Die internationale Krise erfordert einen internationalen Kampf dagegen

Jeremy Dewar, Infomail 1199, 24. September 2022

Die Welt befindet sich in einer dreifachen Krise, in der jeder Teil mit den anderen interagiert und diese verschärft. Die tödliche Kombination aus militärischem Konflikt, Klimakatastrophe und wirtschaftlichem Zusammenbruch droht, ganze Kontinente in den Abgrund zu stürzen.

Krieg

Der sechsmonatige Krieg in der Ukraine hat etwa 10.000 ukrainische , 25.000 bis 40.000 russische Soldat:innen und Zehntausende von Zivilist:innen getötet. In der Ukraine gibt es 12 Millionen Flüchtlinge und ebenso viele Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen. Der Einmarsch Russlands hat das Elend der Bevölkerung beider Länder vergrößert.

Die russische Blockade der ukrainischen Häfen verhinderte die Ausfuhr von Getreide, auf das der Nahe Osten und Nordafrika dringend angewiesen sind, und führte zu einem weltweiten Preisanstieg. Jetzt treibt die Abschaltung der Nord-Stream-Pipeline die Öl- und Gaspreise in ganz Europa in die Höhe und damit auch die Preise für alle Waren, für deren Herstellung oder Transport fossile Brennstoffe verwendet werden.

Doch bevor die westlichen Imperialist:innen schreien: „Sie setzen Gas als Waffe ein“, sollten sie sich daran erinnern, dass sie den Handel „bewaffnet“ haben, indem sie die härtesten Sanktionen der Geschichte gegen Russland verhängten. Damals brüsteten sie sich damit, die Bevölkerung des Landes in die Knie zu zwingen. Sie sollten sich auch daran erinnern, dass sie Putin einen imperialistischen „Vorwand“ lieferten, indem sie die Nato an seine Grenzen heranführten und die Ukraine für den Eintritt in die EU umwarben.

Überschwemmungen und Dürreperioden

Die anhaltende Dürre am Horn von Afrika verursacht eine der schlimmsten Hungersnöte seit Menschengedenken. Die Überschwemmungen in Pakistan hingegen zerstören die Häuser und Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen und hinterlassen Krankheiten und Obdachlosigkeit in ihrem Gefolge. Die Verschärfung der Flüchtlingskrise wird dazu führen, dass die reichsten Nationen der Welt den Schwächsten den Rücken zukehren.

Beides ist die direkte Folge des Klimawandels, wie wir in dieser Zeitung zeigen. Doch die Energiekrise in Europa veranlasst immer mehr Länder, darunter auch das eigene, neue Gasfelder zu erschließen, das Fracking auszuweiten und die Saudis zu bitten, mehr Öl zu pumpen. All dies wird die Welt aus dem Konzept bringen, selbst bis 2050, geschweige denn bis 2030, kohlenstoffneutral zu werden.

Missernten und sterbendes Vieh bedeuten einen tödlichen Ausfall für die betroffenen Familien, treiben aber auch die Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe. Sogar in Europa werfen die Landwirt:innen ihre Erzeugnisse weg, die durch jahreszeitlich ungewöhnliche oder extreme Wetterbedingungen verdorben sind.

Armut

All diese Ereignisse tragen dazu bei, die Inflation anzuheizen, die die Krise der Lebenshaltungskosten verursacht. Aber so wie die anderen Krisen ihre spezifischen Hintergründe woanders haben, so hat auch diese Krise ihre Wurzeln.

Eine Ausweitung der Geldmenge – durch quantitative Lockerung, Ausgaben während der Pandemie und immer höhere Schuldenberge bei Staaten, Unternehmen und Privatpersonen – in Verbindung mit einem sinkenden Warenangebot, verursacht durch unterbrochene Lieferketten, Sanktionen und Handelskriege – und im Falle des Vereinigten Königreichs durch den Brexit – führt zu höheren Preisen.

Während die Inflation für das gesamte Jahr 2023 bei über 5 % und in Großbritannien und in der Eurozone deutlich höher prognostiziert wird, werden die Zentralbanken die Zinssätze weiter anheben. Dies wird zu Insolvenzen und Rezessionen führen, von denen sich die Kapitalist:innen erhoffen, dass sie die Arbeiter:innenklasse dazu bringen, Lohnkürzungen zu akzeptieren.

Die Stagflation – die Kombination aus hoher Inflation und niedrigem Wachstum, die zuletzt in den 1970er Jahren zu beobachten war –, wird noch einige Zeit andauern. Die zunehmende Rivalität zwischen den westlichen und östlichen imperialistischen Blöcken, der neue Kalte Krieg, werden eine baldige Erholung behindern.

Wir werden nicht zahlen

Wie wir an anderer Stelle in dieser Ausgabe sagen, bedeutet dies, dass Gewerkschafter:Innen ihre Gewohnheiten ablegen und kämpferische Aktions- und Organisationsformen annehmen müssen, die in ihrer Gesamtheit sagen, dass wir nicht für ihre Krise bezahlen werden. Vielmehr werden wir die Reichen zur Kasse bitten oder werden sie und ihre Politiker:innen von der Macht vertreiben.

Aber dies ist eine internationale Krise, und wir müssen Teil eines internationalen Kampfes gegen sie sein. Wir müssen Verbindungen zu unseren Gewerkschaftskolleg:innen in Europa, aber auch in Amerika aufbauen, wo eine Wiederbelebung der militanten Gewerkschaftsbewegung im Gange ist. Wir müssen auch denjenigen in Pakistan und in Afrika die Hand reichen, die unter realen, unmittelbaren Klimakatastrophen leiden, und die Anti-Flüchtlingshysterie der Milliardärsmedien und der Tory-Führung verurteilen.

Kurzum, wir brauchen eine bewusst internationale Arbeiter:innenbewegung – eine neue Fünfte Internationale der Arbeiter:innenklasse!




Neue Periode, neue Herausforderungen, neue Internationale!

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1187, 1. Mai 2022

Der reaktionäre Angriff Russlands auf die Ukraine hat eine neue Etappe im Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten eingeleitet. Der Krieg um die Kontrolle der Ukraine ist jüngster und schärfster Ausdruck dieses Konflikts, der die Welt mit einem Krieg zwischen den imperialistischen Staaten und ihren Bündnissen bedroht.

Nachdem der Angriff ins Stocken geriet, greift der russische Imperialismus zu immer barbarischeren Mitteln, einschließlich des systematischen Bombardements ziviler Ziele. Die westlichen, in der NATO vereinten Mächte, allen voran die USA, rüsten seit Jahren das Regime in Kiew auf, verhängen gegen Russland Wirtschaftssanktionen, die selbst einen Teil der Kriegsführung darstellen und gehen seit Ramstein offen dazu über, das ukrainisch-nationalistische Vasallenregime unter Selenskyj so weit auszurüsten, dass es den russischen Imperialismus mit „konventionellen“ Mitteln besiegen kann.

Der innerimperialistische Gegensatz prägt den Krieg um die Ukraine – und es ist vor allem das ukrainische Volk, es sind Tausende Tote und Millionen Geflüchtete, die auf diesem Schlachtfeld für die Ziele des russischen Imperialismus, aber auch für die NATO-Mächte geopfert werden.

Versagen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken

Der Krieg offenbart aber auch das politische Versagen und die Schwäche der Linken und der organisierten Arbeiter:innenbewegung. Die Führungen, der großen, staatstragenden Gewerkschaftsapparate, die seit Jahr und Tag eng mit „ihrem“ Staat und in Klassenzusammenarbeit mit „ihrer“ Bourgeoisie“ verbunden sind, erweisen sich einmal mehr als Vaterlandsverteidigerinnen. Ob in Russland oder den westlichen imperialistischen Staaten – die Gewerkschaftsführungen erweisen sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, als soziale Stütze ihre herrschenden Klassen, sei es als russische Patriot:innen, sei es als vorgebliche Verteidiger:innen der Werte der „westlichen Demokratie“.

So wie die sozialdemokratischen Parteien oder die längst verbürgerlichen Grünen stehen sie im Lager des westlichen Imperialismus – oder sie sind, wie große Teil der sog. Linksparteien, dabei, in dieses zu wechseln.

Sie sitzen der Lüge auf, dass dieser Krieg einer zwischen Despotismus und Autoritarismus einerseits gegen Demokratie und Selbstbestimmung andererseits wäre. In Wirklichkeit verteidigen im Kampf um die Ukraine Russland und der Westen vor allem ihre ökonomischen und geostrategischen imperialistischen Interessen. Die wirklichen Werte, die der Westen schützt, bilden die Profite der großen Kapitale, der Monopole, die den Weltmarkt beherrschen.

Ein Teil der „radikalen“ Linken schwenkte im Krieg auf den NATO-Kurs ein, während andere faktisch das Regime Putin verteidigen und sich bis heute beharrlich weigern, den russischen Imperialismus als imperialistisch, seinen Angriffskrieg als reaktionär zu bezeichnen.

Diese Konfusion, diese falschen Positionen enthüllen, dass der Krieg die „radikale“ Linke unvorbereitet traf. Wie sie sich angesichts des interimperialistischen Großkonflikts verhalten soll, der zur Zeit zwischen Russland mit China im Hintergrund einerseits und den NATO-Mächten andererseits um die Ukraine ausgetragen wird, kann sie nicht  beantworten. Die Frage nach dem Verhältnis von imperialistischem Konflikt und nationalem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine will sie sich in der Regel erst gar nicht stellen. Die durchaus richtige Feststellung, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht, verkommt so leider oft zur Floskel, um den aktuellen globalen Fragen, der Einschätzung der Lage in Russland und der Ukraine ausweichen zu können.

Es würde jedoch zu kurz greifen, die Schwierigkeiten für das Entstehen einer breiten Antikriegsbewegung, die zugleich mit der Arbeiter:innenklasse in Russland und der Ukraine solidarisch ist und eine internationalistische Antwort vertritt, allein auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken zurückzuführen.

Der Krieg wird zurzeit von Seiten der herrschenden Klasse, der bürgerlichen Medien und Institutionen erfolgreich als einer für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit verkauft. Dabei hilft es ihr, dass die barbarische russische Kriegsführung und die russischen Massaker an der Zivilbevölkerung dieses Narrativ, diese Ideologie stützen. Auch wenn jeder Vorbehalt gegen die westliche und Kiewer Propaganda in diesem Zusammenhang berechtigt ist, so gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Tod von Zehntausenden Zivilist:innen wie auch das Verheizen der eigenen Soldat:innen als Kanonenfutter folgerichtiges, einkalkuliertes Resultat der russischen Kriegsführung sind. Darin unterscheidet sich Putin von seinen Gegner:innen in den USA oder der EU um nichts, wie die zahlreichen humanitären Interventionen des Westens von Afghanistan über Libyen bis Mali zeigen.

Das ändert jedoch nichts daran, dass zurzeit in der Bevölkerung – und das heißt auch bei der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse – die demokratisch-imperialistische Ideologie der Herrschenden fruchtet. Sie stellt eine zentrale Grundlage für die gegenwärtige Unterstützung der NATO-Politik in der Ukraine, für Sanktionen und Waffenlieferungen dar. Solange dieses „Narrativ“ das Bewusstsein von Millionen Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen bestimmt, solange Millionen die Kriegsziele des Westens und das Niederringen der russischen Konkurrenz im Namen der Verteidigung der Ukraine für gerechtfertigt und notwendig halten, wird die Politik der „nationalen“ Einheit nicht wirklich zu knacken sein.

Dazu ist es unbedingt erforderlich, dass Revolutionär:innen auch die reaktionäre Politik Putins offen anprangern, die wirklichen Kriegsziele aller Regierungen und ihrer Verbündeten, den imperialistischen Charakter der NATO-Politik erklären und plastisch darlegen.

Diese theoretische, propagandistische und agitatorische Aufgabe ist unerlässlich, wenn wir die Politik der nationalen Einheit brechen wollen. Ihre Bewältigung alleine reicht jedoch nicht. Um die Unterordnung der Führungen der Arbeiter:innenklasse unter Regierung und Kapital aufzubrechen , müssen wir auch an den Widersprüchen der Kriegspolitik von Regierung und NATO praktisch anknüpfen.

Widersprüche

Der Krieg um die Ukraine, die Aufrüstung und die massiven ökonomischen Sanktionen verschärfen nicht nur den Kampf um die Neuaufteilung der Welt, sondern sämtliche Widersprüche, die die Krise der kapitalistischen Globalisierung seit 2008 immer offener zum Ausdruck bringt.

Anders als in den letzten großen globalen Krisen fällt China als Motor der Weltwirtschaft aus. Der neue, chinesische Imperialismus sieht sich selbst einer extremen inneren ökonomischen Krise gegenüber, die Resultat fallender Profitraten und der Überakkumulation von Kapital ist.

Weltweit stehen wir vor einer neuen globalen ökonomischen Krise. Ganze Staaten, vor allem im globalen Süden, stehen vor der Zahlungsunfähigkeit. Die Preise steigen in horrendem Tempo, Hyperinflation und Stagnation drohen. Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen droht der Weg in extreme Verarmung, Verelendung, Hunger oder gar Tod.

Doch auch die westlichen imperialistischen Zentren stehen vor tiefen ökonomischen Krisen und Umbrüchen, vor eine Periode, die von Stagnation und Inflation geprägt sein wird.

Der Krieg um die Ukraine verschärft nicht nur den Konflikt mit Russland, sondern auch die Konkurrenz mit China. Der Weltmarktzusammenhang selbst wird zum Austragungsort des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Die Totenglocken der Globalisierungsperiode beginnen zu läuten. Blockbildung, „sichere“ Währungsräume sind die Folge.

Die Konfrontation mit Russland wird zwar als „Ausstieg“ aus Öl und Gas verkauft. In Wirklichkeit gehören die sog. ökologische Wende, die Green New Deals zu den Kollateralschäden des Krieges – mit verheerenden Folgen für den Klimawandel und auch vor allem für die Menschen in den halbkolonialen Ländern, die Arbeiter:innenklasse und die Bauern/Bäuerinnen weltweit.

Nach Millionen Toten erscheint die Corona-Pandemie als „überwunden“ – in Wirklichkeit stehen wir wahrscheinlich vor der nächsten Welle. Geht es nach den Herrschenden der Welt, werden wir auf sie unvorbereitet treffen – und müssen dafür mit weiteren Hunderttausenden, wenn nicht Millionen Toten zahlen.

Statt Milliarden in ökonomische Erneuerung, den Kampf gegen Armut oder die Pandemie zu investieren, werden sie zur Rettung der großen Kapitale verpulvert und in einen neuen Rüstungswettlauf gesteckt.

All diese Krisenphänomen zeigen deutlich: Die Bourgeoisie ist längst eine reaktionäre Klasse geworden. Sie erweist sich nicht nur als unfähig, auch nur eines der großen Menschheitsprobleme – seien es Armut, Hunger, Klimakatastrophe oder die Pandemie – zu lösen.

In dieser Krisenperiode muss sie zunehmend auf autoritäre Herrschaftsformen bis hin zu Bonapartismus und Diktatur zurückgreifen, werden demokratische Rechte eingeschränkt,  Überwachungs- und Repressionsapparate ausgebaut. Innerhalb der herrschenden Klasse und der das bürgerliche System tragenden Mittelklassen und -schichten nehmen zugleich die inneren Widersprüche zu, was sich in fast allen Ländern in der Entstehung rechtspopulistischer, -konservativer oder gar faschistischer Kräfte äußert. Nationalismus, Chauvinismus und Rassismus stellen, wie Putins großrussischer Chauvinismus, das Wahlergebnis Le Pens, Bolsonaro oder Modi zeigen, keine „Ausnahmeerscheinung“ dar, sondern sind ein notwendiger Ausdruck der ökonomischen und politischen Krise.

Mit ihnen nehmen alle Formen der Reaktion zu: Sexismus, Unterdrückung von Frauen bis hin zum Femi(ni)zid; Trans- und Homophobie; Unterdrückung und Überausbeutung der Jugend, Verarmung und Verelendung der Alten; Rassismus und nationale Unterdrückung.

Wir leben in einer Welt, in der die Alternative Sozialismus oder Barbarei keine düstere Zukunftsvision ankündigt, sondern Realität ist.

Führungskrise der Arbeiter:innenklasse

Doch politische und ökonomische Krise werden nie automatisch zur Ablösung der Herrschaft des Kapitals führen. Es bedarf dazu einer bewussten, revolutionären Kraft, einer Arbeiter:innenklasse, die über Organisiertheit und Bewusstheit verfügt, einer Klasse, deren Führung sich der weltgeschichtlichen Lage und Aufgaben bewusst ist und die durch die Masse der Lohnabhängigen, der armen Bauern/Bäuerinnen, der Unterdrückten zur Revolution führen kann.

Die Realität ist jedoch: Die Arbeiter:innenklasse verfügt über keine solche Organisation. Die subjektiv revolutionäre Linke selbst ist politisch konfus und existiert nur im Stadium von Propagandagesellschaften.

Am Willen zum Widerstand, zum Kampf mangelt es nicht, wie beeindruckende Bewegungen und Kämpfe zeigen. Die großen Streiks und Mobilisierungen in Indien und Sri Lanka in den letzten Wochen und Monaten oder der zunehmende Unmut der chinesischen Bevölkerung verdeutlichen das. Trotz der klassenkollaborationistischen Politik der bürokratisierten Gewerkschaften konnten in vielen Ländern Basisinitiativen in betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen wichtige Erfolge erzielen. Sie können einen mächtigen Impuls für eine klassenkämpferische Erneuerung der Arbeiter:innenbewegung und der Gewerkschaften liefern.

Am 1. Mai werden Millionen auf die Straße gehen – in manchen Ländern unter diktatorischen Bedingungen. In vielen sind in den letzten Jahren außerdem starke Bewegungen gegen Rassismus, inspiriert u.  a. von Black Lives Matter, und Frauenunterdrückung entstanden.

Doch um die bürokratisierten Organisationen der Arbeiter:innenklasse zu erneuern und neue Kampforganisationen zu schaffen, um gegen rückständige Ideologien, Sexismus, Chauvinismus, Rassismus auch unter den Lohnabhängigen anzukämpfen, um die Macht der Bürokratie und die verräterische Politik des Reformismus zu überwinden, reichen einzelne Initiativen oder selbst Massenmobilisierungen nicht aus. Gerade die Kriegsfrage zeigt, wie wichtig ein richtiges Verständnis der internationalen Lage, des Wesens und Charakters des Imperialismus in all seinen Formen, der nationalen Frage und auch der bürgerlichen Demokratie ist.

Diese Zusammenhänge verdeutlichen, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellt. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Wenn wir den großen Herausforderungen der kommenden Periode – der zunehmenden imperialistischen Konkurrenz und Kriegsgefahr, der globalen wirtschaftlichen, ökologischen und Gesundheitskrise entgegentreten wollen, brauchen wir vor allem eines: klassenkämpferischen und revolutionären Internationalismus!

Wir brauchen einen Internationalismus, der mehr ausmacht als die Summer nationaler, politischer und sozialer Kämpfe. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass keines der großen Probleme der Menschheit im nationalen Rahmen gelöst werden kann. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Enteignung der Enteigner:innen die unerlässliche Voraussetzung für die Lösung dieser Probleme darstellt, weil nur so die Wirtschaft gemäß den Bedürfnissen von Mensch und Natur reorganisiert werden kann. Wir brauchen einen Internationalismus, der von der Erkenntnis ausgeht, dass es zu seiner Verwirklichung eines Programms und Kampfinstrumentes bedarf: einer globalen revolutionären Partei der Arbeiter:innenklasse, einer neuen Fünften Internationale.




