Spanien: Hält die Verbindung der SozialistInnen mit den PopulistInnen?

Dave Stockton, Infomail 1078, 25. November 2019

Die
Parlamentswahlen vom 10. November, die zweiten in diesem Jahr und die vierten
seit 2015, haben wieder einmal ein instabiles Parlament ohne absolute Mehrheit
für eine Partei hervorgebracht. Sie markierten auch einen Rechtsruck, so wie
bei den Wahlen im April ein Linksruck stattgefunden hatte. Dies ist
unvermeidlich, wenn die reformistischen Parteien der Linken ein Ergebnis
verplempern und ihre opportunistische Linie, sowohl politisch als auch
wirtschaftlich, fortsetzen.

Katalonien und
die Forderung der EU nach anhaltender Sparpolitik werden über einem neuen
Ministerium wie ein Damoklesschwert hängen. Unterdessen sollte der Aufstieg der
extremen Rechten, in Form von Santiago Abascals Vox, die immer noch mächtigen
linken Kräfte im spanischen Staat anspornen, aufzustehen und zu erkennen, dass
direkte Massenaktionen, der Klassenkampf auf den Straßen und an den
Arbeitsplätzen, der einzige Weg sind, eine Katastrophe zu vermeiden.

Pedro Sánchez‘
Sozialistische Partei PSOE ist mit 120 Sitzen immer noch die größte Partei im
Kongress und hat beschlossen, eine Koalition mit Pablo Iglesias‘ Unidas
Podemos, UP, zu bilden, obwohl Sánchez dies seit den Wahlen im April vermieden
hatte. Jetzt, da die PSOE jedoch 3 Sitze und UP 7 verloren und Vox ihre Sitze
mehr als verdoppelt hat, von 24 auf 52, sieht Sánchez keine Alternative.

Aber auch
gemeinsam wissen die beiden Parteien nur 155 Mitglieder des Kongresses hinter
sich, und 176 Sitze werden für eine absolute Mehrheit benötigt. Darüber hinaus
verfügt die PSOE über einen bedeutenden rechten Flügel, der die Idee einer
Verbindung mit Podemos verabscheut und sich ein Bündnis mit Parteien der
Rechten oder rechten Mitte wie Ciudadanos (BürgerInnen) gewünscht hätte. Diese
Option verflüchtigte sich mit dem Zusammenbruch von Ciudadanos von 57 auf nur
10 Sitze. Ihr Führer und Gründer, Albert Rivera, legte nicht nur seine Parteimitgliedschaft,
sondern auch seinen Sitz im Parlament nieder, um ins Privatleben
zurückzukehren.

Eine Ehe im
Himmel … oder in der Hölle?

Die
theatralische Umarmung, mit der Sánchez und Iglesias ihren Regierungspakt feierten,
war offensichtlich von Iglesias’ Seite her herzlicher. Gegen den Widerstand
sowohl von Sánchez als auch von der antikapitalistischen Linken in Podemos
hatte er sich für einen Vorwahlpakt mit der PSOE eingesetzt. Jetzt ist klar,
dass er bereit ist, mit der PSOE den ganzen Weg zu gehen.

„Sánchez weiß,
dass er auf unsere absolute Loyalität zählen kann. Es ist an der Zeit, alle Kritikpunkte
hinter sich zu lassen … und Seite an Seite an der historischen und spannenden
Aufgabe zu arbeiten, die vor uns liegt.“ Seine Ausrede für das Abstreifen der
früheren ätzenden Kritik von Podemos war, dass eine von PSOE und Podemos
geführte Regierung „der beste Impfstoff gegen die extreme Rechte“ sein würde.

Der hohe Preis,
der gezahlt werden müsste, um Vizepremier zu werden, war im September klar.
Damals sagte Iglesias, wenn der Oberste Gerichtshof eine schwere Strafe gegen
die katalanischen UnabhängigkeitsführerInnen verhängen würde: „Offensichtlich
haben wir bereits gesagt, dass wir, obwohl wir eine Position des Dialogs
bezogen, das Gesetz und die Führungsposition der PSOE akzeptieren werden“.

Kein Wunder,
dass Sánchez nach ihrer Umarmung sagte: „Danke für die Großzügigkeit.“

Beide Führer
läuteten die Bedeutungsveränderungen für das Wort „progressiv“ ein. Sánchez
betonte: „Es wird in jedem Fall eine progressive Regierung sein. Eine
progressive Regierung, die aus fortschrittlichen Kräften besteht, die sich für
den Fortschritt einsetzen werden.“

Iglesias
seinerseits schwärmte: „Ich freue mich, heute zusammen mit Pedro Sánchez
bekanntzugeben, dass wir eine vorläufige Einigung über die Bildung einer
fortschrittlichen Koalitionsregierung erzielt haben, die die Erfahrung der PSOE
mit dem Mut von Unidas Podemos verbindet“.

Doch selbst dann
wird diese Koalition im 350-sitzigen Kongress, der unteren Kammer der Cortes,
des spanischen Zweikammernsystems, keine Mehrheit finden.

Sowohl die
SozialistInnen als auch Podemos wurden durch die Wahl tatsächlich geschwächt.
Die Partei von Iglesias litt unter der Konkurrenz durch ihren Mitbegründer und
Hauptideologen Íñigo Errejón. Seine Partei Más País, (Mehr Land), die
Podemos-IU bereits bei den Madrider Stadtwahlen im Mai niedergedrückt hatte,
gewann im November drei Sitze. Errejón begrüßte auch den Koalitionsvertrag und
sagte, seine drei Abgeordneten würden für die Amtseinsetzung von Pedro Sánchez
im Kongress stimmen.

Tatsächlich war
die Seifenblase der linken PopulistInnen, die Idee, dass sie sowohl die PSOE
als auch die rechte Partido Popular, PP, die Parteien von la Casta, die Kaste,
wie sie das korrupte politische Establishment nannten, hinwegfegen könnten,
längst zerplatzt. In den vergangenen sechs Monaten hatte Sánchez Iglesias‘
Aufruf zur Bildung einer Koalition abgelehnt und gesagt, dass ihm der bloße
Gedanke Alpträume bescherte. Alptraum für den einen – ist ein Traum für den
anderen wahr geworden? Wir werden es in den kommenden Monaten sehen.

Katalonien, das
größte Hindernis

In ihrer Koalitionsvereinbarung
erklären die beiden linken Parteien: „Die spanische Regierung wird der
Gewährleistung des sozialen Friedens in Katalonien und der Normalisierung des
politischen Lebens Priorität einräumen. Zu diesem Zweck wird sie den Dialog in
Katalonien organisieren und nach Formulierungen suchen, die zu einem
gemeinsamen Verständnis und zur Versöhnung führen, immer im Rahmen der
Verfassung.“

Die gemeinsamen
Versprechen von Dialog und Gehorsam gegenüber der Verfassung stehen im
Mittelpunkt der widersprüchlichen Lage, der sich die RegierungspartnerInnen
gegenübersehen.

Um seine
Amtseinführung sicherzustellen und eine Regierung zu bilden, braucht Sánchez
die Unterstützung der regionalen nationalistischen Parteien. Die Baskische
Nationalpartei hat 6 Sitze und die EH Bildu, Baskenland versammelt, fünf.
Selbst mit ihrer Unterstützung reicht dies nicht aus, um eine stabile Regierung
zu bilden. Sánchez braucht die KatalanInnen oder zumindest die größten ihrer
Gruppen. Hier stellt reaktionäre Tradition der PSOE, die Partido Popular und
die Verfolgung und Unterdrückung der Unabhängigkeitsparteien, die nun 23 Sitze
im Kongress einnehmen, durch den Obersten Gerichtshof zu unterstützen, die
Partei vor ein Dilemma.

In Katalonien
gibt es die beiden wichtigsten nationalistischen Parteien, die Esquerra
Republicana, Republikanische Linke von Katalonien-Souveränität, ERC-S, mit 13
Sitzen und Junts pro Katalonien, Gemeinsam für Katalonien, JxCat, mit 8. Die
Esquerra möchte eindeutig eine PSOE-U-Podemos-Regierung unterstützen, hat aber
unter dem Druck von JxCat die Bedingung gestellt, dass die Koalition eine
moderierte Diskussion mit den katalanischen Parteien auf die Tagesordnung
setzt. Sánchez hat es oft abgelehnt, dass die Selbstbestimmung auf der
Tagesordnung steht. Darüber hinaus führt Esquerra eine Abstimmung ihrer
Mitglieder zu diesem Thema durch, und die linke CUP mit zwei Sitzen will eine
einheitliche Front, um jegliche Verhandlungen mit Sánchez abzulehnen.

Zur Zeit sind
weder die PSOE noch die U-Podemos bereit, den Zorn des Obersten Gerichtshofs
oder ihres eigenen rechten Flügel zu riskieren, indem sie den KatalanInnen
etwas Wesentliches anbieten. Selbst wenn sie es täten, würde die reaktionäre Justiz
des spanischen Staates schnell eingreifen und dies für verfassungswidrig
erklären.

Carles
Puigdemont, ehemaliger Präsident der Katalanischen Generalitat (Gesamtheit der
politischen Selbstverwaltungsinstitutionen), bleibt im Exil, weil die Madrider
Gerichte versuchen, ihn nach Spanien ausliefern zu lassen. Am 14. Oktober
verurteilte der Oberste Gerichtshof von Madrid neun der für das Unabhängigkeitsreferendum
verantwortlichen AnführerInnen und von Madrid im Oktober 2017 abgesetzten
MinisterInnen zu Gefängnisstrafen von 9 bis 13 Jahren.

Dazu gehören der
Vizepräsident Oriol Junqueras, Außenminister Raül Romeva und Innenminister
Joaquim Forn. Zu ähnlichen Strafsätzen verurteilt wurden auch Carme Forcadell,
Präsidentin des katalanischen Parlaments und die „zwei Jordis“, Jordi Sànchez
von der katalanischen Nationalversammlung und Jordi Cuixart von Òmnium
Cultural, deren Organisationen für die Massendemonstrationen und Streiks um das
Referendum verantwortlich gemacht wurden.

Die Verkündigung
dieser Urteile führte zu dreiwöchigen Massenprotesten mit gewalttätigen
Zusammenstößen zwischen Polizei und jungen DemonstrantInnen, die in den größten
Städten Kataloniens Barrikaden errichteten. Ein Generalstreik brachte eine
halbe Million Menschen auf die Straßen von Barcelona. Die Polizei feuerte
Gummigeschosse ab und setzte Gaskanister und Wasserwerfer ein. Dutzende wurden
verhaftet und verletzt.

Der derzeitige
Präsident der Generalitat, Quim Torra, verurteilte die Gewalt der
DemonstrantInnen und forderte deren Einstellung. Pedro Sánchez weigerte sich
jedoch, mit Torra zu sprechen, und behauptete, dessen Verurteilung sei nicht
eindeutig genug. Damit setzte die PSOE ihre Linie fort, die polizeiliche
Repression zu unterstützen und sich zu weigern, mit den katalanischen AnführerInnen
zu verhandeln, wenn sie nicht auf die Hauptforderungen ihrer AnhängerInnen
verzichteten.

Der Oberste
Gerichtshof erhöhte den Druck und rief Torra auf, am 18. November wegen
„Ungehorsams“ vor ihm zu erscheinen, nämlich wegen seiner Langsamkeit, gelbe
Bänder von öffentlichen Gebäuden zu entfernen, die Symbole der Solidarität mit
den inhaftierten AnführerInnen der Unabhängigkeitsbewegung sind. Die
RichterInnen konnten ihn verurteilen, damit er entlassen und vom Amt
ausgeschlossen wird.

Auch wenn die
bürgerlichen katalanischen NationalistInnen es verabscheuen würden, den Weg zu
einer rechten Koalition zu öffnen oder eine große Koalition aus PSOE und PPS zu
sehen, könnten sie die Regierung kaum lange unterstützen, da ihre AnführerInnen
im Gefängnis schmachten und die von Diktator Franco geschaffene Militärpolizei
Guardia Civil regelmäßig auf DemonstrantInnen auf den Straßen von Barcelona,
Girona, Lleida (Lérida) und Tarragona losging.

Andererseits ist
es sicher, dass der mächtige rechte Flügel der PSOE, wenn Sánchez versucht, sie
zu begnadigen, geschweige denn dem Antrag auf ein legales Referendum über die
Selbstbestimmung stattzugeben, sich auflehnen würde, um es zu verhindern. Ganz
zu schweigen von den Eingriffen des Obersten Gerichtshofs und von König Felipe
VI., der in der Verfassung die „unauflösliche Einheit und Beständigkeit“ des
spanischen Staates verkörpert. Es gäbe auch die „Kleinigkeit“ der
Massenmobilisierungen durch Vox und die extreme Rechte.

Die
Vox-Mitglieder sind offene BewunderInnen von Franco und seiner blutigen
Unterdrückung, beschuldigen muslimische Migranten, hinter einer Welle von
Bandenvergewaltigungen in Südspanien zu stecken, wollen alle sezessionistischen
Parteien ächten, die Autonomieregierung für Katalonien beenden und die
Todesstrafe für Verrat, einschließlich des Strebens nach Unabhängigkeit,
wiederherstellen. Der Aufstieg von Vox ist die spanische Version der
rechtspopulistischen Welle in Polen, Italien, Frankreich, Ungarn, Deutschland
und natürlich in Brexit-Großbritannien.

Kampf gegen die
Sparpolitik

Seit der Großen
Rezession 2008 und der Staatsschuldenkrise ist Spanien wie andere
Mittelmeerstaaten der Europäischen Union zu massiven Einschnitten bei den
Sozialausgaben gezwungen und litt unter einer strafenden Arbeitslosigkeit, die
2013 auf einen Höchstwert von 26,95 Prozent stieg und bei der die
Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent erreichte. Eine große Zahl junger
SpanierInnen ist auf der Suche nach Arbeit in andere EU-Länder gegangen. Erst
2017 erreichte das spanische Bruttoinlandsprodukt das Niveau vor 2008, jedoch
scheint sich das Wachstum nun wieder zu verlangsamen.

Die Vereinbarung
zwischen der PSOE und U-Podemos verpflichtet eine neue Regierung, an einer
„ausgeglichenen Haushaltspolitik“ festzuhalten, bei der neue Sozialprogramme
aus höheren Einnahmen bezahlt werden müssen. Das Wahlmanifest von Podemos hatte
umfangreiche Regierungshaushalte zugesagt, um ein Jahrzehnt wilder Sparpolitik
umzukehren. Da Brüssel eine strenge Finanzpolitik forderte und Spanien nach
fünf Jahren der Erholung eine wirtschaftliche Verlangsamung erfuhr, bestand
Sánchez darauf, in Gestalt der stellvertretenden Wirtschaftsministerin Nadia
Calviño, einer ehemaligen hochrangigen Beamtin der Europäischen Kommission, die
Geschicke in „sichere Hände“ zu übergeben, wie es die EU wünschte.

