Der Krise entgegen. Von der Krise der Globalisierung zur sozialistischen Revolution

Manifest der Liga für die Fünfte Internationale

Verabschiedet vom XII. Kongress, Juni 2023

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

2.2 Europa

2.3 Die Halbkolonien

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

2.5 Klimakatastrophe

2.6 Rezession

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

3.2 Krise der Führung

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

4.3 Militarismus und Krieg

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

4.4.1 Die Stadt umgestalten

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

4.5 Die digitale Revolution

4.6 Die Gewerkschaften

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

5.4 Rassismusbekämpfung – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

6.2 Der Aufstand

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

1. Einleitung

Die Welt steht vor einer tieferen und weiter reichenden Krise als vor der großen Rezession von 2008 – 2010. Auf den schwachen Aufschwung, der durch historisch niedrige Zinssätze gestützt wurde, folgte ein Jahrzehnt der Beinahe-Stagnation. Dies hat zu einem weltweiten Inflationsanstieg geführt, dessen Folgen eine Krise der Lebenshaltungskosten sind, die den Lebensstandard der Arbeiter:innenklasse dramatisch zu senken droht, sowie Not, Unterernährung und buchstäbliches Verhungern für Dutzende von Millionen Armen in der Welt bedeutet.

Die durch die Pandemie verursachte wirtschaftliche Verwerfung der globalen Produktions- und Handelsketten, die beispiellosen Kosten der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten Sanktionen und Aufrüstungsprogramme und die sich beschleunigenden und vervielfachenden Folgen des Klimawandels – diese miteinander verknüpften Krisen konfrontieren die Menschheit mit einem starken Sturm, der nur eine Ursache hat: die kapitalistische Produktion und die imperialistische Weltordnung, die sie aufrechterhält.

Die wiederholten Wirtschaftskrisen, die sich verschärfende Rivalität der Großmächte, Überschwemmungen, Brände, Dürren und Hungersnöte spiegeln sich auch in der politischen Arena wider. Dies äußert sich im Erstarken populistischer und rechtsextremer Straßenbewegungen, im Wuchern reaktionärer, irrationalistischer Ideologien und Verschwörungstheorien in den sozialen Medien. Militärputsche nutzen die Unfähigkeit der schwachen „demokratischen“ Regierungen in den Halbkolonien aus, die sich verschärfende soziale Krise zu bewältigen; die Wahl reaktionärer Demagog:innen, die sogenannte „Kulturkriege“ führen, dient dazu, den sozialen Fortschritt und die Rechte der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten zu untergraben.

Angesichts dieser sich vervielfachenden Krisen sind die traditionellen reformistischen Parteien der Arbeiter:innenklasse, ob „sozialistisch“ oder stalinistisch, angesichts ihrer Unfähigkeit, ihre Massenbasis zu verteidigen, verwelkt. Das „neue“ Modell der linkspopulistischen, neoreformistischen oder zentristischen Parteien, das an ihre Stelle treten sollte, hat entweder kapituliert oder sich aufgelöst. An ihre Stelle sind immer extremere rechtsradikale und sogar offen faschistische Parteien getreten, die religiöse, rassistische und nationale Vorurteile ausnutzen.

Spontaner Widerstand gegen diese Krisen flammt überall in der Welt auf und wirft die Notwendigkeit einer Führung der Arbeiter:innenklasse auf, die einen Weg zum Sieg bahnen kann. Die mal ausbrechende, mal schwelende Kette von Bevölkerungsaufständen vom Arabischen Frühling über die Antiausteritätsbewegungen der EU-Schuldenkrise bis hin zu den Frauen an vorderster Front der iranischen und sudanesischen Revolutionen zeigt: All diese Gelegenheiten, die das Potenzial für einen entscheidenden Bruch mit dem herrschenden System in sich trugen, verstrichen ungenutzt, wobei der Preis der Niederlage nicht überall der Abstieg in eine brutale Konterrevolution war.

In jedem Fall liegt gerade im Fehlen einer gefestigten und verankerten Organisation, die mit der Strategie und Taktik – dem Programm – bewaffnet ist, um die Arbeiter:innenklasse und ihre Verbündeten zur Machtergreifung zu führen, der elementare subjektive Faktor für die Ursache der Niederlage. Das Scheitern der revolutionären Ausbrüche in den Halbkolonien ist nur der lokale Ausdruck der Krise der Führung, einer Krise, die sich in den Gewerkschaften, den Parteien und den revolutionären Organisationen der Arbeiter:innenklasse insgesamt manifestiert.

Dieses Dilemma begründet sich nicht nur in der jeweiligen nationalen Situation. Es stellt sich weltweit in der Notwendigkeit einer neuen revolutionären Internationale dar, einer Nachfolgerin der vorherigen vier, die aus deren Fehlern und Erfolgen lernt. Die Menschen, die den Grundstein für eine neue Internationale legen können, finden sich bereits unter der Avantgarde der Massenkämpfe in aller Welt. Es ist von größter Dringlichkeit, sie sowohl international als auch in jedem Land zusammenzubringen. Vor allem müssen sie für ein revolutionäres Aktionsprogramm gewonnen werden, das weltweit gilt und die notwendige Antwort auf die Machtfrage gibt, die die strategische Lösung für die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems darstellt.

Die Liga für die Fünfte Internationale veröffentlicht dieses Programm als Beitrag zu einer Diskussion und Annäherung der revolutionären Kräfte in den kommenden Jahren, verbunden mit Vorschlägen für gemeinsame Aktionen und Kampagnen, neben einer ernsthaften Debatte über das Programm, das eine neue, revolutionäre Internationale entwickeln muss. Was wir vorschlagen ist weder vollständig noch umfassend, aber es wird als unser Angebot für gemeinsame Aktionen und ernsthafte Diskussionen mit denjenigen präsentiert, die die zwingende Notwendigkeit einer neuen Internationale akzeptieren, deren Organisation und Führung die Voraussetzung dafür ist, den Kreislauf von spontanem Widerstand und Niederlage zu durchbrechen.

2. Die neue Weltunordnung

2.1 Die Ursachen der Krise

Die Ursachen für die Systemkrisen des Kapitalismus liegen nicht im Mangel oder in der Unfähigkeit, das zu produzieren, was die Menschheit braucht. Die Fabriken, ihre Arbeitskräfte, die Produktions-, Logistik- und Kommunikationsmittel, neue und alte, sind im Überfluss vorhanden, ebenso wie die wissenschaftlichen und technologischen Mittel, um Pandemien und den Klimawandel zu bekämpfen. Die sozialen Mittel für eine globale Planung sind bereits in den multinationalen Konzernen und den riesigen Banken vorhanden, aber durch Privateigentum und interne Konkurrenz nur separat verfügbar. Dieser Widerspruch hat sich bei der Reaktion auf die Pandemie gezeigt: einerseits die rasche Entwicklung von Impfstoffen, andererseits deren ungleiche Verteilung an die Bevölkerungen unseres Planeten. Bis Juni 2023 haben 29,9 % von ihnen noch keine einzige Impfung erhalten.

Die grundlegende Ursache für die Krise des Systems liegt in der massiven Überakkumulation von Kapital, das nicht in der Lage ist, in gleichem oder höherem Maße als in der Boomphase der Globalisierung ausreichende Gewinne aus der Produktion zu erzielen. Dies ist der Grund dafür, dass der „Aufschwung“ nach der letzten Rezession schnell an Dynamik verloren hat und in weiten Teilen der Weltwirtschaft in Stagnation übergegangen ist. Da es nach der Großen Rezession nicht gelungen ist, dieses Problem auf die einzige Art zu lösen, die Kapitalist:innen immer anwenden, nämlich durch Kapitalvernichtung auf breiter Front, droht nun der Massenbankrott sogenannter Zombieunternehmen, die schätzungsweise 16 % bis 20 % aller Firmen in den USA ausmachen.

Da dies die Zerstörung großer Industrie- oder Handelszweige bedeuten würde, ist eine solche Entwicklung ein letzter Ausweg und eine riskante Option für das Kapital. Im Jahr 2008 hätte es die Spitzen des Finanzkapitals getroffen, die Investment-, Hypothekenbanken und multinationale Automobilhersteller wie General Motors und Chrysler, die als „zu groß zum Scheitern“ eingestuft worden sind. Viele von ihnen wurden auf Kosten der Steuerzahler:innen aus der Arbeiter:innen- und Mittelschicht gerettet. Die Maßnahmen der Federal Reserve Bank der USA führten die Welt auch zu einer enormen Ausweitung der Geldmenge (Quantitative Easing), die es Unternehmen, Staaten und Einzelpersonen ermöglichte, noch mehr Schulden anzuhäufen und den Grundstein für einen zukünftigen Zusammenbruch zu legen.

Die von der neoliberalen und monetaristischen Theorie diktierte Lösung, die gigantische Kapitalvernichtung zur Wiederherstellung der Profitraten, kann nur zu enormen Kosten für die Arbeiter:innenschaft der ganzen Welt erfolgen. Natürlich besteht die Antwort darin, sich Betriebsschließungen und Massenarbeitslosigkeit entgegenzustellen, aber große Zugeständnisse seitens der Unternehmer:innen würden keine Rückkehr zum vorherigen Status quo bedeuten, sondern das Chaos eher noch vertiefen. Daraus ergibt sich wiederum die Notwendigkeit, die Kontrolle über die Produktion denjenigen anzuvertrauen, die die Arbeit verrichten, und die Staatsmacht in die Hände der arbeitenden Menschen zu legen, nicht in die der wenigen Ausbeuter:innen. Dies kann nur auf dem Weg der Revolution – der Zerstörung der Staatsmacht der Kapitalist:innenklasse – geschehen, nicht auf dem Weg der Reform.

Die Globalisierung erwies sich als eine vorübergehende Lösung für den Kapitalismus. Sicherlich hat sich der Grad der internationalen Integration zwischen den großen Zentren der Kapitalakkumulation unter der Hegemonie der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer internationalen Finanzinstitutionen, dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und der Welthandelsorganisation, enorm erhöht. Sie beruhte in hohem Maße auf einer wohlwollenden Symbiose der USA und der EU mit China als Markt für Spitzentechnologie und als neue Produktionsstätte der Welt. Doch in der Epoche der vollen Reife des Kapitalismus, ja seiner Überreife, der Epoche des Imperialismus, musste eine schnell wachsende neue kapitalistische Macht wie China entweder der bestehenden hegemonialen Weltmacht untergeordnet werden und zu dem werden, was Marxist:innen eine Halbkolonie nennen, oder selbst zu einer imperialistischen „Großmacht“ emporsteigen.

Chinas Bereitschaft, in den exklusiven Klub der imperialistischen Mächte aufzusteigen, zeigte sich nach 2008, als es eine wichtige Rolle dabei spielte, die Weltwirtschaft aus der Großen Rezession herauszuziehen. Doch dann begann es, als Investor in Regionen zu expandieren, die bis dahin von den alten Imperialismen Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens beherrscht wurden. Dies führte unweigerlich zu einer Verschärfung der Rivalität und des Konflikts zwischen den alten und neuen Mächten. Die Fähigkeit der Kommunistischen Partei Chinas, mit Repressionen im Stil von Tian’anmen und Präsident Xi Jinpings Einführung eines Massenüberwachungsstaates zu drohen, beruht auf dem Aufstieg der chinesischen Bevölkerung aus der Armut und der Rolle des Landes als zweitstärkster Wirtschaft der Welt. Jeder ernsthafte oder anhaltende Rückzug von diesem Wohlstand, sei es durch wirtschaftlichen Abschwung oder militärische Abenteuer, wird diesen untergraben und das Gespenst der Revolution heraufbeschwören.

Im Gegensatz dazu fußte Russlands Fähigkeit, dem Schicksal der Unterordnung unter die Supermacht USA zu entgehen, eher auf der Rente aus seinen reichhaltigen natürlichen Ressourcen als auf dem industriellen Wachstum. Während der „Schocktherapie“, mit der Russland in den Kapitalismus eingeführt wurde, schrumpfte seine Wirtschaft um 40 Prozent, während die Inflation in die Höhe schoss. Engpässe bei den Grundnahrungsmitteln wurden zur Norm und ein Drittel der Bevölkerung fiel in Armut. Die sozialen Sicherungen der Sowjetära wurde dezimiert. Als unter Präsident Jelzin Russland 1992 in den IWF aufgenommen wurde, beschleunigte eine Reihe von Krediten mit harten Bedingungen (Kürzungen bei Sozialleistungen, Bildung usw.) den Abwärtstrend.

Präsident Putins Popularität war, zumindest anfangs, nicht das Ergebnis einer brutalen Unterdrückung der Opposition. Nach 2000 gelang es ihm, die schamlose Ausplünderung der Wirtschaft durch die Oligarch:innen und die Abzweigung des Reichtums in westliche Banken und Steuerparadiese zu unterbinden. Durch die Übernahme der Kontrolle über die Öl- und Gaskonzerne Lukoil, Rosneft usw. konnte er den wirtschaftlichen Niedergang aufhalten und den Lebensstandard in bescheidenem Maße wiederherstellen. Doch seine Versuche, den Westen dazu zu bewegen, Russland eine Einflusssphäre in den Staaten der ehemaligen UdSSR sowie in denen Afrikas und des Nahen Ostens, die früher enge Beziehungen zur UdSSR unterhielten, zuzugestehen, wurden wiederholt abgelehnt. Im Jahr 2005 bezeichnete er den Zusammenbruch der Sowjetunion (an dem er maßgeblich beteiligt war) als „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ und eine „echte Tragödie“ für das russische Volk, da sich „Dutzende Millionen“ von ihnen außerhalb des russischen Staatsgebiets wiederfanden.

Heute ist Russland wirtschaftlich nicht mit China gleichzusetzen. Es gehört nicht einmal zu den zehn größten Volkswirtschaften; sein Bruttoinlandsprodukt von 1,4 Billionen US-Dollar wird von dem der Vereinigten Staaten (20 Billionen US-Dollar) und Chinas (14 Billionen US-Dollar) in den Schatten gestellt. Es entspricht in etwa dem von Brasilien, liegt aber unter dem von Indien und sogar Südkorea. Seine technologischen Stärken finden sich in der Weltraumforschung, der Kernenergie und der militärischen Ausrüstung. Doch obwohl es ein wirtschaftlicher Zwerg ist, bleibt Russland ein militärischer Riese, der in Bezug auf die weltweite Feuerkraft und – zumindest vor dem Ukrainekrieg – auch in Bezug auf die militärischen Kapazitäten an zweiter Stelle hinter den USA stand. Dies war die Grundlage für Putins Fähigkeit, im Nahen Osten, in Afrika sowie im nahen Ausland als Friedensstörer aufzutreten.

2.2 Europa

Die beiden dominierenden Volkswirtschaften der Europäischen Union, Deutschland und Frankreich, sind seit langem bestrebt, die Unabhängigkeit des Blocks gegenüber den USA zu stärken und Europa als weltweiten Konkurrenten des chinesischen und amerikanischen Kapitals zu etablieren. Eine Reihe von Veränderungen in der internationalen Dynamik, beginnend mit Barack Obamas Hinwendung zu Asien, dem Austritt Großbritanniens, des engsten Verbündeten der USA, aus dem Block, der Förderung engerer Verbindungen mit Eurasien durch den Öl- und Gashandel und Chinas Seegürtel- und Straßeninitiative (Neue Seidenstraße) schienen eine zunehmend unabhängige Rolle für einen europäischen Imperialismus zu begünstigen. Doch der Ukrainekrieg hat mit einem Schlag die Vorherrschaft der USA auf dem Kontinent wiederhergestellt und die Pläne von Paris und Berlin zunichtegemacht.

Trotz Großbritanniens Austritt bleibt die EU einer der drei großen Blöcke des Kapitals. Während die Produktivkräfte des europäischen Kapitalismus längst über die Staatsgrenzen seiner Nationen hinausgewachsen sind, zeigt die anhaltende Krise, die die Union seit 2008 heimgesucht hat, dass die kapitalistischen Klassen Europas nicht in der Lage sind, die historisch fortschrittliche Aufgabe der Einigung des Kontinents zu erfüllen.

Die Europäische Union mit ihren Verträgen, ihrer Kommission, ihrer Europäischen Zentralbank und ihrer Währung ist ein Zwangsapparat zur Ausbeutung der Peripherie durch den imperialistischen Kern. Sie hat die südeuropäischen Staaten zum Schutz der imperialistischen Finanziers zu brutaler Sparpolitik gezwungen, stellt ein Reservoir an materieller und diplomatischer Hilfe für die Abenteuer des US-Imperialismus bereit und führt ihre Geschäfte hinter den Mauern der NATO und der Festung Europa. Diese imperialistische Architektur kann nicht umgestaltet werden, um sozialen Zielen zu dienen: Sie muss durch eine sozialistische Revolution abgeschafft werden, die in einem sozialistischen vereinigten Europa gipfelt.

Revolutionäre Kommunist:innen haben jedoch immer die Illusion zurückgewiesen, dass der Weg zur Vereinigung auf einer höheren, demokratischen, sozialistischen Grundlage notwendigerweise über die Zerlegung großer politischer oder wirtschaftlicher Einheiten in ihre Bestandteile führt. Wir versuchen vielmehr, sie so zu vergesellschaften und zu planen, dass sie die Menschheit voranbringen. Der Sozialismus erfordert einen kontinentalen, ja globalen Maßstab der integrierten Produktion. Die Perspektive des Sozialismus in einem Land ist heute noch reaktionärer, als sie es war, als Stalin sie vor einem Jahrhundert proklamierte.

Die Zurückdrängung der Produktivkräfte in 28 Nationalstaaten, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und Zollschranken, die Unterbrechung des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs, die Behinderung der Entwicklung der Produktivkräfte, die Verschärfung der zwischenstaatlichen Rivalitäten, die weitere Spaltung der Arbeiter:innenklassen dieser Staaten im Namen einer vorgetäuschten wirtschaftlichen Souveränität können nur den nationalen Antagonismus, den wirtschaftlichen Niedergang und schließlich den Rückgriff auf einen imperialistischen Krieg fördern.

Die Aufgabe der Einigung Europas, die von den Kommunist:innen vor mehr als einem Jahrhundert vor dem Gemetzel zweier Weltkriege als notwendig erkannt wurde, fällt der Arbeiter:innenklasse zu, wenn sie einen Dritten Weltkrieg vermeiden will. Das Mittel, mit dem sie dies erreichen kann, ist die europaweite Revolution. Ausgehend von den heutigen Kämpfen gegen Sparhaushalte, Privatisierung, Krieg, Ungleichheit, Rassismus und Umweltzerstörung müssen die europäischen Arbeiter:innen ihre Kämpfe vereinen und ihnen ein gemeinsames Ziel geben – den Sozialismus im kontinentalen Maßstab.

2.3 Die Halbkolonien

Im globalen Süden hat die Illusion, dass die fortgeschrittenen halbkolonialen Länder den chinesischen Weg zur Entwicklung beschreiten, einen Todesstoß erhalten. In der Hochphase der Globalisierung wurden viele als „aufstrebende Volkswirtschaften“ bezeichnet, die für eine nachhaltige Entwicklung prädestiniert schienen – die asiatischen Tigerstaaten, die sogenannten BRICS-Länder, Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei. Aus diesem Optimismus heraus wurde im Jahr 2003 die G20-Gruppe gegründet. Doch in den folgenden zwei Jahrzehnten entkam mit Ausnahme von Russland und China keines dieser Länder der imperialistischen Vorherrschaft.

Die Situation der schwächeren Halbkolonien wurde nach der Krise von 2008 auf grausame Weise offengelegt. Die Dollarflucht machte die hohe Verschuldung deutlich; die von den Gläubiger:innen auferlegten Kürzungen der Lebensmittel- und Treibstoffsubventionen lösten eine Kette von Ereignissen aus, die im Arabischen Frühling gipfelte.

Die Folgen der imperialistischen Missgeschicke im Irak und in Afghanistan (und später in Syrien und der Ukraine) haben die Verarmung und den Mangel an Sicherheit der Völker noch verstärkt. Beim Widerstand gegen die Wiedereinführung noch härterer autoritärer Regime in Algerien, im Sudan und in Rojava hat die Arbeiter:innenklasse oft eine wichtige, aber keine entscheidende Rolle gespielt; nirgendwo hat sie die Regime gestürzt.

In ganz Subsahara-Afrika behalten Großbritannien und Frankreich ihren Einflussbereich auf ihre ehemaligen Kolonialgebiete mit mehr oder weniger großem Nachdruck bei. Frankreich übt zwar immer noch die Kontrolle über die Währungspolitik der CFA (Cooperation Financière en Afrique) -Länder Zentralafrikas aus, doch seine Fähigkeit, Regierungen zu stützen oder zu ersetzen, wird durch den Rückgriff auf den Schutz durch russische Stellvertretertruppen zunehmend in Frage gestellt. Die Flut schwer bewaffneter islamistischer „Terrorist:innen“ in der Sahelzone war in hohem Maße das Ergebnis der US-Intervention in Libyen, obwohl sie auch mit der fortschreitenden Wüstenbildung in der Region zusammenhängt, die ein Produkt des Klimawandels ist und die Viehzüchter:innen gegen die sesshaften landwirtschaftlichen Gemeinschaften aufbringt.

In Lateinamerika haben die von Inflation, Arbeitslosigkeit und Schuldknechtschaft geplagten Volkswirtschaften einige rechte Regierungen zu Reformen herausgefordert, aber überall haben sich die Oppositionellen als unwillig erwiesen, die Arbeiter:innen und die Armen auf dem Land und in der Stadt gegen die Elite zu führen. Putsche und konterrevolutionäre Bewegungen waren der Preis dafür.

Die Europäische Union hat in den 2000er Jahren 13 Länder aufgenommen, darunter den größten Teil des ehemaligen Ostblocks. In allen Fällen waren diese an die imperialistischen Bedürfnisse Deutschlands und in geringerem Maße Frankreichs und Italiens als Quelle billiger Arbeitskräfte und Standort für die durch Produktionsauslagerung erzielten Superprofite gebunden. Autoritäre Regierungen neigen dazu, sich mit einer Mischung aus rechtem Nationalismus und neoliberalem „Wachstum“ auf dieses Pulverfass zu setzen.

Die halbkoloniale Abneigung gegen die westlich dominierte imperialistische Ordnung wurde von China geschickt durch die sogenannte „Schuldendiplomatie“ ausgenutzt, indem es Kredite ohne menschenrechtliche Auflagen anbot. Aber wie Sri Lanka zeigt, hat der Austausch eines imperialistischen Kredithais gegen einen anderen diese Länder weder vor den Verwüstungen der internationalen Märkte geschützt noch ihren neuen Gläubiger daran gehindert, seine Eigentumsrechte an seinen Investitionen geltend zu machen.

2.4 Von der Rivalität zum Krieg

In den letzten zehn Jahren hat sich eine neue Phase der Rivalität zwischen den alten imperialistischen Mächten Europa, Nordamerika und Japan und den Neuankömmlingen China und Russland entwickelt, die ihren Platz an der Sonne einfordern. Früher oder später musste dies in einen offenen Konflikt münden. Die Ära der wohlwollenden Synergie zwischen den USA und China in den 1990er und frühen 2000er Jahren, die den Anspruch Washingtons untermauerte, eine neue Weltordnung geschaffen zu haben, ist längst vorbei. Russland, dessen kapitalistische Restauration sich endlich von den Nachwirkungen der „Schocktherapie“ erholt hatte, war der Ansicht, dass diese „Ordnung“ seinen Einflussbereich verkleinert hatte, und machte sich daran, ihn durch militärische und politische Interventionen wiederherzustellen – im Kaukasus, im Nahen Osten, in Afrika südlich der Sahara und in Osteuropa.

Jetzt erleben wir nicht nur einen Verdrängungswettbewerb, sondern auch Handelskriege, einen neuen Kalten Krieg und stellvertretende heiße Kriege. Libyen, Syrien, Jemen, Äthiopien, Sudan, Myanmar, Mali und andere sind Opfer einer neuen Periode der Großmachtrivalität, in der regionale und imperialistische Mächte Bürger:innenkriege schüren und die Bestrebungen nach Wirtschaftsentwicklung und Bekämpfung des Klimawandels zunichtemachen.

Darüber hinaus droht ein Krieg zwischen den Großmächten, deren Pulverfässer in Osteuropa, im Nahen und Fernen Osten liegen. Neue Allianzen werden ins Leben gerufen (AUKUS: Militärbündnis USA, Großbritannien mit Australien)) und alte aufgefrischt (NATO, Quad: Quatrilateraler Sicherheitsdialog; Block aus USA, Australien, Indien und Japan). Dazu gehören auch das Säbelrasseln im Südchinesischen Meer und der Versuch der westlichen imperialistischen Mächte, Putin durch massive Waffenlieferungen an die Ukraine und beispiellose Wirtschaftssanktionen zu demütigen und stürzen.

Das von den USA und dem Vereinigten Königreich geführte Sanktionsregime und die Aussetzung der russischen Öl- und Gaslieferungen nach Europa stellen einen großen Rückschlag für das deutsch-französische Projekt dar, die EU in einen unabhängigen imperialistischen Block zu verwandeln. Die Widersprüche innerhalb Europas werden immer größer, je länger der Krieg andauert. Europa ist das schwächste Glied in der imperialistischen Kette und trotz aller Niederlagen, die seine Arbeiter:innen im letzten Jahrzehnt erlitten haben, bleibt es der Kontinent mit den politisch erfahrensten Arbeiter:innenbewegungen, wenn auch mit den Führungen, die am routiniertesten darin sind, sie zu verraten.

Doch die Machthaber:innen in Washington, Berlin, Paris und London, auch in Peking und Moskau, spielen mit dem Feuer. Das Erbe von Donald Trumps Präsidentschaft und seine Umwandlung der Republikaner:innen in eine rechtspopulistische Partei, die demokratische Konventionen wie die Anerkennung von Wahlergebnissen verachtet, ist ein wichtiger Destabilisierungsfaktor, auch wenn sich Präsident Bidens Außenpolitik nur in den Schwerpunkten von der seines Vorgängers und potenziellen Nachfolgers unterscheidet. Schon jetzt setzt Trumps Oberster Gerichtshof eine reaktionäre Agenda gegen Frauen um (Aufhebung des Urteils Roe versus Wade, das Abtreibungen erlaubte) und ist bestrebt, Farbigen ihre hart erkämpften Bürger:innenrechte zu entziehen. Die giftigen Unterschiede zwischen liberalen und reaktionären US-Bundesstaaten und Wähler:innenblöcken bedrohen die Supermacht der Welt mit lähmenden internen Konflikten. Die Rolle der Vereinigten Staaten als Polizist einer „Weltordnung“ verkehrt sich in ihr Gegenteil, in die eines Brandstifters.

In Russlands vermeintlicher Einflusssphäre flammten im Kaukasus Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach und in Zentralasien zwischen Kirgistan und Tadschikistan um das Gebiet Batken auf. Das Vorhandensein mehrerer gemischter Ethnien ist eine Einladung an die despotischen Herrscher:innen dieser Gebiete, den internen Druck durch Kriege und ethnische Säuberungen zu lösen, wie sie in den 1990er Jahren Jugoslawien zerrissen haben.

Im Nahen Osten, in Syrien, wo die russischen Truppen noch immer präsent sind, und in Rojava, wo das US-Militär noch immer stationiert ist, sowie in der Türkei, die die kurdischen Streitkräfte auf beiden Seiten ihrer Grenze bedroht, schlummert ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann; trotz der chinesischen Vermittlung wird sich der Bürger:innenkrieg im Jemen wahrscheinlich als hartnäckiger Ausdruck der von den Großmächten angeheizten saudi-iranischen Regionalkonkurrenz erweisen. Unterdessen nutzt Israel den Krieg in Europa, um seine Besiedlung des Westjordanlands und Ostjerusalems zu verstärken. Seine westlichen Unterstützer:innen, ob sozialdemokratisch, liberal oder konservativ, arbeiten unermüdlich daran, die Palästinasolidaritätsbewegung mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen.

Trump, Biden und Putin, die alle behaupteten, ihre Staaten seien „wieder da“, finden ihre Nachahmer:innen in Delhi, Ankara, Brasilia, Jerusalem und Riad. Jetzt tauchen solche „Störenfriede“ auch in Europa auf – in Ungarn, Polen und möglicherweise auch in Schweden, Italien oder Spanien.

Hinter diesen autoritären Führer:innen haben im letzten Jahrzehnt reaktionäre, oft rassistische Massenbewegungen zugenommen, die sich gegen Minderheiten richten und sich unter den Bedingungen einer tiefen und lang anhaltenden sozialen Krise zu vollwertigen faschistischen Bewegungen entwickeln können. All diese Prozesse stellen nach den Entwicklungen der vorangegangenen Jahre einen bedeutenden Rechtsruck dar; sie sind eine ernsthafte Herausforderung für die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten in der Welt, ihre Kampfkräfte zur Verteidigung der vergangenen Errungenschaften neu zu formieren. Aber der Erfolg erfordert die Vorbereitung der Mittel, um in die Offensive zu gehen, um die Gesellschaft dauerhaft von diesen Kräften zu befreien, die die Welt in die Katastrophe zu führen drohen.

Internationalist:innen auf der ganzen Welt müssen sich dagegen wehren, in eines der sich bekriegenden imperialistischen Lager hineingezogen zu werden, auch nicht durch deren Behauptung, Demokratie oder Antiimperialismus zu vertreten. Die USA und ihre NATO-Verbündeten sind nicht mehr das einzige imperialistische Lager, und China und Russland sind keine Antiimperialist:innen. In den alten „demokratischen“ imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas nutzen die herrschenden Klassen die berechtigte Empörung der Massen über Russlands Gräueltaten in der Ukraine oder Chinas Unterdrückung der Uigur:innen, der Tibeter:innen oder die Zerschlagung der demokratischen Rechte in Hongkong aus, um ihre kalten Kriege, ihre Aufrüstung und den Einsatz von Kriegen wie dem der Ukraine als Stellvertreterin zu rechtfertigen, um Russland zu schwächen. Ihre Behauptung, die Demokratie gegen die Autokratie zu verteidigen, ist lediglich eine Waffe, um fortschrittliche Menschen zu täuschen und rekrutieren.