Der Erste Mai und die Linke: Neue Periode, neue Aufgaben

Martin Suchanek, Neue Internationale 264, Mai 2022

Gegen Krieg und Krise gehen antikapitalistische Linke und klassenkämpferische Arbeiter:innen jedes Jahr auf die Straße. Oft bezogen sie sich dabei darauf, was droht oder drohen könnte. Auch fand für die meisten Krieg fernab des eigenen Landes im globalen Süden statt. Ein Großteil der Linken hatte sich faktisch an die Auslandsinterventionen des deutschen Imperialismus gewöhnt und damit abgefunden. Seit Februar 2022 findet der Krieg aber  vor der eigenen Haustür statt.

Krieg

Er ist eine Realität – und rückt mit jeder weiteren Sanktionsrunde gegen Russland, mit jeder weiteren Konferenz zur Unterstützung der Ukraine, mit jedem weiteren „Dreiecksgeschäft“ näher. Deutschland, die USA, die NATO – der Westen – sind faktisch Parteien im Kampf um die Ukraine.

Wo der Krieg immer näher rückt, suchen und organisieren SPD und Gewerkschaftsführungen einmal mehr den „nationalen Schulterschluss“. Wenn auch mehr als Getriebene denn Treibende, wollen und können sich Scholz und Co. dem Dienst am Vaterland nicht verweigern, bringen Milliardenpakete für die Rüstung auf den Weg – natürlich im Namen von Demokratie, Menschenrechten und „westlichen“ Werten, deren Überlegenheit nicht nur auf dem Weltmarkt, sondern auch mit überlegener Feuerkraft auf dem Schlachtfeld Nachdruck verliehen werden soll.

Während sich Gewerkschaftsapparat und SPD als treue Vertreter:innen Deutschlands, als nationale Mitspieler:innen beim Ringen um globale Vorherrschaft erweisen, droht DIE LINKE zum Kollateralschaden des Krieges zu geraten. Der rechte Flügel verfolgt einen, wenn auch vorsichtigen Kurs der Anpassung an die Koalitionsregierung, unterstützt Sanktionen gegen Russland und zeigt Verständnis für die NATO-Erweiterung. Ein anderer Teil beschwört verzweifelt den „Frieden“ und die „Abrüstung“ – und schweigt zur chauvinistischen Putin-Diktatur und ihren Kriegsverbrechen.

Die „radikale“ Linke traf der Krieg unvorbereitet. Wie sie sich angesichts des interimperialistischen Großkonflikts verhalten soll, der zur Zeit zwischen Russland mit China im Hintergrund einerseits und den NATO-Mächten andererseits um die Ukraine ausgetragen wird, kann sie nicht  beantworten. Die Frage nach dem Verhältnis von imperialistischem Konflikt und nationalem Selbstbestimmungsrecht der Ukraine will sie sich in der Regel erst gar nicht stellen. Die durchaus richtige Feststellung, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht, verkommt so leider oft zur Floskel, um den aktuellen globalen Fragen, der Einschätzung der Lage in Russland und in der Ukraine ausweichen zu können.

Es würde jedoch zu kurz greifen, die Schwierigkeiten für das Entstehen einer breiten Antikriegsbewegung, die zugleich mit der Arbeiter:innenklasse in Russland und der Ukraine solidarisch ist und eine internationalistische Antwort vertritt, allein auf das Versagen der Arbeiter:innenbewegung und der Linken zurückzuführen.

Der Krieg wird zurzeit von Seiten der herrschenden Klasse, der bürgerlichen Medien und Institutionen erfolgreich als einer für Demokratie, Menschenrechte, Freiheit verkauft. Dabei hilft es ihr, dass die barbarische russische Kriegsführung und die russischen Massaker an der Zivilbevölkerung dieses Narrativ, diese Ideologie stützen. Auch wenn jeder Vorbehalt gegen die westliche und Kiewer Propaganda in diesem Zusammenhang berechtigt ist, so gibt es keinen Grund, daran zu zweifeln, dass der Tod von Zehntausenden Zivilist:innen wie auch das Verheizen der eigenen Soldat:innen als Kanonenfutter folgerichtiges, einkalkuliertes Resultat der russischen Kriegsführung sind. Darin unterscheidet sich Putin von seinen Gegner:innen in den USA oder der EU um nichts, wie die zahlreichen humanitären Interventionen des Westens von Afghanistan über Libyen bis Mali zeigen.

Demokratisch-imperialistische Ideologie

Das ändert jedoch nichts daran, dass zurzeit in der Bevölkerung – und das heißt auch bei der Mehrheit der Arbeiter:innenklasse – die demokratisch-imperialistische Ideologie der Herrschenden fruchtet. Sie stellt eine zentrale Grundlage für die gegenwärtige Unterstützung der NATO-Politik in der Ukraine, für Sanktionen und Waffenlieferungen dar. Solange dieses „Narrativ“ das Bewusstsein von Millionen Arbeiter:innen und Gewerkschafter:innen bestimmt, solange Millionen die Kriegsziele der Bundesregierung und das Niederringen der russischen Konkurrenz im Namen der Verteidigung der Ukraine für gerechtfertigt und notwendig halten, wird die Politik der „nationalen“ Einheit nicht wirklich zu knacken sein.

Dazu ist es unbedingt erforderlich, dass Revolutionär:innen die wirklichen Kriegsziele der Regierung und ihrer Verbündeten, den imperialistischen Charakter der NATO-Politik erklären und plastisch darlegen. Diese theoretische, propagandistische und agitatorische Aufgabe ist unerlässlich. Sie alleine reicht jedoch nicht. Um die Unterordnung der Arbeiter:innenklasse unter Regierung und Kapital aufzubrechen und die Rolle der reformistischen Apparate der Gewerkschaften, der SPD, aber auch der Linkspartei vorzuführen, müssen wir auch an den Widersprüchen der Kriegspolitik von Regierung und NATO praktisch anknüpfen.

Krise

Und davon gibt es jede Menge. Täglich werden Lebensmittel, Wohnung, Heizkosten teurer. Die Preissteigerung trifft alle Lohnabhängigen, vor allem „natürlich“ die ärmsten Schichten unserer Klasse.

In vielen Betrieben ist die Produktion am Stocken, teilweise sogar rückläufig – und nicht erst seit dem Krieg. Pandemie und Lieferengpässe stören schon lange international integrierte Wertschöpfungsketten. Vor allem die Automobilindustrie, aber auch die Bauwirtschaft trifft es hart. Eine Erholung der Weltwirtschaft rückt in weitere Ferne. Stagnation und Inflation prägen das Bild – und werden es weiter prägen. Heute bilden die Preissteigerungen das unmittelbare, spürbare, allgemeine Feld der Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse. Früher oder später werden große Angriffe auf die Arbeitsplätze folgen.

Die Politik des billigen Geldes hat zu einer massiven Ausweitung der Schulden von Staaten, Unternehmen und Privatpersonen geführt. Die Aufrüstungsprogramme werden das Problem verschärfen, zumal sie, geht es nach Finanzminister Lindner, zu keinen Budgeterhöhungen führen, also die Mittel dafür anderswo eingespart werden sollen.

Hier wird ein weiterer, schlagender Zweck der aktuellen Politik der nationalen Einheit deutlich. Es geht nicht nur darum, die Politik von BRD und NATO zu rechtfertigen – es geht auch darum, die Massen mit humanitären, demokratischen Phrasen darauf einzuschwören, „ihren“, also den Großteil der Kosten für Krieg und Krise zu tragen.

Das politische Verbrechen der Gewerkschaftsführungen, der SPD-Spitzen und auch des rechten Flügels der Linkspartei – von den grünen Kriegstreiber:innen wollen wir hier gar nicht reden – besteht darin, diese „demokratischen“ Lügen in der Arbeiter:innenklasse zu verbreiten, den Krieg so darzustellen, als ginge es der BRD, der NATO, den USA wirklich – und sei es auch nur „ausnahmsweise“ – um Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit. In Wahrheit geht es ihnen, Russland nicht unähnlich, darum, ihre eigenen politischen, wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele durchzusetzen. Und nur diesen dient die Unterstützung der Ukraine!

Praktischer Weise werden hier die Ursachen für die ökonomische Krise und die Kosten der Sanktionspolitik auch gleich Putin und Russland in die Schuhe geschoben und als notwendige Kosten von Demokratie, Freiheit und Solidarität mit den vertriebenen Ukrainer:innen verkauft. Solange diese ideologische Verknüpfung funktioniert, wird nicht nur der Kampf gegen Krieg und Militarismus massiv erschwert, sondern auch jener gegen die Kosten von Krieg und Krise. Wer über höhere Energiepreise meckert, wer für die Kosten der Sanktionen nicht zahlen will, erscheint als egozentrische/r, vaterlandslose/r Gesell:in, als Feind:in von Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung.

Gegen Krieg und Krise!

Dieser Zusammenhang verdeutlicht auch, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellen. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des deutschen Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Das heißt natürlich nicht, dass eine antikapitalistische Ausrichtung eine Vorbedingung für jede gemeinsame Aktivität oder Aktionseinheit gegen Krieg oder Aufrüstung darstellt oder umgekehrt eine Antikriegsposition Voraussetzung für gemeinsame betriebliche oder gewerkschaftliche Abwehrkämpfe wäre. Eine solche Politik wäre ein sektiererischer Ultimatismus, der Revolutionär:innen zur Passivität verurteilen würde – sei es zum bloßen Kommentieren oder durch die Beschränkung auf Pseudoeinheitsfronten kleiner linker Gruppen. Letztere lehnen wir zwar nicht kategorisch ab, sie haben aber nur dann einen Wert, wenn sie versuchen, Massenorganisationen und -kräfte in die Bewegung zu ziehen, und nicht bloß die politische Selbstbefriedigung einer linken Szene darstellen.

Wir sollten stattdessen jeden Schritt der Lohnabhängigen, jede reale Bewegung und Mobilisierung unterstützen, die sich gegen die Angriffe der Regierung, Preissteigerungen, Aufrüstung und Krieg wendet. Wir sollten nicht darauf warten, bis die Gewerkschaftsführungen selbst mehr oder weniger halbherzige Aktionen starten. Nein – wir müssen die Gewerkschaftsbosse auffordern, mit der Unterordnung unter die Regierung zu brechen. Dasselbe gilt für die Linkspartei oder auch für die SPD, vorzugsweise für den Flügel, der sich gegenüber Aufrüstung und Kriegstreiberei skeptisch gibt.

Eine solche Politik ist notwendig nicht, weil wir Illusionen in die Tatkraft dieser Führungen hegen und schüren wollen, sondern weil sie, ob wir das wollen oder nicht, über eine soziale Basis unter den Lohnabhängigen verfügen, weil sie – vor allem die Gewerkschaftsführungen – an der Spitze von Millionen organisierten Arbeiter:innen stehen.

Ansätze

Damit wir den Druck auf diese Führungen aufbauen können, müssen sich linke und kämpferische Strömungen in den Betrieben und Gewerkschaften zu einem klassenkämpferischen Pol zusammenschließen. Die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) stellt zur Zeit den wichtigsten Ansatz für eine solche Strömung in den Betrieben und Gewerkschaften dar, die wir gemeinsam mit anderen zu einer klassenkämpferischen Basisbewegung weiterentwickeln wollen.

In der Antikriegsbewegung stellt das „klassenkämpferische und antiimperialistische Bündnis“, das unter dem Motto „Weder Putin noch NATO“ zu etlichen Aktionen mobilisierte, einen ersten Ansatz dar.

Diese Initiativen wollen wir gemeinsam mit anderen Gruppierungen in den kommenden Wochen und Monaten vorantreiben – nicht, um eine selbstbeschränkte „Einheitsfront“ der radikalen Linken zu bilden, sondern um klassenkämpferische Kräfte so weit zu sammeln, dass sie überhaupt erst in der Lage sind, sichtbar zu werden und die Apparate zur Aktion zu zwingen.

Wir halten das für strategisch notwendig, um eine Bewegung gegen Krieg und Krise aufzubauen, die sich auf die Arbeiter:innenklasse stützt und durch sie Kriegstreiber:innen, Kapital und Kabinett wirklich stoppen kann. Es müssen jetzt die Kräfte für einen Kurswechsel in den Gewerkschaften, aber auch in den reformistischen Parteien gesammelt werden.

Um eine solche Bewegung aufzubauen, brauchen wir neben der Aktion auch Diskussion und Klärung. Dafür gilt es, die Kräfte zu formieren, die nicht nur eine Bewegung, sondern auch eine revolutionäre Organisation und Internationale aufbauen wollen – mit dem Ziel, den drohenden imperialistischen Krieg zum Klassenkrieg gegen den Kapitalismus zu wenden.




Frauenstreiks: Wie weiter international?

Leonie Schmidt (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10, März 2022

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen, seien es Wirtschaftskrise, Pandemie, Umweltzerstörung oder aber (drohende) Kriege. Ursache: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf den Rücken der Arbeiter_Innenklasse ausgetragen. Zusätzlich dazu kommen rechtskonservative Kräfte in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hat bereits für einen Rollback gegen Frauen gesorgt, aber die Corona-Krise hat diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.

Doch dieser Rollback stieß auch auf massenhaften Widerstand. In den letzten Jahren erlebten wir einige große Frauenstreiks am 8. März, dem Frauenkampftag, die sich auch international formierten und Millionen Menschen auf die Straße brachten. Diese begannen 2016 erstmalig in Lateinamerika im Rahmen der ursprünglich argentinischen Bewegung #Ni Una Menos (Nicht eine mehr), welche sich vor allem auf die vielzähligen Femizide bezog, und breiteten sich bis 2019 weltweit aus. So gingen am 8. März 2018 in über 177 Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien streikten 2018 und 2019 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des Erdogan-Regimes. In Pakistan beteiligten sich am Aurat-Marsch in den größeren Städten wie Lahore, Karatschi, Hyderabad und Islamabad ebenfalls Tausende an den Aufmärschen. In der Schweiz waren im Juni 2019 500.000 Personen auf der Straße. Im Dezember 2019 fingen vornehmlich Hausfrauen in Indien an zu streiken. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA oder des „schwarzen“ Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

In den Pandemiejahren 2020 und 2021 gingen die Proteste vor allem in den imperialistischen Ländern zurück, während sie in den Halbkolonien weiterhin auf die Straße getragen wurden. Ein weiteres Aufkeimen der feministischen Proteste in dieser Zeit konnte vor allem um spezifische Vorfälle und Forderungen beobachtet werden wie bspw. den Mord an Sarah Everard in England im Frühjahr 2021, im Rahmen der Abtreibungsproteste gegen die polnische Regierung und ihre Verbote oder die Anti-Taliban-Proteste und deren frauenfeindliche Politik in Afghanistan.

Trotz ihrer enormen Mobilisierungskraft hat es die Frauen*streikbewegung jedoch bisher nicht geschafft, ihre Vernetzung international zu vertiefen und während der Pandemie aufrechtzuerhalten. Sie steht selbst an einem politischen Wendepunkt.

Dennoch ist es natürlich wichtig, dass das Mittel des politischen Streikes wieder etwas in den Vordergrund gerückt, Forderungen verbreitet und Erfahrungen im Kampf gesammelt werden konnten. Die Frauen*streikbewegung hätte allerdings insbesondere im Kampf gegen Pandemie und erneute Finanzkrise eine relevantere Rolle spielen können. Im Rahmen der Rollbacks gegen die körperliche Selbstbestimmung haben sich aber u. a. in Polen größere Bewegungen etabliert, die weiterhin relevant bleiben. Das mangelnde Recht auf Abtreibung stellt nach wie vor ein internationales Problem dar und ist in den USA auch ein Thema, was zurzeit zu Protesten mit tausenden Teilnehmer_Innen und viel Widerstand führt.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter_Innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Care-Arbeit etc., die wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus ist und vornehmlich von Frauen ausgeführt wird. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und in dieser Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen (Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter_Innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Doch essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees für Marxist_Innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Diese kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Vom Frauen*streik zur proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße Cis-Frau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrücken in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt. Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden bspw. mit der Organisierung und den Streiks in der Pflege, der Umweltbewegung oder der gegen Rassismus. Beispielsweise könnte gerade der gemeinsame Kampf mit Pflegekräften und betroffenen Frauen im Rahmen der Abtreibungsproteste relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionäre Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist_innen oder kleinbürgerlichen Feminist_innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär_innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in den Frauen*streiks und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen. Auch unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, müssen wir zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen aufrufen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen. So kann nicht nur die aktuelle Schwäche der Frauen*streikbewegung überwunden werden.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter_Inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Der Kampf für eine Fraueninternationale – Lehren aus der sozialistischen Frauenbewegung

Aventina Holzer (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt/Österreich), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10

Internationale Vernetzung stellt für jeden politischen Kampf eine Bereicherung, wenn nicht eine Voraussetzung dar. In der feministischen Bewegung, die aufgrund des zunehmenden Widerspruchs von Kapitalismus und Gleichberechtigung wieder Fahrt aufnimmt, gibt es momentan aber wenig erfolgreiche Bestrebungen, eine solche Verbindung nachhaltig aufzubauen. Dabei haben die Frauen*streiks der letzten Jahre die Notwendigkeit einer international koordinierten, verbindlichen Aktion um gemeinsame Forderungen eigentlich auf die Tagesordnung gesetzt.

Die führenden Feminist:innen der Bewegung schlagen jedoch stattdessen eher lose Vernetzungen der nationalen Kämpfe vor oder behaupten, dass die Art, wie man sich aufeinander bezieht, schon internationalen Charakter hätte. Auch fehlt bei diesen Vorschlägen nur allzu oft ein klarer Klassenstandpunkt. Statt einer gemeinsamen Koordinierung, die auf einem Aktionsprogramm fußt und dadurch handlungsfähig wird, wird also auf abstrakte Appelle und liberale Politik gesetzt. Wenn wir wollen, dass die momentanen Kämpfe erfolgreich sind, dann brauchen wir auch eine Vorstellung, welche gemeinsame, internationale Organisationsform, aber vor allem auch welche Politik und welcher Klassenstandpunkt notwendig sind. Wir wollen daher die Sozialistische Fraueninternationale (heute: Sozialistische Frauen-Internationale; SIW) und ihre Entwicklung beleuchten und für die Gegenwart fruchtbar machen. Denn wir brauchen nicht nur eine linke Frauenpolitik, wir wollen antisexistische Kämpfe, die in einer revolutionären und proletarischen Tradition stehen.

Herausbildung der proletarischen Frauenbewegung

Prinzipiell ist die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale keine lineare. Um sie richtig verstehen und einordnen zu können, stellt sich die Frage nach der proletarischen Frauenbewegung, die sich neben der bürgerlichen herausbildete. Mit der Industrialisierung und dem Übergang zum Kapitalismus bildeten sich neue gesellschaftstragende Klassen heraus: Bürger:innentum und Proletariat. Mit den Widersprüchen, die der Kapitalismus für die arbeitende Frau brachte (Mehrfachbelastung durch Lohn- und Reproduktionsarbeit), wurde auch eine neue Generation an Kämpfer:innen politisiert.

Auch in der bürgerlichen Frauenbewegung wurde die Frage nach politischer Gleichstellung im 19. Jahrhundert immer relevanter. Zentral dafür war das Frauenwahlrecht, das von bürgerlicher Seite oft nur für privilegierte Frauen gefordert wurde. Mit widersprüchlichen Interessen und Vorstellungen sammelten sich hinter dieser Forderung die Frauenorganisationen. Die proletarische Frauenbewegung hatte ihre Wurzeln natürlich in der Sozialdemokratie und speziell der deutschsprachige Raum übernahm hier eine Vorreiterrolle (die deutsche Sozialdemokratie war die stärkste Europas).

