Unser Körper, unsere Entscheidung

Aktionsprogramm für trans Jugendliche

Jaqueline Katherina Singh, Gruppe Arbeiter:innenmacht / Revolution, Fight 12! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2023

Weltweit werden trans Menschen unterdrückt.  Ob nun Konservative, die in Talkshows deren Existenz leugnen, Radikalfeminist:innen, die Geschlecht allein an Genitalien ablesen wollen oder CDU-Poliker:innen, die Gendern für das größte Problem unserer Zeit halten, weil sie die Klimakrise nicht ernst nehmen. Es wird deutlich: Die Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, doch an der Unterdrückung hat sich wenig geändert. Schließlich ist diese in der gesamten Gesellschaftsstruktur verankert. Das Erstarken der Rechten bringt zudem gesellschaftliche Rollbacks mit sich wie in den USA oder Pakistan, die dafür sorgen, dass Queer- und insbesondere Transfeindlichkeit weiter zunehmen. Das beginnt mit reaktionären Argumentationen bezüglich Dragqueens und angeblicher „woker” Indoktrination in der Schule, kann dann auch zur Rücknahme erkämpfter Rechte und schließlich auch zu einer Zunahme von körperlichen Übergriffen gegen trans Personen führen. Dass diese Stimmung längst auch in Deutschland angekommen ist, können wir daran sehen, dass 2023 die Meldungen von körperlichen Angriffen auf Paraden zum Christopher Street Day (CSDs) die Nachrichten fluteten, während die CSU in Bayern diesen Kulturkampf der US-Amerikaner:innen versuchte zu adaptieren, indem auch sie gegen Auftritte von Dragqueens hetzten.  Im Folgenden wollen wir uns daher die Situation von trans Jugendlichen anschauen, die von vielen Unterdrückungsmechanismen nochmal stärker betroffen sind.

Unterdrückung in der Familie

Probleme mit der Familie sind für viele Jugendliche Alltag. Doch trans zu sein, kann diese noch mal verschärfen. Denn es geht nicht darum, einfach „nur” nicht verstanden zu werden.  Stell dir vor: Du kannst dich nicht so kleiden, wie du willst. Alle sprechen dich mit einem Namen an, der nicht dein eigener ist. Kurzum – man sieht dich nicht so, wie du wirklich bist. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 69,4 % der trans Jugendlichen befürchten, dass ihre Familie sie nicht akzeptieren wird. Doch was bedeutet das konkret?

Das Coming-out kann eine große Hürde sein, da die finanzielle und juristische Abhängigkeit von der Familie es nahezu unmöglich machen kann, sich frei auszudrücken oder notwendige medizinische Behandlungen wie Hormontherapie zu erhalten. Denn letzten Endes bestimmst nicht du über deinen Körper, sondern deine Erziehungsberechtigten. Das ist der Kern des Problems: Wenn deine Eltern kein Verständnis haben (wollen), dich nicht ernst nehmen – oder einfach nur hilflos sind, dann wird es schwierig. Die juristische, sowie finanzielle Abhängigkeit erschwert es vielen trans Personen massiv, einfach so das Elternhaus zu verlassen und auszuziehen. Ganz zu schweigen von der emotionalen Belastung, die damit einhergeht, wenn die eigenen Eltern/Erziehungsberechtigten einen nicht unterstützen können oder wollen. rans Menschen, v.a. Jugendliche haben eine viel zitierte enorm hohe Rate an Suizidversuchen (je nach Studie um die 40%). Wenn mindestens eine erwachsene Person sie unterstützt, sinkt die Wahrscheinlichkeit um etwa 30% Doch die Beratungsangebote für trans Jugendliche sowie ihre Eltern sind selten – und die wenigen, die es gibt, sind oft überlastet oder gar nicht unvoreingenommen. Deswegen treten wir nicht nur für den Ausbau von Beratungsstellen ein, für Jugendliche braucht es auch die Möglichkeit, bei Bedarf ihr Leben unabhängig vom Elternhaus gestalten zu können!

  • Für die ökonomische Unabhängigkeit von Schüler:innen, Studierenden und Jugendlichen in Ausbildung! Für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation, von 1.100 Euro plus Warmmiete, finanziert durch Besteuerung von Reichtum und Kapital!

  • Für selbstverwaltete Freiräume für Jugendliche, den massiven Ausbau von Jugendzentren und kostenlose Zugang zu einem ausgebauten Freizeit- und Kulturangebot, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen!

  • Ausbau von flächendeckenden Beratungsstellen von und für LGBTIA+ und ihre Angehörigen!

  • Für den Ausbau von Schutzhäusern für Kinder und Jugendliche! Niemand soll bei seiner Familie bleiben müssen, wer das nicht möchte! Für die Förderung neuer Formen des Zusammenlebens, beispielsweise durch den Ausbau und die Weiterentwicklung des sozialen Wohnungsbaus!

Schule und Ausbildung

Doch nicht nur in der Familie, sondern auch an Orten, wo man den Großteil seiner Lebenszeit verbringen muss – also Schule oder Ausbildungsstätte – wird man eingeschränkt. Eine weitere Studie des Bundesverbands Trans* aus dem Jahr 2017 zeigt, dass fast 90 % der trans Schüler:innen in Deutschland in der Schule diskriminiert werden. Dazu gehören u. a. die Verwendung des Deadnames und von falschen Pronomen, Belästigungen, Mobbing und auch physische Übergriffe. Die Studie zeigt auch auf, dass nur ein Bruchteil der betroffenen Schüler:innen sich an Lehrkräfte oder Schulleitungen wendet, da sie Angst haben, dadurch noch stärker stigmatisiert zu werden. Denn die wenigsten Schulen bieten Unterstützung gegen Mobbing und Diskriminierung an, auch wenn sich viele von ihnen das Abzeichen von Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage ans Tor hängen lassen. Aus einer weiteren Studie des Bundesverbandes geht hervor, dass nur 18 % der trans Schüler:innen das Gefühl haben, dass ihre Schule ein sicherer Ort für sie ist. Dies liegt auch daran, dass die Idee des binären Geschlechtersystems in der Gesellschaft vorherrschend ist und ebenso in der Schule reproduziert wird. Sei es durch Unterrichtsinhalte, bei denen Frau Meier den Wocheneinkauf für ihre Familie tätigt als Einleitung für eine Textaufgabe in Mathe, die klassische, heteronormative Sexualkunde im Biologieunterricht, lediglich ausgelegt auf Verhütung und Reproduktion, oder die Abwesenheit von queeren Lebensrealitäten in der Pflichtlektüre, die wir in Deutsch oder Englisch lesen müssen. Das gilt auch für Regelungen, die über den bloßen Unterricht hinausgehen, aber den Schulalltag prägen wie z. B. fehlende geschlechtsneutrale Toiletten oder Umkleideräume sowie die allgemeine Adressierung der Schüler:innenschaft in Rundbriefen. Das Verbot. an Schulen zu gendern, wie es in Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits umgesetzt wurde, oder in Berlin durch die CDU-Regierung zumindest diskutiert wird, tut sein Übriges. Auch wenn Gendern nicht automatisch zur Befreiung von trans Personen führt, so ist dennoch die Repräsentation in der Sprache auch ein mögliches Kampffeld.

  • Schluss mit Deadnames auf Klassenarbeiten, Schüler:innenausweisen und Klassenbüchern!

  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern!

  • Wir bestimmen, was wir lernen wollen: Rahmenlehrpläne unter Kontrolle der Lernenden, Lehrenden, Arbeiter:innenbewegung und Vertreter:innen von Diskriminierten! Für angemessenen, verpflichtenden Aufklärungsunterricht vor der Geschlechtsreife und die gleichberechtigte Darstellung aller Formen von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Sexualität und des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs!

  • Kampf der Diskriminierung an der Schule: Für breite Aufklärungskampagnen durch die Gewerkschaften von Lehrkräften und Schüler:innen und für eine von der Schulleitung unabhängige Antidiskriminierungsstelle, kontrolliert von Lernenden, Lehrenden und Organen der Arbeiter:innenklasse, die jederzeit wähl- und abhwähbar sind!

  • Von Schüler:innen selbstorganisierte Freiräume, die in den Pausen für alle frei zugänglich sind, an jeder Schule und den Ausbau von Unisextoiletten sowie Umkleideräumen!

Ähnlich sieht die Situation in der Ausbildung aus. Hier kommt jedoch der ökonomische Druck hinzu, der es vielen erschwert, sich selbst auszuleben oder dies sogar komplett unmöglich macht. Eine Studie – ebenfalls aus dem Jahr 2017 – von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ergeben, dass trans Personen in der Ausbildung häufiger diskriminiert werden als ihre cis-geschlechtlichen Kolleg:innen. 48 Prozent der befragten trans Personen gaben an, bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt zu haben, während es bei cis Personen nur 24 Prozent waren.

Die Diskriminierung reichte von Mobbing über das Ausgrenzen aus dem Team bis hin zu sexueller Belästigung. Dabei ist klar: Ob nun Kolleg:innen, die durch mangelndes Wissen mit Stammtischparolen um sich werfen, oder beispielsweise Kund:innen, die eine/n missgendern oder gar offen ausgelebte Transfeindlichkeit: Als Azubi für die eigenen Rechte einzustehen, ist um ein Vielfaches vertrackter. Das liegt aber nicht (nur) am Alter an sich, sondern der Status als Azubi ist hier das entscheidende Moment – Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Dass man als ungleiche Arbeitskraft angesehen wird, die erstmal „richtig ausgebildet” werden muss, bevor man als gleichrangig angesehen wird, wirkt sich auch auf den Umgang miteinander aus. Herablassende Bemerkungen, gar Beleidigungen statt konstruktiver Kritik sind in bestimmten Branchen ganz offen an der Tagesordnung, in anderen existieren sie eher versteckt. Das kann soziale Unterdrückung verstärken und den Rahmen, wie man sich dagegen wehren kann, erheblich einschränken. Wenn wir also in der Ausbildung gegen Transfeindlichkeit kämpfen wollen, dann müssen wir das mit dem Kampf für bessere Ausbildungsrechte verbinden!

  • Tarifliche und rechtliche Gleichstellung aller Auszubildenden! Mindestausbildungsvergütung in Höhe des Mindestlohns und Anhebung dessen auf 15 Euro die Stunde!

  • Gegen alle Versuche und Regelungen wie „Job aktiv“ und „Kombilohn“, die den Billiglohnsektor ausweiten! Übernahme aller befristeten und Leiharbeits- in Normalarbeitsverhältnisse statt Ausdehnung der Flexibilisierung und des Niedriglohnsektors!

  • Probezeit? Nein Danke: Volle wirtschaftliche Rechte – inklusive des auf Streik – für Azubis!

  • Übernahme garantiert: Volle und unbefristete Übernahme aller Jugendlichen nach der Ausbildung – bei Verweigerung der Übernahme Strafzahlung! Für die Abschaffung aller Quoten, die die Übernahme beschränken!

  • Für das Recht, in Job und Ausbildung den gewählten Namen zu nutzen, auch wenn dieser noch nicht im Ausweis steht!

Um die Situation am Arbeitsplatz nachhaltig zu verbessern, muss sich auch was in den Gewerkschaften ändern. Es ist ein erster Schritt gewesen, dass man auch „divers” im Mitgliedsausweis angeben kann – aber mal ehrlich, ausreichend ist das nicht. Erstmal sollte es nicht verpflichtend sein, das eigene Geschlecht überhaupt angeben zu müssen. Darüber hinaus müssen Gewerkschaften an Betrieben und Berufsschulen präsent sein. Das heißt, zum einen Aufklärungskampagnen gegen Diskriminierung an Betrieben, Schulen und Unis organisieren und zum anderen auch, die Präsenz durch Beratungsstellen an Berufsschulen sowie die Vertrauenskörperstruktur in den Betrieben flächendeckend auszubauen. Zusätzlich ist es ein Problem, dass für Länder wie Deutschland Datenerhebungen fehlen, wenn es darum geht, die Verbindung von Einkommen und Unterdrückung zu erfassen. Zahlen aus den USA belegen, dass dort insbesondere schwarze trans Frauen weniger als der US-Durchschnitt verdienen. Solche Erhebungen wären ein erster Schritt, um auch passende Forderungen aufwerfen zu können und würde zudem klar zeigen, dass Gewerkschaften sich bewusst positionieren.

  • Flächendeckender Ausbau der Vertrauenskörperstrukturen und Antidiskriminierungsstellen!

  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!

  • Breite Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung von Jugendlichen! Wir wollen uns nicht bevormunden lassen: Gerechte Repräsentanz in den Gremien der Gewerkschaften!

  • Regelmäßige Erhebungen bzgl. Einkommen und Diskriminierungserfahrungen, kontrolliert durch Gewerkschaften!

Medien, Alltag und Gewalt

Ob Bahnhofstoiletten, Behördengänge, Bekleidungsgeschäfte oder das umfangreiche Sortiment an Waren, die man erwerben kann: Wenn man mal darauf achtet, dann wird deutlich, wie viel in unserer Gesellschaft eigentlich von der binären Geschlechterordnung bestimmt wird. Daraufhin einfach mal abschalten und eine Serie schauen, um den Stress in der Schule oder Familie zu vergessen? Das ist aber nur bedingt möglich. In den letzten Jahren wurden zwar immer mehr trans Charaktere in Serien und Filme integriert. Dennoch: Die Sichtbarkeit ist umkämpft und noch längst nicht ausreichend. Diversität heißt übrigens nicht, so viele unterdrückte Gruppen wie möglich zu zeigen, sondern auch eine Varianz dieser mit einzubeziehen.

Ansonsten werden immer wieder Stereotype reproduziert. Was bedeutet das in der Praxis? Es ist legitim, sich mit dem Thema Transition auseinanderzusetzen. Aber genauso notwendig ist es, unterschiedliche Erfahrungen mit einzubeziehen: Nicht-binäre trans Personen sind eher unterrepräsentiert und Menschen, die trans sind, aber sich nicht in die jeweilige Geschlechterrolle stecken lassen wollen, werden meistens negativ dargestellt. Die Charaktere, die am positivsten wegkommen, sind jene, die der binären Geschlechterordnung am meisten entsprechen. Das zu zeigen, ist nicht per se falsch, das ausschließlich zu zeigen, allerdings schon. Flache Charakterarchs hin zur Akzeptanz der eigenen Transidentität oder das bloße Darstellen von körperlicher und sozialer Transition oder dem Umgang mit Diskriminierung sind vielleicht für cis Personen interessante Geschichten, aber für trans Menschen ist das einfach unser selbstverständlicher Alltag und damit totlangweilig. Wir wollen trans Held:innen, Bösewichte, Mütter, Nebencharaktere, Kolleg:innen etc. in Serien und Filmen, deren Transidentität sie nicht definiert – aber eben selbstverständlicher Teil ihrer Geschichte und Lebensrealtität ist.

Besser wird es jedoch auf keinen Fall, wenn man die meisten Nachrichtenseiten aufruft. Die vermehrte Repräsentation von trans Personen, die Bevormundung von Jugendlichen, die Krise der bürgerlichen Familie, der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck und der Misserfolg des bürgerlichen Feminismus hinsichtlich der Überwindung von Frauenunterdrückung, haben unter anderem dazu geführt, dass (vermeintliche) Feminist:innen wie Alice Schwarzer vom „Transtrend“ sprechen. In Nachrichten – insbesondere in populistischen Blättern –   werden fiktive Szenarien beleuchtet, in denen angebliche Feminist:innen vor allem trans Frauen unglaubliche Dinge unterstellen, anstatt über die reale Gewalt, die trans Personen angetan wird, zu berichten. Die Kriminalstatistik zeigt jedoch: Zwischen 2018 und 2021 hat sich die Gewalt gegen queere Menschen mehr als verdoppelt. Das führt uns zur eigentlichen Gefahr: Während man in größeren Städten zwar etwas „sicherer” als in ländlicheren Gegenden ist, so ist es nicht gegeben, dass man mal „einfach so” Bahn fahren kann. Komische Blicke, Beleidigungen und die Angst vor Gewalt gehören in der Regel dazu, wenn man nicht so aussieht, wie die klassischen Geschlechterrollen es verlangen.  Das wird verstärkt durch den stetigen Rechtsruck, den wir erleben, und so steigt auch die Gefahr für gezielte Übergriffe. Selbst in vermeintlich „queerfreundlichen” Großstädten wie Berlin kommt es mittlerweile nicht nur zu verbalen, sondern auch körperlichen Angriffen.

  • Enteignet die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen, …) und organisiert die Produktion durch Räte aus Arbeiter:innen, Zuschauer:innen und Unterdrückten!

  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Selbstverteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+! Für den Ausbau von Schutzräumen für LGBTIA+ und Unisexorte in der Öffentlichkeit!

Medizinische Versorgung

Arz-/Ärztinttermine sind generell ein rares Gut. Wer versucht hat, einen Beratungstermin beispielsweise beim/bei der Endokrinolog:in zu bekommen, weiß, dass Wartezeiten von über einem halben Jahr keine Seltenheit sind. Deswegen bedeutet der Kampf für Selbstbestimmung auch ein Kampf für die Verbesserung des Gesundheitssystems insgesamt. Das bedeutet:

  • Weg mit Privatisierung der Krankenhäuser! Nein zu deren Schließungen auf dem Land!

  • Für einen höheren Personalschlüssel und Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten bei  vollem Lohnausgleich!

Finanziert werden sollte das Ganze durch die Abschaffung des DRG-Systems, Abschaffung des Zweiklassen-Gesundheitssystems (also nur gesetzliche Krankenkassen statt privater), Besteuerung der Reichen und Enteignung der Klinik- und Pharmaziekonzerne. So können eine schnellere Terminvergabe sowie qualitativ bessere Betreuung gewährleistet werden. Doch nicht nur Termine sind ein Problem: Arzt-/Ärztinbesuche bei Gynäkolog:innen sowie Urolog:innen sind für viele nicht nur mit emotionalem Stress verbunden sind – sondern können auch mit Ablehnung und Unverständnis seitens Praxismitarbeitenden oder anderen Patient:innen begleitet werden. So hat laut einer Studie der deutschen AIDS-Hilfe und des RKI von 2023 fast jeder fünfte nicht-binäre oder trans Mensch (17 Prozent) bereits aus Angst vor Diskriminierung lieber auf bestimmte medizinische Leistungen verzichtet. Auch in der Apotheke kann es unangenehm werden, wenn die Mitarbeiter:innen beispielsweise einem trans Mann keine Pille danach rausgeben möchten, da in manchen Apotheken die Vorgehensweise üblich ist, dass sie Pille nur an die betroffene Frau verkauft wird. In einer Situation, wo sich viele sowieso schon gedemütigt aufgrund des gesellschaftlichen Stigmas bei Notfallverhütung fühlen, müssen trans Personen nun auch noch ihr Anliegen zusätzlich begründen.

Die Transition an sich ist auch mit vielen Hindernissen verbunden. So müssen sich trans Menschen vor einer Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriffen in zwei unabhängigen Gutachten unangenehmen psychosozialen Befragungen stellen, wo unter anderem intime Details über das Sexualleben und den mentalen Gesundheitszustand abgefragt werden, damit Ärzt:innen bestätigen können, dass die Person für eine solche Behandlung in Frage kommt. Das kann auch dazu führen, dass nicht-binäre trans Personen, welche den Wunsch nach einer Hormonbehandlung hegen, ihre Ärzt:innen anlügen müssen, da sie diese Hormone nur bei einer binären Transgeschlechtlichkeit verschreiben (können). Mit diesem unnötigen und beschämenden Herumstochern im Privatleben muss Schluss sein! Beratungsstellen müssen ausgebaut werden, aber die Beratung sollte sich nicht wie eine Prüfung anfühlen und letztendlich sollte es keine Fremdbestimmung durch das ärztliche Personal geben.

Für trans Jugendliche spielt auch die Frage von Pubertätsblockern eine Rolle, die verhindern sollen, dass sie in die Pubertät kommen und diesem Leidensdruck, der damit einhergeht, ausgesetzt werden, obwohl sie bereits beginnen, ihre Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Es zu begrüßen, dass trans Jugendlichen so eine Möglichkeit geboten wird, die Selbstbestimmung über die Entwicklung ihres Körpers erlangen zu können. Statt Panikmache von Alice Schwarzer und Co. und Bevormundung durch die Eltern, braucht es gute Aufklärung über die bestehenden Studien (die existieren, da Hormonblocker schon seit Jahrzehnten in anderen medizinischen Fragen eingesetzt werden) und einfach medizinische Studien für Hormon Replacement Therapie.

Zudem ist – wie auch woanders – die Medizin von gesellschaftlicher Unterdrückung geprägt. Das wird deutlich daran, dass viele Patient:innenstudien, Symptome und Medikamentenvorgaben auf Basis cis-männlicher Körper stattfinden – was beispielsweise dazu führt, dass Personen mit biologisch weiblichem Körper vermehrt an Herzinfarkten sterben, weil sie andere Symptome aufweisen oder nicht ernst genommen werden, insbesondere wenn sie nicht-weiß sind. Falsche Kategorisierung des Geschlechts der Betroffenen oder die Annahme, es würde sich um einen cis Körper handeln, können auch fatale Folgen hinsichtlich der Beratung bei Verhütungsmethoden sowie der Behandlung von Geschlechtskrankheiten oder der HIV-Prävention haben, da manche Beratungen aufgrund der Vermutung einer Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung nicht durchgeführt werden und auch hier die Präparate unterschiedlich auf die Körper wirken. Nach einer Personenstands- und Namensänderung zahlt die Krankenkasse teilweise „geschlechtsspezifische“ Behandlungen wie HPV Impfungen nicht mehr (bzw. man muss sich ihnen extra erklären und damit rumschlagen).

Viele Ärzt:innen wissen außerdem schlicht nicht, was eine HRT (Hormone Replacement Therapy) an einem Körper ändern kann und ignorieren z.B. dass bei einer Testosterontherapie das Risiko von Herzerkrankungen auf das eines cis Mannes steigt, andere körperliche Vorgänge eher wie bei cis Frauen funktionieren und wieder andere Dinge mit beidem nur noch wenig zu tun haben. Faktisch führt das dazu, dass trans Menschen oft zu Ärzt:innen gehen und ihnen erstmal ihren Körper erklären müssen. Da an der Stelle aber zu wenig Forschung existiert, es sehr kompliziert werden kann, die Beschäftigung mit dem eigenen Körper mental schwierig sein kann und die Ressourcen begrenzt sind, sind viele trans Menschen dazu verständlicherweise nicht in der Lage. Der erschwerte Zugang führt aber dazu, dass manche trans Personen sich über inoffizielle Wege Hormone besorgen müssen. Ohne medizinische Überwachung der Dosierung und Nebenwirkungen kann das aber auch sehr gefährlich für die Betroffenen enden. Das heißt, wir brauchen Forschung, Lehre und Praxis, die die Auswirkungen gesellschaftlicher Diskriminierung mit einbeziehen, sowie eine Medizin, die eine biologische Bipolarität  der Geschlechter anerkennt! Des Weiteren brauchen wir auch eine Auseinandersetzung mit der Produktion von Medikamenten und Präparaten in der Pharmazie. Die Devise heißt hier Enteignung unter Arbeiter:innenkontrolle und die Aufhebung des Patentrechts, um zu gewährleisten, dass die Produktion von Pubertätsblockern und Hormonpräparaten nicht unter Profitinteresse steht und sie auch in einer Langzeitanwendung so sicher wie möglich sind!