Andererseits umwerben Moskau und Peking die Regierungen der halbkolonialen Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, indem sie die Heuchelei des Westens anprangern, seine wirtschaftliche Ausbeutung und Nötigung durch den IWF, die Auferlegung rücksichtsloser Sparmaßnahmen, seine brutalen Invasionen, die denen Russlands völlig gleichkommen, und seine Besetzungen, seine Wirtschaftsblockaden (Kuba, Venezuela, Iran, Nordkorea) beim Namen nennen und beschämen. Beide Lager können sich gegenseitig schwere ideologische Schläge versetzen, weil beide Anschuldigungen weitgehend wahr sind. Aber die Wahrheiten über die Verbrechen der einen Seite dürfen uns nicht blind machen für die ebenso entsetzlichen Verbrechen der anderen. Nichtsdestotrotz müssen Revolutionär:innen die Berechtigung derjenigen, die legitimen Widerstand gegen die Plünderungen einer der imperialistischen Mächte leisten, objektiv bewerten und anerkennen, während sie gleichzeitig den eigentlichen Grund der Gegner:innen aufdecken, sich für ihre Opfer einzusetzen, und damit das Gebot der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse vom und den Widerstand gegen den Imperialismus in Ost und West zu verteidigen.

So können wir uns für den Kampf der Ukraine um Selbstverteidigung oder für die von Peking bedrohten oder unterdrückten Völker einsetzen, ohne die Kriegsvorbereitungen und das Wettrüsten der NATO-Mächte zu unterstützen, geschweige denn direkt militärisch zu intervenieren. Gegenüber allen imperialistischen Mächten vertreten wir den striktesten revolutionären Defätismus: Mit den Methoden des Klassenkampfes, um ihre Kriegspläne zu vereiteln und zu besiegen, bereiten wir die revolutionären Kräfte und die objektive Grundlage für die soziale Revolution und den Sturz unserer eigenen Herrscher:innen vor. In den Ländern, die politisch und wirtschaftlich dem Imperialismus untergeordnet sind (Halbkolonien), verteidigen wir diese gegen den Imperialismus, wobei wir eine unbedingte politische Opposition und Unabhängigkeit von ihren bürgerlichen Führungen aufrechterhalten. In diesen Ländern ist unsere Perspektive die der permanenten Revolution: durch den Kampf, die Arbeiter:innenklasse an die Spitze eines legitimen Krieges zu bringen, den Weg zu einer sozialen Revolution unter ihrer Führung zu öffnen.

2.5 Klimakatastrophe

Die ungebremste Zerstörung der Umwelt, die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und der Ausstoß von Treibhausgasen, die den Planeten erwärmen, haben einen entscheidenden Wendepunkt erreicht, der eine tödliche Bedrohung für die natürlichen Lebensgrundlagen und die menschliche Zivilisation darstellt.

Die Zunahme extremer Wetterereignisse, Überschwemmungen, Brände, Hungersnöte und Dürren von nie dagewesener Intensität und das beschleunigte Abschmelzen des Polar- und Gletschereises mit der damit einhergehenden existenziellen Bedrohung für niedrig gelegene Länder sind alles Anzeichen dafür, dass der Klimawandel in eine tödliche und unkalkulierbare neue Phase eintritt.

Die Erwärmung des Klimas stellt die unmittelbarste Bedrohung dar, aber sie ist keineswegs die einzige. Die Versauerung und Verschmutzung der Ozeane, die Überlastung und Unterbrechung der Nährstoffkreisläufe, die Erschöpfung des Grundwasserspiegels, die Dezimierung der biologischen Vielfalt und die Anhäufung giftiger Chemikalien in der Umwelt und den Nahrungsketten – all dies stellt eine Bedrohung für die Existenz der Menschheit dar.

Angesichts der realen Auswirkungen, der apokalyptischen Modellierung der wahrscheinlichen Entwicklungen sind die Vorschläge zur Verlangsamung und Umkehrung der drohenden Katastrophe klar, aber die Großmächte der Welt weigern sich, echte Maßnahmen zu ergreifen. Der Wiedereintritt der USA in das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Emissionen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass jedes Klimaabkommen lediglich die Weigerung der größten Umweltverschmutzer:innen und ihrer aufstrebenden Konkurrent:innen unterstreicht, die Profite ihrer Konzerne durch die Auferlegung echter Emissionsreduzierungen zu gefährden.

Der Kapitalismus zerstört nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern hat sich zu einem globalen System des Umweltimperialismus entwickelt, das durch ungehemmte Weltmärkte gekennzeichnet ist, auf denen der Handel zugunsten der reichen imperialistischen Länder organisiert wird. Die Grundlage dafür ist die immer stärkere Konzentration des Kapitals und die Unterdrückung der halbkolonialen Länder durch die Kontrolle über kritische Technologien und Kapitalexporte.

Die Ausbeutung der halbkolonialen Länder durch den imperialistischen Kern wird ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen intensiviert; die sozialökologischen Kosten der kapitalistischen Produktion werden systematisch auf die Halbkolonien übertragen. In den meisten Fällen können sich die monopolistischen Agrar-, Bergbau- und Energiekonzerne darauf verlassen, dass die lokalen Regierungen als willige Vollstreckerinnen gegen die Proteste der Bevölkerung auftreten. Währenddessen wird in den imperialistischen Zentren die räuberische und unhaltbare Ausbeutung des globalen Südens hinter der zynischen Vermarktung von „nachhaltiger“ Produktion und „fairem“ Handel verborgen – eine einfache, aber wirksame Propaganda im Dienste des „business as usual“ für Monsanto (Bayer), Glencore und Unilever.

Während die Nutzung und Veränderung der Umwelt zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse notwendig ist und im Sozialismus fortbestehen wird, sieht sich der Kapitalismus durch seinen grenzenlosen Drang zur Akkumulation in Richtung Zerstörung der Umwelt getrieben. Es ist das unersättliche Streben nach Profit, die Ausbeutung der Menschen und des Planeten, die die kapitalistische „Entwicklung“ unvereinbar mit den Bedürfnissen der Umwelt und dem Fortschritt der Menschheit machen. Die Tatsache, dass der Kapitalismus unaufhaltsam die natürlichen Grundlagen seiner eigenen Existenz untergräbt, beweist, dass er ein sterbendes System ist. Es stellt sich die Frage: Wird er mit der sozialistischen Umgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung beendet oder wird die Menschheit auf dem Weg in die Barbarei weiterschlittern?

2.6 Rezession

Die Bemühungen der Zentralbanken der Großmächte, die Inflation zu bekämpfen, indem sie die Zinssätze nach einem Jahrzehnt mit historischen Tiefstständen von nahezu null anheben, führen zu einer neuen Rezession. Die unvermeidliche Folge ist ein Einbruch der Nachfrage, eine Zunahme der Insolvenzen und ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Staatshaushalte sind bereits durch die enormen Schulden aus den Bankenrettungen von 2008 – 2010, die Stützung von Zombieunternehmen und die Aufrechterhaltung der beispiellosen staatlichen Aufwendungen durch die Pandemie überlastet. Hinzu kommt ein enormes Ausufern der unproduktiven Ausgaben für Aufrüstungsprogramme.

Die Inflation senkt den realen Wert der Löhne und der Ausgaben für Gesundheits-, Sozial- und Bildungsprogramme – ganz zu schweigen von den bereits unzureichenden Zusagen der Weltgipfel zur Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels. Angesichts dessen werden die Rufe nach Sozialabbau, Lohnzurückhaltung und Haushaltskürzungen immer lauter.

In den USA, dem reichsten Land der Welt, lag die offizielle Armutsquote im Jahr 2021 bei 11,6 Prozent, was 37,9 Millionen Menschen entspricht. Weltweit lebt fast die Hälfte der Weltbevölkerung von 5,50 US-Dollar pro Tag oder weniger. Etwa 2,6 Milliarden Menschen haben keine sanitäre Grundversorgung und 1,6 Milliarden leben ohne Strom. Mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung bewohnen Länder, in denen die Ungleichheit zunimmt.

Multinationale Konzerne nutzen Millionen und Abermillionen prekär Beschäftigter als Reservearmee, die ausgebeutet werden, wenn die Gewinne am höchsten sind, und die in Zeiten der Rezession oder Stagnation für sich selbst sorgen müssen. Angetrieben von der unerbittlichen Logik der kapitalistischen Konkurrenz verlagern sie ihre Fabriken, Banken und Büros dorthin, wo sie den größten Profit erzielen können. So wird die Arbeitslosigkeit, die seit der CoVid-Pandemie bereits fortschreitet und durch den Sanktionskrieg noch verschlimmert wurde, wie ein Tsunami über die Welt hereinbrechen. Die Lohnabhängigen werden auf die spärlichen Ressourcen der Familie zurückgeworfen – auf die Lebensmitteltafeln in den imperialistischen Ländern und in die Flüchtlingslager der abgehängten Halbkolonien.

Darüber hinaus droht eine weitere technologische Revolution, die künstliche Intelligenz (KI) und die Robotik, die lebendige Arbeit massiv zu ersetzen, um die Produktivität zu steigern, obwohl sie in Wirklichkeit langfristig die Profitrate senken und die Krise des Systems insgesamt verschärfen wird. Die Kapitalist:innen träumen nur davon, die Arbeitskosten zu senken und die Zahl ihrer Beschäftigten zu reduzieren, nicht aber die Zahl ihrer Arbeitsstunden. Nunmehr bedroht die KI die Arbeitsplätze von mittleren Angestellten, Bürokräften und Dienstleister:innen in enormem Ausmaß.

Die Arbeiter:innenklasse hat vor zwei Jahrhunderten gelernt, dass der Widerstand gegen die Einführung und Anwendung neuer Technologien, etwa durch Maschinenstürmerei, zwecklos ist. Die Antwort der Arbeiter:innen besteht darin, die neuen Technologien zu nutzen, um die Arbeitszeit zu verkürzen und die für Körper und Geist schädlichen Arbeitsformen abzuschaffen. Die Technologie selbst kann die Kontrolle der Menschheit über die Produktion und die Interaktion mit unserer natürlichen Umwelt enorm erleichtern. Damit dies zu einem gesellschaftlichen Ziel wird, müssen wir die Überwachung und Kontrolle durch die Arbeiter:innenschaft, die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit und die Anhebung der Löhne, Renten und Sozialleistungen auf ein angemessenes Lebensniveau durchsetzen, das mit dem Preisanstieg Schritt hält. In einer geplanten und vergesellschafteten Wirtschaft könnten KI und der Einsatz von Robotern einen starken Impuls für die Emanzipation der Arbeit geben, indem sie es ihr ermöglichen, kreativer zu werden und generell die Bereiche zu vergrößern, die die menschliche Intelligenz abdecken kann.

3. Kampf und Führung

3.1 Fronten des Widerstands

Die Große Rezession von 2008 löste eine Welle demokratischer Revolutionen im Nahen Osten aus, bei denen Arbeiter:innenstreiks wie in Ägypten und Tunesien eine entscheidende Rolle beim Sturz der alten Diktatoren spielten, aber nicht zu einer „dauerhaften“ Revolution in dem Sinne wurden, dass die Arbeiter:innenklasse die politische Führung übernahm und es zur Bildung von Arbeiter:innenregierungen kam. Selbst als demokratische Revolutionen scheiterten sie also, und islamistische und militärische Kräfte gelangten an die Macht.

Im gleichen Zeitraum verliehen die Massenproteste, Platzbesetzungen und Streiks gegen die Sparmaßnahmen in Europa, insbesondere in Spanien und Frankreich, den ersten Jahren des Jahrzehnts einen explosiven Charakter. Im Jahr 2010 kündigte die französische Regierung drastische Rentenkürzungen und eine Anhebung des Renteneintrittsalters an, was einen dreiwöchigen Generalstreik auslöste, der an Mobilisierungen wie die von 1995 und 2006 erinnerte, die die Regierung zum Rückzug zwangen. Dieses Mal blieb der Kampf trotz der seltenen Einigkeit zwischen den Gewerkschaftsverbänden, der starken Unterstützung durch die Öffentlichkeit und der regen Beteiligung vieler Teile der Arbeiter:innenbewegung letztlich erfolglos. In anderen Ländern, in denen „soziale Bewegungen“ wie der britische Rentenstreik und die Student:innenrevolte von 2010/2011 stattfanden, gelang es den Regierungen, die Unruhen ohne Zugeständnisse zu überstehen.

Doch nirgendwo war der Kampf so langwierig und intensiv wie in Griechenland. Ab 2009 durchlief das Land eine Finanz- und Industriekrise, die ein Viertel der Wirtschaft des Landes vernichtete. Als Reaktion auf eine Reihe brutaler Kürzungsprogramme, die – auf Geheiß der deutschen Regierung – von der „Troika“ aus EZB, EU-Kommission und IWF diktiert wurden, starteten die griechischen Gewerkschaften zwischen 2010 und 2015 eine Reihe von 28 verschiedenen Generalstreiks (20 von 24 Stunden und vier von 48 Stunden). Die Syriza-Regierung, die mit einem Programm gewählt wurde, in dem sie sich den Forderungen der Troika widersetzte, und die durch das überwältigende Mandat des „Oxi“-Referendums unterstützt wurde, brach bald zusammen und verhängte die geforderten Sparmaßnahmen.

Nach den Niederlagen der sozialen Bewegungen, den Enttäuschungen, dem Scheitern und Verrat durch verschiedene sozialdemokratische oder linkspopulistische Parteien und der Niederschlagung des Arabischen Frühlings durch die Konterrevolution kam es zu einem allgemeinen Rückgang des Niveaus der Klassenkämpfe, der in den Schließungen von CoVid-19 und der Rezession gipfelte.

Jetzt gibt es überall auf der Welt Anzeichen für eine Erholung des industriellen Widerstands und die Entwicklung neuer revolutionärer Möglichkeiten.

Die brisanteste Situation in der Zeit nach der Pandemie begann mit dem Aufstand gegen die klerikale Diktatur im Iran, der durch die Ermordung von Jina Mahsa Amini durch die sogenannte Sittenpolizei ausgelöst wurde. Zwei Monate lang füllten Massenproteste unter den Slogans „Frauen, Leben, Freiheit“ und „Nieder mit den Mullahs“ die Straßen. Die Proteste, zu denen auch Streiks und das symbolische Ablegen des Kopftuchs durch Frauen gehörten, waren eine der größten Herausforderungen für das Regime seit Jahren. Da es der Bewegung jedoch nicht gelang, den Protest in einen Aufstand in Form eines Generalstreiks und der Bildung von Schoras (Räten) zu verallgemeinern, hatte der Staatsapparat Zeit, seine Position zu stabilisieren und konnte ihn schließlich mit seinen Waffen – Massenverhaftungen, Folter und Mord – niederschlagen. Während das Fehlen einer revolutionären politischen Führung es dem Regime ermöglichte, dieses Mal die Initiative zu ergreifen, ist ein großer Teil der iranischen Massen dem herrschenden System nun endgültig entfremdet: Die nächste Explosion wird noch größer ausfallen.

In den USA gab es eine Welle von Streiks in Fabriken, Schulen und in der Logistik sowie gewerkschaftliche Aktionen in den neuen Online-Dienstleistungsunternehmen wie Amazon und der sogenannten Gig-Economy mit ihren befristeten Arbeitsverträgen. Zu den wichtigen Siegen und Zugeständnissen für die Beschäftigten zählen die einmonatigen Aktionen von 10.000 Mitgliedern der Automobilarbeiter:innengewerkschaft UAW bei John Deere und die gefeierten Lehrer:innenstreiks.

In Großbritannien führte der Inflationsanstieg zu einer Reihe von eintägigen Streiks der Beschäftigten im Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungswesen, wobei die Zahl der durch Streiks für die Kapitalist:innen verlorenen Tage so hoch war wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Während die Weigerung der Gewerkschaftsführer:innen, die Maßnahmen zu eskalieren und koordinieren, in einer Folge von Abschlüssen unterhalb der Inflationsrate endete, hat sich der Widerstand gegen diese Ausverkäufe zu den ersten Versuchen seit vielen Jahren verdichtet, eine Organisation der Basis aufzubauen.

Die entschlossene Offensive des französischen Präsidenten Emmanuel Macron gegen das Rentensystem löste eine Welle von eintägigen Streiks und Mobilisierungen aus. Zum ersten Mal handelten alle großen Gewerkschaftsverbände gemeinsam – doch statt einer Eskalation kam es zu einer Abwiegelung, da die Gewerkschaften abwarteten, ob das Parlament, das keine Macron-freundliche Mehrheit hatte, das Gesetz blockieren würde. Macron vermied dieses Szenario, indem er auf die Verordnungsbefugnisse zurückgriff, die den Präsident:innen unter der bonapartistischen Verfassung der Fünften Republik zustehen. Die französischen Arbeiter:innen, die kämpferischsten in Europa, haben wieder einmal gezeigt, welchen Preis jede noch so militante Bewegung zahlt, der es an einer revolutionären Führung mangelt, die in der Lage ist, einen Kampf zum Sieg zu führen.

Im August 2022, als die Inflation bei über 70 Prozent lag, zwangen die argentinischen Gewerkschaften die Regierung und die Unternehmer:innen zu einer Erhöhung der Löhne und der Arbeitslosenunterstützung. Im selben Monat gingen 600.000 südafrikanische Lohnabhängige in allen neun Provinzen auf die Straße, um ein Grundeinkommen, einen existenzsichernden Mindestlohn und eine Begrenzung der Kraftstoffpreise und Zinssätze zu fordern. In Indien folgte auf den eintägigen Streik von 150 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Sektors im Jahr 2016 im November 2020 ein weiterer 24-stündiger Streik, an dem sich 250 Millionen Beschäftigte beteiligten. In China ereignen sich in der riesigen Industriezone des Perlflussdeltas jedes Jahr bis zu 10.000 Arbeitskonflikte.

Kann diese neue Welle auf die große Zahl der derzeit nicht organisierten Proletarier:innen übergreifen? Können Aktivist:innn an der Basis dafür sorgen, dass diese neuen kämpferischen Arbeiter:innen sich Gehör verschaffen, ja, dass sie entscheidend sind? Wie alle Aufschwünge des Klassenkampfes zeigen, werden diese Gelegenheiten verpasst werden, wenn es keine alternative Führung zu reformistischen bzw. zentristischen Parteien und Gewerkschaftsbürokratien oder libertärem „spontanem“ Durcheinander gibt, und Gegenreform oder Konterrevolution werden den Sieg davontragen. Die Frage ist, wie kann eine revolutionäre Führung, eine Partei, aus der heutigen Verwirrung hervorgehen?

An diesem Punkt wird das politische Eingreifen in die Gewerkschaftskämpfe, um die Schaffung einer anderen politischen Führung voranzutreiben, die mit einer alternativen Strategie bewaffnet ist, die auf dem Klassenkampf basiert und auf den Sturz des Kapitalismus abzielt statt auf Verhandlungen und Kompromisse innerhalb seiner Grenzen, von größter Bedeutung. Die Entwicklungen innerhalb der Power Loom Workers‘ Union (Webereiarbeiter:innengewerkschaft) in Faisalabad, Pakistan, wo es Bestrebungen gibt, die Masse der Arbeiter:innen in Richtung einer solchen „klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung“ zu bewegen, sind nur ein Beispiel. Das Ziel dieses Ansatzes ist die Schaffung von Arbeiter:innenmassenparteien, die von allen bürgerlichen Kräften unabhängig sind und deren Organisation und Führung die Kampfkraft der gesamten Arbeiter:innenfront und der damit verbundenen Kämpfe der national, rassistisch und sozial Unterdrückten qualitativ verändern können.

Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse, kämpferische Aktion und Basisdemokratie sind entscheidende Fragen in der kommenden Periode. Sie können der Entwicklung von revolutionären Parteien auf internationaler Ebene und einer Fünften Internationale enorm helfen. Es ist daher die Pflicht der Vorhut-Elemente in den Gewerkschaften und revolutionären Organisationen, den Kampf zu verstärken, um das Gewerkschaftsbündnis mit bürgerlichen Parteien zu brechen – wie zum Beispiel zwischen der Demokratischen Partei und der AFL-CIO in den USA oder die Unterordnung der Gewerkschaft unter die Peronist:innen in Argentinien – mit dem Ziel, wirklich unabhängige Arbeiter:innenparteien zu gründen.

3.2 Krise der Führung

Sozialdemokratische, Labour- und kommunistische Parteien haben den Kapitalist:innen lange Zeit als alternative Regierungsparteien in den europäischen imperialistischen Staaten gedient. In Indien hat die Linksfront (CPI, CPI(M) [indische KPen] und andere) dies auf regionaler Ebene ebenfalls getan; ebenso die südafrikanische kommunistische Partei innerhalb des ANC (Partei Afrikanischer Nationalkongress) seit dem Ende der Apartheid; ein Weg, der wiederum von der brasilianischen Arbeiter:innenpartei (PT) im 21. Jahrhundert beschritten wurde.

Was diese Parteien gemeinsam haben, ist eine privilegierte Schicht professioneller Bürokrat:innen und Parlamentarier:innen, die in der Praxis den Kapitalismus als dauerhaftes System betrachten und den Bossen dienen, ob an der Regierung oder in der Opposition. Sie vereiteln die Versuche ihrer Mitglieder aus der Arbeiter:innenklasse, diese Parteien als wirksame Waffen des Kampfes einzusetzen. In Europa und Asien haben diese Organisationen, obwohl sie einst ihre Dienste für begrenzte soziale Reformen angeboten haben, in den letzten zwanzig Jahren die von der Kapitalist:innenklasse geforderte neoliberale, marktfreundliche Politik übernommen, und in der Zeit nach 2008 gerieten ihre „Reformen“ zu Sparpolitik, Privatisierung und Angriffen auf die Löhne.

Mit der Restauration des Kapitalismus in der ehemaligen Sowjetunion, Osteuropa und China sind auch die stalinistischen kommunistischen Parteien der Welt weit nach rechts gerückt. In West- und Mitteleuropa haben sie einen Teil des politischen Raums eingenommen, den die neoliberale Sozialdemokratie verlassen hat. In Worten haben sie den Neoliberalismus kritisiert, aber in der Praxis war selbst der kleinste Anteil an der Regierung ein ausreichender Preis, um die Kapitulation und Durchführung von Kürzungen und Privatisierungen durch Parteien wie Rifondazione Comunista (Italien), die französische kommunistische Partei und DIE LINKE in Deutschland zu erkaufen.

Das Regieren für den Kapitalismus führte dazu, dass die CPI-CPI(M)-Regierung in Westbengalen als Vollstreckerin für ausländisches und einheimisches Kapital gegen die dörfliche und Stammesbevölkerung auftrat, deren Land sie enteignen wollte. Die Unterdrückung der Dorfbewohner:innen von Nandigram in Westbengalen wurde weltweit berüchtigt. Ihr „Lohn“ war ein erdrutschartiger Wahlsieg im Jahr 2011 durch die bürgerliche Allianz aus Trinamool Congress und Indischem Nationalkongress, und bei den Wahlen im Mai 2019 wechselte fast ihre gesamte soziale Basis zur BJP, einer hindunationalistischen Partei.

In den 2010er Jahren gab es neue reformistische Formationen, Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien, den Bloco de Esquerda in Portugal und die Corbyn-Bewegung in Großbritannien. In den USA führten die Vorwahlen der Demokratischen Partei mit der Kandidatur von Bernie Sanders 2016 und 2019 dazu, dass sich die Democratic Socialists of America, wenn von der zweiten Partei des US-Imperialismus halb abgesetzt hat.

Maoistische Parteien, insbesondere die in Nepal und Indien, haben ebenfalls eine radikalere Rolle gespielt. Die Kommunistische Partei Nepals (NCP) ist ein Zusammenschluss der CPN (Einheitliche Marxistisch-Leninistische Partei) und der CPN (Maoistisches Zentrum) aus dem Jahr 2018, dessen beide Parteien bei den Wahlen 2017 einen Erdrutschsieg errangen. Ihr Bekenntnis zur stalinistisch-maoistischen Strategie der „Revolution in Etappen“, die offen sozialistische Maßnahmen und Arbeiter:innenmacht ablehnt, stellt sicher, dass sie die Fehler und den Verrat ihrer Schwesterparteien anderswo wiederholen wird.

Die Kommunistische Partei Indiens (Maoist:innen) entstand als Guerillatruppe unter den landlosen und armen Bauern und Bäuerinnen und Adivasi (indigene Völker), die sich dagegen wehren, dass ihr Land von multinationalen Unternehmen oder indischen Milliardär:innen übernommen wird. Sie verfolgen die alte maoistische Strategie der „Umzingelung der Städte“, aber in einem Land mit einer riesigen und wachsenden Arbeiter:innenklasse, in dem die Grenzen der Etappentheorie und der Guerillastrategie immer deutlicher werden, können sie keine Strategie für eine sozialistische Revolution bieten.

Viele Linke, angeführt von der Vierten Internationale (Vereinigtes Sekretariat), sahen im raschen Aufstieg von Syriza eine Bestätigung ihrer Ablehnung des leninistischen Parteimodells zugunsten „breiter“ Bündnisse, die sowohl revolutionäre als auch reformistische Strömungen umfassen. Es ist zwar richtig, sich solchen Formationen wie Syriza anzuschließen, wo immer sie eine Abkehr einer ernstzunehmenden Zahl von Arbeiter:innen und Jugendlichen vom Liberalismus, der rechten Sozialdemokratie oder dem Populismus darstellen, aber die Kritik an den grundlegenden Schwächen des Syriza-Projekts zu unterdrücken, bedeutet, die revolutionäre Politik aufzugeben. Ebenso trugen die sogenannten Revolutionär:innen, die in Erwartung des Scheiterns beiseitestanden, nichts zur Vorbereitung der Arbeiter:innenklasse auf die bevorstehenden Schlachten bei.

In Lateinamerika haben die Regime und Bewegungen, die den von Hugo Chávez (Venezuela), Evo Morales (Bolivien), Rafael Correa (Ecuador) und Lula (Brasilien) proklamierten „Sozialismus des einundzwanzigsten Jahrhunderts“ vertraten, zahlreiche Niederlagen erlitten oder sind nach rechts gerückt. Nirgendwo war dies schockierender als im Fall von Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro, auch wenn diese Degeneration zum repressiven Bonapartismus durch die US-Blockade, die wirtschaftliche Sabotage der venezolanischen Bourgeoisie und Putschversuche begünstigt wurde. Der Höhepunkt der braunen Flut reaktionärer Siege war die Wahl von Jair Bolsonaro 2018.

Dennoch hat sich mit der Wahl von Andrés Manuel López Obrador (Mexiko, 2018), Alberto Fernández (Argentinien, 2019), Luis Arce (Bolivien, 2020), Pedro Castillo (Peru, 2021), Gustavo Petro (Kolumbien, 2022) und Gabriel Boric (Chile, 2022) eine Gegenströmung des gemäßigten Linkspopulismus entwickelt. Alle diese Vertreter der neuen „rosa Flut“ sehen sich jedoch mit einem schwierigeren Umfeld konfrontiert als ihre Vorgänger:innen zu Beginn des Jahrtausends in der Zeit der starken Globalisierung. Die Weltwirtschaftskrise und das Erstarken der rechtsextremen Oppositionskräfte bedeuten, dass der Spielraum für die Erfüllung der dringenden Bedürfnisse ihrer Anhänger:innen extrem eingeschränkt ist. Das Gleiche gilt für die kürzlich gewählte Lula-Koalition in Brasilien, die als linker Deckmantel für die reaktionäre Politik eines Teils der brasilianischen Kapitalist:innenklasse dient. Diese Koalition wird von Bolsonaros Unterstützer:innen herausgefordert, die noch offener faschistisch und besser bewaffnet sind als die Gefolgschaft des abgewählten US-Präsidenten Trump. Der jüngste Putschversuch als Reaktion auf die Wahl der Lula-Koalition erinnerte stark an die Erstürmung des US-Kapitols durch Trumpist:innen im Jahr 2021.

Obwohl einige „sozialistische“ Führer:innen der 2000er Jahre bedeutende soziale und demokratische Reformen durchführten, fielen die meisten von ihnen der Krise von 2008 zum Opfer und in jedem Fall enteigneten sie nie die entscheidenden Sektoren der Bourgeoisie oder der multinationalen Konzerne. Wenn sie mit Streiks und Besetzungen konfrontiert wurden, griffen sie meist zu Repressionen und Verhaftungen. In Brasilien ergriffen weder Lula noch seine Nachfolgerin Dilma nennenswerte Maßnahmen gegen den brasilianischen Kapitalismus, noch brachen sie endgültig mit dem Imperialismus oder seinen Agenturen wie dem IWF. Diese Koexistenz kam kaum überraschend, da die PT stets in Koalition mit offenen bürgerlichen Parteien regierte, und es waren diese Kräfte, die sich beim „Putsch“ 2015 gegen die PT wandten, als Dilma abgesetzt und durch ihren Stellvertreter Michel Temer von der bürgerlichen Partei Brasilianische Demokratische Bewegung (PMDB) ersetzt wurde.

Ihr Kompromiss zwischen sozialen Reformen und der Verteidigung des Kapitalismus war damals nicht tragbar und wird es auch in Zukunft nicht sein. Auf jeden Fall werden Maßnahmen wie Verstaatlichungen nur dann „sozialistisch“, wenn ein Arbeiter:innenstaat sie koordiniert und mit der Waffe in der Hand verteidigt. Nur mit Arbeiter:innenkontrolle am Arbeitsplatz und Arbeiter:innenmacht im Staat ist es möglich, eine Wirtschaft zu planen, die die Verschwendung und das Chaos des Marktes beseitigt. Erst wenn die bewaffnete Macht in den Händen der Arbeiter:innen liegt und der militärisch-bürokratische Apparat des bürgerlichen Staates zerschlagen ist, kann der Weg zum Sozialismus national und international geebnet werden.