Ein weiteres
Dilemma ist die Forderung der beiden größten spanischen Gewerkschaftsverbände,
der Comisiones Obreras, CCOO, ArbeiterInnenkommissionen, und der Unión General
de Trabajadores, UGT, der Allgemeinen ArbeiterInnenunion, nach der Aufhebung
der Arbeitsreform 2012 von PP-Premier Mariano Rajoy, die den Weg zu einem
weiteren Rückgang der Reallöhne und unsicheren Teilzeit- und
Zeitarbeitsverträgen für ArbeiterInnen, insbesondere für Jugendliche, ebnete.
Vor allem auf dieser Basis ist die Arbeitslosigkeit auf rund 15 Prozent
gesunken.

Es bedarf einer
massiven Mobilisierung der ArbeiterInnen, um eine Koalitionsregierung zu
zwingen, den Forderungen der ArbeiterInnenschaft nachzukommen.

Für das Recht
auf Selbstbestimmung

Das derzeit
brennendste demokratische Recht ist das Recht der KatalanInnen auf
Selbstbestimmung, einschließlich des Rechts auf ein Referendum, das die
Möglichkeit beinhaltet, sich vom spanischen Staat zu trennen. Bisher zeigen
Meinungsumfragen, dass die Mehrheit der katalanischen BürgerInnen trotz oder
wegen der Repressionen aus Madrid dies nicht wünscht. Nur eine freie
Abstimmung, bei der beide Seiten ohne Unterdrückung ihre Sache verfechten
können, könnte dies entscheiden. Zu diesem Zweck sollten die Guardia Civil und
alle „spanischen“ Polizeikräfte zurückgezogen und ein gleichberechtigter Zugang
zu den Medien gewährleistet werden.

Es ist ein
Skandal, dass die PSOE den Obersten Gerichtshof und das bestehende verfassungsmäßige
Verbot der katalanischen Selbstbestimmung unterstützt, und offenbart, wie weit
von der Demokratie, geschweige denn vom Sozialismus entfernt die Partei ist und
wie wenig sie das Vertrauen der ArbeiterInnen verdient, dass die Partei sie gegen
die sozialen und wirtschaftlichen Angriffe des Großkapitals verteidigen wird.
Obwohl Podemos die Definition Spaniens als plurinationalen Staat, die
verfassungsmäßige Definition Kataloniens als Nation und das Recht auf ein
Unabhängigkeitsreferendum unterstützt, behaupten die PopulistInnen ausweichend,
dass dies nur beratend der Fall sein sollte.

Dennoch sollten
RevolutionärInnen sich nicht für die Abspaltung der autonomen Region einsetzen,
es sei denn, eine Mehrheit hat ihren Willen dazu bekundet. Katalonien, als der
am weitesten entwickelte Teil des spanischen Staates, ist keine wirtschaftlich
ausgebeutete Kolonie oder Halbkolonie. Die NationalistInnen, die sich darüber
beklagen, dass die Steuern der Region den unterentwickelten Teilen des
spanischen Staates zugutekommen, zeigen lediglich ihren Appetit, ihre eigene
Kapitalakkumulation zu maximieren.

Der Hauptgrund
für die Ablehnung der Unabhängigkeit besteht darin, dass sie die Einheit der
ArbeiterInnenklasse auf der gesamten Halbinsel und sogar in Katalonien selbst
schwächen würde, wo eine Mehrheit in soliden ArbeiterInnenklassengebieten gegen
eine Trennung ist. Nicht zuletzt wird es den Kampf gegen die Überreste des
Francoismus und des spanischen Imperialismus schwächen.

Neben der
nationalen Frage beinhaltet der Kampf für Demokratie die Notwendigkeit, das
gesamte schmutzige Erbe der Franco-Diktatur zu beseitigen, das 1978 von den
reformistischen Parteien im Moncloa-Pakt akzeptiert und in die Verfassung
eingebettet wurde, einschließlich der Monarchie, des Senats und des Obersten
Gerichtshofs. Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) und die PSOE haben
dieses Verfassungssystem mitverantwortet, und letztere hat es unter den
Ministerpräsidenten Felipe González (1982-1996) und José Luis Zapatero
(2004-2011) erhalten.

Dieser gesamte
reaktionäre Schrott muss weggefegt werden, aber dazu bedarf es revolutionärer
Massenaktionen, nicht nur Wahlen. Es sollten Wahlen zu einer souveränen
verfassunggebenden Versammlung abgehalten werden, die auf einem
Verhältniswahlsystem ohne Mindestschwelle und mit Stimmen für alle Personen
über 16 Jahre basieren. Die Gewerkschaften und ArbeiterInnenparteien sollten
solche Wahlen überwachen und Kampagnen führen für eine ArbeiterInnenregierung
auf der Grundlage der ArbeiterInnenorganisationen, die ihnen gegenüber
rechenschaftspflichtig ist.

Nicht zuletzt
mit dem Aufstieg von Vox besteht eindeutig die Notwendigkeit, andere
demokratische Rechte zu verteidigen und zu erweitern, darunter das Recht der
Frauen auf Schwangerschaftsabbruch, Gleichstellung von LGBTQ+ und der
Geschlechter auf staatlicher und regionaler Ebene. Es muss eine
antifaschistische Einheitsfront der ArbeiterInnenklasse, einschließlich
Verteidigungsgruppen, gebildet werden, um ArbeiterInnen im Kampf oder MigrantInnen
unter Beschuss zu schützen.




Katalonien: Freiheit für die Gefangenen!

Dave Stockton, Infomail 1073, 21. Oktober 2019

Am 14. Oktober
verurteilte der Oberste Gerichtshof von Madrid nach einem viermonatigen Prozess
neun katalanische separatistische AnführerInnen zu 9 bis 13 Jahren Gefängnis
für ihre Rolle in der Unabhängigkeitsbewegung 2017.

Daraufhin
versammelten sich Zehntausende, hauptsächlich junge DemonstrantInnen in den
Stadtzentren Kataloniens, wo sie mit einem Polizeieinsatz konfrontiert wurden,
der sich zu einer dreitägigen Schlacht mit zahlreichen Festnahmen entwickelt
hat.

Die
katalanischen PolitikerInnen hatten bereits zwei Jahre im Gefängnis verbracht,
nachdem der ehemalige Premierminister der Volkspartei (PP) Mariano Rajoy die
paramilitärische Guardia Civil entsandt hatte, um die Unabhängigkeitsbewegung
nach einem Referendum zu unterdrücken, das von Unabhängigkeitsparteien
durchgeführt wurde.

Tatsächlich
sollten Rajoy und seine MinisterInnen im 
Gefängnis sitzen, nicht Oriol Junqueras und seine MitstreiterInnen. Die
drakonischen Urteile sind das Ergebnis des Versäumnisses, das Erbe der
faschistischen Franco-Diktatur aus der spanischen Verfassung zu tilgen,
einschließlich der Strafbefugnisse des Obersten Gerichtshofs, und der
Verweigerung des elementaren demokratischen Rechts der Nationen auf
Selbstbestimmung.

Die Urteile verstoßen eklatant gegen die Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und die Europäische
Menschenrechtskonvention, aber die KatalanInnen werden lange darauf warten,
dass entweder diese Organe oder ihre Mitgliedsstaaten die Handlungen des
spanischen Staates verurteilen. Ebenso sollten sie nicht darauf warten, ob die
Fraktion der Progressiven Allianz der SozialdemokratInnen im Europäischen
Parlament (S&D) oder ihre Dachorganisation, die moribunde Sozialistische
Internationale, ihnen zu Hilfe kommt.

Tatsächlich hat
ihre Mitgliedsorganisation, die spanische Sozialistische ArbeiterInnenpartei
PSOE, die Repression begeistert begrüßt. Premierminister Pedro Sánchez sagte
gegenüber ReporterInnen: „Heute endet ein exemplarisches Gerichtsverfahren.
Niemand steht über dem Gesetz. In einer Demokratie wie Spanien wird niemand
wegen seiner Ideen oder seiner Politik vor Gericht gestellt, sondern wegen
strafbaren Verhaltens, wie es das Gesetz vorsieht“. Er versicherte den Medien,
dass seine Regierung der Entscheidung des Gerichts „voll und ganz nachkommen“
werde.

Diese zynische
und kriecherische Aussage entlarvt die linken Referenzen von Sánchez und seiner
Partei als plumpe Täuschung. Sie stellt die Sinnlosigkeit der Hoffnung klar,
dass seine Politik bei der Erhaltung des spanischen Staates als Gefängnis der
Nationen von der Form abweicht, die von den ErbInnen Francos in der Volkspartei
festgelegt wurde.

Um das
verbrecherisches Maß vollzumachen, förderte Sánchez zynisch die Hoffnung auf
eine Verhandlungslösung mit den KatalanInnen, um seine Stimmen bei den letzten
Wahlen zu vermehren und katalanische Parteien in den Cortes (dem Madrider
Parlament) zur Unterstützung seiner Regierung zu bewegen. Aber angesichts der
Wahl, die Integrität des spanischen Staates mit Gewalt zu verteidigen oder
seine Koalition aufrechtzuerhalten, triumphierte die Loyalität zu seinem König
und seinem Land über diese Interessen der WählerInnen, geschweige denn sozialistische
Prinzipien – falls er jemals welche hatte.

Pablo Casado,
der derzeitige Vorsitzende der Volkspartei, lobte den Gerichtshof praktisch mit
denselben Worten wie Sánchez und stellte den Ministerpräsidenten nur darin auf
die Probe, dass er ja nicht den verurteilten FührerInnen eine Amnestie oder
Begnadigung der Regierung anbieten soll. Unterdessen kritisierte der
Generalsekretär der protofaschistischen Vox-Partei, Javier Ortega Smith-Molina,
das Urteil wegen seiner Nachsicht. Die katalanischen FührerInnen hätten wegen
des Verbrechens der gewalttätigen Rebellion zu je 25 Jahren verurteilt werden
sollen.

Die einzige einigermaßen
prinzipientreue Position kam vom Podemos-Vorsitzenden Pablo Iglesias, wenn auch
in einer angesichts des Ernsts der Lage eher zurückhaltenden Sprache. Er sagte,
der Satz „wird in die Geschichte Spaniens als Symbol dafür eingehen, wie man
politische Konflikte in einer Demokratie nicht angeht“. In einer Nachricht auf
Facebook sagte Iglesias, er wolle „seine Unterstützung an die verurteilten
FührerInnen und ihre Familien senden“.

Diese verbale
Solidarität passt zur lauwarmen Unterstützung seiner Partei für die nationalen
demokratischen Rechte. Tatsächlich sollte jedeR DemokratIn, geschweige denn
SozialistIn, der/die im spanischen Staat lebt, die sofortige Freilassung der
verurteilten FührerInnen, die Aufhebung ihrer Beschuldigungen und die
Einstellung aller Anklagen gegen den im Exil lebenden katalanischen Präsidenten
Carles Puigdemont fordern.

Widerstand

Obwohl es die
gemäßigte Basisorganisation, die Katalanische Nationalversammlung (ANC), war,
die am ersten Abend zur Demonstration bei Kerzenlicht aufrief, besetzten noch
in dieser Nacht mehrere tausend Menschen den Flughafen Barcelona. Sie wurden
mit Polizeiprügel und Salven von Gummigeschossen konfrontiert, die mehr als 130
Verletzte forderten und einen jungen Demonstranten das Auge kosteten.

Diese direkte
Aktion und die in den folgenden Tagen wurden von Tsunami Democràtic, einer
neuen Online-Plattform, organisiert. Der Schlüssel zum Erfolg der Bewegung sind
die AktivistInnen der Komitees für die Verteidigung der Republik (CDRs), die
gegründet wurden, um der Annahme einer direkten Herrschaft des spanischen
Staates im Jahr 2017 zu widerstehen, die twitterten: „Es ist an der Zeit, sich
gegen den autoritären Faschismus des spanischen Staates und seiner KomplizInnen
zu erheben. Es ist Zeit für den Volksaufstand.“ In anderen spanischen Städten,
darunter auch in Madrid, kam es zu Solidaritätsaktionen, und am 18. Oktober
wurde in Katalonien ein Generalstreik ausgerufen.

So sehr die
Demonstrierenden auch im Recht sein mögen, es sollte nicht vergessen werden,
dass, obwohl es in den Monaten um das Referendum 2017 riesige Demonstrationen
und direkte Aktionen gab, die Schwäche und Spaltung der nationalistischen
FührerInnen sowie das Fehlen einer wirksamen und beträchtlichen Solidarität aus
ganz Spanien und Europa mit dem Sieg des spanischen Staates endeten. Die
derzeitige Führung des katalanischen Parlaments, die Generalitat, fordert
kläglich Verhandlungen. Diese werden zu nichts führen. Denunziationen von
DemonstrantInnen, die der Polizeigewalt ausgesetzt sind, durch den
katalanischen Präsidenten wird die Madrider Regierung nur ermutigen.

Strategie

Solange die
SeparatistInnen die Frage als Kampf um Unabhängigkeit und nicht um das
demokratische Selbstbestimmungsrecht stellen, erschweren sie die Unterstützung
der rund 50 Prozent der katalanischen Bevölkerung, die sich gegen die
vollständige Unabhängigkeit aussprechen.

Heute verfügt
Katalonien nicht einmal mehr über eine echte Autonomie. Wenn dies der Fall
gewesen wäre, wäre es Madrid nicht möglich gewesen, sein Parlament aufzulösen
und seine FührerInnen wegen der Organisation eines Referendums ins Gefängnis zu
stecken. Alle aufrichtigen spanischen DemokratInnen sollten die Ausweitung
einer echten Autonomie auf alle Nationalitäten Spaniens unterstützen und dafür
kämpfen, auch wenn sie nicht wollen, dass die ArbeiterInnenklasse des Landes in
konkurrierende Staaten aufgeteilt wird. Aber wenn die Mehrheit in einem
Referendum ohne Unterdrückung für die völlige Unabhängigkeit stimmte, dann wäre
es gleichermaßen die Pflicht von DemokratInnen und SozialistInnen in ganz
Spanien und Europa, ihnen bei der Verwirklichung ihrer demokratischen
Entscheidung zu helfen.