  • Für Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für das Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zu medizinischer Geschlechtsangleichung!

  • Schluss mit Diskriminierung: Rahmenlehrpläne in der medizinischen Ausbildung unter Kontrolle von Ärzt:innen, Arbeiter:innen und Vertreter:innen von Unterdrückten! Für breite Sensibilisierungskampagnen gegen Diskriminierung im Gesundheitssystem und den Ausbau von Gesundheitszentren speziell für Frauen und LGBTIA+!

  • Intersex vollständig legalisieren: Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!

  • Rekommunalisierung und Verstaatlichung aller privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient:innen, die ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und guter Gesundheitsversorgung haben!

  • Freier und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln! Massiver Ausbau der Beratung und Forschung in diesem Bereich!

Staatliche Diskriminierung

Seit August 2023 ist das TSG (Transsexuellengesetz) Geschichte und wurde durchs sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz” ersetzt. Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Während man früher vor Gericht gehen musste sowie zwei psychologische Gutachten brauchte , nur um die Personenstandsänderung durchzusetzen, kann man ab Herbst 2024 Namen und Geschlecht angleichen, indem man sich 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt anmeldet. Doch für Minderjährige ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ weitaus weniger frei und eigenständig möglich. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Seine Wirksamkeit hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab.

Alle jüngeren Personen dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder welcher Name angegeben wird. Ausgeschlossen werden ebenso Personen, deren Visum bald abläuft – um zu verhindern, dass sie sich vor der Abschiebung „drücken” können. Auch im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ kann die Angleichung auch „ausgesetzt” werden, um Menschen in den Wehrdienst einzuziehen. Besonders fatal ist, dass mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine Liste erstellt wird. Das heißt: Alle trans Personen (mit ihren Deadnames und Adressen) sind den staatlichen Strukturen wie BKA, Polizei und Geheimdienst bekannt. Man benötigt keine Datenschutzexpertise, um zu wissen, dass das überhaupt nicht nötig ist, sondern vielmehr eine Gefährdung darstellt .

  • Für Selbstbestimmung über die eigene Geschlechtsidentität: Für Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zur offiziellen Namens- und Personenstandsänderung! Gegen den Zwang, das Geschlecht in amtlichen Dokumenten anzugeben!

  • Keine Weitergabe dieser Informationen an Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst!

  • Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie! Für die automatische Eintragung queerer Eltern auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder: mit ihren gewünschten Namen und Geschlecht!

Ursprung der Unterdrückung

Die Beispiele zeigen: Die Unterdrückung von trans Menschen ist überall zu finden. Doch wenn wir sie nicht nur oberflächlich bekämpfen wollen, müssen wir uns fragen: Woher kommt sie eigentlich?  Für uns als Marxist:innen ist die Diskriminierung von trans und anderen queeren Personen eng mit der Frauenunterdrückung verbunden. Letztere wird in der kapitalistischen Gesellschaft durch die Auslagerung von Reproduktionsarbeit (beispielsweise Kindererziehung, Pflege, Kochen, Waschen etc.) ins Private manifestiert. Kollektive Küchen, Waschhäuser oder auch Pflege könnte man gesamtgesellschaftlich organisieren und dadurch massiv Zeit einsparen (und so auch die Qualität verbessern). Doch um Kosten zu sparen, wird diese Arbeit in das Privatleben von Individuen gedrängt. Frauen tragen dabei oftmals die Hauptlast der reproduktiven Arbeit aufgrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die vorherrscht. Der Stereotyp der bürgerlichen Familie macht das besonders deutlich:

Hier hat „alles seine Ordnung” und die Rollen sind klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert. Wer sich jetzt denkt, dass die 1960er Jahre angerufen haben und ihre verstaubte Lebensrealität zurückhaben wollen, hat recht. Jedoch wird diese Aufteilung nach wie vor vielerorts reproduziert: Sei es in Medien, durch Religionen, konservative Politiker:innen oder durch Gesetze, die Hetero-Zweierbeziehungen bevorzugen. Kurzum: Die bürgerliche Familie nimmt im Kapitalismus einen ideologischen Stellenwert ein, der geschützt wird. Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter:innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge. Denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich„ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen. Das erklärt auch, warum insbesondere Rechte und andere Reaktionär:innen so vehement gegen Queers eintreten.  Gleichgeschlechtliche Partner:innen lieben, mehr als eine/n Partner:in haben oder eben das eigene Geschlecht angleichen lassen – all das greift die geschlechtliche Arbeitsteilung an. Diese ist jedoch notwendig, um die Familie und somit die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private aufrechtzuerhalten und somit auch der Ursprung der Unterdrückung von LGBTIA+.

  • Kampf für Reduzierung der Arbeitszeit für die gesamte Arbeiter:innenklasse, damit die Reproduktionsarbeit auf alle  verteilt werden kann und den Frauen die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben erleichtert wird!

  • Kampf den Geschlechterrollen: Schluss mit geschlechtlicher Arbeitsteilung: Für die Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit; gleichmäßige Aufteilung der übrigbleibenden privaten Tätigkeiten!

Was tun?

All diese Forderungen zu erkämpfen, wäre ein wichtiger Schritt in der Verbesserung der Situation von trans Personen. Unser Ziel muss jedoch sein, der Unterdrückung die materielle Grundlage zu entziehen. Deswegen ist für uns der Kampf für die Befreiung von LGBTIA+ verbunden mit der Notwendigkeit, die Reproduktionsarbeit zu vergesellschaften und die kapitalistische Gesellschaft zu zerschlagen!

In der Praxis setzen wir uns für einen gemeinsamen Kampf von Frauen-, LGBTIA+- und Arbeiter:innenbewegung ein. Zum einen, weil Erstere genauso Teil der Arbeiter:innenklasse sind und das Bild des „Arbeiters im Blaumann” als diese vollständig repräsentierendes veraltet ist. Zum anderen nimmt die Arbeiter:innenklasse eine Schlüsselposition ein, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess kann sie durch Streiks ökonomischen Druck aufbauen und so sichern, dass Reformen durchgesetzt werden können. Sie ist auch zentral, wenn es darum geht, den Kapitalismus zu zerschlagen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, revolutionäres Bewusstsein in die Klasse zu tragen und den gemeinsamen Kampf zu führen, um gegen existierende Vorurteile sowie Diskriminierung zu kämpfen und letzten Endes die Grundlage von LGBTIA+-Unterdrückung zu beseitigen. Um das zu ermöglichen, glauben wir, dass es notwendig ist, dass in den Organisationen der Arbeiter:innenklasse – ob nun Gewerkschaft, revolutionärer Organisation oder Partei – das Recht für gesellschaftlich Unterdrückte besteht, einen Caucus zu bilden, d. h. einen Ort, an dem sie sich unter ihresgleichen treffen können, um sich über erlebte Unterdrückung auszutauschen, ob nun innerhalb oder außerhalb der Strukturen. Dafür benötigen wir auch ein revolutionäres Programm, welches alle Forderungen, die sich auf die unterschiedlichen Ausgebeuteten und Unterdrückten beziehen, zu einem gemeinsamen Kampf verbindet.




Offener Brief: Menschen, keine »Barbaren«!

Offener Brief in Solidarität mit Elisa Baş, Infomail 1234, 21. Oktober 2023

Im Folgenden veröffentlichen wir einen offenen Brief in Solidarität mit Elisa Baş. Wir rufen zur Unterzeichnung des offenen Briefs auf. Wenn ihr auch unterzeichnen wollt, schreibt eine Mail an: washidaka@gmail.com

Offener Brief: Menschen, keine »Barbaren«!

Solidarität mit der Bundespressesprecherin von Fridays-For-Future, Elisa Baş, gegen die Diffamierungen der Springer-Presse!

Unter der Überschrift »Klima-Aktivistin schockt mit Vorwurf gegen Juden« versuchen die BILD-Zeitung und andere Springer-Medien, die Pressesprecherin von Fridays-For-Future, Elisa Baş, als »geschichtsvergessen« und »geschmacklos« darzustellen. Der gleichlautende Artikel von Julian Loevenich erschien zuerst in der Berliner Tageszeitung (B.Z.)[1]. Eine Stunde später dann auch in der BILD-Zeitung[2]. Einen Tag nach dem BILD-Artikel übernahmen die Redaktionen von Focus Online[3] und Express aus Österreich die in der BILD geäußerten Vorwürfe.

Elisa Baş teilte auf ihrem Instagram-Account eine Kritik an Aussagen des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. In einem Gast-Kommentar für die BILD-Zeitung hatte dieser geschrieben: »Die Barbaren sind unter uns.« und »Es muss sich etwas tun.«[4] Auf dem Bild zum Kommentar ist eine Frau zu sehen, die eine palästinensische Fahne schwenkt.

Elisa Baş hatte den Artikel mit dem folgenden Kommentar einer anderen Person geteilt: »In Deutschland herrscht eine Pogrom-Stimmung gegen Palästinenser:innen und Schuster heizt sie an.«

Aus dieser geteilten Kritik konstruiert nun der BILD-Redakteur Julian Loevenich folgenden Vorwurf: »Besonders geschichtsvergessen und geschmacklos ist Baş „Pogrom“-Vorwurf, weil Juden während der Nazi-Zeit bei Pogromen ermordet wurden. Die Klima-Aktivistin rückt damit den Präsidenten des Zentralrats der Juden in die Nähe der Nationalsozialisten.«

Elisa Baş hat sich stets klar und deutlich gegen Antisemitismus sowie allgemein jede Form von Rassismus positioniert. Die Vorwürfe sind eine bodenlose Frechheit. Im Anschluss an die Berichterstattung werden von unterschiedlichen Personen Forderungen nach einem Rücktritt erhoben.

Wir stellen fest:

  1. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht. Hetze und Rassismus nicht. Wir lehnen die Rücktrittsforderungen gegen Elisa Baş ab. Die Klimabewegung darf sich nicht spalten lassen. Der Angriff auf Elisa Baş ist ein Angriff auf alle, die sich für eine klimagerechte Welt einsetzen. Wir stehen angesichts der Diffamierungs-Kampagne als Menschenrechts- und Klimaaktivist:innen jüdischer, muslimischer und anderer Herkunft gemeinsam hinter der Fridays-for-Future-Bundespressesprecherin Elisa Baş. Die gefährliche Stimmungsmache der BILD-Zeitung gegen eine junge Klima-Aktivistin muss sofort beendet werden!
  2. Der Presserat muss BILD & BZ in die Schranken weisen und die Hetze gegen Palästinenser:innen stoppen!
  3. Der Begriff der »Barbaren« diente schon in der Antike zur Entmenschlichung unter Sklaverei und rechtfertigte ebenso die Kolonialgeschichte.[5] Dass die BILD-Zeitung und andere an diese rassistische Tradition anknüpfen, ist verantwortungslos und schürt eine hetzerische Stimmung.
  4. Die Kritik an Schuster, er heize mit seinen Aussagen eine »Pogrom-Stimmung« gegen Palästinenser:innen an, hat nichts mit Antisemitismus oder Geschichtsvergessenheit zu tun. Der Begriff »Pogrom« ist älter als der Nationalsozialismus und findet auch in anderen Kontexten weitläufig Verwendung. So definieren der Duden und die Bundeszentrale für politische Bildung den Begriff als »gewalttätige Aktionen, Übergriffe und Ausschreitungen gegen (ethnische, nationale, religiöse etc.) Minderheiten oder politische Gruppierungen.«[6] Die israelische Zeitung Ha‘aretz bezeichnete beispielsweise den Siedlerangriff auf das palästinensische Dorf Huwara als Pogrom.[7] Elisas Aussagen richten sich an keiner Stelle auch nur ansatzweise gegen jüdische Menschen oder jüdisches Leben.

#keineBarbaren #SolimitElisa

Wenn ihr auch unterzeichnen wollt, schreibt eine Mail an: washidaka@gmail.com


[1] https://www.bz-berlin.de/berlin/fridays-for-future-elisa-bas-juden

[2] https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/sprecherin-von-fridays-for-future-klima-aktivistin-schockt-mit-vorwurf-gegen-jud-85762668.bild.html

[3] https://www.focus.de/politik/ausland/nahost/klimaaktivistin-macht-juden-vorwuerfe-fridays-for-future-sprecherin-schockt-mit-wirrer-genozid-nachricht_id_226258300.html

[4] https://www.bild.de/politik/kolumnen/politik-inland/josef-schuster-zum-terror-in-israel-die-barbaren-sind-unter-uns-85744098.bild.html

[5] https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2018-06/rassismus-ideologie-nationalsozialismus-rassentheorie-antike-mittelalter-genetik/seite-2?

[6]https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/politiklexikon/296465/pogrom/

[7] https://www.haaretz.com/israel-news/2023-03-04/ty-article/.premium/israeli-settlers-threaten-another-hawara-pogrom-on-saturday-night/00000186-ad5d-de2a-a1ee-af5f092f0000




Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 6, Sommer 1989

Alle ausgebeuteten Klassen sehen sich Unterdrückung gegenüber. Die systematische Verweigerung von wirklicher politischer und wirtschaftlicher Gleichheit und persönlicher Freiheit ist sowohl ein Ausdruck als auch eine Verstärkung der Ausbeutungsverhältnisse zwischen der herrschenden Klasse und den direkten Produzenten. Zusätzlich zu dieser Klassenunterdrückung aber gibt es andere systematische wirtschaftliche, soziale, gesetzliche und politische Ungleichheiten, die speziell Frauen, Jugendliche, verschiedene rassistisch unterdrückte und nationale Gruppen sowie Lesben und Schwule betreffen.

Diese spezifischen Formen der sozialen Unterdrückung sind ein grundlegendes Merkmal der Klassengesellschaften und in den sozialen Strukturen der Familie und des Nationalstaates verwurzelt. Die Unterdrückung der Frauen war die erste Form systematischer Unterdrückung und entstand im Zusammenhang mit der Herausbildung von Klassen. Sie bleibt die grundlegendste Form der sozialen Unterdrückung. Aber die jeweiligen Formen der sozialen Unterdrückung wurden mit jeder Produktionsweise verändert. Sie erreichten ihre entwickeltste und in mancher Weise unverhüllteste Form in der imperialistischen Epoche.

Die gesellschaftlichen Strukturen, auf denen die soziale Unterdrückung aufbaut, sind für den Kapitalismus wesentlich. Ihre Funktionen sind innig und untrennbar mit dem Prozeß der Ausbeutung verbunden, aber sie schaffen eine Unterdrückung, die nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt ist. Frauen aller Klassen sehen sich Diskriminierung und Benachteiligung gegenüber, und zwar als Resultat der Rolle, die sie innerhalb der Familie ihrer Klasse einnehmen. Aber es sind die Frauen der Arbeiterklasse, und ebenso Jugendliche, Schwarze und Lesben und Schwule aus dem Proletariat, die sich der stärksten sozialen Unterdrückung gegenübersehen.

Die Arbeiterklasse ist die einzige Klasse mit dem entscheidenden Interesse und der Kraft zur Überwindung jenes Systems, das alle diese Formen der Unterdrückung aufrechterhält. Nur unter der Führung der Arbeiterklasse können besonders unterdrückte Sektionen der ausgebeuteten Klassen in den Kampf für die Diktatur des Proletariats gezogen werden, der die Voraussetzung für eine Beendigung aller Unterdrückung ist. Die Arbeiterklasse muß daher jederzeit an der vordersten Front des Kampfes gegen alle Ungleichheiten, gegen Unterdrückung und Ausbeutung stehen.

Dennoch versagen die existierenden Arbeiterorganisationen, den Kampf gegen die soziale Unterdrückung aufzunehmen. Tatsächlich ist es häufig der Fall, daß die reformistischen Bürokraten, die die Arbeiterbewegung beherrschen, aktiv zu feindlicher Haltung unter den Massen gegenüber den Bedürfnissen und der Notlage der Unterdrückten ermutigen. Die Unterdrückten sind in einem solchen Ausmaß Opfer von Sexismus, Rassismus und Heterosexismus, daß ihre Teilnahme in Gewerkschaften und am politischen Leben blockiert wird. Die Aufgabe der revolutionären Avantgarde liegt in der Bekämpfung dieser Vorurteile und darin, die Massenorganisationen der Arbeiterklasse in die Vorderfront des Kampfes gegen Unterdrückung zu bringen.

Die Unterdrückten selbst sind nicht notwendigerweise schon allein deswegen, weil sie die unterdrücktesten Sektionen der Gesellschaft bilden, in der Avantgarde der Kämpfe. Die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung erzeugt nicht nur revolutionäre Kämpfer und Kämpferinnen, sondern auch rückständige und gehorsame Schichten. Vieles ist der Ausdruck reaktionärer Ideen oder des Rückzugs ins Privatleben. Nur die klassenbewußtesten Elemente der Unterdrückten werden in der Avantgarde der Kämpfe für ihre eigene Befreiung zu finden sein. Diese Teilnahme der Avantgarde innerhalb des gesamten Klassenkampfes gibt die Möglichkeit, daß ihre Interessen aktiv von der Arbeiterklasse aufgegriffen werden.

Spezielle Methoden der Agitation und der Propaganda sowie besondere Arbeitsformen müssen verwendet werden, um die sozial Unterdrückten für das kommunistische Programm zu gewinnen. Es können aber auch spezielle Organisationsformen notwendig sein, um die Unterdrückten sowohl dazu zu mobilisieren, ihre eigene Unterdrückung zu bekämpfen, als ihnen auch zu ermöglichen, auf einer gleichberechtigten Basis mit allen anderen Arbeitern und Arbeiterinnen in die Reihen der organisierten Arbeiterbewegung einzutreten. Innerhalb der Bewegung des Proletariats müssen Revolutionäre das Recht der Unterdrückten verteidigen, sich zu organisieren und sich gesondert zusammenzuschließen, um Druck dafür zu erzeugen, daß ihre Forderungen von der ganzen Klasse aufgegriffen werden. Unter bestimmten Bedingungen waren auch eigene Arbeiterorganisationen der Unterdrückten notwendig, um dieses Ziel zu erreichen. Solche speziellen Methoden und Organisationsformen haben nichts mit Separatismus gemeinsam. Sie sind ein Mittel, um die Kampfeinheit in der Arbeiterklasse zu erleichtern und abzusichern, daß die Arbeiterbewegung als ganzes den Kampf der Unterdrückten anführt.

An erster Stelle hat die revolutionäre Partei die Pflicht sicherzustellen, daß sie in ihrer Tagesarbeit und in ihrer internen Organisation gegenüber den Bedürfnissen der Unterdrückten aufgeschlossen ist. Wenn revolutionäre Massenparteien existieren, können für diese daher Parteisektionen oder parteigeführte Bewegungen gebildet werden. Diese Sektionen werden die Unterdrückten für den kommunistischen Kampf als Parteimitglieder organisieren und den Kampf gegen die Unterdrückung in das Herz der Arbeiterbewegung tragen.

Wenn revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten noch eine kleine Minderheit in der Arbeiterbewegung sind, müssen an die Stelle der Bildung von Massensektionen der Partei, die die Ausübung von speziellen Arbeitsformen organisiert, andere Formen der Einheitsfront treten. In vielen Ländern führte die gemeinsame Erfahrung der Unterdrückten zur Entwicklung von Bewegungen und Kampagnen unter Frauen, Lesben und Schwulen, Jugendlichen und rassistisch Unterdrückten. Die Partei kann nicht die Führung dieser Bewegungen den kleinbürgerlichen Utopisten, den Sozialdemokraten oder den Stalinisten überlassen.

Wir unterstützen die Bildung von kämpfenden Einheitsfronten gegen die Unterdrückung und argumentieren, daß sie sich auf das Proletariat stützen, von diesem geführt und auf der Verwendung der Methoden des Klassenkampfes aufbauen müssen. In bestimmten Fällen können diese Einheitsfronten die Form von vollständig entwickelten Bewegungen (mit regionalen Gruppen, Kongressen und Exekutivkomitees etc.) annehmen. Aber in jedem Fall muß die Organisationsform mit den konkreten Umständen in Verbindung gesetzt werden. Wie lange solche Organisationen benötigt werden, hängt vom Grad ab, in dem wir erfolgreich sind, die Arbeiterbewegung als ganzes für unser Programm zu gewinnen. Außerdem werden wir, wenn unsere zeitlich begrenzten Verbündeten den Kampf zu spalten oder auszuverkaufen versuchen, nicht davor zurückschrecken, auch selbst zum Mittel der Spaltung dieser Einheitsfronten zu greifen.

Wir stellen diese Taktik allen Formen der autonomen und klassenkollaborationistischen Bewegungen der Unterdrückten gegenüber. Wo bürgerliche Kräfte in Bewegungen der Unterdrückten involviert sind, versucht die revolutionäre Avantgarde die Arbeiterklasse und andere Unterdrückte von jedem Bündnis mit ihnen wegzubrechen. In der Tat bekämpfen wir durch den Aufbau von proletarischen Bewegungen und durch den schonungslosen Kampf für die kommunistische Führung innerhalb dieser die Tendenzen des Separatismus und der Volksfront, die unter den Unterdrückten auftreten. Unser Ziel ist der Aufbau kommunistischer Bewegungen, obwohl nicht alle an einer solchen Bewegung Teilnehmenden Mitglieder, und damit unter der Disziplin der revolutionär-kommunistischen Partei, sein werden.

Der Kampf gegen Diskriminierung

Andere Sektionen der Gesellschaft sind, auch wenn sie nicht sozial unterdrückt sind, trotzdem im Kapitalismus das Opfer von Diskriminierung. Die Alten, die Behinderten und die Kranken, die nicht die Voraussetzungen des Kapitalismus für die Lohnarbeit erfüllen, werden ausgestoßen und als Belastung für die Gesellschaft behandelt. Bedeutende Teile der Armen werden für Handlungen stigmatisiert und kriminalisiert, die sie nur unternehmen, um zu überleben. Andere werden als geistig krank bezeichnet und von der Gesellschaft ausgeschlossen. Die bürgerliche Gesellschaft nutzt die Marginalisierung dieser Gruppen, um ihr Konzept von „Normalität“ und ihren moralischen Kodex der ganzen Arbeiterklasse aufzuerlegen und ihre Strategie des teile und herrsche fortzusetzen.

