Kontrolle nicht verlieren. Mit dem etablierten Teil der Umweltbewegung inszeniert sie unverbindliche Klimapolitik in der Ampeltraumfabrik. Vor den radikaleren Teilen der Bewegung warnt sie, statt ihre Forderungen positiv aufzugreifen.

Sie ist eines der größten Hindernisse für eine schnellstmögliche soziale, ökologische Konversion der Autoindustrie. Wenn die Klimabewegung die Autoarbeiter:innen gewinnen will, muss sie die Rolle der IG-Metall-Bürokratie verstehen und sich daran beteiligen, eine Opposition gegen sie aufzubauen – für eine demokratische Reorganisation der Gewerkschaften, für Arbeitskämpfe die von den Belegschaften selbst kontrolliert werden, für politische Streiks und für Betriebsbesetzungen – für Konversion statt Werkschließungen, für die Verteilung der Arbeit auf alle ohne Lohnverlust.

 … demokratische Planwirtschaft!

Es ist alles eine Frage der Kontrolle. Wer hat das Sagen in der IG Metall? Eine abgehobene Führung, die mit im Aufsichtsrat sitzt, oder aus der Belegschaft heraus gewählte Kolleg:innen, die sich vor dieser rechtfertigen müssen? Der Kampf um Opel Bochum zeigte Funken von dieser Selbstermächtigung. Ihm fehlten jedoch die betrieblichen Organe wie Streikkomitees, um daraus ein Feuer zu entfachen, ganz zu schweigen davon, dass die Solidarität aus anderen Fabriken fehlte, die fest in den Händen der IG-Metall-Bürokrat:innen lagen.

Aber auch: Wer hat die Kontrolle über das, was produziert wird? Auch wenn VW und Co. enteignet und verstaatlicht sind, stellt sich diese Frage. Die Deutsche Bahn beispielsweise gehört komplett dem Staat und ist trotzdem unzuverlässig, außer wenn es um Gehaltserhöhungen für den Vorstand geht. VW gehört zu zwanzig Prozent dem Land Niedersachsen.

In der Idee der demokratischen gewerkschaftlichen Selbstkontrolle liegt auch die der Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion, die Planwirtschaft der Konzerne selbst in die Hand zu nehmen. Denn nicht anders produzieren sie intern. Unternehmen in der Größe von VW und Co. können gar nicht anders, als sich eine langfristige Strategie zurechtzulegen.

Das Problem dabei ist nicht der Plan, sondern, dass er unter dem Gesichtspunkt maximaler Profite geschrieben wird, ebenso wie das Problem mit der DDR-Planwirtschaft darin bestand, dass sie diktatorisch den Interessen der Honeckerclique unterworfen war.

Eine demokratische Planwirtschaft bedeutet demgegenüber die Möglichkeit einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, also möglichst so zu produzieren, dass Produkte lange halten und am Ende ihrer Lebenszeit komplett wiederverwertet werden können (während heute einem Unternehmen die Ware egal ist, sobald sie verkauft ist … bis auf, dass ein Auto nicht ewig halten soll, irgendwann soll ja wieder ein neues verkauft werden). Sie bedeutet, dass die, die heute in der Autoindustrie arbeiten, gemeinsam mit der gesamten Arbeiter:innenklasse die Entscheidungbefugnis darüber bekommen, was und wie viel produziert wird: Straßenbahnen und Busse statt Autos, ohne den Arbeitsdruck einer 40-Stundenwoche oder eines drakonischen 5-Jahres-Plans von oben.

Im Gegensatz zum Zerrbild des real existierenden Sozialismus, der sich doch immer nur im Wettbewerb zum kapitalistischen Westen begriff, würde ein wirklich demokratischer – eine lebendige Rätedemokratie – in ihrem Plan die Idee verfolgen: so wenig wie möglich, so viel wie nötig, damit die Bedürfnisse befriedigt werden, was auch für Mobilität und Verkehr gilt. Die Zeitersparnis durch neue Maschinen würde weniger Arbeitszeit für alle bedeuten. An die Stelle der individualistischen Freiheit des Gaspedals könnte eine kollektive Freiheit treten: Selbst entscheiden, was produziert wird, wie man so leben will, dass es für alle Sinn macht, auch für die Generationen, die es noch gar nicht gibt, deren Chance auf ein gutes Leben die Autoindustrie von heute sabotiert.

Alles utopisch?

Es mangelt in der Klimabewegung nicht an Fantasie, wie die Welt anders, solidarischer aussehen könnte. Viele haben in den letzten Jahren die Erfahrungen von gemeinsamen Aktionen und riesigen Demos gemacht, in Waldbesetzungen erlebt, wie ein anderes Zusammenleben sich anfühlen könnte. Allein die Macht von Staat und Kapital war so nicht zu brechen. Unter den Arbeiter:innen der Autoindustrie wiederum ist ein Potential – ein Know-how – darüber vorhanden, wofür diese Fabriken besser genutzt werden könnten, wie die Produktion umgebaut werden kann.

Zudem haben sie – wenigstens von ihrer Position her – tatsächlich die Möglichkeit, die Herrschaft der Autobosse, Wissings und Autodeutschlands in Frage zu stellen, zu brechen. Wenn Umweltaktivist:innen diese Potentiale erkennen und zusammen mit den fortschrittlichsten Kolleg:innen in der Verkehrsindustrie ein Programm entwickeln würden, das einen Weg zu einer ökologischen, sozialen – also  antikapitalistischen – Konversion zeichnet, dann könnte aus dieser Allianz heraus vielleicht wirklich gegen die Wissings, Zetsches und Blumes gewonnen, aus Träumen eine konkrete Utopie werden ohne Zukunftsangst, Asphaltwüsten und in Blech verpackte Menschen, und an ihrer Stelle eine Freiheit treten, die nicht Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen und unseren Lebensgrundlagen bedeutet.