Zwar gab es im europäischen Raum auch schon vorher Absprachen und Vernetzungen, aber was die proletarische Frauenbewegung betrifft, wurden erst ab 1896 (also 7 Jahre nach dem Gründungskongress der II. Internationale, dem Zusammenschluss der sozialdemokratischen Parteien) Treffen, die der internationalen Verbindung der sozialdemokratischen Frauen dienten, abgehalten. Ein Grund für diese recht späte Entwicklung lag sicher in den tief sitzenden sexistischen Einstellungen innerhalb der Sozialdemokratie, die erst mit der Zeit abgebaut werden konnten und die Ausrichtung der Partei wie der entstehenden Gewerkschaften auf die männliche Lohnarbeit. Die Organisierung von Frauen wurde von vielen allenfalls als untergeordnete Aufgabe verstanden – was das Entstehen eigener Frauenorganisationen erschwerte und gleichzeitig umso notwendiger machte.

Ein Beispiel dafür liefert die Debatte rund um die Frauenarbeit, die erst langsam mit dem Entstehen der II. Internationale eine sinnvolle gemeinsame Beantwortung fand, in der nicht von einem „Ausspielen“ der Frau gegen die männlichen Arbeiter die Rede war. Zeitgleich kann man aber auch in der II. Internationale starke sexistische Stereotype und Probleme sehen. Selbst Zetkin, die wichtigste Vertreterin der deutschen, proletarischen Frauenbewegung neigte dazu, bestimmte bürgerliche Geschlechterrollen zu reproduzieren. So enthält selbst ihre bedeutende, politisch starke Aussage „Nur mit der proletarischen Frau wird der Sozialismus siegen“ den Satz: „Es darf auch unmöglich die Aufgabe der sozialistischen Frauenagitation sein, die proletarische Frau ihren Pflichten als Mutter und Gattin zu entfremden“.

Frauenwahlrecht

In Deutschland gab es in der Sozialdemokratie schon länger Frauenkonferenzen und 1907 wurde dieses Konzept auch auf die II. Internationale übertragen und fand die erste internationale Frauenkonferenz statt. Vom 17. bis 19. August trafen sich 58 Delegierte aus 15 Ländern in Stuttgart. Zentral behandelt wurden Fragen des weiteren internationalen Austausches und des Frauenwahlrechts. Als Ergebnis, stark geprägt von den Anträgen Clara Zetkins, wurde ein internationales Frauensekretariat der II. Internationale bestimmt und die „Gleichheit“ gegen den Widerstand des revisionistischen Flügels als deren offizielles Organ anerkannt.

Die Konferenz sprach sich für ein allgemeines Wahlrecht für Männer und Frauen aus und verabschiedete eine entsprechende Resolution. Der revolutionäre Flügel um Zetkin, Luxemburg oder auch Kollontai drängte darauf, das allgemeine Frauenwahlrecht zu einem zentralen Kampfziel der proletarischen Bewegung zu machen und dieses nicht, wie in einigen Ländern (z. B. Österreich und Großbritannien geschehen) dem Ringen um das Männerwahlrecht oder sogar weitaus unbedeutenderen kurzfristigen Reformzielen unterzuordnen.

Österreichische und britische Delegierte verteidigten hingegen die Position, dass es in manchen Situationen taktisch klug wäre, auf ein Frauen- zugunsten eines allgemeinen Wahlrechts für Männer zu verzichten. Dies wurde so argumentiert, dass in manchen Situationen diese letztere Forderung leichter umzusetzen wäre und mit dem Erreichen dieses Meilensteins ein späterer Kampf für das allgemeine Frauenwahlrecht erleichtert werden würde.

Schließlich setzte sich der linke Flügel bei der Abstimmung 1907 klar durch. Der Kampf für das Frauenwahlrecht sollte ein entscheidender sein für die Sozialdemokratie. Es war eine sehr richtige Entscheidung, diese Bedenken klar abzuwehren. Bald darauf wurde die Entscheidung der Fraueninternationale auch von der II. Internationale bestätigt.

Die Debatte rund um das Wahlrecht war aber nicht nur eine taktische, sondern zeigte bereits die tiefgreifenden Unterschiede zwischen reformistischen und revolutionären Kräften. Die von den Österreicherinnen eingebrachte Debatte stellte ja auch infrage, wie die Internationale gemeinsam und verbindlich radikal auftreten konnte, ein Problem, das in der zunehmend reformistisch dominierten ArbeiterInnenbewegung immer größer geriet.

Dass es sich um alles andere als bloße „Meinungsverschiedenheit“ oder „kleine politische oder taktische Differenzen“ handelte, wurde schon vor dem Ersten Weltkrieg Revolutionärinnen wie Luxemburg oder Zetkin zunehmend bewusst. Innerhalb der deutschen und internationalen Frauenbewegung kam es rund um „die Gleichheit“ und deren Chefredakteurin, Clara Zetkin, zur Formierung eines Pols, der sich klar zum linken Flügel zählte.

Die Etablierung eines eigenen Frauensekretariats war sicherlich ein Fortschritt, litt aber an ähnlichen Problemen wie andere Gremien der II. Internationale, nämlich dass es über wenig tatsächliche politische Entscheidungsfähigkeit und Verankerung verfügte. Beim nächsten internationalen Frauenkongress 1910 musste bilanziert werden, dass trotz der Bekenntnisse und Resolutionen die gemeinsame Arbeit rund um das allgemeine Frauenwahlrecht und die internationale Vernetzung noch einiges zu wünschen übrig ließen. Man sollte sich in der Analyse dieser Fehler nicht nur auf die Form beschränken, sondern versuchen herauszufinden, aus welchen politischen Fehlentscheidungen diese resultierten. Ein Fehlen von demokratisch zentralistischen Strukturen, also einem gemeinsamen, verbindlichen Handeln nach außen, nach Diskussion in der Organisation bedeutete eben auch, dass die Internationale nie ihr volles Potenzial entfalten konnte. Sie bildete eher eine Vernetzung zwischen den nationalen Organisationen und keine internationale Organisation mit Sektionen in den einzelnen Ländern.

Zeitgleich konnten sich die reformistischen Kräfte dadurch aber auch immer stärker in ihre nationalen bürgerlichen Verhältnisse festkrallen. Selbst wenn die Internationale von Sozialismus und Revolution redete, entsprach das nicht der tatsächlichen Praxis der Sozialdemokratien der einzelnen Länder. Vielmehr rechtfertigten sie ihre zunehmend bürgerlich-gradualistische Reformpolitik als „Taktik“, deren opportunistischer Charakter durch Lippenbekenntnisse zum Sozialismus versteckt wurde. Das bedeute dann eben auch, dass die meisten international agierenden Strukturen fast wirkungslos blieben und als primäre Aufgabe die Vernetzung hatten. Nicht zu unterschätzen war jedoch, dass die „Gleichheit“ als einziges großes, internationales Organ der II. Internationale vom revolutionären Flügel und nicht vom reformistischen kontrolliert wurde.

Als „Lösung“ wurde beim Frauenkongress 1910 der Internationale Frauentag als Kampftag für das Wahlrecht verankert. Ein weiterer Kongress fand 1913 statt, der sich gegen die Balkankriege stellte und schon einen starken Fokus auf Frieden hatte.

Weltkrieg

Mit dem 1. Weltkrieg wurden die Widersprüche in der Sozialdemokratie offensichtlicher und es zeichneten sich Spaltungen ab. In Deutschland formierte sich ab 1915 die kleine, revolutionäre Minderheit, der Spartakusbund. Die SPD selbst schloss 1916 die wachsende Zahl der Kriegsgegner:innen unter den Parlamentsabgeordneten aus, die 1917 die USPD gründeten. Die Organisation zerbrach in die sozialchauvinistische Mehrheitssozialdemokratie, welche den Krieg unterstützte und den Burgfrieden für Kapital und Kaiser organisierte, und in die USPD, welche eine pazifistische Politik vertrat. Die Bruchpunkte existierten auch in der proletarischen Frauenbewegung weiter und grob gesagt unterteilte sie sich in drei Strömungen. Die reformistische, die die Burgfriedenspolitik mittrug und sich auf Arbeit in „sozialen Strukturen“ (Wohltätigkeit) beschränkte. Die gewerkschaftliche, die versuchte, sich auf ihre Rolle als Interessenvertretung zu konzentrieren, und dabei die politischen Forderungen und Notwendigkeiten hintanstellte. Und die innerparteiliche Linke, die auch maßgeblich für die weitere Entwicklung der Sozialistischen Fraueninternationale verantwortlich war.

Im Herbst 1914 plante Zetkin ein weiteres ihrer Treffen. Dieses konnte aber wegen des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs erst 1915 stattfinden. Die Konferenz war klar eine Antikriegskonferenz und es sammelten sich hier vom 26. bis 28. März 30 Delegierte aus unterschiedlichen Ländern in der Schweiz. Die Konferenz wurde von der SPD-Parteiführung nicht unterstützt. Schließlich stand die deutsche Sozialdemokratie (wie die meisten Sozialdemokratien Europas) auf Regierungsseite.

Diese Konferenz sollte nicht nur einer der ersten Versuche sein, die internationale Zusammenarbeit der sozialistischen Organisationen trotz des Krieges wiederzubeleben, sondern war auch eines der ersten internationale Zusammentreffen einer radikalen Strömung, die sich gegen die offizielle Parteilinie stellte. Ähnlich wie die später unter dem Namen „Zimmerwalder Linke“ bekanntgewordene Gruppe wurde eine Opposition zur Kriegspolitik, aber auch zur reformistischen Degeneration der Sozialdemokratie gesammelt.

Die teilnehmenden Frauen, speziell die führenden Aktivistinnen, gehörten nun zum Großteil dem linken Flügel ihrer Parteien an. So ist es also nicht verwunderlich, dass die Sozialistische Fraueninternationale wichtig für die internationale Verbindung der Kriegsopposition gewesen war. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen aufgrund ihrer Mehrfachunterdrückung häufiger direkt konfrontiert mit den Problemen des Kapitalismus waren und wegen des in den Organisationen (inklusive der Gewerkschaften) vorherrschenden Sexismus’ weniger in Systeme integriert wurden und auch weniger aufgrund materieller Anreize ihre Politik verrieten.

Die Konferenz verabschiedete im März 1915 den Aufruf „Frauen des arbeitenden Volkes!“, der deutlich den imperialistischen Charakter des Krieges hervorhob, das Ende der Burgfriedenspolitik forderte und mit folgenden Losungen endete: „Nieder mit dem Kapitalismus, der dem Reichtum und der Macht der Besitzenden Hekatomben von Menschen opfert! Nieder mit dem Kriege! Durch zum Sozialismus!“

Die Konferenz stellte schon durch ihr Zustandekommen einen wichtigen Fortschritt dar. Anders als die Frauenkonferenzen vor dem Krieg erkannte sie überhaupt nur der linke, gegen den Krieg eingestellte Flügel an. Aber es zeigten sich bei der Mehrheit der Teilnehmerinnen auch zwei wichtige Schwächen und damit Differenzen zu den Bolschewiki, die durch Krupskaja vertreten waren. Es fehlte die Erkenntnis, dass es an der Zeit war, sich von der Sozialdemokratie loszusagen und eine linke Opposition aufzubauen, eine neue Partei, die in einer Situation der Illegalität auch Arbeit machen konnte. Die Forderung, den imperialistischen Krieg in einen revolutionären Bürger:innenkrieg umzuwandeln, was die tatsächlich richtige Schlussfolgerung aus dem beschlossenen Slogan gewesen wäre, wurde nicht aufgestellt. Die russische Delegation stellte zu diesen Punkten zwar einen Antrag, der wurde allerdings abgelehnt. Die Erkenntnis holte die führenden Aktivistinnen zwar nach und nach ein, als sich die Spaltung vollzog und immer klarer wurde, dass ein politischer und organisatorischer Bruch mit der sozialdemokratischen Führung unumgänglich war. Ähnlich wie die Konferenzen von Zimmerwald und Kiental bildeten die internationalen Frauenkonferenzen einen wichtigen Ausgangspunkt für die Sammlung der revolutionären Internationalist:innen und die spätere Formierung der Dritten Internationale.

Lehren

Die Geschichte der Sozialistischen Fraueninternationale gibt uns heruntergebrochen heute Ansätze für fünf wichtige Aspekte.

Erstens: Wie muss eine Frauenbewegung aussehen, die auch in der Lage ist, tatsächliche Verbesserungen zu erkämpfen? Und wie ist dieser Kampf mit dem um eine revolutionäre Umwälzung verbunden? Die Auseinandersetzung rund um das Frauenwahlrecht ist ein gutes Beispiel dafür, was eine proletarische Frauenbewegung leisten kann, und zeigt auch, dass es selbst in Situationen, wo man mit bürgerlich-feministischen Kräften zusammenarbeiten kann, sinnvoll und notwendig ist, sich klar von ihnen politisch und organisatorisch abzugrenzen.

Zweitens: die Frage von separater Organisierung. Auch wenn es sich hierbei nicht um ein Prinzip handelt, so ist es doch interessant zu beobachten, wie gerade die führenden Frauen und die Jugend in der europäischen Sozialdemokratie oft zum linken Flügel gehörten. Ziel einer Organisation ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle Aktivist:innen gemeinsam handeln können, aber es kann auch Situationen geben, wo es erfolgreicher ist, sich separat zu organisieren oder eigene Gremien in der Organisation einzufordern, um gegen soziale Unterdrückung auch innerhalb der Gruppe vorzugehen. So formten sowohl die Jugendinternationale als auch die Sozialistische Fraueninternationale wichtige Sammelpunkte des Kampfes gegen die reaktionäre Politik der Sozialdemokratie nach 1914. Immer sinnvoll ist es aber, in Organisationen einen Rahmen zu schaffen, um sich als gesellschaftlich Unterdrückte zu treffen und Probleme auch gesondert besprechen und deren Lösung vorantreiben zu können. Ein sogenanntes Caucus-Recht bildet also auch eine wichtige Lehre und Errungenschaft.

Drittens: Die wirkliche Frauenbefreiung ist eine globale Frage. Die Vernetzung der Kämpfe ist nicht nur sinnvoll und lehrreich, sondern stärkt sie auch maßgeblich. Aber wenn es nur dabei bleibt, dann besteht die Gefahr, wie es auch bei der II. Internationale der Fall war, dass sich nie eine länderübergreifende Organisation herausbildet, die als Grundprinzip das internationale, gemeinsame Handeln verfolgt. Aktionen werden stärker und können mehr an Fahrt aufnehmen, wenn es eine zentrale Koordination und Vernetzung auf internationalem Niveau gibt. Selbst jetzt, ohne eine solche Organisation und Vernetzung, sieht man, wieviel schlagkräftiger Kampfmittel wie zum Beispiel Frauenstreiks werden, wenn sie international passieren und sich gegenseitig in ihren Anliegen unterstützen (auch wenn es gerade sehr dezentral und losgelöst erfolgt).

Viertens: Internationalismus ist nicht nur eine Frage der Effektivität, sondern folgt auch daraus, dass der Klassenkampf – und damit logischerweise der der proletarischen Frauen – ein globaler ist. D. h., eine neue sozialistische Frauenbewegung darf sich nicht auf Fragen der Gleichheit und geschlechtlichen Unterdrückung beschränken, sondern muss fest auf dem Boden eines Kampfprogramms gegen Imperialismus und Kapitalismus, eines von Übergangsforderungen stehen.

Fünftens: Neben der Erkenntnis, dass es notwendig ist, innerhalb der bestehenden bürgerlichen bzw. kleinbürgerlichen Bewegung für eine proletarische Frauenbewegung zu kämpfen, sehen wir diesen Kampf auch als einen direkten Beitrag für eine neue Internationale. Die Führungskrise des Proletariats und damit auch das Fehlen einer internationalen, revolutionären Partei bedeutet, dass die Kämpfe, die in Bewegungen wie der der Frauen geführt werden, auch das Potenzial gewinnen können, revolutionäre Kräfte zu sammeln und damit auch einen Ansatzpunkt für so eine Partei sein können. Auch deshalb ist es notwendig, sich auf einer klaren und revolutionären programmatischen Grundlage zu sammeln, um die Zuspitzung innerhalb der Frauenbewegung auch für den Aufbau einer neuen Internationalen und deren revolutionäre Ausrichtung nutzen zu können.

Seit der Degeneration der III., Kommunistischen und dem Scheitern der Vierten Internationale ist es ein zentrales Problem, dass es keine revolutionäre Internationale und politisch-programmatische Kontinuität in der Arbeiter:innenklasse gibt. D. h. der Einfluss bürgerlicher und kleinbürgerlicher Ideologie ist ungleich größer als in Perioden mit einer konstituierten Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse. Der Kampf um eine proletarische, sozialistische Frauenbewegung ist daher untrennbar mit dem Kampf um eine revolutionäre Internationale verbunden.

Die Sozialistische Fraueninternationale war bei allen Problemen nicht nur historisch ungleich fortschrittlicher und weiter als die Bewegung heute, sie stellt auch ein anderes Modell dar. Sie stand von Beginn an auf einer klassenpolitischen, proletarischen Grundlage und verstand sich als Teil des revolutionären Kampfes zur Befreiung aller Lohnabhängigen. Zugleich aber entstand sie als Gegensatz zur bürgerlichen Frauenbewegung und am Beginn der imperialistischen Epoche – und damit in einer, wo sich die Differenzen zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Flügel zuspitzten.

Dazu benötigen wir eine revolutionäre internationale Organisation auf klarer programmatischer Grundlage, die es schafft, sich an den Aufbau solcher Strukturen zu machen. Die internationale Frauen- und LGBTQIA+-Bewegung kann nur mit solchen langfristig erfolgreich sein, ihre Unterdrückung nicht nur innerhalb des Systems zu bekämpfen, sondern auch das System an sich aus den Angeln zu heben und damit tatsächliche Befreiung zu erwirken. Für eine neue, revolutionäre Internationale!




Ein neues Jahr und die Notwendigkeit an einer neuen Internationale

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1174, 1. Januar 2022

Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den alten und neuen, „aufstrebenden“ imperialistischen Mächten verschärft sich zum Jahreswechsel 2021/22. Die NATO-Mächte unter US-Führung drohen mit weiteren wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland. Dieses verstärkt seine Truppen an der Grenze zur Ukraine mit dem ausdrücklichen Ziel, eine weitere Ausdehnung der NATO in Richtung ihrer Ost- und Südgrenze zu blockieren. Die alte und neue Allianz des Kalten Kriegs zielt darauf ab, ihren geostrategischen Rivalen in die Knie zu zwingen. Obwohl Russland immer noch im militärischen Sinne eine „Großmacht“ verkörpert, ist es wirtschaftlich viel schwächer und gegenüber massiven Sanktionen, die USA und EU verhängen, verwundbar.

Bilaterale Gespräche zwischen Biden und Putin, NATO-Russland-Konsultationen bilden die diplomatische Begleitmusik zur imperialistischen Konfrontation. Wechselseitige Ausweisung von Botschaftsangehörigen, gegenseitige Vorwürfe der systematischen Desinformation und Lügenpropaganda, von Kriegsvorbereitungen und Aufrüstung verdeutlichen das explosive Potential dieses neuen Kalten Krieges, der die Gefahr in sich birgt, zu einem heißen zu geraten.

Hinter dem wachsenden Gegensatz in Osteuropa und in vielen anderen Regionen der Welt steht freilich der zentrale zwischen den USA und China, der sich im Pazifik weiter zuspitzt und  mehr und mehr die internationalen Verhältnisse bestimmt.

Der Kampf um Marktanteile, Zugriff auf Rohstoffe, Produktionsketten und Handelsrouten droht 2022 immer bedrohlicher Formen anzunehmen – sei es in Europa, im Nahen und Mittleren Osten, einem neuen „Wettrennen um Afrika“ oder in der Konfrontation um Taiwan.

Welche genauen Formen dieser Konflikt annehmen wird, ob und wie sehr es der EU gelingt, sich in diesem als dritte Großmacht unter deutscher und französischer Führung zu festigen, wird letztlich in der Arena des Klassenkampfes entschieden werden, nicht ohne massive politische Krisen zu lösen sein.