Zum Beispiel macht die erzwungene Isolation der Alten sie zu einer Beute des Konservativismus, die Menschen mit Behinderungen aufgezwungenen Beschränkungen erlauben es, sie als nicht gewerkschaftlich organisierte billige Arbeitskräfte zu verwenden. Revolutionärinnen und Revolutionäre müssen den Kampf der Alten, Kranken und Behinderten gegen die Diskriminierung, von der sie betroffen sind, unterstützen. Dies wird ihre Integration in die Arbeiterklasse erleichtern und damit den Kampf gegen den gemeinsamen Feind stärken. Revolutionäre sollen für die Sicherstellung kämpfen, daß die Arbeiterbewegung allen Mitgliedern der Arbeiterklasse den größtmöglichen Zugang zu ihren Organisationen, Treffen und zu ihrem sozialen Leben gewährleistet. Die revolutionäre Partei sollte dabei ein Beispiel für den Rest der Arbeiterbewegung geben.

Revolutionärinnen und Revolutionäre versuchen, die militanten Kämpfer und Kämpferinnen aus den Reihen jener, die von der Diskriminierung betroffen sind, zu gewinnen. Während sie alle Kämpfe für Reformen und Verbesserungen unter dem Kapitalismus unterstützen, versuchen Kommunistinnen und Kommunisten zu erklären, daß das Profitmotiv es dem Kapitalismus unmöglich macht, die Bedürfnisse jener zu erfüllen, die er auf den Müllhaufen wirft. Außerdem schafft sein gieriger Charakter Krankheit und Behinderung. Nur eine sozialisierte und geplante Produktion kann die notwendigen Ressourcen freisetzen, um diese Gruppen vollständig in die Gesellschaft zu integrieren und die Grundlage für ihre Befreiung zu legen.

Frauen

In der imperialistischen Epoche sind Millionen Frauen in der ganzen Welt dazu verurteilt, die Misere des Kinderaufziehens und der Haushaltsführung unter Bedingungen enormer Entbehrungen zu erleiden. Frauen tragen weltweit die Hauptlast unzulänglicher Wohnverhältnisse, ungenügender Lebensmittelversorgung und des Kampfes zur Abwehr bzw. der Bewältigung der Auswirkungen von Krankheiten. Für die Mehrheit von ihnen ist Überausbeutung in der Fabrik und auf den kapitalistischen oder kleinbäuerlichen Landwirtschaftsbetrieben ebenfalls die Norm.

Den Frauen aller Klassen wird die ökonomische, soziale, rechtliche und politische Gleichheit mit den Männern verwehrt. Der globale Charakter der Unterordnung der Frauen läßt diese als natürliche Folge ihrer Rolle in der Fortpflanzung erscheinen. Doch die systematische gesellschaftliche Unterdrückung der Frauen begann erst mit der Geburt der Klassengesellschaft und der Schaffung der patriarchalen Familie als grundlegende Einheit, in der die Reproduktion, das Aufziehen der Kinder und der Kampf um das tagtägliche Überleben stattfinden. In den verschiedenen Formen der Klassengesellschaft veränderten sich zwar auch die speziellen Merkmale der Frauenunterdrückung, doch in ihrem Innersten beinhalteten sie alle die privatisierte Hausarbeit, also einen Lebensbereich, der die wesentlichste oder ausschließliche Verantwortung der Frauen ist.

In der imperialistischen Epoche verrichten Frauen einen großen Anteil der Arbeit am Land und in den Fabriken, doch bleibt ihre erste Verantwortung die gegenüber ihrem Haushalt und ihrer Familie. Das bedeutet, daß die Geschlechter ein ungleiches Verhältnis zur bezahlten Arbeit haben, was die Wurzel der fortgesetzten Frauenunterdrückung darstellt. In vielen Halbkolonien behält die Familie die Funktion einer produktiven Einheit, wobei Frauen und Kinder integraler Bestandteil der kollektiven Produktion sind. Doch noch immer sind Frauen hauptsächlich für Hausarbeit und Kinderaufziehen verantwortlich und nehmen daher eine den männlichen Haushaltsvorständen untergeordnete Position ein.

Der Kapitalismus hat sich als unfähig und unwillig erwiesen, die im Haushalt verrichtete Arbeit systematisch zu vergesellschaften. Er ist daher unfähig, die Unterdrückung der Frauen zu beenden. Die Bereitstellung vergesellschafteter Wäschereien, von Kinderbetreuungseinrichtungen und Kantinen hat sich als zu großer Abfluß vom Mehrwert der Bosse erwiesen, als daß sie es sich außer in der Ausnahmesituation eines Krieges leisten würden.

Für die Frauen, die nicht der Arbeiterklasse angehören, nimmt die Unterdrückung eine stark verschiedene Form an. Sogar in manchen herrschenden Klassen werden den Frauen die vollen Rechte über Eigentum und Erbe verweigert und sie werden von ihren Ehemännern als dekorative Besitztümer und Produzentinnen der Nachkommen gehalten. Auch wenn ihre fortgesetzte Unterdrückung weit von der Plackerei und dem Elend der Arbeiterinnen dieser Welt entfernt ist, ist sie doch ebenso eine Folge ihrer Rolle in der Familie. Die Produktion von Nachkommen bedarf der striktesten Beibehaltung der Monogamie der Ehefrauen. Die Frauen aus der herrschenden Klasse können jedoch viele der schlimmsten Aspekte ihrer Unterdrückung durch die Beschäftigung von Frauen aus der Arbeiterklasse ausgleichen, die deren Hausarbeit und das Aufziehen von deren Kindern verrichten. Außerdem können sie niemals wirkliche Verbündete der Frauen aus der Arbeiterklasse sein, da ihr Platz in der bürgerlichen Gesellschaft ihre vollständige Bindung an eben jene Gesellschaft bedeutet, die die materielle Grundlage der Frauenunterdrückung ist.

In den imperialistischen Ländern erhöhte sich seit dem Zweiten Weltkrieg die Zahl der Frauen, die in einem Lohnarbeitsverhältnis stehen, beträchtlich. In vielen Ländern geht nun die Mehrheit der verheirateten Frauen einer bezahlten Beschäftigung nach. Während diese Entwicklung Tendenzen in Richtung der Unterminierung der wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit der Frauen in sich trägt, erwiesen sich die Umstände, unter denen dies geschah, als zweischneidig. Nun müssen sie in der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit sowohl die Arbeit in Büro oder Fabrik als auch die Hausarbeit verrichten. Da es nur einen kleinen Anstieg im Ausmaß der Hausarbeit, die von den Männer verrichtet wird, gab, müssen Frauen nun sogar mehr Stunden für die Errungenschaft, nun selbst lohnabhängig zu sein, arbeiten. Und da Frauen noch immer wesentlich geringere Löhne als Männer erhalten, bleibt auch ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit weitgehend eine Fiktion. In den meisten imperialistischen Ländern verstärken gesetzliche Beschränkungen die anhaltende Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern oder Vätern.

Zusätzlich zu ihrer Rolle im Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft hat die Familie auch eine wesentliche Funktion bei der Erhaltung der sozialen Ordnung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Familie handelt als Verstärkerin der vorherrschenden Ideen der herrschenden Klasse, indem sie die jeweiligen Rollen der Männer, Frauen und Kinder erhält sowie Gehorsam und Unterwürfigkeit einprägt. Sogar dann, wenn die Kernfamilie wie in vielen imperialistischen Ländern aufgehört hat, die häufigste Form des Haushalts zu sein, liegt ihre Stärke immer noch darin, als „Ideal“ jeden Aspekt des Lebens der Frauen zu beeinflussen. Angefangen von der Art der Ausbildung der Mädchen über die von Frauen ausgeübten Berufe bis zu den von ihnen angestrebten Beziehungen – all dem drückt die „Norm“ der bürgerlichen Familie ihren Stempel auf. Diese Familie baut auf Monogamie und Heterosexualität auf und übt einen starken Anpassungsdruck auf Frauen und Mädchen aus. Die Rollen von Frauen und Männern in der Familie beschränken die Entwicklung beider Geschlechter, doch haben sie besonders repressive Auswirkungen auf Frauen.

Die Familie führt zu einer Spaltung in der Arbeiterklasse, die durch die Ideologie des Sexismus erhalten wird. In der Arbeiterbewegung ist das nicht nur eine Frage von rückständigen Ideen über die Rolle von Frauen, sondern schließt ein, daß beim Ausschluß von Frauen aus vielen Gewerkschaften mitgewirkt oder dieser entschuldigt wird. Dieser Sexismus führt zu einem Versagen im Kampf für gleichen Lohn und zu einer Weigerung, Frauen im Kampf zu unterstützen. Obwohl die Frauenunterdrückung nicht durch die Einstellung männlicher Arbeiter verursacht wird, wird sie beständig durch ihren Sexismus befestigt. Dies zeigt sich oft in brutalster Form durch häusliche Gewalt und Mißbrauch.

Die männlichen Arbeiter genießen in Folge der Frauenunterdrückung wirkliche Vorteile. Sie haben einen höheren Status im Haushalt und im gesellschaftlichen Leben. Sie sichern sich bessere Jobs und Löhne und tragen eine geringere Last bei der Hausarbeit. Diese Privilegien helfen mit, sexistische Vorstellungen und Verhaltensweisen in der Arbeiterklasse zu bestärken. Jedoch werden die Männer der Arbeiterklasse bei weitem wichtigere Errungenschaften von der endgültigen Befreiung der Frauen erhalten – die kollektive Verantwortung für Wohlfahrt, Freiheit in den Beziehungen, sexuelle Befreiung und die wirtschaftlichen Errungenschaften des Sozialismus. All dies bedeutet, daß – historisch betrachtet – die Männer der Arbeiterklasse keinen entscheidenden Nutzen aus der Frauenunterdrückung ziehen, sondern bei der Verwirklichung ihrer grundlegenden Klasseninteressen behindert werden. Denn es ist die herrschende Klasse, unterstützt von ihren Agenten in der Arbeiterbürokratie, die aus der zwischen Männern und Frauen geschaffenen Spaltung ihren Nutzen zieht.

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung in den Halbkolonien

Von frühester Kindheit an sind proletarische Frauen gezwungen, für erbärmliche Löhne zu arbeiten, und müssen nach einem extrem langen Arbeitstag die Hausarbeit erledigen oder noch zusätzliche Arbeit auf sich nehmen, um ein Auskommen für die Familie zu gewährleisten. Nicht besser ergeht es armen Bäuerinnen, die oft zusätzlich zur Hausarbeit das Land bearbeiten müssen, da ihre Männer gezwungen sind, in den Städten zu arbeiten. Armut, miserable Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit zwingen viele Frauen in die Prostitution.

Der Imperialismus untergrub zwar die ökonomische Grundlage für traditionelle, patriarchale Systeme in diesen Ländern, doch blieben alte Formen der Frauenunterdrückung, wie Mitgift, Brautpreis, Klitorisbeschneidung und Polygamie, erhalten. Die Witwenverbrennung in Indien ist ein brutales Bespiel dafür. Unter den Frauen in den Halbkolonien ist der Analphabetismus noch größer als unter den Männern. Trotz medizinischer Fortschritte hat die Masse der Frauen in den Halbkolonien keine Kontrolle über ihre Fruchtbarkeit. In Afrika und Asien sterben jedes Jahr eine halbe Million Kinder bei der Geburt. Nur eine sehr dünne gesellschaftliche Oberschicht kann Nutzen aus den Vorteilen des Kapitalismus, wie z.B. Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen, ziehen.

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, daß tausende Frauen an den antiimperialistischen Kämpfen in Vietnam, Nikaragua, Palästina und auf den Philippinen teilgenommen haben und einen hohen Preis, oft sogar mit ihrem Leben, bezahlen mußten. Doch ihre Interessen wurden immer verraten. Die kleinbürgerlichen und stalinistischen Bewegungen haben sich bei der Durchführung der Frauenbefreiung als völlig unfähig erwiesen. Die „Volksdemokratische Partei Afghanistans“ war zum Beispiel bereit, die Kampagne gegen den Analphabetismus unter den Frauen zu stoppen, um mit den islamischen Stammesfürsten zu einem Kompromiß zu kommen.

Gegen solchen Verrat setzen wir den Kampf für die Frauenbefreiung als untrennbaren Bestandteil der proletarisch-revolutionären Strategie. Proletarische und bäuerliche Frauen müssen um ökonomische Forderungen ebenso organisiert werden wie für Schutzmaßnahmen gegen Vergewaltigung, erzwungene Sterilisierung, Frauenhandel und für eine zwangsweise Beschränkung des Sextourismus.

Auch wenn Frauen aus den Halbkolonien dieser Misere entkommen, werden Millionen Immigrantinnen und Wanderarbeiterinnen in das Arbeitskräftepotential der imperialistischen Kernländer hineingezogen. Dort erfüllen sie die niedrigsten Aufgaben für sehr geringen Lohn und unter miserablen Arbeitsbedingungen.

Einwanderungskontrollen und Beschränkungen für Visa und Arbeitsbewilligungen stellen eine andauernde Bedrohung für Wanderarbeiterinnen dar. Insbesondere wird ihnen der Zugang zu vielen Arbeiten verwehrt, und sie werden so in Arbeitsbedingungen hineingezwungen, die sie von den anderen Arbeiterinnen und Arbeitern, den Gewerkschaften, ja der Arbeiterbewegung überhaupt isolieren. Sie werden oft für häusliche Dienste bei reichen Familien eingestellt, wo sie unorganisiert bleiben und stark ausgebeutet werden. Oft haben sie keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung oder auf Schutz vor willkürlichen Entlassungen. Außerdem werden ihnen politische Rechte und Sozialleistungen verwehrt. In allen Ländern fordern wir das Recht der häuslichen Angestellten und Heimarbeiterinnen und Heimarbeiter auf gewerkschaftliche Organisierung, einen Achtstundentag, einen Leben ermöglichenden Mindestlohn und das Recht auf Sozialleistungen. Von der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung fordern wir, daß sie spezielle Maßnahmen zur Organisierung dieses Teils der Arbeiterklasse setzt.

Für eine proletarische Frauenbewegung!

Um die Frauenunterdrückung zu beenden, muß die grundlegende Trennung der Hausarbeit von der Gesamtheit der gesellschaftlichen Produktion abgeschafft werden. Nur wenn Frauen voll und gleich in die Produktion einbezogen sind und die Hausarbeit in einer sozialistischen Planwirtschaft kollektiv organisiert ist, können Frauen von Unterdrückung frei sein. Allein das sozialistische Programm garantiert die Vergesellschaftung der Hausarbeit und der Kindererziehung. Doch können wir sogar unter dem Kapitalismus diesem Ziel näher kommen, indem wir für das Recht der Frauen auf Lohnarbeit kämpfen. Wo die Bosse behaupten, daß es keine Arbeit für Frauen gibt, argumentieren wir für eine gleitende Skala der Arbeitsstunden, also eine Aufteilung der vorhandenen Arbeit ohne Lohnverlust. Die Teilzeitarbeit für Frauen wird von den Bossen verwendet, die Ausbeutung von Arbeiterinnen durch niedrigen Lohn und mangelnde Arbeitsplatzsicherheit zu erhöhen, während diese Frauen ein flexibles Arbeitskräftepotential darstellen. Wir fordern volle Arbeitsplatzsicherheit für Teilzeitarbeit, verbunden mit einem Kampf für die Verringerung der Arbeitszeit für alle Arbeiterinnen und Arbeiter ohne Lohnverlust. Wir fordern die Bereitstellung vergesellschafteter Betreuung von Kindern und anderen Abhängigen, um Frauen die gleiche Teilnahme mit den Männern an der gesellschaftlichen Produktion zu ermöglichen.

Sogar dort, wo Frauen in großem Ausmaß in die Lohnarbeit hineingezogen worden sind, wurden sie nicht ökonomisch unabhängig. Es muß ihnen gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit garantiert werden, um sie vor der gegenwärtig erlittenen Überausbeutung zu schützen. Dies ist im Interesse der gesamten Arbeiterklasse. Denn weit entfernt davon, einen Schutz für die Löhne der Männer darzustellen, wie es viele reformistische Gewerkschaftsführer behauptet haben, haben die niedrigen Löhne der Frauen eine Tendenz zur Untergrabung der Lohnraten der Männer und damit auch des Lebensstandards der gesamten Klasse. Für einen gleichen Mindestlohn für Männer und Frauen, dessen Höhe durch die Arbeiterklasse bestimmt wird. Das Einkommen der Frauen muß daher durch eine gleitende Lohnskala, durch die steigende Preise an steigende Löhne gekoppelt sind, geschützt werden. Die Frauen der Arbeiterklasse werden in den Komitees zur Festsetzung der Preissteigerungen und der Lohnforderungen wesentliche Teilnehmerinnen sein. Für die Frauen in den Halbkolonien gibt es ein zusätzliches dringendes Bedürfnis nach gleichen Rechten auf Landbesitz und -eigentum.

Die Ungleichheit, die Frauen und Mädchen in Erziehung und Ausbildung erfahren, verunmöglicht es ihnen, dieselben Arbeiten wie Männer zu bekommen. Frauen müssen aber durch Aus- und Weiterbildung gleiche Möglichkeiten erhalten – von den Bossen bezahlt und unter der Kontrolle der Gewerkschaften, der Arbeiterinnen und Lehrlinge. Mädchen müssen gleichen Zugang zur Bildung haben, und in Ländern mit weitverbreitetem weiblichen Analphabetismus müssen Alphabetisierungsprogramme für Frauen eingerichtet werden.

Da Frauen noch immer die Hauptverantwortung in der Kindererziehung tragen, ist eine kostenlose Kinderbetreuung für alle unter der Kontrolle der Arbeiterinnen und Gewerkschaften und voller Lohn für die Karenzzeit notwendig, damit Frauen die gleiche Möglichkeit haben, Lohnarbeit anzunehmen. Weiters sollte eine Karenzierung auch für Väter möglich sein. Wir fordern, daß der Staat volles Arbeitslosengeld in einer Höhe, die von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt wird, all den Frauen bezahlt, denen es aufgrund der Unfähigkeit des Kapitalismus, soziale Unterstützung für abhängige Kinder und andere Verwandte zu leisten, nicht möglich ist, eine entlohnte Arbeit anzunehmen. Diese Forderung muß mit dem Kampf der Arbeiterklasse für soziale Einrichtungen, die es Frauen mit Kindern, kranken oder behinderten Verwandten ermöglichen zu arbeiten, verbunden werden. Wir treten für die kollektive Bereitstellung von Wäschereien und Restaurants ein, subventioniert vom Staat und unter Arbeiterkontrolle.

Die reproduktive Rolle der Frauen bedeutet auch, daß es verschiedene Arten von Arbeit gibt, die ihre Gesundheit oder die ihrer Kinder gefährden. Um dadurch entstehenden Schaden zu verhindern, müssen Schutzbestimmungen eingeführt werden. Wo diese vom bürgerlichen Staat gewährt wurden, geschah das einerseits aufgrund des Drucks der Arbeiterklasse, andererseits aufgrund der Einsicht von Teilen der herrschenden Klasse, daß die ungezügelte Ausbeutung zwar kurzfristigen Profitinteressen dient, aber langfristig die Reproduktion der Arbeiterklasse – und somit die Basis der Profitwirtschaft selbst – gefährdet. Zusätzlich erkannten die großen Kapitalisten, daß diese Gesetze mithelfen, kleinere Konkurrenten aus dem Geschäft zu werfen. Die Arbeiterklasse muß jedoch die Einhaltung der Schutzgesetze überwachen, da sonst die Bosse das Proletariat betrügen und immer wieder Wege finden werden, die Gesetze zu umgehen, um die Ausbeutung der Frauen zu maximieren. Die Arbeiteraristokratie und die Gewerkschaftsführer haben die Idee einer Schutzgesetzgebung dazu verwendet, Frauen aus bestimmten qualifizierten Berufen auszuschließen, um die Standesinteressen in ihrem Bereich zu schützen. Frauen dürfen aus keinem Beruf oder Gewerbe ausgeschlossen werden. Arbeiterinnenkomitees, nicht die Gewerkschaftsbürokraten, müssen entscheiden, welche Aufgaben eines jeweiligen Berufs den Frauen schaden könnten.

Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigenen Körper systematisch verwehrt. Sie werden gezwungen, ungewollte Kinder zu gebären, oder gehindert, Kinder auf die Welt zu bringen, die sie wollen. Weiters werden Frauen zu arrangierten Eheschließungen gezwungen und an Scheidungen gehindert. Kurz gesagt: Den Frauen wird die Kontrolle über ihre eigene Fruchtbarkeit verweigert. Die Frauen müssen wählen können, ob sie ein Kind gebären oder nicht, um gleichberechtigt mit den Männern in der Produktion, am sozialen und politischen Leben teilnehmen zu können. Die Bereitstellung von kostenloser Verhütung und Abtreibung für alle Frauen auf Wunsch ist unbedingt notwendig. In weiten Teilen der halbkolonialen Welt erleiden Frauen Unterdrückung, die das Ergebnis vorkapitalistischer Produktionsweisen und der Präsenz religiöser Ideologien ist. Wir sind gegen die Zwangsbeschneidung von Frauen, die ein Teil dieser Unterdrückung ist. Die Halbkolonien leiden auch unter dem Druck des Imperialismus, ihr sogenanntes „Bevölkerungsproblem“ auf Kosten der Rechte der Frauen zu lösen. Keine Frau darf zwangssterilisiert werden. Frauen werden von der Teilnahme am sozialen Leben durch rechtliche, soziale und religiöse Normen ausgeschlossen und werden oft psychisch und physisch mißbraucht. Zwangsheirat, Verkauf und Handel mit Frauen müssen gesetzlich verboten und diese Gesetze von der Arbeiterklasse durchgesetzt werden. Die vollen gesetzlichen Rechte und Sozialleistungen müssen für alle Frauen unabhängig von Alter und Familienstand zugänglich sein. Nieder mit dem Schleierzwang für Frauen und ihrem Ausschluß von jedem Teil des öffentlichen Lebens.

Die Frauen können nur befreit werden, wenn diese Forderungen für ihre unmittelbaren Interessen einen Teil des Programms für die proletarische Machtergreifung bilden. In den vereinten Kampf der Arbeiter für dieses Ziel können die proletarischen und bäuerlichen Frauen durch den Kampf für unmittelbare Ziele und Übergangsforderungen gezogen werden. Wenn die Frauen für diesen vereinten proletarischen Kampf nicht gewonnen werden, können sie ein passiver oder gar rückständiger Teil der Klasse bleiben, der für den Einfluß bürgerlicher Propaganda, im besonderen der Religion, offen ist. Werden Frauen jedoch für diese Aktionen gewonnen, können sie die männlichen Arbeiter von der sexistischen Ideologie, die die Arbeiterbewegung spaltet und schwächt, wegbrechen und gleichzeitig wirkliche Errungenschaften für sich auf dem Weg zu den Zielen der sozialistischen Revolution und der Frauenbefreiung sichern.