Wie im Falle
Schottlands glauben wir jedoch nicht, dass die Schaffung neuer und kleinerer
kapitalistischer Staaten eine der großen sozialen Fragen der ArbeiterInnen
beantworten wird. Tatsächlich wäre jede Versuchung, die große Zahl
spanischsprachiger Menschen und MigrantInnen kulturell oder sprachlich zu
„katalanisieren“, an sich reaktionär.

Als
sozialistische InternationalistInnen setzen wir Illusionen in den bürgerlichen
nationalistischen Separatismus entgegen – den Kampf, die neoliberale und
imperialistische EU in Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa zu
verwandeln, in denen alle Nationen und Nationalitäten ein hohes Maß an
Autonomie und das Recht hätten, eigene separate Einheiten zu bilden, wenn sie
es wollten.

In der
Zwischenzeit sollten die SozialistInnen in den Nachbarstaaten der Europäischen
Union von den Parlaments- und Europaparlaments-Abgeordneten aus Labour- und
sozialistischen Parteien verlangen, dass sie Entschließungen verabschieden, in
denen sie die Entscheidung des Madrider Gerichtshofs verurteilen und die bedingungslose
Freilassung der Gefangenen sowie die sofortige verfassungsmäßige Anerkennung
des Rechts der spanischen Nationen auf Durchführung von
Unabhängigkeitsreferenden fordern, wenn sie dies wünschen.

Eine starke
europäische Solidaritätsbewegung kann den ArbeiterInnen in Spanien helfen, das den
undemokratischen Charakter der Verfassung und den kastilischen Chauvinismus zu
überwinden, der die ArbeiterInnenklasse korrumpiert und schwächt. Das bedeutet,
dass man die Notwendigkeit aufgreifen muss, die spanische Verfassung als
Föderalrepublik neu zu schreiben, eine Aufgabe, die nur durch eine souveräne
verfassunggebende Versammlung erreicht werden kann, die von einer
ArbeiterInnenregierung einberufen und verteidigt wird, die auf Organen der
ArbeiterInnendemokratie basiert und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig
ist.

Auf diese Weise
können die notwendigerweise miteinander verbundenen sozialen und demokratischen
revolutionären Aufgaben erfüllt und die Einheit der ArbeiterInnenklasse
erreicht und erhalten werden.




Spanien: Sánchez verdrängt Rajoy, aber was nun?

Dave Stockton, Infomail 1006, 10. Juni 2018

Pedro Sánchez, Vorsitzender der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE), ist jetzt im Moncloa-Palast als Ministerpräsident Spaniens. Jeder fortschrittliche Mensch im spanischen Staat wird froh sein, den Rücken des autokratischen Führers der Volkspartei, Mariano Rajoy, zu sehen.

Der kritische Moment kam, als die Baskische Nationalistische Partei (EAJ/PNV) enthüllte, dass sie zusammen mit Podemos (deutsch: Wir können), zwei katalanischen Pro-Unabhängigkeitsparteien und einer zweiten baskischen Partei (BILDU, linkes baskisches Wahlbündnis; deutsch: versammelt) einen Misstrauensantrag der PSOE als Reaktion auf einen großen Korruptionsskandal, der die PP heimsuchte, unterstützen würde.

Die liberale Partei Ciudadanos (deutsch: BürgerInnen), die vor kurzem in den Wahlen ihre Rivalinnen überholt hat, unterstützte Rajoy, aber Führer Albert Rivera sieht nun eine goldene Gelegenheit, die Volkspartei als Hauptpartei der Rechten zu ersetzen.

Podemos, die einst ihre Entschlossenheit erklärte, die PSOE vollständig zu verdrängen, und die Idee einer Koalition mit ihr ablehnte, forderte Sánchez auf, eine Koalition mit MinisterInnen von ihr zu bilden, ein Angebot, das der PSOE-Führer sofort ablehnte.

Podemos selbst steckt jetzt in einer Flaute. Der Guru der Partei, Pablo Iglesias, wurde kürzlich zu einer Mitgliederaabstimmung gezwungen, um seine Führung nach heftigem internen Widerstand gegen seine Entscheidung, ein 600.000 Euro teures Haus mit Swimmingpool außerhalb Madrids zu kaufen, zu bekräftigen, welche Mitglieder und AnhängerInnen einer Partei erzürnte, die sich zum Teil wegen ihrer Kampagne zur katastrophalen Immobilienkrise in Spanien einen Namen machte.

Sánchez‘ Versprechen

Unmittelbar nach dem Misstrauensvotum erklärte Sánchez: „Wir werden eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie in unserem Land unterzeichnen.“ Hier wird der/die Vorsichtige einen Moment innehalten, um zu fragen: Ist das derselbe Mann, der Rajoys Weigerung unterstützt hat, ein Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens gutzuheißen, sowie die Urteile des Obersten Gerichtshofs, die den Präsidenten seiner Generalitat (Gesamtheit der Selbstverwaltungsinstitutionen Kataloniens im Rahmen des Autonomiestatuts) ins Exil trieben und mehrere MinisterInnen ins Gefängnis brachten?

Sánchez hat zwar versprochen, Gespräche mit der neuen katalanischen Regierung aufzunehmen, aber er schließt nach wie vor die Möglichkeit eines legalen Referendums über den Status Kataloniens aus. Gleichzeitig wurde eine neue katalanische Regierung unter der Leitung von Joaquim „Quim“ Torra, einem Handlanger des im Exil lebenden Präsidenten Carles Puigdemont, vereidigt, was den Zustand beendete, dass Katalonien acht Monate lang direkt von Madrid aus regiert wurde.

Sánchez wird wahrscheinlich einige der undemokratischsten Aspekte von Rajoys berüchtigtem „Gag-Gesetz“ aufheben, das Demonstrationen in der Nähe des Parlaments, des Senats und der Regionalparlamente strenge Beschränkungen auferlegte, unterstützt durch Geldbußen von bis zu 600.000 Euro für Sitzstreiks an öffentlichen Orten oder die Blockade von Hausräumungen, wenn die „zuständige Behörde“ (ein Gericht, die Polizei) die Auflösung der Versammlung angeordnet hat.

Aber um eine wirklich neue Seite in der gewundenen Geschichte der Demokratie in Spanien zu schreiben, bedarf es nicht der Huldigung der Establishment-Parteien an die Post-Franco-Verfassung, sondern ihrer Ersetzung durch eine demokratisch gewählte Verfassunggebende Versammlung, die die Monarchie abschafft und das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Abspaltung vom spanischen Staat für alle seine Nationalitäten anerkennt. Revolutionäre SozialistInnen wollen den spanischen Staat nicht auflösen, aber das wäre besser als erzwungene Einheit.

Sánchez hat versprochen, auf die „dringenden sozialen Bedürfnisse“ der BürgerInnen in einem Land einzugehen, das immer noch von hoher Arbeitslosigkeit und der von verschiedenen Regierungen verhängten Sparpolitik geplagt ist. Aber er hat auch sofort zugesagt, den von Rajoy vorgeschlagenen Haushalt 2018 beizubehalten, gegen den die PSOE erst vor einer Woche gestimmt hat. Seine Entschuldigung ist, dass er nur so die Stimmen der PNV erhalten konnte, deren Anliegen vor allem darin bestand, die dem Baskenland zugewiesenen Mittel, die im Haushalt enthalten waren, sicherzustellen. Er sagt, dass das Budget „die wirtschaftliche und steuerliche Verantwortung garantieren wird“ und betont, dass Spanien seine „europäischen Pflichten“ erfüllen wird. Aber das wird die neue Regierung entweder an die Kürzungen und Sparmaßnahmen ihrer Vorgängerin binden oder, wenn er einige davon ändert wie die vorgeschlagene Erhöhung der Renten wird er Peter immer noch ausrauben müssen, um Paul zu bezahlen.

Maßnahmen ergreifen

Es gibt eine Alternative dazu, wenn er bereit wäre, die Vermögen der Reichen und der großen Konzerne ernsthaft zu besteuern. Natürlich werden einige sagen, angesichts seiner bisherigen Bilanz könnte man genauso gut Schweine bitten zu fliegen, aber das ist nicht der Punkt. Die Gewerkschaften und die Jugend einschließlich der Mitgliedschaft von PSOE und Podemos haben in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession ihre Kampfbereitschaft bewiesen und könnten und sollten nun mobilisieren, um Sánchez dazu aufzufordern, die Austeritätsmaßnahmen ganz aufzugeben. Sie sollten sich an die massive Unterstützung erinnern, die Jeremy Corbyn in Großbritannien sowohl auf der Straße als auch an der Wahlurne erhielt, als er ein Ende der Sparpolitik forderte.

Einige werden sagen, dass die EU eingreifen würde, um jede Regierung oder Führung zu stoppen, die versuchte, ihre „Fiskaldisziplin“ zu brechen, genau wie sie es mit Syriza in Griechenland getan hat. Aber im Gegensatz zu Alexis Tsipras sollte eine spanische Regierung, die es wagte, sich der EU zu widersetzen, ihre Zeit nicht damit verschwenden, AkademikerInnen als untertänige BittstellerInnen nach Brüssel oder Frankfurt zu schicken. Sie sollten sich den Merkels und Macrons widersetzen und direkt an die ArbeiterInnen in Europa appellieren, Maßnahmen zu ihrer Unterstützung zu ergreifen. Die Bilanz der Kapitulation von Syriza zeigt, dass mutige Reden von FührerInnen wenig wert sind, wenn die ArbeiterInnen und die Jugend nicht organisiert und bereit sind, unabhängig zu handeln, wenn ihre AnführerInnen sich weigern zu kämpfen.

Wenn Spaniens ArbeiterInnen, unterdrückte Nationalitäten, Frauen und Einwanderergemeinschaften sich vereinigen und einen Massenkampf für ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse in den kommenden Monaten einleiten, dann kann selbst diese in den Knien weiche PSOE-Regierung als Hebel benutzt werden, um soziale und demokratische Rechte zu erringen und den Weg des Kampfes zu einer echten ArbeiterInnenregierung einzuschlagen, die auf den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse, den Gewerkschaften, Parteien und Kampforganen fußt.

Dank

Wir danken dem Solidaritätskomitee Katalonien für die Übersetzung des Artikels,




Freiheit für Carles Puigdemont! Keine Auslieferung an den spanischen Staat!

Tobi Hansen, Infomail 995, 28. März 2018

Seit Anfang November befindet sich Carles Puigdemont auf der Flucht. Sein Verbrechen? Er verkündete als gewählter katalanischer Ministerpräsident die Unabhängigkeit des Landes. Auch wenn er deren Umsetzung unmittelbar aussetzte, um darüber mit der Regierung in Madrid und der EU zu verhandeln, so macht ihm erstere seither den Prozess.

Nachdem sich Puigdemont in Belgien relativ sicher aufhalten konnte, erließ die spanische Polizei im März 2018 erneut einen europäischen Haftbefehl gegen den Politiker in der Hoffnung, ihn außerhalb Belgiens festzunehmen. Er konnte jedoch auf einer Konferenz in Finnland auftreten und das Land rechtzeitig verlassen. Dänemark ließ ihn unbehelligt passieren. Erst in Deutschland schlugen die Erfüllungshilfen der spanischen Regierung in Form des schleswig-holsteinischen Landeskriminalamts (LKA) zu und nahmen ihn an einer Autobahnraststätte fest. Das LKA als Büttel Rajoys – so funktioniert die EU-Demokratie.

Angeklagt ist Puigdemont vor allem wegen Rebellion (gegen die spanische Zentralregierung) und Veruntreuung, da das Referendum immerhin 6 Millionen Euro gekostet habe, unter anderem wohl auch der Einsatz der spanischen Polizei, die die Abstimmung zu verhindern trachtete. So wird die Durchführung einer Volksabstimmung über das Selbstbestimmungsrecht noch zu einem Gesetzesbruch – ein schlagender Beweis für die politische Kontinuität des Franquismus in der spanischen Rechten und im Staatsapparat.

Die meiste Zeit verbrachte Puigdemont in Belgien. Dort sind verschiedene separatistisch gesinnte bürgerliche Parteien (z. B. die N-VA, Nieuw-Vlaamse Alliantsie; deutsch: Neu-Flämische Allianz) auch an der Regierung. Hier konnte sich Puigdemont, einigermaßen geduldet, weiter an der spanischen und katalanischen Politik beteiligen. Theoretisch ist er weiterhin der einzige Kandidat auf den Posten des Ministerpräsidenten. Die pro-spanischen Parteien verfügen im Regionalparlament über keine Mehrheit. Daher wird in der „Zwischenzeit“ Katalonien per Artikel 155 von Madrid aus zwangsverwaltet.

Aktuell hat die spanische Regierung unter Rajoy, die für die Zwangsmaßnahmen gegen die Region Katalonien im Parlament die Unterstützung von der PSOE (Sozialdemokratie) und der rechtsbürgerlichen Ciudadanos (deutsch: Staatbürgerpartei) sicher hat, die Verfahren gegen Mitglieder der Regionalregierung eröffnet. Neun von ihnen sind derzeit in Haft.

Nach der Inhaftierung Puigdemonts kam es in Barcelona sofort zu Massenprotesten. Die Polizei wandte massiv Gewalt an. Auch von dem Gebrauch der Schusswaffen war zu lesen. Zur „Abschreckung“ wurde in die Luft geschossen. Alles, was jetzt in Barcelona an Gewalt folgt, alle Verletzungen, alle möglichen Opfer gehen auch auf das Konto der deutschen Justiz, der „Jamaika“- Koalition aus Kiel und natürlich der deutschen Bundesregierung. Diese hat sich auf die Seite Rajoys geschlagen, mag sie auch die Frage der und formelle Verantwortung für eine Auslieferung an die Gerichte abwälzen. Für den deutschen Imperialismus ist Spanien ein strategischer Partner, mögen die katalanischen NationalistInnen noch so sehr an Deutschland und die EU appellieren.

Wir unterstützen die Forderung, Puigdemont sofort freizulassen und nicht auszuliefern. Gerade eine Woche nach dem internationalen Tag der politischen Gefangenen müssen die demokratischen Rechte der Regionalregierung Kataloniens und ihrer Mitglieder verteidigt werden.