Trotz Trumps Niederlage und seiner Ersetzung durch Biden ist die Welt nicht friedlicher und die US-Politik nicht weniger aggressiv geworden. Biden begründet seine Form des „America first“ anders – als Ringen eines vorgeblich progressiven demokratischen Lagers gegen die „Diktaturen“.

Niemand wird den bonapartistischen Charakter des chinesischen und russischen politischen Regimes leugnen oder nicht mit den dortigen Kampagnen gegen nationale Unterdrückung und für demokratische Rechte liebäugeln. Einen Abbau demokratischer Rechte, zunehmende Überwachung, innere nationalistische Mobilisierung prägen auch viele der westlichen Demokratien – von ihren Vasallenregimen in Osteuropa, in Lateinamerika oder im Nahen Osten ganz zu schweigen.

Die zahlreichen barbarischen Interventionen, die Abschottung ihrer Außengrenzen und ihre brutale Durchsetzung seitens der USA oder der Festung Europa sowie der Vormarsch des  Rassismus gegen MigrantInnen zeigen, wie es wirklich um die „Demokratie“ dieser Mächte bestellt ist.

Die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten dürfen in dieser zunehmenden imperialistischen Konfrontation nicht für eines der „Lager“ Seite beziehen. Ob in den USA, in Deutschland, Frankreich oder Britannien, in Japan oder Australien, in Russland oder China: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Auch in den Regionalmächten, also jenen Halbkolonien, die gerne eine wie von Russland und China bereits erreichte imperialistische Rolle spielen möchten – seien es Länder wie Türkei, Brasilien, Indien oder Pakistan, Israel, Südafrika oder der Iran –, muss sich der Kampf der Lohnabhängigen und ihrer Verbündeten gegen „ihren“ Staat, „ihre“ herrschende Klasse richten – einschließlich der Unterstützung des Befreiungskampfes unterdrückter Nationen wie der PalästinenserInnen, der KurdInnen, von ethnischen und nationalen Minderheiten.

Nur durch eine solche eigenständige Klassenpolitik wird sich die Klasse der Lohnabhängigen in den kommenden großen Kämpfen als eigenständige soziale Kraft formieren können und und allen wegen ihrer „Rasse“, Nationalität oder Geschlecht Unterdrückten ihre Führung anbieten.

Die globale ökonomische Krise der Kapitalismus

Auch wenn sich etliche Länder von der tiefen Krise der Weltwirtschaft, die 2020 fast alle Nationen in eine Rezession trieb, etwas erholt haben, so ist diese „Erholung“ überaus fragil. In den westlichen imperialistischen Ländern wird sie vor allem durch eine expansive Geldpolitik,  eine Ausdehnung der Staats- und Unternehmensverschuldung herbeigeführt. Sie gleicht eher einem Strohfeuer. Große Teil der Welt, d. h. vor allem die halbkoloniale Länder haben sich erst gar nicht von der Krise „erholt“, sondern stehen selbst vor Währungs- und Finanzkrisen, vor dem Staatsbankrott. Darüber hinaus erschwert die zunehmende globale Rivalität eine konzertierte Politik der imperialistischen Länder, ja verunmöglicht sie tendenziell.

Niemand sollte sich von den sozialen Versprechungen der Regierungen der USA, Chinas oder der EU-Kommission blenden lassen, die die Staatsverschuldungsorgien begleiteten. Weder Bidens American Jobs Plan noch der Green Deal der EU oder Chinas „Common prosperity“ werden die ArbeiterInnenklasse retten. Vielmehr stellen alle diese vor allem Programme zur Reorganisation des Gesamtkapitals dar, die mit einigen Versprechungen für die Lohnabhängigen und zum Schutz des Weltklimas garniert werden.

Die ArbeiterInnenklasse, die BäuerInnenschaft, aber auch große Teile der Mittelschichten müssen sich darauf vorbereiten, dass sie in der kommenden Periode für die Kosten von Pandemie und großer Krise zur Kasse gebeten werden sollen – sei es durch Inflation und Entwertung ihrer Löhnung und Ersparnisse, durch Entlassungen, Umstrukturierungen, Schließungen, weitere Angriffe auf soziale Rechte, Kürzungen öffentlicher Leistungen oder Privatisierungen. Rassistisch und national Unterdrückte, Frauen, LGBTIAQ-Personen, Jugendliche und Alte sind von der Krise besonders hart betroffen – sowohl was ihre ökonomische Lage wie auch die Ausbreitung von rabiaten und brutalen Formen, von Gewalt gegen Frauen und Minderheiten, von Sexismus, Rassismus, Nationalismus und Chauvinismus betrifft.

Die Pandemie und die Gesundheitskrise

Eng mit der ökonomischen Krise ist die globale Pandemie verbunden. Der Kapitalismus hat sich trotz rascher Entwicklung von Impfstoffen und gigantischer Staatsausgaben in den imperialistischen Metropolen als unfähig erwiesen, über zwei Jahre eine weltweite Gesundheitskrise zu bewältigen, die mittlerweile selbst nach offiziellen Zahlen mehr als fünf Millionen Menschen das Leben gekostet hat.

In den Halbkolonien wird bis heute hunderten Millionen der Zugang zu Impfstoffen vorenthalten. Die Monopolisierung der Produktion und Verteilung der Vakzine durch die reichen Länder wird durch die Profitmacherei mit dem Impfstoff verschärft. Jahre neoliberaler „Gesundheitspolitik“ und die ökologisch verheerende Zurichtung der Landwirtschaft durch das Agrobusiness zeigen in der Pandemie ihre verheerende Wirkung. Die kapitalistischen Prioritäten schwanken zwischen dem Interesse, Kapitalzirkulation, Produktion, Akkumulation und Welthandel aufrechtzuerhalten und den Notwendigkeiten, die Ausbreitung des Virus so weit einzudämmen, dass ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems verhindert wird. Daher schwankt die Politik auch zwischen einer zynischen Inkaufnahme einer faktischen Durchseuchung („Herdenimmunität“) großer Teile vor allem der halbkolonialen Welt, begrenzten und selektiven Einschränkungen und Lockdowns (Flatten-the-curve-Strategie).

Eine Lösung dieses brennenden Problems der Menschheit vermag der Kapitalismus, vermag keine einzige bürgerliche Regierung, ob nun westliche Demokratie oder bonapartistische Diktatur, zu liefern. Um diese aktuelle Menschheitsfrage zu lösen, braucht die ArbeiterInnenklasse daher eine Politik, die vor der Eigentumsfrage nicht halt-, die Patente und Know-how für alle zugänglich macht und auch davor nicht zurückschreckt, nicht notwendige Produktion zeitweilig einzustellen oder auf unmittelbare Überlebenserfordernisse umzulenken, die Staaten und Reichen zur Sicherung der Löhne und Lebensstandards zwingt.

Die ökologische Krise

Eng damit verbunden ist die ökologische Krise. COP26 in Glasgow verbreitete wie all seine Vorgänger vollmundige Absichtserklärungen. Natürlich bekennen sich alle wichtigen Länder mittlerweile zum Ziel der Klimaneutralität bis irgendwann in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, aber das ist auch alles. Derweil wird der Kampf darum geführt, wer die Kosten für die Umweltzerstörung tragen soll. Sichere Verlierer sind dabei schon heute die Länder der sog. Dritten Welt, denen die Mittel zur Bekämpfung der akuten Auswirkungen des Klimawandels und anderer ökologischer Katastrophen vorenthalten werden. Millionen und Abermillionen verlieren so schon jetzt ihre Existenzgrundlage aufgrund der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen.

Ebenso wie die imperialistische Konkurrenz, die Kriegsgefahr, die globale Wirtschaftskrise und die Pandemie wirft die Frage der ökologischen Krise die Notwendigkeit einer internationalen, antikapitalistischen Lösung auf, eines Programms von Übergangsforderungen zur Sicherung der Lebensgrundlagen der Menschheit, zur Reorganisation von Produktion und Distribution gemäß den Bedürfnissen von Mensch und Natur.

Die Krise bürgerlicher Politik

Die Mehrfachkrise der Menschheit geht einher mit eine tiefen Krise bürgerlicher Politik selbst. Diese schafft eine wirkliche Polarisierung, weil die herrschenden Klassen zwischen den Polen einer Politik der Inkorporation der Lohnabhängigen und ihrer Organisationen und einer der offenen Konfrontation und populistischen Mobilisierung schwanken.

Regierungen der „Mitte“, des „demokratischen“ Blocks aus Liberalen, moderaten Konservativen, Grünen bis hin zur Sozialdemokratie stehen in vielen Ländern rechtspopulistische (bis hin zu faschistischen) Parteien und Bewegungen gegenüber. Diese stehen dem Bürgertum als Alternative für eine härtere Gangart zur Verfügung, die auf mehr Nationalismus setzt und diese reaktionäre Einheit durch die demagogische Mobilisierung gegen die Frauenbewegung, MigrantInnen, rassistisch Unterdrückte und neuerdings gegen Corona-Maßnahmen herzustellen versucht.

Eine solche rechte, reaktionäre, kleinbürgerliche Bewegung steht zugleich als Reserve der Bourgeoisie gegen die ArbeiterInnenklasse oder Bewegungen von rassistisch Unterdrückten zur Verfügung.

Vor dem Hintergrund eines Rechtsrucks der letzten Jahre droht ein weiterer Vormarsch dieser rechten Gefahr wie auch eine Hinwendung zu autoritären, antidemokratischen Herrschaftsformen. Doch diese Entwicklung selbst ist keineswegs unausweichlich. Wie in jeder Periode, in der das Gleichgewicht der Weltordnung, des tradierten Verhältnisses zwischen den Staaten wie auch den Klassen erschüttert wird, so ist auch die gegenwärtige von großen politischen Schwankungen und einer zunehmenden Polarisierung zwischen den Klassen geprägt. Doch diese tritt seit den Niederlagen der Arabischen Revolution, der griechischen ArbeiterInnenklasse oder der Flüchtlingsbewegung heute vor allem als schiefe Polarisierung zwischen rechten/rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien einerseits und klassenübergreifenden Bündnissen von linken Parteien mit offen bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Massenbewegungen (wie z. B. Fridays for Future) oder auch von ökonomischen Kämpfen der Lohnabhängigen andererseits hervor.

Als eigenständige politische Kraft steckt die ArbeiterInnenklasse in einer tiefen, historischen Krise, einer Krise ihrer Führung, die aber auch ihre bestehenden Organisationen, Traditionen erfasst hat, an deren Stelle keine neue globale politische Formierung getreten ist, die es mit diesen Herausforderungen aufnehmen kann.

Neue Internationale!

Dabei mangelt es nicht an wichtigen, ermutigenden, imposanten Mobilisierungen: Streiks von Millionen und Abermillionen indischer ArbeiterInnen, die enorme ökonomische Militanz der chinesischen ArbeiterInnenklasse, der Aufschwung der Streikkämpfe in den USA, revolutionäre Erhebungen wie im Sudan, Wahlsiege linker KandidatInnen wie Boric in Chile verdeutlichen die Kampf- und Mobilisierungsbereitschaft der LohnarbeiterInnen wie ihr Potential, ins nationale Geschehen einzugreifen.

Bewegungen wie die Umweltbewegung, Black Lives Matters und andere antirassistische Mobilisierungen, die Frauen*streiks oder auch grenzüberschreitende gewerkschaftliche Kämpfe wie z. B. bei Amazon verdeutlichen die Notwendigkeit und Realisierbarkeit gemeinsamer Aktionen der Klasse auf internationaler Ebene.

Wenn wir den großen Herausforderungen der kommenden Periode – der zunehmenden imperialistischen Konkurrenz und Kriegsgefahr, der globalen wirtschaftlichen, ökologischen und Gesundheitskrise entgegentreten wollen, brauchen wir vor allem eines: klassenkämpferischen und revolutionären Internationalismus.

Wir brauchen einen Internationalismus, der mehr ausmacht als die Summer nationaler, politischer und sozialer Kämpfe. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass keines der großen Probleme der Menschheit im nationalen Rahmen gelöst werden kann. Einen Internationalismus, der davon ausgeht, dass die Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln, die Enteignung der EnteignerInnen die unerlässliche Voraussetzung für die Lösung dieser Probleme darstellt, weil nur so die Wirtschaft gemäß den Bedürfnissen von Mensch und Natur reorganisiert werden kann. Wir brauchen einen Internationalismus, der von der Erkenntnis ausgeht, dass es zu seiner Verwirklichung eines Programms und Kampfinstrumentes bedarf: einer globalen revolutionären Partei der ArbeiterInnenklasse, einer neuen Fünften Internationale.




Weltlage: 4 Krisen – Klima, Pandemie, Wirtschaft und Krieg

Internationales Exekutivkomitee der Liga für die 5. Internationale, 15.12.202, Infomail 1174, 31. Dezember 2021

In den vergangenen zwei Jahren sah sich die Welt mit einer Reihe von miteinander verknüpften Krisen konfrontiert. An erster Stelle steht eine globale Gesundheitskrise. Covid-19 hat die Regierungen und Gesundheitssysteme überrascht, obwohl sie von EpidemiologInnen und der WHO vor einer wahrscheinlichen zweiten SARS-Epidemie gewarnt worden waren und die Gewerkschaften des Gesundheitspersonals darauf hingewiesen hatten, dass ihre Krankenhäuser und Kliniken nicht in der Lage sind, eine solche zu bewältigen. Covid-19 hat weltweit mehr als fünf Millionen Todesopfer gefordert und wütet mit seinen Delta- und Omikronvarianten immer noch und bricht in Ländern wieder aus, die überzeugt waren, die Krankheit unter Kontrolle zu haben, und ihre Wirtschaft wieder in Gang brachten.

In den Schlagzeilen stehen auch die zunehmenden extremen Wetterereignisse, Überschwemmungen, Waldbrände und Dürren rund um den Globus, die die Aussicht auf einen katastrophalen Klimawandel unbestreitbar machen. Dennoch war die Klimakonferenz COP26 in Glasgow nur ein weiteres RednerInnenfest. Die Öl-, Gas- und Kohlekonzerne und die von ihren Produkten abhängigen Staaten USA, China, Indien, Brasilien und Saudi-Arabien blockierten jede feste Verpflichtung zur Reduzierung dieser Quellen von CO2-Emissionen. Wieder einmal wurden die halbkolonialen Länder, vor allem in den Tropen, die bereits schwer gelitten haben, um die Milliarden betrogen, die sie zur Bekämpfung der Auswirkungen benötigen, und stattdessen wurden ihnen weitere Kredite angeboten.

Drittens verursachte Covid die stärkste jährliche Schrumpfung der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren. Die Abriegelungen zwangen die großen imperialistischen Staaten, ihre neoliberalen Dogmen bezüglich der Staatsausgaben über Bord zu werfen. Die Zinssätze, die jahrelang bei Null lagen, um die zur Stagnation neigenden Volkswirtschaften anzukurbeln, erlaubten es den Staaten nun, Billionen zu leihen und in den imperialistischen Kernländern die Lohnabhängigen (bzw. die sie beschäftigenden Unternehmen) dafür zu bezahlen, dass sie ihre qualifizierten Arbeitskräfte behalten oder diese von zu Hause aus arbeiten. Die Unterbrechung der Versorgungsketten und der Weltmärkte sowie die wiederholten Aussperrungen haben zwar enorme Verluste verursacht, doch das volle Ausmaß der Kapitalvernichtung wird erst deutlich werden, wenn die Pandemie aufhört. Der Internationale Währungsfonds sagt voraus, dass das weltweite Bruttoinlandsprodukt bis 2024 immer noch 2,8 % unter dem Wert liegen wird, den es vor dem pandemiebedingten Einbruch gehabt hätte.

Gleichzeitig sind  diktatorische Regionalmächte wie Saudi-Arabien und der Iran in blutige Kriege in Äthiopien und im Jemen verwickelt. Am Horn von Afrika und in der gesamten Sahelzone schüren Militärputsche, islamistische Guerillabewegungen und kriminelle Banden das Chaos, während die Regierungstruppen ebenso frei Gräueltaten begehen wie die TerroristInnen. Das Wettrüsten zur See zwischen den USA und China in Ostasien, der neue AUKUS-Militärpakt zwischen USA, Australien und Großbritannien sowie Chinas Unterdrückung in Hongkong und der Provinz (Uigurisches Autonomes Gebiet) Xinjiang machen ebenfalls deutlich, dass die Welt in eine Phase verschärfter zwischenimperialistischer Rivalität eingetreten ist, die den Ausbruch von Stellvertreterkriegen zwischen den Regionalmächten verspricht.

Zusammengefasst haben diese Faktoren zu einer sich vertiefenden politischen Krise in den alteingesessenen bürgerlichen Demokratien geführt. Im Jahrzehnt nach der Großen Rezession stagnierten die Reallöhne in vielen imperialistischen Ländern und sanken in den Vereinigten Staaten und Großbritannien. Begleitet wurde dies von Kürzungen der Sozialleistungen, um die enormen Subventionen für Unternehmen zu finanzieren, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft wurden.

Die bürgerliche Demokratie ohne Wohlstand ist ein instabiles Phänomen, und es hat eine weit verbreitete politische Polarisierung stattgefunden. Die Präsidentschaft von Donald Trump polarisierte und destabilisierte die US-Innenpolitik. Zwar wurde er 2020 abgewählt, aber dann erfolgte das beispiellose Spektakel, in dem er versuchte, sich an die Macht zu klammern, und die Invasion des US-Kapitols durch seine halbfaschistischen AnhängerInnen. Trotzdem sind die RepublikanerInnen in den Augen der Hälfte der WählerInnenschaft nicht diskreditiert, und ein Comeback eines/r anderen RechtspopulistIn im Jahr 2024 stellt eine reale Möglichkeit dar.

Nächstes Jahr könnte Jair Bolsonaro aufgrund seiner großen faschistischen AnhängerInnenschaft und seiner Unterstützung im Militär einen ernsthafteren Versuch als den von Trump unternehmen, sich mit einem Putsch gegen die Wahlniederlage zu wehren. Die Impf- und AbriegelungsgegnerInnen in Europa sind in der Regel mit bereits bestehenden rechten Parteien wie der Freiheitlichen Partei Österreichs und der Alternative für Deutschland verbunden. Die letztgenannte Entwicklung zeigt, wie groß die Unzufriedenheit in den Mittelschichten und auch in den weniger klassenbewussten Teilen der ArbeiterInnenklasse ist.

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums kam es in den letzten Jahren trotz der Beschränkungen für öffentliche Aktivitäten auch zu Massenmobilisierungen. In Indien zwang ein riesiger eintägiger Generalstreik im November 2020, gefolgt von einer einjährigen Blockade in Delhi durch Bauern und Bäuerinnen, die gegen neoliberale Landwirtschaftsgesetze protestierten, den „starken Mann“ Modi zu einem demütigenden Einlenken. Dann ereigneten sich noch die enormen Black-Lives-Matter-Mobilisierungen in den USA nach dem Mord an George Floyd.

Die großen „Schulstreiks für die Zukunft“ im Jahr 2019 haben die Frage des Klimawandels auf die politische Tagesordnung gesetzt. Die sudanesische Massenbewegung von 2018 – 2019, die den Diktator Umar (Omar) al-Baschir stürzte, kehrte im Oktober dieses Jahres zurück, nachdem der Interimspräsident Abdel Fattah Burhan die zivilen VertreterInnen aus dem Souveränen Rat verdrängt hatte. In Chile führten Massenproteste im Oktober 2019 zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung und zur Abschaffung der Pinochet-Verfassung. In der 2. Runde der Präsidentschaftswahlen wurde der Reformist Boric im Dezember 2021 ins Amt gehievt.