Die Frauen müssen für die Gewerkschaften gewonnen und dort organisiert werden, um ihren Forderungen gegenüber den Gewerkschaftsführern Nachdruck zu verleihen. In Industrien, wo Frauen mit Männern zusammenarbeiten, lehnen wir die Forderung nach einer eigenen Frauengewerkschaft ab, selbst wenn der Sexismus der Gewerkschaftsbürokraten die Teilnahme von Frauen sehr schwer macht. Der Kampf für die Vereinigung von Arbeiterinnen und Arbeitern muß geführt werden, während wir das Recht der Frauen auf gesonderte Treffen, auf Organisierung in den Gewerkschaften und auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung verteidigen. Wir müssen fordern, daß die Gewerkschaftsführer Kampagnen für die Rekrutierung von Frauen (unter Einschluß der Teilzeitarbeiterinnen, die die vollen Mitgliedsrechte erhalten und reduzierte Mitgliedsbeiträge zahlen sollten) finanzieren und unterstützen.

Wir anerkennen, daß das Erbe der kapitalistischen Rolle der Frauen als die hauptsächlichen Pflegerinnen und Kindererzieherinnen bedeutet, daß viele Frauen durch die Organisierung der Versorgung in Zeiten scharfer Klassenkämpfe und revolutionärer Krisen in die Auseinandersetzung gezogen werden. Aber die revolutionäre Partei muß für spezielle Maßnahmen agitieren, die sicherstellen, daß Frauen eine vollwertige Rolle in allen Bereichen des Kampfes spielen und von keiner Art der politischen Betätigung wegen ihrer Versorgungsrolle zurückgehalten werden.

Eine proletarische Frauenbewegung ist von zentraler Bedeutung, wenn die Frauen eine positive und wesentliche Rolle im revolutionären Kampf spielen sollen. Sie muß außerdem von Revolutionärinnen geführt werden, die mit einem Programm für die proletarische Diktatur bewaffnet sind. Eine Bewegung, die breite Arbeiterinnenschichten umfaßt, ist ein unentbehrliches Mittel zur Organisierung jener Frauen, die von der Produktion ausgeschlossen sind, das heißt der Hausfrauen, der arbeitslosen und behinderten Frauen. Eine solche Bewegung, die auf den Frauen aufgebaut ist, die in Fabriken, in Büros, in der Landwirtschaft, in den Gemeinden und in den Gewerkschaften organisiert sind, kann gleichzeitig für die Interessen der Frauen, gegen die Vorurteile männlicher Arbeiter und für den revolutionären Sturz des Kapitalismus kämpfen. In entscheidenden Schlachten des Klassenkampfes organisieren sich Frauen oft in eigenen Komitees und Gruppen. Welche Form diese Frauenorganisationen anfänglich auch annehmen: Revolutionäre müssen für ihre Umwandlung in eine proletarische Bewegung eintreten, die die Frauen aller Schichten der Arbeiterinnen, der armen Bauernschaft und der unterdrückten Teile des Kleinbürgertums in die Bewegung hineinzieht.

In der gegenwärtigen Periode, wo Revolutionäre nicht die Führung der großen Masse der Arbeiterinnen stellen, stellt sich dennoch die Aufgabe eine solche Bewegung zu organisieren. Wir fordern von den sozialdemokratischen und stalinistischen Führerinnen und Führern des Proletariats, daß sie die Mittel und die Unterstützung für den Aufbau solch einer Bewegung zu Verfügung stellen. Auf diese Art können wir in eine Einheitsfront mit den militantesten Teilen der proletarischen Frauen eintreten und versuchen, diese durch gemeinsame Aktionen und kommunistische Propaganda von ihren falschen Führern loszureißen und schließlich zu gewinnen.

Die Frauen aus anderen Klassen, vor allem die Bäuerinnen, aber auch die städtischen Kleinbürgerinnen besonders der imperialisierten Länder, werden unter der Führung der proletarischen Frauen in diesen Kampf gezogen werden. Der feministischen Linie einer klassenübergreifenden Bewegung zu folgen, würde die Preisgabe der Interessen der Arbeiterinnen bedeuten. Ein zeitweiliges Bündnis mit Teilen der bürgerlichen Frauenbewegung ist nur in einigen halbkolonialen Ländern möglich. Aber dazu müssen diese Bewegungen für zumindest bürgerlich-demokratische Rechte kämpfen und mobilisieren (z.B. der Kampf der Kongreß-Partei in Indien gegen die Witwenverbrennung). Weiters muß für eine Einheitsfront die Propaganda- und Organisationsfreiheit aller zum Kampf bereiten Tendenzen gegeben sein. Es darf keine Beschränkungen für Trotzkisten und Trotzkistinnen in ihrer revolutionären Arbeit geben.

Wir lehnen die Vorstellung einer „autonomen“ Frauenbewegung ab, da diese die Möglichkeit einer Gewinnung der Frauenbewegung für das revolutionäre Programm ausschließt und die Intervention kommunistischer Frauen als disziplinierte Mitglieder ihrer Organisation zu verhindern sucht. Kommunistinnen versuchen die Mehrheit der proletarischen Frauenbewegung dafür zu gewinnen, das revolutionäre Programm zu unterstützen und Kommunistinnen in ihre Führung zu wählen.

Die Losung der „Autonomie“ beinhaltet auch den Ausschluß der Männer von den Organisationen (und oft auch den Veranstaltungen) der Frauen. Die proletarischen Frauen können weder den Kapitalismus zerstören, noch ihre eigene Unterdrückung beenden, ohne sich im Kampf mit dem Rest ihrer Klasse, den Männern, zu vereinen. Der Ausschluß der Männer von den Aktivitäten einer Frauenbewegung erzeugt eine unnötige Barriere auf dem Weg des Kampfes gegen den Sexismus, der auch die Erziehung der Arbeiter im Prozeß des gemeinsamen Kampfes mit den Frauen beinhalten muß.

Kinder und Jugendliche

Die Söhne und Töchter der Arbeiter und Bauern erfahren die schärfsten Formen der kapitalistischen Ausbeutung und des Mißbrauchs. Den Jugendlichen werden die elementarsten Rechte auf Unabhängigkeit verwehrt. Die Jugendlichen haben keine gesetzlich garantierten Rechte, über ihre Löhne zu verfügen, keinen unabhängigen Zugang zu staatlichen Unterstützungen und de facto kein Recht zu wählen, wo und wie sie ihr Leben leben wollen. Trotzdem werden Jugendlich für reif genug gehalten, in die bewaffneten Streitkräfte zwangseingezogen zu werden, um dort zu Millionen für die militärische Verteidigung der bürgerlichen Ordnung geopfert zu werden.

Die soziale Struktur, die die Unterdrückung der Jugend erzeugt und aufrechterhält, ist die Familie. Diese Unterordnung ist wie bei der Unterdrückung der Frauen kein Kennzeichen des menschlichen Lebens schlechthin, sondern ein Produkt der Klassengesellschaft. In den einzelnen Familien werden die Kinder und Jugendlichen aufgezogen und grundlegende Kenntnisse erlernt. Zusätzlich dient sie dazu, den Jugendlichen jene Regeln einzuimpfen, mit denen sie sich im Erwachsenenalter halten sollen. Die proletarischen Kinder werden aufgezogen, um gehorsame Arbeiter zu sein. Die männlichen Kinder der Bourgeoisie werden gelehrt, erfolgreiche Industriekapitäne und Generäle der Streitkräfte zu sein, und die Mädchen dazu herangezogen, gehorsame Hausfrauen oder Produzentinnen zukünftiger Erben zu sein.

Die Jugendlichen der Arbeiterklasse und der armen Bauernschaft sind der schärfsten Unterdrückung ausgesetzt: Die Unterdrückung in der Familie geht mit der Überausbeutung in der Produktion und einem geringen Bildungsniveau einher. Diese Jugendlichen sind das Rückgrat der Billiglohnindustrien. Das spiegelt die Lage der Jugend in der Familie wider: Bei ihren Löhnen ist generell die Zugehörigkeit zu einer größeren ökonomischen Einheit vorausgesetzt. Das verstärkt umgekehrt die Abhängigkeit der Jugendlichen von den Eltern. Die proletarischen Jugendlichen an den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen erhalten wenig oder kein Einkommen, eine qualitativ schlechte Ausbildung und eine Erziehung, die bestimmt ist, den Interessen der Bourgeoisie zu dienen.

In ihrer extremsten Form ist die Stellung der Jugend- und Kinderarbeit eine Form der Sklaverei, bei der alle Löhne an das Familienoberhaupt, normalerweise den Vater, bezahlt werden. Wo die Kinderarbeit üblich ist, wie in vielen Halbkolonien, kümmern sich die Bosse überhaupt nicht um das Wohl der heranwachsenden Kinder, sondern treiben sie in Krankheit und frühen Tod. Die Armut der Eltern ist so drückend, daß sie keine Alternative dazu sehen, ihre Kinder in die Hölle der Überausbeutung zu schicken. Die Gesetze zum Schutz der Kinder werden sowohl von den Unternehmern als auch von den Eltern ignoriert. Das bestätigt die Marx’sche Erkenntnis, daß das Recht in einer Gesellschaft niemals höher als ihre ökonomische Basis sein kann.

Eine andere Konsequenz dieser wirtschaftlichen und rechtlichen Abhängigkeit ist die Unterdrückung des Sexuallebens der jungen Menschen. In der Klassengesellschaft ist das ein notwendiger Ausgangspunkt, um den Jugendlichen Konformität und Unterordnung einzuimpfen. Den Kindern wird die Bildung eines rationalen Verständnisses ihrer sexuellen Gefühle bzw. deren Verbindung mit sozialer Verantwortung nicht gestattet. Der kindlichen Sexualität wird jeder freie Ausdruck verwehrt; selbst jene Gefühle werden unterdrückt, die mit der heterosexuellen Norm, die die bürgerliche Gesellschaft vorschreibt, nicht widersprechen. Statt dessen werden die jungen Leute moralischen und religiösen Tabus unterworfen, die zur Vernebelung ihres Bewußtseins mit irrationalen Ängsten dienen. Das ganze Seelenleben des Kindes wird dazu gezwungen, sich um seine Eltern zu konzentrieren und an diese zu binden. Dadurch werden die bürgerlichen Vorstellungen des Individuums und der Privatheit gegen jedes kooperative und kollektive Ideal anerzogen.

Um die Jugendlichen von ihrer ökonomischen, sozialen, rechtlichen und sexuellen Unterordnung zu befreien, bedarf es der Umwälzung der Gesellschaft, um sicherzustellen, daß der individuelle Familienhaushalt nicht länger der ausschließliche Ort zur Durchführung der Hausarbeit und der Kindererziehung bleibt. Dies würde es zugleich mit der Herausbildung der Bedingungen für die Frauenbefreiung auch den Jugendlichen ermöglichen, unabhängig von ihren Eltern zu sein, mit soviel oder sowenig Kontakt zu ihnen, wie sie wollen, aber mit von der Gesellschaft bereitgestellter Wohnung, Reinigungsdienst, Nahrung, Kleidung, Freizeiteinrichtung und Kinderbetreuung für alle.

Wirtschaftliche Unabhängigkeit, angemessene Ausbildung und Freiheit von Überausbeutung sind Schlüsselforderungen für die Jugend. Für all jene in Lohnarbeitsverhältnissen muß gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit unter Arbeiterkontrolle erreicht werden, um die gewaltigen Lohndifferenzen zwischen jugendlichen und erwachsenen Arbeitern zu überwinden. Jugendliche, die erstmals ins Erwerbsleben eintreten, sollten nur eine verringerte Stundenzahl arbeiten und das Recht auf längeren Urlaub als erwachsene Arbeiter haben. Bis zum Ende der Schulpflicht müssen für Jugendliche und Kinder die Arbeitsstunden streng begrenzt und die Arbeitsbedingungen durch die Arbeiterklasse und Komitees von jugendlichen Arbeitern überwacht werden. Schutzgesetze sind notwendig, die Nachtarbeit, lange Arbeitszeit und andere Tätigkeiten, die für die Entwicklung und Gesundheit der Jugendlichen schädlich sein könnten, verbieten. Diese müssen von den Arbeitern und Jugendlichen kontrolliert werden.

Erziehung und Ausbildung der Jugend ist eine Sache der ganzen Arbeiterklasse. Die Bosse müssen gezwungen werden, Ganztagsschulen und finanzielle Unterstützung, zuerst für die Familien und dann für die Schüler selbst, bereitzustellen. Bildung muß kostenlos sein, alle Ausgaben sollen vom Staat bezahlt werden. Es sollte eine allen zugängliche Gesamtschule sein, die bis zu einem von der Arbeiterbewegung festgesetzten Alter verpflichtend zu besuchen ist. Wir kämpfen für die Abschaffung von Tests und Prüfungen, die zur Aufnahmebeschränkung in den Bildungsinstitutionen geschaffen wurden. Allen, die nach dem schulpflichtigen Alter in Ausbildung stehen, muß ein ausreichendes Stipendium in einer Höhe, die von Komitees der Studenten, Arbeiter und Lehrer festgesetzt und gegen die Inflation geschützt ist, gezahlt werden.

Bildung muß für Mädchen und Buben gleichermaßen zugänglich sein, und die Arbeiterbewegung muß für die Integration der schulischen Ausbildung (Koedukation) der Buben und Mädchen kämpfen. Diese muß weltlich sein – keine religiöse Propaganda in Schulen, keine staatlichen Mittel für religiöse Schulen! Wir kämpfen gegen bürgerliche Vorurteile in den Lehrplänen, für Unterricht über die Geschichte der Arbeiterbewegung und das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung. In den Schulen und anderen Bildungsstätten kämpfen wir für die Integration von Schulbildung und Erfahrung in der Produktion, und zwar mit dem Ziel, die Trennung von Hand- und Kopfarbeit – ein Kennzeichen bürgerlicher Erziehung – zu überwinden. Gleichzeitig muß die Arbeiterbewegung dagegen kämpfen, daß die Kapitalisten Studenten und Lehrlinge als billige Arbeitskräfte verwenden. Wir kämpfen für angemessene kulturelle und sportliche Ausstattung und für eine freie Diskussion über sexuelle, soziale und politische Fragen an den Schulen. Wir fordern die Ausbildung der Jugendlichen im Gebrauch von Waffen, wobei wir jedoch jede Anwesenheit der Polizei oder der Armee an den Schulen, Fachschulen und Universitäten ablehnen.

Wir kämpfen dafür, alle Erziehungsmittel unter die Kontrolle der Arbeiterklasse, der Studenten und Schüler zu stellen. Während wir gegen private Ausbildungsinstitutionen und für die Nationalisierung der Universitäten kämpfen, kämpfen wir für die Unabhängigkeit der Erziehungsinstitutionen vom kapitalistischen Staat. Die Führung der Ausbildungsinstitutionen muß unter die direkte Kontrolle der dortigen Arbeiter, Studenten und Lehrer und der Vertreter der Arbeiterbewegung gestellt werden. Diese müssen auf Massenversammlungen aller Beteiligten nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ gewählt werden. Wir treten für das Recht der Schüler und Studenten ein, Gewerkschaften und politische Organisationen zu bilden, und für das Zutrittsrecht von Arbeitervertretern zu Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Vertreibt die Faschisten von den Schulen, Fachschulen und Universitäten! Die Kontrollorgane der Arbeiter, Studenten und Schüler müssen für das Recht kämpfen, ein Veto gegen die Ernennung reaktionärer Lehrer aussprechen zu können.

Die Studenten und Studentinnen als ganzes sind nicht automatisch natürliche Verbündete der Arbeiterklasse. Viele Studenten kommen aus den höheren und mittleren Klassen. Studenten, die nicht arbeiten müssen, sind in einer privilegierten Position, da sie nicht dem Tagesablauf der Arbeiterklasse unterworfen sind. Weiters haben viele Studenten und Studentinnen aufgrund ihrer Ausbildung Privilegien. Trotzdem können und müssen viele Studenten – zukünftige Wissenschafter, Techniker, Rechtsanwälte und Künstler – auf die Seite der revolutionären Arbeiterbewegung gewonnen werden und sie dadurch stärken. Seit der Zeit von Marx und Engels wurden die besten Elemente der Intelligenz jeder Generation für die Sache des Proletariats gewonnen. Die Massenkämpfe der Studenten und Studentinnen zeigen – in den degenerierten Arbeiterstaaten ebenso wie in den kapitalistischen Ländern -, daß die Studenten und Studentinnen im Kampf für den Sozialismus, Schulter an Schulter mit der proletarischen Avantgarde, eine wichtige Rolle spielen.

Wir kämpfen daher für die Einheit der Arbeiter und Studenten, ausgedrückt in permanenten Verbindungen zwischen der Arbeiterbewegung und den Studentenorganisationen. Dadurch können Studenten und Studentinnen auf die Seite der Arbeiterklasse gewonnen werden. Der Enthusiasmus und Idealismus der Studenten und Studentinnen wiederum können den Arbeitermilitanten helfen, ihre bürokratischen und konservativen Führer zu vertreiben. Die Studenten sollten sich der Taktiken des Klassenkampfes bedienen – Streik und Besetzung -, um ihre Forderungen durchzusetzen. Sie sollten für die Kontrolle der Studentengewerkschaften durch die Basis und gegen staatliche Einmischung und Kontrolle kämpfen. In einigen Ländern existiert eine Studentenbürokratie, die, obwohl sie kein Teil der Gewerkschaftsbürokratie ist, aktiv dieselbe Ideologie und politische Methode wie diese propagiert. Diese Führungen müssen gestürzt und die Studentenorganisationen für die Unterstützung der wirklichen Kämpfe der Arbeiter gewonnen werden.

Arbeitslose Jugendliche müssen für eine gründliche Bildung und Ausbildung, volle wirtschaftliche Unterstützung und für eine gleitende Arbeitszeitskala zur Aufteilung der Arbeit auf alle Hände unter Arbeiterkontrolle kämpfen. All jene, die aus den Bildungsinstitutionen entlassen werden und keine Arbeit finden, müssen volle Arbeitslosenunterstützung erhalten, um sicherzustellen, daß die Arbeitslosigkeit nicht zur vollständigen wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Familie führt.

In der Familie sind es die Eltern, die für die Unterdrückung ihrer Kinder unmittelbar verantwortlich sind. Das trifft selbst dort zu, wo die Eltern fortschrittliche Ideen vertreten. Öfter allerdings unterdrücken die Eltern ihre Kinder auf brutale Art, bestrafen Ungehorsam mit Gewalt und Mißbrauch. Die Jugend benötigt daher volle gesetzliche und politische Rechte in der Familie und anderswo als Hilfe zur Brechung der Herrschaft und Macht, die die Eltern über sie ausüben. Die sozialen Einschränkungen, die die Familie auf die Jugendlichen oft in Verbindung mit der Religion ausüben, unterdrücken viele junge Männer und Frauen aufs Schärfste. Da ihnen die Familie das Recht auf die Ausübung der von ihnen gewählten sozialen und sexuellen Aktivitäten verwehrt, müssen soziale Zentren zur Verfügung gestellt werden, wo alle Einrichtungen für diese Aktivitäten frei zugänglich sind. In diesen sozialen Zentren sollten Information und Aufklärung über Sexualität zusammen mit kostenlosen Verhütungsmitteln und Hinweisen auf Abtreibungsmöglichkeiten erhältlich und zugänglich sein. Das gesetzliche (sexuelle) Mündigkeitsalter leistet nichts, um Jugendliche vor sexuellem Mißbrauch zu schützen. Es straft nur beidseitig gewollte sexuelle Beziehungen von Individuen unter einem bestimmten Alter. Schafft daher das (sexuelle) „Mündigkeitsalter“ ab!

Die Jugendlichen müssen volle politische und gesetzliche Rechte auch in der öffentlichen Sphäre erlangen. Wenn die Jugend reif genug ist, in die Armee der Bosse zwangseingezogen zu werden, um deren Ausbeutungssystem zu verteidigen, dann sind sie auch reif genug, um verantwortliche Entscheidungen in Friedenszeiten zu treffen. Das Wahlrecht sollte bei einem gesetzlichen Minimum von maximal 16 fixiert werden und darunter von der jeweiligen nationalen Arbeiterbewegung bestimmt werden. Das Recht, gesetzlich bindende Entscheidungen in finanziellen und öffentlichen Angelegenheiten zu treffen, muß ab demselben Alter garantiert werden.

Die Jugend, vor allem die männliche, ist das Kanonenfutter der bürgerlichen Armeen. Hunderttausende Jugendliche beiderlei Geschlechts wurden im Dienste der Reaktion zynisch geopfert, sei es für den US-Imperialismus in Vietnam oder durch das Fortführen eines Ablenkungskrieges im Iran. Es ist notwendig, die Jugend im Geist des proletarischen Anti-Imperialismus und Anti-Militarismus zu erziehen. Der Pazifismus stumpft nur den Geist ab und bereitet zukünftigen Schlächtereien den Weg. Die Jugend muß unter Anleitung der Arbeiterbewegung in militärischen Techniken trainiert werden. Sie wird das Rückgrat der Verteidigungseinheiten der Streikposten und den Kern der zukünftigen Arbeitermilizen darstellen.

In Zeiten akuter Krisen und Klassenkämpfe können arbeitslose Jugendliche, die keinerlei Erfahrung in der Produktion und mit Solidarität haben, zur Unterstützung faschistischer Banden oder als Streikbrecher mobilisiert werden. Um dieser Gefahr zu begegnen, muß die organisierte Arbeiterklasse die Jugend in die Gewerkschaften ziehen. Für junge Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich den Gewerkschaften anschließen, muß es reduzierte Mitgliedsbeiträge, aber vollständige Mitgliedsrechte geben. Die Jugendlichen müssen eigene Gewerkschaftssektionen organisieren, um ihre Forderungen voranzutreiben, sich zu schulen und andere junge Arbeiter und Arbeiterinnen zu rekrutieren.

Es gibt sehr große Möglichkeiten zur Gewinnung der Jugend für die revolutionäre Vorhut der Arbeiterklasse. Da sie natürlich mehr als jede andere Generation um die Zukunft besorgt ist, kann sie schnell für einen revolutionären bzw. sozialistischen Standpunkt gewonnen werden. Die Jugend ist in der Regel frei von dem Konservatismus, der den Geist von so manchem älteren Arbeiter gebrochen hat. Sie wurde nicht durch die jahrelange Erfahrung der reformistischen (Irre-) Führung und des Verrats zermürbt.

Eine revolutionäre Jugendbewegung muß aufgebaut werden. Sie ist ein Schlüssel zur Organisation des Kampfes für die Macht der Arbeiterklasse und die Befreiung der Jugend. Bewaffnet mit dem revolutionären Übergangsprogramm, wird diese Bewegung die Jugendlichen anderer Klassen, besonders der armen Bauern und der städtischen Kleinbourgeoisie, in sich hineinziehen. Die revolutionäre Jugendbewegung sollte auf jeder Ebene der Arbeiterbewegung repräsentiert sein. Dieses Prinzip gilt mit doppelter Kraft auch für die revolutionäre Partei, die damit der gesamten Arbeiterbewegung ein Beispiel geben soll.