Ältere lateinamerikanische Regime, die von linksreformistischen oder stalinistischen Kräften geführt werden, wie Kuba, Nicaragua und Venezuela, haben auf die US-Blockaden mit immer repressiveren Maßnahmen reagiert, anstatt die Entfaltung der Demokratie der Arbeiter:innen und Bäuer:innen zuzulassen, geschweige denn die Idee eines echten Antiimperialismus, der die Ausbreitung einer kontinentalen (permanenten) Revolution bedeuten würde.

In Afrika haben Militärputsche, bonapartistische Präsidentschaften, islamistische Aufstände und Terrorismus das Elend der imperialistischen Ausbeutung und Umweltzerstörung noch verschlimmert. Der Traum vom „afrikanischen Sozialismus“, der in der Ära der Entkolonialisierung aufkam, ist längst ausgeträumt und unter der Ausbeutung durch multinationale Konzerne und westliche Banken zerbrochen, die eng mit der enormen Schuldenlast und den vom imperialistisch kontrollierten IWF und der Weltbank auferlegten „Reformen“ verbunden ist.

Die Befreiungsbewegungen in Simbabwe, Tansania, Angola und Mosambik versanken schnell in der Korruption der neuen Eliten und Unterdrückung der Opposition. Die Hoffnungen auf soziale und wirtschaftliche Befreiung, die mit dem Ende der Apartheid in Südafrika verbunden waren, wurden grausam enttäuscht, während die alten weißen Geschäfts- und Grundbesitzeliten geschützt wurden.

Die Unfähigkeit radikaler kleinbürgerlicher Guerillabewegungen und einer „schwarzen Bourgeoisie“, entschieden mit dem Kapitalismus und dem Imperialismus zu brechen, verdammte diese Länder dazu, sich weiterhin dem globalen Imperialismus unterzuordnen. Jetzt ist ein neues Gerangel um Afrika im Gange zwischen den alten Kolonialmächten, vor allem Frankreich und Großbritannien, die von den USA unterstützt werden, und China und Russland; Erstere bieten neue Investitionsquellen in Industrie und Infrastruktur, Letztere Waffenlieferungen und die zynische „Hilfe“ der Wagner-Söldner, die Militärregierungen stützen.

4. Ein Programm von Übergangsforderungen

4.1 Einleitung

Zu lange zerfielen die Programme der Arbeiter:innenparteien in ein Minimalprogramm mit stückweisen Reformen, von denen jede von den Kapitalist:innen wieder weggenommen werden kann, solange sie die Macht im Staate haben, und ein Maximalprogramm – wenn es überhaupt auftaucht –, das zwar das Ziel des Sozialismus formuliert, es aber als eine ferne Utopie darstellt, die von den Erfordernissen der gegenwärtigen Auseinandersetzungen abgekoppelt ist.

Das Programm einer neuen Internationale muss mit diesem gescheiterten Modell brechen. Es muss eine Reihe integrierter Übergangsforderungen aufstellen, die die Losungen und Kampfformen, die zur Abwehr der kapitalistischen Offensive notwendig sind, mit den Methoden verbinden, die wir brauchen, um die bürgerliche Herrschaft zu stürzen, die Arbeiter:innenmacht zu errichten und einen sozialistischen Produktionsplan einzuführen.

Das Übergangsprogramm befasst sich mit den entscheidenden sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen der Zeit, einschließlich der unmittelbaren und demokratischen Forderungen, die vor dem Sturz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse erfüllt werden können, wie z. B. ein garantierter existenzsichernder Lohn, echte Lohngleichheit für Männer und Frauen, hohe Besteuerung der Reichen und der großen Unternehmen. Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass der Kapitalismus in seiner historischen Krise solche Reformen nur dann zulassen wird, wenn er mit einer realen Bedrohung seiner Macht und seines Eigentums konfrontiert ist. Selbst dann werden die Kapitalist:innen versuchen, ihre Zugeständnisse rückgängig zu machen, sobald die unmittelbare Gefahr vorüber ist oder der Druck des Klassenkampfes nachlässt.

Die Vorstellung, dass wir den Sozialismus auf einem allmählichen und friedlichen Weg von Sozialreformen und Gewerkschaftsverhandlungen erreichen können, ist heute utopischer denn je. Ein Programm für den Sozialismus muss die grundlegenden „Rechte“ der Kapitalist:innen in Frage stellen: das Recht auf Ausbeutung, das Recht, den Profit über den Menschen zu stellen, das Recht, sich auf Kosten der Armen zu bereichern, das Recht, die Umwelt zu zerstören und unseren Kindern eine Zukunft zu verweigern.

Die Schlachten von heute zu gewinnen, heißt, mit Blick auf die Zukunft zu kämpfen. Eine Fünfte Internationale muss daher Forderungen aufstellen und Organisationsformen vorschlagen, die nicht nur den heutigen lebenswichtigen Bedürfnissen entsprechen, sondern auch die Arbeiter:innen so organisieren, dass sie die Macht ergreifen und ausüben können. Die Kombination dieser Elemente ist keine künstliche Übung; diese Elemente sind durch die realen Bedingungen des Klassenkampfes in dieser Periode des kapitalistischen Niedergangs miteinander verbunden.

Um das Tor zur zukünftigen Gesellschaft aufzustoßen, fordert unser Programm die Durchsetzung der Arbeiter:innenkontrolle über die Produktion und ihre Ausweitung auf immer weitere Bereiche, von den Fabriken, Büros, Transportsystemen und Einzelhandelsketten bis hin zu den Banken und Finanzhäusern. Dies bedeutet die Abschaffung des Geschäftsgeheimnisses, ein Vetorecht der Beschäftigten gegen Entlassungen, die Inspektion und Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter:innen, eine automatische Lohnerhöhung bei jedem Preisanstieg zur Bekämpfung der Inflation und die entschädigungslose Verstaatlichung (Enteignung) der entscheidenden Wirtschaftssektoren.

Darüber hinaus erfordert der Kampf um diese Forderungen, um sie den Bossen aufzuzwingen, neue Formen der Organisation, die über die Grenzen der Gewerkschaftsbewegung oder der Parlamentswahlen hinausgehen. Auf jeder Ebene des Kampfes muss die Entscheidungsfindung durch demokratische Versammlungen aller Beteiligten zur Norm werden. Von diesen Versammlungen gewählte und abrufbare Delegierte sollten mit der Umsetzung von Beschlüssen und der Kampfleitung beauftragt werden. Von Streikkomitees, die von der gesamten Belegschaft gewählt werden, bis hin zu Preisüberwachungskomitees, die alle Arbeiter:innen in den Gemeinden umfassen, von Arbeiter::inneninspektionskollektiven, die die Geschäftsunterlagen von Firmen prüfen, bis hin zu Streikpostenverteidigungsverbänden, die die Streikenden schützen, sind solche Organisationen nicht nur notwendig, um die heutigen Klassenauseinandersetzungen zu gewinnen, sondern auch, um die Grundlage für die Kampforganisationen von morgen im Sturm auf die Staatsmacht und dann die zukünftigen Organe des Arbeiter:innenstaates zu bilden.

Arbeiter:innen, die sich heute gegen Sozialabbau und Sparprogramme zur Wehr setzen, können diese Forderungen einzeln und gemeinsam gegen spezifische Angriffe erheben, aber das sozialistische Ziel des Programms wird nur erreicht werden, wenn sie als ein zusammenhängendes System von Losungen für die Umgestaltung der Gesellschaft aufgegriffen und erkämpft werden. Das vollständige Übergangsprogramm ist eine Strategie für die Macht der Arbeiter:innenklasse. Aus diesem Grund sind unsere Forderungen keine passiven Appelle an Regierungen oder Unternehmer:innenschaft, sondern Kampfparolen für die Arbeiter:innenklasse, um die Kapitalist:innen zu stürzen und zu enteignen.

4.2 Gegen die kapitalistische Offensive

Gegen jeden Attacke der Kapitalist:innen auf unseren Lebensstandard ist unsere Politik die der Einheitsfront der Arbeiter:innen: die gemeinsame Aktion aller Kräfte der Arbeiter:innenklasse in jedem Land und über Grenzen und Ozeane hinweg.

4.2.1 Ein existenzsicherndes Einkommen, Arbeit für alle und Kontrolle durch die Arbeiter:innen

  • Im Kampf gegen die Inflation, die die Einkommen der Arbeiterklasse entwertet, setzen wir uns für eine gleitende Lohnskala ein – eine Erhöhung von einem Prozent für jedes Prozent Anstieg der Lebenshaltungskosten. Ein Lebenshaltungskostenindex für Lohnabhängige sollte von Preisüberwachungsausschüssen etabliert werden, die sich aus Delegierten zusammensetzen, gewählt von den Betriebsversammlungen, den Arbeiter:innenorganisationen, den Armensiedlungen und den Organisationen von Frauen, Verbraucher:innen sowie Kleinerzeuger:innen und -händler:innen.

  • In Ländern, die mit Hyperinflation konfrontiert sind, werden eine gleitende Einkommensskala und Preisüberwachungsausschüsse nicht ausreichen. Die Verteilung lebenswichtiger Güter und der Zugang zu Nahrungsmitteln erfordern ein unmittelbares Eingreifen: Arbeiter:innenausschüsse müssen in engster Abstimmung mit den landwirtschaftlichen Erzeuger:innen die Kontrolle über die Nahrungsmittelversorgung übernehmen.

  • Für einen landesweiten Mindestlohn, dessen Höhe von Arbeiter:innenausschüssen festgelegt wird, um ein angemessenes Leben für alle zu gewährleisten. Die Renten müssen an die Inflation angepasst, vom Staat garantiert und dürfen nicht der Gnade der Aktienmärkte überlassen werden.

  • Gegen alle Schließungen und Entlassungen kämpfen wir für Streiks und Besetzungen unter dem Motto: Abbau der Stunden, nicht der Arbeitsplätze! Wir setzen uns für eine gleitende Arbeitszeitskala ein, um den Arbeitstag zu verkürzen und die verfügbare Arbeit zu verteilen, ohne dass die Löhne oder Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.

  • Überall auf der Welt berufen sich staatliche und private Unternehmen auf Konkurs, Effizienz und Produktivität, um den Abbau von Arbeitsplätzen zu rechtfertigen. Unsere Antwort: Offenlegung aller Geschäftsunterlagen! Alle Konten, Datenbanken, Finanz-, Steuer- und Managementdaten müssen für die Einsichtnahme durch gewählte Arbeiter:innendelegierte geöffnet und geprüft werden.

  • Jedes Unternehmen, das Entlassungen vornimmt, die Produktion ins Ausland verlagert, gegen Mindestlohn-, Arbeitsschutz- oder Umweltvorschriften verstößt oder Steuern hinterzieht, ist ohne Entschädigung zu verstaatlichen. Die Produktion muss unter Kontrolle und Leitung der Arbeiter:innen fortgesetzt werden!

  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zur Verbesserung der sozialen Dienste, der Gesundheitsfürsorge, des Wohnungswesens, des Verkehrs und der Umwelt unter Kontrolle der Arbeiter:innen und ihrer Gemeinschaften.

  • Nein zu Produktionsausgliederung und -verlagerung in Billiglohnländer. Anstelle der Konkurrenz zwischen Arbeiter:innen verschiedener Nationen um dieselben Arbeitsplätze sollten internationale Zusammenschlüsse von Arbeiter:innen in denselben Unternehmen und Produktionszweigen gebildet werden, um eine Angleichung der Löhne und Arbeitsbedingungen auf Höchststandard zu erstreiten. Tarifverträge und gesetzliche Rechte müssen auch für die Beschäftigten von Zulieferbetrieben gelten.

  • Für sichere Arbeitsplätze: Ablehnung aller Formen von unsicheren, informellen, prekären und Null-Stunden-Arbeitsverhältnissen. Alle Arbeiter:innen sollen mit unbefristeten Verträgen und garantierten Arbeitszeiten beschäftigt werden. Löhne und Arbeitsbedingungen müssen durch Tarifverträge geregelt werden, die von Gewerkschaften und betrieblichen Vertreter:innen kontrolliert werden.

  • Bekämpfung der Intensivierung der Arbeit durch Beschleunigung und „Effizienzsteigerungen“, die lediglich Maßnahmen zur Intensivierung der Ausbeutung und Steigerung der Profite sind und unsere Gesundheit, Sicherheit und unser Leben gefährden.

  • Gegen „Mitbestimmung“, „Sozialpartner:innenschaft“ oder andere Formen der Klassenzusammenarbeit, bei denen die Gewerkschaften die Politik der Kapitalist:innen verwalten, kämpfen wir für die Kontrolle durch die Arbeiter:innen. Das bedeutet das Recht auf ein Veto gegen Managemententscheidungen über Beschäftigung, Produktion, Einführung und Anwendung von Technologie.

4.2.2 Für universelle öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit

Die erbarmungslose Reihe von zynisch als „Reformen“ bezeichneten Einschränkungen öffentlicher Dienstleistungen sind nichts anderes als Sparprogramme, mit denen die Kosten für den Niedergang der öffentlichen Dienstleistungen von den Reichen auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden sollen. Lebenswichtige Dienstleistungen und Ressourcen, von Wasser und Energie bis hin zu Gesundheit und Bildung, die über Generationen aus Steuerbeiträgen und Arbeit der Arbeiter:innenklasse und Mittelschichten bezahlt wurden, sind zu Schleuderpreisen an Kapitalist:innen weitergereicht worden, die sie für ihren privaten Profit ausbeuten, nicht für den öffentlichen Bedarf. Die Milliardär:innen, die einmal von unserer Arbeit profitieren, wollen zweifach auch noch aus unserer Kindheit, unserem Alter und unserer Gesundheit Profit scheffeln. Gleichzeitig besitzen sie die Frechheit zu fordern, dass Sozialhilfe und Renten gekürzt werden, um „Eigenverantwortung zu fördern“ und „die Kultur der Abhängigkeit zu verringern“!

Als Reaktion auf die schamlose Ausplünderung des öffentlichen Vermögens durch private Spekulant:innen fordern wir:

  • Keine einzige Kürzung, keine einzige Privatisierung mehr! Verstaatlichung der wesentlichen Infrastrukturen –Wasser, Energie, Verkehr und Kommunikation – ohne Entschädigung. Beendigung aller öffentlich-privaten Partner:innenschaften und Privatinvestor:innenförderungsprogramme.

  • Verstaatlichung und Ausweitung der besten Bildungs-, Gesundheits-, Wohlfahrts- und Sozialfürsorgesysteme auf die Milliarden von Menschen, die überhaupt nicht versorgt sind. Bildung, Gesundheit und Sozialfürsorge sollten der Kontrolle von Arbeiter:innen und Nutzer:innen unterstehen und für alle kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

  • Das Rentenalter sollte schrittweise gesenkt und nicht erhöht werden. Anhebung der Renten auf ein existenzsicherndes Minimum und Deckung auf allgemeingesellschaftlicher Grundlage, (also unter Einbezug der Reichen). Die privaten Rentensysteme sollten verstaatlicht und zu einer einzigen staatlich garantierten Rente zusammengefasst werden.

  • Öffentliche Dienstleistungen, die am Ort der Erbringung kostenlos sind und aus progressiven Steuern oder Versicherungen bezahlt werden, sind ein wichtiges Mittel, um einen Mindeststandard und einen gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und sozialer Sicherheit für Arbeiter:innen und Arme zu gewährleisten. Öffentliches Eigentum ist jedoch kein Sozialismus. Verstaatlichte Unternehmen und Dienstleistungen kaufen Vorleistungen von Kapitalist:innen, entschädigen frühere Eigentümer:innen, konkurrieren mit Privateigentümer:innen, wenden kapitalistische Managementtechniken an und arbeiten unter der ständigen Bedrohung durch Kürzungen und Privatisierung. Sie können der Zwangsjacke des Profitsystems nie entkommen. Die Arbeiter:innen müssen lernen, die kapitalistische Verstaatlichung von der Vergesellschaftung und Enteignung durch die Arbeiter:innenklasse zu unterscheiden, die dazu dient, die Bosse endgültig zu entmachten. Nur so können Dienstleistungen höchster Qualität von der Wiege bis zur Bahre geplant und erbracht werden, um die Not zu beseitigen und Gleichheit herzustellen.

  • In jedem Fall müssen die Arbeiter:innen- und Nutzer:innenorganisationen die Interessen der Arbeiter:innenklasse gegen die Besitzenden durchsetzen, indem sie sich gegen Rettungsaktionen wenden, die bankrotte Kapitalist:innen auf Kosten der Steuerzahler:innen schonen. Wir sagen: Vergesellschaftung der Vermögenswerte, nicht der Verluste! Die Verstaatlichung unter Arbeiter:innen- und Nutzer:innenkontrolle ist notwendig, um zu verhindern, dass die Regierungen die Verluste übernehmen und die profitablen Vermögenswerte reprivatisieren.

4.2.3 Enteignung des Vermögens der Reichen

Zwischen 2016 und 2022 ist die Zahl der Milliardär:innen von 1810 auf 2668 gestiegen. Damit eine winzige Minderheit in unvorstellbarem Luxus leben kann, müssen Milliarden in unbeschreiblicher Armut existieren. Die Investitionsentscheidungen dieser Finanziers und Industriellen können ganze Länder in die Knie zwingen. Neben den Milliardär:innen leben Hunderttausende von Multimillionär:innen in schamlosem Luxus auf unsere Kosten, während 852 Millionen Menschen hungern und täglich mehr als 1.000 Kinder an den Folgen des Hungers sterben.

Diese Schmarotzerschicht lehnt jeden Versuch, ihren Reichtum zu besteuern und umzuverteilen, vehement ab. Sie versteckt ihr Geld in Steuerparadiesen und manipuliert ihre Staatsbürger:innenschaft und ihren Aufenthaltsstatus, um die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Sie führt eine unaufhörliche Kampagne, damit die Arbeiter:innenklasse den Großteil der Steuerlast trägt, indem die indirekten Steuern auf Grundgüter wie Kraftstoff und Lebensmittel erhöht und die Steuern auf Unternehmen und Vermögen gesenkt werden.

Der Reichtum der Kapitalist:innen, der Finanziers und Industriellen stammt letztlich aus der Arbeit der Arbeiter:innen, Bauern, Bäuerinnen und Armen. Wir sagen:

  • Finanzierung eines massiven Ausbaus der öffentlichen Dienste und von Programmen zur Beseitigung der Armut durch Enteignung des Privatvermögens der Reichen. Abschaffung aller indirekten Steuern und Zerschlagung der Steuerhinterziehungsindustrie durch Schließung von steuerfreien Oasen, Verstaatlichung der vier großen Wirtschaftsprüfungskonzerne.

4.2.4 Für einen Plan der Arbeiter:innen zu internationaler Produktion und Entwicklung

Anstelle eines Flickenteppichs aus staatlichem und privatem Eigentum, das nur durch die Anarchie des Marktes verbunden ist, erfordert die Befriedigung der Bedürfnisse der Menschheit und der Natur einen demokratischen Produktionsplan, mittels dessen die Ressourcen der Welt, einschließlich der menschlichen Arbeitskraft, rational verteilt werden, entsprechend dem Willen der Menschen, die arbeiten, um alles zu produzieren, zu verteilen und zu bedienen. Nur wenn wir die Anarchie des Marktes durch die bewusste Planung einer Weltwirtschaft unter Gemeineigentum ersetzen, werden wir in der Lage sein, die Produktion zur Grundlage kollektiven Wohlstands anstelle der privaten Akkumulation zu machen. In jedem Fall verbinden revolutionäre Kommunist:innen den Kampf für die Enteignung dieses oder jenes Industriezweigs mit der Notwendigkeit, die Kapitalist:innenklasse als Ganzes zu expropriieren. Denn, wie Leo Trotzki es ausdrückte, wird das Staatseigentum nur dann zu günstigen Ergebnissen führen, „wenn die Staatsmacht selbst vollständig aus den Händen der Ausbeuter:innen in die Hände der Werktätigen übergeht“.

Genauso wie die großen Monopole der Welt ihre Produktions- und Vertriebssysteme international planen müssen, muss dies auch eine sozialisierte Wirtschaft tun. Sozialistische Planung bedeutet jedoch, die Wirtschaft nach einem Plan unter demokratischer Kontrolle der Produzent:innen und Verbraucher:innen zu führen und entfalten; sie ist nicht die Herrschaft einer privilegierten Bürokratie, wie sie sich mit der Degeneration des ersten Arbeiter:innenstaates der Welt entwickelte und nach 1945 in anderen Staaten nachgeahmt wurde. Die Existenz einer Weltwirtschaft setzt eine internationale Planung voraus; die „Theorie“ des Sozialismus in einem Land ist eine Illusion. Die sozialistische Planung muss sich weltweit ausbreiten und den kapitalistischen Handel durch den internationalen Austausch von Produkten, Ressourcen und Arbeit ersetzen, um alle Länder und Völker auf das optimale Niveau der sozialen Entwicklung zu bringen. Eine internationale Planwirtschaft ist das zentrale Instrument nicht nur zur Beseitigung von Armut und Ungleichheit, sondern auch zur Verhinderung und Umkehrung der Klimakatastrophe.

Das einzige internationale Planungssystem, das der Kapitalismus vorweisen kann, ist das der imperialistisch dominierten Finanzinstitutionen – IWF, WTO und Weltbank. Die betrügerische Behauptung, sie würden die Schulden der imperialisierten Länder lindern und echte Entwicklungsziele verfolgen, wurde durch die Massenmobilisierungen der antikapitalistischen Bewegung von Seattle 1999 bis Genua 2001 entlarvt. Die darauf folgenden Welt- und Kontinentalsozialforen von 2002 bis 2006 haben ein wichtiges Vermächtnis hinterlassen, nämlich ein globales Bewusstsein für die gemeinsamen Interessen und Kämpfe der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Bauern, Bäuerinnen und indigenen Völker des globalen Nordens und Südens.

Die leeren Versprechen der Globalisierungsinstitutionen, ein „neues Paradigma“ für eine krisenfreie Welt zu schaffen, sind mit dem Crash 2008 endgültig geplatzt. Die Aufgabe von Entwicklungszielen und Kürzung der Entwicklungshilfehaushalte beschleunigten den Rückzug jener Nichtregierungsorganisationen (NGOs) von der politischen Bühne, die mit der Illusion hausieren gegangen waren, dass sich diese Ausbeutungsinstrumente irgendwie reformieren ließen oder verschwinden würden. Als der Vorwand der Krisenbekämpfung den Sparprogrammen wich, griffen der IWF und seine Helfershelfer:innen wieder an. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, neue Bewegungen aufzubauen, die in der Arbeiter:innenklasse und der Bauern- und Bäuerinnenschaft verwurzelt sind und sich weder in die Institutionen der „liberalen Weltordnung“ noch in NGOs, staatliche „Hilfsprogramme“ oder milliardenschwere Wohltätigkeitsorganisationen Illusionen machen. Stattdessen müssen sie ein Programm vorantreiben, das auf der Zerschlagung der imperialistischen Institutionen, der Enteignung der Banken und Konzerne unter Arbeiter:innenkontrolle und der Umverteilung des Bodens an diejenigen, die ihn bearbeiten, beruht.

  • Unmittelbar bedeutet dies den bedingungslosen und vollständigen Erlass der Schulden aller halbkolonialen Länder, verbunden mit Maßnahmen, die die imperialistischen Mächte zwingen, die halbkoloniale Welt für die Ausplünderung ihrer natürlichen und menschlichen Ressourcen zu entschädigen. Das Eigentum und die Kontrolle über die Geschäfte der multinationalen Konzerne müssen an die Arbeiter:innen übergehen, die ihren Reichtum produzieren.

  • Beendigung des Protektionismus gegen die Produkte des globalen Südens. Schafft NAFTA (nordamerikanisches Freihandelsabkommen), die Gemeinsame Agrarpolitik und andere protektionistische Waffen der imperialistischen Staaten ab. Wir unterstützen jedoch das Recht der halbkolonialen Länder, ihre Märkte gegen Billigimporte aus imperialistischen Ländern zu verteidigen.

  • Abschaffung des IWF, der WTO, der Weltbank und aller Sonderwirtschaftszonen.

  • Verstaatlichung der Aktienmärkte. Entschädigungslose Enteignung der Großindustrie unter Arbeiter:innenkontrolle. Verstaatlichung und Fusion der Banken zu einer einzigen nationalen Bank unter Arbeiter:innenkontrolle.

4.3 Gegen Militarismus und Krieg

Als wichtigste Veränderung der Bedingungen, mit denen die Arbeiter:innenklasse seit 2008 konfrontiert ist, erweist sich das Entstehen von zwei neuen imperialistischen Großmächten, die möglicherweise einen strategischen Militärblock miteinander bilden, um die Vorherrschaft der USA und ihrer untergeordneten Verbündeten in Europa und Asien herauszufordern. Dies stellt die alten Weltanschauungen der Arbeiter:innenparteien und linkspopulistischen Bewegungen des globalen Nordens und Südens ernsthaft auf die Probe, die aus den vierzig Jahren des ersten Kalten Krieges stammen.

Die Sozialdemokratie und die Arbeiter:innenbewegung unterstützten weitgehend die „demokratischen“ Imperialismen gegen die „autoritären“ Regime (Russland, China usw.) und betrachteten den „Westen“ als eine fortschrittliche Kraft, die sie entweder an der Regierung oder in der Opposition unterstützen sollten, unabhängig von ihrem sozialen Charakter. Der linke Flügel dieser Parteien lehnte jedoch die kolonialen und halbkolonialen Kriege und Unterdrückungen ab, bezog Stellung aufseiten der blockfreien Länder im Kalten Krieg und beteiligte sich auch an Friedens- und antiimperialistischen Bewegungen.

Die stalinistischen kommunistischen Parteien hingegen unterstützten nicht nur die degenerierten Arbeiter:innenstaaten gegen die imperialistischen Mächte, sondern entschuldigten deren Diktatur über die Arbeiter:innenklasse und in vielen Fällen ihre brutale Repression (Ungarn, Tschechoslowakei, Polen, Tian’anmen). Sie traten auch für antiimperialistische Bewegungen und Befreiungskriege wie in Vietnam und Kuba ein. Obwohl die sehr deutliche und fast unbestreitbare Restauration des Kapitalismus in Russland dazu geführt hat, dass nur wenige KP-Anhänger:innen Putin unterstützen, ist dies in Bezug auf China nicht der Fall. Die meisten, die immer noch den Stalinismus als Hauptströmung des Sozialismus und Kommunismus ansehen, betrachten daher die USA/NATO als „die“ imperialistische Kraft schlechthin und jede/n, der/die sich ihr entgegenstellt, als das kleinere Übel.

In einer Zeit, in der sich der Konflikt zwischen Russland und China auf der einen und dem Westen auf der anderen Seite entwickelt, neigt die stalinistische und linkssozialistische Linke dazu, sich auf die Seite der Erstgenannten zu stellen oder zumindest nicht gegen sie zu opponieren, während die der Mehrheit aus sozialdemokratischen und Labourtraditionen die Letzteren unterstützen. Eine wirklich revolutionäre Position, die von den beiden rivalisierenden imperialistischen Lagern unabhängig ist, verfolgt jedoch die von Lenin im Ersten Weltkrieg vertretene und von Trotzki im Zweiten Weltkrieg wiederholte Haltung gegenüber allen imperialistischen Ländern. Für sie war der Unterschied des politischen Regimes (Demokratie/Autokratie) nicht entscheidend. Was zählte, war ihr gemeinsamer Charakter als Ausplünderer und Unterdrücker kleinerer, schwächerer Nationen, die entweder ihre Kolonien oder Halbkolonien waren oder werden sollten.

Es waren und sind nur diese unterdrückten Nationen, die die Arbeiter:innenklasse verteidigen sollte, unabhängig vom Charakter ihrer politischen Regime. Das Ziel besteht nicht nur darin, die imperialistischen Herrscher:innen im In- und Ausland zu schwächen, sondern der Arbeiter:innenklasse der Länder, die von den imperialistischen Mächten blockiert, angegriffen oder unterdrückt werden, zu helfen, sich an die Spitze des nationalen Befreiungskampfes zu setzen und die Macht zu übernehmen (Strategie der permanenten Revolution).

In den Kriegen zwischen den imperialistischen Mächten hingegen war und ist die Position der Revolutionär:innen, dass „der/die Hauptfeind:in im eigenen Land steht“ und dass die Revolutionär:innen in allen reaktionären Kriegen die Niederlage der Kriegführenden wünschen müssen, eine Niederlage, die dadurch erreicht wird, dass ihr Krieg in einen Bürger:innenkrieg, d. h. eine Revolution, umgewandelt wird.

Unter den heutigen Bedingungen eines intensiven zwischenimperialistischen Konflikts ist es wahrscheinlich, dass jeder halbkoloniale Widerstand gegen eine/n imperialistische/n Unterdrücker:in von seinen/ihren imperialistischen Rival:innen ausgenutzt werden wird. Solange eine solche Intervention ein untergeordneter Faktor bleibt, wird sie den Charakter des Krieges nicht ändern, und die internationale Arbeiter:innenklasse muss die unterdrückte Nation unterstützen, ungeachtet des Charakters ihrer Führung oder angegriffenen Regimes.

Aber wie wir im Fall des Krieges um die Ukraine sehen können, kann ein solcher zum Mittelpunkt des aktuellen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt werden. Obwohl die NATO nicht offiziell in den Krieg verwickelt ist, hat sich der zwischenimperialistische Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten als entscheidender Faktor in diesem Krieg entpuppt, wobei die westlichen Imperialist:innen Wirtschaftssanktionen von historischem Ausmaß gegen Russland verhängen und die Ukraine als Stellvertreterin bewaffnen und ausbilden.