Für den Kampf in Katalonien, gegen die Madrider Zwangsverwaltung wie gegen das gesamte Regime Rajoy ist es aber entscheidend, die Bewegung in Katalonien selbst politisch neu auszurichten. Schließlich befinden sich die „SeparatistInnen“ selbst in einer Orientierungskrise, die zwei, miteinander verbundene Ursuchen hat. Erstens muss die Protestbewegung mit der politischen Unterordnung unter bürgerliche Parteien brechen. Die ehemalige neoliberale Regionalregierung von Puigdemont ist eben keine strategische Verbündete. Zweitens muss sich die Bewegung nicht nationalistisch, sondern entlang des gemeinsamen Kampfes zur Verteidigung demokratischer Rechte und sozialer Forderungen in Katalonien und den anderen spanischen Regionen neu ausrichten. Als RevolutionärInnen verteidigen wir das nationale Selbstbestimmungsrecht (einschließlich des Rechts, einen eigenen Staat zu gründen) bedingungslos. Aber – gerade auch angesichts der zwiespältigen Haltung der ArbeiterInnenklasse im Land selbst – halten wir die Herstellung der ArbeiterInneneinheit gegen die spanische Regierung und den gemeinsamen Kampf für eine sozialistische Umwälzung in Spanien für die korrekte Orientierung. Ansonsten droht, dass weiterhin nationalistisches Gift KatalanInnen und „SpanierInnen“ gegeneinander in Stellung bringt, die Lohnabhängigen als die Bauernopfer für Rajoy und Puigdemont herhalten müssen.

  1. Keine Auslieferung von Puigdemont!
  2. Freiheit für alle politischen Gefangenen im spanischen Staat!
  3. Für einen gemeinsamen Kampf der KatalanInnen und „SpanierInnen“ gegen Rajoy!



Rajoy verliert die Wahlen in Katalonien – es wird Zeit, ihn zu stürzen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 23. Dezember 2017, Infomail 980, 25. Dezember 2017

Die Wahlen in Katalonien haben – entgegen dem riskanten Vorhaben des spanischen Ministerpräsidenten – die politische Blockade nicht zu seinen Gunsten gebrochen. Tatsächlich ist seine Taktik gescheitert, seine Position sogar geschwächt. Sie haben jedoch auch nicht die Stellung der drei katalanischen nationalistischen Parteien, die am 27. Oktober die Unabhängigkeit erklärt haben, strategisch gestärkt.

Diese Parteien, Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien, kurz JuntsxCat, vormals PDeCat = Partit Demòcrata Europeu Català = Katalanische Europäische Demokratische Partei), die Republikanische Linke Kataloniens (Esquerra Republicana de Catalunya; ERC) und die Candidatura d’Unitat Popular (CUP, deutsch: Kandidatur der Volkseinheit) haben eine Mehrheit im Regionalparlament verteidigt, auch wenn sie zwei Sitze verloren haben. Wieder einmal haben jedoch die abgegebenen Stimmen keine Mehrheit der WählerInnen für die Unabhängigkeit aufgewiesen: der Stimmenanteil dieser drei Parteien betrug nur 47,2 Prozent. Die größte Partei im katalanischen Parlament ist die neoliberale Anti-Unabhängigkeitspartei Ciudadanos (deutsch: StaatsbürgerInnen) unter der Führung von Inés Arrimadas. Sie gewann 1,06 Millionen Stimmen, das sind 25,4 Prozent der WählerInnen.

Abfuhr für Rajoy

Nichtsdestotrotz stellen diese Ergebnisse eine scharfe Abfuhr an Mariano Rajoy und seinen „konstitutionellen“ Staatsstreich gegen die Autonomie der Provinz und ihre gewählte Regierung dar. Berücksichtigt man die 312.000 Stimmen, 7,4 Prozent und 8 Sitze von Catalunya en Comú (CatComu; deutsch: Katalonien Für Alle), so hat eine klare Mehrheit Rajoy und seinen Staatsstreich abgelehnt. Dies wurde durch die Tatsache unterstrichen, dass seine Volkspartei in Katalonien (Partido Popular de Cataluña, PPC; deutsch: Katalanische Volkspartei) unter der Führung von Xavier García Albiol sieben ihrer elf Sitze und etwa die Hälfte ihrer Stimmen verloren hat.

Solange Rajoy in Madrid den Zugriff auf die Macht behält, kann er dank der beschämenden Unterstützung, die er im Parlament von der spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) erfährt, weiter sein Gewicht in die Waagschale werfen und auf staatliche Unterdrückung zurückgreifen. Einige der neu gewählten Abgeordneten befinden sich derzeit im Gefängnis oder „Exil“ und können daher nicht für eine separatistische Regierung stimmen. Obwohl sie ihre Sitze zugunsten von KandidatInnen, die auf den Parteienlisten weiter unten stehen, aufgeben könnten, ist es wahrscheinlich, dass die Regierung und die Justiz von Madrid sich weigern würden, eine solche Regierung anzuerkennen, und den Artikel 155 beibehalten oder wieder anwenden wollen.

Als Zeichen dieser Absichten hat ein Richter des Obersten Gerichtshofs, Pablo Llarena Conde, am Tag nach der Wahl die Anklagepunkte der Rebellion, der Aufwiegelung und des Missbrauchs öffentlicher Gelder auf eine Reihe weiterer ehemaliger MinisterInnen und BeamtInnen ausgedehnt. Tatsächlich würde die katalanische Autonomie ausgesetzt bleiben und jede noch so formale und symbolische Missachtung durch die Regionalversammlung wird mit weiteren Festnahmen und Repressionen einhergehen. Alternativ kann Rajoy eine spanische Parlamentswahl ansetzen, die er hysterisch anti-katalanisch und chauvinistisch führen würde.

Gesten der Missachtung gegenüber Rajoy bleiben wirkungslos, wenn und solange nicht eine aktive Mehrheit der KatalanInnen, insbesondere der katalanischen ArbeiterInnen, bereit ist, über Demonstrationen und Abstimmungen hinauszugehen und direkte Maßnahmen zu ergreifen, die als absolutes Minimalziel die Wiederherstellung der Befugnisse einer autonomen Regierung und eines autonomen Parlaments zum Ziel haben. Die Tatsache, dass sich eine Mehrheit der katalanischen ArbeiterInnen gegen die Unabhängigkeit ausspricht, neben der, dass die NationalistInnen dies zu ihrer ersten und letzten Forderung machen, bedeutet jedoch bisher, dass sich keine aktive Einheitsfront des Widerstands gegen Rajoys Unterdrückung gebildet hat.

Perspektive

Wenn die NationalistInnen jedoch aus der Sackgasse herauskommen wollen, in der sie sich befinden, d. h. aus dem Mangel an Rückendeckung durch soziale Kräfte, die bereit und in der Lage sind, Maßnahmen gegen Rajoy und die PP-Regierung zu ergreifen, müssen sie sich auf unmittelbare und brennende demokratische Forderungen konzentrieren und die Arena ihres Kampfes für ihre Rechte auf einer gesamtspanischen Basis sehen. Obwohl die katalanischen Parteien Verhandlungen mit Madrid gefordert haben, gibt es keinen Grund zu der Annahme, dass Rajoy jetzt substantielle Gespräche führen wird. Nachdem er den Dämon des spanischen Chauvinismus aus der Flasche gelassen hat, wäre es schwierig, diesen wieder dahin zurückzubringen, selbst wenn er es wollte.

Angesichts der Tatsache, dass die Partido Popular, unterstützt von der reaktionären Justiz und der Monarchie der Bourbonen, den Nationalitäten, aus denen sich der spanische Staat zusammensetzt, das Recht auf Selbstbestimmung vorenthält, wenn sich zudem die Konservativen nach Francos Ableben mit der undemokratischen Konstitution von 1978 bewaffnet haben, kann es keine verhandelte und verfassungsmäßige Lösung dieser tiefen politischen Krise geben.

Nur die Verdrängung der PP-(Minderheits-)Regierung und die Abschaffung der „Post-Franco“-Verfassung können den Weg zu einer Lösung ebnen, die es den KatalanInnen ermöglicht, zu entscheiden, ob sie sich von Spanien abspalten oder Teil einer Bundesrepublik sein wollen, die den Nationalitäten des Landes eine von Madrid aus nicht mehr aufhebbare Autonomie verleiht.

DemokratInnen und SozialistInnen in ganz Spanien sollten auf der Straße und durch Generalstreik den Rücktritt Mariano Rajoys und seiner gesamten Regierung, die Abdankung Felipe (VI.) de Borbóns und die Einberufung von Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlung fordern.

Es ist unerlässlich, diese demokratischen Fragen mit dem Ende der Sparzwangspolitik zu verbinden, die die Massenarbeitslosigkeit, vor allem für die Jugendlichen, die zunehmende Obdachlosigkeit und die Wiederinbesitznahme der Häuser der Menschen sowie die Verarmung der Gesundheits- und Sozialdienste verschlimmert haben. Ein Kampf gegen diese sozialen Probleme und gegen die Notlage von Flüchtlingen, die vor Armut und Krieg in Afrika und im Nahen Osten fliehen, kann die ArbeiterInnenklasse im ganzen Land vereinen und die kapitalistischen Regierungen von Mariano Rajoy und Carles Puigdemont entlarven.

In ganz Spanien sollten Gewerkschaften, linke, sozialistische Parteien und antikapitalistische Jugendliche ihre Kräfte auf lokaler und nationaler Ebene mobilisieren, um Aktionen zu starten. Sie müssen Ausschüsse oder Räte bilden, um den Kampf zu organisieren, um Massenkräfte zu mobilisieren, die in der Lage sind, sich gegen die repressiven Kräfte des Staates zu verteidigen, und um eine Revolution durchzuführen, die alle wichtigen demokratischen und sozialen Forderungen erfüllt und die Macht der Arbeiterinnenklasse einsetzt, um deren Umsetzung zu gewährleisten. Im Laufe dieses Kampfes muss das Ziel der Wiederherstellung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei, die frei von Verblendungen des Populismus und Nationalismus ist, angegangen werden.

Im Vordergrund der Forderungen der Bewegung sollten stehen:

  • Die Rücknahme von Artikel 155 und die vollständige Wiederherstellung der Autonomie der katalanischen Generalitat!
  • Die bedingungslose Freilassung aus dem Gefängnis und Einstellung aller Anklagen gegen die ehemaligen katalanischen MinisterInnen und FührerInnen der Unabhängigkeitsorganisationen!
  • Der Abzug der Repressionskräfte in Form der Spezialeinheiten der Polizei und der Guardia Civil aus Katalonien und die Abschaffung der Kontrolle Madrids über die dortige Regionalpolizei (Mossos d’Esquadra)!
  • Ein Ende der sozialen Kürzungspolitik, die sowohl auf spanischer als auch auf katalanischer Ebene umgesetzt wird!
  • Nieder mit Rajoy und der reaktionären Monarchie! Für eine föderale ArbeiterInnenrepublik in Spanien und Katalonien!

 




Katalonien: Hände weg von Autonomie und demokratischen Rechten

KD Tait, Infomail 969, 2. November 2017

Am 27. Oktober erklärte das katalanische Parlament seine Unabhängigkeit mit 70 zu 10 Stimmen bei 55 Enthaltungen. Der spanische Staat reagierte darauf, indem er den katalanischen Ministerpräsidenten und seine Regierung aus dem Amt entfernte, das Parlament auflöste und die Kontrolle über Regierung, Polizei und Medien der Region übernahm.
Für den 21. Dezember sind Neuwahlen angesagt. Bis dahin wird Soraya Sáenz de Santamaría, stellvertretende Ministerpräsident des Landes von der regierenden Partido Popular, die Amtsgeschäfte in Katalonien führen.
Die Weigerung des spanischen Staates, den KatalanInnen ihr demokratisches Recht auf ein Referendum über die Unabhängigkeit zu gewähren, bedeutet, dass die Regierung von Mariano Rajoy die Hauptverantwortung für die politische Krise tragen muss, die das Land heimgesucht hat.
Die Verhaftung katalanischer NationalistInnen, die Drohungen, die autonome Regierung aufzulösen und der gewaltsame Versuch, das Referendum zu unterbrechen, waren keine Verteidigung der Demokratie, sondern eine des Monopols des spanischen Zentralstaates über die nationalen Rechte seiner Völker.
Bei Drucklegung hat der Generalstaatsanwalt von Madrid Anklage wegen Rebellion, Aufruhr und Missbrauchs öffentlicher Gelder gegen die ehemalige katalanische Regierung und den Sprecherausschuss des katalanischen Parlaments erhoben. Diese Strafmaßnahme wurde durch den politischen Zusammenbruch der katalanischen NationalistInnen und das Versäumnis der spanischen ArbeiterInnenbewegung ermöglicht, die rücksichtslose Kriminalisierung der Unabhängigkeitsbewegung durch Rajoy zu stoppen.

Trennendes

Die Unabhängigkeitserklärung von etwas mehr als 50 Prozent des katalanischen Parlaments erwies sich jedoch als ein Abenteurertum, bei dem Tragödie und Farce nahe beieinander liegen. Nachdem die BefürworterInnen der Lostrennung einen eigenen Staat proklamiert hatten, taten sie nichts, um ihn zu einer Realität werden zu lassen.
So nahm Rajoy die Erklärung zum Vorwand, eine direkte Herrschaft des spanischen Zentralstaates durchzusetzen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die katalanische Bevölkerung weiterhin gespalten über nationale Loyalitäten bleibt, anstatt sich auf die Verteidigung ihrer gemeinsamen demokratischen Rechte zu einigen.
Es war ein absurdes Ende der Wochen der Lähmung und Ungewissheit nach dem Referendum am 1. Oktober, dessen Ergebnis die bisher vereinigten separatistischen Kräfte sofort spaltete. Die Partei von Carles Puigdemont, die PDeCAT, ist eine durch und durch neoliberale bürgerliche Partei, die sich erst vor kurzem zur separatistischen Sache bekehrte – auch, um von den Folgen ihrer Sparpolitik und der eingefleischten Korruption abzulenken. Unvermeidlich kam sie unter anhaltenden Druck ihrer eigenen Klasse, keine einseitige Unabhängigkeitserklärung abzugeben.
Umgekehrt drängten die beiden wichtigsten kleinbürgerlichen nationalistischen Parteien, die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) und die Kandidatur der Volksunion (CUP), wütend auf eine sofortige Erklärung.
Rajoy spürte, dass er Puigdemont an den Seilen festgenagelt hatte, und wollte keine Konzession oder Duldung einer formalen externen Vermittlung anbieten. Jetzt ist jedoch klar, dass hinter den Kulissen eine Vermittlung stattgefunden hat, bei der die Europäische Union Rajoy drängte, sich zurückzuhalten und ihr Zeit zu geben, Puigdemont selbst unter Druck zu setzen.