Lesben und Schwule

Sexuelle Unterdrückung ist ein Merkmal aller Klassengesellschaften. Die Durchsetzung der Monogamie für die Frauen begleitete die Entstehung von Privateigentum und Klassen bzw. war wesentlich mit ihr verbunden. Im Kapitalismus existiert noch immer eine allgemeine sexuelle Unterdrückung, insbesondere der Frauen und Jugendlichen. Der Kapitalismus hat aber auch die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen hervorgerufen. Welcher liberalen Gesten sich die kapitalistische Gesellschaft auch immer in Zeiten des Aufschwungs fähig gezeigt hat, sie bleibt doch an sich anti-homosexuell.

Da die Familie für den Kapitalismus ideologisch und wirtschaftlich sehr zentral ist, wird jede Gruppe, die die monogame, heterosexuelle „Norm“ der bürgerlichen Familie unterwandert, als äußerste Gefahr für die Gesellschaft gesehen und dementsprechend gebrandmarkt. Lesben und Schwule stellen eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie und für ihre ideale Kernstruktur dar, indem sie aufzeigen, daß Sexualität weder eine bloß auf die Schaffung von Nachwuchs gerichtete Aktivität, noch ein Mittel zur Zementierung der monogamen heterosexuellen Ehe ist. Sie bezeugen die Tatsache, daß Sexualität selbst ein Vergnügen darstellt. Das Faktum, daß lesbische und schwule Sexualität eindeutig nicht-reproduktiv ist, stellt eine Bedrohung für die Legitimität der bürgerlichen Familie dar.

Im Kapitalismus werden Lesben und Schwule systematisch denunziert, mißbraucht und kriminalisiert. Dies führt zu sexuellem Elend für Millionen Individuen und schürt schädliche Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse. Durch die Manipulation von Erziehung, Medien, Religion und Rechtssystem und durch die stillschweigende Duldung der Gewerkschaftsbürokratie, fördert die Bourgeoisie die Idee, daß Homosexualität „unnatürlich“ sei.

In den 80er Jahren verwendete die Bourgeoisie in den imperialistischen Ländern die Entwicklung der AIDS-Epidemie zur Verfolgung der Homosexuellen, insbesondere der Schwulen, die beschuldigt wurden, die Überträger der Krankheit zu sein. Innerhalb der Arbeiterklasse sind diese Argumente allgemein akzeptiert worden, und eine tief verwurzelte Angst vor Homosexualität (Homophobie) ist die Norm. Diese Homophobie schafft oft die Grundlage für einen aktiven, häufig gewaltsamen, Fanatismus gegen Lesben und Schwule in der Arbeiterklasse. Dennoch hat das Proletariat kein materielles oder fundamentales Interesse an der Aufrechterhaltung der lesbischen oder schwulen Unterdrückung oder in der Verewigung des anti-lesbischen und anti- schwulen Fanatismus.

Lesben und Schwule erleiden Unterdrückung in allen Bereichen, bis hin zu gesetzlichen Sanktionen. Während Lesben und Schwule aller gesellschaftlichen Klassen von ihr betroffen sind, ist sie doch für die Angehörigen der Arbeiterklasse am stärksten. Die Unterdrückung hat ihre Auswirkung auf die beruflichen Möglichkeiten. Männer und Frauen, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen, bekommen schwerer Arbeit, werden am Arbeitsplatz isoliert und mißbraucht und verlieren leichter ihre Arbeit, ihre Unterkunft und ihre Kinder. Im Gegensatz zu unterdrückten Mitgliedern der herrschenden Klasse haben aber Lesben und Schwule der Arbeiterklasse keine andere Alternative, als Arbeit zu suchen. Folglich sind sie oft gezwungen, ihre Sexualität zu verleugnen und erleiden durch diese Verleugnung und Unterdrückung psychischen Schaden.

Die Arbeiterklasse muß für die Beendigung jeglicher Diskriminierung von Lesben und Schwulen kämpfen. Die Homosexualität ist ein grundlegendes demokratisches Recht. Der Staat soll keine Rechte haben, dort in die Sexualität von Menschen einzugreifen, wo eine freiwillige Zustimmung der Beteiligten besteht. Die Abschaffung des Mündigkeitsalters ist notwendig, um der Polizei und den Gerichten eine weitere Waffe, junge Lesben und Schwule zu schikanieren, aus der Hand zu schlagen. Die Diskriminierung muß in jedem Bereich, einschließlich des Arbeitsplatzes, der Unterkünfte und des Sorgerechtes für Kinder, bekämpft werden. Gesetzlich verankerte Rechte sollen von der Arbeiterklasse erkämpft und verteidigt werden. Der Staat muß gezwungen werden, in den Schulen Aufklärung über Sexualität anzubieten, ohne die Homosexualität zu verurteilen, wie es heute gang und gäbe ist. Die religiöse, anti- homosexuelle Engstirnigkeit muß aus den Klassenräumen verbannt werden.

Millionen von Lesben und Schwulen sind Teil der Arbeiterklasse. Die große Mehrheit bekennt sich nicht zu ihrer Sexualität – aus Angst vor Schikanen und Verfolgung. Jene, die es getan haben, erlitten infolge ihrer Offenheit Nachteile. Die Organisationen der Arbeiterklasse müssen für die Unterstützung der Rechte aller Homosexuellen – offen zu ihrer Sexualität stehen zu können, Widerstand gegen polizeiliche Schikanen oder faschistischen Terror zu leisten, das Recht auf Arbeit zu verteidigen und einen Mindestlohn zu erhalten – gewonnen werden. Eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts für Leute mit verschiedenen sexuellen Orientierungen muß die sexistische und heterosexistische Engstirnigkeit, die momentan in der Arbeiterklasse der ganzen Welt vorherrscht, ersetzen.

Die Lesben und Schwulen der Arbeiterklasse müssen das Recht auf eigene Treffen innerhalb der Organisationen der Arbeiterklasse haben, um gegen die Homophobie und für volle politische und soziale Gleichheit zu kämpfen. Um den Kampf über bestimmte Anliegen des eigenen Bereichs oder der unmittelbaren Umgebung hinauszutragen, müssen solche Zirkel mit denjenigen Einheitsfronten und Kampagnen verbunden werden, die ein Teil der proletarischen Bewegung für eine lesbische und schwule Befreiung sein könnten. Revolutionäre und Revolutionärinnen werden um die politische Führung in solchen Einheitsfrontorganisationen kämpfen, um Lesben und Schwule für ein Programm ihrer Befreiung und für den revolutionären Sozialismus zu gewinnen.

Die systematische Unterdrückung von Lesben und Schwulen wird nicht aufhören, solange die bürgerliche Familie als Modell für das gesellschaftliche Leben gefördert und verteidigt wird. Das ist ein Grund, warum der Kampf für die Beendigung dieser Form der Unterdrückung mit dem Programm für die Macht der Arbeiterklasse verbunden werden muß. Eine solche Revolution wird fähig sein, die lesbischen und schwulen Proletarier von den materiellen Entbehrungen, die ihnen als direktes Ergebnis ihrer Unterdrückung und Ausbeutung durch den Kapitalismus auferlegt sind, zu befreien. Und sie kann auch dem sexuellen Elend, das das Leben von Millionen zunichte macht, ein Ende bereiten.

Rassistische Unterdrückung

Moderne Nationen können nicht mit sogenannten Rassen gleichgesetzt werden. Rassistische Unterdrückung ist das Produkt des Entstehens der bürgerlichen Nation. In der merkantilistischen Periode des frühen Kapitalismus war in gewissen Ländern die Sklaverei eine Grundlage für die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals. Die Ausdehnung der kapitalistischen Kolonialreiche brachte für die Eingeborenenbevölkerung die systematische Verweigerung einfacher Menschenrechte und sogar Völkermord mit sich. Aber der Rassismus nahm in der imperialistischen Epoche seine gehässigste Form an: Wirtschaftliche Katastrophen, Revolutionen und Kriege haben einen modernen, pseudo-wissenschaftlichen Rassismus ins Leben gerufen. Er existiert sowohl als fieberhaftes Hirngespinst des Kleinbürgertums als auch als bewußtes Werkzeug der imperialistischen Bourgeoisie.

In unserem Jahrhundert ist das „Rassen“-Problem nicht ein Problem angeblicher rassischer Unterschiede, sondern es ist eine Funktion des Rassismus: die Unterdrückung von Menschen ihrer (angeblichen) „Rasse“ wegen. Die Opfer dieses systematischen Rassismus sind zahlreich. An vorderster Front stehen die Juden, die im Zweiten Weltkrieg einen Völkermord erleiden mußten, und die Schwarzen aus Afrika, aus der Karibik, aus den USA und die, die nach Europa emigriert sind. In Südafrika schuftet die schwarze Mehrheit schon lange unter der barbarischen Unterdrückung durch die Apartheid. Zusätzlich sog der Nachkriegsboom Millionen von Arbeitern aus den Halbkolonien in die imperialistischen Kernländer, aus einer Halbkolonie in die andere und aus weniger entwickelten in höher entwickelte imperialistische Länder. Diese Wanderarbeiter und eingewanderten Arbeiter sind auch rassisch unterdrückt.

Den Opfern rassistischer Unterdrückung werden systematisch demokratische Rechte verweigert. Der Rassismus von Polizei und Staat stürzen auf sie ein. Dies dient im weiteren dazu, gewalttätige Angriffe von einzelnen Rassisten, von Banden und organisierten Faschisten zu ermutigen. Die rassistisch Unterdrückten erleiden Diskriminierung in der Ausbildung und in allen Bereichen der sozialen Vorsorge. Sie sind bei der Arbeit einer Überausbeutung ausgesetzt. Wann immer der Kapitalismus in die Rezession gerät, leiden rassistische unterdrückte Minderheiten am meisten unter Arbeitslosigkeit und niedrigen Löhnen.

Für die arbeitenden Massen der rassistisch Unterdrückten gibt es keine kapitalistische Lösung für ihre Unterdrückung. Die Tendenz des Kapitalismus, Immigrantengemeinden zu integrieren und in verschiedene Schichten zu spalten, begünstigt immer die kleinbürgerlichen und bürgerlichen Schichten auf Kosten der ärmsten Massen. Und selbst diese Tendenz wurde wiederholt in ihr Gegenteil verkehrt, wenn der Kapitalismus in seinen Krisenperioden auf ungeschminkten Rassismus und Nationalchauvinismus zurückgreift. Die Schlachtung von sechs Millionen Juden unter Hitler zeigt das barbarische Potential der Epoche. Egal welches Niveau von „Chancengleichheit“ oder „bejahendem Handeln“ erreicht ist, die scharfen Wendungen des Imperialismus in Politik und Wirtschaft machen die Unterdrückten potentiell zu Opfern der völkermordenden „Endlösung“ des verzweifelten Finanzkapitals.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen betreiben innerhalb der unterdrückten Gemeinden Agitation und Propaganda für die strikteste Trennung der Klasseninteressen der Arbeiter von denen der Bourgeoisie, des Kleinbürgertums und den Interessen des Klerus. Zu diesem Zweck kann die revolutionäre Partei spezielle Organisationen schaffen, aber sie wendet sich entschieden gegen den Ruf nach einer separaten politischen Partei irgendeiner rassistischen Gruppe, egal welchen ultra-radikalen politischen Inhalt sie hat. Separatismus und Nationalismus führen vom Gesichtspunkt des Kampfes zur Beendigung der Unterdrückung in eine Sackgasse.

Die Erfahrungen der Kämpfe der Schwarzen in den USA zeigen sowohl die Fallgruben als auch das revolutionäre Potential der Kämpfe gegen rassistische Unterdrückung auf. Während des langen Nachkriegsbooms lebten die Schwarzen unter einer „demokratischen“ Verfassung, und die formale Abschaffung der Sklaverei lag ein Jahrhundert hinter ihnen. Doch sogar in diesen Jahrzehnten des „Wohlstandes“ wurden die Schwarzen massiv entrechtet, überausgebeutet und in den Südstaaten einer Form von Apartheid ausgesetzt. Ausgehend vom passiven Protest, der von schwarzen Geistlichen und der Intelligenz geführt wurde, entwickelte sich der Widerstand der Schwarzen zu einer Massenrevolte und zu bewaffneten Zusammenstößen mit der Polizei und der National Guard.

Aber der Massenaufstand war mit einer massiven Führungskrise gekoppelt. Auf der einen Seite war das integrationistische Kleinbürgertum dazu bereit, zugunsten von Reformen und größerem Zugang zu lokalen und bundesstaatlichen Regierungen die Massenrevolte zu demobilisieren. Andererseits war die radikale Opposition zu diesem Ausverkauf – die Black Panthers, Malcolm X – nicht in der Lage, einen kompletten Bruch mit Separatismus und Guerillaismus zu vollziehen. Von der Masse der weißen Arbeiter und den Massen der schwarzen Gemeinden abgeschnitten, wurde die Avantgarde vom US-Staat zermalmt. Nachdem der US-Imperialismus diesen Sieg errungen hatte, verleibte er sich eine schwarze Bourgeoisie und eine Kaste professioneller Politiker ein und ließ die erdrückende Mehrheit in Amerikas zerrütteten Innenstädten verkommen.

Nur die Überwindung des Imperialismus, die Befreiung der Produktivkräfte von den Ketten des nationalen Kapitalismus, kann die materiellen Wurzeln der rassischen Unterdrückung beseitigen. Der Kampf gegen Rassismus muß daher einen integralen Bestandteil des Programms und der Aktivität der revolutionären Partei in jeder Periode bilden. Diese muß ihr Übergangsaktionsprogramm um die alltäglichen Kämpfe der rassistisch Unterdrückten konzentrieren, die sich gegen die Diskriminierung in Ausbildung, Löhnen, Beschäftigung und Arbeitsbedingungen wenden. Die Partei kann und muß unter den Männern, Frauen und Jugendlichen der rassistisch Unterdrückten Massen heldenhafter Kämpfer und Kämpferinnen finden und um dieses Programm versammeln.

Weil sie von Klassenkollaborateuren und Sozialchauvinisten geführt werden, spiegeln die offiziellen Arbeiterbewegungen der imperialistischen Kernländer den Rassismus und Chauvinismus der herrschenden Klasse wider und sind häufig ein Instrument der Herrschenden. Aber es gibt für die Unterdrückten keinen anderen Weg zur Befreiung, als durch einen Kampf die Mehrheit der Arbeiterklasse für gemeinsame Aktionen gegen den Rassismus zu gewinnen.

Revolutionäre Kommunisten und Kommunistinnen kämpfen innerhalb der Arbeiterbewegung für gemeinsame Aktionen gegen alle rassistischen Angriffe und Gesetze, sowie für Arbeiterverteidigungstrupps gegen rassistische und faschistische Attacken. Wir kämpfen für volle Staatsbürgerschaft und demokratische Rechte für alle rassistisch unterdrückten und nationalen Minderheiten, für alle Immigranten- und Wanderarbeiter. Wir kämpfen für die Abschaffung aller Einwanderungskontrollen in den imperialistischen Ländern. In den Halbkolonien gilt unser Kampf den kolonialen Niederlassungen, und wir unterstützen die Einführung von zeitlichen und anderen Einschränkungen der Staatsbürgerschaft für weiße Siedler. Wir sind gegen alle neuen kolonialen Niederlassungen von Kapitalisten und reichen Farmern. Dies ist die einzige Ausnahme, die wir, und zwar in halbkolonialen Ländern, von unserer allgemeinen Opposition gegenüber Einwanderungskontrollen machen.

Es ist skandalös vorzuschlagen, daß die rassistisch Unterdrückten passiv ausharren und den Rassismus geduldig ertragen sollten, bis die Masse der weißen Arbeiter und ihre Organisationen für eine anti-rassistische Perspektive gewonnen worden sind. Wir fordern Unterstützung der Arbeiterbewegung für die Selbstverteidigung gegen rassische Angriffe. Um den rassistisch Unterdrückten zu helfen, sich innerhalb der Arbeiterbewegung gegen den Rassismus zu organisieren und vollständig an den Kämpfen der ganzen Arbeiterklasse teilzunehmen, sind wir für das Recht der Unterdrückten auf eigene Treffen und auf ihre Vertretung auf allen Ebenen der Arbeiterbewegung; das gilt auch für die revolutionären Partei selbst.

Der Klassenkampf und das vollständige System von Übergangsforderungen werden innerhalb der unterdrückten Gemeinschaften nicht außer Kraft gesetzt, egal unter welcher akuten gemeinsamen Unterdrückung sie auch leiden. Während die Möglichkeit besteht, mit nicht-proletarischen Organisationen innerhalb der Gemeinschaften begrenzte taktische Übereinkommen zu schließen, müssen diese auf gemeinsamer Aktion und striktester Trennung der Programme basieren. Zu jeder Zeit muß die Arbeiterklasse der unterdrückten Gemeinschaften gegen ihre eigenen Unterdrücker, welcher Nationalität oder ethnischer Herkunft auch immer, und für die Befreiung der Frauen, der Jugendlichen, der Lesben und der Schwulen mobilisiert werden.




Französische unterdrückte Jugendliche fordern Gerechtigkeit für Nahel!

Marc Lassalle, Paris, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

27. Juni, Nanterre (Banlieue von Paris): Zwei Polizisten halten ein Auto an, einer von ihnen richtet eine Pistole aus nächster Nähe auf den Fahrer und schreit: „Mach auf oder ich schieße dir eine Kugel in den Kopf!“. Ein Schuss und Sekunden später: Der 17-jährige Nahel Merzouk ist tot. Im offiziellen Bericht heißt es, die Polizei habe in Notwehr gehandelt. Ein Video zeigt, dass dies eine Lüge ist, beweist das Gegenteil und geht viral. Zehntausende von Jugendlichen gehen daraufhin in Nanterre auf die Straße.

In den folgenden Nächten strömen sie in ganz Frankreich auf die Straßen. In Paris, Lyon, Marseille, Strasbourg fordern sie Wahrheit und Gerechtigkeit, greifen die Polizei und öffentliche Gebäude an. Auch außerhalb Frankreichs, in Brüssel, aber auch in den französischen Kolonien bis hin nach La Réunion und Französisch-Guayana haben Jugenddemonstrationen stattgefunden.

Systematische rassistische Gewalt

Der Grund für die Wut ist, dass dieser Mord und die Lügen der Polizei darüber kein Einzelfall sind: Im Jahr 2022 wurden 12 Menschen von der Polizei unter ähnlichen Umständen getötet und in den meisten Fällen gab es keine ernsthaften Ermittlungen, geschweige denn Anklagen. Ein 2017 verabschiedetes Gesetz ermächtigte die Polizei, bei „Gehorsamsverweigerung“ zu schießen, was von dieser schnell als das Recht interpretiert wurde, ungestraft zu töten. In den meisten Fällen dienen die offiziellen Berichte, Ermittlungen und Disziplinarorgane nur dazu, die Wahrheit zu vertuschen.

Die Haltung der Polizei gegenüber jungen Menschen nordafrikanischer Abstammung wie Nahel ist unverhohlen rassistisch. Im gemeinsamen Kommuniqué der Polizeiverbände heißt es: „Angesichts dieser wilden Horden reicht es nicht mehr aus, um Ruhe zu bitten, wir müssen sie erzwingen […] Es ist nicht Zeit für gewerkschaftliche Aktionen, sondern für den Kampf gegen dieses Ungeziefer.“

Obwohl Präsident Emmanuel Macron den Mord zunächst als „unentschuldbar“ bezeichnete, wandte er sich schnell gegen die „Randalier:innen“. In der Tat sind er und seine Vorgänger als Präsident, François Hollande, Nicolas Sarkozy und Jacques Chirac, maßgeblich für diese Vorfälle verantwortlich. Sie alle griffen auf eine immer stärker bewaffnete Polizei zurück, als „Lösung“ für die drängenden sozialen Probleme der Banlieues – Arbeitslosigkeit, schlechte Wohnverhältnisse, Drogen – und wiesen die Polizei an, eine rassistische Ordnung aufrechtzuerhalten. Während ein weiteres Einwanderungsgesetz in Vorbereitung ist – eine weitere Gelegenheit, Migrant:innen zu stigmatisieren –, übt der Minister für Inneres und die Überseegebiete, Gérald Darmanin, auf der Insel Mayotte, einem „französischen Überseegebiet“ vor dem südlichen Afrika, eine massive rassistische Repression aus, bei der Blechhütten zerstört werden und Tausende ohne Dach dastehen oder von Abschiebung bedroht sind.

In den Banlieues führt die Polizei regelmäßig Kontrollen und Durchsuchungen durch und geht auch gegen junge Menschen vor, insbesondere gegen Angehörige „rassischer“ Minderheiten, und Morde wie der an Nahel haben schon früher zu Massenaufständen geführt. Im Jahr 2005 starben auf tragische Weise Ziad und Bouna, zwei Jugendliche, die auf der Flucht vor der Polizei durch Stromschlag getötet wurden. Dies löste Unruhen aus, die mehrere Wochen andauerten. In jüngster Zeit fand die BLM-Bewegung ein starkes Echo in Frankreich: Die Situation dort ähnelt den Ghettos in den US-amerikanischen Städten.

Extreme Armut

Extreme Armut konzentriert sich in heruntergekommenen Wohnsiedlungen mit hoher Arbeitslosigkeit oder schlecht bezahlten, unsicheren Jobs. Nahel war kein Krimineller, sondern ein Fast-Food-Kurier und versuchte gleichzeitig, eine Ausbildung als Elektriker zu absolvieren. In diesen Wohnvierteln mangelt es an grundlegenden Dienstleistungen, einschließlich öffentlicher Verkehrsmittel. Und obwohl „Égalité“ (Gleichheit) in leuchtenden Buchstaben auf allen öffentlichen Gebäuden steht, ist das ein schlechter Scherz.

Die republikanische Gleichheit wird in der Regel zitiert, wenn es darum geht, „positive Maßnahmen“ abzulehnen oder gar das Ausmaß der Ungleichheit zu beklagen, unter der die Kinder und Enkelkinder derjenigen leiden, die ursprünglich aus dem französischen Kolonialreich stammen. Man fragt sich, warum auch Schulen Ziel der Unruhen sind. Das liegt daran, dass auch sie oft als Teil des rassistischen Systems angesehen werden: Die jüngsten Kampagnen in den Schulen, die von der Regierung initiiert, aber von einigen Lehrer:innen unterstützt werden, setzen die Stigmatisierung und Unterdrückung religiöser Minderheiten, vor allem der Muslim:innen, aufgrund ihrer Kleidung fort und berufen sich dabei auf den „republikanischen Laizismus“.

Reaktion der rassistischen Polizei

Macron reagierte darauf mit der Mobilisierung von immer mehr Polizist:innen: mehr als 40.000 jede Nacht, darunter auch Spezialeinheiten mit gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern. Doch die ultrareaktionären Polizeigewerkschaften fordern noch mehr Waffen, noch mehr Sondergesetze. Sie behaupten, dass sie sich im Krieg mit „wilden Horden“ befinden würden. Sollten sie keine weiteren mörderischen Mittel erhalten, drohen sie als nächsten Schritt unverhohlen mit „Widerstand“, d. h. rassistischer Meuterei.