Die Beunruhigung der Bevölkerungen angesichts von Armut, Inflation, Arbeitslosigkeit, extremen Wetterereignissen und Krieg ist also durchaus gerechtfertigt. Immer wieder haben sie ihre Bereitschaft gezeigt, auf der Straße zu protestieren. Was fehlt, ist eine politische Führung mit einem Programm, um die Kräfte zu lenken, die den korrupten MillionärInnen und den Militärregimen die Macht entreißen und sie in die Hände von Räten und Milizen der ArbeiterInnen in den Städten und auf dem Land und der Jugend legen können.

Angesichts dieser Herausforderungen haben sich die Organisationen der ArbeiterInnenklasse und ihrer Verbündeten jedoch als träge und durch verschiedene Arten von Reformismus stockkonservativ erwiesen. Diese Blockade zu durchbrechen, damit die neue Welt aus der Agonie der alten geboren werden kann, ist die Aufgabe der RevolutionärInnen weltweit, und die internationale Organisation ist dabei der Schlüssel zum Erfolg.

Die Pandemie hält an

Die Covid-19-Pandemie ist eindeutig noch nicht vorbei, wie die „vierte Welle“ in Deutschland, Österreich und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern sowie die rasche Ausbreitung der „Omikron“variante zeigen. Sie wird weiterhin starke wirtschaftliche Auswirkungen auf ein kapitalistisches System zeitigen, das sich 2019 bereits von einem Jahrzehnt der beinahe Stagnation auf eine weitere große Rezession zubewegte. Das Virus ist nicht nur zu ansteckenderen Varianten mutiert, sondern während alle imperialistischen Länder außer Russland einen Großteil ihrer Bevölkerung geimpft haben, waren nur einige Halbkolonien (vor allem in den Golfstaaten, in Ostasien und Lateinamerika) dazu in der Lage, und das mit erheblicher Verzögerung. Der tatsächliche wirtschaftliche Tribut, den die Krankheit in Afrika, Lateinamerika und weiten Teilen Asiens fordern wird, dürfte enorm sein, doch das Angebot an Impfstoffen wurde von den imperialistischen Ländern aufgekauft. Das wahre Ausmaß der Verwüstung für die Bevölkerungen in der halbkolonialen Welt kann man nur erahnen.

Die Pandemie hat die Gesundheitsdienste der Welt an ihre Belastungsgrenze gebracht und die kapitalistischen Volkswirtschaften gestört, Lieferketten unterbrochen, Arbeitskräfte entlassen und zu Konkursen geführt. In den älteren imperialistischen Ländern konnten einige dieser Auswirkungen durch Kurzarbeit und massive Almosen an die Arbeit„geber“Innen aufgefangen werden, die durch historisch niedrige Zinssätze gestützt wurden.

Dennoch stiegen die Börsen und Anleihemärkte nach einem kurzzeitigen Absturz im zweiten Trimester 2020 bis zum Jahresende wieder auf neue Höchststände. Dies deutet nicht auf eine Erholung der Realwirtschaft hin (des Teils, der Mehrwert erzeugt und realisiert), sondern vielmehr auf eine weitere Aufblähung des fiktiven Kapitals, das keine ausreichend rentablen Ziele für Investitionen in produktive Industrien finden kann. ZentralbankerInnen und FinanzministerInnen  warnen nun vor einer Rückkehr zur Inflation und, wenn die so genannten realen Volkswirtschaften um die Stagnation herum schwanken, zu einer „Stagflation“, wie sie zuletzt in den 1970er Jahren zu beobachten war, einem Jahrzehnt explosiver Klassenkämpfe, Revolutionen und Konterrevolutionen.

Die Internationale Arbeitsorganisation hat errechnet, dass in den Jahren 2020 – 2021 umgerechnet 100 Millionen Vollzeitarbeitsplätze verlorengegangen sind, und befürchtet, dass die Zahl im Jahr 2022 weiter steigen wird, da staatliche Unterstützungsausgaben zurückgezogen werden und Unternehmen in Konkurs gehen, wobei junge und weibliche ArbeiterInnen am stärksten betroffen sind. Sobald der Aufschwung abgeschlossen ist, werden große Veränderungen in Handel und Industrie sichtbar werden.

Die kommende Klimakatastrophe

Während die Regierungen der Welt auf der Klimakonferenz in Glasgow das Ziel bekräftigten, den globalen Temperaturanstieg bis 2050 unter der vom Weltklimarat (IPCC) gesetzten Grenze von 1,5 °C zu halten, ließen sie den Konzernen freie Hand, um weiterhin Bergbau und Bohrungen durchzuführen. Die IPCC-ExpertInnen sagen voraus, dass die Welt in Wirklichkeit auf einen Anstieg von 2,4 °C zusteuert. Selbst der niedrigere Wert würde extreme Hitzewellen, einen Anstieg des Meeresspiegels mit Überflutung von Inseln und Küstenstädten sowie die Zerstörung der Artenvielfalt an Land und in den Ozeanen bedeuten.

Der Klimawandel wird auch enorme politische Auswirkungen mit sich führen. In ganz Afrika haben die Verknappung der Wasserressourcen und die Versteppung von Acker- und Weideland bereits zu verstärkter Migration und zu Konflikten zwischen ViehzüchterInnen und LandwirtInnen sowie zwischen Staaten um Wasserressourcen geführt, die alle dramatisch zunehmen werden.

Unterdessen breiten sich extreme Wetterereignisse aus: riesige Waldbrände in Australien, Griechenland und entlang der Westküste der USA und Kanadas, Überschwemmungen in Deutschland und China, zerstörerische Wirbelstürme auf den Fidschiinseln und in Indonesien. In vielen Regionen Afrikas und in Afghanistan herrschen aufgrund von Dürren Hungersnöte . Obwohl das Leid in diesen Gebieten zum Teil durch Kriege und pandemiebedingte Verwerfungen verursacht wird, können die meisten dieser Ereignisse direkt auf den Klimawandel zurückgeführt werden. Die Konferenz in Glasgow hat es jedoch völlig versäumt, Maßnahmen zu ergreifen, die die Ursachen des vom Menschen verursachten Klimawandels auch nur ansatzweise zu begrenzen beginnen könnten. Ihre „große Errungenschaft“ bestand lediglich in der Aufforderung an die Regierungen, ihre Subventionen für die Kohle-, Öl- und Gasförderung einzustellen, ohne dass ein wirklicher Zeitplan für die Beendigung der Förderung festgelegt wurde.

Der Klimawandel stellt ebenso wie Pandemien, Rezessionen und Kriege eine existenzielle Herausforderung für den Kapitalismus als Produktionsweise und Klassenherrschaft dar. Seine Unfähigkeit, die Produktivkräfte zu planen und entwickeln, ohne gewaltige zerstörerische Kräfte, Zusammenbrüche und zunehmende Ungleichheiten freizusetzen – was Marx den metabolischen Bruch mit der Natur nannte –, verurteilt ihn trotz all seiner technologischen und wissenschaftlichen Wunderwerke zu einem sozialen System im Verfall. Dies hat ein Schlaglicht auf die Untauglichkeit des Kapitalismus geworfen, auf die vorrangige Bedeutung des Profits gegenüber den Bedürfnissen der Menschen. Die Revolution des 21. Jahrhunderts wird sich nicht nur mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und den Kriegen befassen müssen, sondern auch mit der ganzen Reihe von Umweltkatastrophen und künftigen Pandemien, die zur Krise „Sozialismus oder Barbarei“ in unserer Welt beitragen.

Stagflation führt zum Einbruch

Der marxistische Wirtschaftswissenschaftler Michael Roberts kommentiert, dass „die Prognosen für das durchschnittliche jährliche reale BIP-Wachstum in praktisch allen großen Volkswirtschaften für dieses Jahrzehnt einen geringeren Anstieg vorhersagen als für das der 2010er Jahre – das ich die Lange Depression genannt habe“. Gleichzeitig setzt sich die Inflation in den Volkswirtschaften weltweit durch und untergräbt Löhne, Renten und Ersparnisse, was die zur Ankurbelung des Aufschwungs gedachten Ausgaben stoppen könnte, ganz zu schweigen von der Ankündigung einer neuen Ära (neo-)keynesianischer Sozialausgaben, auf die linke sozialdemokratische und populistische ReformistInnen hoffen.

Der Einbruch von 2020 beendete ein Jahrzehnt, in dem die Weltwirtschaft trotz Aufschwungs zur Stagnation tendierte. Die Ursache hierfür liegt in der Überakkumulation von Kapital, die ihrerseits darauf zurückzuführen ist, dass innerhalb der Produktion keine ausreichend rentablen Investitionsbereiche gefunden wurden und das Kapital folglich in unproduktive, ja parasitäre umgeleitet wurde. Nur eine wirklich umfassende Kapitalvernichtung, bei der alte Industrien mit niedrigen Profitraten stillgelegt werden, könnte dieses Problem in Angriff nehmen. Ein großer Einbruch, gefolgt von einer langen Depression, würde jedoch nicht nur die Profitraten langfristig erhöhen, sondern auch die anderen Hauptmerkmale unserer „Epoche der Kriege und Revolutionen“ (und Gegenrevolutionen) hervorbringen. Die Großmächte, die davon besessen sind, ihre wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft in der Welt zu verteidigen oder zu erlangen, sind noch weniger geneigt, multilaterale Institutionen, Verträge oder Vereinbarungen wieder in Kraft zu setzen. Die USA sind führend bei der Verhängung von Sanktionen gegen alle, die ihre Interessen verletzen. Kalte und Handelskriege können sich in heiße Kriege verwandeln, wenn lebenswichtige strategische Interessen auf dem Spiel stehen.

Rivalität zwischen Großmächten

Nach dem Rückzug der Vereinigten Staaten aus Afghanistan strömt eine neue Welle verzweifelter Flüchtlinge in die Nachbarstaaten wie Iran und Pakistan, angetrieben von den vielen Menschen, die in diesem Land vorm Verhungern stehen. Tausende erreichen die Grenzen der Europäischen Union, was zum Teil auf das zynische Vorgehen des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko zurückzuführen ist, der von seinem großen Bruder, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, unterstützt wird.

Putin führt einen Kampf mit der EU, seit die Nato ihre Mitgliedschaft bis an die Grenzen Russlands ausgedehnt und „farbige Revolutionen“ im „nahen Ausland“, einschließlich der Ukraine, angezettelt hat. Sein Gegenangriff umfasste die Einnahme der Krim, die Unterstützung der ostukrainischen SeparatistInnen und des Assad-Regimes, eines langjährigen Verbündeten und Protegés der UdSSR und später der Russischen Föderation. Die USA und Russland sind mitverantwortlich für den Beginn eines neuen Kalten Krieges in Europa, der sich durchaus parallel zu dem zwischen den USA und China in Asien entwickeln könnte.

In China hat Xi Jinping seine Führungsrolle auf unbestimmte Zeit verlängert. Die „historische Resolution“ des sechsten Plenums des Zentralkomitees der KPCh hat seine bonapartistische Rolle noch verstärkt, indem sie ihn als „Kern“ bezeichnet und ihn auf den gleichen Status wie Mao Zedong (Mao Tse-tung) hebt. Diese Rolle des Schiedsrichters spiegelt eindeutig tiefe Spannungen innerhalb der beiden herrschenden Kräfte in China wider, der parteigebundenen militärisch-staatlichen kapitalistischen Bürokratie und der wachsenden Großbourgeoisie im Privatsektor. Xis Antikorruptionskampagne richtet sich sowohl gegen (unbekannte) bürokratische KonkurrentInnen als auch gegen superreiche KapitalistInnen wie den Alibaba-Gründer Jack Ma, die aus Angst, sie könnten Verbindungen zur chinesischen Bourgeoisie im Ausland, vor allem in Taiwan, knüpfen, in die Schranken gewiesen wurden.

Ein weiterer Aspekt ist die Verstärkung des chinesischen (Han-)Chauvinismus durch die KPCh mit der Verfolgung der UigurInnen und der Bedrohung Taiwans, den Marineanlagen im Südchinesischen Meer und den gemeinsamen Manövern mit Russland in der Nähe von Japan. Das Programm „Gemeinsamer Wohlstand“ wird als Mittel zur Überwindung der Kluft zwischen den Superreichen und den Massen sowie der Ungleichheiten zwischen den verschiedenen Regionen des riesigen Landes, einschließlich der Kluft zwischen Stadt und Land, angepriesen, und das, obwohl alle „aus der absoluten Armut herausgeholt“ wurden. Eine Reihe chinesischer Unternehmen und GeschäftsführerInnen hat sich jedoch beeilt, Geld in den herumgereichten Hut zu stecken.

Xis starkes Auftreten im Ausland, seine Nichtteilnahme an der Klimakonferenz, aber ein persönliches Treffen mit Biden, sollen zeigen, dass auch China zu einer „unverzichtbaren Nation“ geworden ist. Darüber hinaus mehren sich Hinweise aus den Staaten Südasiens und Afrikas, dass es sich bei der Neue-Seidenstraße-Initiative um ein imperialistisches Investitionsprojekt handelt, das für autoritäre und geradezu diktatorische Regime (Myanmar und vielleicht Afghanistan) attraktiv ist, weil die chinesische Hilfe nicht an die Einhaltung von Menschenrechten geknüpft ist. Wenn China, ebenso wie Russland, mit solchen Regimen assoziiert wird, könnte dies dem Land in den ideologischen Kämpfen des Kalten Krieges mit den USA nicht gut bekommen.

Aber auch die alten „demokratischen“ Imperialismen untergraben den Ruf ihres „weichen Drucks“ , indem sie sich weigern, Flüchtlinge aus Kriegen und Invasionen aufzunehmen, die sie selbst verursacht haben. Sie sind ebenso, ja mehr noch, daran schuld, dass sie sie durch hohe, mit Stacheldraht besetzte Zäune und den Einsatz von Streitkräften am Überschreiten der weißrussisch-polnischen Grenze hindern, obwohl die EU-Staaten völkerrechtlich verpflichtet sind, alle Asylanträge zu prüfen.

Die Europäische Union sieht sich mit einer weiteren großen Einwanderungskrise konfrontiert, nicht wegen einer unerträglichen Zahl von Flüchtlingen und WirtschaftsmigrantInnen, sondern wegen des rassistischen Drucks populistischer Parteien, die sich dagegen wehren, dass die Regierungen ihren vertraglichen Verpflichtungen zur Bearbeitung von Asylanträgen nachkommen. Das gilt an der Kanalküste ebenso wie in den Wäldern von Belarus.

Brüssel wird seine rassistische Einwanderungspolitik fortsetzen und die „Festung Europa“ für die meisten Flüchtlinge abschotten, während es einige Fach- und hochqualifizierte Arbeitskräfte zulässt, um die rechtsextremen und rechtspopulistischen Parteien zu beschwichtigen. Ihr Rassismus gegen Flüchtlinge und gegen MuslimInnen wird weiterhin ein wichtiges Mittel sein, um reaktionäre Bewegungen zu mobilisieren, aber in der aktuellen Situation orientieren sich die meisten jetzt an den reaktionären Bewegungen gegen die Impfung und präsentieren sich als VerteidigerInnen der „Freiheit“.

Wäre die EU eine echte gemeinsame Volkswirtschaft, wäre sie nach den USA der zweitgrößte Wirtschaftsraum, eine wirtschaftliche Riesin, aber eine politische Zwergin. Ihr Zusammenhalt liegt Lichtjahre hinter den USA und China zurück, und der Brexit hat ihr finanzielles und militärisches Gewicht verringert. Frankreich hat sich unter Emmanuel Macron für wirtschaftlichen und politischen Föderalismus und eine von den USA unabhängige militärische Stärke eingesetzt. Deutschland hingegen hat sich mit wirklich entscheidenden Maßnahmen in diese Richtung zurückgehalten. Das Erfordernis der Einstimmigkeit bei wichtigen Reformen bedeutet, dass die osteuropäischen Staaten ein Veto gegen wichtige Initiativen wie eine einheitliche, von den USA unabhängige europäische Armee einlegen können.

Progressive Massenbewegungen

In der Zwischenzeit haben die Bewegungen zur Rettung des Planeten, wie Fridays for Future und der Global Climate Strike, internationale Ausmaße angenommen. Es gab Proteste auf der ganzen Welt, einschließlich der Mobilisierung von Bauern, BäuerInnen und indigenen Gemeinschaften im globalen Süden. Aber wie Glasgow (und die Konferenz von Paris davor) gezeigt haben, waren sie nicht in der Lage, das Verhalten der Regierungen und der naturzerstörenden Konzerne zu ändern, nicht einmal die Subventionen für die Kohleproduktion „auslaufen“ zu lassen, geschweige denn den Kohlebergbau oder die Öl- und Gasförderung zu stoppen.

Demokratische Revolutionen gegen repressive Regime, die von der Jugend der Welt angeführt wurden, verbreiteten sich am Ende der Großen Rezession im Jahr 2011 in den arabischen Ländern, in Südostasien (Myanmar und Thailand) und in Lateinamerika. Da es ihnen jedoch nicht gelang, den militärischen Unterdrückungsapparat zu zerschlagen, die korrupten herrschenden Klassen zu stürzen und neue Machtorgane der ArbeiterInnen, der Jugend und der Unterdrückten zu installieren, haben sich die „demokratischen Frühlinge“ fast alle in „konterrevolutionäre Winter“ verwandelt, wofür das brutale Regime von as-Sisi in Ägypten der beste Beweis ist. Die anhaltende Mobilisierung im Sudan nach dem Putsch vom 25. Oktober 2021 unter der Führung von General Abdel Fattah Burhan zeigt jedoch die Dynamik der Volkskräfte und, dass die Eliten immer wieder vor der Herausforderung stehen, in Zeiten der Wirtschaftskrise stabile, dauerhafte repressive Regime zu schaffen.

Dennoch gibt es eine regelrechte Pandemie von „starken Männern“, darunter Duterte auf den Philippinen, die Juntas in Myanmar und im Sudan, Bolsonaro in Brasilien, Erdogan in der Türkei, Modi in Indien, Xi in China, bin Salman in Saudi-Arabien – die Liste ist endlos. Das Problem, mit dem fortschrittliche Kräfte auf der ganzen Welt konfrontiert sind, ist die begrenzte Wirksamkeit von friedlichem Protest. Selbst massenhafte und langanhaltende Proteste werden scheitern, solange der Staat die Moral und Disziplin seiner Repressionskräfte aufrechterhalten kann.

Führungskrise

Ein weiteres Merkmal der weltweiten Situation liegt in der Schwäche der „Mitte-Links“-Regierungen, die in einer Reihe von Ländern an die Macht gekommen sind und in anderen in den Startlöchern stehen, wenn es den reaktionären populistischen FührerInnen nicht gelingt, sich an der Macht zu halten. In Brasilien würde Bolsonaro wahrscheinlich durch den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva ersetzt, dessen gewählte Nachfolgerin Dilma Rousseff durch einen Putsch von Justiz und Parlament abgesetzt wurde. Es war Lulas „Volksfront“ mit den verräterischen bürgerlichen Parteien, die den Weg für Bolsonaro freigemacht hat. Selbst wenn Lula gewinnen und sich erneut im Amt etablieren sollte, würde sich der Zyklus mit ziemlicher Sicherheit wiederholen, dieses Mal mit der Hinzufügung einer mächtigen faschistischen Bewegung, einem Erbe von Bolsonaros Präsidentschaft.

Größere parlamentarische Reformen sind nur in zwei Szenarien möglich: ein florierender expansiver Kapitalismus, der sich „Brosamen von seinem Tisch“ leisten kann, oder ein Massenaufstand, der mit einer Revolution droht und ernsthafte Reformen zu einer realistischen Option für eine bedrohte herrschende Klasse macht. Da weder das eine noch das andere existiert, Letzteres aufgrund der erdrückenden Wirkung der sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bürokratie, sind anhaltende politische Krisen in den kommenden Jahren fast garantiert.