Spaltungen

Puigdemonts Verwirrspiel bedeutet, dass sein Widerstand gegen die Übernahme Madrids symbolträchtig sein wird. Wenn dies so bleibt und seine Partei die Teilnahme an den Wahlen im Dezember akzeptiert, wird dies wahrscheinlich die separatistischen Kräfte weiter spalten. Die kleinbürgerlichen Radikalen der CUP, die Puigdemonts Sparregierung unterstützt haben, werden sich besonders verraten fühlen, um nicht zu sagen: betrogen.
Auf der anderen Seite werden KatalanInnen, die sich gegen die Art und Weise wandten, wie das Parlament das Referendum ansetzte, und es deshalb boykottieren und durch die einseitige Unabhängigkeitserklärung davon noch weiter entfremdet worden sind, versucht sein, sich hinter den Parteien zu versammeln, die sich der Unabhängigkeit widersetzen. Wenn dies in Unterstützung für die katalanischen Sektionen der Partido Popular, Ciudadanos und der SozialistInnen (PSOE) übersetzt wird, wird es den reaktionärsten Kräften in Spanien einen Sieg schenken.
Einige UnabhängigkeitsbefürworterInnen hoffen, dass ein Sieg der NationalistInnen bei der bevorstehenden Volksabstimmung als juristisches Referendum fungieren und Madrid und Brüssel zum Nachgeben zwingen wird. Diese Hoffnung wird wahrscheinlich enttäuscht werden, obwohl der ERC und die CUP wahrscheinlich auf Kosten der PDeCAT gewinnen werden. Aber es ist zweifelhaft, ob es je eine eindeutige Mehrheit für eine Lostrennung in der Bevölkerung gegeben hat, und deren BefürworterInnen werden darüber hinaus bei den Wahlen einander gegenseitig beschuldigen und gespalten wie nie zuvor antreten.
So wie die katalanischen NationalistInnen durch die Niederlage gespalten werden, so kann auch der Sieg die SiegerInnen spalten. Es ist möglich, dass Rajoy, von den reaktionären Franquisten unter Druck gesetzt, überreizen könnte, was zu neuem Widerstand seitens der Unabhängigkeitsbewegung und demokratischer Kräfte führen könnte.
Die Vorwürfe von Aufruhr, Rebellion und Veruntreuung gegen katalanische MinisterInnen, die möglicherweise von den Wahlen im Dezember ausgeschlossen werden, zeigen, dass die Zentralregierung ernsthaft versucht ist, auf das Argument der Gewalt zurückzugreifen, anstatt das Ergebnis des Meinungsstreits zu riskieren.
Die Wahlen sind natürlich objektiv ein Diktat der Madrider Regierung, um der Aushebelung der Autonomie und der Unterstellung der Behörden in Katalonien eine „demokratische“ Legitimation zu verleihen. Aufgrund des politischen Versagens der Führung der Unabhängigkeitsbewegung, die „passiven Widerstand“ ankündigte, von dem bislang nichts zu sehen war, kann eine Teilnahme an den reaktionären Wahlen taktisch notwendig werden. Das hängt in erster Linie davon ob, ob es zu Massenwiderstand kommt und zweitens die Regierung in Madrid Wahlen zulässt, die ein offenes Antreten ihrer GegnerInnen erlauben. Sollte diese das blockieren, so dass jeder Zweifel an der Berechtigung der Wahlen haben muss, dann wäre die einzig angemessene Antwort ein aktiver Boykott und ein Generalstreik, um Rajoy daran zu hindern, eine Krönung der Parteien des spanischen Imperialismus zu organisieren.

Selbstbestimmung

Rajoys Beharrlichkeit, dass die KatalanInnen kein Recht haben, zu entscheiden, ob sie sich von Spanien trennen, ist ein Verstoß gegen das Grundrecht der Nationen auf Selbstbestimmung. Seine Behauptung, dieses Recht sei in der Verfassung von 1978 nicht möglich, mag zwar formal zutreffen, doch beweist dies nur ihren undemokratischen Charakter.
Wenn sich eine Nation innerhalb eines Staates unterdrückt fühlt, muss ihr Recht auf Selbstbestimmung auch ein Recht auf Abspaltung beinhalten – oder dieses Recht ist letztlich hohl. Beinhaltet die Zugehörigkeit einer Nation zu einem gemeinsamen Staat nicht auch das Recht auf selbstbestimmten Austritt, so basiert die „Einheit“ letztlich auf Zwang. Natürlich bedeutet das Recht auf Lostrennung wie jedes Recht keine Verpflichtung, es auszuüben – ganz so wie das Recht auf Scheidung auch keine Verpflichtung zu ebendieser bedeutet.
Generell sprechen sich SozialistInnen zugleich für die größtmögliche Einheit der ArbeiterInnenklasse aus und lehnen Maßnahmen ab, die die Produktivkräfte beschränken, national zersplittern, die wir kontrollieren, der herrschenden Klasse entreißen und in den Dienst der Produktion für die menschlichen Bedürfnisse stellen wollen. Aus diesen Gründen sind wir generell nicht dafür, große Staaten oder Föderationen in kleinere aufzuspalten, denn eine solche Spaltung führt fast zwangsläufig zu einer Zunahme nationalistischer Vorurteile zwischen den Lohnabhängigen. Für SozialistInnen ist klein nicht schön, aber die Trennung stellt ein geringeres Übel dar als eine Einheit, die nur durch Gewalt und Betrug aufrechterhalten werden kann.
Der Versuch der spanischen Regierung, das Referendum zu verhindern, war eine Verletzung eines elementaren demokratischen Rechts, ob man nun mit der Sezession oder mit den Mitteln, die zur Durchführung des Referendums benutzt wurden, einverstanden ist oder nicht. Durch diese Maßnahmen hat Madrid das Recht auf Mitsprache bei der Entscheidung der KatalanInnen über ihre Zukunft verloren.
Bedeutet dies, dass SozialistInnen derzeit die völlige Unabhängigkeit Kataloniens unterstützen sollten? Nein, nicht, solange die Bevölkerung der Provinz nicht frei und ungehindert wählen kann. Dank der undemokratischen Neigung von Rajoy und Puigdemont wurde das Referendum nur mit 43 Prozent Zustimmung abgehalten. Das bedeutet nicht, dass diejenigen, die sich der Stimme enthielten, gegen die Unabhängigkeit waren, aber das Ergebnis ist eindeutig kein unbestreitbares Mandat, Menschen in die Unabhängigkeit zu zwingen.
Wenn Neuwahlen eine klare Mehrheit für separatistische Parteien darstellen oder wenn der Widerstand gegen Rajoys Unterdrückung die katalanische ArbeiterInnenklasse in eine allgemeine Mobilisierung unter dem Ruf nach Unabhängigkeit zieht, dann wäre es die Pflicht der SozialistInnen in ganz Spanien und Europa, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um dem katalanischen Proletariat bei der Erreichung des Unabhängigkeitsziels zu helfen. Allerdings hat die katalanische ArbeiterInnenbewegung bisher wenig Hinweise auf eine breite Unterstützung für die Unabhängigkeit gegeben. In der Tat dürfte auch sie, ähnlich wie die Gesamtbevölkerung, gespalten sein – und zwar aus reaktionären Motiven ebenso wie aus einer Ablehnung der neo-liberalen Politik Puigdemonts.

Widerstand

Die Auferlegung von Artikel 155 ist schlicht und ergreifend ein Affront gegen die Demokratie. Wenn Rajoy, der Senat, der Oberste Gerichtshof und König Felipe VI. in Katalonien einen Sieg erringen, wird dies nicht nur für die EinwohnerInnen der Region, sondern auch für die fortschrittlichen Kräfte in ganz Spanien ein schwerer Schlag sein.
Es ist die Pflicht der SozialistInnen im übrigen Spanien, seine Umsetzung zu behindern, die Freilassung der beiden Jordis, ein Ende der Verfolgung von für die Unabhängigkeit eintretenden PolitikerInnen und die Wiederherstellung der Autonomie der katalanischen Institutionen zu fordern, die Neuwahlen zum katalanischen Parlament unter ihrer eigenen Autorität einberufen sollten. Die Führung von Podemos hat Rajoys Staatsstreich angeprangert. Gut. Aber ebenso sollten sich die Gewerkschaftsverbände CC.OO. und UGT gegen Rajoys Verfassungscoup und die Verhaftung katalanischer FührerInnen aussprechen. Die Linken in der PSOE sollten sich vom Verräter Pedro Sánchez lösen, der sich entschieden hat, die Verfassung zu verteidigen und nicht das Selbstbestimmungsrecht der KatalanInnen zu unterstützen.

Wahlen

Wenn es andererseits, wie es möglich scheint, keine Massenopposition gegen die Unterdrückung der katalanischen Autonomie durch Rajoy gibt, so sollten sich die SozialistInnen in Katalonien darauf vorbereiten, mit ihren eigenen Losungen und Programm daran teilzunehmen.
Die ArbeiterInnenklasse Kataloniens sollte Carles Puigdemont, dem ERC oder den nationalistischen „AntikapitalistInnen“ der CUP kein Vertrauen schenken. Die SozialistInnen sollten sich um eine Plattform für die Verteidigung der demokratischen und nationalen Rechte, ein sozialistisches Programm zur Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes durch Besteuerung und Enteignung der Reichen und eine verfassungsgebende Versammlung zur Schaffung einer Verfassung auf der Grundlage einer demokratischen Föderation der sozialistischen Republiken in Spanien vereinigen. Mit einem solchen Programm können SozialistInnen die nationalistischen Spaltungen überwinden und eine Klassenopposition gegen Rajoy und Puigdemont sammeln.
Im übrigen Spanien sollte Podemos Unidos die Linke der PSOE drängen, mit der sozialchauvinistischen Führung der Partei zu brechen und dabei helfen, eine neue sozialistische Partei der ArbeiterInnenklasse zu gründen, die den Kampf anführen kann, Rajoys Regierung zu verjagen und Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlung zu fordern.
In einer solchen Versammlung sollten die SozialistInnen nicht nur für das Recht auf Selbstbestimmung bis hin zur Sezession kämpfen, sondern auch für die Abschaffung der bourbonischen Monarchie, des Senats und der nicht gewählten Justiz.
In ganz Europa sollten ArbeiterInnen und Jugend, sozialistische und Labourparteien die Aktionen von Rajoy und die beschämende Unterstützung durch die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union für sie verurteilen und Demonstrationen zur Unterstützung der demokratischen Rechte der KatalanInnen organisieren.




Rajoys Verfassungsputsch stoppen!

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Do 12. Oktober 2017

Die Madrider Rechtsregierung von Mariano Rajoy hat auf die Unabhängigkeitserklärung der katalanischen SeparatistInnen reagiert, indem sie den Prozess der Anrufung von Artikel 155 der spanischen Verfassung in Gang setzte, der die katalanische Autonomie aufheben und das regionale Parlament auflösen würde. Dies bedeutet: Carles Puigdemont, der katalanische Präsident, soll bestätigen, ob er die Unabhängigkeit Kataloniens erklärt hat oder nicht. Wenn er „Ja“ sagt, würden die Maßnahmen der Aussetzung der Autonomie in Kraft treten. Bei einem „Nein“ wird die separatistische Bewegung in Verwirrung geraten, weil die linksnationalistische CUP damit droht, ihre Unterstützung für die Minderheitsregierung von Puigdemont zurückzuziehen.

Die Verwirrung kommt daher, dass Puigdemont eine Erklärung über die Unabhängigkeit unterzeichnete, aber dann sofort deren Implementierung „für ein paar Wochen aussetzte“, um Verhandlungen mit Madrid zu ermöglichen. Dieser Schwenk kam nach einer Woche der Unschlüssigkeit, in der dieser politische Vertreter der katalanischen Bourgeoisie einem intensiven Druck seitens der Banken und Großindustriellen als auch Interventionen hinter den Kulissen durch die Europäische Union unterworfen war.

Es ist klar, dass die große Mehrheit der KapitalistInnen Kataloniens gegen die Unabhängigkeit ist. Die Hauptorganisation der Bosse, der Foment del Treball Nacional, verurteilte die Regierung von Barcelona dafür, dass sie „die Grenzen zur Illegalität“ überschritten und damit Katalonien in „nationalen und internationalen in Misskredit“ gebracht und möglicherweise gar an den Rand „wirtschaftliche Insolvenz“ gebracht habe.

Zwei Dutzend Unternehmen, darunter die meisten Großunternehmen der Region, haben entweder ihren Hauptsitz aus der Provinz verlegt oder ihre Bereitschaft dazu bekundet. Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, warnte Puigdemont, er solle „die verfassungsmäßige Ordnung respektieren“.

Rajoy wittert jetzt Blut. Er will sicherstellen, dass Puigdemonts Abenteuer in schändlicher Unterwerfung unter die Autorität Madrids, der Monarchie und Verfassung endet. Wenn dieser nicht nachgibt, wird Rajoy versuchen, die Frage praktisch durch die Errichtung einer Diktatur über Katalonien zu lösen. Deshalb wurden im Vorfeld der Volksabstimmung 20.000 PolizistInnen in die Provinz geschickt. Natürlich ist das auch ein gewagtes Spiel, aber Rajoy hat bereits die Kräfte des spanischen Chauvinismus mobilisiert, um den Boden dafür zu bereiten.

Ein Sieg für Rajoy würde die Tür zu einer allgemeinen Offensive gegen die anderen von der Partido Popular (PP) missachteten demokratischen und sozialen Rechte öffnen. Ein Sieg in Katalonien würde vermutlich vom Sieger mit einer Neuwahl besiegelt, um sich eine absolute parlamentarische Mehrheit zu sichern, die dann als Kampfmittel gegen die gesamte ArbeiterInnenklasse eingesetzt wird.

Widerstand

Nur eine allgemeine direkte Aktion von ArbeiterInnen und Jugendlichen in Katalonien und schließlich in ganz Spanien kann Francos ErbInnen an der Durchführung ihres lange gehegten Wunsches hindern, ein Exempel an den KatalanInnen zu statuieren und die demokratischen Rechte der ArbeiterInnenklasse ganz Spaniens mit Füßen zu treten.

Das ganze Land befindet sich an einem Scheideweg, wo die Frage der Revolution oder Konterrevolution keine Übertreibung ist. Wenn Rajoy die katalanischen NationalistInnen durch Einschüchterung oder Gewalt zur Kapitulation zwingt, wird es einen noch nie da gewesenen Rückschlag für Spaniens 40 Jahre alte Demokratie darstellen. Der Ernst der augenblicklichen Lage erfordert eine angemessene Reaktion von Seiten der katalanischen ArbeiterInnen- und Sozialbewegungen: einen allgemeinen, unbefristeten Generalstreik, um die Initiative zu übernehmen und die Macht den Händen der einen bekriegenden bürgerlichen Fraktionen zu entreißen und der organisierten ArbeiterInnenklasse zu übertragen.