Sie schließen sich den Positionen der reaktionäreren Kräfte wie der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen an und fordern Ausgangssperren und die Verhängung des Ausnahmezustands. Laut RN sind die Unruhen das Ergebnis von „vierzig Jahren verrückter Einwanderungspolitik“ – und das, obwohl die meisten der Jugendlichen auf der Straße sowie ihre Eltern französische Staatsbürger:innen sind. Der erzreaktionäre, rassistische Journalist Éric Zemmour, ein Präsidentschaftskandidat für 2022, bezeichnet die Unruhen als Beginn eines Bürgerkriegs, der von einem ethnischen und rassistischen Krieg begleitet wird, und fordert eine „brutale Repression“ durch den Staat.

Linke

Auf der populistischen Linken fordert Jean-Luc Mélenchon, Anführer von France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) , „eine tiefgreifende Reform der nationalen Polizei, die eine besser ausgebildete republikanische Polizei ohne Rassismus sein muss“. Dies ist natürlich eine Utopie ebenso wie sein gesamtes Projekt eines starken republikanischen Staates, der soziale Reformen durchführen soll. Nie wird der Klassencharakter des bürgerlichen, ja imperialistischen Staates deutlicher, als wenn seine Repressionskräfte Recht und Ordnung gegen alle verteidigen, die sich ihm widersetzen, seien es streikende Arbeiter:innen, die Gilets Jaunes (Gelbwestenbewegung), Umweltaktivist:innen oder die Jugend der Banlieues.

Die linke Nouveau Parti Anticapitaliste (NPA) hingegen verteidigte in ihrem Communiqué vom 27. Juni die Demonstrant:innen grundsätzlich und zeigte ein korrektes Verständnis der Rolle der Polizei.

„Die Polizei ist nicht dazu da, uns zu schützen. Diese Institution, die nur dazu dient, die Macht der Reichen und der Bosse zu erhalten, ist von Natur aus feindlich gegenüber unserer Klasse und wird niemals unseren Interessen dienen. Diese Polizei ist rassistisch, sie verfolgt eine gegenüber Migrant:innen feindliche Politik und wendet regelmäßig Gewalt gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund an! Diese Institution, die in Arbeiter:innenvierteln mordet und den staatlichen Rassismus anführt, ist dieselbe, die Demonstrant:innen unterdrückt, die sich gegen die Politik der Regierung stellen.

Diese Polizei existiert nur, um die Ordnung für Darmanin, Macron und die Unternehmer:innen, die sie sponsern, aufrechtzuerhalten. Es ist dringend notwendig, sie zu entwaffnen und die Wahrheit über ihre Verbrechen einzufordern, aber mehr noch, es ist höchste Zeit, diese Institution und diese kapitalistische Gesellschaft abzuschaffen, die nichts als Gewalt und Elend für die große Mehrheit der Bevölkerung bringt.“

Es ist höchste Zeit, dass die Arbeiter:innenbewegung, von der Basis bis zu den Gewerkschaftsverbänden und linken Parteien, sich mit den Jugendlichen solidarisiert und sie gegen die Massenverhaftungen und Brutalitäten verteidigt. Sie sollte die Polizeigewalt anprangern und ein sofortiges Ende der allgemeinen Repression, die Freilassung der weit über Tausend Verhafteten und die Aufhebung aller repressiven und rassistischen Gesetze fordern. Auch wenn Macron vorerst seine Rentenreform durchsetzen konnte, sind der Präsident und seine Regierung immer noch Gegenstand eines berechtigten Zorns. Wenn wir uns mit der Jugend zusammenschließen, können wir auch die schändlichen Lügen der extremen Rechten und ihre rassistische Propaganda anprangern.

  • Gerechtigkeit für Nahel! Organisierte Selbstverteidigung in den Banlieues gegen Polizeiübergriffe!

  • Schluss mit allen rassistischen und diskriminierenden Gesetzen – an den Schulen, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Leben!

  • Arbeiter:innen und Jugendliche sollten Hand in Hand marschieren, um die rassistische Repression zu stoppen, sich den Ausgangssperren zu widersetzen und der Straflosigkeit der Polizei ein Ende zu setzen.



Freizeitpädagogik bleibt: zuerst essenziell, jetzt wegrationalisiert?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023

Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.

Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.

Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.

Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.

Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.

Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.

Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:

Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.

Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“

Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.

Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.

Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.

Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern  direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.




Stellungnahme: FFF schmeißt REVO raus – Sind Antikapitalismus und die Klimabewegung unvereinbar?

REVOLUTION, Revolutionär-kommunistische Jugendorganisation, zuerst veröffentlich auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1222, 4. Mai 2023

Die Katze ist aus dem Sack: Pünktlich zum Ersten Mai hat uns die Nachricht erreicht, dass nun tatsächlich ein Antrag durchgekommen ist, der eine Unvereinbarkeit von Fridays For Future (FFF) Deutschland mit REVO beschließen soll. Unser Name prangt nun im Hufeisen neben AFD, NPD, MLPD und dem III. Weg im offiziellen Strukturpapier. Dass hier linke und faschistische Gruppen so nebeneinander genannt werden, müsste schon für Empörung sorgen. Anfang April wurde auf bundesweiter Ebene von FFF entsprechender Antrag gestellt. Dieser ist so weit FFF-intern zu behandeln, weswegen wir nicht auf Details der Erklärung eingehen können. Wir möchten dennoch zumindest im Groben einige der Lügen und Vorwürfe hier einordnen, damit die Debatte einem breiteren Kreis von Aktivist:innen zugänglich wird.

Im Antrag werden wir als isolierte Organisation dargestellt, deren ausschließliche Politik ein parasitäres und hinterhältiges Unterwandern anderer linker Kräfte sei. Angeblich schrecken wir dabei so wenig vor Druckausübung bis hin zu unmittelbarer Gewalt zurück, dass allen Aktivisti angst und bange werden müsste. Untermalt wird dies mit dem Vorwurf, dass wir ein unkritisches Verhältnis zur DDR oder der RAF hätten. Für all diese Vorwürfe hätte ein fünfminütiger Besuch unserer Insta- oder Webseite ausgereicht, um sich eines Besseren belehren zu lassen. Man hätte dort beispielsweise gesehen, dass wir tatkräftig in der Umweltbewegung aktiv sind, aktionistische Basisarbeit an Schulen leisten, solidarisch in diversen Bündnissen mitwirken und himmelweit davon entfernt sind, mordlustige Monster zu sein. Und wenn wir schon bei der schlechten Informationslage sind: Die Gruppe Arbeiter:innenmacht wurde auch direkt als unsere „Dachorganisation“ ausgeschlossen, während wir in Wahrheit von dieser unabhängig sind.

Die politische Herkunft derjenigen, die uns hier als „Parasiten“ bezeichnen, hat dabei schon eine gewisse Ironie: Eine Führung, in welche Millionen Schüler:innen ihre Hoffnung gesetzt haben, welche aber gleichzeitig keine politischen Erfolge gegen die Regierung durchsetzen konnte und stattdessen mit den Grünen und den NGOs im Rücken ein paar ansehnliche Posten gefunden hat, sollte mit diesem Wort vorsichtiger umgehen gegenüber einer kleinen, aktivistischen Gruppe von Jugendlichen. Angesichts der immer größeren Dringlichkeit der Klimakatastrophe, der Mobilisierungsschwäche unserer Bewegung und der Antwort der Ampel-Regierung, die in Lützerath knochenbrechende Bullen auf uns los gehetzt hat und nun mehr und mehr Aktivist:innen einknastet (von LG z. B. ), wäre es rühmlicher, wenn die Führung der Bewegung eine allgemeine Debatte darüber anstieße, wie wir in die Offensive übergehen können, anstatt diejenigen, die es auf eigene Initiative versuchen, auszuschließen.

Im Konkreten beziehen sich die gegen uns erhobenen Vorwürfe zum allergrößten Teil auf angebliche Handlungen eines unserer Genoss:innen. Mensch hat sich 2019 als Schüler:in in FFF politisiert, sich davon wegradikalisiert und ist vor circa einem Jahr bei uns gelandet. Dennoch hat sich Mensch bis zum Schluss als Teil von FFF verstanden und noch schwindende Hoffnungen reingesteckt, dass auch die Bewegung die offensichtlichen Widersprüche erkennt, in denen sich eine bürgerliche Umweltbewegung befindet. Hierbei war Mensch unter anderem im linken Flügel von FFF aktiv und zwar weitestgehend eigenständig und unabgesprochen mit uns als REVO.

Erst recht haben wir den linken Flügel nicht geheim orchestriert. Dennoch wird uns genau dies vorgeworfen, wobei unerheblich ist, ob bestimmte Geschichten stattfanden, bevor besagte Person überhaupt bei uns war und welchen Anteil sie selbst daran geleistet hat. Wir werden dabei für ein Großteil der jüngeren linken Oppositionsarbeit verantwortlich gemacht, als könnte so etwas nicht auch spontan in FFF passieren.

Uns erscheint es so, als seien alle halbgaren Infos und Vorwürfe zusammengekratzt worden, die gefunden werden konnten, um unsere Positionen aus den Prozessen in FFF auszuschließen. Das andere sich an bestimmten Verhaltensweisen gestört haben, ist sicherlich nachvollziehbar. Aber dass für eine relativ kleine Orga direkt der große Hammer „Unvereinbarkeit“ rausgeholt wird, wirft schon Fragen auf.

Was ist der politische Hintergrund?

Millionen von Aktivisti haben sich der Bewegung angeschlossen, haben Gegenwind geerntet und viel Energie in die Bewegung gesteckt. Und was haben wir dafür bekommen? Lausige Klimapakete, folgenlose Konferenzen und eine Menge heißer Luft. Dies führte dazu, dass der Abstand zwischen unseren Aktionen größer und die Aktionen selbst kleiner wurden, sich viele von uns frustriert von der Bewegung zurückgezogen haben. Die Bewegung hat sich polarisiert in diejenigen, die für die Grünen im Bundestag sitzen, während wir uns wie viele andere von den Bullen aus dem Danni oder Lützi prügeln lassen.

In unserem Strategiepapier zur Krise der Klimabewegung haben wir ausführlich dargelegt, welche Schritte wir als nächstes gemeinsam gehen müssen, wenn wir die Bewegung retten und diesen Planeten erhalten wollen. Wir müssen die Basis unserer Bewegung erweitern. Es kann nicht sein, dass wir hauptsächlich aus Schülis und Studis bestehen. Wir müssen auf die Beschäftigten in den für das Klima relevanten strategischen Wirtschaftssektoren zugehen und uns zusammen organisieren. Inhaltlich müssen wir unsere Forderungen daran ausrichten, die Klimafrage mit der Sozialen Frage zu verbinden. Andernfalls werden die Rechten diese Lücke füllen und ihre Klimaleugnerei als Sozialpolitik verkaufen. Wir brauchen Klimaforderungen, die zugleich soziale Verbesserungen für alle mit sich bringen, statt Verbote, Entlassungen und Green Washing. Gleichzeitig müssen wir anfangen unsere Forderungen auch dort an die Leute zu bringen, wo wir uns tagtäglich aufhalten: in unseren Schulen, Unis und Betrieben. Vor Ort müssen wir Basiskomitees aufbauen, die kontinuierlich Arbeit zum Klimaproblem machen und diese mit den sozialen Problemen vor Ort verknüpfen.

Innerhalb von FFF rumort es und immer mehr Antikapitalist:innen fangen an, die Politik der Führung von FFF in Frage zu stellen. Als Organisation sind wir dabei ein leichtes Ziel, für diejenigen, die das verhindern wollen. Weil wir offen und unangepasst auftreten und dadurch vielleicht nicht zu den Allerbeliebtesten gehören, und darauf sind wir stolz.  Den verbliebenen linken Kräften innerhalb von FFF sollte klar sein: Wenn man mit solchen Vorwürfen durchkommt, erhöht das den Anpassungsdruck auf alle anderen antikapitalistischen Kräfte und schwächt deren Position massiv. Das sollte eben diese Kräfte zum Nachdenken anregen, welche Rolle FFF noch spielen kann. Es gibt eine große Kluft zwischen einigen Ortsgruppen und der Bundesorga und die politische Perspektivlosigkeit, dass man durch Appelle ein Einlenken der Regierung erreichen will, hat sich ein ums andere Mal gezeigt. Wir wollen FFF zugutehalten, dass sie die Klimakrise auf die Tagesordnung gesetzt haben. Aber zur Bewältigung brauchen wir kämpferische und antikapitalistische Antworten.

Wir schlagen vor, gemeinsam mit linken Kräften der Umweltbewegung eine antikapitalistische Klimakonferenz zu organisieren, um Forderungen und Aktionsformen zu entwickeln, die diese Antworten leisten. Die Wähl- und Abwählbarkeit ist hierbei zentral, um die Verselbstständigung von Führungspersonen zu verhindern und eine basisdemokratische Kontrolle von unten zu gewährleisten. Außerdem müssen wir dafür Sorge tragen, dass an diesen Debatten und Auseinandersetzungen sowohl Arbeiter:innen als auch marginalisierte Gruppen teilnehmen können und gehört werden. Der Charakter einer solchen Konferenz sollte darauf ausgerichtet sein, ein gemeinsames antikapitalistisches Klima-Aktionsprogramm zu verabschieden, in dem wir uns auf gemeinsame Forderungen und Aktionen einigen.

  • Der Widerstand gegen die Klimakrise geht also weiter und wir lassen uns nicht unterkriegen!

  • Kämpfen wir zusammen in den Schulen, Unis, Betrieben, Gruben, Wäldern und auf der Straße!

  • Falls ihr eure Solidarität zeigen wollt, könnt ihr den Beitrag gerne teilen!



Solidarität mit Brokkoli: Springer enteignen!

REVOLUTION, unsprünglich veröffentlicht auf http://onesolutionrevolution.de/, Infomail 1209, 6. Januar 2023

Das frisch angebrochene Jahr 2023 versucht es direkt in seiner ersten Woche gleich mal damit, in die Charts der absurdesten Twitter-Tage zu kommen: Der rechtskonservative Chefredakteur der Springer-Tochter WeltN24 Ulf Poschardt ist wohl am 05.01. auf seinem Streifzug durch Twitter nach „rotgrüner umerziehungsfolklore“1 auf das Video-Statement unseres Genossen Brokkoli gestoßen. Mit einem lächerlich-populistischen Tweet versucht er nun seine Armee aus rechten Trollen, Incels und Polizei-Fanboys auf uns zu hetzen2.

Das Videostatement, auf das sich Ulf bezieht, haben wir gemeinsam mit Genoss_innen des „Revolutionären Bruchs“ veröffentlicht. Darin rufen wir dazu auf, auf der gleichnamigen Konferenz um die Frage des Antirassismus zu diskutieren, da die Berliner Linkspartei sich im Wortlaut zwar oft antirassistisch gibt, praktisch als Teil der Berliner Landesregierung aber Abschiebungen bewilligt und migrantischen Communites das Demonstrationsrecht verweigert. Über 600 Menschen waren in Berlin im letzten Jahr von Abschiebungen betroffen. Sogar das im Koalitionsvertrag festgeschriebene Verbot von nächtlichen Abschiebungen wurde immer wieder missachtet. Durchgeführt werden diese Abschiebungen von einem Polizeiapparat, dessen struktureller Rassismus schon lange kein Geheimnis mehr ist und der seinen blutigen Höhepunkt in der Ermordung von Oury Jalloh und Mouhamed Dramé gefunden hat. Diese Polizei will der Senat nun mit Elektro Tasern und einer neuen Racial-Profiling-Wache am Kotti ausstatten. Für den rechtskonservativen Ulf ist das natürlich kein Problem. Er sieht das Problem eher darin, dass Brokkoli einen ACAB-Hoodie trägt und den Palästinenser_innen ein Selbstbestimmungsrecht zugesteht.

Im Mai letzten Jahres wurde in Berlin anlässlich des Nakba-Tages (ein Gedenktag zur Vertreibung von über 700 000 Palästinenser_innen) ein gerichtliches Demonstrationsverbot erlassen. Die geplanten Demonstrationen wurden pauschal als antisemitisch verunglimpft und das, obwohl die Veranstalter_innen sich mehrmals klar gegen Antisemitismus auf ihren Aktionen positioniert haben. In der Debatte um das Demonstrationsverbot wurde dabei immer wieder auf rassistische Stereotype von „emotionalisierten Arabern“ (ähnlich wie wir sie aktuell in der Debatte um das Böller-Verbot hören müssen) Bezug genommen. Damals wie heute verurteilen wir diese rassistische Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Ulf verdreht diese Kritik in seinem Tweet zu einem angeblichen „linken Antisemitismus“. Hätte er seinen Job als Journalist vernünftig gemacht und mal kurz auf unserer Homepage recherchiert, wäre er jedoch schnell auf unsere ausführliche Resolution zum Thema Antisemitismus3 gestoßen und hätte ebenfalls in unserem Programm nachlesen können, dass wir für einen binationalen, säkularen und sozialistischen Staat im Nahen Osten eintreten, indem alle Menschen unabhängig von ihrer Religion in Frieden und Gleichberechtigung miteinander leben können4.

Gründliche Recherche und Quellenbelege scheinen jedoch nicht das Steckenpferd von Ulf Poschardt zu sein. So wurde er bereits im Jahre 2000 als Chefredakteur beim Magazin der Süddeutschen Zeitung gekündigt, weil er dort gefälschte Interviews und Storys ungeprüft veröffentlicht hatte5. Ulf scheint es vielmehr als den Kern seiner journalistischen Tätigkeit zu verstehen, auf Twitter Aufmerksamkeit durch seine chauvinistischen Kommentare zu generieren. Seine Feinde sind dabei wahlweise Klimaaktivist_innen, Corona-Schutzmaßnahmen, Geflüchtete oder die öffentlich-rechtlichen Medien. Aufrechte Aktivist_innen setzt er dabei mit der islamistischen Terrormiliz Boko Haram gleich, indem er sie mit „Wokoharam“ betitelt6. Er selbst versteht seinen „Journalismus“ auf Twitter dabei als „Kulturkampf“7 gegen „politisch korrekte Aktivisten“. Es geht ihm also darum, Linke mit welchen an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen auch immer im Sinne seines Kulturkampfes zu verunglimpfen. Wie so häufig muss der Vorwurf des Antisemitismus auch bei Ulf als Projektionsfläche herhalten. So inszeniert er sich als kritikloser Verteidiger einer Polizei, die sich mit faschistischen Chatgruppen einen Namen gemacht hat: Kein Wort über deren antisemitische Inhalte aber stattdessen große Empörung über einen Hoodie. Wir fragen uns dabei, wie es eigentlich um Ulfs Treue gegenüber dem Rechtsstaat bestellt ist, wenn er Einschränkungen des Versammlungsrechts, Angriffe auf die Meinungsfreiheit und Verwässerungen des Rechts auf Asyl kritiklos verteidigt.

Das Ekligste an der von Ulf angestoßenen Debatte ist jedoch, mit welcher Verachtung und welchem Hass einem politisch aktivem Jugendlichen, der klar politisch Stellung bezieht, begegnet wird. Dass Jugendunterdrückung ein tief verankertes Phänomen in kapitalistischen Gesellschaften ist, sieht man hier darin, dass einem Jugendlichen nicht zugestanden wird, eine eigene politische Meinung zu haben. Nein, er sei „vor die Kamera gezerrt“ worden oder sei „in der Pubertät“. Umso mehr bestätigt uns das darin, dass es richtig ist, sich in einer unabhängigen Jugendorganisation, ohne Bevormundung, unter Jugendlichen selbst zu organisieren.

Die Heftigkeit mit der die Debatte aktuell auf Twitter geführt wird, unterstreicht einmal mehr, wie viel Angst Vertreter_innen der bürgerlichen Klasse wie Ulf haben, wenn wir Jugendliche uns trauen, unsere Stimme zu erheben. Es offenbart zugleich ihre Schwäche, wenn sie ein kurzes harmloses Videostatement mit allen dreckigen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen müssen. Solidarität mit Brokkoli! Dieser Angriff hätte jede_n aufrichtige_n Aktist_in von uns treffen können, denn er richtet sich nicht spezifisch gegen Brokkoli, sondern gegen eine Jugend, die nicht länger bereit ist, dem Kapital dabei zuzuschauen, wie es unseren Planeten zerstört. Bitte teilt und verbreitet dieses Statement! Insbesondere Gliederungen der Linksjugend solid, sollten sich in der Verantwortung sehen, sich in dieser Frage zwischen Ulf und dem „Revolutionären Bruch“ zu positionieren. Lasst Ulf mit seinem Versuch „Revolution“, den „Revolutionären Bruch“ und die Linkspartei zu diskreditieren nicht durchkommen! Kommt zur Konferenz am 14. Januar und lasst uns gemeinsam diskutieren, was wir dem Hass und der Verachtung der herrschenden Klasse und ihrer Medien entgegenzusetzen haben.

Abschließend möchten wir jedoch noch ein paar Worte der Dankbarkeit an Ulf richten: Zuerst einmal vielen Dank für die kostenlose Werbung. Eine größere Reichweite als du sie uns geschenkt hast, hätten wir mit unseren bescheidenen finanziellen Mitteln nicht generieren können. Ebenfalls sind wir dir dafür dankbar, dass du uns mit der Hetze deines Springer-Verlages, die bereits Rudi Dutschke ins Grab brachte, erneut an einen wichtigen Umstand erinnerst: Dieses rechte, antidemokratische und imperialistische Hetzblatt gehört enteignet und unter demokratische gesellschaftliche Kontrolle gebracht!

Endnoten

1 https://twitter.com/ulfposh/status/1611299976495366145?cxt=HHwWgoDQ2dSyvtwsAAAA

2 https://twitter.com/ulfposh/status/1610921238586880000?cxt=HHwWgMDTsZuVktssAAAA

3 https://onesolutionrevolution.de/was-ist-antisemitismus-und-wie-kann-er-bekaempft-werden/

4 https://onesolutionrevolution.de/wp-content/uploads/2017/07/Programm2018.pdf

5 https://de.wikipedia.org/wiki/Ulf_Poschardt

6 https://uebermedien.de/67936/was-ulf-poschardt-zuzutrauen-ist-und-was-nicht/

7 https://twitter.com/niggi/status/1490099359307948035




End Fossil: Occupy! Was können wir von den Unibesetzungen lernen?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Zwischen September und Dezember 2022 sollten unter dem Namen „End Fossil: Occupy!“ weltweit hunderte Schulen und Unis besetzt werden. Auch in Deutschland sind in über 20 Städten Uni- und Schulbesetzungen angekündigt. Startpunkt für die Aktionen war Uni Göttingen, an der wir uns am 24. Oktober auch beteiligten. Weitere folgten an der Technischen Universität Berlin oder in Frankfurt/Main. Aber was fordern die Aktivistist:innen von End Fossil: Occupy! eigentlich?