Der Krieg um die Ukraine hat daher einen kombinierten Charakter angenommen. Auf der einen Seite gibt es den neuen Kalten Krieg zwischen den westlichen imperialistischen Mächten und auf der Gegenseite Russland (und seinem Unterstützer China), der auf dem Terrain der Ukraine ausgetragen wird. Auf der anderen Seite bedeutet dies jedoch nicht, dass die Selbstverteidigung des ukrainischen Volkes, auch wenn sie von einer reaktionären bürgerlichen und prowestlichen Regierung geführt wird, bisher zu einem untergeordneten Faktor geworden ist. Deshalb muss die Arbeiter:innenklasse weltweit das Recht der Ukrainer:innen auf Widerstand gegen die russische Invasion anerkennen und sich die dafür notwendigen Mittel aneignen. Gleichzeitig darf die nationalistische, prowestliche Selenskyj-Regierung keine politische Unterstützung erhalten. Ihre Bestrebungen, der NATO beizutreten oder ihre Wirtschaft der EU unterzuordnen sowie ein Regime auf der Krim zu errichten, deren Bevölkerung eindeutig nicht Teil der Ukraine sein will, müssen verurteilt werden.

In Russland müssen die Revolutionär:innen eine Politik des revolutionären Defätismus verfolgen und dafür kämpfen, Putins reaktionären Krieg in einen Klassenkrieg zu verwandeln, um sein Regime zu stürzen. In den NATO-Ländern müssen sie sich jeder westlichen Intervention widersetzen. Sie müssen sich den Kriegszielen der NATO, ihren Sanktionsmethoden, ihrer großen Aufrüstung und ihrer Ausdehnung auf bisher neutrale Staaten entgegenstellen. Es ist notwendig, sich gegen all diese Maßnahmen im Rahmen der Konfrontationspolitik des westlichen imperialistischen Blocks gegenüber dem russischen (und chinesischen) Imperialismus aufzulehnen. Dieser Beginn eines neuen Kalten Krieges bringt die Menschheit näher an einen Dritten Weltkrieg, der leicht ihr letzter sein könnte. Die gleichen Prinzipien würden gelten, wenn China in Taiwan einmarschierte. Xi Jinping und die parteiübergreifenden Kräfte im US-Kongress bewegen sich in diese Richtung. Es ist von entscheidender Bedeutung, sich dafür zu engagieren, dass die Arbeiter:innenbewegungen und antiimperialistischen Kräfte auf der ganzen Welt nicht in ein imperialistisches Lager eintreten.

Der Rüstungswettlauf und die zunehmende Stationierung von Kampftruppen, Militärstützpunkten und Flottillen auf der ganzen Welt sowie die Anheizung der Gegensätze durch eine Reihe von Stellvertreter:innenkriegen können bekämpft werden, wenn es eine Millionenbewegung gibt, wie sie dem katastrophalen Irakkrieg entgegenzutreten versuchte, aber mit größerem Durchhaltevermögen und größerer Bereitschaft, alles zu tun, um die Kriegstreiber:innen von der Macht zu vertreiben. Vor allem aber bedarf es einer Bewegung mit einer qualitativ besseren, d. h. revolutionären Führung. Eine solche Bewegung muss international sein, ja sie muss eine Internationale werden.

Wenn die Arbeiter:innenklasse es unwidersprochen lässt, dass unsere Herrscher:innen Sanktionen verhängen, die zu Hunger und Inflation, zu neuen Rüstungswettläufen, die die für die Gesundheit, die Bildung, die Abwendung von Klimakatastrophen benötigten Ressourcen verbrauchen und zu zerstörerischen Kriegen führen, dann ist es unser Schicksal, deren Opfer zu sein und gegeneinander aufgehetzt zu werden. Deshalb hat die Arbeiter:innenklasse, wie Karl Marx 1864 in der Gründungserklärung der Ersten Internationale schrieb, „die Pflicht, sich die Geheimnisse der internationalen Politik anzueignen, die diplomatischen Handlungen ihrer jeweiligen Regierungen zu beobachten und ihnen, wenn nötig, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzuwirken“.

Die große Antikriegsmobilisierung von 2003, die 20 Millionen Menschen in jeder größeren Stadt der Welt auf die Straße brachte, zeigte die potenzielle Kraft einer internationalen Koordination. Das Scheitern der vom Europäischen und Weltsozialforum initiierten Bewegung war darauf zurückzuführen, dass die Organisator:innen dieser Demonstrationen nicht willens und in der Lage waren, weitere Massenaktionen, einschließlich Generalstreiks und Meutereien, zu organisieren, um die Bewegung zu stoppen oder die Mobilisierungen in Revolutionen zu verwandeln. Daraus ergab sich die Notwendigkeit einer disziplinierteren Organisation mit entschlosseneren Zielen, einer Fünften Internationale.

Im Kapitalismus haben die Arbeiter:innen kein Vaterland. In den imperialistischen Ländern kann die Arbeiter:innenbewegung niemals die „nationale Verteidigung“ unterstützen und muss immer die Niederlage ihrer Herrscher:innen anstreben, sei es in den kolonialen Besatzungskriegen im Irak und in Afghanistan oder in jedem Zusammenstoß mit rivalisierenden imperialistischen Staaten wie Russland oder China. Es ist die Pflicht der Revolutionär:innen, den Krieg zu nutzen, wie es die Zweite Internationale 1907 beschlossen hatte, um das System zu stürzen.

In halbkolonialen Ländern ist es notwendig, die Nation gegen jeden Angriff einer imperialistischen Macht oder einer/s ihrer lokalen Stellvertreter:innen oder „Gendarm:innen“ zu verteidigen. Gleichzeitig unterstützen die Revolutionär:innen nicht die Kriegsführung der Bourgeoisie. Indem sie für eine Einheitsfront aller nationalen Kräfte gegen den Imperialismus kämpfen, die Schwäche, das Zaudern und die Zaghaftigkeit der besitzenden Klassen im antiimperialistischen Konflikt entlarven, streben Revolutionär:innen danach, unabhängige Kräfte der Arbeiter:innenklasse an die Spitze des Kampfes zu bringen, um die Nation vom Imperialismus zu befreien und den Weg zum Sozialismus zu bahnen. In geschwistermörderischen Auseinandersetzungen zwischen Halbkolonien um Territorien oder Ressourcen stellt die Niederlage des „eigenen“ Landes ein geringeres Übel dar als die Aussetzung des Klassenkampfes im eigenen Land; der Krieg muss in einen Aufstand für die Macht der Arbeiter:innenklasse und den Frieden verwandelt werden.

Die imperialistischen Großmächte USA, Großbritannien, China und die EU-Staaten geben Hunderte von Milliarden für ihre Kriegsmaschinerie aus. Sie geben heute vor, im humanitären Interesse zu handeln, aber das ist eine Tarnung für ihr eigentliches Ziel, nämlich die Durchsetzung und Aufrechterhaltung ihrer militärischen Vorherrschaft in der Welt. Auch in ärmeren Ländern werden riesige Teile des Staatshaushalts für die Armee aufgewandt. In Ländern wie Pakistan und der Türkei versucht das Militär, selbst eine direkte politische Rolle zu spielen.

  • Nein zu imperialistischen Kriegen, Sanktionen und Blockaden. Nieder mit allen imperialistischen Besatzungen wie der russischen in der Ukraine und zuvor in Tschetschenien, der Besatzung Afghanistans und des Irak durch die NATO-Mächte, der Besatzung Palästinas durch den zionistischen Staat, der US-Blockade Kubas, des Iran, Nordkoreas und Venezuelas. Wir stärken den Widerstand gegen all diese Besatzungen und Blockaden.

  • Für die Schließung aller imperialistischen Militärbasen auf der ganzen Welt! Nein zu den Militärinterventionen der USA, der EU und anderer imperialistischer Staaten.

  • Für die Auflösung aller imperialistisch dominierten Militärbündnisse wie NATO, CSTO (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit; OVKS; Bündnis Russlands mit Zerfallsprodukten der ehemaligen Sowjetunion), AUKUS usw.

  • Keinen Pfennig und keinen Menschen für eine kapitalistische Armee, sei es eine Berufs- oder eine Wehrpflichtarmee. Die Arbeiter:innenvertretungen im Parlament müssen sich allen Militärausgaben der kapitalistischen Regierungen widersetzen.

  • Militärische Ausbildung für alle unter Kontrolle der Arbeiter:innenbewegung.

  • Für volle bürgerliche und politische Rechte für Soldat:innen einschließlich Marine- und Luftwaffenangehörigen, die Einrichtung von Ausschüssen und Gewerkschaften in den Lagern und Kasernen und die Wahl von Offizier:innen. Verteidigt alle, die sich dem Befehl widersetzen, Zivilist:innen anzugreifen, zu vergewaltigen, zu foltern usw.!

  • In allen imperialistischen Kriegen oder Kriegen der Ausplünderung und Unterdrückung von nationalen Minderheiten (z. B. der kurdischen in der Türkei, der tamilischen in Sri Lanka, der Rohingya in Myanmar) befindet sich der/die Hauptfeind:in der Arbeiter:innenklasse im eigenen Land. Für die Niederlage der herrschenden Klassen, für den Sieg des Widerstands.

4.4 Kampf gegen die Klimakatastrophe

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur eingedämmt und rückgängig gemacht werden, wenn die Kontrolle über die Produktion aus den Händen der großen Kapitalformationen genommen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. In den letzten Jahrzehnten hat sich ein starker Widerstand gegen die Umweltzerstörung und Bedrohung durch den Klimawandel entwickelt, der von lokalen Initiativen gegen bestimmte Großprojekte über große Bewegungen gegen umweltschädigende Politik und Widerstand in Halbkolonien bis hin zu Umweltbewegungen in den imperialistischen Zentren reicht.

In Europa war es die Jugend, die mit weltweiten Student:innen- und Schulstreiks und direkten Aktionen die Vorreiter:innenrolle übernommen hat. Die Arbeiter:innenbewegung, die zurückgeblieben ist, muss sich mit ihnen verbinden und ihre Aktionen und Kampagnen unterstützen und ausweiten, ohne zu versuchen, ihren kämpferischen Geist zu unterdrücken. Gleichzeitig muss sie die reformistische oder bürgerliche Ausrichtung der Führungen der Klimabewegung, wie die bürokratische von Fridays for Future, in Frage stellen und sich für eine Ausrichtung der Bewegung auf die Arbeiter:innenklasse starkmachen.

In bestimmten Bereichen konnte das bisher ungehemmte Handeln von Großkonzernen und ihren Helfer:innen in Umweltfragen gebremst werden. Es ist notwendig, diese Erfolge auf die soziale Kontrolle der sozialökologischen Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen auszuweiten. Es müssen demokratische Kontrollgremien aus Arbeiter:innen, Verbraucher:innen, Betroffenen von Großprojekten, jungen Menschen, die um ihre Zukunft ringen, etc. gebildet werden, die über Projekte, Risikostufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen etc. entscheiden. Das Kapital muss systematisch mit einer sozialen Kontrolle hinsichtlich der sozialökologischen Auswirkungen seines Handelns konfrontiert werden.

Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und die geplante optimale Nutzung der Ressourcen unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen. Jedes Programm im Kampf gegen den Imperialismus muss, ausgehend von den betroffenen Menschen und den globalen Interessen der Arbeiter:innenklasse, zentral auch Forderungen für den Kampf gegen den globalen ökologischen Raubbau, insbesondere auf Kosten der Halbkolonien, entwickeln.

Die folgenden Forderungen richten sich nicht nur an die staatliche und Umweltpolitik über bestimmte Landesgrenzen hinweg, sondern sind dergestalt, dass sie nur von einer internationalen Bewegung umgesetzt werden können, die die zuvor beschriebene Form der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle über die hier geforderten Maßnahmen durchführt.

  • Für einen Notfallplan zur Umstrukturierung der Energie- und Verkehrssysteme – für eine Perspektive zur Beendigung des weltweiten Verbrauchs fossiler Brennstoffe!

  • Die großen Konzerne und imperialistischen Staaten wie die USA und EU müssen Reparationszahlungen für die Umweltzerstörung leisten, die sie im Rest der Welt verursacht haben, um den halbkolonialen Ländern zu helfen, den notwendigen ökologischen Wandel zu vollziehen.

  • Für einen Plan zum Ausstieg aus der fossilen und nuklearen Energieerzeugung. Für massive Investitionen in erneuerbare Energieformen wie Wind-, Wasser- und Sonnenenergie sowie in geeignete Speichertechnologien.

  • Für ein großes globales Programm zur Wiederaufforstung zerstörter Wälder bei gleichzeitigem Schutz der bestehenden naturnahen Ökosysteme der indigenen Völker!

  • Für die Unterstützung der Kämpfe der indigenen Völker und von der Umweltzerstörung bedrohten Bevölkerungsgruppen! Für ihren Schutz und ihr Recht auf Selbstbestimmung.

  • Für ein globales Programm zum Schutz der Wasserressourcen. Für massive Investitionen in die Trinkwasserversorgung und Abwasserreinigung!

  • Für ein globales Programm zur Ressourcenschonung, Abfallvermeidung und -bewirtschaftung.

  • Für die Umstellung der Landwirtschaft auf nachhaltige Anbaumethoden. Für die Enteignung von Großgrundbesitz und die Verteilung von Land an die Menschen, die es bewirtschaften (wollen).

  • Für tiergerechte Haltungsbedingungen in allen Betrieben! Für die Intensivierung der Forschung zu nachhaltigen Anbausystemen unter Kontrolle der Bauern, Bäuerinnen und Arbeiter:innen! Wo nötig, verpflichtende Anwendung ökologisch nachhaltiger Anbaumethoden wie des ökologischen Landbaus, unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Ernährungssicherung.

  • Der Konsum von tierischen Produkten (vor allem Fleisch) muss drastisch reduziert werden, einschließlich der Abschaffung von Subventionen, die den großen Viehzüchter:innen zugutekommen, aber gleichzeitig die Kleinbauern und -bäuerinnen nicht ruinieren. Auf Grundlage der Enteignung der großen Agrarkonzerne kann die Nahrungsmittelproduktion durch einen von der ländlichen und städtischen Arbeiter:innenklasse demokratisch erarbeiteten gesamtgesellschaftlichen Plan neu ausgerichtet werden, der den Ernährungsbedürfnissen der Menschen entspricht und dabei die Auswirkungen des Klimawandels bekämpft.

  • Kostenlose öffentliche Verkehrsmittel für alle und massive Investitionen in öffentliche Verkehrssysteme! Umstellung des Verkehrssystems auf den Schienenverkehr, sowohl für die Personen- als auch für die Güterbeförderung. Gleichzeitig massive Reduzierung des PKW-, LKW- und Flugverkehrs!

Abschaffung der Geschäftsgeheimnisse! Abschaffung des Patentschutzes! Zusammenführung dieses Wissens, um nachhaltige Alternativen zu bestehenden Technologien zu schaffen. Echte Hilfestellung für weniger entwickelte Länder durch Technologietransfer!

  • Verstaatlichung aller Umweltressourcen wie Böden, Wälder und Gewässer.

  • Verstaatlichung aller Energiekonzerne und Unternehmen mit Monopolen auf grundlegende Güter wie die Wasserwirtschaft, Agrarindustrie sowie alle Fluggesellschaften, Schifffahrts- und Eisenbahnunternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle!

  • Für eine restriktive Politik gegenüber chemischen Produkten nach dem Vorsorgeprinzip! Für ein Verbot von Chemikalien, die nachweislich oder wahrscheinlich gesundheits- und/oder umweltgefährdend sind wie z. B. Glyphosat! Grenzwerte bzw. Gefahrenstufen für den Einsatz von Chemikalien müssen durch Organe der demokratisch legitimierten gesellschaftlichen Kontrolle festgelegt werden.

4.4.1 Die Stadt umgestalten

Mehr als die Hälfte der Menschheit lebt heute in Städten, aber die meisten von ihnen in Barackensiedlungen und Elendsvierteln ohne angemessene Straßen, Beleuchtung, sauberes Trinkwasser oder Abwasser- und Abfallentsorgung. Ihre nicht tragfähigen Strukturen werden von Erdbeben, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Tsunamis weggefegt, wie wir in Indonesien, Bangladesch, New Orleans und Haiti gesehen haben. Hunderttausende sterben nicht nur durch diese „natürlichen“ Ereignisse, sondern auch durch die verarmte menschliche Infrastruktur. Die Menschen strömen in die Städte, weil Kapitalismus, Großgrundbesitz und Agrarindustrie nicht in der Lage sind, den Lebensunterhalt auf dem Lande zu sichern.

Nur wenige Bewohner:innen dieser Quartiere haben einen festen oder sicheren Arbeitsplatz. Für ihre Kinder gibt es keine Kindergärten, Kliniken oder Schulen. Die Menschen werden von kriminellen Banden, Drogenhändler:innen und der Polizei gleichermaßen schikaniert und erpresst. Frauen und Jugendliche werden in die Prostitution, sexuelle Sklaverei oder in die Halbsklaverei in gefährlichen und gesundheitsschädlichen Klitschen getrieben. Tatsächliche Sklaverei und Menschenhandel sind wieder im Kommen. Dies ist ein weiteres Phänomen, das nach Abschaffung des Kapitalismus schreit. Diese zunehmende Anhäufung menschlichen Elends muss ein Ende haben!

Dies kann nicht mit der spärlichen Hilfe der reichen Länder, den Millenniumszielen, NGOs oder den von Kirchen, Moscheen und Tempeln betriebenen Wohltätigkeitsorganisationen erreicht werden. Auch Selbsthilfe- oder Kleinstkreditprogramme können so große Probleme nicht lösen. Die Bevölkerung in den Barrios, Favelas und Townships kann, wie sie bewiesen hat, ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen.

Durch Massenmobilisierung in Venezuela, Bolivien und Südafrika haben die Bewohner:innen der Barackensiedlungen bedeutende Reformen durchgesetzt. Aber nur durch eine soziale Revolution, im Bündnis mit der Arbeiter:innenklasse, können sie den repressiven Staat und die ausbeuterische Ökonomie der Kapitalist:innen zerschlagen und an ihrer Stelle eine Gesellschaft errichten, die auf Komitees und Räten der Arbeiter:innen und Armen beruht, als Instrument für die vollständige Umgestaltung der Städte.

  • Für Wohnungen, Licht und Strom, Abwasser- und Abfallentsorgung, Krankenhäuser und Schulen, Straßen und öffentliche Verkehrsmittel für die Bewohner:innen der riesigen und schnell wachsenden Armutsviertel, die alle großen Städte der „Entwicklungsländer“ von Manila und Karatschi bis Mumbai, Mexiko-Stadt und Sao Paulo umgeben.

  • Für ein Programm öffentlicher Arbeiten unter Kontrolle der Arbeiter:innen und Armen. Für einen kostenlosen öffentlichen Nah- und Pendler:innenverkehr für die Arbeiter:innen!

  • Für massive Investitionen in Sozial- und Gesundheitsdienste, Wohnraum, öffentliche Verkehrsmittel und eine saubere, nachhaltige Umwelt.

  • Unterstützung der Kämpfe der Kleinbauern und -bäuerinnen, der Landarbeiter:innen und Landlosen auf dem Land und in der Industrie, um den Widerspruch zwischen Stadt und Land schrittweise zu beseitigen.

4.4.2 Befreiung des ländlichen Raums

Etwa 43 Prozent der Menschheit leben noch auf dem Land, in Dörfern, auf Plantagen und in den ländlichen Gemeinschaften indigener Völker, doch die Vereinten Nationen sagen voraus, dass dieser Anteil bis 2050 auf ein Drittel sinken wird. Der Grund für die Landflucht ist nicht nur der Reiz des Stadtlebens. Für die meisten Migrant:innen überwiegen dessen Nachteile durch das Leben in den Slums, die Kriminalität und die Überausbeutung. Vielmehr ist es das Versagen des Kapitalismus, auf dem Lande ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Das Scheitern der Landreformen hat die Arbeits- und Landlosigkeit dort verschärft. Die Kluft zwischen ihrem Einkommen, Zugang zu Gesundheitsfürsorge, Bildung und Kommunikation und den Möglichkeiten in den Städten ist oft enorm. Darüber hinaus sind sie mit der Zerstörung der ländlichen Umwelt durch Industriezweige wie Holzeinschlag und Bergbau sowie durch Monokulturen und Aktivitäten konfrontiert, die zu Überschwemmungen und Auslaugung des Bodens führen. Der Klimawandel beschleunigt diesen Prozess gewaltig.

Gleichzeitig konzentriert der Kapitalismus den Landbesitz unerbittlich in den Händen einer wohlhabenden Elite oder des internationalen Agrobusiness. Von China und Bengalen bis Südamerika und Afrika werden Bauern, Bäuerinnen und indigene Gemeinschaften von den besten Böden vertrieben und gezwungen, in die Slums der Städte abzuwandern.

Das Leben auf den Plantagen, auf denen Zucker, Kaffee, Tee, Baumwolle, Sisal, Kautschuk, Tabak und Bananen angebaut werden, weist viele Merkmale unfreier Vertragsverhältnisse oder der Leibeigenschaft auf. Die Plantagenarbeiter:innen werden oft in Schuldknechtschaft gehalten. Eine Revolution auf dem Lande, die vom Proletariat, den Landlosen oder Kleinbauern und -bäuerinnen angeführt wird, wäre eine mächtige Verbündete der städtischen Arbeiter:innen und Letztere wären ein unverzichtbarer Beistand für ihre Schwestern und Brüder auf dem Lande.

– Enteignung des Landes der Oligarch:innen, der ehemaligen kolonialen Plantagen und der multinationalen Agrarunternehmen, um es unter die Kontrolle der Arbeiter:innen, armen Bauern, Bäuerinnen und Landarbeiter:innen zu stellen.

  • Land für diejenigen, die es bearbeiten.

  • Abschaffung der Pacht und Erlass aller Schulden der armen Bauern und Bäuerinnen.

  • Freie Kredite für den Kauf von Maschinen und Düngemitteln; Anreize für Subsistenzlandwirt:innen, sich freiwillig Produktions- und Vermarktungsgenossenschaften anzuschließen.

  • Freier Zugang zu Saatgut, Abschaffung aller Patente in der Landwirtschaft.

  • Modernisierung des ländlichen Lebens. Vollständige Elektrifizierung, Internetzugang und moderne städtische Einrichtungen. Stopp der Abwanderung der Jugend aus dem ländlichen Raum durch Förderung kreativer und kultureller Aktivitäten.

  • Gegen die Armut auf dem Lande; Angleichung der Einkommen, des Zugangs zu Gesundheit, Bildung und Kultur an die Städte.

Indem wir diese Kämpfe in den Städten und auf dem Land miteinander verbinden, können wir die krankhafte Verstädterung des Kapitalismus, die Ausbeutung des Bodens und die Abholzung der Wälder rückgängig machen und den Weg zu dem im Kommunistischen Manifest formulierten Ziel freimachen: „Die Vereinigung der Arbeit auf dem Lande und in der Industrie, wodurch der Widerspruch zwischen Stadt und Land allmählich beseitigt wird.“

4.5 Die digitale Revolution

Seit den 1960er Jahren sind die Fortschritte in der Computertechnologie und der Vernetzung sowie deren Anwendung in vielen Bereichen der Produktion und des täglichen Lebens entscheidende Faktoren für die Entwicklung der Produktivkräfte. Mit dem Internet, der mobilen Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz (KI) wurden in den letzten Jahren in immer schnellerem Tempo neue Etappen dieser Entwicklung erreicht. Gemeinsamer Datenzugriff und andere Elemente der Personen übergreifenden Nutzung von Ressourcen, die immer engere Verknüpfung von Produktanforderungen und Produktbereitstellung, die sichere Abwicklung von Transaktionen und komplexen Logistikketten über Blockchain etc. haben große Potenziale für Produktivitätssteigerungen geschaffen. In all diesen Bereichen dominieren riesige Monopole (Amazon, Microsoft, Alphabet Inc., Facebook …), die den Zugewinn an Produktivität für ihre Monopolprofite nutzen.

Ein wesentlicher Faktor dabei ist ihre enorme Kontrolle über die Daten und Informationen der Nutzer:innen, aus deren Verkauf diese Datenkraken enorme Profite erzielen. Viele Unternehmen versuchen nun, Daten über alle Aspekte ihrer Mitarbeiter:innen zu sammeln, um sie besser kontrollieren und in einen Leistungswettbewerb treten lassen zu können. In ähnlicher Weise nutzen Staaten (nicht nur China und die USA) künstliche Intelligenz und ihren Zugang zu den Netzen, um immer umfassendere Informationen über ihre Bürger:innen zu sammeln, sie zu bewerten, identifizieren, lokalisieren und überwachen.

Diese Technologien werden von den Geheimdiensten der Welt eingesetzt, um eine allumfassende Überwachung zu realisieren. Die Enthüllungen über den Skandal der National Security Agency (NSA) im Jahr 2013 sind ein Beleg dafür. Seitdem hat sich die Ausweitung der Überwachung beschleunigt. Revolutionär:innen müssen sich bewusst sein, dass Gesichtserkennung im öffentlichen Raum, trojanische Programme und die massenhafte Speicherung von Daten Teil des Klassenkampfes der Kapitalist:innen sind und massiv gegen sie und die Arbeiter:nnenbewegung eingesetzt werden und nicht für die „Sicherheit“ der Bevölkerung.

Die Datenschutzbestimmungen, mit denen Hasspostings kontrolliert werden sollen, sind kaum mehr als Feigenblattaktionen. Kaum ein/e private/r Nutzer:in kann sie wirklich verwenden, um seine/ihre Daten zu kontrollieren. Die Masse der Missbrauchsmöglichkeiten durch Staat, Konzerne und rechte Organisationen wächst in einem Tempo, dem all diese Maßnahmen nur hoffnungslos hinterherhinken.

Die alten Probleme des „Datenschutzes“ erscheinen heute klein im Vergleich zu denen der neuen Generation von Entwicklungsumgebungen der KI-Anwendungen. Mit den gesteigerten Fähigkeiten und dem viel einfacheren gemeinsamen Zugang zu Modulen für tiefes maschinelles Lernen, große Sprachmodelle, Texterzeugung und -umwandlung, Verarbeitung natürlicher Sprache usw. ist nicht nur die unkontrollierbare Anzahl von Datenbanken, auf die bei Suchvorgängen und Problemlösungen zugegriffen wird, explodiert, sondern KI-Anwendungen scheinen erweiterte Antworten auf jede Art von Fragen zu beinhalten. Diese Fähigkeit, Antworten in erstaunlicher sprachlicher und inhaltlicher Qualität zu generieren, basiert auf sehr einfachen statistischen Modellen. Während sie in erstaunlich vielen Fällen gute Ergebnisse liefert, erzeugt diese einfache statistische Interpolation in komplizierteren Fällen auch Unsinn und neigt dazu, weitverbreitete Vorurteile zu reproduzieren. Falsche Informationen, auf denen die Ableitungen beruhen, werden nicht erkannt usw.. Ein relevanter Anteil der Antworten besteht aus dem, was Expert:innen als „KI-Halluzinationen“ bezeichnen.

Auch wenn diese neuen KI-Anwendungen dazu beitragen können, viele Arbeiten im Zusammenhang mit der routinemäßigen Erstellung von Texten (im Journalismus, in Büros, Kontaktzentren usw.) zu erleichtern, ist das Bestreben des Kapitals, diese Techniken als Ersatz für menschliche Arbeitskräfte einzusetzen, sehr gefährlich: Jedes Produkt dieser Anwendungen muss immer noch von Menschen kontrolliert und nachbearbeitet werden, um grobe Fehler mit potenziell schädlichen Folgen zu vermeiden.

Wir kämpfen für:

  • Enteignung großer IT-Monopole unter Kontrolle von Beschäftigten und demokratisch legitimierten Nutzer:innenkomitees!

  • Für einen Plan zur gesellschaftlich sinnvollen Nutzung des produktiven Fortschritts der IT-Technologie.

  • Weg mit der Überwachung und Kontrolle von Bürger:innen und Arbeitskräften durch Privatunternehmen und Kapital wie Google, Facebook. Eine erste Forderung sollte sein, dass sie die Algorithmen und Systeme, die sie zum Sammeln von Informationen verwenden, öffentlich machen.

  • Für die gesellschaftliche Kontrolle (durch demokratisch legitimierte Nutzer:innenkomitees) der von Staat und Unternehmen erhobenen Daten und Verfahren zu deren Nutzung und Vernetzung.

  • Nein zu Überwachungsinstrumentarien, die das Netzverhalten von Nutzer:innen und Mitarbeiter:innen ausspähen! Nein zu Anbieterfiltern für Dateien und anderen Methoden, die die freie Verfügung über die im Netz geteilten Inhalte verhindern und ihnen die Warenform aufzwingen wollen! Stattdessen wollen wir den Ausbau der Beteiligungsökonomie und die staatliche Finanzierung ihrer Basis (z. B. von offen zugänglichen Anwendungen unter Hersteller:innenkontrolle statt Abhängigkeit von den „Spenden“ der IT-Unternehmen)!

  • Die Anwendung oder der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Arbeitswelt sollte nur dann erlaubt sein, wenn ihre Auswirkungen und die Generierung von Ergebnissen für die Arbeitenden selbst und die davon betroffenen sozialen Gemeinschaften kontrollierbar sind. Die Anwendungen müssen ein Protokoll liefern, das die Teile der Arbeit, die Ergebnis der KI-Verarbeitung sind, klar identifiziert und die Kette der Überlegungen enthält, die die KI in Bezug auf Daten und statistische Schlussfolgerungen verwendet.

  • Kontrollkommissionen von Arbeiter:innen und Gemeinden sollten diese Protokolle regelmäßig überprüfen und im Falle von Fehlern oder schädlichen Auswirkungen in der Lage sein, die Probleme in den Anwendungen zu lokalisieren und korrigieren. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf Datenschutzverletzungen und schädliche Schlussfolgerungen in Bezug auf Einzelpersonen oder soziale Gruppen, die sich aus den „autonomen“ Aktionen der KI ergeben. Solange solche Kontrollmechanismen nicht implementiert sind, sprechen wir uns für ein Einfrieren der Nutzung der neuen Generation von KI-Anwendungen aus.