Die Rückkehr der Taliban an die Macht nach der schmachvollen Niederlage der USA und dem chaotischen Abzug aus Kabul hat zur Destabilisierung ganz Südasiens, einschließlich Afghanistan, Pakistan, Indien, Bangladesch, Sri Lanka und Myanmar, beigetragen. Dahinter steht die Rivalität zwischen den USA und China und der verzweifelte Versuch Indiens, beide herauszufordern. Xi Jinpings „Neue Seidenstraße“-Initiative, die die regionale Vorherrschaft sichern soll, wird für künftige Konflikte rund um den Indischen Ozean sorgen.

Heute wird die Region jedoch von legitimen demokratischen Kämpfen um nationale Rechte erschüttert. Die UigurInnen, die Rohingya, die TamilInnen, die Kaschmiris, die BelutschInnen und eine Vielzahl ethnisch-linguistischer Gemeinschaften in Afghanistan haben alle unter Pogromen und ethnischen Säuberungen durch Militärregime und fundamentalistische Gruppen gelitten, seien sie nun hinduistisch, muslimisch, buddhistisch oder, wie im Fall der UigurInnen, angeblich kommunistisch.

Die Kräfte in Europa und Nordamerika, die sich für palästinensische Belange einsetzen, sahen sich einem bösartigen Gegenangriff des israelischen Staates und seiner UnterstützerInnen in den imperialistischen Regierungen und den rechtsgerichteten Medien gegenüber. Der anfängliche Erfolg der Kampagnen zur Entlarvung des Apartheidcharakters des israelischen SiedlerInnenstaates führte zu einer Flut von falschen Anschuldigungen wegen rassistischer Judenfeindlichkeit. Ihr größter Schlag lag in ihrem Beitrag zum Sturz von Jeremy Corbyn aus der Führung der Labour-Partei. UnterstützerInnen der palästinensischen Sache, darunter auch mutige fortschrittliche Juden und Jüdinnen, wurden in Großbritannien ins Visier genommen, und jede ernsthafte Kritik an Israel wird nun in den Medien als Antisemitismus gebrandmarkt.

Nie war die Notwendigkeit einer neuen Internationale deutlicher, wenn die ArbeiterInnenklasse der Welt und ihre natürlichen Verbündeten unter den sozial und rassisch Unterdrückten und der armen Bauern-/Bäuerinnenschaft sich vereinen und ihren Widerstand gegen die Angriffe des heimischen Kapitalismus und Imperialismus stärken sollen. Doch die Parteien, die sich selbst als sozialistisch oder kommunistisch bezeichnen, und die trotzkistischen zentristischen Kräfte auf weltweiter Ebene haben sich größtenteils in die nationale Isolation zurückgezogen, selbst im Vergleich zu den antikapitalistischen, antineoliberalen, globalisierungskritischen oder Antikriegsmobilisierungen des Zeitraums 1998 – 2006.

In jenen Jahren versammelten sich auf weltweiten und kontinentalen Sozialforen KlimaaktivistInnen, indigene Gruppen, FeministInnen, progressive GewerkschafterInnen und linke sozialistische Gruppen verschiedener Art. Aber die reformistischen Parteien wie die brasilianische Arbeiterpartei (PT) und kämpferische Nichtregierungsorganisationen (NGOs) (wie Attac) lähmten diese Treffen mit einer Zwangsjacke aus „keine Abstimmungen“ über Maßnahmen, keine politischen Parteien, keine Debatten, die zur Annahme von politischen Konzepten führten. Die teilweisen Ausnahmen bildeten das Europäische Sozialforum in Florenz (2002) und das Weltsozialforum in Porto Alegre (2003), die eine weltweite Antikriegsbewegung mit mehreren zehn Millionen TeilnehmerInnen ins Leben riefen.

Was sollen wir tun?

Nach der Großen Rezession, den Occupy-Bewegungen und dem Arabischen Frühling folgten internationale Bewegungen von Frauen und farbigen Menschen. ReformistInnen und RevolutionärInnen in diesen fortschrittlichen Bewegungen reichten sich in gemeinsamen Aktionen gegen Kriege und die Misshandlung von MigrantInnen erneut die Hand.

Organisatorisch basierte diese Zusammenarbeit eher auf Netzwerken als auf demokratischen repräsentativen Strukturen. Obwohl viele diese „Führungslosigkeit“ gelobt haben, überließ das die Entscheidungen über Politik und Taktik selbsternannten AkademikerInnen, radikalen JournalistInnen und „GemeindeführerInnen“. Während die meisten ihre Solidarität untereinander verkünden, erkennen sie nicht, dass all die verschiedenen Bewegungen eine viel stärkere Einheit für den Sieg benötigen. Schritte in diese Richtung könnten durch Einheitsfronten unternommen, in denen Ziele demokratisch vereinbart und dann gemeinsam umgesetzt werden.

Identitätspolitik, bei der die subjektive Erfahrung der Unterdrückung die vorrangige Determinante für Ziele und Taktiken ist, spaltet die Unterdrückten eher, als dass sie sie vereint. Obwohl viele in diesen Bewegungen tatsächlich die Notwendigkeit anerkennen, die Kräfte der ArbeiterInnenklasse zu gewinnen, und sich selbst als antikapitalistisch und sogar marxistisch bezeichnen, akzeptieren sie nicht, dass der Sturz des Kapitalismus ein gemeinsames Programm und die Integration in den Klassenkampf mittels einer revolutionären Partei erfordert. Dies ist zum Teil das Ergebnis der Versäumnisse und Verbrechen der Sozialdemokratie, des Stalinismus und der zentristischen Spielarten des Trotzkismus.

Ohne ein neues Weltprogramm für die Revolution werden die Lösungen für die brennenden Fragen der Umwelt, der Rassen- und Geschlechterungleichheit und der Armut nicht gefunden werden können. Nur eine wiedergeborene und international organisierte ArbeiterInnenbewegung, die die jungen AktivistInnen einbezieht, die sich bereits in all diesen Kämpfen engagieren, kann eine Avantgarde schaffen, die in der Lage ist, den Kapitalismus an jeder dieser Fronten herauszufordern. Die von uns skizzierten Krisen werden dazu beitragen, vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen zu schaffen, die noch größer sind als die, die 2010 – 2011 nach der Großen Rezession auftraten.

Aus diesem Grund ruft die Liga für die Fünfte Internationale alle kämpferischen und fortschrittlichen Kräfte, die den Kapitalismus und den Imperialismus als Feind anerkennen, dazu auf, sich erneut zu versammeln, um über die Strategie zu diskutieren und gemeinsame Aktionen zu organisieren. Ihr Ziel sollte die Entwicklung eines gemeinsamen Aktionsprogramms ausmachen, das den ArbeiterInnen und Unterdrückten der Welt einen Weg von den heutigen Kämpfen hin zu einer Weltrevolution aufzeigt.




Die Weltlage und Aufgaben der ArbeiterInnenklasse

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale, Dezember 2020/Janaur 2021

In den vergangenen zwei Jahren sah sich die Welt mit einer Reihe von miteinander verknüpften Krisen konfrontiert. An erster Stelle steht eine weltweite Gesundheitskrise. Covid-19 hat die Regierungen und Gesundheitssysteme überrascht, obwohl EpidemiologInnen und die WHO vor einer wahrscheinlichen zweiten SARS-Epidemie gewarnt und die Gewerkschaften des Gesundheitspersonals darauf hingewiesen hatten, dass ihre Krankenhäuser und Kliniken für eine solche nicht gerüstet sind. Covid-19 hat weltweit mehr als fünf Millionen Todesopfer gefordert, wütet mit seinen Delta- und Omikron-Varianten immer noch – und bricht in Ländern wieder aus, die überzeugt waren, die Krankheit unter Kontrolle zu haben und ihre Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.

Die Schlagzeilen der letzten beiden Jahre beherrschten aber auch die sich häufenden extremen Wetterereignisse – Überschwemmungen, Waldbrände, Dürren -, die rund um den Globus wüten und die Aussicht auf einen katastrophalen Klimawandel unbestreitbar machen. Im krassen Gegensatz zu den Gefahren endete der Weltklimagipfel einmal mehr im – Nichts. Die wichtigsten Staaten blockierten jede feste Verpflichtung zur Reduzierung von CO2-Emissionen. Wieder einmal wurden die halbkolonialen Länder, vor allem in den bereits stark geschädigten Tropenzonen, um die Milliarden betrogen, die sie zur Bekämpfung der Auswirkungen benötigen. Stattdessen wurden ihnen weitere Kredite angeboten.

Im Jahr 2020 verursachte Covid den stärksten Einbruch der Weltwirtschaft seit den 1930er Jahren. Auch wenn die globale Ökonomie schon davor im Niedergang war, so synchronisiert die Pandemie die Rezession und diese prägt auch den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung und die Maßnahmen der Regierungen. Die Lockdowns zwangen die großen imperialistischen Staaten, mit den neoliberalen Dogmen über die Staatsausgaben zu brechen. Die Zinssätze, die jahrelang bei null lagen, um die zur Stagnation neigenden Volkswirtschaften anzukurbeln, erlaubten es den Staaten nun, Billionen zu leihen und in den imperialistischen Kernländern die Auswirkungen der Krise auf die Massen abzumildern. Die Unterbrechung der Versorgungsketten, der Weltmärkte und die wiederholten Aussperrungen haben enorme Verluste verursacht, auch wenn deren volles Ausmaß erst nach Beendigung der Pandemie deutlich werden wird. Auch wenn in einigen Ländern ein kurzfristiger Konsumboom möglich sein mag, wenn sich die Wirtschaften etwas erholen, so wird dieser eher einem Strohfeuer denn einer ernsten Erholung gleichkommen.

Ökonomische Auswirkungen

Mit Beginn der Pandemie stand ab Ende Februar 2020 die Wirtschaft still und internationale Produktionsketten lagen brach. Viele bürgerliche Forschungsinstitute und Konjunkturprognosen übten sich trotzdem in den letzten beiden Jahren in Sachen Optimismus. In Vorhersagen wurde  festgehalten, dass die Erholung schnell erfolgen und munter weitergehen wird – schließlich sei die Pandemie nur ein externer Faktor.

Die ganze Realität bildet das allerdings nicht ab. Nach dem Einbruch der weltweiten Wirtschaftsleistung 2020 um 3,2 % folgte in diesem Jahr zwar eine Erholung. In seinem vierteljährlichen Bericht ging der IWF im April 2021 noch von einer Steigerung der globalen Wirtschaftsleistung von 6,4 % aus – und musste diese Prognose nur um 0,4 % nach unten korrigieren. Begründet wurden die optimistischen Prognosen mit dem Beginn der Impfungen, der damit verbundenen Erwartung eines Endes der Pandemie sowie den Konjunkturpaketen.

So ist es auch kein Wunder, dass vor allem die imperialistischen Zentren Erholung verzeichnen, während die Länder, die sich weder Impfstoff noch Konjunkturpakete leisten können, zurückbleiben. Genauer betrachtet ist das Wachstum in den imperialistischen Zentren jedoch langsamer als erhofft und begleitet von Inflation. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Stillstand der Handels- und Produktionsketten hat einen länger anhaltenden Einfluss, wie man beispielsweise an der Halbleiterproduktion betrachten kann. Hinzu kommen gestiegene Energie- und Rohstoffpreise. So meldete das deutsche statistische Bundesamt, dass die Erzeugerpreise im September 2021 um 14,2 % im Vergleich zum Vorjahr nach oben gingen – die stärkste Steigerung seit der Ölkrise 1974. Die Energiekosten sind laut Bundesamt zusätzlich um 20,4 % teurer geworden. Auch Arbeitskräftemangel in bestimmten Sektoren sowie Inflation verlangsamen das Wachstum. Zentral sind aber niedrige Investitionsraten, die zwar durch die massiven Konjunkturpakete angekurbelt werden, aber vor allem im privaten Sektor gering ausfallen.

Ebenso darf bei der Betrachtung nicht vergessen werden, dass die Folgen der Finanzkrise 2007/08 noch längst nicht ausgelöffelt sind. Vielmehr hat sich die internationale Schuldenlast massiv erhöht und auch die Niedrigzinspolitik lief die letzte Dekade munter weiter.

Letztlich erfordern kapitalistische Krisen eine Vernichtung überschüssigen Kapitals. In der Rezession 2009 fand diese jedoch nicht annähernd in dem Maße statt, das notwendig gewesen wäre, um einen neuen Aufschwung der Weltökonomie zu ermöglichen. Staatdessen war das letzte Jahrzehnt weitgehend eines der Stagnation.

Die Politik des billigen Geldes in den imperialistischen Zentren verhinderte dabei nicht nur die Vernichtung überschüssigen Kapitals, sondern führte auch zu einem massiven Anstieg der öffentlichen wie privaten Schuldenlast; neue spekulative Blasen bildeten sich. Die Coronamaßnahmen vieler imperialistischer Regierungen haben diese Lage noch einmal befeuert. So wurden zwar befürchtete große Pleiten vorerst verhindert – gleichzeitig gilt ein bedeutender Teil der Unternehmen mittlerweile als „Zombiefirmen“, also Betriebe, die selbst wenn sie Gewinn machen, ihre Schulden nicht mehr decken können und eigentlich nur künstlich am Leben erhalten werden.

Hinzu kommen weitere Faktoren, die deutlich machen, dass in den kommenden Jahren mit keiner Erholung der Weltwirtschaft, sondern allenfalls mit konjunkturellen Strohfeuern zu rechnen ist. Erstens fällt China anders als nach 2008 als Motor der Weltwirtschaft aus. Zweitens verschärfen zunehmende Blockbildung wie auch Fortdauer der Pandemie die wirtschaftliche Lage selbst und können nicht nur als vorübergehende Faktoren betrachtet werden. Drittens reißt die aktuelle Lage schon jetzt wichtige Halbkolonien in die Krise. Ländern wie Argentinien, der Türkei oder Südafrika drohen Insolvenz und Zusammenbruch ihre Währungen. Indien und Pakistan befinden sich ebenfalls ganz oben auf der Liste von Ländern, die IWF und Weltbank als extrem krisengefährdet betrachten.

Zusammengefasst heißt das: Die Folgen der Finanzkrise 2007/08 wurden noch abgefedert. Jetzt erleben wir eine erneute Krise von größerem Ausmaß, die diesmal fast alle Länder gleichzeitig erfasst. Doch der Spielraum der herrschenden Klasse ist dieses Mal geringer.

Auswirkungen auf das Weltgefüge

Somit ist klar, dass die Coronapandemie und ihre Folgen die Welt noch für einige Zeit in Schach halten werden. Nicht nur, weil wir mit Mutationen rechnen müssen, gegen die die Impfstoffe unwirksamer sind, sondern die Pandemie ist längst kein „externer“ Faktor mehr, sondern ihrerseits eng mit den globalen wirtschaftlichen Entwicklungen und deren politischen Folgen verwoben. Ein einfaches Zurück zur „Vor Corona“-Zeit ist somit nicht möglich.

Bereits vorher war die internationale Lage zwischen den imperialistischen Kräften angespannt. Der  Handelskrieg zwischen USA und China bestimmt zwar nicht mehr die Schlagzeilen in den Zeitungen, aber die aktuelle Krise verschärft die innerimperialistische Konkurrenz erneut auf allen Ebenen. Die massive Überakkumulation an Kapital spitzt nicht nur die ökonomische Konkurrenz zu, sondern  wird auch das Feuer der innerimperialistischen politischen Querelen weiter anfachen. Schließlich will niemand die Kraft sein, auf deren Kosten die anderen ihr Kapital retten. Praktisch bedeutet das: weitere harte Handels- und Wirtschaftskonflikte, zunehmende ökonomische Tendenz zur Blockbildung und Kampf um die Kontrolle etablierter oder neuer halbkolonialer Wirtschaftsräume. Die USA und China, aber auch Deutschland und die EU verfolgen dies mit zunehmender Konsequenz.

Dies hat nicht nur ökonomische, sondern auch politische Folgen, darunter die zunehmende Militarisierung sowie eine weitere Eskalation kriegerischer Auseinandersetzungen. Hinzu kommt, dass die Pandemie den Trend zum Nationalprotektionismus verschärft hat und ein widersprüchliches Moment in sich trägt. Wie wir an Lieferengpässen sehen, sind die Produktionsketten mittlerweile extrem verschränkt. Ein einfaches Entflechten gemäß dem Ideal, „alles was man braucht“, im eigenen Staat zu produzieren, ist schlichtweg nicht möglich. Dennoch kann es infolge von vermehrten ökonomischen und politischen Konflikten zur Erhebung weiterer Zölle, wechselseitigen Sanktionen etc. kommen. Auch wenn dies die Weltwirtschaft selbst in Mitleidenschaft ziehen wird, so werden solche Konflikte zunehmen. Das Kräftemessen kann zugleich auch deutlich machen, welche Länder das schwächste Glied in der imperialistischen Kette bilden, und seinerseits innere Konflikte zuspitzen und ganze Staaten destabilisieren.

Die Aussichten sind also nicht besonders rosig. Schon das letzte Jahrzehnt war von einer Zunahme autoritärer, rechtspopulistischer und bonapartistischer Tendenzen geprägt, die sich unter dem gesellschaftlichen Ausnahmezustand der Pandemie verschärft haben. Um in kommenden Auseinandersetzungen mögliche Proteste in Schach zu halten, ist damit zu rechnen, dass wir eine Verstärkung von Rechtspopulismus, Autoritarismus, Bonapartismus erleben werden.

Angesichts diese krisenhaften Lage erheben sich zentrale Fragen: Wer wird zur Kasse gebeten, um die Rettungs- und Konjunkturpakete zu finanzieren? Wer wird die Kosten der Krise zahlen? Welche Klasse prägt die zukünftige Entwicklung?

Bedeutung für die ArbeiterInnenklasse

Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig. Nicht die Herrschenden wollen den Kopf hinhalten und so werden die bürgerlichen Regierungen natürlich versuchen, die Last vor allem auf die ArbeiterInnenklasse, die Bauern-/Bäuerinnenschaft und die Mittelschichten abzuwälzen, wie dies im Grunde schon während der Coronakrise der Fall war. Fast überall arbeiteten die jeweiligen Gesundheitssysteme an ihren Grenzen und Gewalt, insbesondere gegen Frauen, hat gesamtgesellschaftlich stark zugenommen. Allein die unmittelbaren Folgen des Stillstands wie Massenentlassungen, Verelendung und massiver Zuwachs an Armut sind global schnell sichtbar geworden. So erwartet der Internationale Währungsfonds, dass die Pandemie den Fortschritt in der Bekämpfung der globalen Armut seit den 1990er Jahren annulliert sowie die Ungleichheit weiter verstärkt.

Die größten Auswirkungen sind in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen zu verzeichnen. Dort beträgt deren Verlust mehr als 15 Prozent. Genau diese Länder haben zudem die schwächsten Sozialsysteme. Hinzu kommt die steigende Inflation, die die Lebenshaltungskosten in Ländern wie der Türkei oder dem Libanon und vielen anderen in die Höhe treibt. Das Festhalten der imperialistischen Länder an den Patenten zugunsten der Profite sorgt dafür, dass die Lage sich nicht in absehbarer Zeit verbessern wird.

Nicht allzu viel besser sieht die Situation in den imperialistischen Zentren aus. Auch hier gab es zahlreiche Entlassungen. So hatten die USA 2020 ihr historisches Hoch. Die Konjunkturpakete oder Hilfen wie das KurzarbeiterInnengeld in Deutschland federn zwar die Auswirkungen der Krise ab, aber auch hier ist die Inflation deutlich in der Tasche zu spüren.

Was kommt?