Ziele

Im Großen und Ganzen richtet sich End Fossil: Occupy! – wie der Name der Kampagne richtig vermuten lässt – gegen jede Form der fossilen Produktion. So heißt es auf der internationalen Website: „Unser Ziel ist es, das System zu verändern, indem wir die fossile Wirtschaft auf internationaler Ebene beenden. Je nach lokalem Kontext können die Forderungen variieren: Beendigung des Abbaus fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Infrastrukturen oder andere.“

Vom deutschen Ableger werden dabei weitere spezifischere Forderungen aufgeworfen. Im Fokus steht dabei die Beendigung der profitorientierten Energieproduktion mittels Übergewinnsteuer aller Energieträger und langfristiger Vergesellschaftung der Energieproduktion insgesamt. Ebenso tritt die Initiative für die Verkehrswende für alle ein, da der Verkehrssektor 18,2 % der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen ausmacht. Um dies zu ändern, braucht es laut Aktivist:innen  einen regelmäßigen, für alle erreichbaren ÖPNV sowie einen massiven Ausbau des überregionalen Schienennetzes. Damit er auch von allen genutzt werden kann, wird darüber hinaus ein 9-Euro-Ticket gefordert und langfristig ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr angestrebt. Daneben schließt sich End Fossil: Occupy! auch den Forderungen von Lützi bleibt!, Debt for Climate und Genug ist Genug an. Zusätzlich erheben viele Besetzungen auch lokale Forderungen, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.

Und wie soll das erreicht werden?

End Fossil: Occupy! ist eine Ansammlung von Aktivist:innen aus der Umweltbewegung, von denen ein guter Teil von Fridays for Future geprägt wurde. Diverse Organisationen unterstützen die Initiative, aber im Stil der Umweltbewegung gibt es keine offene Unterstützer:innenliste, um sich nicht zum „Spielball“ unterschiedlicher Interessen zu machen und „unabhängig“ zu bleiben. Darüber hinaus fallen weitere Ähnlichkeiten mit der bisherigen Klimabewegung auf. So wird auf der Website recht eindeutig gesagt, dass End Fossil: Occupy! von „unzähligen historischen Beispielen, wie der Pinguin Revolution 2006 in Chile, der Primavera Secundarista 2016 in Brasilien, der weltweiten Mobilisierung in und nach 1986 und vielen anderen“ inspiriert ist. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Gleichzeitig muss aber bewusst sein, dass sowohl die Proteste in Chile 2006 als auch die  Bildungsstreikproteste in Brasilien, bei denen in kürzester Zeit über 100 Universitäten im ganzen Land besetzt wurden, in einer wesentlich anderen Ausgangslage stattgefunden haben. Bei beiden Beispielen gab es konkrete Angriffe auf das Bildungssystem. Die Besetzungen waren die Antwort von Schüler:innen, Studierenden und teilweise Lehrenden, um diese aktiv abzuwehren.

Aufbauend auf diesen Bezugspunkten setzt die Kampagne jedenfalls mehrere Prinzipien für ihre eigenen Aktionen fest:

„Die Besetzungen sind organisiert von jungen Menschen. Der politische Rahmen hinter den Besetzungen ist der der Klimagerechtigkeit. Wir wollen ein Ende der fossilen Industrie, um Klimaneutralität und weltweite soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Unser Ziel wollen wir durch einen globalen und sozial gerechten Prozess erreichen. Unsere Intention ist es, (Hoch-)Schulen an verschiedensten Orten zu besetzen und so das öffentliche Leben zu stören, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.“

Kurzum, die Besetzung soll Druck auf Institutionen aufbauen. Diese müssen dann den Forderungen der Aktivist:innen zustimmen und so sollen der fossilen Produktion Stück für Stück Absatzmärkte entzogen werden.

Unibesetzungen

Besetzungen stellen hier also ein zentrales Mittel zur Veränderung der Lage dar. Gemäß aktuellem Kräfteverhältnis folgt allerdings eher dem Muster der direkten Aktion, also mit dem Hintergedanken, dass Menschen durch eine radikale Tat selbst in Aktivität gezogen werden. Vor Ort, also an den Unis oder Schulen, gibt es unter den Studierenden eigentlich keine systematische Vorbereitungsarbeit. Die Masse soll vielmehr durch die unmittelbare Besetzung und ihre mediale Bewerbung so inspiriert werden, dass sich mehr und mehr Leute spontan anschließen. Dabei gibt es jedoch mehrere Probleme, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Schulen und Universitäten sind keine oder nur im sehr begrenzten Rahmen – z. B. wenn die Forschung direkt mit industrieller Entwicklung verbunden ist – Orte der Mehrwertproduktion. Das heißt, Streik hier wirkt anders als beispielsweise in Sektoren wie der Bahn oder Autoindustrie. Dementsprechend ist es zwar logisch, von „Störung des öffentlichen Lebens“ zu sprechen, gleichzeitig sorgt sie aber auch dafür, dass diese Auseinandersetzungen länger ausgesessen werden können und weniger Druck erzeugen als Betriebsbesetzungen. Das sollte einem bewusst sein, insbesondere, wenn die Gegner multinationale Konzerne sind.

Heißt das, dass wir das alles schwachsinnig finden? Nein, im Gegenteil. Grundsätzlich halten wir die Initiative für sinnvoll und glauben, dass sie Potenzial entfalten kann. Deswegen haben wir Besetzungen, wo wir vor Ort sind, auch aktiv mit unterstützt und wollen dies künftig weiter tun. Gleichzeitig halten wir es sinnvoll, eine offene Debatte über die Strategie der Klimabewegung zu führen, um so aus den Initiativen sowie Fehlern der Vergangenheit zu lernen und unserem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Besetzungen stellen ein wichtiges Kampfmittel der Student:innenbewegung, von Schüler:innen, Indigenen, Bauern/Bäuerinnen, aber vor allem auch der Arbeiter:innenbewegung dar und bieten in diesem Rahmen eine Menge Potenzial. Bevor wir dazu kommen, wollen wir uns jedoch anschauen, was für uns Besetzungen bedeuten.

Was steckt eigentlich hinter einer Besetzung?

Für uns Marxist:innen sind Besetzungen ein recht starkes Mittel im Klassenkampf. Auch wenn dies manchen Leser:innen als altbacken daherkommen mag, wollen wir an der Stelle einen kurzen Abschnitt aus dem Übergangsprogramm Trotzkis zitieren:

„Die Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Äußerungen dieser Initiative, sprengen die Grenzen der ‚normalen’ kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.“

Das heißt, Besetzungen werfen unmittelbar die Fragen auf: Wer kontrolliert das besetzte Gebäude, die besetzte Unternehmung? Damit stellen sie die Verfügungsgewalt des Privateigentums und/oder etablierte kapitalistische Herrschaftsstrukturen infrage. Der besetzte Betrieb ist eine lokal begrenzte Form der Doppelmacht. Selbstverwaltete Strukturen von Arbeiter:innen und Unterdrückten existieren parallel und im Gegensatz zum eigentlich staatlich gesicherten Privateigentum.

Deswegen können sich Besetzungen je nach Lage der gesamten Situation recht schnell auch zuspitzen, wie man in der Vergangenheit sehen konnte, beispielsweise von französischen Arbeiter:innen, die ihm Rahmen von Streiks Raffinerien besetzten. Solche Situationen können aber nicht ewig bestehen bleiben, da die eine Struktur immer wieder die Legitimität der anderen in Frage stellt und beide letzten Endes auch Ausdruck zweier unversöhnlicher Interessen sind.

Das heißt: Im klassischen Marxismus geht es bei Besetzungen nicht nur darum, „die Normalität zu stören“, sondern sie sind ein Mittel, um den Klassenkampf bewusst zuzuspitzen. Auf der anderen Seite sind sie auch ein Ausdruck vom Kräfteverhältnissen. D. h., die Lohnabhängigen müssen selbst eine gewisse Entschlossenheit, Bewusstheit, also auch politische und organisatorische Vorbereitung sowie ein Wissen über den/die Gegner:in besitzen, um eine solche Aktion gezielt durchzuführen und den Kampf weiterzutreiben. Ansonsten bleibt eine spontane Besetzung leicht bloßer Ausdruck von Verzweiflung und kann nicht länger gehalten werden.

Dieses Verständnis erklärt übrigens, warum isolierte Besetzungen in der Regel nicht erfolgreich sein können. Sie greifen das kapitalistische System nur an einem Punkt an und steht dem von Besetzer:innenseite keine massive, dauerhafte Mobilisierung entgegen, verfügt der/die Kapitalist:in bzw. der etablierte, bürgerliche Staat, der sein/ihr Privateigentum schützt, über weitaus mehr Ressourcen, diese zu räumen. Heißt das im Umkehrschluss, dass man nur Besetzungen machen sollte, wenn man eine Basisverankerung vor Ort hat? Die Antwort ist: Kommt drauf an, was man erreichen will. Als symbolischer Protest kann eine Besetzung auch genutzt werden, um Basisarbeit aufzunehmen. Das heißt, in diesem Sinne kann es durchaus zweckmäßig sein, dass „die Normalität gestört wird“. Wenn es aber darum geht wie im Hambacher Forst, im Dannenröder Wald oder auch bei End Fossil:Occupy!, aktiv Errungenschaften zu verteidigen oder zu erkämpfen, dann bedarf es unbedingt vorheriger Basisarbeit an dem Ort, der besetzt werden soll. Dann muss dafür auch in den bestehenden gewerkschaftlichen oder studentischen Strukturen gekämpft werden. Im Folgenden wollen wir skizzieren, wie das aussehen kann.

Wir glauben, dass Besetzungen, die mehr als einen symbolischen Charakter haben, erfolgreich sind, wenn eine Massenbasis bzw. eine Verankerung besteht, beispielsweise wenn man gesamte Gebäude einer Universität statt einzelner Hörsäle oder gar Betriebe besetzen will. Werden diese Besetzungen nicht von den Studierenden oder Arbeiter:innen getragen, werden sie schnell geräumt oder im Falle der Unis geduldet, bis die Besetzer:innen nicht mehr können.

Das heißt, sie sind ebenfalls eine bewusste Entscheidung für die Besetzung durch die Mehrheit aller, zumindest aber durch die aktiven Student:innen. Ansonsten ist sie letztlich auf Dauer nicht zu halten, organisiert keine Basis, sondern spielt faktisch Stellvertreter:innenpolitik.

Wie kommt man nun zum Ziel? Vollversammlungen sind ein sinnvolles Mittel wie beispielsweise bei der Besetzung der TU Berlin. Wichtig dabei ist, dass man a) für diese gezielt mobilisiert, indem man beispielsweise Forderungen, die man vor Ort aufstellt, präsentiert und b) die Anwesenden aktiv in die Debatte einbindet und so die Besetzung auch zu ihrer kollektiven Entscheidung gestaltet.

Letzteres ist dort leider nicht passiert und eine der Ursachen dafür, warum die Besetzung auf eine kleine Gruppe und einen Hörsaal beschränkt blieb. Die „gezielte Mobilisierung“ ist für eine wirkliche Besetzung, die das bestehende Kräfteverhältnis in Frage stellt, unumgänglicher, essentieller Teil der Vorbereitung. Das bedeutet praktisch: wochenlanges Flyern, Plakatieren, mit dem Megaphon vor der Mensa zu stehen und Gespräche mit Studierenden bzw. der Belegschaft vor Ort zu führen. Dabei kann man Termine vorschlagen, um den Kreis der Vorbereitenden zu erhöhen und mehr Aktivist:innen in die Arbeit einzubeziehen, und wenn gewollt, auch weitere kreative Mobilisierungsformen entwickeln.

Zentral ist dabei, diese mit Forderungen zu verbinden, die lokale Probleme aufzeigen bzw. thematisieren, wie es positiver Weise an der TU Berlin geschehen ist. So wurden unter anderem die Transparenz über Fördermittel sowie weitere Geldquellen der TU Berlin und  Abkehr von fossiler Finanzierung gefordert. Dabei sollten „alle Einnahmen und sonstige finanziellen Unterstützungen durch Unternehmen transparent und übersichtlich aufgeschlüsselt werden, um sowohl die Verwendung der Gelder als auch den Einfluss der Unternehmen auf akademische Strukturen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.“

Dies gleicht der Offenlegung der Geschäftsbücher, die wir unterstützen, und bietet beispielsweise auch die Möglichkeit, um mit Beschäftigten an der Uni ins Gespräch zu kommen, was die Höhe ihrer eigenen Gehälter angeht und dass die Unterstützung der Besetzung letzten Endes in ihrem Interesse liegt.

Dies sind alles kleine, mühselige Schritte – aber notwendig, wenn wir Erfolg und Besetzungen nicht bloß einen symbolischen Charakter haben sollen.




End Fossil: Fossilen Kapitalismus überwinden!

Interview mit Josh, Besetzer der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule, Göttingen, geführt von Georg Ismael, Infomail 1203, 8. November 2022

Vom 06. – 18. November versammeln sich Regierungsvertreter:innen und Klimaorganisationen zur 27. UN-Klimakonferenz im ägyptischen Sharm El-Sheikh. Doch viele Jugendliche haben ihr Vertrauen in diese Institutionen verloren. Das genug beschlossen, geschweige denn umgesetzt wird, daran glauben sie nicht. Deshalb versammeln sie sich selbst. Sie organisieren Besetzungen ihrer Schulen und Universitäten. Diese Bewegung ist international und nennt sich End Fossil. Es soll Druck ausgeübt werden, mehr als bei den bisherigen Demonstrationen. Die ehemals Streikenden, nun Besetzenden wollen so zu noch aktiveren Subjekten im Kampf um Klimagerechtigkeit werden. Wir haben mit Josh gesprochen. Er ist einer der Besetzer:innen an der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule (IGS). Hier und am Hainberg-Gymnasium finden aktuell Besetzungen in Göttingen statt.

Seit wann besetzt ihr eure Schule?

Seit gestern Vormittag.

Und wie begann die Besetzung?

Über längere Zeit hatten wir versucht, Mitstreiter:innen über Mund-zu-Mund Propaganda zu gewinnen. Dann versammelten wir uns hier. Wir haben dann einfach Sofas, Transparente und Alles reingetragen und angefangen zu besetzen. Am Anfang waren wir so knapp 30 Schüler:innen. Gleichzeitig ist jemand von uns ins Sekretariat ans Mikro gegangen und hat durchgesagt, dass jetzt besetzt wird. Schon kurz danach kam fast eine ganze Klasse und hat sich mit uns solidarisiert. Seitdem kommen immer mehr. Heute früh war eine Lehrer:in hier. Sie hat uns belegte Brötchen mitgebracht. (In diesem Moment tauchen Schüler:innen einer Englisch-Klasse auf. Sie sagen, dass sie für ihren Unterricht Interviews machen möchten.)

Hattet ihr für all das eine Erlaubnis?

Nein, wir haben das einfach so gemacht. Es gab aber auch keinen Widerstand dagegen. Wir haben uns die Schule ausgesucht, weil es hier eine aktive Schüler:innenschaft gibt. Aber ja, die hiesige Schulleitung ist aufgeschlossen und von der inhaltlichen Wichtigkeit unseres Themas überzeugt. Das hilft. Aber das ist nicht der ausschlaggebende Grund, warum wir einen Ort besetzen. Wir besetzen, weil das Thema drängt. Nicht weil wir eine Erlaubnis für unseren Protest haben.

In Köln, wo die SPD die Bezirksregierung anführt, wurden die Schulleitungen angewiesen, die Besetzungen der Schüler:innen durch schulfremdes Personal, nämlich die Polizei, brechen zu lassen. Die Aktiven beschlossen daraufhin vorerst freiwillig die Besetzungen zu beenden. Ihr konntet wiederum heute Nacht bleiben. Die Stadt Göttingen hatte einen Sicherheitsdienst abgestellt. Fühlt ihr euch jetzt sicherer?

Naja, nicht wirklich. Wir waren dagegen, dass ein Sicherheitsdienst kommt. Das haben wir auch der Sozialdezernentin gesagt, die hier war, um das zu besprechen. Wir können ja selbst auf uns und auf unsere Schule aufpassen. Wir hatten auch den Eindruck, dass es weniger um unseren Schutz als den Schutz der Sachmittel an der Schule geht. Es wurde dann gesagt, dass die Securities abschliessen. Wir sollten nur noch raus, aber nicht mehr reinkommen. Wir haben dann mit unserer Schulleiterin gesprochen. Am Hainberg-Gymnasium durften die Schüler:innen nämlich rein und raus. Es sei nur fair, dass wir das dann auch dürften. Dann haben wir den gleichen Deal wie am Hainberg bekommen.

Und wer ist wir?

Wir, das sind Schüler:innen von der Kampagne End Fossil. Wir haben die Aktionen schon seit Längerem geplant und vorbereitet. Wir hatten bei unseren Vorbereitungen die Weltklima-Konferenz in Sharm El-Sheikh im Blick. Es müssten deutlich bessere Maßnahmen beschlossen werden. Vor allem müssen aber als erstes die bisher getroffenen Beschlüsse eingehalten und durchgesetzt werden. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt protestieren, auch wenn der Protest nur symbolisch ist.

Was fordert ihr denn?

Einerseits stellen wir auch hier die bundesweiten Forderungen von End Fossil auf. Wir treten für eine Übergewinnsteuer auf Profite im Energiesektor ein. Letztlich muss aber die gesamte Energieindustrie vergesellschaftet und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Der öffentliche Nah- und Fernverkehr muss massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig braucht es die sofortige Fortführung des 9 Euro Tickets. Wir finden auch, dass Lützerath bleiben muss. Keine weitere Kohleförderung. Wir stehen an der Seite von debt4climate. Zusammen mit ihnen kämpfen wir für die Streichung der Schulden der armen Länder. Nur so werden diese genug Möglichkeiten haben, um Investitionen zugunsten einer ökologischen Transformation zu tätigen. Wir wissen aber auch, dass Klimagerechtigkeit eng mit der sozialen Frage verknüpft ist. Deswegen unterstützen wir die Forderungen von Genug ist Genug. In Niedersachsen treten wir für eine klimagerechte Lehre ein. Das Thema muss stärker in den Unterricht eingebettet werden. Aber wir brauchen auch Räume, um uns selbst beizubringen, wie wir unsere Forderungen umsetzen und gegen den Klimawandel aktiv werden können. Deswegen sind wir hier. Gleichzeitig diskutieren wir auch, was für Maßnahmen wir hier an der Schule durchsetzen möchten.

Und ihr seid eine Gruppe hier an der Schule?

Wir sind Schüler:innen dieser Schule. Aber nein, wir sind aktuell keine lokale Gruppe, sondern sind stadtweit vernetzt. Es gibt Aktive an allen möglichen Schulen. Wir haben aber gesehen, dass es für uns aktuell nur an zwei Schulen realistisch möglich gewesen wäre, eine Besetzung vorzubereiten. Dann haben wir uns alle zusammen in zwei Gruppen aufgeteilt und die jeweilige Besetzung begonnen zu planen. Aber natürlich würden wir uns freuen, wenn ein Ergebnis unserer Besetzung die Gründung einer lokalen End-Fossil Gruppe hier am IGS wäre. Aber es wäre auch ein Träumchen, wenn sich die Besetzungen auf andere Schulen ausweiten.

Ich bin heute früh von Ansagen durch ein Megafon wach geworden. Ich hatte die Vermutung, es kam aus der Nähe einer Schule in meinem Quartiert. Wart ihr das, um dieses Träumchen wahr zu machen?

Ja, das waren wir. Wir waren heute früh am Felix-Klein Gymnasium und haben dort eine Soli-Aktion durchgeführt. Jetzt schauen wir einmal, wie die Resonanz ist, wie sich die Stimmung entwickelt. Sowohl hier an der Schule und an anderen Schulen, die wir Besetzer:innen besuchen, um aufzuklären und zu mobilisieren.

Diskutiert ihr auch mit den Lehrer:innen?

Ja, wir laden alle an der Schule ein, Teil zu haben. Gestern haben wir auch mit einer solidarischen Reinigungskraft geredet. Es ist unser Ziel alle so nachhaltig wie möglich zu politisieren und zu organisieren.

Habt ihr mal darüber nachgedacht, jemanden von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einzuladen?

Bisher eher nicht. Für uns als Schüler:innen ist der aktuelle Fokus mit den anderen Schüler:innen in Kontakt zu treten. An der IGS allein sind das immerhin 1500. Und es ist auch unsere Generation, die am meisten betroffen sein wird.

Du sagtest am Anfang, der jetzige Protest sei symbolisch. Was wäre denn ein Protest für dich, der über das Symbolische hinaus geht?

Ich spreche hier erstmal nur für mich, nicht für die ganze Gruppe. Meiner Meinung nach bräuchte es mehr direkte Aktionen. Ende Gelände hat hier wichtige Initiativen vorangebracht, zum Beispiel mit der Besetzung von Kohlegruben. Es gab aber auch Sabotage-Aktionen. Vor dem größten Kalkwerk Europas wurden die Schienen verbogen. Für einen Tag konnten die Züge nichts abtransportieren. Aber letztlich braucht es Streiks. Denn auf Dauer haben Aktionen von außen nicht die Macht den Produktionsprozess nachhaltig zu verändern. Das müssen letztlich die Arbeiter:innen tun. Aber wir sind ja noch keine Arbeiter:innen. Wir sind Schüler:innen. Deswegen besetzen wir erstmal hier an der Schule, und wir führen eben die Aktionen durch, die uns als Schüler:innen möglich sind. Oft ist das eben auch die direkte Aktion.

Ist dir noch etwas wichtig zu sagen?

Ja. Einerseits ist es sehr gut, dass wir momentan viel Aufmerksamkeit bekommen. Das Göttinger Tageblatt war hier. Auch der NDR. Aber meistens werden wir nur nach so organisatorischen Sachen gefragt. Aber uns geht es ja nicht um die Form sondern den Inhalt. Bei vielen ist dann bisher auch nur hängengeblieben, dass man anders konsumieren sollte. Das ist gut und richtig. Aber es ist ja eben auch eine systematische Frage. Das wirtschaftliche System, das hinter der Klima- und Umweltkatastrophe steht, und das nun mal zentral auf fossilen Brennstoffen beruht, muss verändert werden. Darüber sollten wir mehr gefragt werden. Darüber müssen wir alle viel mehr reden.

Und hat dieses System auch einen Namen für dich?

Kapitalismus. Aber wir haben auch gemerkt, dass manche gesamtgesellschaftliche Fragen von der linken Szene schlecht besetzt wurden. Es gibt gewisse Vorurteile. Deswegen erklären wir erstmal was ist und worum es geht. Dann geben wir dem Ganzen einen Namen. Aber auf dem Transparent hier steht ja auch „Fossilen Kapitalismus überwinden“.