4.6 Die Gewerkschaften

Überall auf der Welt werden unsere Gewerkschaften von den Kapitalist:innen angegriffen. Das größte Hindernis im Kampf gegen die Offensive der Kapitalist:innen ist der lähmende Einfluss der Bürokrat:innenkaste, die unsere Organisationen an das Kapital, ihre Regierungen und ihre Gesetze bindet. Die Vorstöße der Bosse sind unerbittlich und bösartig. In den schwächeren und weniger entwickelten Ländern, den Halbkolonien, haben diktatorische Regierungen die Gewerkschaften zu Werkzeugen des Staates gemacht, indem sie Streiks verboten und die freie Wahl der Gewerkschaftsführer:innen untersagt haben. Unabhängige Gewerkschaften und betriebliche Organisationen müssen in der Illegalität kämpfen und mit Verhaftungen, Folter und Ermordung rechnen.

In den letzten Jahrzehnten sind die Gewerkschaften im globalen Süden unter Beschuss geraten. Sehr große Teile der Arbeiter:innenklasse, selbst in den großen Industrien und den staatlichen Sektoren, sind infolge neoliberaler Angriffe und repressiver Gesetze überhaupt nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Zersplitterung der Gewerkschaften spiegelt dies wider und verstärkt es noch, ebenso wie die Verwirrung, der Sektoralismus und der Verrat der Gewerkschaftsführungen. Revolutionär:innen müssen nicht nur die Organisierung der Unorganisierten fordern und für die Überwindung dieser Politik in den bestehenden Gewerkschaften streiten, sondern auch die Initiative zum Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung ergreifen.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Demokratien errangen jahrzehntelange Klassenkämpfe den Gewerkschaften gesetzliche Rechte, so dass der Staat anstelle der völligen Illegalität die Gewerkschaften einbezog, indem er ihren Führer:innen Privilegien gewährte und sie in die Strukturem der Klassenzusammenarbeit einband. Doch die Kapitalist:innen fuhren fort, die Rechte zu beschneiden und den Gewerkschaften immer stärkere gesetzliche Beschränkungen aufzuerlegen, was eine wirksame Gewerkschaftsarbeit und die Rekrutierung von Mitgliedermassen behinderte. Westliche Gerichte demonstrieren immer wieder den Klassencharakter des bürgerlichen Rechts, indem sie eingreifen, um Streikabstimmungen zu kippen, Gewerkschaftsgelder zu beschlagnahmen und gewerkschaftsfeindliche Unternehmen zu unterstützen.

Heute findet das Kapital unabhängige Gewerkschaften immer unerträglicher. Wir müssen unsere Gewerkschaften verteidigen, für ihre Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen und dem Staat kämpfen, den Kampf aufnehmen, um Millionen neuer Mitglieder aus bisher nicht organisierten Sektoren, aus den in unsicheren Verhältnissen beschäftigten und hochgradig ausgebeuteten Teilen der Arbeiter:innenschaft, viele von ihnen junge Menschen, Migrant:innen oder „Illegale“, zu rekrutieren. Dieser Kampf wird auf unnachgiebigen Widerstand von innen stoßen, von der hochbezahlten und undemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, die als ihre ewige Aufgabe das Aushandeln von Verträgen in einer ewigen kapitalistischen Wirtschaft ansieht. In Krisenzeiten werden diese Abmachungen zu „Rückzahlungen“ an die Bosse, Errungenschaften und erreichte Mindeststandards werden gegen Arbeitsplätze getauscht und umgekehrt.

Die Ideologie der bürokratischen Gewerkschaftsführer:innen ist Gift für das Klassenbewusstsein des Proletariats. Statt auf Internationalismus setzen sie in den imperialistischen Zentren vor allem auf eine unternehmenszentrierte Logik und verteidigen die Konkurrenzfähigkeit „ihres“ Unternehmens. Damit tragen die Gewerkschaftsbürokrat:innen zusammen mit dem sozialchauvinistischen Reformismus der Sozialdemokratie und den selbsternannten „Sozialist:innen“ die Verantwortung dafür, dass sich rassistische Ideologien und nationale Engstirnigkeit in Zeiten des Rechtsrucks auch in Teilen der Arbeiter:innenklasse einnisten können oder nicht wirksam bekämpft werden.

Die Bürokrat:innen agieren oft als Polizei für den Staat und die Unternehmen, schikanieren Aktivist:innen und helfen, sie aus dem Betrieb zu vertreiben. Revolutionär:innen organisieren sich innerhalb der Gewerkschaften, um ihren Einfluss zu vergrößern, bis hin zur Übernahme der Führung, wobei sie immer ehrlich gegenüber der Basis bleiben und so offen darüber sprechen, wie es staatliche Repression und Gewerkschaftsbürokratie erlauben. In den bürokratischen Gewerkschaften werden wir die Schaffung von Basisbewegungen anregen, die darauf abzielen, die Durchführung von Streiks und anderen Formen des Kampfes zu demokratisieren und die hauptamtliche und überbezahlte Kaste der Spitzenfunktionär:innen durch gewählte und jederzeit abrufbare Führer:innen zu ersetzen, die den gleichen Lohn erhalten wie ihre Mitglieder.

Aber selbst die demokratischste Gewerkschaftsbewegung reicht nicht aus. Die syndikalistische Idee, dass die Gewerkschaften nicht nur von den Bossen, sondern auch von den politischen Parteien der Arbeiter:innenklasse unabhängig sein sollten, kann den Widerstand der Arbeiter:innen und den Kampf um die Macht der Arbeiter:innenklasse nur schwächen. Stattdessen zielen Revolutionär:innen darauf ab, die Gewerkschaften so zu orientieren, dass sie nicht nur für die Interessen der einzelnen Branchen kämpfen, sondern für die Interessen der Gesamtklasse, über alle Industrie-, Berufs- und Betriebsgrenzen hinweg, für befristete Arbeitskräfte ebenso wie für Stammpersonal, für die gegenwärtigen und zukünftigen Beschäftigten, nicht nur in einem Land, sondern international. Wir fördern das Klassenbewusstsein, nicht nur das enge Gewerkschaftsbewusstsein. Auf diese Weise können die Gewerkschaften wieder zu echten Schulen für den Sozialismus und zu einem massiven Stützpfeiler für eine neue revolutionäre Arbeiter:innenpartei werden.

Eine neue Arbeiter:inneninternationale und revolutionäre Parteien in jedem Land haben die Pflicht, sich für die Erneuerung der bestehenden Gewerkschaften einzusetzen, wo immer dies möglich ist, dürfen aber nicht vor einem formellen Bruch und der Gründung neuer Gewerkschaften zurückschrecken, wo die reformistische Bürokratie eine Einheit unmöglich macht. Unorganisierte prekär Beschäftigte können ebenso organisiert werden wie neue Hochtechnologieindustrien, trotz tyrannischer Firmenchef:innen oder Systeme, die kollektives Handeln durch Klassenzusammenarbeit am Arbeitsplatz verhindern. Wir brauchen Organisationen in den Betrieben, die sich weder dem Diktat noch den Schmeicheleien der Bosse beugen, sondern die Arbeiter:innen mit militanten Kampfmethoden wie Massenstreiks, Besetzungen und, wenn nötig, einem Generalstreik verteidigen. Die Gewerkschaften dürfen nicht bürokratisch von oben herab kontrolliert werden, sondern müssen demokratisch sein, wo Differenzen frei diskutiert werden können, wo die Führer:innen kontrolliert und, wenn nötig, unverzüglich abgewählt werden können.

Wir können nicht warten, bis die Gewerkschaften umgestaltet werden; wir müssen jetzt kämpfen. Wir fordern, dass die derzeitigen Gewerkschaftsführer:innen sich für die dringenden Bedürfnisse der Massen verwenden, und wir warnen die Basis, ihnen nicht zu vertrauen. Wir kämpfen für die Bildung von Basisbewegungen in den bestehenden Gewerkschaften, damit der Würgegriff der Funktionär:innen gebrochen werden kann und trotz allem Aktionen durchgeführt werden können. Während wir für eine politisch-fraktionelle Organisierung innerhalb der Gewerkschaften eintreten, lehnen wir politisch getrennte Gewerkschaften ab, weil dies nur dazu dient, die Arbeiter:innen zu spalten und viele unter den Einfluss reformistischer oder sogar klassenfremder Führungen zu stellen. Wir kämpfen für die Bildung von Industriegewerkschaften, die das kollektive Gewicht der Lohnabhängigen bei Verhandlungen mit den Unternehmer:innen maximieren. Dort, wo derzeit mehrere Gewerkschaften entweder innerhalb einer Branche, von Konzernen oder Betrieben existieren, setzen wir uns für ihren Zusammenschluss auf Grundlage des Klassenkampfes und für gemeinsame Ausschüsse unter Kontrolle der Basis für Verhandlungen und Aktionen ein.

Wir kämpfen für die gewerkschaftliche Organisierung der großen Zahl unserer Schwestern und Brüder, die noch nicht organisiert sind, für die Öffnung der Gewerkschaften für Jungarbeiter:innen und die rassistisch Unterdrückten. Wenn die Gewerkschaftsbürokrat:innen dies verhindern, dann müssen neue Gewerkschaften gegründet werden. Unsere Losung muss lauten: Zusammenarbeit mit den offiziellen Führer:innen, wo es möglich ist, aber ohne sie, sogar gegen sie, wo es nötig ist.

Wir brauchen Gewerkschaften und Massenorganisationen, die wirklich die Masse der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten vereinen können und nicht von männlichen Mitgliedern und Angehörigen bessergestellter Schichten dominiert werden, die ausschließlich aus der dominierenden nationalen oder anderweitig privilegierten Gruppe innerhalb eines bestimmten Landes stammen. Das bedeutet, dass wir den unteren Schichten der Arbeiter:innenklasse und den Armen, den Frauen, der Jugend, den Minderheiten und den Migrant:innen volle Rechte und volle Vertretung in ihren Führungsstrukturen zugestehen.

Deshalb kämpfen wir für:

  • Die Organisation der nicht organisierten Arbeiter:innen, einschließlich Frauen, Migrant:innen und befristeten Arbeitskräften.

  • Die Gewerkschaften müssen unter der Kontrolle ihrer Mitglieder stehen.

  • Für das Recht auf unabhängige Treffen (Caucusrecht) für alle sozial unterdrückten Gruppen: Frauen, ethnische Minderheiten, LGBTIA+-Menschen.

  • Einheit aller Gewerkschaften auf einer demokratischen und kämpferischen Basis, völlig unabhängig von den Bossen, ihren Parteien und Staaten.

4.7 Von der Streikpostenverteidigung zur Arbeiter:innenmiliz

Jede/r entschlossene Streikende weiß, dass Streikpostenketten notwendig sind, um Streikbrecher:innen abzuschrecken. Kein Wunder, dass die Kapitalist:innen überall auf drakonische gewerkschaftsfeindliche Gesetze drängen, die unsere Streikposten so schwach und unwirksam wie möglich machen sollen. Gleichzeitig dürfen die Bosse Sicherheitsleute und private Schläger:innentrupps anheuern, um die Arbeiter:innen einzuschüchtern. Von Angriffen auf Arbeiter:innenmärsche durch hoch gerüstete Polizei wie in Griechenland bis hin zur Verhaftung und Einkerkerung von Gewerkschafter:innen im Iran reicht die andauernde Verfolgung kämpferischer Arbeiter:innen. Wenn die Polizei und Schläger:innenbanden der Bosse zu offener Repression greifen, können sich selbst die militantesten Massenstreikposten als unzureichend erweisen, wie es beim historischen britischen Bergarbeiterstreik von 1984/1985 der Fall war.

Der berüchtigtste Fall dieses Jahrhunderts war das Massaker von Marikana, bei dem die südafrikanische Polizei auf Anweisung des heutigen Präsidenten und ehemaligen Bergarbeiterführers Cyril Ramaphosa 42 Streikende tötete. Jeder ernsthafte Kampf zeigt die Notwendigkeit eines disziplinierten Schutzes mit Waffen, die denen entsprechen, die gegen uns eingesetzt werden.

Wir sollten mit der organisierten Verteidigung von Demonstrationen, Streikposten, Gemeinden, die rassistischen und faschistischen Überfällen ausgesetzt sind, sowie mit der Selbstverteidigung der sexuell Unterdrückten beginnen. Unter ständiger Bekräftigung des demokratischen Rechts auf Selbstverteidigung sollten Militante eine öffentliche Kampagne für eine Arbeiter:innen- und Bevölkerungsverteidigungsgarde starten, die auf einer Massenbewegung fußt.

In Ländern, in denen das Recht besteht, Waffen zu tragen, sollte die Arbeiter:innenverteidigungsgarde dieses voll ausschöpfen. Wo die Kapitalist:innen und ihr Staat das Gewaltmonopol besitzen, sind alle Mittel gerechtfertigt, um dieses zu brechen. Revolutionär:innen müssen innerhalb der Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse und der Bauern und Bäuerinnen auf die Schaffung von Verteidigungskräften drängen, die diszipliniert, kampferprobt und mit den geeigneten Erfolg verheißenden Waffen ausgestattet sind. In Schlüsselmomenten des Klassenkampfes sind Massenstreikwellen, ein Generalstreik, die Schaffung einer Arbeiter:innenmassenmiliz unerlässlich, sonst wird die Bewegung in Blut ertränkt wie in Chile 1973 oder auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989. Wenn man sich der Herausforderung stellt, können die Mittel der Bevölkerungsverteidigung zum Instrument der Revolution werden.

4.8 Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen den Faschismus

Die kapitalistische Krise ruiniert die Mittelschichten und lässt sie krampfhaft nach Sündenböcken suchen, während die Langzeitarbeitslosen immer tiefer in die Verzweiflung sinken, was sie anfällig für religiöse Demagogie, rassistische, rechtsnationalistische, und unverhüllt faschistische Propaganda und Bewegungen macht. In den imperialistischen Ländern nimmt dies oft die Form des klassischen Faschismus an, der ethnische, nationale und religiöse Minderheiten, Migrant:innen und Roma als Zielscheibe ins Visier nimmt. Insbesondere in Europa ist die Islamophobie, der Hass auf Muslim:innen, eine schnell wachsende Bedrohung, mit Aufmärschen gegen Moscheen und Hetze gegen Hidschab und Burka, die sich unter dem Deckmantel der offiziellen Ideologie des „Antiterrorismus“ und der angeblichen Gefahr der „Islamisierung Europas“ ausbreitet. Auch der Antisemitismus ist nicht tot, denn die schnell wachsende ungarische Nazibewegung Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) vereint beides in einem giftigen Absud aus reaktionären Demagogien.

In der halbkolonialen Welt entstehen faschistische Kräfte oft aus Kommunalismus und religiösem Fanatismus, die die Emotionen der Massen gegen Minderheiten wie Muslim:innen in Indien, Tamil:innen in Sri Lanka, Hindus, Christ:innen, Ahmadiyyabewegung und Schiit:innen in Pakistan richten.

Der Faschismus ist ein Mittel des Bürger:innenkriegs gegen die Arbeiter:innenklasse. Indem er alten Hass aufrührt und irrationale Ängste schürt, mobilisiert er die kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, um die Organisationen der Arbeiter:innenklasse und demokratische zunächst zu spalten und dann zu zerstören. Danach konzentriert der Faschismus den gesamten staatlichen Kontrollapparat in seinen Händen, um den Arbeiter:innen ein Regime der Superausbeutung unter direkter Aufsicht der Polizei und ihrer Hilfstruppen aufzuzwingen. Die Bewunderung der Faschist:innen für Massenmörder wie Anders Breivik (Norwegen) und Brenton Tarrant (Neuseeland) belegt ihre brutalen Ziele.

Sein Wachstum als Massenbewegung zeugt von der Intensität der Krise, die Millionen von Menschen wütend macht und in die Verzweiflung treibt, sowie von dem Verrat und dem Versagen der Führung der Arbeiter:innenklasse. Er kann nur besiegt werden, indem die revolutionäre Bewegung der Arbeiter:innenklasse und ihrer Verbündeten entfesselt wird, indem zu einer Einheitsfront aller Arbeiter:innenorganisationen gegen den Faschismus und zu einer antifaschistischen Arbeiter:innenmiliz aufgerufen wird, um seine Attacken auf die Arbeiter:innenbewegung und auf unterdrückten Minderheiten abzuwehren. Wie Leo Trotzki sagte, ist der Sozialismus Ausdruck der revolutionären Hoffnung, während der Faschismus Ausdruck der konterrevolutionären Verzweiflung ist. Um ihn zu besiegen, muss sie in eine revolutionäre Klassenoffensive gegen den krisengeschüttelten Kapitalismus umgewandelt werden, das System, das den Faschismus immer aufs Neue gebiert. Da der Faschismus seine Kraft aus der Mobilisierung von Massen bezieht, deren Wut sich aus die Auswirkungen der kapitalistischen Krise speist, wird der Kampf gegen ihn erst dann vollendet sein, wenn seine Wurzel, der Kapitalismus, ausgerottet ist.

  • Für eine Arbeiter:inneneinheitsfront gegen die Faschist:innen.

  • Kein Vertrauen in den kapitalistischen Staat und seinen Repressionsapparat.

  • Für die organisierte Selbstverteidigung von Arbeiter:innen, nationalen Minderheiten und Jugendlichen. Eine antifaschistische Miliz kann es schaffen, faschistische Kundgebungen, Demonstrationen und Versammlungen aufzulösen und den rassistischen und faschistischen Demagog:innen jegliche offene Propagandaplattform zu entziehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten die faschistischen Kaderorganisationen die Taktik, Gruppierungen innerhalb der faschistischen Frontorganisationen, z. B. des Front National in Frankreich, aufzubauen. Solche Organisationen haben einen elektoralistischen Flügel, der mit reaktionärer rechter Politik an den politischen Aktivitäten des bürgerlichen Parlamentarismus teilnimmt und gleichzeitig mit faschistischen Gruppen innerhalb der Partei koexistiert. Im Zuge der Globalisierung haben solche Frontorganisationen stark zugenommen und konnten sich in vielen Ländern mit erheblichem Gewicht auf der politischen Bühne etablieren. Während offen faschistische Organisationen mit einer strikten „Keine Plattform“-Politik bekämpft und soweit wie möglich mit physischer Gegengewalt konfrontiert werden müssen, muss gegen faschistische Frontorganisationen eine flexiblere Form der Taktik angewendet werden. Soweit der faschistische Flügel in der Aktion dominiert, muss er wie jede faschistische Kraft behandelt werden. Andererseits werden wir dort, wo ihre nicht direkt faschistische Propaganda verzweifelte unterprivilegierte Schichten mit reaktionärer Wahlpropaganda erreicht, Taktiken anwenden, um diese Menschen durch Gegenpropaganda von den Demagog:innen zu lösen und ihnen echte Alternativen zur Bekämpfung ihrer sozialen Not aufzuzeigen.

4.9 Verteidigung der demokratischen Rechte

In vielen Staaten der Welt, auch in nominell bürgerlichen Demokratien, gibt es mächtige Präsidialsysteme mit außerordentlichen Machtbefugnissen für ein Staatsoberhaupt, undemokratisch gewählte Senate und ernannte, nicht gewählte Richter:innen, die oft sehr lange, mitunter sogar auf Lebenszeit amtieren. Selbst in den ältesten Republiken, den Vereinigten Staaten von Amerika und Frankreich, herrschen viele dieser Einschränkungen – einschließlich der systematischen Blockierung der Registrierung von schwarzen und farbigen Wähler:innen, dem politischen Zuschnitt von Wahlbezirken usw. Als Resultat zeigt sich, dass die Verabschiedung wichtiger politischer Maßnahmen für Frauen, die organisierte Arbeiter:innenklasse und die rassistisch Unterdrückten vereitelt wird, wie es der Oberste Gerichtshof der USA heute tut. Außerdem sind diese undemokratischen Strukturen oft in den Verfassungen verankert und lassen sich nur sehr schwer ändern. Sie aus der Welt zu schaffen, bildet eine wahrhaft revolutionäre Aufgabe.

In Ländern wie der Türkei sind die etablierten Parteien in der Lage, durch die Kontrolle der Medien und die Verhaftung von Aktivist:innen der Oppositionsparteien oder deren völlige Illegalisierung Wahlen in Plebiszite mit einem Slogan zu verwandeln – „entweder ich oder das Chaos“. In so unterschiedlichen Ländern wie Frankreich und der Türkei haben solche bonapartistischen oder halbbonapartistischen Regime die Parlamente umgangen. In Afrika ist eine Epidemie von Präsidentschaften zu beobachten, die ihre Amtszeit verlängern, und im Nahen Osten und in Ostafrika hat das Militär wiederholt die Macht an sich gerissen. In diesen Ländern, in denen Arbeiter:innen, Frauen und Jugendliche wiederholt demokratische Massenbewegungen ins Leben gerufen haben, ist eine dauerhafte Lösung nicht möglich und wird es auch nie sein, solange die revolutionären Kräfte nicht die Basis der Streitkräfte für sich gewinnen und die Macht der Generalstäbe und Oberkommandos für immer brechen. Andernfalls werden schreckliche Ereignisse wie im Sudan auch weiterhin selbst die stärksten sozialen Bewegungen ausbremsen.

Im In- und Ausland geben sich die westlichen Imperialist:innen als Verteidiger:innen und Verfechter:innen der Demokratie aus. Das ist gelogen. Nach dem 11. September 2001 und den Terroranschlägen des Dschihads in Europa im letzten Jahrzehnt verhängten die nordamerikanischen und europäischen Regierungen Antiterrorgesetze, die eine Überwachungsgesellschaft geschaffen und die in jahrhundertelangen Kämpfen von der Bevölkerung errungenen Rechte eingeschränkt oder abgeschafft haben.

Im globalen Süden werden die demokratischen Rechte, die es der Arbeiter:innenklasse, den Bauern und Bäuerinnen, den städtischen und ländlichen Armen ermöglichen, sich zu organisieren und wehren, von den Gerichten, der Polizei und den Killerkommandos der Bosse untergraben. Auf den Philippinen hat Rodrigo Dutertes „Krieg gegen die Drogen“ innerhalb von zwei Jahren zu einer Flut von außergerichtlichen Tötungen durch die Polizei geführt, die auf 12.000 bis 20.000 geschätzt wird. Auch in Mexiko und anderen mittel- und südamerikanischen Staaten forderte der Krieg gegen die Drogen Opfer von Morden durch Armee und Polizei, die vor allem Linke und Anführer:innen der Gewerkschaften und Bäuer:innenschaft aufs Korn nehmen.

In Palästina und insbesondere im blockierten und immer wieder bombardierten Gazastreifen sind die Palästinenser:innen ein ständiges Ziel des zionistischen Siedlers:innenstaates. In Israel und im Westjordanland herrscht ein Regime, das dem der Apartheid in Südafrika nicht unähnlich ist. Der unermüdliche und heldenhafte Kampf des palästinensischen Volkes verdient die vollste Unterstützung, einschließlich der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung (BDS). Unser Ziel muss das Recht auf Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge, die Zerschlagung des zionistischen Staates und die Schaffung eines einzigen Staates für zwei hebräisch und arabisch sprechende Nationen in Israel-Palästina sein. Ein solcher Staat kann den durch den Zionismus geschaffenen Antagonismus zwischen den beiden Völkern nur dadurch lösen, dass er ein sozialistischer Staat wird, in dem landwirtschaftliche Betriebe, Fabriken usw. sich in Gemeineigentum befinden und demokratisch geplant werden, um soziale Gleichheit zu gewährleisten.

Das Gift des Rassismus und der Pogrome gegen Minderheiten und Migrant:innengemeinschaften wird dazu benutzt, den Widerstand zu spalten und auszuhöhlen. Überall auf der Welt sind es die eigenen Organisationen der Massen, die den Kampf für den Schutz und die Ausweitung der demokratischen Rechte aufnehmen müssen. Unsere demokratischen Kampforganisationen sind das Fundament einer wirklichen „Herrschaft des Volkes“. Durch regelmäßige Wahlen, die Abwählbarkeit von Delegierten und Repräsentant:innen, durch Opposition gegen die Bürokratie und ihre Privilegien kann die Arbeiter:innenbewegung das Sprungbrett für eine neue Gesellschaft werden.

  • Verteidigung des Streikrechts, der Rede- und Versammlungsfreiheit, der Freiheit, sich politisch und gewerkschaftlich zu organisieren, der Presse- und Sendefreiheit.

  • Aufhebung aller gewerkschaftsfeindlichen Gesetze.

  • Abschaffung aller undemokratischen Elemente in kapitalistischen Verfassungen: Fort mit Monarchien, zweiten Parlamentskammern, Präsident:innen mit Befehlsgewalt, ungewählten Gerichtshöfen und Notstandsgesetzen.

  • Für das uneingeschränkte Recht auf ein Schwurgerichtsverfahren und die Wahl der Richter:innen durch das Volk.

  • Weg mit der zunehmenden Überwachung unserer Gesellschaft, einschließlich des Internets, und der wachsenden Macht der Polizei und Sicherheitsdienste.

  • Auflösung des Repressionsapparates, der Polizei, der Sicherheitsdienste. Für deren Ersetzung durch Milizen, die aus der Arbeiter:innenschaft und Masse der Bevölkerung stammen und von ihnen kontrolliert werden. Ermutigung von Soldat:innen zum Bruch mit ihren Vorgesetzten, um Teile von ihnen für die Revolution zu gewinnen.

Überall dort, wo grundlegende Fragen der politischen Ordnung aufgeworfen werden, fordern wir eine verfassunggebende Versammlung, um demokratische Rechte neu festzuschreiben und tatsächlich über die gesellschaftliche Grundlage des Staates zu entscheiden. Die Arbeiter:innen sollten sich dafür starkmachen, dass die Abgeordneten der Versammlung auf die demokratischste Weise gewählt werden, unter Kontrolle ihrer Wähler:innen stehen und von diesen abberufen werden können. Die Versammlung muss gezwungen werden, sich mit allen grundlegenden Fragen der demokratischen Rechte und sozialen Gerechtigkeit zu befassen: Agrarrevolution, Verstaatlichung der Großindustrie und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle, Selbstbestimmungsrecht für nationale Minderheiten, Abschaffung der politischen und wirtschaftlichen Privilegien der Reichen.

5. Der Kampf gegen soziale Unterdrückung

5.1 Für Frauenbefreiung

Die kapitalistischen Demokratien versprachen den Frauen Gleichheit. Doch das galt nicht für alles, und vieles bleibt unerfüllt.. Im 20. Jahrhundert wurde den meisten Frauen das Wahlrecht zugestanden, auch dank der ersten Welle feministischer und sozialistischer Agitation vor dem Ersten Weltkrieg und der Notwendigkeit, Frauen in die Produktion und das öffentliche Leben einzubeziehen, weil die Kriegsanstrengungen der Großmächte es erforderte, Frauen in der Produktion zu beschäftigen. Das Frauenwahlrecht wurde zumeist parallel zum allgemeinen Stimmrecht eingeführt, das bis dahin auch den männlichen Arbeitern vorenthalten worden war. Das Wahlrecht bedeutete jedoch weder für die Frauen noch für die Arbeiter:innenklasse echte politische Macht. Der Zweite Weltkrieg zog noch mehr Frauen in die Produktion ebenso wie in die Planwirtschaft der UdSSR. Frauen traten in immer größerer Zahl den Gewerkschaften bei.

Die anhaltende Belastung durch Kinderbetreuung und Hausarbeit behinderte den Zugang von Frauen zu ebenso gut bezahlter Arbeit oder einer ununterbrochenen Berufslaufbahn. Die militante Arbeiter:innenbewegung und die zweite feministische Welle in den imperialistischen Ländern und die nationalen Befreiungsbewegungen in den Halbkolonien errangen eine Reihe wichtiger Siege für die Frauen: Selbstbestimmte Geburtenkontrolle und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in einigen Ländern ermöglichten es ihnen, über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburten zu entscheiden.

In dieser Zeit rückten auch die patriarchalische Ideologie und die geringe Zahl von Frauen in Führungspositionen in Bildung, Politik, Gewerkschaften und Wirtschaft stärker ins Blickfeld. Auch gegen häusliche Gewalt in der Familie, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung wurde vorgegangen. Den Gesetzen zur Lohngleichheit zum Trotz entsprechen die Löhne für weibliche Arbeitskräfte in Europa und Nordamerika jedoch im Durchschnitt nur zu 70 Prozent denen ihrer männlichen Arbeitskollegen und liegen oft noch viel niedriger. Frauen tragen immer noch die Doppelbelastung der Kinderbetreuung, Altenpflege und Haushaltsführung „neben“ ihrer Berufstätigkeit. Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und häusliche Gewalt sind nach wie vor weitverbreitet. Die reproduktiven Rechte der Frauen sind beschränkt und werden ständig angegriffen.

In den USA hat die Aufhebung des Urteils Roe versus Wade durch den Obersten Gerichtshof, das Frauen ein (wenn auch eingeschränktes) Recht auf Abtreibung zugestanden hat, die Kampagne zur Rücknahme des in den 1970er Jahren errungenen eingeschränkten Rechts auf Abtreibung auf Ebene der Bundesstaaten gefördert. Die Republikanische Partei verabschiedet Gesetze, um die Abtreibung zu verbieten und die für eine sichere Durchführung notwendigen Kliniken zu schließen. In vielen halbkolonialen Ländern droht der Aufstieg religiös-populistischer Parteien, die Frauen in das patriarchalische Heim zurückzudrängen, was in Afghanistan unter den Taliban bereits fast vollständig geschehen ist, wo sie aus dem Gesundheits-, Bildungswesen und dem öffentlichen kulturellen und politischen Leben verbannt werden.

Selbst die Teilerfolge der Frauenbefreiung ergeben im Weltmaßstab ein äußerst uneinheitliches Bild. Im globalen Süden verstärken die internationale Arbeitsteilung, alte patriarchalische Verhältnisse auf dem Land und religiöse Vorurteile, die von Fundamentalist:innen aller Glaubensrichtungen wiederbelebt werden, diese Ungleichheiten. Frauen wird das Recht verweigert, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, zu entscheiden, ob oder wie viele Kinder sie haben wollen. Häusliche Gewalt, Vergewaltigung in der Familie und sogar Mord (so genannte „Ehrenmorde“) bleiben oft weitgehend ungestraft.