Aufgrund des konjunkturellen Aufschwungs in den USA und in etlichen europäischen Staaten werden die kurzfristigen Auswirkungen hier andere sein als für große Teile der Massen in den Halbkolonien. Letztere werden von einer Dauerkrise der Wirtschaft, der Pandemie und auch ökologischen Katastrophen geprägt sein. Das heißt, dass in den halbkolonialen Ländern der Kampf für ein Sofortprogramm gegen die akute Krise und Pandemie eine zentrale Rolle spielen wird, das die verschiedenen ökonomischen und sozialen Aspekte umfasst. Grundsätzlich können wir davon ausgehen, dass der Klassenkampf in diesen Ländern aufgrund der zugespitzten sozialen und politischen Lage eine weit explosivere Form annehmen wird.

Die Extraprofite des imperialistischen Kapitals in den Metropolen sowie der aktuelle konjunkturelle Aufschwung in etlichen Ländern erlauben in diesen Staaten mehr Spielraum für gewerkschaftliche und soziale Umverteilungskämpfe. Ebenso kann es sein, dass teilweise reformistische oder linkspopulistische Kräfte an Aufwind gewinnen. Schließlich hat die Gesundheitskrise in den Augen von Millionen verdeutlicht, dass massive Investitionen, Verstaatlichungen und Neueinstellungen in diesem Bereich wie auch in anderen Sektoren nötig sind (Wohnung, Verkehr … ). Bürgerliche wie reformistische Kräfte versuchen, dem verbal entgegenzukommen und die Spitze zu nehmen. So beinhalten das Programm Bidens wie auch der Green Deal der EU Versprechen, die ökologischen Probleme zu lösen und soziale Ungleichheit zu reduzieren. In der Realität werden sich diese Reformversprechen als Quadratur des Kreises entpuppen.

In Wirklichkeit sind es Programme zur Erneuerung des Kapitals, nicht der Gesellschaft. Der ArbeiterInnenklasse und den Unterdrückten wird nichts geschenkt, schon gar nicht in der Situation zunehmenden Wettbewerbs. Während die wirtschaftliche Lage in den imperialistischen Ländern jedoch kurzfristig einen gewissen Verteilungsspielraum eröffnen kann, der von der ArbeiterInnenklasse genutzt werden muss, besteht dieser in den halbkolonialen Ländern praktisch nicht. Dort können und werden sich selbst Kämpfe um soziale, ökonomische und demokratische Verbesserungen viel rascher zum Kampf um die politische Macht zuspitzen, wie z. B. der Sudan zeigt.

Auch wenn die Situation in imperialistischen Ländern und Halbkolonien bedeutende Unterschiede birgt, so sind alle wichtigen Auseinandersetzungen unserer Zeit – der Kampf gegen die Pandemie, die drohende ökologische Katastrophe,  die Folgen der Wirtschaftskrise und die zunehmende Kriegsgefahr – Fragen des internationalen Klassenkampfes. Sie können auf nationaler Ebene letztlich nicht gelöst werden.

Wo aber beginnen?

Zuerst ist es wichtig zu verstehen, dass die verschlechterte Situation der arbeitenden Klasse nicht automatisch Proteste mit sich bringt. Diese gibt es zwar, ebenso wie Streiks und Aufstände, jedoch sind sie erstmal nur Ausdruck der spontanen Unzufriedenheit der Massen. Zu glauben, dass aus ihnen mehr erwachsen muss oder sie von alleine zu einer grundlegenden Lösung führen werden, ist falsch, ein passiver Automatismus. Streiks befördern natürlich das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse, dass sie sich kollektiv zusammenschließen muss, um höhere Löhne zu erkämpfen. Nicht mehr und nicht weniger. Ihr spontanes Bewusstsein im ökonomischen Kampf ist jedoch selbst noch eine Form bürgerlichen Bewusstseins, weil es auf dem Boden des Lohnarbeitsverhältnisses steht. Es stellt insbesondere in Friedenszeiten nicht das kapitalistische System in Frage, sondern fordert erstmal nur mehr Lohn ein. Ähnliches gilt für Proteste beispielsweise aufgrund von Hunger. Beide – Streiks und spontane Proteste – tragen jedoch in sich das Potenzial, zu mehr zu werden. Allerdings nur, wenn es geschafft werden kann, die Grundlage der Misere aufzuzeigen, zu vermitteln, dass die Spontaneität der Proteste noch nicht automatisch die Lösung bringt, sondern es einen organisierten Umsturz braucht, um dieses System erfolgreich zu zerschlagen. Es ist Aufgabe von RevolutionärInnen, dieses Verständnis, dieses Bewusstsein in die Klasse zu tragen und die dazu notwendigen Schritte zu vermitteln. Dies ist jedoch leichter geschrieben als getan, denn ein Blick auf die aktuelle Lage zeigt, dass es viele Widerstände gibt, die man zu überwinden wissen muss.

Kämpfe und Kontrolle

Das heißt, dass man in die existierenden Kämpfe intervenieren und diese zuspitzen muss. Beispielsweise durch Forderungen, die weiter gehen als jene, die bereits aufgeworfen werden. Es reicht nicht, nur kommende Angriffe abzuwehren, vielmehr müssen die Abwehrkämpfe mit dem Ziel geführt werden, konkrete Verbesserungen zu erkämpfen, und dabei aufzeigen, was für eine andere Welt möglich wäre. Denn der Illusion anzuhängen, dass es irgendwann genauso wie vor der Pandemie werden kann, ist eine Illusion, wie die obige Diskussion der Weltlage aufzeigt. Zudem war dieser Zustand eh nur für einen sehr geringen Teil der Weltbevölkerung annehmbar. Beispielsweise kann das dafür notwendige Bewusstsein folgendermaßen vermittelt werden:

In Zeiten permanenter Preissteigerungen geraten selbst erfolgreiche Lohnkämpfe an ihre Grenzen. Die Forderung nach höheren Löhnen muss daher mit der nach automatischer Anpassung an die Preissteigerung verbunden werden. Da zur Zeit die Preise für die Konsumgüter der ArbeiterInnenklasse (Mieten, Heizung, Lebensmittel) stärker steigen, als es die statistische Inflationsrate zum Ausdruck bringt, sollte durch die Gewerkschaften und VerbraucherInnenkomitees ein Index für die reale Steigerung der Lebenshaltungskosten erstellt und immer wieder aktualisiert werden. An diesen sollten die Löhne und Gehälter angeglichen werden. Damit dies auch wirklich passiert, sollten wir uns nicht auf den Staat (und schon gar nicht auf die Ehrlichkeit der Unternehmen) verlassen, sondern müssen dazu betriebliche Kontrollkomitees – also Formen der ArbeiterInnenkontrolle – etablieren.

So kann ein konkretes Problem – die Steigerung der Lebenshaltungskosten – für die gesamt Klasse angegangen und mit dem Aufbau von Organen der ArbeiterInnenkontrolle, also der betrieblichen Gegenmacht, verbunden werden.

Ähnliches lässt sich auch für andere Bereiche zeigen. Die Forderung nach massiven Investitionen in den Gesundheitssektor stellt sich weltweit. Dies muss durch Besteuerung der Reichen passieren unter Kontrolle der ArbeiterInnen selber. Hier bedarf es neben einer Erhöhung der Löhne auch einer enormen Aufstockung des Personals, um Entlastung zu schaffen.

Hinzu kommt, dass die Arbeit im gesamten Care-Sektor oftmals geringer vergütet wird, da dieser nicht im gleichen Maße Mehrwert produziert – und somit nicht auf gleicher Ebene rentabel ist. Das ist nur einer der Gründe, warum es entscheidend ist, dass die Investitionen unter Kontrolle der Beschäftigten stattfinden. Sie können aufgrund ihrer Berufsqualifikation und -erfahrung wesentlich besser entscheiden, wo Mängel im Joballtag bestehen, und hegen zeitgleich kein materielles Interesse daran, dass der Gesundheitssektor so strukturiert ist, dass er Profite abwirft. Zentral ist allerdings beim Punkt Kontrolle, dass sie nicht einfach so herbeigeführt werden kann. Damit dies nicht nur schöne Worte auf Papier bleiben, sondern sie Realität werden kann, bedarf es Auseinandersetzungen innerhalb der Betriebe, bei denen sich Streik- und Aktionskomitees gründen. Diese stellen Keimformen von Doppelmachtorganen dar, die den Weg zur ArbeiterInnenkontrolle ebnen. Nur so kann die nötige Erfahrung gesammelt werden sowie sich das Bewusstsein entwickeln, dass die existierende Arbeit kollektiv auf die Arbeitenden aufgeteilt werden kann.

Ebenso müssen wir dafür einstehen, dass die Patente für die Impfstoffe abgeschafft werden. Es wird deutlich, dass das Vorenthalten nicht nur aktiv dafür sorgt, dass Menschen in Halbkolonien an dem Coronavirus sterben, sondern auch durch die Auswirkungen auf die Wirtschaft stärker verarmen. Ausreichend allein ist dies natürlich nicht. Die Freigabe der Patente muss mit der kostenlosen Übergabe von Wissen und den nötigen technischen Ressourcen verbunden werden – ein kleiner Schritt, der dafür sorgt, dass die stetige Abhängigkeit von den imperialistischen Ländern sich an diesem Punkt nicht weiter verfestigt. Nur so kann die Grundlage geschaffen werden, etwaige Mutationen des Virus zu verringern. Falls diese doch entstehen, erlaubt es schnelles Handeln bei der Produktion notwendiger neuer Impfstoffe. Auch dies kann nur geschehen, wenn nicht die Profitinteressen der imperialistischen Länder und Pharmaindustrie vorrangig bedient werden. Deswegen müssen auch hier die Konzerne enteignet und unter ArbeiterInnenkontrolle gestellt werden.

Doch so einfach ist es nicht …

Dies sind Forderungen, die weltweit ihre Relevanz haben und die Grundlage für eine internationale Antikrisenbewegung legen können. Doch einfacher geschrieben als durchgesetzt. Denn wie bereits zuvor geschrieben: Es gibt Widerstände, auch innerhalb der Klasse.

Niederlagen in den Klassenkämpfen des letzten Jahrzehntes, vor allem des Arabischen Frühlings, aber auch von Syriza in Griechenland trugen eine tiefe, desillusionierende und demoralisierende Auswirkung auf die Massen mit sich. Nicht die Linke, sondern die populistische Rechte präsentierte sich in den letzten fünf Jahren immer wieder als pseudoradikale Alternative zur Herrschaft der tradierten „Eliten“. Diese konnte sich aufgrund der Passivität der Linken innerhalb der Coronakrise profilieren. So kann die Zunahme eines gewissen Irrationalismus‘ in Teilen des KleinbürgerInnentums, aber auch der ArbeiterInnenklasse beobachtet werden. Rechte schaffen es, die Bewegung für sich zu vereinnahmen und dort als stärkste Kraft aufzutreten – was Grundlage für ihr Wachstum ist, aber auch ihre Radikalisierung mit sich bringt.

Die Dominanz von ReformistInnen und LinkspopulistInnen drückt sich in einer Führungskrise der gesamten ArbeiterInnenklasse aus. Zwar werden Kämpfe geführt, wenn es sein muss – also wenn es Angriffe gibt. Letztlich läuft die Politik der Gewerkschaftsbürokratien und der Sozialdemokratie – aber schließlich auch der Linksparteien – auf eine Politik der nationalen Einheit mit dem Kapital, auf Koalitionsregierungen und SozialpartnerInnenschaft in den Betrieben hinaus. Die Politik des Burgfriedens sorgt dafür, dass Proteste im Zaum gehalten werden oder erst gar nicht aufkommen. Somit besteht eine der zentralen Aufgaben von RevolutionärInnen darin, den Einfluss dieser Kräfte auf die Masse der ArbeiterInnenklasse zu brechen.

Internationalismus

Dies geschieht jedoch nicht durch alleiniges Kundtun, dass Bürokratie & Co üble VerräterInnen sind. Sonst wäre es schon längst im Laufe der Geschichte passiert, dass die Massen sich von diesen Kräften abwenden und automatisch zu RevolutionärInnen werden. Deswegen bedarf es hier der Taktik der Einheitsfront, des Aufbaus von Bündnissen der ArbeiterInnenklasse für Mobilisierungen um konkrete Forderungen. Aufgabe ist, möglichst große Einheit der Klasse im Kampf gegen Kapital und Staat herzustellen und im Zuge der Auseinandersetzung aufzuzeigen, dass die Gewerkschaftsbürokratie oder reformistische Parteien sich selbst für solche Forderungen nicht konsequent ins Zeug legen.

Entscheidend ist es also, bestehende Kämpfe und Bewegungen zusammenzuführen, die existierende Führung dieser sowie der etablierten Organisationen der ArbeiterInnenklasse herauszufordern. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass es eine Wiederbelebung der Sozialforen gibt – diesmal jedoch nicht nur als Versammlungen zur unverbindlichen Diskussion, sondern zur beschlussfähigen Koordinierung des gemeinsames Kampfes. Doch ein alleiniges Zusammenführen von ganz vielen verschiedenen Bewegungen reicht nicht. Unterschiedliche Positionierungen, Eigeninteressen und fehlende oder falsche Analysen können zu Stagnation und letztendlich zum Niedergang dieser führen. Es braucht einen gemeinsamen Plan, ein gemeinsames – revolutionäres – Programm, für das die revolutionäre Organisation eintreten muss. Eine solche müssen wir aufbauen – in Deutschland und international.




2020 – ein Jahr der Reaktion und des Widerstands

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1132, 31. Dezember 2020

Nur wenige Menschen werden dem Jahr 2020 nachtrauern – einem dunklen Jahr für Millionen, die ihren Arbeitsplatz verloren, da eine riesige Anzahl von Unternehmen aufgrund von Pandemie geschlossen wurde, oder die sich mit KurzarbeiterInnengeld durchschlagen mussten, das weit unter dem normalen Lohnniveau lag. All dies kam zu den tatsächlichen Todesopfern hinzu, 1,8 Millionen weltweit, und zu den anhaltenden Folgeschäden aufgrund von COVID. Darunter leiden vor allem ältere Menschen, diejenigen, die in armen und überfüllten Verhältnissen leben, und jene, die im globalen Süden mit schlechten oder kaum vorhandenen Gesundheitssystemen überleben müssen.

Die Pandemie und die darauf folgenden Einschränkungen haben zu einem enormen Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt und in Verbindung mit den ersten Anzeichen einer weiteren großen Rezession weltweit ungeheures Elend verursacht. In den USA, der immer noch dominierenden Volkswirtschaft der Welt, waren im Sommer 20 Millionen Menschen ohne Arbeit, und die Zahl hat sich bis zum Jahresende nur halbiert.

Der von EpidemiologInnen vorhergesagte Wintereinbruch ist eingetreten und verschlimmert sich weiter, obwohl die Entwicklung mehrerer Impfstoffe innerhalb von zehn Monaten ein Triumph für die WissenschaftlerInnen ist und den ImpfgegnerInnen, den HausiererInnen mit bizarren Verschwörungstheorien und reaktionären DemagogInnen wie Trump und Bolsonaro widerspricht.

Wenn WissenschaftlerInnen und Beschäftigte in der Medizin von den reaktionären Fesseln kommerzieller und staatlicher Rivalität, von Geschäftsgeheimnis und privater Konkurrenz befreit würden und auf globaler Ebene zusammenarbeiten könnten, wenn alle ihre Einrichtungen vergesellschaftet würden, könnten viele seit langem bestehende endemische Krankheiten besiegt und zukünftige Pandemien verhindert oder kontrolliert werden.

Die Pandemie ist jedoch noch lange nicht vorbei und das Auftreten signifikanter Virusvarianten sollte uns daran erinnern, dass die Wirksamkeit von Impfstoffen durch eine zufällige Mutation untergraben werden könnte. Es ist wahrscheinlich, dass die Auswirkungen des Virus noch einen beträchtlichen Teil des Jahres 2021 andauern werden, und selbst dann wird das wirtschaftliche und soziale Leben weit von dem entfernt sein, das wir vor dem Auftreten des neuartigen Coronavirus zur Jahreswende 2019/2020 kannten.

Sicherlich hätte die Erfahrung viel schlimmer ausfallen können, wenn nicht die ÄrztInnen, das Gesundheitspersonal und die ForscherInnen auf der ganzen Welt heldenhaft gearbeitet und auf früheren Forschungen in mehreren Ländern aufgebaut hätten, um Impfstoffe zu entwickeln. Doch viele dieser WissenschaftlerInnen und MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens hatten schon lange nicht nur vor den Gefahren einer Pandemie vom Typ SARS gewarnt, sondern auch vor den zerstörerischen Auswirkungen der Kürzungen staatlicher Mittel und die Notwendigkeit betont, die „Geschäftsgeheimnisse“ von Staat und den großen Pharmakonzernen zu lockern. Die bleibende Lektion des Jahres 2020, „Niemand ist sicher, bis alle sicher sind“, unterstreicht die Notwendigkeit eines Weltgesundheitssystems, das die grausamen Ungleichheiten zwischen den „fortgeschrittenen“, d. h. imperialistischen, Ländern und den „Entwicklungsländern“, d. h. halbkolonialen Ländern überwindet.

Das Jahr sah auch eine große Wende – zumindest in den Worten – der politischen FührerInnen, wenn es darum ging, die andere große Krise, die drohende Klimakatastrophe, anzusprechen. Zum Teil ist dies ein Tribut an die Wirkung der von der Jugend angetriebenen Bewegungen gegen die Klimaerwärmung, aber es war auch eine Reaktion auf die wachsende Zahl von Katastrophen, sogar in imperialistischen Ländern. Das Jahr begann damit, dass Australien einen „schwarzen Sommer“ erlebte, seine schlimmste Buschfeuersaison aller Zeiten. Hurrikane und tropische Stürme verursachten große Überschwemmungen in Texas und Louisiana. Im Herbst entflammten allein in Kalifornien Waldbrände auf über einer Million Acres (405.000 Hektar, 4.050 qkm). Infolgedessen sprachen sogar konservative bürgerliche PolitikerInnen von „grünen New Deals“ und „grünen industriellen Revolutionen“. Aber wie das Sprichwort „Hüte dich vor Griechen, auch wenn sie Geschenke bringen!“ bringen, so sind diese Versprechungen wahrscheinlich nur ein trojanisches Pferd für Profitstreben.

Der Wechsel des US-Präsidenten von einem Klimawandelleugner zu einem, der einige Phrasen der Rhetorik des Green New Deal von Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) übernommen hat, garantiert nicht, dass entschlossenes Handeln die Rückkehr der USA zum Pariser Abkommen begleiten wird. Es könnte und sollte zu massenhaften direkten Aktionen ermutigen, um die US-Administration und den Kongress zu zwingen, die Emissionen zu senken. Von Küste zu Küste sind Überschwemmung und Feuer jetzt eine reale und anhaltende Gefahr in den Köpfen von Millionen AmerikanerInnen, und das kann das Bewusstsein selbst in den stursten Köpfen verändern.

Wirtschaftskrise

Die unmittelbaren Auswirkungen des Coronavirus wären noch schlimmer gewesen, wenn nicht das Gespenst des Zusammenbruchs der Gesundheitssysteme die Regierungen dazu gezwungen hätte, Lockdowns anzuordnen und die Schleusen der Staatsausgaben zu öffnen, um Unternehmen und Arbeitsplätze zu retten. Es wäre jedoch töricht, sich vorzustellen, dass diese „Kriegsmaßnahmen“, auf die der Kapitalismus in Extremfällen zurückgreift, zu einem dauerhaften Merkmal der „schönen neuen Welt“ werden, die einige PolitikerInnen versprechen. Obwohl die scheinbar grenzenlose staatliche Kreditaufnahme in den imperialistischen Kernländern von historisch niedrigen Zinssätzen profitierte, gibt es keine Garantie, dass diese aufrechterhalten werden können, und die daraus resultierende Staatsverschuldung ist in Friedenszeiten historisch beispiellos. Darüber hinaus hatten große und kleine Unternehmen, wie es scheint, schon vor COVID „ihre Kreditkarten ausgereizt“, und der marxistische Ökonom Michael Roberts sagt eine große Unternehmensschuldenkrise innerhalb der nächsten zwei Jahre voraus.