Revolutionärer Bruch braucht Programm

Stellungnahme von Genoss:innen von REVOLUTION zur Landesvollversammlung Linksjugend [’solid] Berlin, Infomail 1202, 23. Oktober 2022

Am 10. Oktober 2022 veröffentlichten junge Sozialist:innen, die in der Linksjugend [’solid] aktiv sind, eine Erklärung unter dem Titel „Für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und [’solid]“. Wir begrüßen die Diskussion um den Aufbau einer revolutionär-sozialistischen Partei in Deutschland, an der wir uns aktiv beteiligen wollen. Hier spiegeln wir eine Erklärung von mehreren Genoss:innen, die begannen, sich in [’solid] zu politisieren und im Verlauf des letzten Jahres auch der Jugendorganisation REVOLUTION anschlossen. Sie stellen hier ihre Ansichten zu den Grundlagen einer neuen revolutionären Kraft zur Diskussion.

Revolutionärer Bruch braucht Programm!

Autor:innen: Brokkoli Bittner (REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Stadtrand Ost); Stephie Goetz (ehemalige Schatzmeisterin und Landessprecherin Solid Berlin, REVOLUTION Berlin und Linksjugend Solid Nord-Berlin); Jona Everdeen(REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Kreuzkölln); Mao Meier (REVOLUTION Berlin, Linksjugend Solid Stadtrand Ost)

Die Weltgesellschaft befindet sich wahrhaftig an einem Wendepunkt. Die Bewegungen der Lohnabhängigen und sozial Unterdrückten sehen sich mit einer grundlegend neuen Situation konfrontiert.

Mit dem Krieg in der Ukraine hat auch eine allgemeine Auseinandersetzung um die Neuaufteilung der Welt begonnen. Großmächte wie China, Russland, Indien, die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien bereiten sich auf einen globalen militärischen Konflikt vor, der die gesamte Zivilisation zerstören könnte. Die Diskussion über die Gefahr eines Dritten Weltkriegs ist in den offiziellen Medien, in den Reden von Politiker:innen und im alltäglichen Gespräch kein Tabu mehr. Gerade für die Jugend gilt es zu verhindern, dass er je ausbricht.

Die Klimakatastrophe ist heute. Verwüstung, Trockenheit und Feuer wechseln sich mit Fluten, Überschwemmungen und Stürmen ab. Gleichzeitig erleben wir ein apokalyptisches Artensterben. Wir erleiden die Belastung unseres Planeten mit immer mehr Müll, die Vergiftung unseres Trinkwassers und unserer Nahrung. Während allein in diesem Jahr weltweit eine Billion US-Dollar für den Militarismus ausgegeben wurden, bleibt die ökologische Transformation aus, die uns bürgerliche Politiker:innen und Konzerne immer wieder versprachen. (Das sind 1.000.000.000.000 US-Dollar oder eintausend Milliarden US-Dollar.) Wenn wir die Zukunft der jungen Generation sichern wollen, braucht es einen radikalen Systemwechsel.

Gleichzeitig brach mit der Coronapandemie auch eine außerordentliche Wirtschaftskrise des Kapitalismus aus. Die Lohnabhängigen, kleine Bauern/Bäuerinnen und Gewerbetreibende sowie die städtische und ländliche Armut werden unter dieser Krise erdrückt. Große Teile der Welt erleben eine massive Hungerkrise. Auch hier in Deutschland überschritt die Inflation zuletzt die 10 %-Marke. Viele bangen um ihre Arbeit und Wohnung, fürchten sich vor der nächsten Gasrechnung oder dem Einkauf. Mehr als 16 % der Bevölkerung lassen eine Mahlzeit aus, um zu sparen. Währenddessen vermehrt sich der Reichtum der großen Kapitalist:innen. Wenn wir nicht erneut wie 2008 für die kapitalistische Krise zahlen sollen, braucht es einen entschlossenen Kampf von unten.

Diese drei Menschheitsfragen können nicht durch den Kapitalismus gelöst werden, denn er hat sie hervorgerufen.

  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen der gesamten Menschheit ausrichtet, auch der Generation von Morgen.
  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der demokratische Teilhabe nicht von der Wirtschaftsmacht einer Region, von einzelnen Staaten, Verbänden oder Individuen abhängig ist.
  • Wir kämpfen für eine Gesellschaft, die frei von Privilegien ist, von Privilegien, die andere Menschen kleinmachen, ausgrenzen und ihre Ausbeutung ermöglichen.

Das einzige Privileg, für das wir kämpfen, ist, der Menschheit eine Zukunft auf diesem Planeten zu sichern. Wir streben eine Zukunft an, in der wir gleichberechtigt unsere Lebenszeit voll ausschöpfen und genießen können. Wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der die Fähigkeiten und Interessen von Kollektiven und Individuen voll zur Entfaltung kommen können. Um diese Zukunft zu sichern, müssen die Technologien zu produktiven Kräften werden statt zu Mechanismen der zunehmenden Kontrolle oder gar Zerstörung der Welt. Wir brauchen Formen des Zusammenlebens, die sich freimachen von der Irrationalität, dem Hass und der Lüge der heutigen Zeit. Eine Gesellschaft, in der stattdessen der Drang nach Wissen, Austausch und dem Verständnis unserer Existenz im Vordergrund stehen.

Diese Gesellschaft nennen wir Sozialismus.

Wir müssen aber feststellen, dass wir diesem Ziel heute sehr fernstehen.

Mit dem Beginn der Krise 2007 hoffte eine ganze Generation junger und alter Menschen auf ein Ende des Kapitalismus. Im gleichen Jahr wurden DIE LINKE und die Linksjugend [’solid] gegründet. Fünfzehn Jahre später steckt DIE LINKE in einer tiefen Krise. Heute fürchten die Kapitalist:innen in Deutschland nicht die linke Erhebung – eine weitverbreitete Sorge der damaligen Zeit, als Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung davon sprachen, dass Marx zurück sei. Stattdessen müssen Lohnabhängige heute den Aufstieg der Rechten fürchten und unter der unsozialen Politik der Regierung leiden.

Es fehlt aber nicht an den objektiven Bedingungen, dieses Ziel zu erreichen. Es fehlt an einer Kraft, die für dieses Ziel entschlossen kämpft. Wir denken, DIE LINKE ist nicht diese Kraft. Denn sie formuliert nur ein vages Ziel. Sie hat die Kampfkraft der Lohnabhängigen in den letzten fünfzehn Jahren nicht gestärkt, sondern ihre Hoffnung auf grundlegende Veränderungen enttäuscht und ihre Moral durch eine Reihe von prinzipienlosen Regierungsbeteiligungen gebrochen. Aktuell streitet sie darüber, ob die deutsche Regierung nun die blödeste Europas sei oder nicht. Stattdessen sollten wir uns darauf konzentrieren, dass es eine kapitalistische Regierung ist, die unsere Interessen nicht umsetzt. DIE LINKE scheitert auch praktisch, sie ist zerstritten und nicht das Zentrum eines linken Widerstandes gegen die Dreifachkrise.

Dies hat tiefere Gründe. Denn alle drei relevanten Flügel der LINKEN (Bewegungslinke, Wagenknecht und Reformer:innen) haben eine politische Schwäche gemeinsam. Sie richten ihre Politik letztlich primär auf die graduelle Reform eines Systems aus, das nicht grundlegend reformierbar ist. Ihr Hauptvehikel bleiben dabei letztlich mehr oder weniger das Parlament und der bürgerliche Staat. Wir erkennen hingegen wirklich an, dass die heutige Welt in Klassen aufgeteilt ist. Einerseits in jene, die Land, Ressourcen und Produktionsmittel besitzen, direkt oder indirekt die Grundlagen der Politik der heutigen Staaten bestimmen. Andererseits in jene, die dies nicht tun. Ein Großteil dieser zweiten Klasse sind die Lohnabhängigen dieser Welt.

Für uns ist das nicht einfach eine Phrase, sondern geht mit praktischen Verpflichtungen einher. Es heißt, dass die Welt von den Interessen einer kapitalistischen Minderheit bestimmt ist. Diese bestimmt letztlich das Schicksal der „Wirtschaft“. Auch das vorherrschende Denken ist das Denken der Herrschenden, solange ihre Herrschaft nicht in Frage gestellt wird.

Das bedeutet, dass wir unser Ziel nur durch eine Politik verändern können, die diese herrschende Klasse herausfordert. Das bezeichnen wir als revolutionären Klassenkampf.

Die erdrückende Mehrheit in DIE LINKE und der Linksjugend [’solid] und wichtiger ihr Apparat aus Funktionär:innen und Mandatsträger:innen bestimmen letztlich die Praxis dieser Partei,

vertreten keine klassenkämpferische Politik. Sie vertreten eine Politik, die wir als Reformismus bezeichnen, die im besten Fall glaubt, durch graduelle Reformen den Sozialismus zu erreichen. In der Praxis ist es aber eine Politik und ein soziales System, dass die Lohnabhängigen an die Unternehmen der Kapitalist:innen und „ihren Staat“ bindet und ihnen unterordnet.

Wir glauben, dass es einen grundlegenden Bruch mit dem politischen Programm und der organisatorischen Praxis der LINKEN und Linksjugend [’solid] benötigt, wenn wir unsere Zukunft sichern wollen. Denn mit dieser Politik ist ein wirklicher Systemwechsel ausgeschlossen.

Deshalb unterstützen wir von REVOLUTION den Aufruf zu einer Konferenz, in der alle kritischen Teile der Linksjugend [’solid] und der LINKEN zusammenkommen, die eine Politik wünschen, die für einen Systemwechsel eintritt und dies mit Klassenkampf verbindet.

Um der heutigen, neuen Situation gerecht zu werden, muss es unser Anliegen sein, die antikapitalistischen Teile der Klimabewegung, der kämpferischen Gewerkschafter:innen, die klassenkämpferischen Teile der antirassistischen und feministischen Bewegung in einer gemeinsamen Partei zu vereinigen, um solch einen Systemwechsel, eine sozialistische Revolution möglich zu machen.

In siebzehn Punkten möchten wir hier unsere grundlegenden Überlegungen äußern, welche Strategie und Organisationsform solch eine Partei kennzeichnen sollten, und wie sie für den Sozialismus unter den aktuellen Bedingungen in Deutschland kämpfen müsste.

  1. Wir befürworten Reformen. Wir unterstützen jede Reform, die unsere unmittelbare Lebensgrundlage verteidigt oder verbessert. Das trifft auf alle gesellschaftlichen Bereiche zu, von der Erhöhung von Löhnen, der sofortigen Umsetzung von Maßnahmen zur Rettung der Umwelt bis zur Abschaffung von Praktiken oder Gesetzen, die rassistische, sexistische oder homophobe Unterdrückung zementieren.
  2. Wir müssen für Reformen kämpfen. Die Reichen, die Bänker:innen, Industriellen und Großgrundbesitzer:innen, die bürgerlichen Politiker:innen und staatliche Institutionen werden uns nichts freiwillig geben. In diesem Klassenkampf um Reformen richten wir uns nicht an dem für die herrschende Klasse „Machbaren“ aus. Wir schlagen immer den Kampf für das zum Leben und Überleben der Lohnabhängigen und der Menschheit „Notwendige“ vor.
  3. Wir befürworten den Antritt zu Wahlen. Sozialist:innen sollten ihre Ansichten dort und im Parlament zum Ausdruck bringen. Sie sollen aber den Kampf um Reformen und für die Revolution verbessern und nicht zur Integration in jene bürgerlichen Regierungen und den bürgerlichen Staat führen, in denen es sich auch DIE LINKE bequem gemacht hat.
  4. Das strategische Ziel des Sozialismus bestimmt also unsere Taktik. Wir unterscheiden uns hier grundlegend von der reformistischen Politik der LINKEN oder der Gewerkschaftsführung. Denn diese ordnen ihre Forderungen und Praxis dem unter, was die Koalitionspartner:innen oder Konzernchef:innen als „machbar“ verkaufen. DIE LINKE beteiligt sich an der Verwaltung des kapitalistischen Systems in bürgerlichen Regierungen, was wir kategorisch ablehnen. Gleichzeitig fordern wir reformistische Parteien und die Gewerkschaften immer wieder dazu auf, für konkrete Forderungen zu mobilisieren und kämpfen. Eine zentrale Kritik, die wir aktuell an ihnen üben, ist gerade, dass sie nicht entschlossen gegen Inflation, Krise, Krieg und Umweltzerstörung kämpfen. Wir fordern sie also jederzeit dazu auf, eine gemeinsame Front für die Erkämpfung von Reformen zu schließen. Aber wir begrenzen unsere eigenen Aktivitäten, Forderungen und unser Programm im gemeinsamen Reformkampf nicht auf das, was die Führer:innen der Gewerkschaften oder der LINKEN für „machbar“ halten. Wir sagen jederzeit, was wir für „notwendig“ erachten und erhöhen dabei die Selbstorganisierung der kämpfenden Basis.
  5. Der Kampf um Reformen hat einen realen Zweck im Hier und Jetzt. Dieser Reformkampf ist nicht einfach ein „Trick“.Wenn wir zum Beispiel von unserem Lohn nicht leben können, dann muss er sofort steigen. Aber gleichzeitig kann der Sozialismus nicht ohne eine Revolution erreicht werden. Sozialist:innen werden dies in jedem Reformkampf betonen und ihn so führen, dass sie die Revolution vereinfachen, denkbar machen und vorbereiten.
  6. Sozialist:innen können die Revolution propagieren. Die Revolution machen kann aber nur die Klasse der Lohnabhängigen. Sie ist eine wirkliche soziale Kraft und auch nur durch ihre Revolution gegen die Diktatur des Kapitals kann eine Zukunft gesichert werden, in der es eine Demokratie der Lohnabhängigen anstatt einer stalinistischen Dystopie gibt.
  7. In Deutschland kann kein ernsthafter Reformkampf gewonnen werden, keine Revolution ohne die Gewerkschaften geschehen. Eine zentrale Aufgabe ist es daher auch, sie für eine Politik des entschlossenen Reformkampfes und für den Sozialismus zu gewinnen. Es gibt eine riesige Klasse in Deutschland, aber sie ist von einer reformistischen Bürokratie beherrscht oder anders gesagt von Menschen kontrolliert, die mit einem Parteibuch der SPD, der Grünen oder auch der LINKEN ausgestattet sind. Diese Bürokratie sitzt in Aufsichtsräten, staatlichen Institutionen und erhält zum Teil riesige Gehälter. Aber sie vertritt nicht unsere Interessen. Sie glaubt, „die deutsche Wirtschaft“, das heißt die Profite der Kapitalist:innen, wären das Maß aller Dinge. Zum Teil verhindert oder verschleppt diese Bürokratie auch die Organisierung ganz neuer Schichten der Lohnabhängigen. So verweigerte sie lange den Zutritt von Geflüchteten in die Gewerkschaften. Sie müssen wieder zu Orten der Demokratie und des Kampfes der Lohnabhängigen werden. Eine zentrale Aufgabe ist es also heute, eine klassenkämpferische Basisopposition in den Gewerkschaften aufzubauen. Dies schließt auch die Auseinandersetzung mit weitverbreiteten Illusionen und Ideologien des Reformismus sowie unterschiedlichen Formen des Chauvinismus unter einfachen Gewerkschaftsmitgliedern selbst ein.
  8. Denn die Klasse ist aktuell gespalten: durch nationale Unterschiede, vermittels imperialistischer und halbkolonialer Kriege, aufgrund von sexistischer, rassistischer, homophober Unterdrückung und auch unterschiedlicher sozialer Stellung einzelner Schichten der Lohnabhängigen. Es ist eine zentrale Aufgabe, diese Spaltung in der gemeinsamen Auseinandersetzung zu überwinden. Daher kämpfen wir auch für den Aufbau einer sozialistischen Internationale, die alle diese Auseinandersetzungen miteinander verbindet. Die gemeinsame internationale Organisierung ist das beste Mittel gegen den Chauvinismus.
  9. Der/die Hauptfeind:in steht im eigenen Land. Diese Hauptfeind:innen sind für uns die Klasse der deutschen Kapitalist:innen und der mit ihr verbundene Staat. Das heißt für uns auch, dass wir uns nicht ihren außenpolitischen Ambitionen anschließen. Wir lehnen jede Form des Imperialismus und Militarismus ab. Nur weil in Deutschland nach innen größere demokratische Rechte gewährt werden als beispielsweise in China oder Russland, heißt das nicht, dass deutsche Waffen, die an die Saudis und Türkei verkauft und im Jemenkrieg und in Kurdistan eingesetzt werden, demokratischer seien. Es heißt nicht, dass deutsche Bundeswehrsoldat:innen die Demokratie in Mali, Afghanistan oder im Irak verteidigt haben. Das können nur die demokratisch und sozialistisch organisierten Lohnabhängigen dieser Länder selbst. Die ökonomische, diplomatische und militärische Intervention Deutschlands unterbindet aber solche Prozesse immer wieder.
  10. Gleichzeitig wissen wir auch, dass es andere Großmächte wie Russland, China, die USA, Japan, Frankreich oder Großbritannien gibt. Wir stehen an der Seite keiner dieser Staaten. In der militärischen Auseinandersetzung zwischen ihnen sagen wir: „Dreht die Waffen um! Kämpft nicht gegen die Menschen des anderen Landes!“ Stattdessen sollten die Lohnabhängigen und die ins Militär eingezogene Jugend gegen ihre „eigenen“ Kapitalist:innen, Diktator:innen oder bürgerlichen Regierungen und für eine sozialistische Revolution kämpfen.
  11. Wir tun alles uns Mögliche, um den Aufbau von Gewerkschaften, sozialen und ökologischen Bewegungen sowie von sozialistischen Parteien in anderen Ländern zu unterstützen. Uns interessieren die konkreten Kämpfe und die Debatten unserer Klassengeschwister im Ausland. Wir beteiligen uns an einer internationalen Debatte, anstatt nationale Borniertheit zu betreiben.
  12. Dies muss sich auch durch den Aufbau einer sozialistischen Partei der Lohnabhängigen in Deutschland ausdrücken, die alle diese Aspekte hier vor Ort vereint. Jeder Kampf gegen jede Form von Unterdrückung ist unser, denn wer ist denn lesbisch, schwul, schwarz, weiblich oder geflüchtet, wenn nicht wir Lohnabhängigen?
  13. Eine revolutionäre Partei braucht ein revolutionäres Programm, auf dessen Basis die Mitglieder gemeinsam und verbindlich agieren. Dieses Verständnis unterscheidet sich grundlegend von dem der Linkspartei, deren Programm keine praktische Bedeutung für die tägliche Aktivität hat. Letztlich erwarten nicht einmal ihre Mitglieder, dass sie für ihr Programm kämpft. Wir hingegen halten es für notwendig, ein Programm zu diskutieren und zu erarbeiten, das als Anleitung zum Handeln dient, das den Kampf um soziale, ökonomische und politische Rechte mit dem für die sozialistische Revolution verbindet. Nur auf dieser Basis kann das gemeinsame, verbindliche Agieren einen demokratischen und befreienden Charakter haben.
  14. Dieser Prozess muss auf der Grundlage der vollen und freien politischen Diskussion beruhen. Gleichfalls bedarf es aber auch der gemeinsamen und verbindlichen Umsetzung von beschlossenen Aktionen. Für uns bedeutet „Partei“ also nicht, einen Wahlverein zu gründen, der beständig die eigenen Versprechen in bürgerlichen Regierungen bricht, bürokratisch agiert und die Aktivität der Basis lähmt. Für uns ist die „Partei“ ein Zusammenschluss der kämpferischsten Aktiven, der Jugend, der sozialen Bewegungen und Gewerkschaften, die aus den Niederlagen und Siegen der Vergangenheit gemeinsame Schlüsse ziehen, diese in der täglichen Praxis im Kampf um Reformen überprüfen, dynamisch neue Erfahrungen machen, diese mit der breiteren Arbeiter:innenbewegung und den sozialen Bewegungen diskutieren und so im täglichen Handgemenge die Strategie der Revolution erklären und erfahrbar machen. Wir reden also von einer Form der Organisation, die einerseits das Bewusstsein, das Selbstvertrauen und die Selbstorganisierung unserer Klasse so steigert, dass die Revolution kein abstraktes, fernes Ziel ist, sondern etwas, das zunehmend durch die gewonnenen Erfahrungen denk- und auch machbar wird. Die reformistischen Parteien, vor allem DIE LINKE, bilden das Gegenteil einer solchen Praxis.
  15. Wir treten für den Aufbau einer revolutionären Jugendorganisation ein, die von der Partei ernst genommen, aber nicht von ihr bürokratisch beherrscht wird, eine Organisation mit einem sozialistischen Programm, das sie gemeinsam mit der Partei erarbeitet, in der Jugendliche aber selbstbestimmt ihre eigenen Erfahrungen und ohne Angst vor Rüge auch Fehler machen können.
  16. Die Revolution machen heißt, den bürgerlichen Staat zu zerbrechen. Die kapitalistische Justiz, Regierung, Polizei, Militär und Bürokratie werden uns die Zukunft nicht gewähren, die wir brauchen, um zu überleben. Sie müssen zerschlagen und durch eine Rätedemokratie der Lohnabhängigen ersetzt werden, die ihre Revolution auch verteidigen kann.
  17. Eine der ersten ökonomischen Aufgaben nach einer Revolution wäre die Umwandlung zu einer demokratischen Wirtschaft, die nach den Interessen von Mensch und Natur plant und ein Notfallprogramm durchsetzt, um den ökologischen Kollaps zu verhindern, das 1,5-Grad-Ziel und die Ernährungs- und Energiesicherheit zu gewährleisten.

Diese Überlegungen stellen unserer Meinung nach noch kein Aktionsprogramm im eigentlichen Sinn dar. In den kommenden Monaten wird es unsere gemeinsame Aufgabe sein, ein solches gemeinsam mit all jenen innerhalb und außerhalb der LINKEN zu diskutieren, die auf einen neuen Morgen hoffen. Auch heute gibt es in Deutschland Zehntausende, die sich tagtäglich für eine Welt ohne Kapitalismus einsetzen, sei es in der Klimabewegung, in antirassistischen und feministischen Kämpfen und in gewerkschaftlichen oder betrieblichen Auseinandersetzungen mit den Chef:innen. Aber es fehlt uns an einer gemeinsamen revolutionär-sozialistischen Kraft. Es ist Zeit, sie aufzubauen!

Wenn du oder deine Gruppe diese Ansichten teilt, könnt ihr diese Erklärung ebenfalls unterzeichnen, nicht zuletzt um den Austausch unterschiedlicher Aktiver zu erleichtern.

Wenn ihr den Aufbau einer neuen revolutionär-sozialistischen Partei teilt, aber Punkte in dieser Erklärung diskutieren möchtet, sind wir bereit, eure Antwort als Debattenbeitrag zu veröffentlichen.

Schreibt uns an!

Mail: germany@onesolutionrevolution.de