Die unmittelbaren Ziele eines solchen Generalstreiks sollten sein:

  • Aufhebung der Inkraftsetzung von Artikel 155 und jeder Einmischung Madrids in den bestehenden Autonomiestatus!
  • Rückzug aller Polizei-, Militär- und paramilitärischen Einheiten der Zentralregierung aus Katalonien!
  • Ausdehnung der Verteidigungsausschüsse des Referendums auf Instrumente der ArbeiterInnenklasse als Ganze, die Einbeziehung sowohl von BefürworterInnen wie GegnerInnen der Unabhängigkeit! Diese sollten Delegierte in lokale und nationale Führungspositionen wählen.

Ein Appell an die ArbeiterInnenbewegungen außerhalb Kataloniens, ihre Passivität aufzugeben und die Aktion aufs gesamte Land auszudehnen gemäß dem Grundsatz, dass ein Schaden für einen ein Schaden für alle ist!

In ganz Spanien ist die Frage, die Rajoys Verfassungscoup aufwirft, nicht Kataloniens sofortige Trennung, sondern das Recht einer jeden Nation auf volle Autonomie und Selbstbestimmung!

Führung

Obwohl die Lohnabhängigen und die Jugend Spaniens Puigdemont gegen die schrecklichen Bedrohungen durch die PP verteidigen sollten (einschließlich der, dass er dasselbe Schicksal erleiden könnte wie der historische katalanische nationalistische Führer Luis Companys, 1940 von Franco ermordet), hat seine Schwäche gezeigt, dass seine durch und durch bürgerliche und neoliberale PDeCAT-Partei nicht eine erfolgreiche Verteidigung der demokratischen Rechte führen kann. Nur die ArbeiterInnenschaft hat das gemeinsame Interesse und besitzt die kollektive Kraft, um das zu tun.

Der PSOE-Führer, Sánchez, hat schändlich Rajoy in jeder Phase der Krise zur Seite gestanden, und Podemos, die das Recht auf ein Referendum unterstützt und sich gegen die Anwendung von Artikel 155 ausspricht, fordert weiterhin zum Dialog auf: eine pazifistisch-utopische Lösung.

Ein Sturm spanischen Chauvinismus’ ist durch den Konflikt zwischen den nationalistischen Lagern ausgelöst worden, der sogar die FaschistInnen hat aus den Niederungen kommen lassen. Er wird nicht zum Halt gezwungen werden, Katalonien niederzuwalzen, wenn die Massenbewegung sich weiterhin an die Rockschöße der für die Unabhängigkeit eintretenden katalanischen Kleinbourgeoisie klammert.

Es gilt, die Einheit der ArbeiterInnen und Angestellten, Jugendlichen, Arbeitslosen und RentnerInnen in ganz Spanien zu stärken, um die demokratischen Rechte zu verteidigen, indem sie Rajoy und die PP aus der Regierung jagen. Solche Einheit der Massen wurde zuletzt während der 15M-Bewegung gegen die Sparpakete lebendig, als ArbeiterInnen und Jugendliche Plätze in Madrid, Barcelona und vielen anderen Städten in jedem Teil des Landes besetzten. Der Ersatz der direkten Massenaktion durch Podemos’ Fixiertheit auf Wahlen hat die Aushöhlung dieser spontanen Einheit zur Folge gehabt. Es gibt jetzt eine akute Führungskrise innerhalb der progressiven, fortschrittlichen Kräfte in ganz Spanien, die das Terrain des Kampfes zugunsten „radikal“-linker NationalistInnen aufgegeben haben, die im Separatismus den einzigen Weg vorwärts sehen.

Außerhalb Kataloniens liegt die Pflicht und Verantwortung bei den SozialistInnen in Podemos, dem linken Flügel der PSOE und BasisaktivistInnen von CC.OO. und UGT, um über ohnmächtige Forderungen nach Verhandlungen hinaus und stattdessen auf die Straßen zu gehen und sich an den Arbeitsplätzen, Bildungseinrichtungen und in ArbeiterInnenwohngebieten für Massenaktionen zu rüsten, um die Regierungsoffensive zu vereiteln, bevor sie weitere Kreise zieht.

ArbeiterInnenmacht

Die Regierungen der Europäischen Union, die stillschweigend oder offen die betrügerische „Legalität“ Rajoys und die Polizeirepression bestärkt haben, sind die Feindinnen der spanischen Lohn- und GehaltsempfängerInnen und ihrer demokratischen Rechte. Ihre Solidarität mit Rajoys Aktionen zeigt ihre Missachtung der Demokratie und ist ein Hinweis darauf, was sie ihrer eigenen ArbeiterInnenklasse antun würden, wenn sie damit durchkämen. Wenn es um demokratische und nationale Rechte geht, dann achten die KapitalistInnen, ob für oder gegen die Unabhängigkeit, nur auf ihre eigenen Interessen.

Es sind die ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegungen, ArbeiterInnenparteien und radikale Jugend Europas, an die die katalanische LohnarbeiterInnenschaft appellieren sollte, und die verpflichtet sind, ihnen zu Hilfe zu kommen.

Gegen den nationalen Chauvinismus und Separatismus, der katalanische ArbeiterInnen gegen die Klassengeschwister im Rest des Landes Hahnenkämpfe ausfechten lässt, sollten SozialistInnen sich für eine ArbeiterInnenregierung stark machen, bestehend aus in den ArbeiterInnenwohngebieten, Betrieben, Bildungseinrichtungen und Gewerkschaften gewählten Delegierten und Betriebs-, Schul- und Universitätskomitees, die von den Verteidigungsausschüssen geschützt werden.

Eine ArbeiterInnenregierung in Katalonien und Spanien sollte Wahlen zu einer souveränen verfassunggebenden Versammlungen einberufen, deren Aufgabe es ist, die undemokratischen Utensilien der Verfassung von 1978, einschließlich der Monarchie, des Senats und des Obersten Gerichtshofs hinwegzufegen; die Sparpolitik zu beenden und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem sie Banken, Industrie und Kapitalistenvermögen unter ArbeiterInnenkontrolle stellt und die nationale Frage durch eine freie Assoziation der Völker in einer sozialistischen Föderation der Iberischen Halbinsel löst.




Verteidigung der demokratischen Rechte in Spanien und Katalonien

Dave Stockton, Infomail 965, 9. Oktober 2017

Die Gewaltanwendung der spanischen Regierung zur Unterbrechung des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums hinterließ fast 900 durch die Polizei verletzte Personen und löste die schwerste Verfassungskrise des Landes seit der Wiedereinsetzung der Demokratie 1978 aus. Premierminister Mariano Rajoy von der regierenden Partido Popular (PP) hatte die Unverschämtheit zu behaupten: „Der Staat antwortete mit Festigkeit und Gelassenheit.“

Videos der paramilitärischen Guardia Civil (Nationalgendarmerie), die sich den Weg in Wahllokale bahnt, um Wahlurnen abzutransportieren, auf WählerInnen einschlägt und Gummigeschosse in Menschenmassen schießt, schildern den schwersten und aggressivsten Angriff auf die Demokratie in der Europäischen Union seit Jahrzehnten. Am 3. Oktober demonstrierten 700.000 Menschen in Barcelona und in ganz Katalonien gegen Rajoy, blockierten Proteste Straßen und Plätze.

Repression

Rajoys Hardlinerhaltung wurde durch unterstützende Äußerungen mehrerer europäischer Regierungen untermauert, wobei der britische Außenminister Boris Johnson bekräftigte:

„Das Referendum ist Sache der spanischen Regierung und des spanischen Volkes. Wir wollen, dass spanisches Recht und die spanische Verfassung respektiert und die Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird.“

Die EU selbst, die Rajoys Haltung bisher unterstützt, hat eine Erklärung abgegeben, in der sie ihre Unterstützung für die spanische Verfassung wiederholt und davor warnt, dass sich ein unabhängiges Katalonien außerhalb der EU befinden würde. Sie fügte einen Appell an beide Seiten hinzu, sich „von der Konfrontation zum Dialog“ zu bewegen. Dies ist vielleicht eine verschlüsselte Warnung an Madrid, nicht die Szenen zu wiederholen, die die BürgerInnen in ganz Europa schockierten – vor allem aber eine zynische Gleichsetzung der spanischen Regierung mit den Menschen, die für ihr nationales Selbstbestimmungsrecht eintreten.

Die spanische Verfassung verweigert den nationalen Minderheiten das Recht auf Selbstbestimmung und unterstützt daher die Bemühungen der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet aber, dass sie die Unterdrückung des überwältigenden Wunsches der katalanischen EinwohnerInnen nach einer demokratischen Abstimmung über ihre künftige Beziehung zu Spanien begünstigt.

Am 3. Oktober verteidigte König Felipes Fernsehsendung an die Nation Rajoy bis aufs Messer und behauptete, die gewählte katalanische Regierung und das Parlament hätten sich „außerhalb des Gesetzes“ gestellt. Diejenigen, die an dem Referendum teilgenommen hätten, zeigten „unzulässige Untreue gegenüber den Staatsmächten.“ Er sprach seine katalanischen „UntertanInnen“ weder direkt an, noch sprach er ein Wort auf Katalanisch.

Die Verantwortung für die Konfrontation liegt in erster Linie bei der Regierung von Rajoy, die sich offen weigerte zu verhandeln und der überwältigenden lokalen Nachfrage nach einem Referendum zur Klärung der Frage stattzugeben. Sie entsandte schließlich 16.000 PolizistInnen mit dem Befehl, die Abstimmung zu unterdrücken.

Trotz Gewalt und Einschüchterung ging die Abstimmung jedoch vor sich. 2.262.424 Stimmen wurden in den 75 bis 90 % der Wahllokale abgegeben, die offen blieben. Die Wahlbehörden veröffentlichten eine 90-prozentige Marge zugunsten der Unabhängigkeit bei einer Wahlbeteiligung zwischen 42 und 50 %.

Der Anblick von Hunderttausenden von Menschen, die Schlange standen, um in durch organisierte Verteidigungskomitees geschützten Wahllokalen zu wählen, wurde als inspirierende Ausübung von Volkssouveränität gefeiert. Alle VerteidigerInnen der Demokratie erkennen den Mut der Menschen in Konfrontation mit der Polizei an, um ihr Recht auf Abstimmung auszuüben. Das war an sich schon eine große Niederlage für Rajoy. Aber es ist wichtig anzuerkennen, dass bisherige Umfragen eine Mehrheit in der katalanischen Bevölkerung ergaben, die nicht unabhängig werden wollte. Darüber hinaus stimmte die Mehrzahl der Wahlberechtigten entweder gar nicht ab oder mit „Nein“. Zweifellos erfolgte dies großenteils vor dem Hintergrund krass undemokratischer Bedingungen, die Rajoy geschaffen hatte.

Es wäre natürlich nicht verwunderlich, wenn Rajoys Unterdrückung die in Umfragen vor den Angriffen ausgewiesene Minderheit für die Unabhängigkeit in eine Mehrheit verwandelt hätte, aber anhand der aktuellen Beweise können wir das nicht beurteilen. Daher würde eine einseitige und unwiderrufliche Unabhängigkeitserklärung durch die parlamentarische Mehrheit, geschweige denn durch Carles Puigdemont als Präsident der autonomen Regionalbehörde (Generalitat), die Gefahr der Spaltung der Bevölkerung in diejenigen für und gegen völlige Unabhängigkeit heraufbeschwören. Wenn es darum geht, Rajoys Angriff auf die Demokratie zu widerstehen, wäre dies ein Geschenk an ihn.

Da natürlich jede Art von demokratischen Wahlen behindert wird, verfügt das katalanische Volk nur über einen Generalstreik, Massendemonstrationen und Versammlungen, mit denen es seinen Willen kundtun kann. Dies sollte die Antwort auf die Versuche sein, die Regierung zu verhaften, das Parlament aufzulösen oder das Autonomiestatut auszusetzen.

Was nun?

Carles Puigdemont, Präsident der Generalitat, hat seine ursprüngliche Drohung aufgeschoben, die Unabhängigkeit „innerhalb von 48 Stunden“ auszurufen, und am Montag stattdessen die EU angefleht, internationale Schlichtung zu organisieren. Er bestand darauf: „Sie kann nicht länger wegschauen.“ Jetzt spricht er davon, die Unabhängigkeitserklärung Anfang nächster Woche zu verkünden.

Diese scheinbare Änderung des Ansatzes ist möglicherweise weniger ein Zurückweichen als Teil einer vorausschauenden Strategie. Puigdemont und seine Partei, die Europäische Demokratische Partei Kataloniens (PDeCAT), selbst relativ neu und opportunistisch bekehrt zum vollständigen katalanischen Separatismus, wusste, ein unter solchen Bedingungen durchgeführtes Referendum hätte kein klares Mehrheitsmandat zeitigen können. Aber er setzte darauf, dass die unvermeidliche Razzia der Polizei den separatistischen FührerInnen ungeheure moralische Legitimität verschaffen würde, Rajoys Autorität untergrübe und so teilweise dessen Unterstützung durch eine Minderheit sogar in Katalonien wettmachte.

Selbst der Streik vom 3. Oktober deutet darauf hin, dass jede einseitige Unabhängigkeitserklärung, die in wenigen Tagen erwartet wird – darauf besteht Puidgemont –, kleine klare Unterstützung der Mehrheit der KatalanInnen oder der ArbeiterInnenklasse in der Provinz genießen mag. Da auf der anderen Seite eine beträchtliche Mehrheit der KatalanInnen eindeutig über diese Frage mit ihrer Stimme entscheiden will, könnte eine weitere Unterdrückung durch Rajoy und die Guardia Civil zu einer Explosion führen.

Sozialchauvinismus

Das erste Opfer des Konflikts zwischen spanischen ChauvinistInnen und katalanischen NationalistInnen ist die ArbeiterInnenklasse auf der ganzen Halbinsel. Hätten ihre Spitzen eine klare und eindeutige Position der Unterstützung für das Recht, das Referendum abzuhalten, bezogen, Rajoy hätte es sich zweimal überlegen müssen, bevor er die Guardia Civil loslassen konnte.

Das Referendum wurde natürlich von Rajoy dazu benutzt, sichtbare Manifestationen der reaktionären Vergangenheit Spaniens zu ermutigen. Ein Sturm von spanischem Chauvinismus fegt durch das Land, die Nationalflagge sprießt auf Balkonen und aus Fenstern. Menschenmassen feuern die Polizei an, die nach Katalonien aufbricht. Die unvermeidliche Konsequenz dieses Antagonismus wird Gewalt sein, nicht nur gegen KatalanInnen, sondern gegen die anderen Minderheiten Spaniens, auch gegen MigrantInnen.