Sicher ist, dass mit dem Auslaufen der staatlichen Subventionen, wahrscheinlich innerhalb der ersten sechs Monate des kommenden Jahres, die langfristigen Auswirkungen der Pandemie deutlich werden. Zwar mag es eine Erholungsphase geben, die durch aufgestaute Nachfrage und Ausgaben in den Sektoren, die von der Pandemie profitiert haben, angeheizt wird, doch wird diese wahrscheinlich nicht von langer Dauer sein und vom Ausmaß der Insolvenzen und Schließungen, insbesondere im Einzelhandel und im Dienstleistungssektor, überschattet werden.

Die Folgen des massiven Rückgangs von Produktion und Handel rund um den Globus werden mit Sicherheit auch das Fundament des Monopolkapitals im großen Stil schwächen und ganze Branchen wie Stahl, Automobil, Luft- und Raumfahrt oder fossile Brennstoffe betreffen. Die Folgen eines Zusammenbruchs solcher Industrien wären nicht nur eine Welle von Massenentlassungen, sondern auch eine langfristige, strukturelle Arbeitslosigkeit.

Ein weiterer krisenverschärfender Faktor ist die Rivalität der imperialistischen Mächte – der USA, Chinas, Japans, der Europäischen Union –, die die multilateralen Institutionen untergräbt, die aus den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg und der Zeit der Globalisierung stammen (IWF, WTO usw.). Selbst wenn Biden die eher destruktiven Vorschläge Trumps zurücknimmt und die Rhetorik der Zusammenarbeit wiederherstellt, wird die Rivalität fortbestehen und sich sogar noch verschärfen. Dies hat bereits die Schwächen und zerstörerischen Widersprüche innerhalb der imperialistischen Blöcke offengelegt und die Ambitionen der nächsten Reihe imperialistischer oder regionaler halb-kolonialer Mächte herausgefordert: Indien, Russland, Brasilien, Südafrika, Türkei, Iran. Auch diese Staaten werden unweigerlich unter dem Zerbrechen der Weltmärkte, der Kreditsysteme leiden. Ihre inneren Schwierigkeiten werden sie, wie auch die dominierenden imperialistischen Mächte, zu wirtschaftlichen und militärischen Konflikten treiben.

Die Europäische Union befand sich schon vor dem Brexit in einer sich vertiefenden Krise und ihre Hauptmächte, Frankreich und Deutschland, werden große Probleme haben, Länder wie Polen und Ungarn zu disziplinieren. Die südlichen Mitglieder der EU, Griechenland, Italien und Spanien, werden große Schwierigkeiten innerhalb der sich zentralisierenden Union haben, die von Macron und, vielleicht etwas vorsichtiger, von Merkels NachfolgerIn ins Auge gefasst wird.

Natürlich könnte eine historische Zerstörung überschüssigen Kapitals auch einen Investitionsschub in die neuen Technologien ermöglichen: Künstliche Intelligenz, globale bzw. Wirtschaftsblöcke umfassende Wertschöpfungsketten, Automationsprozesse durch Industrieroboter, Biowissenschaften etc. In der Tat könnten diese Technologien und Wissenschaften die Grundlage für eine Gesellschaft legen, die die langen Stunden der Schwerstarbeit massiv reduziert und erzwungenen Müßiggang und Armut abschafft. Aber eine solche neue industrielle Revolution – mit einem großen Umweltelement – liegt auf der anderen Seite einer großen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisenperiode.

Wenn das Kapital weiterhin regiert, werden sich die Kräfte der Zerstörung; Verarmung, Krieg, Pandemien, Klimakatastrophen zum Schreckgespenst eines historischen Rückschritts verbinden – einer Dystopie, nicht einer Utopie. Alles hängt also davon ab, ob die ArbeiterInnenklasse, die jetzt im Weltmaßstab größer denn je ist, die Kontrolle über die Wirtschaft, über die gesamte Gesellschaft übernehmen und sie international für eine optimale Zukunft der gesamten Menschheit organisieren kann. Und das ist eine Frage der Politik und der politischen Führung.

Trends in der Weltpolitik

Die außerordentlich hohen Staatsausgaben, insbesondere in den imperialistischen Ländern, die versuchen, mit den Auswirkungen der Pandemie fertig zu werden, sind selbst Gründe, warum wir im kommenden Jahr eine ernsthafte politische Dimension der Krise erwarten sollten.

Eher früher als später, vor allem wenn die Gewerkschaften und die reformistischen und linkspopulistischen Parteien passiv und vertrauensselig gegenüber Regierungen und UnternehmerInnen bleiben, wird es einen ernsthaften Versuch geben, diese Staatsausgaben zurückzufordern. Zusammen mit der drohenden Massenarbeitslosigkeit ist zu erwarten, dass dies zu einem Anstieg des Klassenkampfes führen wird, der grundlegende Fragen über die Führung eines solchen Widerstandes aufwerfen wird. Was nötig sein wird, ist die Organisation von Einheitsfronten, die es mit Regierungen aufnehmen können, sowohl mit „demokratischen“ als auch mit diktatorischen. Die Linke wird bei dem Versuch, diese aufzubauen, mit einer ernsten politischen Krise konfrontiert werden.

Dennoch erzeugt das kapitalistische System, sowohl in Krankheit als auch in Gesundheit, Widerstand gegen die offensichtlicher werdende Ausbeutung und Ungleichheit, die in seine Grundlagen eingebaut sind. Der eng mit dem Kapitalismus verbundene Prozess der Verarmung der Vielen und der Bereicherung der Wenigen hat sich während der Pandemie ungebremst fortgesetzt. Bis November waren laut der Universität von Chicago und der Universität von Notre Dame 8 Millionen AmerikanerInnen in Verarmung gefallen. In der Zwischenzeit stieg das Vermögen der 651 MilliardärInnen in den USA um mehr als eine Billion US-Dollar und erreichte Anfang Dezember 4 Billionen laut „Americans for Tax Fairness“ (AmerikanerInnen für Steuergerechtigkeit).

Obwohl ein Großteil der gestiegenen Staatsausgaben zur Stützung des scheiternden Kapitals verwendet wurde, hat ihr schieres Ausmaß sowie die von den Regierungen erzwungene Anerkennung von „wesentlichen Arbeitsplätzen“ und „lebenswichtigen Dienstleistungen“, die nach jahrzehntelangen Kürzungen fast alle schlecht bezahlt werden, einen starken Grund für Forderungen nach Lohn- und Gehaltserhöhungen, nach größeren Investitionen in Gesundheit und Bildung sowie nach Besteuerung und Enteignung des Großkapitals geschaffen.

Je mehr jedoch die Impfstoffe die Pandemie verlangsamen, desto wahrscheinlicher werden wir im kommenden Jahr Forderungen hören, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen und die Schulden zu reduzieren, was ein Szenaria für eine Rückkehr des Austeritätsgeredes schafft. Wir werden uns dem widersetzen müssen und brauchen Parteien und Gewerkschaften, die dazu bereit und in der Lage sind.

Trotz der Pandemie war 2020 auch ein Jahr mit beachtlichen Kämpfen von ArbeiterInnen, Jugendlichen und rassistisch Unterdrückten auf der ganzen Welt. Mit „starken Männern“ an der Macht wie Trump, Bolsonaro, Duterte, Erdogan, Modi, Putin und Xi gab es viel zu bekämpfen. Das Fortbestehen dieser plebiszitären bonapartistischen oder direkt diktatorischen Regime sollte uns daran erinnern, dass der Rechtspopulismus trotz Trumps Niederlage noch lange nicht besiegt ist.

Die meiste Zeit des Jahres haben diese Führer brutale Repressionen gegen ihre Bevölkerung ausgeübt. In China hat Xi den fortgesetzten kulturellen Völkermord an den UigurInnen mit der „legalen“ Niederschlagung der Demokratieproteste in Hongkong kombiniert. Narendra Modis BJP-Regierung hat die Repression seiner Streitkräfte in Kaschmir seit der Aufhebung der Autonomie 2019 fortgesetzt. Der starke Mann der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, hat seine Angriffe auf Oppositionsparteien, das kurdische Volk und kritische JournalistInnen fortgesetzt und einen Krieg Aserbaidschans gegen die armenische Enklave Bergkarabach geschürt.

Dann waren da noch Abdel Fatah El-Sisi (Abd al-Fattah as-Sisi) in Ägypten und der Kronprinz von Saudi-Arabien, die den Bürgerkrieg im Jemen anheizten, und Netanjahu, der den Siedlungsbau im Westjordanland und die Bombardierung des Gazastreifens fortsetzte. Die Endphase von Assads blutiger Konterrevolution in Syrien und die reaktionären dschihadistischen Bewegungen in Afrika südlich der Sahara und in Afghanistan trugen zu dem düsteren Bild bei. In den ehemaligen französischen Kolonien in der Sahelzone stellten dschihadistische Rebellen die Streitkräfte verschiedener Staaten auf eine harte Probe. PräsidentInnen, die versuchten, ihre Herrschaft auszuweiten, provozierten große Straßenbewegungen, während in den Staaten am Horn von Afrika die Friedensinitiativen scheitern, was die Massenflucht aus den Kriegsgebieten noch verstärkt.

Widerstand

Doch überall auf der Welt haben wir im Jahr 2020 auch neue oder anhaltende Ausbrüche des Massenwiderstands von jungen Menschen, ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen erlebt. In den USA gab es im Mai und Juni in jeder größeren Stadt im ganzen Land Mobilisierungen gegen die rassistischen Polizisten, die George Floyd getötet hatten, was zu einem weltweiten Tag mit Demonstrationen am 6. Juni führte.

In Hongkong protestierte eine Million gegen die Verhängung neuer Sicherheitsgesetze über das Territorium. In Santiago, Chile, gab es millionenstarke Demonstrationen, ausgelöst durch eine 30-Peso-Busfahrpreiserhöhung (3,5 Ct.), die sich zu einer Rebellion gegen 30 Jahre neoliberale Regierungen und eine seit Pinochet kaum veränderte Verfassung entwickelten.

Im Herbst marschierten in Weißrussland jede Woche Hunderttausende gegen Alexander Lukaschenkos (Belarus.: Aljaksandr Lukaschenka) manipulierte Wahlen. 250 Millionen indische ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen streikten, marschierten und zelteten in Protestcamps in der Hauptstadt des Landes gegen die autoritäre und neoliberale Modi-Regierung.

Die Frauenproteste, die Polen im Herbst erschütterten, wurden durch Vorschläge ausgelöst, die Abtreibungsgesetze des Landes zu verschärfen, die bereits die restriktivsten in Europa darstellen. Hunderttausende gingen in Städten im ganzen Land auf die Straße und konnten zumindest die Verabschiedung des Gesetzes vorerst stoppen.

Die StudentInnenbewegung „Freies Volk“ in Thailand wurde durch das Verbot der wichtigsten Oppositionspartei durch das vom Militär gestützte Regime ausgelöst und erlebte im Laufe des Jahres mehrere Wellen, die zunehmend die Rolle des Militärs und sogar des Königs, der immer noch enorme Macht ausübt, in Frage stellen.

In Frankreich gab es trotz der Abriegelung gewalttätige Proteste gegen Macrons repressive neue Sicherheits- und Anti-Muslim-Gesetze. In Lateinamerika gibt es eine anhaltende Krise und auch während der Coronavirus-Krise gab es Massenprotestbewegungen. Diese führten z. B. zur Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung in Chile, zu riesigen Demonstrationen in Peru, zur Rückkehr der MAS an die Macht in Bolivien und in Brasilien kam es bei den Kommunalwahlen zu einem Schwenk nach links.

Boliviens einjähriger Widerstand gegen die illegitime Präsidentin (Jeanine Áñez) und die 2019 durch einen Putsch installierte Regierung erzwang die Abhaltung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, die die bürgerlich-populistische Partei MAS mit großen Mehrheiten gewann, obwohl diejenigen, die den Putsch lanciert haben, immer noch die Armee und die Polizei dominieren.

All diese Ereignisse zeigen, dass der Widerstand immer noch an die Oberfläche durchbricht. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass, wenn die schlimmsten Gefahren der Pandemie aufgehoben sind, er noch weiter um sich greifen wird. Nichtsdestotrotz, wie wir an den vielen Kämpfen in diesem Jahr sehen können, sind die sozialen Bewegungen und demokratischen Aufstände mit harter polizeilicher Repression konfrontiert und den Mobilisierungen rechtspopulistischer Bewegungen, einschließlich Trumps Ermutigung von AnhängerInnen der weißen Vorherrschaft. Solche Bewegungen könnten sich in der kommenden Zeit zu offen faschistischen Kräften herauskristallisieren. In Frankreich könnte das Rassemblement National von Marine Le Pen zum Spitzenherausforderer von Macron im Jahr 2022 geraten.

Die Misserfolge der neuen linken Bewegungen des letzten Jahrzehnts, von Syriza und Podemos bis hin zu Jeremy Corbyns AnhängerInnen in der britischen Labour-Partei, zeigen alle, dass es keine friedliche parlamentarische Lösung gibt, um auch nur die neoliberale Sparpolitik zu besiegen. Was wir brauchen, sind nicht wahlkämpfende Parteien mit rein unterstützenden sozialen Bewegungen, sondern Parteien des Klassenkampfes, die mit militanten Bewegungen der Unterdrückten und kämpfenden Gewerkschaften verbunden sind. Auch Parteien, die ein unverhohlen antikapitalistisches Programm ihr eigen nennen – ein Programm für eine sozialistische Revolution.

Die wichtigste aller Lehren des Jahres 2020 ist, dass, so wie die Pandemie und die Umweltkrise nicht im nationalen Maßstab gelöst werden können, auch der Sturz des Kapitalismus und der Aufbau des Sozialismus global sein müssen. In einer Ära der unglaublichen Zunahme der Kommunikation – heute haben 4,66 Milliarden Menschen, mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung, irgendeine Art von Zugang zum Internet –, in der Millionen regelmäßig Online-Kommunikation und maschinelle Übersetzung nutzen, liegen die wirklichen Hindernisse für den Aufbau einer Internationale im engen nationalen Bewusstsein und im Mangel an politischem Willen bei den Führungen von „linken“ Parteien und Gewerkschaften. Die ArbeiterInnenklasse hat zwischen den 1860er und den 1930er Jahren vier aufeinanderfolgende Internationalen aufgebaut, die ein unvergängliches programmatisches Erbe hinterlassen haben.

Die Liga für die Fünfte Internationale und ihre Sektionen in Österreich, Brasilien, Deutschland, Pakistan, Schweden, den Vereinigten Staaten von Amerika und Britannien sehen es als ihre Pflicht an, den Internationalismus in jeder ArbeiterInnenbewegung und aufbegehrenden Strömung der Unterdrückten rund um den Globus zu fördern.

Seit dem Abflauen der Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung und den imperialistischen Krieg in den ersten fünf Jahren des neuen Jahrtausends, als die weltweiten und europäischen Sozialforen koordinierte globale Aktionen ins Leben riefen, ist ein deutlicher Rückgang der organisierten internationalen Versammlungen zu verzeichnen. Dieser Rückzug kam genau zu dem Zeitpunkt, als die Expansionsphase der Globalisierung mit der Rezession 2008 zu einem erschaudernden Ende kam. Obwohl diese große soziale und politische Bewegungen hervorbrachte, die sich gegenseitig beeinflussten und inspirierten – der Arabische Frühling, die Occupy-Bewegungen, die Anti-Austeritätskämpfe in Griechenland, Volksbewegungen in ganz Lateinamerika, Generalstreiks in Indien –, gab es kein internationales Forum, auf dem die Lehren aus den anfänglichen Erfolgen und dem endgültigen Scheitern gezogen werden konnten.

Während Widerstandsbewegungen spontan entstehen können und dies auch tun, gilt dasselbe nicht für Führungen und Strategien für den Sieg, d. h. politische Programme. Deshalb erfordert das Voranbringen dieser Aufgabe, dass sich alle bewussten RevolutionärInnen auf der ganzen Welt im kommenden Jahr und in den kommenden Jahren ihr neu widmen müssen.

ArbeiterInnen und Unterdrückte: Vereinigt Euch in einer neuen Weltpartei der sozialistischen Revolution – einer Fünften Internationale!




Wer wir sind

Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Liga für eine Fünfte Internationale und die
Internationale Kommunistische Jugendorganisation REVOLUTION sind internationalistische,
kommunistische Organisationen. Wir treten zusammen mit GenossInnen auf der
ganzen Welt für die Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen und aller
Unterdrückten ein. Unser Ziel ist die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft
ohne Ausbeutung und Unterdrückung.

Dazu ist eine sozialistische ArbeiterInnenrevolution
notwendig und die Schaffung von Staaten, wo die ArbeiterInnenklasse durch Räte
herrscht, die von der Bevölkerung direkt gewählt und jederzeit abwählbar sind.

Uns verbindet daher auch nichts mit den Regimes des „real
existierenden Sozialismus“. In diesen Staaten beherrschte und unterdrückte eine
Bürokratie die ArbeiterInnenklasse. Mit Sozialismus und Kommunismus hatte das
nichts zu tun.

Wir unterstützen alle Kämpfe, alle Aktionen, alle
Forderungen, die die Interessen der ArbeiterInnen und der Unterdrückten zum
Ausdruck bringen.

Wer nicht in der Lage ist, den Kampf um höhere Löhne, gegen
Entlassungen, für demokratische Rechte oder gegen Krieg voranzutreiben, wird
auch keine Revolution durchführen können.

Um die Kämpfe der Frauen, der sexuell Unterdrückten und der
Jugend voranzutreiben und auch Unterdrückung, Chauvinismus und Bevormundung
unter den Lohnabhängigen zu bekämpfen, treten wir für den Aufbau einer
proletarischen Frauenbewegung und unabhängiger revolutionärer
Jugendorganisationen auf nationaler wie internationaler Ebene ein.

Wir arbeiten in den Gewerkschaften und treten dort für
Klassenkampf, Sozialismus und ArbeiterInnendemokratie ein. Die Führung der
Gewerkschaften ist eine Schicht, die in ihren Interessen und Lebensbedingungen
den Mitgliedern immer ferner steht, die die Gewerkschaften an die
Sozialdemokratie und den Staat bindet, statt konsequent den Klassenkampf gegen
die KapitalistInnen zu führen.

Ebenso arbeiten wir aktiv als Jugendorganisation an Schulen
und in Jugendbewegungen wie Fridays for Future. Dort treten wir für unser
Programm ein und versuchen in der Praxis, Jugendliche dafür zu gewinnen.

Anders als SPD, DIE LINKE oder die Führung der
Gewerkschaften lehnen wir es ab, den Kampf nur auf Verbesserungen oder gar „sozialverträgliche“
Kürzungen zu beschränken. Warum? Weil unser Ziel nicht die Reform des
bestehenden, kapitalistischen Systems ist, sondern dessen Sturz. Wer den
Kapitalismus nur reformieren will, ordnet sich damit zwangsläufig diesem System
unter.

Arbeitslosigkeit, Krieg, Hunger, Ausbeutung, Unterdrückung,
Umweltzerstörung – all das sind nicht einfach die „schlechten“, „unsozialen“
Seiten des Kapitalismus. Kapitalismus ist ohne sie einfach nicht denkbar. Er
ist das Problem. Ihn wollen wir beseitigen.

Wir sind InternationalistInnen. Der Kampf gegen den
Kapitalismus muss, wie die negative Erfahrung des Stalinismus, aber auch die
national beschränkte Reformpolitik der Sozialdemokratie und des Linkspopulismus
gezeigt haben, international geführt werden. Nur so können die großen Probleme
der Menschheit wie z. B. die Umweltfrage gelöst werden, nur so kann eine
globale, ausbeuterische Ordnung des Imperialismus beseitigt werden. Daher
treten wir für den Aufbau einer neuen, Fünften Internationale ein.