Dennoch wurden in den letzten Jahrzehnten Millionen von Frauen in die Massenproduktion gezogen, vor allem in der verarbeitenden Industrie in den Städten Süd- und Ostasiens und Lateinamerikas. In Krisenzeiten sind sie in der Textil-, Elektronik- und Dienstleistungsindustrie, wo Frauen etwa 80 Prozent der Beschäftigten ausmachen, oft die Ersten, die entlassen werden, wobei die Unternehmen die Löhne nicht zahlen, die gesetzlichen Kündigungsfristen nicht einhalten und die Regierungen und Gerichte ein Auge davor zudrücken. Am grausamsten ausgebeutet wird die große Zahl von Wanderarbeiterinnen, deren Familien in ihrer Heimat ohne ihre Überweisungen verhungern.

Heute mühen sich männlich dominierte Regierungen auf der ganzen Welt begierig, die Frauen bei der Wahl ihrer Kleidung zu kontrollieren. In Europa fordern Rassist:innen Einschränkungen für das Tragen des Hidschab (Kopftuch) oder Niqab (Gesichtsschleier) und verhängen Verbote für Frauen, die islamische Gesichtsbedeckungen tragen. In Staaten wie Saudi-Arabien und dem Iran hingegen setzt die Religionspolizei obligatorische islamische Kleidervorschriften durch. Radikale salafistische Gruppen und Dschihadisten haben versucht, Frauen alte und unterdrückerische Regeln wieder aufzuerlegen. Wir stehen für folgende Positionen:

  • Gegen alle Formen der gesetzlichen Diskriminierung von Frauen. Gleiches Recht für Frauen, zu wählen, zu arbeiten, sich zu bilden und an allen öffentlichen und sozialen Aktivitäten teilzunehmen.

  • Hilfe für Frauen, um der Beschränkung ihrer Beschäftigung auf den informellen Sektor und Familienunternehmen zu entkommen. Öffentliche Arbeitsprogramme zur Schaffung von Vollzeitstellen mit angemessenen Löhnen für Frauen.

  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

  • Alle Frauen sollten unabhängig von ihrem Alter Zugang zu kostenloser Verhütung und Abtreibung haben.

  • Vorgehen gegen sexuelle Gewalt in allen Formen. Ausbau von in öffentlichem Besitz befindlichen, selbstorganisierten Schutzräumen vor häuslicher Gewalt und Vergewaltigung. Selbstverteidigung gegen sexistische Gewalt, unter Kontrolle der Arbeiter:innen- und Frauenbewegung.

  • Nein zu Gesetzen, die Frauen dazu verpflichten, religiöse Kleidung zu tragen, oder es ihnen verbieten. Frauen sollten das verbriefte Recht haben, sich nach ihrem Belieben kleiden zu dürfen.

  • Für ein Verbot von Kinderehen und Zwangsverheiratung.

  • Beendigung der Doppelbelastung der Frauen durch die Vergesellschaftung der Hausarbeit. Für eine kostenlose 24-Stunden-Kinderbetreuung und einen massiven Ausbau von preisgünstigen, qualitativ hochwertigen öffentlichen Kantinen, Gemeinschaftsküchen, Restaurants und Wäschereien.

Wir können niemals eine Gesellschaft erreichen, in der alle Menschen gleich sind, wenn wir unsere Entschlossenheit zur Überwindung der sexuellen Ungleichheit nicht in unseren eigenen Widerstandsbewegungen zeigen. Wir müssen das Recht der Frauen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung einfordern, sich unabhängig zu treffen, um Diskriminierung zu erkennen und bekämpfen. Wir sind für das Recht von Frauen auf eine angemessene Vertretung in den Führungsstrukturen und auf die Bildung formeller eigener Strukturen in Parteien und Gewerkschaften.

Für eine internationale proletarische Frauenbewegung, um Frauen im Kampf für ihre Rechte zu mobilisieren, um die Klassenkämpfe überall zu stärken. Für die Verbindung des Kampfs gegen das Kapital mit dem für die Emanzipation der Frauen und eine neue Gesellschaftsordnung, die auf wirklicher Freiheit und Gleichheit beruht. Die Aufgabe kommunistischer Frauen ist es, eine solche Bewegung aufzubauen und sich dafür starkzumachen, sie auf den Weg der sozialen Revolution zu führen.

5.2 Gegen die Unterdrückung von Lesben, Schwulen und nicht-binären Menschen

Die historische Ungleichheit der Geschlechter, die Jahrtausende zurückreicht bis zur Entstehung der Klassengesellschaft und des Staates als Instrument der Ausbeutenden gegenüber den Ausgebeuteten, führte zu repressiven Regeln und Gebräuchen in Bezug auf Sexualität und männliche und weibliche Geschlechterrollen. Mit dem Aufkommen der kapitalistischen Gesellschaft wurden heterosexuelle Beziehungen außerhalb der Ehe, der Familie oder des Kastensystems sowie Homosexualität streng bestraft, bis hin zur Todesstrafe. Menschen, die gegen die binären Geschlechterrollen verstießen, wurden stigmatisiert, gemobbt, in den Selbstmord getrieben oder ermordet. Nur in einer Minderheit von Ländern sind sie rechtlich gleichgestellt. In Afrika wurden Lesben und Schwulen, als sie gleiche Bürger:innenrechte einforderten, mit einer Welle von Gewalt und Repression überzogen. Die meisten Religionen billigen diese hasserfüllte Unterdrückung.

In sogenannten „liberalen Demokratien“ wie den USA und Westeuropa stehen transsexuelle Menschen im Fadenkreuz der Reaktion. Die extreme Rechte wird bei diesen Attacken von einigen vermeintlich linken und feministischen oder gar „marxistischen“ Gruppen unterstützt, die behaupten, dass trans Rechte die der Frauen verletzten. Die Arbeiter:innenbewegung und die sozialistische Jugend müssen sich überall für LGBTQIA+-Menschen einsetzen.

  • Volle rechtliche Gleichheit für LGBTQIA+-Personen, einschließlich des Rechts auf Lebenspartner:innenschaften und Ehen.

  • Beendigung aller Verfolgungen durch den Staat, die Kirchen, Tempel und Moscheen: Respekt für jede Art von sexueller Orientierung. Jede einvernehmliche sexuelle Aktivität zwischen Erwachsenen sollte eine Frage der persönlichen Entscheidung sein.

  • Verbot jeglicher Diskriminierung und Hassverbrechen gegen LGBTQIA+-Personen.

  • Für das gesetzliche Recht von trans Personen, als das Geschlecht zu leben, sich so zu kleiden und sozialisieren, als das sie sich selbst identifizieren.

  • Für das Recht von trans Personen, sich selbst als das von ihnen gewählte Geschlecht zu identifizieren, einschließlich des Rechts, öffentliche Einrichtungen (einschließlich öffentlicher Toiletten usw.) entsprechend ihrer Geschlechtsidentität zu nutzen.

  • Keine Diskriminierung bei der Wohnungssuche, beim Zugang zu Lebensversicherungen, bei der medizinischen Behandlung, beim Zugang zur Arbeit oder zu Dienstleistungen.

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen, Kinder zu erziehen.

  • Für das Recht von trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu geschlechtsangleichender Behandlung unter ärztlicher Aufsicht, einschließlich des Rechts von vorpubertären trans Personen auf uneingeschränkten Zugang zu ihre Pubertät hemmenden Medikamenten.

  • Keine Verbote der Aufklärung über die sexuelle Orientierung von Menschen! Keine Einmischung in das Sexualleben von Erwachsenen in beiderseitigem Einvernehmen. Für den freien Ausdruck aller Formen von Sexualität und Beziehungen!

  • Für das Recht von LGBTQIA+-Personen auf gesonderte Treffen und Gruppierung (Caucusrecht), um die Unterdrückung in den Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien zu bekämpfen.

5.3 Für die Befreiung der jungen Menschen

Kapitalistische Krisen treffen Jugendliche besonders hart, weil sie der am wenigsten abgesicherte Teil der Arbeiter:innenschaft sind und am leichtesten entlassen werden können. In den Jahren nach der großen Krise 2008 lag die Jugendarbeitslosigkeit doppelt so hoch wie die der Erwachsenen. Es gab weniger Arbeitsplätze für Schulabgänger:innen und Kürzungen von staatlichen Bildungsbudgets, die die Alternative eines Vollzeitstudiums an einer Hochschule stark einschränkten. In den halbkolonialen Slums hat die Verarmung der Familien die brutale Behandlung von Kindern verstärkt. Es ist sicher, dass die nächsten Krisen ähnliche Folgen haben werden.

Gleichzeitig tun die Gewerkschaftsbürokratie und reformistischen Apparate der Arbeiter:innenparteien in vielen Ländern so gut wie nichts, sich für die Jugend einzusetzen, beschneiden und unterdrücken vielmehr ihre Begeisterungsfähigkeit und Rechte. Kein Wunder: Die Jugend hat das Potenzial, in allen Ländern als mächtige revolutionäre Kraft zu wirken, erfüllt von Kampfgeist, frei von vielen Vorurteilen und konservativen Gewohnheiten, die von bürgerlichen und reformistischen Parteien sowie Gewerkschaften eingeimpft werden. Sie sind ein wesentliches Element der revolutionären Vorhut. Eine Fünfte Internationale muss es ihnen ermöglichen, aus ihren eigenen Erfahrungen zu lernen und ihre eigenen Kämpfe zu führen, indem sie die Gründung einer Revolutionären Jugendinternationale fördert. Wir kämpfen für:

  • Arbeitsplätze für alle jungen Menschen zu gleichen Löhnen und Bedingungen wie für ältere Beschäftigte.

  • Abschaffung schlecht bezahlter Praktika, stattdessen Berufsausbildung bei voller Bezahlung mit anschließender Beschäftigungsgarantie.

  • Schluss mit jeder Kinderarbeit.

  • Kostenlose Bildung für alle vom Säuglingsalter bis zum 16. Lebensjahr sowie folgende Weiterbildung für alle, die es wollen, mit einem garantierten Lebensunterhalt. Erlass aller Schulden aus Studienkrediten.

  • Für das Wahlrecht ab 16 Jahren oder mit Eintritt ins Erwerbsalter, falls dieses früher beginnt.

  • Keine Ächtung von Kleidung, Musikstilen oder der Kultur der Jugend. Volle Freiheit der Meinungsäußerung.

  • – Beendigung des verlogenen „Kriegs gegen Drogen“. Legalisierung aller Drogen unter einem staatlichen Monopol, um die Reinheit zu garantieren und die Drogenbanden auszuschalten, mit Bildungs- und Gesundheitsdiensten zur Eindämmung und Beseitigung von Suchtabhängigkeit und gesundheitsgefährdendem Missbrauch.

  • Für Jugendzentren und angemessene menschenwürdige Unterkünfte, die vom Staat finanziert werden, aber unter der demokratischen Kontrolle der Jugendlichen stehen, die sie nutzen.

  • Stoppt die Kürzungen im Bildungswesen. Für massive Investitionen in das öffentliche Bildungssystem. Mehr Lehrpersonal und höhere Löhne. Bau von mehr staatlichen Schulen. Verstaatlichung von Privatschulen.

  • Gegen alle Beschränkungen des freien Zugangs zu allen Bildungseinrichtungen. Keine Schul- und Universitätsgebühren.

  • Nein zu jeglicher religiösen oder privaten Kontrolle über das Schulwesen und für weltliche, staatlich finanzierte Bildung.

  • In der Entwicklung ihres Sexuallebens sind junge Menschen Intoleranz, Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt. Sexualerziehung muss in staatlichen Schulen ohne religiöse oder elterliche Einmischung möglich sein, damit die Jugendlichen ihre Sexualität so leben können, wie sie sich entwickelt, entsprechend ihrer sexuellen Orientierung und ihren eigenen Entscheidungen. Für den freien Zugang zu Diensten der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.

  • Keine polizeiliche Überwachung der Beziehungen und Sexualität junger Menschen! Für die freie Entfaltung der Sexualität junger Menschen, frei von Eingriffen des bürgerlichen Staates, religiöser Moral oder familiärer Unterdrückung!

  • Für strenge Gesetze gegen Vergewaltigung und sexuelle Belästigung in der Familie, zu Hause, an Schulen, in Kinderheimen und Waisenhäusern sowie am Arbeitsplatz. Schutz der Kinder vor Missbrauch, egal von wem er ausgeübt wird, von Geistlichen, Lehrkräften, Eltern.

  • Keine Kontrolle des Bildungssystems durch den bürgerlichen Staat! Schüler:innen, Lehrer:innen und Vertreter:innen der Arbeiter:innenbewegung sollten die Lehrpläne selbst festlegen und die Schulen demokratisch verwalten.

5.4 Rassismus bekämpfen – Verteidigung von Flüchtlingen und Migrant:innen

Rassismus ist eine der weitestgehenden und bösartigsten der vielen Formen der Unterdrückung, die der Kapitalismus hervorbringt. Seine Wurzeln liegen tief in der Geschichte der kapitalistischen Entwicklung. Der Weltmarkt und der Handel wuchsen unter der Vorherrschaft mächtiger kapitalistischer Staaten, die schwächere Gemeinwesen ausplünderten. Die Sklaverei in Amerika, die Früchte des britischen, holländischen und französischen Imperiums, die Eroberungskriege Deutschlands und Japans – sie alle erforderten, dass die Unterdrücker:innen jenen, die sie versklavten, ihre Eigenschaft als vollwertige Menschen absprachen. Die Afrikaner:innen, die Inder:innen, die Chines:innen, die Südostasiat:innen und das jüdische Volk wurden von den neuen imperialen Mächten als Untermenschen dargestellt, die der Rechte, die sie ihren Bevölkerungen im eigenen Land, wenn auch nur widerwillig, zugestanden, nicht würdig wären.

Durch die systematische Verbreitung der neuen Ideologie des Rassismus rechtfertigten die imperialen Mächte ihre Verbrechen in Übersee, banden ihre eigene Bevölkerung an die Unterstützung nationaler militärischer Abenteuer, wie kriminell diese auch sein mochten, schirmten ihre eigenen Arbeiter:innen vom rebellischen Geist ihrer kolonialen Geschwister ab und förderten tiefe Spaltungen zwischen einheimischen und zugewanderten Teilen der Arbeiterk:innenklasse im Heimatland.

Heute, nach der großen Bürger:innenrechtsbewegung in den USA und den siegreichen nationalen Bewegungen, die die Kolonialist:innen aus Indien, Algerien und Vietnam vertrieben und die Apartheid in Südafrika besiegten, schwört die Bourgeoisie der imperialistischen Mächte auf den Antirassismus. Dennoch diskriminieren dieselben Regierungen systematisch schwarze, afrikanische, asiatische und Migrant:innengemeinschaften in ihren Heimatländern, führen rassistische Einwanderungskontrollen durch und setzen nicht-weiße Minderheiten den schlechtesten Wohnverhältnissen, niedrigsten Löhnen und ständigen Drangsalierungen durch die Polizei aus. Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat die Aufmerksamkeit auf die Tötung junger Afroamerikaner:innen durch bewaffnete Polizist:innen und ähnliche Verfolgungen gegenüber Asiat:innen und Latinos/as gelenkt. In Europa, im Osten wie im Westen, sind Roma und muslimische Gemeinschaften die Opfer von Polizeirazzien und Zwangsabschiebungen, angestachelt durch die unablässige abscheuliche rassistische Propaganda der millionenschweren Medien.

Die so genannte Flüchtlingskrise der EU hat dazu geführt, dass Syrer:innen, Afghan:innen, Iraker:innen und Jemenit:innen, die vor Krieg fliehen, sowie Afrikaner:innen aus Ländern südlich der Sahara auf der Flucht vor Armut und den Auswirkungen des Klimawandels an der Überquerung des Mittelmeers gehindert werden und ihnen Lagerhaft und Abschiebung drohen. Die Arbeiter:innenbewegung muss die Arbeitsmigrant:innen in einen gemeinsamen Kampf gegen Rassismus und Kapitalismus einbinden.

  • Öffnung der Grenzen. Gewährung des Asylrechts für alle, die vor Diktatur, brutalen Kriegen und Unterdrückung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht oder Geschlechtsidentität fliehen.

  • Abschaffung der Kontrollen, die die Freizügigkeit von Arbeitssuchenden behindern, und Gewährung der vollen Staatsbürger:innenschaft, der Sozialhilfe, der Wohn- und Arbeitsrechte.

  • Schluss mit jeder Form der Diskriminierung von Migrant:innen.

  • Gleicher Lohn und gleiche demokratische Rechte, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Religion oder Staatsbürger:innenschaft. Volle Bürger:innenrechte für alle Migrant:innen, einschließlich des Wahlrechts!

  • Für das Recht muslimischer Frauen, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens religiöse Kleidung (Schleier, Niqab, Burka) zu tragen, wenn sie dies wünschen, und für das Recht von Frauen in muslimischen Ländern und Gemeinschaften, keine religiöse Kleidung zu tragen, frei von gesetzlichem, klerikalem oder familiärem Zwang.

  • Volles Asylrecht für alle Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung und Armut aus ihren Heimatländern fliehen.

  • Gegen Rassismus und alle Formen der Rassendiskriminierung. Dem Rassismus muss in allen Bereichen der Arbeiter:innenbewegung entgegengetreten werden. Nein zu Streiks gegen die Beschäftigung ausländischer oder migrantischer Arbeitskräfte.

  • Die Arbeiter:innenbewegung, insbesondere in den Medien tätige Gewerkschafter:innen, müssen eine Kampagne starten, begleitet von direkten Aktionen, um rassistische Hasspropaganda zu beantworten und zu stoppen.

5.5 Nationale Befreiung und die permanente Revolution

Die Worte, die die Dritte Internationale der Ersten hinzufügte: „Arbeiter und unterdrückte Völker aller Länder, vereinigt euch“, spiegeln die Tatsache wider, dass eines der größten Hindernisse auf dem Weg zur internationalen Befreiung der Arbeiter:innenklasse die nationale Unterdrückung ist: das Weltsystem, das auf der systematischen Unterdrückung der meisten Nationen durch eine Handvoll anderer beruht. Eine dauerhafte Einheit zwischen den Mehrheitsklassen aller Völker kann nicht erreicht werden, wenn eine Nation eine andere unterdrückt.

Heute wird ganzen Nationen – der palästinensischen, kurdischen, Rohingyas, uigurischen, belutschischen, Kaschmiris, tschetschenischen, tamilischen in Sri Lanka, tibetischen und vielen anderen – das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Das Gleiche gilt für viele indigene oder in Stämmen lebende Völkerschaften in Nord- und Südamerika, Südostasien und Afrika. Sie sind ethnischen Säuberungen, Einpferchungen in Konzentrationslagern, der Unterdrückung von Sprache und Kultur und sogar Völkermord ausgesetzt.

Die Arbeiter:innenklassen, insbesondere in den imperialistischen Staaten, deren herrschende Klassen für diese Unterdrückung verantwortlich sind, müssen dem Befreiungskampf der unterdrückten Nationen in vollem Umfang Beistand und praktische Hilfe leisten.

  • Für das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Völker, einschließlich ihres Rechts, einen eigenen Staat zu gründen, wenn sie dies wünschen, und ihres Rechts, ihren Willen frei von jeglichem Zwang und jeder Einschüchterung zu äußern.

  • Für das Recht der indigenen Völker, ihr Land zurückzuerhalten, frei von Siedlungen, die sie zu einer Minderheit machen sollen. Materielle Entschädigung (Wohnraum, Dienstleistungen, Infrastruktur) für das, was sie erlitten haben, bezahlt von den herrschenden Klassen, die ihnen das angetan haben.

  • Für gleiche Rechte und volle Staatsbürger:innenschaft für Angehörige nationaler Minderheiten.

  • Gegen alleingültige Amtssprachen. Gleiches Recht für nationale Minderheiten, ihre Sprachen an den Schulen, bei Gerichten, in Medien und im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung zu verwenden.

  • Für das Recht von Migrant:innengemeinschaften, ihre Muttersprache in der Schule zu gebrauchen.

In den halbkolonialen Ländern, die nur dem Namen nach unabhängig sind und der politischen Einmischung und wirtschaftlichen Kontrolle durch die imperialistischen Großmächte unterliegen, haben die Massen immer noch nicht viele der Grundrechte erlangt, die in den ersten kapitalistischen Ländern, in der Englischen Revolution der 1640er Jahre, der Amerikanischen Revolution von 1776 und der Französischen Revolution von 1789 eingeführt wurden. Auch in der halbkolonialen Welt von heute sind viele grundlegende Aufgaben der kapitalistischen Entwicklung wie nationale Unabhängigkeit, Agrarrevolution, demokratische Rechte und die rechtliche Gleichstellung der Frauen noch nicht erfüllt.

Infolgedessen glauben heute viele nationalrevolutionäre Kräfte, die vom bürgerlich-demokratischen Denken und von der „Etappentheorie“ Stalins beeinflusst sind, wie sie immer noch von den offiziellen kommunistischen Parteien vertreten wird, dass die Lösung für die halbkoloniale Unterentwicklung darin besteht, die demokratische Revolution zu vollenden und eine echte nationale Unabhängigkeit und eine moderne Republik zu errichten, und zwar durch ein Bündnis aller Klassen, die sich der Fremdherrschaft widersetzen und die demokratische Entwicklung unterstützen.

Dieses Schema ist die gemeinsame Strategie unterschiedlicher Kräfte in der halbkolonialen Welt, von der Fatah und der PFLP in Palästina bis hin zur demokratischen Bewegung im Iran, der Kommunistischen Partei auf den Philippinen und den Maoist:innen in Nepal. Die Geschichte hat jedoch immer wieder gezeigt, dass die nationale Bourgeoisie in solchen Ländern zu schwach und zu eng mit dem ausländischen Kapital und den imperialistischen Mächten und Konzernen verbunden ist, um eine klassische bürgerliche Revolution zum Sieg zu führen.

Diese Aufgabe fällt der Arbeiter:innenklasse zu. Um die nationale Revolution im Bündnis mit den Bauern und Bäuerinnen anzuführen, müssen die Arbeiter:innen ihre strikte Unabhängigkeit von den Kapitalist:innen bewahren und nicht nur die vollsten demokratischen Rechte durchsetzen, sondern auch die Beschränkungen des Kapitals überwinden; sie können die Macht nicht in den Händen einer bürgerlichen Klasse belassen, die von Natur aus unfähig ist, mit dem Imperialismus zu brechen und nur ihre eigenen Privilegien vor den Massen sichern will. Die Arbeiter:innen müssen unmittelbar die soziale Revolution ansteuern. Dies ist die Strategie der ununterbrochenen oder permanenten Revolution.

Die Arbeiter:innenklasse muss sich für die Durchsetzung voller demokratischer und nationaler Rechte in unterdrückten und halbkolonialen Nationen einsetzen. Sie muss sich an die Spitze des Kampfes gegen die imperialistische Herrschaft stellen, die sich entweder auf Verschuldung, Besetzung, Kontrolle durch multinationale Konzerne oder aufgezwungene und Marionettenregierungen gründet.

Die Organisationen der Arbeiter:innenklasse müssen zur Bildung einer antiimperialistischen Einheitsfront aller Bevölkerungsschichten unter Wahrung ihrer eigenen Unabhängigkeit aufrufen.

Keine Beteiligung der Arbeiter:innenorganisationen an einer bürgerlichen Regierung, wie radikal ihre antiimperialistische Rhetorik auch klingen mag.

  • Für Arbeiter:innen- und Bäuer:innen-Delegiertenräte.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung, die von der demokratischen zur sozialen Revolution übergeht, das Eigentum vergesellschaftet und die Kontrolle über Industrie und Landwirtschaft übernimmt, imperialistische Schulden streicht und die Revolution auf andere Länder ausweitet, regionale Föderationen von Arbeiter:innenstaaten und die sozialistische Entwicklung in Angriff nimmt.

6. Der Kampf um die Macht

6.1 Für eine Regierung der Arbeiter:innen und Bäuer:innen

Aus Wirtschaftskrisen und Kriegen und großen Aufschwüngen im Klassenkampf können sich leicht vorrevolutionäre oder tatsächlich revolutionäre Situationen ergeben, in denen die herrschende Klasse gespalten ist und die reformistischen Führer:innen die Kontrolle verlieren, was die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse vor die Notwendigkeit stellt, eine Regierungslösung in ihrem Interesse zu finden. Solche sozialen Krisen warten nicht darauf, dass die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Massenpartei schafft, die bereit ist, die Macht zu übernehmen. In Ermangelung einer solchen blickt die Klasse weiterhin auf ihre bestehenden Gewerkschafts- und reformistischen Parteiführungen. Wenn rechte Parteien an der Macht sind, wollen reformistische Arbeiter:innen vielleicht nicht erst die nächsten regulären Wahlen abwarten, sondern versuchen, eine rechte Regierung durch direkte Aktionen, Generalstreiks oder Fabrikbesetzungen aus dem Amt zu jagen, und so „ihre eigenen“ Parteien an die Macht zu bringen.

Revolutionär:innen müssen davor warnen, dass die reformistischen Führungen, selbst wenn sie durch Massenaktionen an die Macht gebracht werden, immer noch alles tun werden, um der Kapitalist:innenklasse diese Macht zurückzugeben, indem sie die kampfbereite Klasse demobilisieren. Es dabei zu belassen, die Reformist:innen nur anzuprangern, hieße jedoch, die Methode unseres Übergangsprogramms aufzugeben. Es stellt kein Ultimatum, verlangt nicht, dass die Arbeiter:innen zunächst ihre bestehenden Organisationen oder Führungen aufgeben müssten, bevor sie für die entscheidenden Forderungen und Losungen der Stunde tätig werden könnten, ja, bevor sie für die Machtübernahme kämpfen.

Unter diesen Umständen rufen wir alle bestehenden Arbeiter:innenführungen, sowohl Gewerkschaften als auch Parteien, dazu auf, mit den Kapitalist:innen zu brechen und eine Regierung zu bilden, die die Krise im Interesse der Arbeiter:innenklasse löst und sich gegenüber deren Massenorganisationen verantwortlich zeigt. Die Arbeiter:innenorganisationen sollten fordern, dass eine solche Regierung wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen die kapitalistische Sabotage ergreift, ihre Industrien, Banken usw. enteignet und die Kontrolle der Arbeiter:innen über sie anerkennt und zulässt.

Wenn die Arbeiter:innenklasse eine Regierung erstrebt, die die ökonomischen, ökologischen und kriegerischen Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, löst, kann sich diese nicht auf die bestehenden Organe des bürgerlichen Staates stützen, seien sie politisch, repressiv oder ökonomisch, da diese untrennbar mit der Klasse verbunden sind, die die Probleme verursacht hat und ihre Lösung behindert und die auf ihren höchsten Ebenen mit deren Gefolgsleuten besetzt sind. Sie muss sich stattdessen auf die Kampforgane der Arbeiter:innenklasse verlassen und bereit sein, dem Großkapital ihr Programm der Kontrolle und Enteignung aufzuzwingen. Diese Aufgabe erfordert eine andere Art von Staat als den demokratischsten kapitalistischen, oder, wie Lenin sagte, einen Halbstaat, der durch die Demokratie, Selbstverwaltung und Selbstverteidigung der Produzent:innen funktioniert.

Um die unvermeidliche Sabotage durch die Spitzen des öffentlichen Dienstes, polizeiliche Provokationen, militärische oder „verfassungskonforme“ Putsche zu verhindern, werden wir den Aufbau und die Bewaffnung einer Arbeiter:innenmiliz brauchen und die Kontrolle der Offizier:innenkaste über die einfachen Dienstgrade innerhalb der Armee brechen müssen.

In einer Phase, in der Revolutionär:innen eine wachsende Alternative zu den Reformist:innen darstellen, könnte eine solche Arbeiter:innenregierung als Brücke zur revolutionären Übernahme der Staatsmacht durch die Arbeiter:innenklasse dienen, wobei die gesamte Macht in die Hände direkt gewählter Räte aus jederzeit abrufbaren Arbeiter:innendelegierten (Sowjets) übergehen und sich so die Gründung eines revolutionären Staates vollziehen kann.

  • Bruch mit der Bourgeoisie: Alle Arbeiter:innenparteien müssen ihre strenge Unabhängigkeit bewahren und sich weigern, mit den Parteien der Kapitalist:innen auf lokaler oder nationaler Ebene Koalitionsregierungen einzugehen.

  • Für eine Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung: Enteignung der Kapitalist:innenklasse. Verstaatlichung aller Banken, Konzerne, des Großhandels, des Verkehrs, des Sozial-, Gesundheits-, Bildungs- und Kommunikationswesens und der Dienstleistungen ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle.

  • Die verstaatlichten Banken sollten zu einer einzigen staatlichen Bank unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter:innenklasse verschmolzen werden, wobei die Entscheidungen über Investitionen und Ressourcen demokratisch getroffen werden sollten, als Schritt zur Bildung eines zentralen Plans unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und zur Entfaltung einer sozialistischen Wirtschaft.

  • Einführung eines Außenhandelsmonopols und von Kontrolle der Kapitalbewegungen.

  • Die Machtbefugnis einer Arbeiter:innen- und Bäuer:innenregierung sollte auf den Räten (Sowjets) und bewaffneten Milizen der Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen und der städtischen Armen gegründet sein.

  • Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz erreicht werden.