Dieser Woge schloss sich die PSOE an, die wichtigste Partei der spanischen Sozialdemokratie, deren Führer Pedro Sánchez seine Bitten an Rajoy, „zu verhandeln, zu verhandeln, zu verhandeln“, mit einem Ausdruck feiger Loyalität gegenüber der undemokratischen spanischen Verfassung, Monarchie und Justiz krönte.

„Ich möchte die uneingeschränkte Unterstützung der PSOE für die Rechtsstaatlichkeit Spaniens, seine Regeln und Institutionen, die Unterstützung der PSOE für die territoriale Integrität dieses Landes, das jetzt gefährdet ist, zum Ausdruck bringen. Wir befinden uns an einem Moment, wo das Allgemeininteresse die Oberhand über die Parteien erhalten muss. Es ist der Moment der Vernunft, des gesunden Menschenverstandes.“

Podemos’ gewöhnlich redseliger oberster Wortführer, Pablo Iglesias, war sehr zurückhaltend. Ja, er verurteilte Polizeigewalt und sagte, Rajoy hätte die SpanierInnen „beschämt“, aber die populistische Partei hat sich auf rein parlamentarische Verfahren beschränkt. Er appellierte an die PSOE, eine Koalition zu bilden, die das Recht der KatalanInnen auf Abstimmung anerkenne. Podemos’ MdEP, Miguel Urban, sagte: „Wir müssen uns vereinen, um Rajoy von der Macht zu verdrängen.“ Ja, ja, aber die notwendige Einheit beginnt nicht mit parlamentarischem Kuhhandel mit den Feiglingen in der PSOE. Sie beginnt auf der Straße.

Bemerkenswert ist auch, dass die katalanischen Sektionen der Gewerkschaftsverbände CC. OO. und UGT zwar den Streik am 3. Oktober 2017 unterstützten, die nationalen Vorstände in Madrid aber nicht.

Wenn die reformistischen FührerInnen der gesamtspanischen ArbeiterInnenbewegung, der politischen Parteien und Gewerkschaften nicht gegen Rajoy protestieren und die katalanischen Rechte unterstützen, werden sie den NationalistInnen aller Couleur in die Hände spielen und die Einheit der ArbeiterInnen des Landes weiter zerrütten. Die Einheit muss mit der Erkenntnis beginnen, dass Rajoys Angriff auf die katalanische Demokratie das dünne Ende des Keils auf allen ArbeiterInnen darstellt; eine landesweite Koordination der Linken und der ArbeiterInnenklasse ist notwendig, um auf den Straßen zu mobilisieren, der Spirale von Gewalt und nationalem Chauvinismus Einhalt zu gebieten.

Selbstbestimmungsrecht

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine große Mehrheit der KatalaInnen bei einem rechtsverbindlichen Referendum abstimmen wollte, selbst wenn sie gegen die Sezession sein sollte.

Dieses demokratische Wahlrecht sollte nicht der Regierung von Madrid oder dem Obersten Gerichtshof Spaniens übertragen werden. Natürlich enthält die spanische Verfassung von 1978 dieses Recht nicht. Eine ganze Reihe von Zugeständnissen an die demokratischen Grundsätze, die die reformistischen Kommunistischen und Sozialistischen Parteien an die Erben Francos gemacht haben, war das Ergebnis des berüchtigten Abkommens von Moncloa 1977. Sie schlossen die Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie mit ein, die Symbol eines verkommenen Systems bleibt, das hinweggefegt gehört, wenn die demokratischen Rechte des Volkes in ganz Spanien zum Zuge kommen sollen.

Es verstößt gegen Logik und demokratische Prinzipien, wenn man vorschlägt, dass eine Nation nur über sein eigenes Verhältnis zu einem Staat abstimmen darf, wenn der Staat das erlaubt. Das Recht einer Nation, darüber abzustimmen, ob sie Teil eines multinationalen Staates bleibt, kann nicht von der Zustimmung dieses Staates abhängen.

Würde dieses Recht anerkannt, müsste ebenso über die Folgen eines Abspaltungsbeschlusses verhandelt werden: die Grenzen, die Rechte von Minderheiten, das Eigentum an gemeinsamen Ressourcen, den Handel usw., da diese kein Ultimatum darstellen können, das eine Seite der anderen diktiert.

Gegen seine eigene Absicht hat Rajoys heftiges Vorgehen die Einheit des spanischen Staates mehr gefährdet als irgendein anderes Oberhaupt seit Francos Tod und den Verfassungs- und Autonomiebetrug entlarvt, der Spaniens Nationalitäten kein Abtrennungsrecht gewährt .

Widerstand

Ein wesentlicher Teil der katalanischen Linken und der katalanischen ArbeiterInnenklasse hat sich immer gegen den Separatismus gestellt. Linke in Katalonien sind in keiner Weise verpflichtet, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung als Ergebnis der Volksabstimmung zu bestärken. Was sie fordern sollten, ist der sofortige und bedingungslose Rückzug aller paramilitärischen und polizeilichen Kräfte der Madrider Zentralregierung aus Katalonien, da sie weit davon entfernt, die Personen und Rechte der gewöhnlichen Menschen zu beschützen, sie auf die widerlichste Weise verletzt haben.

Was wir brauchen, ist die Einheit der ArbeiterInnen im übrigen Spanien an der Seite ihrer katalanischen Schwestern und Brüdern im Angesicht der Unterdrückung durch Rajoy. Sozialistinnen müssen den sofortigen Abzug aller Polizei- und paramilitärischen Einheiten fordern, die nicht unter der Kontrolle des katalanischen Parlaments. stehen. In Katalonien sollen Automobil-, HafenarbeiterInnen, EisenbahnerInnen ihre eigene Selbstverteidigungsorganisationen vorbereiten, die sich mit den Gruppen, die die Wahllokale verteidigt haben, verbinden. Ihr Ziel sollte die Verteidigung der ArbeiterInnenviertel und -institutionen als Ganzes sein, unabhängig davon, ob sie für die Unabhängigkeit eintreten oder nicht.

Die wichtigsten Gewerkschaftsverbände, die in Katalonien vertreten sind, die ArbeiterInnenkommissionen (CC. OO.) und die Allgemeine ArbeiterInnenunion (UGT) unterstützten den Aufruf zum totalen Stillstand am Dienstag in ganz Katalonien und sagten, dass er weiter als ein „Generalstreik“ gegangen sei, weil er „BürgerInnen, LadenbesitzerInnen, Selbstständige, UnternehmerInnen, Gewerkschaften, TaxifahrerInnen und Institutionen“ einbeziehen sollte. Dennoch deuten Berichte darauf hin, dass die Unterstützung in den wichtigsten Industriezweigen und im Verkehrssektor sehr uneinheitlich war.

Dockarbeiter schlossen die Häfen von Barcelona und Tarragona. In der Nissan-Autofabrik streikten 70 % und stellten die Produktion ein. Auf der anderen Seite arbeitete Seat, der größte Automobilhersteller. Dies weist darauf hin, dass eine Unabhängigkeitserklärung der kleinbürgerlichen nationalistischen Parteien, die über eine Mehrheit im katalanischen Parlament verfügen, ein Abenteuer wäre, die Arbeiterklasse wahrscheinlich spaltete und schließlich Rajoy stärkte.

In jedem Fall kann sich ein wirksamer Generalstreik in Katalonien nicht darauf beschränken, eintägig zu protestieren oder eine Komparsenarmee für Puigdemont zu schaffen. Klar ist, dass die organisierte ArbeiterInnenschaft ihr gesamtes soziales Gewicht in die Waagschale des Kampfes gegen Rajoys Unterdrückung werfen muss. Ein Generalstreik sollte sich zwei miteinander verbundene Ziele setzen: einmal als organisierender Weckruf für die Mobilisierung der ArbeiterInnenbewegung in ganz Spanien zur Verteidigung der Demokratie und gegen Rajoy zu dienen und zweitens die Bedingungen zu schaffen, unter denen die ArbeiterInnenklasse die Initiative den nationalistischen AbenteurerInnen entwenden kann, deren Dominanz nur die Zunahme von nationaler Spaltung fördert.

Der Generalstreik ist immer, in seinem Potential, ein revolutionärer Akt: einer, der „unweigerlich vor allen Klassen der Nation die Frage aufwirft: Wer wird Herr des Hauses sein?“ Wenn Rajoy Herr bleibt, dann gibt es keinen Zweifel, dass sein Sieg nicht nur KatalanInnen, sondern auch den arbeitenden Menschen in ganz Spanien hart zusetzen wird. Die Geschichte der katalanischen ArbeiterInnenklasse und ihre Bedeutung für die spanische Wirtschaft zeigen, dass ein Generalstreik, wenn er sich von den SeparatistInnen befreien kann, das Potential besitzt, eine neue, revolutionäre Situation im ganzen Land einzuleiten.

Die Gewerkschaften in Katalonien sollten sich nicht auf Halbheiten beschränken, sondern einen umfassende und unbefristeten Generalstreik und die Einrichtung von lokalen DelegiertInnenräten verkünden, um ihn zu organisieren und zu leiten.

Eines der Ziele des Streiks sollte die Forderung sein, Wahlen für eine souveräne katalanische verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Diese könnte nach einer möglichst ausführlichen demokratischen Debatte zwischen Oppositionellen und BefürworterInnen der Unabhängigkeit entscheiden, ob man eine unabhängige katalanische Republik proklamiert oder eine landesweite Bewegung für eine verfassunggebende Versammlung im ganzen spanischen Staat auslöst. Das Ziel einer solchen Versammlung sollte es sein, alle Reste des Franquismus und damit der Bourbonenmonarchie, das Verfassungsgericht etc zu beseitigen. Durchgängige Demokratie in Spanien bedeutet die Schaffung einer echt föderalistischen Republik mit dem Recht, dass sich alle oder einige ihrer Völker von ihr trennen dürfen.

Unserer Ansicht nach steht es zwar nicht im Interesse der ArbeiterInnenklasse, Spaniens wirtschaftliche und politische Einheit zu zerbrechen, aber sie durch jeglichen Zwang oder Verfassungsbetrug aufrechtzuerhalten, ist weit schlimmer. Doch ein kapitalistisches Katalonien, Euskadi (Baskenland), Galicien usw. wird die Verhältnisse für die Arbeitenden nicht verbessern. Es wird sie schwächen, sollten sie der Täuschung erliegen, Opfer für die neue Nation bringen zu müssen.

Eine vereinte multinationale ArbeiterInnenbewegung und -partei kann sich andererseits das Ziel des Kampfs für eine sozialistische Republik setzen, welche die brennenden sozialen Probleme der Jugendlichen und Werktätigen in Spanien heute lösen kann.

In ganz Spanien und in der Europäischen Union sollten sozialistische und ArbeiterInnenparteien, GewerkschafterInnen und Jugendliche auf die Straße gehen, um zu fordern:

  • Rajoy, Hände weg von Katalonien! Rückzug aller Polizei- und Militäreinheiten, die der katalanischen Generalitat nicht treu ergeben sind!
  • Spanien- und europaweite Solidarität mit dem demokratischen Recht der KatalanInnen auf Selbstbestimmung über ihre eigene Zukunft!
  • EU-Regierungen müssen Rajoys Unterdrückung und alle weiteren Drohungen oder Angriffe verurteilen!
  • Wenn Rajoy das katalanische Autonomiestatut aussetzt oder die Regionalregierung festnimmt, sollen die europäischen Gewerkschaften und die einfachen Mitglieder einen Transport- und Handelsboykott gegen Spanien organisieren!



Nieder mit dem Staatsstreich Rajoys gegen Katalonien!

Dave Stockton, Neue Internationale 223, Oktober 2017

Das Referendum am 1. Oktober wird ohne jeden Zweifel zu einer weiteren Machtprobe zwischen der reaktionären Regierung Rajoy und der Unabhängigkeitsbewegung werden. Im folgenden Artikel, der noch im September 2017 verfasst wurde, gehen wir auf die Hintergründe und die aktuelle Zuspitzung ein.

Auslöser

Ausgelöst wurde die gegenwärtige tiefe politische Krise mit der Entscheidung des katalanischen Parlaments vom 6. September, am 1. Oktober eine bindende Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens abzuhalten. Am 7. September hat Spaniens Premierminister Mariano Rajoy das Verfassungsgericht in Madrid angerufen, um diesen Entscheid auszusetzen, dem das Gericht auch unverzüglich nachkam.

Carles Puigdemont i Casamajó, Chef der Junts pel Sí (Gemeinsam für Ja)-Koalitionsregierung, die im September 2015 gewählt worden war, wollte ursprünglich das Referendum zu Verhandlungen mit der Zentralregierung nutzen, doch Rajoy hatte dies wiederholt abgelehnt. Daraus resultierte Puigdemonts Aufruf zu einer einseitig legitimierten Abstimmung, was er auch ohne größere Debatten schnell durch das katalanische Parlament brachte. Damit verschreckte er jedoch Parteien, die zwar das Recht auf ein Referendum für die Unabhängigkeit unterstützen, aber nicht unbedingt einer Abtrennung das Wort reden würden.

Die arroganten Aktionen der Volkspartei-Regierung, die mithilfe der Guardia Civil die Durchführung der Abstimmung illegalisieren und verhindern sollen, haben nicht nur eine große politische Krise ausgelöst, sondern auch die BefürworterInnen und GegnerInnen der Unabhängigkeit in Katalonien vereinigt.

Büros der katalanischen Regierung wurden durchsucht und Plakate, Broschüren und Urnen beschlagnahmt. Berichten zufolge wurden am 20. September 10 Millionen Abstimmungszettel abgeholt und werden seither unter Verschluss gehalten. Außerdem wurden 12 ranghohe Beamte und Unternehmensspitzen in Gewahrsam genommen. Rajoy hat ferner fast unverhohlen damit gedroht, den Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, der das katalanische Autonomiestatut aufheben würde, und durchblicken lassen, sogar die katalanische Regierung und alle BeamtInnen bspw. BürgermeisterInnen, die die Volksabstimmung gestatten, unter Arrest zu stellen. Dies würde nichts anderes als einen Staatsstreich bedeuten.

Nachrichten, wonach die Guardia Civil in die Regierungsgebäude in Barcelona eingedrungen ist, darunter das Wirtschaftsministerium, legen nahe, dass der Staatsstreich bereits im Gange sein dürfte. Diese Vorkommnisse haben wütende Reaktionen von katalanischen PolitikerInnen hervorgerufen. In Madrid haben Parlamentsabgeordnete der Republikanischen Katalanischen Linken (Esquerra oder auch ERC) unter Protest den Kongress verlassen. Ein junger Feuerkopf namens Gabriel Rufián i Romero schleuderte Rajoy entgegen: „Nimm deine dreckigen Finger von den katalanischen Institutionen!“.