6.2 Der Aufstand

Unser Ziel ist die politische Macht, die Macht, die Welt für immer zu verändern, damit Ungleichheit, Krisen und Kriege, Ausbeutung und Klassen eine ferne Erinnerung werden. Aber Revolutionär:innen allein machen die Revolution nicht. Es braucht objektive Voraussetzungen: eine tiefe wirtschaftliche, politische und soziale Krise, die die herrschende Klasse nicht lösen kann, so dass sie selbst gespalten wird. Auch subjektive Bedingungen sind erforderlich: Die Arbeiter:innenklasse und die untere Mittelschicht dürfen nicht länger bereit sein, die alte Ordnung aufgrund des Leids und des Chaos, das die herrschende Klasse verursacht hat, weiterhin zu unterstützen. Unter diesen Bedingungen entstehen eine vorrevolutionäre oder revolutionäre Situation, und unter diesen Voraussetzungen kann eine beträchtliche Anzahl von revolutionären Avantgardekämpfer:innen die Mehrheit der Arbeiter:innenklasse für die Perspektive der Revolution gewinnen.

Revolutionär:innen müssen vorrevolutionäre und revolutionäre Situationen erkennen und in ihnen die mutigsten Protagonist:innen des Umsturzes der Macht sein. Sie müssen durch entschlossene und richtige Propaganda und Agitation in Massenbewegungen, Aufständen oder Bürgerkriegen um die Führung kämpfen und zielstrebig den Weg weisen. Für revolutionäre Organisationen und Parteien bedeuten das Versäumen revolutionärer Situationen, passives Kommentieren, das Führen eigener Kämpfe getrennt von den Massen, Angst vor der revolutionären Bewegung oder gar Unterordnung unter nichtrevolutionäre Kräfte unverzeihliche zentristische Fehler, die in der Vergangenheit immer wieder zur Niederlage der Arbeiter:innen geführt haben.

Die Übertragung der Macht von einer Klasse auf die andere kann nur durch den Aufstand der ausgebeuteten Massen unter Führung einer revolutionären Partei mit ihrer kämpferischen Vorhut erreicht werden. Da der bürgerliche Staat ein bewaffnetes Unterdrückungsinstrument verkörpert, kann seine Macht nur gebrochen werden, indem man dem Oberkommando und dem Offizier:innenkorps die Kontrolle über diese Kräfte entzieht, die einfachen Soldat:innen für sich gewinnt und die der Konterrevolution treu gebliebenen Truppenteile gewaltsam auflöst.

Wir können den alten Staatsapparat nicht übernehmen; wir müssen ihn zerstören und durch einen völlig neuen Staat ersetzen, einen Staat, in dem die Arbeiter:innenklasse, die Bauern, Bäuerinnen und die städtischen Armen die Gesellschaft durch in den Betrieben, den Barrios, den Dörfern, den Schulen und Universitäten gewählte Delegiertenräte verwalten. Immer wieder sind solche Gremien in revolutionären Krisen entstanden, von der Pariser Kommune über die russischen Sowjets, die deutschen Räte, die chilenischen Cordones bis zu den iranischen Schoras. Sie entstehen als Kampforgane, Räte der Aktion, aber nur eine klare revolutionäre Führung kann sie befähigen, zu Organen des Aufstands und dann zu einer neuen Staatsmacht der Arbeiter:innenklasse zu werden.

Solange es noch eine alte herrschende Klasse gibt, die in der Lage ist, die Macht zurückzuerobern, muss die Arbeiter:innenklasse alles Notwendige tun, um dies zu verhindern. Ein Arbeiter:innenstaat wird zwar die umfassendste und freieste Demokratie für die ehemals ausgebeuteten Klassen sein, aber gleichzeitig eine Diktatur gegen diejenigen, die den Kapitalismus wiederherstellen wollen. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet die Diktatur des Proletariats in Wirklichkeit. Auf sie kann erst verzichtet werden, wenn die mächtigsten herrschenden Klassen unseres Planeten entwaffnet und enteignet worden sind.

Ein Arbeiter:innenstaat darf jedoch nicht zulassen, dass eine Kaste von Bürokrat:innen die Diktatur über die Arbeiter:innen ausübt, und er kann auch kein Staat sein, in dem nur eine Partei existieren darf. Die arbeitenden Massen müssen die Möglichkeit haben, ihre unterschiedlichen Ansichten in verschiedenen Parteien zum Ausdruck zu bringen, die auf demokratische Weise in Wettbewerb miteinander treten, um eine Mehrheit in den Arbeiter:innenräten zu gewinnen und behalten. Unser Sozialismus darf auch keiner sein, in dem ein Präsident, ein Caudillo oder ein lider maximo alle Initiative in seinen Händen konzentriert und sich mit einem Personenkult umgibt wie ein Stalin, ein Mao, ein Castro oder ein Chávez.

Die volle Staatsgewalt der Arbeiter:innenklasse kann nur durch die Zerschlagung der bewaffneten Macht des kapitalistischen Staates, seines militärischen und bürokratischen Apparates und seine Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte und der Arbeiter:innenmiliz selbst erreicht werden.

6.3 Unser Ziel: Weltrevolution und Kommunismus

Der Sozialismus, für den wir kämpfen, braucht Produktionsmittel in großem Maßstab in den Händen der Arbeiter:innenklasse, die ihre Entwicklung demokratisch planen kann, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und Ungleichheit und soziale Klassen schrittweise zu beseitigen.

In einem revolutionären Arbeiter:innenstaat wird es keinen monströsen, bürokratischen Plan geben wie unterm Stalinismus, wo eine Kaste privilegierter Bürokrat:innen versuchte, alles zentral zu entscheiden. Nach der Revolution wird die Arbeiter:innenklasse die Banken, die wichtigsten Finanzinstitutionen, die Verkehrs- und Versorgungsunternehmen und alle wichtigen Industriezweige vergesellschaften. Dies wird die Grundlage für eine Reihe von ineinandergreifenden Plänen bilden, die von der lokalen über die regionale bis zur nationalen und internationalen Ebene integriert und koordiniert sind und jeweils nach einer Debatte von einer Arbeiter:innen- und Verbraucher:innendemokratie beschlossen werden.

Dies ist kein Traum, wie die bürgerlichen Propagandist:innen behaupten. Moderne Technologien machen es möglich, Bedürfnisse und Notwendigkeiten rund um den Erdball in Sekundenschnelle zu entdecken und zu kommunizieren und dann die Produktion und den Transport zu koordinieren, um sie zu erfüllen. Jeder moderne multinationale Konzern arbeitet bereits auf diese Weise. Aber im Gegensatz zu den kapitalistischen Konzernen werden wir die Errungenschaften der modernen Technologien nicht für den Profit einiger weniger, sondern zum Nutzen der gesamten Menschheit einsetzen.

Handwerker:innen, Ladenbesitzer:innen und Kleinbauern und -bäuerinnen werden ihre Familienbetriebe als Privateigentum behalten können, wenn sie dies wünschen. Gleichzeitig werden sie ermutigt, sich von der Unsicherheit des Marktes und der Verdrängungskonkurrenz zu befreien, indem sie ihre Produktion auf den gesamtgesellschaftlichen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung ausrichten. Die Vorstellung, dass der Sozialismus auf Privateigentum in kleinem Maßstab oder auf Genossenschaften beruhen kann, ist eine rückwärtsgewandte Utopie, die mit der Zeit nur die Bedingungen der Marktwirtschaft wiederherstellen und die Kapitalakkumulation erneut fördern kann.

Die Vergesellschaftung des bäuerlichen Kleinbesitzes, der kleinen Läden usw. muss jedoch schrittweise und freiwillig erfolgen und nicht zwangsweise wie unter Stalin.

Unabhängig davon, ob die Revolution zuerst in einem rückständigen, halbkolonialen oder in einem fortgeschrittenen, imperialistischen Land ausbricht und triumphiert, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie sich rasch über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus ausbreitet. Dies ist notwendig, um das Erreichte zu verteidigen und das volle Potenzial der sozialistischen Gesellschaft auszuschöpfen. Wo immer die Arbeiter:innen die Macht ergreifen, werden sie von ausländischen kapitalistischen Mächten angegriffen, v. a. von den imperialistischen Großmächten. Die wirksamste Form der Verteidigung ist daher die Ausbreitung der Revolution in diesen Ländern durch den vollen Einsatz für die dortigen Arbeiter:innenklassen im Machtkampf. Außerdem ist es unmöglich, den Aufbau des Sozialismus auf nationaler Ebene zu vollenden, wie der Niedergang und der endgültige Zusammenbruch der Sowjetunion bewiesen haben. Der „Sozialismus in einem Land“ bleibt eine reaktionäre Utopie.

Die vom Kapitalismus über Jahrhunderte entwickelten Produktivkräfte erfordern eine internationale Ordnung. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist der Nationalstaat selbst zu einem Hindernis für ihre Weiterentwicklung geworden. Die Notwendigkeit der Strategie der permanenten Revolution ergibt sich daher nicht nur aus der Notwendigkeit, den anhaltenden Widerstand der alten herrschenden Klassen zu bekämpfen, sondern aus dem Umstand, dass eine rationale und nachhaltige Entfaltung der Produktivkräfte der Menschheit letztlich nur auf Weltebene erfolgen kann.

Auf Grundlage einer weltumspannenden Planwirtschaft und einer Weltföderation sozialistischer Republiken können wir uns schließlich auf ein gemeinsames Wohlstandsniveau und die vollständige Gleichberechtigung der gesamten Menschheit zubewegen. Als Ergebnis dieses Prozesses werden soziale Klassen und die repressiven Merkmale des Staates allmählich absterben – es wird das erreicht, was Marx, Engels und Lenin Kommunismus nannten. Aber zuerst müssen wir diesen Prozess ins Werk setzen. In einem Land nach dem anderen, das von der historischen Krise des Systems erschüttert wird, müssen wir den Kapitalismus in den Abgrund stürzen. Die Weltrevolution, und nichts anderes, ist die Aufgabe der kommenden Fünften Internationale.

  • Arbeiter:innen und unterdrückte Völker der Welt – vereinigt euch!

  • Vorwärts zu einer neuen, einer Fünften Internationale!

7. Eine revolutionäre Partei und Internationale

Es war Karl Marx, der zuerst erklärt hatte, dass die Befreiung der Arbeiter:innenklasse von der kapitalistischen Herrschaft nur das Werk der Arbeiter:innenklasse selbst sein könne und niemals durch „Retter:innen von oben“ erreicht werden könne. Im Gegensatz zu den Anarchist:innen stellte er jedoch nicht die Mystik der „Selbsttätigkeit“ oder des „Sozialismus von unten“ der politischen Aktion, sei sie „direkt“ oder „durch Wahlen“, entgegen, sondern die Notwendigkeit, eine von allen kapitalistischen Parteien oder Persönlichkeiten unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse aufzubauen. Eine solche Partei, so betonte er, muss internationalistisch sein, wie es der Kampfruf aus dem Kommunistischen Manifest und der Eröffnungsrede der Ersten Internationale „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch“ zum Ausdruck bringt.

Sie muss die revolutionäre Theorie mit der Praxis vereinen. Ausgangspunkt ist das Verständnis der Bewegungsgesetze des Kapitalismus, des Charakters der Ausbeutung, der Wiederkehr wirtschaftlicher, sozialer und politischer Krisen, die die Bedingungen für die Befreiung nicht nur der Arbeiter:innen, sondern aller Unterdrückten schaffen. Die revolutionäre Theorie steht bereit, um angewendet zu werden und die Welt zu verändern. Im Gegenzug bereichert die Praxis einer solchen Partei ihrerseits die Theorie und entwickelt sie weiter.

Es war der russische Revolutionär Lenin, der diese Lehren zu einem praktischen Leitfaden für den Aufbau einer revolutionären Partei destillierte, einer Partei, deren Aufgabe es sein sollte, die Arbeiter:innenklasse in all ihren großen Kämpfen zum Angriff auf den kapitalistischen Staat und seine ausgeklügelten Instrumente der Unterdrückung und Täuschung sowohl in der Gesellschaft insgesamt als auch innerhalb der Arbeiter:innenbewegungen selbst (reformistische Parteien, Gewerkschaftsbürokratie) zu führen. Das Modell der Partei, das Lenin entwickelt hat, der Bolschewismus, kann nicht als fertige Formel, auf jede Situation aufgepfropft werden. Das Aussehen einer revolutionären Partei kann und wird sich je nach den historischen und nationalen Bedingungen ändern und anpassen.

Es gibt jedoch ausschlaggebende Grundprinzipien, die das Fundament jeder wirksamen revolutionären Partei bilden müssen. Diese wurden zuerst in Lenins klassischem Werk „Was tun?“ beschrieben. Darin findet sich auch die bis heute sehr umstrittene Aussage: „Klassenpolitisches Bewusstsein kann der Arbeiter:innenklasse nur von außen, d. h. nur von außerhalb des ökonomischen Kampfes vermittelt werden“. Damit wird weder geleugnet, dass Klassenbewusstsein im Kapitalismus oft in den alltäglichen Auseinandersetzungen mit den Kapitalist:innen und ihrem Staat seine Keimzelle hat, noch bedeutet es, dass die Arbeiter:innenklasse sich nicht selbst emanzipieren kann, dass die Arbeiter:innen von „Außenseiter:innen“ geführt werden müssten, von einer Elite von Intellektuellen aus der Mittelschicht oder „Berufsrevolutionär:innen“, die als Parteibürokratie missverstanden werden könnten. Es bedeutet ganz einfach, dass Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen, also ausschließlich wirtschaftliche Kämpfe, die von den Gewerkschaften allein geführt werden,sich nicht spontan zu einem Kampf für den Sozialismus entwickeln werden; sie werden nicht automatisch ein revolutionäres sozialistisches Bewusstsein schaffen.

Die „spontane“ Perspektivee der Gewerkschaften geht von der des jeweiligen Berufs oder der jeweiligen Branche aus, und ab einem bestimmten Punkt behindern diese Unterteilungen eine klassenumgreifende Sichtweise. Zweitens sind die Arbeiter:innen immer starken Einflüssen „von außen“ ausgesetzt, d. h. von einer Gesellschaft, in der die herrschenden Ideen die der herrschenden Klasse sind. Dies wird durch die unaufhörliche Propaganda in den Schulen, Medien, Kirchen, Moscheen und Tempeln erreicht, die alle betonen, dass der Kapitalismus das einzig mögliche System sei.

Dieses propagandistische Trommelfeuer, das darauf abzielt, die Arbeiter:innenschaft zu spalten und von den Ideen der herrschenden Klasse beherrschen zu lassen, kann nur durch die Prinzipien des Sozialismus und der Revolution gekontert werden – und diese kommen „von außerhalb“ der Sphäre der reinen und einfachen Gewerkschaftsbewegung. Sie können systematisch nur von einer politischen Partei geschaffen und verbreitet werden, deren Ziel es ist, alle zersplitterten und sektoralen Kämpfe auf eine politische Dimension zu heben, auf der der Kapitalismus als Feind identifiziert werden kann. Natürlich kann diese Partei nicht „außerhalb“ der Kämpfe der Arbeiter:innenklasse stehen. In dieser Hinsicht muss sie sich radikal von den reformistischen parlamentarischen Parteien unterscheiden, die den Kampf in den Betrieben den Gewerkschaften oder vielmehr ihren Funktionär:innen überlassen, die Politik weitgehend auf Wahlen beschränken und deren Parteiprogramme die Ziele auf das verkürzen, was die Führer:innen für populär halten und ihnen „Macht“, d. h. ein Regierungsamt in der Zwangsjacke des kapitalistischen Staates, verschaffen wird.

Eine leninistische Partei braucht Mitglieder, die die unermüdlichsten und aufopferungsvollsten Aktivist:innen sind, die nicht nur richtungweisend in die gegenwärtigen Kämpfe eingreifen, sondern auch erklären können, dass der Kapitalismus die Ursache für Niedriglöhne, Arbeitslosigkeit und Sozialkahlschlag und darüber hinaus auch für Rassismus, Sexismus und Krieg ist. Sie müssen an den gefährlichsten Orten des Klassenkampfes zu finden sein. Sie müssen sich die Anerkennung ihrer Kolleg:innen als die zuverlässigsten Anführer:innen, die Vorhut des Klassenkampfes, erarbeiten.

Laut Lenin müssen die Parteimitglieder Kader sein, eine militärische Analogie, die sich auf das Netzwerk von Unter- und Feldoffizier:innen einer Armee bezieht. Sie müssen Berufsrevolutionär:innen sein, Personen, die nicht nur ein paar freie Abende der Politik widmen, sondern sie zum Mittelpunkt ihres Lebens machen. Die große Mehrheit dieser Menschen muss aus Arbeiter:innen bestehen, wenn sie im Klassenkampf führend sein will. Eine revolutionäre Partei kann das Wachstum einer Massenbewegung der Arbeiter:innenklasse, mit der sie untrennbar verschmolzen ist, sprunghaft ankurbeln. Das Beispiel der bolschewistischen Partei zeigt, warum sie in der Lage war, die „spontane“ Revolution vom Februar 1917 in die bewusste Machteroberung durch die Arbeiter:innenräte im Oktober zu verwandeln. Diese Schlüsselprinzipien revolutionärer Politik, des revolutionären Programms und des Internationalismus sind heute genauso ausschlaggebend wie zu der Zeit, als Lenin sie entwickelte, und es ist die brennende Aufgabe der revolutionären Sozialist:innen, sie in den gewaltigen Kämpfen, mit denen wir uns heute auseinandersetzen müssen, in die Tat umzusetzen.

Nachdem sie gesehen hatten, dass die Massenparteien der Arbeiter:innenbewegung, sozialdemokratische, Labour und solche, die sich „kommunistisch“ nennen, allgemein ein Hindernis für die Entfaltung der Kampfkräfte darstellten, zogen leider viele junge Aktivist:innen während der Massenkämpfe von 2009 – 2015 daraus den Schluss, dass politische Parteien als solche den Kampf nicht voranbringen könnten. Sie setzten ihnen spontane soziale Bewegungen entgegen wie bei der Besetzung des Tahrir-Platzes in Kairo, der Wall Street in New York, der Puerta del Sol in Madrid oder des Syntagma-Platzes in Athen. Die Alternative sei, so dachten sie, sich auf eine direkte Massendemokratie zu beschränken. Aber das Leben hat bewiesen, dass die Demokratie eines einzigen Ortes oder eines kurzen Augenblicks, auch wenn sie manchmal zum Sturz von Regierungen oder Diktator:innen führt, diese nicht durch die Macht der einfachen arbeitenden Menschen, der Ausgebeuteten und Unterdrückten ersetzen kann. Ein solcher tatsächlicher Machtwechsel innerhalb der Gesellschaft wird nur dann stattfinden, wenn sich eine politische Gegenformation zu den alten Parteien herausbildet, mit der Entschlossenheit und Fähigkeit, diesen auch zu verwirklichen.

Eine revolutionäre Partei muss mit dem Reformismus der alten Linken brechen. Ihre eigenen Mitglieder müssen sie demokratisch kontrollieren. Ihre Aufgabe besteht nicht in erster Linie darin, Wahlen zu gewinnen, und deshalb sollte sie nicht von ihren Abgeordneten und örtlichen Funktionär:innen kontrolliert werden, die über die Mitgliedschaft herrschen, ihre eigene Politik machen und dafür Spitzengehälter und Spesen kassieren.

Im Gegensatz zu den kapitalistischen Parteien darf die revolutionäre Partei keine Versprechungen machen und dann, wenn sie an der Macht ist, das tun, was die Bosse und Bänker:innen diktieren. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Anhänger:innenschaft von Millionen von Menschen zu gewinnen, indem sie diese zum Handeln anleitet. Die Wahlen sollten dazu genutzt werden, ihr Programm für Massenaktionen bekanntzumachen, Propagandist:innen und Agitator:innen in die Räte und Versammlungen zu schicken, um die Vertreter:innen der Kapitalist:innen anzuprangern, aber vor allem, um in aller Öffentlichkeit zu den Massen zu sprechen. Ihre Aufgabe ist es nicht, vorgeblich populäre, in Wirklichkeit aber von den millionenschweren Medien diktierte Ideen zu propagieren. Wenn Parteiangehörige Mandate als Abgeordnete bzw. Ratsmitglieder gewinnen, dürfen nicht diese die Partei kontrollieren, sondern müssen umgekehrt der Kontrolle der Partei unterstehen.

Eine solche revolutionäre Partei könnte heute einen enormen Einfluss innerhalb der Widerstandsbewegungen ausüben, indem sie für Taktiken argumentiert, die die Bewegung voranbringen, allen Ausgebeuteten und Unterdrückten eine Stimme gibt, Rassismus, Sexismus und imperialistische Kriege ebenso bekämpft wie Ausbeutung und Armut. Es ist die Aufgabe einer revolutionären Partei, sich in jede Bewegung zu stürzen, sei es für höhere Löhne oder mehr Demokratie, für Gerechtigkeit zugunsten der national, rassistisch oder geschlechtlich Unterdrückten, und in jedem Fall die Praxis einer einheitlichen Kampffront zu verfechten, während sie geduldig ihre Politik und ihr Programm erklärt und die besten Kämpfer:innen in ihre Reihen holt. In den Gewerkschaften würde eine solche Partei die Basis organisieren, um die Führung zu übernehmen. Während die Gewerkschaftsspitzen zögern, wirksame Maßnahmen gegen die Kürzungen zu ergreifen, könnte eine revolutionäre Partei die Arbeiter:innen darauf orientieren, einen Generalstreik zu koordinieren, mit oder ohne die Gewerkschaftsführer.:innen. Nur mit den Erfahrungen solcher prinzipienfesten Kämpfe wird eine revolutionäre Partei, die diesen Namen verdient, auf eine revolutionäre Situation vorbereitet sein, in der der Kapitalismus gestürzt werden kann.

7.1 Für eine neue, Fünfte Internationale!

Die Arbeit zum Aufbau neuer revolutionärer Parteien in jedem Land muss von Anfang an mit dem Kampf für eine neue Internationale verbunden sein. Die objektive Notwendigkeit, die dies gebietet, sind die globalen Antworten, die zur Bekämpfung von Krieg, kapitalistischer Krise und Klimakatastrophe erforderlich sind. Das Programm zur Bekämpfung dieser und vieler anderer damit verbundener Gefahren muss auf einer internationalen Aktion und einer internationalen Organisation beruhen, die sich dafür starkmacht. Diese Organisation ist eine Fünfte Internationale, die an die Errungenschaften der Ersten, Zweiten, Dritten und Vierten Internationale vor ihrem Zusammenbruch und ihrer Degeneration anknüpft und auf deren Programmen und Praxis aufbaut.

Es ist eine völlig falsche Vorstellung, dass es vor der Gründung einer Internationale zunächst eine Reihe von starken nationalen Parteien geben muss, die jeweils in „ihrer“ Arbeiter:innenklasse fest verankert sind. Diese Konzeption verkennt, dass alle Organisationen, wenn sie isoliert voneinander aufgebaut werden, dazu neigen werden, eine Politik zu verfolgen, die die Grenzen ihres spezifischen Milieus widerspiegelt, und Gefahr laufen, dem Druck und den Verzerrungen eines nationalen Charakters zu erliegen. Die Marx’sche Losung – Arbeiter:innen aller Länder, vereinigt euch – ist keine rhetorische Floskel.

Dieses Ziel für die Parteien der Arbeiter:innenklasse muss damit verbunden sein, alle bestehenden Massenorganisationen der Ausgebeuteten und Unterdrückten zu ermutigen, den gleichen Weg zu gehen, angefangen beim Aufbau organisierter ständiger Verbindungen der Solidarität und gemeinsamer Aktionen mit Gleichgesinnten in aller Welt. Der Aufbau einer neuen Internationale ist keine Aufgabe, die auf kleine revolutionäre Propagandagruppen beschränkt ist, und sie muss auch nicht auf deren Vereinigung oder die Lösung ihrer strategischen und taktischen Differenzen warten, so wichtig dies auch sein mag.

Die Aufgabe, eine Nachfolge der vier historischen Internationalen aufzubauen, muss der Massenvorhut der Arbeiter:innen gestellt werden, denjenigen, die heute an der Spitze der Kämpfe stehen. Es ist möglich, dass die Schicht der Arbeiter:innenmilitanten und die Aktivist:innen der vielen Bewegungen der sozial, ethnisch oder geschlechtlich Unterdrückten, die nicht von bürgerlichen Führungen dominiert werden, eine internationale Versammlung oder ein internationales Forum schaffen können, in denen dieser Aufbau – ähnlich wie bei der Internationalen Arbeiter:innenassoziation (der Ersten Internationale) oder der sogenannten antikapitalistischen Bewegung um die Wende zum 21.Jahrhundert – beginnen kann.

Das schließt jedoch nicht aus, dass kleine Tendenzen wertvolle Arbeit leisten, indem sie Propaganda betreiben und sich in begrenztem Umfang im Klassenkampf engagieren, internationale Organisationen aufbauen und gemeinsame Programme entwickeln. Trotzki war der Auffassung, dass revolutionäre Kommunist:innen schon in den frühesten Vorphasen der Partei Gesinnungsgenoss:innen auf der ganzen Welt suchen und die Strategie, Taktik und organisatorischen Grundlagen für eine „Weltpartei der sozialistischen Revolution“ schaffen müssen. So gründeten er und seine Mitstreiter:innen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs die Vierte Internationale. Aufgrund der ungünstigen objektiven Bedingungen – der Zweite Weltkrieg und das Überleben und die Ausbreitung sowohl der bürgerlichen Demokratie als auch der degenerierten Arbeite:innenrstaaten – übten der Stalinismus und die Sozialdemokratie enormen Druck auf die winzigen Kaderkerne aus, und die Vierte Internationale machte eine zentristische Degeneration und Zersplitterung durch, lange bevor sie mit den revolutionären Massenvorhutkräften verschmelzen konnte.

Nichtsdestotrotz hat die trotzkistische Tradition in ihren verschiedenen Abspaltungen und innerhalb einer Vielzahl von internationalen Tendenzen oft einige wichtige Prinzipien ihres Gründers bewahrt. Ihr Fehler bestand und besteht darin zu glauben, dass sie mit ihren geringen Kräften immer noch die Vierte Internationale Trotzkis repräsentiere oder auch dass entweder durch einfaches Wachstum oder die Wiedervereinigung einiger oder aller ihrer entarteten Fragmente eine neue Internationale gegründet werden könnte. Es ist ein ähnlicher Irrtum zu glauben, dass kleine Propagandagesellschaften, die Dutzende oder gar Tausende zählen, in Wahrheit revolutionäre Parteien darstellen.

Die Revolution des 21. Jahrhunderts und eine erneuerte klassenbewusste Arbeiter:innenbewegung, die politisch unabhängig von allen bürgerlichen Kräften ist, muss von Anfang an auf dem Prinzip des Internationalismus aufbauen, d. h. im Hier und Jetzt die Aufgabe angehen, eine neue, proletarische internationale Kampforganisation aufzubauen.

Der Kampf gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen der Menschheit, die Internationalisierung der Produktion, die Angriffe auf die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und Migrant:innen, die Bedrohung durch Handels- und heiße Kriege zwischen rivalisierenden imperialistischen Blöcken, um nur einige der Schlagzeilen unserer Agenda zu nennen, erfordern einen koordinierten gemeinsamen Kampf über Grenzen hinweg und revolutionäre Veränderungen im Weltmaßstab. Ein Rückzug auf nationale „Lösungen“ kann die Reaktion nur stärken, ja ist selbst ein Ausdruck des Erstarkens dieser Kräfte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelte die Antiglobalisierungsbewegung Foren des Austauschs und setzte auf ihrem Höhepunkt Massenaktionen in Gang oder verband sie miteinander, darunter Demonstrationen von Millionen gegen den Irakkrieg. Einige ihrer führenden Köpfe sprachen die Möglichkeit einer Fünften Internationale an, um sie dann wieder fallen zu lassen, als sich eine neue Krise, die Große Rezession, am Horizont abzeichnete. Letztlich scheiterte sie jedoch daran, dass ihre reformistische und kleinbürgerliche Führung nicht bereit war, in national verankerten Massenorganisationen, seien es Gewerkschaften oder politische Parteien, für verbindliche internationale Entscheidungen aufzutreten.

Die Große Rezession und die verheerenden Auswirkungen der Krise, die Massenbewegungen des Arabischen Frühlings, die Kämpfe in Griechenland und die Besetzung von Plätzen haben die Notwendigkeit einer Internationale erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Doch auch hier versagte die Linke auf globaler und kontinentaler Ebene. So ist die europäische reformistische, aber auch die radikale und antikapitalistische Linke an der Aufgabe, den Widerstand gegen den kapitalistischen Sozialraubzug europaweit zu vereinen, völlig gescheitert. Sie hat sich als unfähig erwiesen, auch nur ansatzweise ein europäisches Aktionsprogramm gegen Krise und Kapitalismus zu entwickeln. Trotz ihres populistischen Charakters hatten der Chávismus und die bolivarische Bewegung vorübergehend den gemeinsamen Kampf in Lateinamerika und darüber hinaus proklamiert. Doch dies erwies sich als Märchen.

Nach dem Beginn einer neuen globalen Krisenperiode, nach der größten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg, hat sich die reformistische Arbeiter:innenbewegung auf das nationale Terrain zurückgezogen. Ihr „Internationalismus“ beschränkt sich im Wesentlichen auf Sonntagsreden und Grußadressen. Dies entspricht der Position der Arbeiter:innenbürokratie, deren „Verhandlungsmacht“ an ihre nationale Kapitalist:innenklasse gebunden ist und dabei hinter der Internationalisierung des Kapitals selbst zurückbleibt.

Auch die „radikale“ linksreformistische, zentristische, anarchistische oder libertäre Linke sucht heute ihr Heil in der Orientierung auf das nationale Rückzugsgebiet. Selbst den meisten „internationalen Organisationen“ gelingt es heute nicht mehr, ihre Politik auf ein internationales Programm, eine gemeinsame Strategie und Taktik zu gründen. Entweder sind sie national ausgerichtete Sekten, um die andere Sektionen wie Satelliten kreisen, oder sie sind zunehmend nur noch lose Netzwerke, die sich weigern, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Damit werfen sie nicht nur alle Lehren aus dem Scheitern der Antiglobalisierungsbewegung, sondern auch der Degeneration der Zweiten und Dritten Internationale über Bord.