Widerstand

Die links orientierte Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau i Ballano, die eng mit Podemos verbunden ist, rief die Bevölkerung dazu auf, die „katalanischen Einrichtungen zu verteidigen“. Der linkere der beiden größten Gewerkschaftsverbände, die Arbeiterausschüsse CCOO meldete, dass seine Mitglieder eine Hauptstraße in Barcelona blockiert hätten.

Die Antwort der großen Protestmenge kam prompt: Sie umstellte die Regierungsgebäude. Spanische Sicherheitskräfte wollten auch die Hauptgeschäftsstelle der linken Partei Kandidatur für Volkseinheit (CUP) stürmen, mussten aber unter Triumph- und Hohnrufen wieder abziehen, nachdem eine Masse von DemonstrantInnen ihnen 8 Stunden lang den Weg versperrt hatte.

Die katalanische Regierung gab schließlich eine Verlautbarung heraus, dass die spanische Zentralregierung „an diesem Morgen de facto die Autonomie in Katalonien außer Kraft gesetzt“ habe.

Der Fußballverein FC Barcelona ließ in einer Presseerklärung mitteilen: „Der FC Barcelona steht treu zum historischen Bekenntnis für die Verteidigung der Nation, der Demokratie, der Redefreiheit und Selbstbestimmung und verurteilt jede Handlung, die die freie Ausübung dieser Rechte behindern könnte.“

Rajoys Reaktion war eine Fernsehausstrahlung, in der er wie ein Schuldirektor den KatalanInnen befahl: „Stoppt diese Eskalation des Radikalismus und des Ungehorsams ein für alle Mal!“

Zwar könnte der spanische Regierungschef auch darauf setzen, Katalonien nur einzuschüchtern, doch er spielt dabei mit dem Feuer. Jede größere Polizeirepression wird mit Sicherheit empörte Massenmobilisierungen und Besetzungen in Barcelona und ganz Katalonien hervorrufen. Diese Antwort wäre voll gerechtfertigt und die gesamte internationalistische Linke sollte alles in ihrer Macht Stehende tun, dies auch in Madrid und anderen Städten in Gang zu bringen.

Reaktionäre Verfassung und Unterdrückung

Die undemokratische Verfassung von 1978 streitet Spaniens nationalen Minderheiten ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung ab. Sie verkündet „die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, die gemeinsame und unteilbare Heimat aller SpanierInnen.“

Die Verteidigung und Zusicherung des Rechts für die KatalanInnen auf Selbstbestimmung ist eine elementare demokratische Forderung und sollte bei ArbeiterInnen und SozialistInnen in ganz Spanien und auch überall in Europa Rückhalt finden.

Das heißt jedoch nicht, dass SozialistInnen für eine Zustimmung zur Loslösung eintreten sollten oder für eine einseitige Unabhängigkeitserklärung durch die katalanische Regierung. Doch allem Druck vonseiten der madrilenischen Regierung, v. a. der Aussetzung des Autonomiestatuts oder der Inhaftierung von Regierungsmitgliedern und BürgermeisterInnen, muss mit Massenaktionen auf den Straßen einschließlich eines unbefristeten Generalstreiks begegnet werden.

Nichtsdestotrotz müssen wir darauf gefasst sein, dass diese Auseinandersetzung sehr wohl gefährliche und zerstörerische Kräfte des nationalen Chauvinismus, der Spaltung und Vergiftung des Bewusstseins der ArbeiterInnenklasse und der Jugend im gesamten spanischen Staat freisetzen könnte. Es ist kein Zufall, dass sowohl Rajoy wie auch Puigdemont an der Spitze von rechten neoliberalen bürgerlichen Parteien stehen und sehr erfreut wären, wenn sie die ArbeiterInnenschaft und andere fortschrittliche Kräfte zersplittern und aufeinanderhetzen könnten.

Die Antwort auf diese Gefahr für alle fortschrittlichen Elemente, linken Parteien und Organisationen, Gewerkschaften, die radikale Jugend muss in der Mobilisierung auf den Straßen und Plätzen in ganz Spanien liegen, um Rajoys Machtübernahme zu verhindern, die sofortige Einstellung der Aktionen der Guardia Civil in Katalonien und im Endergebnis den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aller Repressionsorgane zu erzwingen, damit die KatalanInnen ihre Abstimmung abhalten können. Alle sollten ohne Zwang und nach ausreichender demokratischer Debatte abstimmen dürfen.

Die KatalanInnen bilden zweifelsfrei eine Nation mit eigener Sprache und Kultur innerhalb des spanischen Staats. Diese Tatsache hätte ausdrücklich und eindeutig in der Verfassung nach der Ära Franco festgehalten werden müssen. Unter der Monarchie und dann unter der Franco-Diktatur erlitten sie ebenso wie die BaskInnen, GalicierInnen und andere kleinere sprachliche Gemeinschaften schwerwiegende nationale Unterdrückung durch den zentralisierten kastilischsprachigen Staat.

Nach dem Fall der Franco-Diktatur wurden die meisten dieser Unterdrückungselemente beseitigt und Autonomien gewährt in Bezug auf Sprach- und Kulturgebrauch. Geblieben aber ist die grundsätzliche Ablehnung des Rechts einer ungehinderten Entscheidung über eine Lostrennung von oder Zugehörigkeit zu Spanien durch die Madrider Regierungen und die Justiz.

Katalonien ist industriell weiter entwickelt und wohlhabender als jede andere Region auf der Iberischen Halbinsel außer dem Gürtel um Madrid selbst. Viele der nationalistischen katalanischen Forderungen wie die Beendigung der Nettosteuerzahlungen, die als Hilfsleistung und Förderung der ärmeren Teile Spaniens dienen, oder die oft geäußerte Sichtweise, dass die KatalanInnen härter arbeiten würden und an sich progressiver seien, sind eindeutige Belege für einen Chauvinismus, den die ArbeiterInnen schroff ablehnen müssen.

Perspektive

Die Bildung eines unabhängigen katalanischen Staats wird mit Sicherheit nicht die Spaltungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse verringern, weder in der Region noch im Gesamtstaat. Wenn wie zuvor nur eine Minderheit abstimmen würde und ein „Ja“ dabei herauskäme, könnte sich die Mehrheit nicht damit zufriedengeben. Noch schlimmer wäre es, wenn die Puigdemont-Regierung mit einer einseitigen Entscheidung einen großen Teil der spanischsprachigen Mehrheit vor den Kopf stoßen würde. 45,92 % sprechen zumeist Spanisch, 35,54 Katalanisch, während 11,95 % der dortigen Bevölkerung beide Sprachen gleich häufig verwenden. Das neue Land würde also mit einem großen demokratischen Geburtsfehler aus der Taufe gehoben werden. Der Torso Restspaniens würde außerdem einen kämpferischen Teil seiner ArbeiterInnenbewegung verlieren.

Im Vorfeld der Krise zeigten Umfragen, dass zwar 60 % der katalanischen WählerInnenschaft eine Abstimmung befürworten, über 50 % aber mit „Nein“ stimmen würden. Rajoys Aktionen könnten dieses Stimmungsbarometer schnell verändern, wenn sein „legaler“ Staatsstreich in volle Unterdrückung umschlägt. Rajoys Drohung, die katalanische Polizei gegen die eigene Bevölkerung zur Verhinderung der Wahlen am 1. Oktober einzusetzen, verdeutlicht diese Gefahr.

Ein Teil der Gründe für das Anwachsen von Nationalismus in den letzten Jahren ist zweifellos eine Auswirkung der rechten Regierung und Justiz in der Hauptstadt, die als Klotz auf dem Weg zum Fortschritt liegt, doch bei Wahlen auf gesamtspanischer Ebene schwierig zu beseitigen scheint.

Diese rechtsgerichtete Hegemonie ist eine Folge des Scheiterns der ArbeiterInnen- und radikalen Jugendbewegung in der vergangenen Periode beim Versuch, den Griff der Reaktion mit Platzbesetzungen, eintägigen Generalstreiks, Massendemonstrationen und auch dem raschen Aufstieg von Podemos zu brechen. All diese machtvollen Bewegungen, die große Möglichkeiten bargen, zerbrachen letztlich an der Frage der Führung. Weder die alten reformistischen Parteien wie PSOE und IU, noch die neue links-populistische Podemos oder die „hierarchielosen“, horizontalen und linken Bewegungen konnten auf die Machtfrage eine klare, zielführende Antwort geben.

Die Spaltung der ArbeiterInnen und Jugendlichen Barcelonas und Madrids wird dieses Problem nicht lösen. Dringend notwendig ist der Aufbau einer politischen Kraft im gesamten Spanien, einer neuen ArbeiterInnenpartei mit einem revolutionären antikapitalistischen Programm. Die Kräfte dafür zu sammeln, damit sollte jetzt in einer Bewegung begonnen werden, die nicht nur Rajoys Putsch in Katalonien verhindert, sondern ihn auch in Madrid von der Macht verjagt.

 




Leo Trotzki – Die nationale Fragen in Katalonien

Leo Trotzki, 13. Juli 1931

Aus: The Militant vom 19. September 1931, abgedruckt in: Leo Trotzki: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, Band 1: 1931-1936, Frankfurt/Main, 1975, Text 27, S. 141-143

Ein weiteres Mal über die anstehenden Fragen in der spanischen Revolution.

1.) Maurin, der „Führer“ des Arbeiter- und Bauernblocks, bekennt sich ebenfalls zum Separatismus. Nach einigem Zaudern hat er sich mit dem linken Flügel des kleinbürgerlichen Nationalismus ausgesöhnt. Ich habe früher schon geschrieben, dass der katalanische kleinbürgerliche Nationalismus im gegenwärtigen Stadium progressiv ist – aber nur unter einer Bedingung: dass er seine Aktivität außerhalb der Reihen des Kommunismus entfaltet, und dass er andauernd unter den Schlägen kommunistischer Kritik steht. Gestattet man dem kleinbürgerlichen Nationalismus, sich unter der Fahne des Kommunismus zu verbergen, so teilt man zur gleichen Zeit einen hinterlistigen Schlag an die proletarische Avantgarde aus und zerstört die progressive Bedeutung des kleinbürgerlichen Nationalismus.

2.) Was bedeutet das Programm des Separatismus? Zweifellos die ökonomische und politische Zerstückelung Spaniens, oder mit anderen Worten die Umwandlung der Iberischen Halbinsel in eine Art Balkan-Halbinsel, mit unabhängigen Staaten, die durch Zollschranken getrennt sind, und mit unabhängigen Armeen, die unabhängige Spanische Erbfolgekriege führen. Natürlich wird der weise Maurin sagen, er wolle das nicht. Aber Programme haben ihre eigene Logik, etwas, was Maurin nicht besitzt.

3.) Sind die Arbeiter und Bauern der verschiedenen Parteien Spaniens an einer Zerstückelung interessiert?   Absolut nicht. Deshalb bedeutet die Gleichsetzung des entschiedenen Kampfes um das Recht der Selbstbestimmung mit der Propaganda für den Separatismus ein äußerst gefährliches Vergehen. Wir treten in unserem Programm für eine spanische Föderation mit der unentbehrlichen Beibehaltung der ökonomischen Einheit ein. Wir haben nicht die Absicht, dieses Programm den unterdrückten Nationalitäten Spaniens mit Hilfe der Waffen der Bourgeoisie aufzuzwingen. In diesem Sinne sind wir aufrichtig für das Recht auf Selbstbestimmung. Wenn sich Katalonien abspaltet, wird die kommunistische Minderheit Kataloniens, ebenso wie Spaniens, einen Kampf für eine Föderation zu führen haben.

4.) Im Balkan stellte die alte Vorkriegs-Sozialdemokratie bereits die Losung der demokratischen Balkanföderation auf – als Ausweg aus dem von den getrennten Staaten geschaffenen Irrenhaus. Gegenwärtig ist die kommunistische Losung für den Balkan die Balkanische Sowjetföderation (nebenbei: die Komintern gab die Losung der Balkanischen Sowjetföderation aus, verwarf aber gleichzeitig diese Losung für Europa!). Wie können wir unter diesen Umständen die Losung der Balkanisierung der spanischen Halbinsel übernehmen? Ist das nicht ungeheuerlich?

5.) Die Syndikalisten, oder zumindest ein gewisser Teil ihrer Führer erklären, dass sie gegen den Separatismus sogar mit den Waffen kämpfen werden. In diesem Falle würden sich Kommunisten und Syndikalisten auf entgegengesetzten Seiten der Barrikaden befinden: ohne die separatistischen Illusionen zu teilen, und mit dauernder Kritik an ihnen, müssten die Kommunisten sich unentwegt gegen die Henker des Imperialismus und ihre syndikalistischen Lakaien stellen.

6.) Sollte es der Kleinbourgeoisie gelingen – gegen den Rat und die Kritik der Kommunisten – Spanien zu zerstückeln, dann würden die negativen Folgen eines solchen Regimes nicht lange auf sich warten lassen. Die Arbeiter und Bauern würden sehr schnell zu diesem Schluss kommen: die Kommunisten hatten wirklich recht. Das aber bedeutet ganz genau, dass wir nicht die geringste Verantwortlichkeit für Maurins Programm übernehmen dürfen.

7.) Monatte hofft, die spanischen Syndikalisten würden einen neuen „syndikalistischen Staat“ schaffen. Stattdessen integrieren sich die spanischen Freunde von Monatte mit Erfolg in den bürgerlichen Staat. Das ist die Geschichte des armen Vogels, der Kuckuckseier ausbrütet. Es ist momentan sehr wichtig, alles zu verfolgen, was die spanischen Syndikalisten sagen und tun. Das wird der Linken Opposition in Frankreich Möglichkeiten eröffnen, dem französischen Anarchosyndikalismus einen schweren Schlag zu versetzen. Es ist keine Sekunde zweifelhaft, dass die Anarchosyndikalisten sich unter revolutionären Bedingungen bei jedem Schritt selbst diskreditieren werden. Die blendende Idee der Syndikalisten besteht darin, die Cortes zu kontrollieren, ohne sich an ihnen zu beteiligen. Revolutionäre Gewalt anzuwenden, um die Macht zu kämpfen, die Macht zu ergreifen – all das ist nicht gestattet. Anstelle dessen empfehlen sie die „Kontrolle“ der Bourgeoisie, die an der Macht ist. Ein wunderbares Bild: die Bourgeoisie frühstückt, isst Mittag und Abendessen, und das von den Syndikalisten geführte Proletariat „kontrolliert“ diese Vorgänge – mit leerem Magen.