Das bedeutet, dass der größte Teil der globalen Linken eine politisch passive, wenn nicht gar bremsende Haltung gegenüber den spontanen Tendenzen zur Bildung internationaler Bewegungen einnimmt. Dabei haben sich in den letzten Jahren internationale Kampagnen und Bewegungen über nationale Grenzen hinweg ausgebreitet wie die #MeToo-Frauenbewegung gegen sexistische Übergriffe, der Kampf gegen die Auswirkungen des Klimawandels und die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit, die Flüchtlingsbewegungen, die die Abgrenzungspolitik der EU und USA in Frage stellten.

Dann gab es Ansätze zur grenzüberschreitenden Koordinierung von Arbeiter:innenkämpfen, Solidaritätsbewegungen gegen imperialistische Interventionen und reaktionäre Putschversuche. All diese Mobilisierungen stellen Möglichkeiten für grenzüberschreitende, ja, Erdteile übergreifende Kämpfe und koordinierte Aktionen dar. Sie gehen jedoch noch nicht über die „Vernetzung“ eigenständiger nationaler Kampagnen hinaus, erst recht entwickeln sie kein internationales Programm für koordinierte Aktionen. Dies ist jedoch nicht die Schuld der Aktivist:innen, die sie in Gang gesetzt haben. Es ist vor allem das Versäumnis der organisierten Linken.

Viele von ihnen haben aus den Niederlagen die grundfalsche Schlussfolgerung gezogen, dass internationale Kämpfe und der Aufbau einer Internationale heute nicht auf der Tagesordnung stehen könnten, größere Organisationen und Bewegungen zunächst auf nationaler Ebene aufgebaut und entwickelt werden müssten. Nur auf dieser Grundlage sei eine grenzüberschreitende Koordination von Kämpfen und Organisationen möglich und sinnvoll. Dieses platonische Verhältnis zum internationalen Klassenkampf stellt ein grundsätzliches politisches Problem unserer Zeit dar, es ist selbst Ausdruck eines globalen Rechtsrucks, eines Erstarkens des Nationalismus, und so verschärft die nationalbornierte Politik das Problem.

Revolutionäre Marxist:innen, Internationalist:innen und Antikapitalist:innen müssen diese reaktionäre Tendenz unversöhnlich bekämpfen. Sie müssen sich den spontanen internationalistischen Tendenzen unter den Arbeiter:innen, in der Frauenbewegung, der Jugend, den Kämpfen gegen Imperialismus und Umweltzerstörung zuwenden. Nur so wird es möglich sein, diese Aktivist:innen und Kämpfer:innen für ein revolutionäres Programm zu gewinnen. So wie Revolutionär:innen für die Umgestaltung der Gewerkschaften auf internationaler Ebene kämpfen müssen, so müssen sie sich für länderübergreifende Aktionskonferenzen und eine demokratisch verantwortete Kampfkoordination einsetzen. Die Sozialforen, die sich Ende des 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts formierten, können als Modell dienen, ohne ihre Schwächen, das Fehlen verbindlicher Beschlüsse und gemeinsamer Aktionen, zu wiederholen.

In den entstehenden globalen Bewegungen der Unterdrückten wie auch in Erhebungen auf nationaler Ebene sollten Revolutionär:innen stets die Notwendigkeit einer neuen Internationale betonen. Die Gefahr eines imperialistischen Krieges, die uns jetzt droht, macht dies umso dringlicher. Wir treten zwar von Anfang an für ein revolutionäres Programm ein, aber wir können die Zustimmung zu diesem Programm nicht zur Vorbedingung für gemeinsame internationale Kampfstrukturen und echte Schritte zum Aufbau einer neuen Masseninternationale machen. Um wirksam und zielstrebig für eine solche Perspektive eintreten zu können, müssen Revolutionär:innen selbst auf der Grundlage eines gemeinsamen Programms von Übergangsforderungen, eines Programms der sozialistischen Weltrevolution, kämpfen.

Wir rufen alle Genoss:innen, alle sozialistischen, kommunistischen und trotzkistischen Strömungen, die mit einer solchen Perspektive übereinstimmen, dazu auf, ein internationales Programm, das wir hier zur Diskussion stellen, als eine gemeinsame revolutionäre Antwort auf die bevorstehenden Angriffe zu erarbeiten.

LFI-Kongress, 25. Juni 2023




ITO-LFI-Erklärung

Internationale Trotzkistische Opposition (ITO) und Liga für die Fünfte Internationale (LFI), 8. Februar 2024, Infomail 1244, 8. Februar 2024

Die Internationale Trotzkistische Opposition (ITO) und die Liga für die Fünfte Internationale (LFI) haben über die letzten anderthalb Jahre eine Reihe von Treffen und anderen Begegnungen sowie darüber hinaus Briefwechsel und Dokumentenaustausch geführt.

Am 17. Dezember 2023 hielten die führenden Gremien der ITO und der LFI eine Videokonferenz ab, in der bestätigt wurde, dass sie in vielen programmatischen Positionen und einer Analyse der weltpolitischen Lage im Wesentlichen übereinstimmen.

Wir erkennen beide an, dass die gegenwärtige Periode durch einen sich verschärfenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten, den alten imperialistischen Staaten wie den USA und ihren Verbündeten (den westeuropäischen imperialistischen Mächten, Japan, Australien und anderen) auf der einen und den neuen imperialistischen Mächten, China und Russland, auf der anderen Seite gekennzeichnet ist.

Wir sind uns einig, dass alle diese imperialistischen Mächte und aufstrebenden Blöcke bekämpft werden müssen. Die Arbeiter:innenklasse darf keine/n von ihnen unterstützen. In allen imperialistischen Staaten muss sie erkennen, dass die Hauptfeindin in diesem Kampf „im eigenen Land steht“, ihre „eigene“ imperialistische Bourgeoisie.

Gleichzeitig erkennen wir an, dass diese globale Rivalität und dieser Konkurrenzkampf die Notwendigkeit, das Recht auf Selbstbestimmung und die demokratischen Kämpfe unterdrückter Nationen zu verteidigen, nicht in den Hintergrund drängen.

Im Ukrainekrieg müssen wir nicht nur die Kriegstreiberei des russischen Imperialismus zurückweisen, sondern auch die Wirtschaftssanktionen und den neuen Kalten Krieg, der von den USA, Großbritannien, Deutschland und der gesamten EU geführt wird. Allerdings macht der globale imperialistische Konflikt den ukrainischen Kampf gegen die russische imperialistische Invasion nicht reaktionär. Die Arbeiter:innenklasse muss die Ukraine gegen Putins Angriff verteidigen, ohne die reaktionäre Selenskyj-Regierung zu unterstützen, und für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von allen bürgerlichen Kräften kämpfen.

Wir stimmen auch darüber überein, dass Revolutionär:innen den palästinensischen Widerstand in Gaza und im Westjordanland gegen den von Israel geführten Krieg mittragen müssen. Es ist die dringende Pflicht aller Revolutionär:innen, die weltweite Bewegung der Solidarität mit Palästina maximal zu fördern und gleichzeitig eine klare revolutionäre antikapitalistische Perspektive für seine Entwicklung aufzuzeigen, indem sie für einen säkularen, demokratischen, sozialistischen Staat in ganz Palästina als Teil einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten eintreten.

Wir sind uns einig über die Notwendigkeit der Neugründung einer revolutionären Arbeiter:innen-Internationale und über das Gebot, sofortige praktische Schritte zur Neuformierung zu unternehmen. Dieser Prozess hat dazu geführt, dass beide Seiten zugestimmt haben, in eine Phase der Diskussion einzutreten, die auf eine Fusion auf der Grundlage einer programmatischen Übereinstimmung abzielt.

In zwei wichtigen methodischen Fragen, die mit diesem Prozess zusammenhängen, sind wir jedoch weiterhin unterschiedlicher Meinung.

Punkte der Diskussion

Die ITO und die LFI sind sich einig, dass keine Bewegung, auch nicht die der Gewerkschaften, eine revolutionäre Internationale aufbauen kann, und zwar im Wesentlichen aus den gleichen Gründen, aus denen keine Bewegung, auch nicht die Gewerkschaftsbewegung, eine revolutionäre Partei aufbauen kann. Wie Lenin in „Was  tun?“ erklärt hat, ist Spontaneität nicht genug. Um dieses Ziel zu erreichen, sind ein revolutionäres marxistisches Programm und eine Führung erforderlich.

Wir stimmen zu, dass in einigen Ländern und zu bestimmten Zeiten – wenn es keine Vertretung der Arbeiter:innenklasse im politischen Spektrum gibt, wichtige Gewerkschaftsorganisationen existieren und die revolutionäre Bewegung schwach ist – Revolutionär:innen möglicherweise vorschlagen müssen, dass Massenorganisationen der Arbeiter:innen oder Unterdrückten eine eigene politische Partei gründen. Dieser Vorschlag könnte an die Gewerkschaften in Form einer Arbeiter:innenpartei oder an eine dynamische Massenbewegung eines Sektors der Arbeiter:innenklasse gerichtet werden.

Revolutionär:innen sollten ein antikapitalistisches Übergangsprogramm für eine solche Partei vorschlagen und gleichzeitig erklären, dass die Gründung der Partei einen Schritt nach vorn für die Arbeiter:innenklasse darstellen würde, unabhängig davon, ob ihr Programmvorschlag angenommen wird oder nicht.

Wir stimmen mit Trotzki, Cannon und den amerikanischen Trotzkist:innen von 1938 darin überein, dass diese Partei nicht mit der revolutionären marxistischen Partei oder einer Sektion einer revolutionären Internationale verwechselt werden darf, da diese sich auf aktive Kämpfer:innen stützen müssen, die sich auf der Grundlage des vollständigen marxistischen Programms und der marxistischen Theorie neu gruppieren und entlang demokratisch-zentralistischer Linien organisiert sind.

Die LFI ist allerdings der Auffassung, dass eine solche Arbeiter:innenpartei unter günstigen Umständen als Brücke oder Übergang zu einer vollständig revolutionären Partei dienen könnte, je nachdem, ob es den revolutionären Kräften gelingt, sie für ihr Programm und die leninistische Parteiorganisation zu gewinnen.

Die ITO hingegen sieht diese mögliche Arbeiter:innenpartei als eine Einheitsfrontorganisation wie die Gewerkschaften, deren politischer Ausdruck sie ist. Das Ziel der revolutionären Partei wäre es, zu versuchen, maximalen Einfluss und möglicherweise die Hegemonie in der Arbeiter:innenpartei zu gewinnen, um sie als unterstützendes Instrument im Kampf um die Macht zu nutzen.

Die ITO argumentiert, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass spontane Bewegungen internationale Organisationen gründen, es sei denn, sie werden von Gewerkschaftsbürokrat:innen, reformistischen politischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen so stark dominiert, dass die Taktik der Arbeiter:innenparteien nicht mehr angemessen ist.

Die LFI vertritt dagegen die Auffassung, dass Gewerkschafts- und Bewegungsaktivist:innen ein internationales Forum schaffen könnten, das, wenn es nicht wie die Sozialforen des ersten Jahrzehnts des Jahrhunderts von bürokratischen und kleinbürgerlichen Kräften dominiert würde, von Revolutionär:innen mit der Taktik angegangen werden könnte, sie zum Aufbau einer neuen Internationale zu bewegen. Die LFI ist der Ansicht, dass es keinen guten Grund für die Annahme gibt, dass dies prinzipiell weniger fruchtbar ist als die von Trotzki in den späten 1930er Jahren entwickelte „Arbeiter:innenparteitaktik“.

Es könnte damit beginnen, koordinierte gemeinsame Aktionen zur Verteidigung von Arbeiter:innen im Kampf in verschiedenen Ländern und Kontinenten zu organisieren, einschließlich derjenigen, die unter geschlechtsspezifischer, rassistischer oder nationaler Unterdrückung leiden, oder im Widerstand gegen imperialistische Kriege und Interventionen. Aber gleichzeitig wäre es notwendig, unermüdlich für ein vollständig revolutionäres Programm und die Schlüsselelemente des demokratischen Zentralismus zu kämpfen, um dadurch eine revolutionäre Führung und eine Internationale in der Tradition der vorherigen vier zu schaffen.

Die ITO wiederholt auf internationaler Ebene unsere oben beschriebene Analyse der Position von Trotzki und Cannon in den 1930er Jahren, die einfach die Verteidigung der leninistischen Grundsätze zur Notwendigkeit und Rolle der revolutionären Arbeiter:innenpartei in Bezug auf eine komplexe Taktik gegenüber der allgemeinen Arbeiterbewegung darstellt.

Sollte die von der LFI vorgebrachte Hypothese eintreten – was uns (der ITO) äußerst unwahrscheinlich erscheint –, würde die ITO sie nicht als einen Schritt in Richtung der revolutionären Internationale unterstützen, sondern als den Aufbau einer Einheitsfrontorganisation, die auf internationaler Ebene eingesetzt werden soll, wie wir es für eine Arbeiter:innenpartei auf nationaler Ebene angedeutet haben.

Wäre das Forum klassenübergreifend, wie die Weltsozialforumbewegung oder Fridays for Future, wäre die Aufrechterhaltung der politischen Unabhängigkeit und der demokratisch-zentralistischen Disziplin der revolutionären Organisation sowohl in klassenbezogener als auch politischer Hinsicht notwendig.

Der Unterschied hat keine unmittelbaren praktischen Auswirkungen, da der Weltgewerkschaftsbund (WGB) und andere derzeit bestehende internationale Foren von bürokratischen und kleinbürgerlichen Kräften dominiert werden und die LFI nicht vorschlägt, ihnen gegenüber eine Taktik nach Art der Arbeiter:innenparteien anzuwenden. Aber wir müssen die methodologische Meinungsverschiedenheit untersuchen, um zu sehen, ob sie in der Zukunft zu Problemen führen könnte.

ITO und LFI sind sich einig, dass es notwendig ist, sich in einem gemeinsamen Kampf und einer gemeinsame Debatte mit uns nahestehenden revolutionären marxistischen und linksgerichteten zentristischen Organisationen zu engagieren, ihre politischen Positionen zu untersuchen und sich mit ihnen zu vereinigen, wenn wir zu einer prinzipiellen Übereinstimmung kommen.

Wir sind jedoch uneins darüber, wie andere trotzkistische Organisationen zu charakterisieren sind. Die ITO betrachtet die trotzkistischen Organisationen, denen sie den Vorrang gegeben hat, als wirklich revolutionäre Organisationen mit verschiedenen politischen Grenzen und theoretischen oder praktischen Fehlern. Die LFI betrachtet sie als linke Zentrist:innen, die sich hoffentlich nach links bewegen, wie diejenigen, die Lenin in die Dritte und Trotzki in die Vierte Internationale hineingezogen hatten.

Wir sind verschiedener Meinung, ob es ein allgemeines Muster gibt, dass linksgerichtete Aktivist:innen vom Trotzkismus angezogen werden, und daher unsererseits die Notwendigkeit einer allgemeinen Politik der revolutionären Umgruppierung gegenüber konsequent trotzkistischen und linksgerichteten trotzkistisch-zentristischen Kräften besteht.

Die LFI begrüßt zwar alle linksgerichteten nationalen Organisationen oder internationalen Strömungen und wird auf deren Einheit hinarbeiten, glaubt aber nicht, dass eine neue Internationale einfach eine vergrößerte Sammlung von Propagandagruppen sein kann, sondern ein Ziel ist, das in den kämpfenden Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten angestrebt und erkämpft werden muss.

Die ITO stimmt zu, dass eine neue Internationale nicht einfach eine vergrößerte Sammlung von Propagandagruppen sein kann, sondern die Masse der Arbeiter:innenavantgarde einbeziehen muss. Das Problem ist, dass die ITO, die LFI und andere revolutionäre marxistische internationale Gruppen noch zu klein sind, um in den Massenorganisationen viel Einfluss zu haben. Wir sind kämpfende Propagandagruppen, greifen in Kämpfe ein, um unsere Orientierung zu entwickeln und zu demonstrieren. Wir sind dabei, die Kräfte neu zu gruppieren, um in einem größeren Rahmen zu intervenieren. Wir befinden uns in der Phase der „Erklärung der Vier“ in der Entwicklung der Vierten Internationale.

Die ITO und das LFI werden Dokumente austauschen und Treffen organisieren, um die beiden ungelösten Fragen zu erörtern. Um eine unbestimmte Verlängerung der gegenwärtigen Diskussionsphase zu vermeiden, werden wir uns maximal achtzehn Monate Zeit lassen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Wenn die Schlussfolgerung positiv ausfällt, werden wir eine Vorkongressdiskussion über einen Fusionskongress eröffnen, an der nach Möglichkeit auch andere gleichgesinnte Kräfte teilnehmen.

In der Zwischenzeit werden wir die gegenwärtige Phase unserer Diskussion fortsetzen und vertiefen, und zwar durch einen Meinungsaustausch über aktuelle Ereignisse, durch gemeinsame Erklärungen zu wichtigen Fragen, durch die weitere Prüfung von Dokumenten und durch Treffen, um unseren praktischen Ansatz bei klassenkämpferischen Interventionen kennenzulernen und zu überprüfen, ob wir wirklich so einig sind, wie wir in anderen Fragen zu sein scheinen.




Einleitung zum Trotzkistischen Manifest

Das Trotzkistische Manifest, Einleitung, Sommer 1989

Das marxistische Programm basiert auf den Prinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus. Es analysiert jede soziale und politische Entwicklung vom Standpunkt des dialektischen Materialismus. Dieser geht davon aus, daß der Klassenkampf der treibende Motor der Geschichte ist, und erkennt in der Arbeiterklasse die einzig durchgängig revolutionäre Klasse. Während jedoch das allgemeine marxistische Programm die theoretische Methode des dialektischen Materialismus und die strategischen Ziele des Sozialismus umfaßt, konzentrieren sich die großen programmatischen Beiträge in der Geschichte der marxistischen Bewegung auf die praktischen Aufgaben, die sich aus diesen grundlegenden Prinzipien ergeben. Sie beinhalten die Strategie und die Taktiken zur Erreichung der allgemeinen Ziele und trennen diese Fragen nicht vom Programm. Im marxistischen Programm besteht keine Mauer zwischen Strategie, Taktiken und Prinzipien. Dies ist vom Kommunistischen Manifest bis zum Übergangsprogramm von 1938 klar. Ausgehend von dieser Methode haben wir das Programm der LRKI entwickelt.

Die Sozialdemokratie geht noch immer mit dem Minimal-Maximal-Programm hausieren, das sich in der kapitalistischen Epoche des freien Wettbewerbs den Weg bahnte und durch die strikte Trennung von Minimalforderungen (wirtschaftlichen oder politischen Reformen, die im Rahmen des Kapitalismus erreichbar sind) und dem Maximalziels des Sozialismus gekennzeichnet war. Diese Trennung der zwei Elemente des Programms, niedergelegt im „Erfurter Programm“ der deutschen Sozialdemokratie, war die Grundlage seiner opportunistischen Auslegung und Anwendung durch den sich entwickelnden reformistischen Flügel der II. Internationale. Die heutige Sozialdemokratie unterscheidet sich von ihren klassischen Vorläufern nur in der immer größeren Schwächlichkeit ihrer Forderungen nach Minimalreformen und in den immer selteneren Sonntagsreden über das Fernziel des Sozialismus.

In der Epoche des Konkurrenzkapitalismus war die Arbeiterklasse, insbesondere in Europa, dazu gezwungen, für eine Reihe von wirtschaftlichen und politischen Rechten zu kämpfen, um eine organisierte Massenbewegung der Gewerkschaften und politischen Parteien aufzubauen. Im diesem Prozeß selbst bildete sich aus der Arbeiteraristokratie eine reformistische Bürokratie heraus, für die ausgewählte Elemente des Minimalprogramms, die durch rein friedliche, legale und parlamentarische Methoden erreicht werden sollten, bloßer Selbstzweck waren. Das stand in scharfem Widerspruch zu der Position Engels‘ und Lenins, die argumentierten, daß diese Reformen nur ein Mittel seien, um einen wirklichen Kampf für den Sozialismus zu entwickeln. Der Anbruch der imperialistischen Epoche stärkte die reformistische Bürokratie beträchtlich. Indem sie die methodische Schwäche des Minimal- Maximal-Programms ausbeutete, verstärkte sie die strikte Trennung des Kampfes um Reformen von jeder revolutionären Perspektive zum Sturz des Kapitalismus. Das strategische Ziel des Reformismus bestand also darin, sich selbst innerhalb des Kapitalismus eine einflußreiche Position zu sichern. Für diesen Zweck versuchten die Reformisten, Arbeiterkämpfe zurückzustellen, indem sie die parlamentarische Wahltaktik zu ihrer zentralen Strategie der Erreichung von Reformen im Kapitalismus umfunktionierten.

Andererseits führten auch der internationale Stalinismus und sogar Teile des kleinbürgerlichen Nationalismus die Massen mit einer Abart des Minimal-Maximal-Programms in die Irre: mit dem Programm der Etappen, das auf der Theorie des „Sozialismus in einem Lande“ aufbaut. Dieses Programm und diese Theorie wurden durch die konservative Bürokratie der UdSSR in den 20er Jahren während der Periode der politischen Konterrevolution gegen die Arbeiterklasse entwickelt. Gemäß diesem Etappenprogramm bedeutet die Existenz der Sowjetunion, daß es für Revolutionen möglich sei, vor einer friedlichen Entwicklung zum Sozialismus eine demokratische Etappe zu durchlaufen. Dabei sei diese demokratische Etappe (verschiedenermaßen fortgeschrittene Demokratie, Volksdemokratie, antiimperialistische Demokratie genannt) streng von einer sozialistischen Etappe getrennt. Der Kapitalismus müsse während dieser demokratischen Etappe aufrechterhalten werden, und dann könne sich der Sozialismus schrittweise und friedlich entwickeln – gemäß den spezifischen Gesetzen, die in jedem Land wirken.

Dieser wiederaufgewärmte Menschewismus ist eine zynische Politik seitens der Bürokratie, um die Kämpfe gegen den Kapitalismus zu beschränken und um für seine Dienste mit einer endlos langen Periode der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus belohnt zu werden. Diese Abart des Minimal-Maximal-Programms (und da bildet auch die „linkeste“ Form, welche behauptet, daß die Durchführung der demokratischen Etappe nicht der Bourgeoisie überlassen werden könne, sondern vom Proletariat geführt werden müsse, keine Ausnahme) ist eine Schlinge um den Hals des Proletariats und der Unterdrückten. Ihre Konsequenz war und ist immer die Konterrevolution, entweder von seiten einer Kapitalistenklasse, die imstande war, sich während der „demokratischen“ Etappe neu zu gruppieren (Chile, Portugal) oder seitens einer stalinistischen Bürokratie, die gezwungen ist, den Kapitalismus zu liquidieren, um sich selbst zu verteidigen, allerdings nur unter der Bedingung der erfolgreichen politischen Entmachtung der Arbeiterklasse wie in Osteuropa, China, Indochina und Kuba.

Das Minimal-Maximal-Programm, ob in seinem stalinistischen oder sozialdemokratischem Gewand, hat also seine fortschrittliche Rolle überlebt und hat sich in ein Hindernis verwandelt, nicht nur im Kampf um den Sozialismus, sondern sogar im Kampf um die Gewinnung oder Verteidigung erfolgreicher Reformen. Denn der Kapitalismus kann weder permanente systematische soziale Reformen schaffen, noch kann er für eine dauernde und selbständige bürgerliche Demokratie sorgen. Um seine wiederkehrenden Krisen zu lösen, ist die Bourgeoisie daher gezwungen, jede ernste ökonomische Errungenschaft mitsamt den politischen Rechten der Arbeiterklasse anzugreifen. Der Kampf der Bürokratie zur Anpassung an ein solches System kann daher nur die Opferung selbst des Minimalprogramms an die Bedürfnisse des Profitsystems heißen. Die Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse erfordert aber ökonomische und politische Kriegsführung gegen den Kapitalismus – sogar zur Erzielung angemessener Löhne oder zur Sicherung der Arbeitsplätze.

Dabei sind die Grenzen des Minimal-Maximal-Programms in aller Welt erkennbar: Der Imperialismus ist unfähig, radikale und konsequente Agrarreformen zu sichern oder parlamentarische Demokratien in den meisten Halbkolonien aufrechtzuerhalten. Die offensichtliche Rechtfertigung des Minimalprogramms, daß mit Phasen des Aufschwungs die Gewährung von Reformen seitens des Kapitalismus an einige Teile der Arbeiterklasse verbunden sei, ist ebenfalls eine bloß oberflächliche. Selbst das Proletariat in den am höchsten entwickelten Ländern braucht immer mehr ein Programm, das die unmittelbarsten Verteidigungskämpfe mit der Hauptaufgabe der Epoche verbindet, nämlich dem Kampf um die Macht der Arbeiterklasse. Um den spontanen Klassenkampf zu sozialistischen Zielen weiterzuentwickeln, ist aber eine Brücke notwendig. Das Programm von Übergangsforderungen ist eine derartige Brücke.

Derartige Forderungen wurden erstmals systematisch in Trotzkis Übergangsprogramm dargelegt. Doch schon Marx und Engels hatten eine Reihe von Übergangsforderungen im Kommunistischen Manifest 1848 formuliert, später waren es Lenin und die Bolschewiki, gefolgt von der Kommunistischen Internationale (Komintern), die auf den ersten vier Kongressen zugespitzte Aktionsprogramme erarbeiteten. Doch Trotzkis Werk von 1938, die programmatische Grundlage der Vierten Internationale, war der klarste und vollständigste Ausdruck der programmatischen Entwicklung der vorangegangenen 90 Jahre des Marxismus. In jeder Phase wurden die programmatischen Erklärungen des Marxismus bereichert, da sich die kapitalistische Gesellschaft selbst entwickelte. Und in jedem Fall haben die Marxistinnen und Marxisten es für nötig empfunden, das Programm im Lichte der Erfahrung zu verfeinern und wiederzuerarbeiten. Diese ist – in Trotzkis Worten – das oberste Kriterium der Vernunft. 1938 erstellte Leo Trotzki ein scharf zugespitztes Aktionsprogramm, das die Schlüsselfragen des Tages ansprach und sie im Lichte der Erfahrung der vorangegangenen zwei Jahrzehnte des Kampfes und der weltweiten Krise beantwortete. Es verkörperte sowohl die Lehren aus dem Zusammenbuch der ersten drei Internationalen als auch die Weiterführung des Beitrags, den sie in ihren revolutionären Jahren geleistet hatten. Das Übergangsprogramm von 1938 war damit ein wiedererarbeitetes Programm des revolutionären Marxismus.

Mehr als fünf Jahrzehnte an tiefgreifenden Entwicklungen im Weltimperialismus und Weltstalinismus, in den Halbkolonien, den Kämpfen der Arbeiterklasse und der Unterdrückten, all das verpflichtet uns, das Übergangsprogramm wiederzuerarbeiten. Dies haben wir geleistet, und unser Programm ist, wie das von 1938, eine Entwicklung der vorangegangenen Programme des revolutionären Marxismus bis zum heutigen Tag, kein Bruch mit ihnen. Es steht also auf den Schultern der vorangegangenen Errungenschaften des revolutionären Marxismus. Es baut selbst auf dieser Methode auf und schließt alle wesentlichen Merkmale, und ebenso viele ihrer Forderungen, mit ein. Wie die vorangegangenen Programme wird es zu Aktionsprogrammen für einzelne Länder, für bestimmte historische Situationen oder für die jeweiligen Schichten im Kampf aufgegliedert werden müssen. Derartige Aktionsprogramme werden, wie Trotzkis eigenes Aktionsprogramm für Frankreich, alle Schlüsselelemente des allgemeinen Programms selbst enthalten, werden sie jedoch scharf auf eine einzelne Situation oder das betreffende Land zuspitzen.

Unser Programm ist ein Weltprogramm für die Weltpartei der sozialistischen Revolution, zugespitzt auf die brennenden Probleme, die für die krisengeschüttelten Schlußjahre des 20. Jahrhunderts charakteristisch sein werden. Es ist ein Übergangsprogramm zur sozialistischen Revolution, und als solches besitzt es in gleichen Maßen für imperialistische und halbkoloniale Länder die volle Gültigkeit. Aber es ist gleichfalls ein Programm für den Übergang zum Sozialismus in den Arbeiterstaaten. Es spricht die brennenden Aufgaben an, denen sich die Arbeitenden in diesen Staaten gegenübersehen, in denen der Kapitalismus abgeschafft wurde, aber wo die stalinistische Bürokratie die Arbeiterklasse politisch enteignet hat und der eigentliche Übergang zum Sozialismus als Ergebnis dessen aufgehalten wurde. Es ist ein Aktionswegweiser für die Millionen, die um die Lösung der Probleme, denen die Menschheit gegenübersteht, kämpfen. Es ist ein Programm, das den Weg zu einer Gesellschaft, die auf der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse beruht, ebnet und im scharfen Gegensatz steht zu jenen Gesellschaften, die entweder auf der Gier nach Profit beruhen oder auf der Befriedigung der Bedürfnisse einer parasitären Bürokratie.

Während unser Programm in seinem Zentrum ähnlich dem Programm von 1938 ein zugespitztes Aktionsprogramm enthält, ist es heute aber auch notwendig, Probleme anzusprechen, die in diesem Dokument nicht behandelt wurden. Als wiedererarbeitetes Programm muß es der Tatsache ins Auge sehen, daß die Kontinuität der marxistischen Bewegung 1951 mit der Degeneration der Vierten Internationale in den Zentrismus unterbrochen wurde. Eine Periode von vier Jahrzehnten ist seit dieser Degeneration verstrichen. Die Fragen der Perspektiven, der Taktik und der Strategie wurden während dieser vierzig Jahre niemals in einer revolutionären Weise analysiert, geschweige denn in einem konsequent revolutionären Programm beantwortet. Die Lehren der zentralen Ereignisse in dieser Periode, die Schaffung degenerierter Arbeiterstaaten, der lange imperialistische Boom, die anti-imperialistischen Kämpfe, die zentralen Klassenkämpfe und revolutionären Situationen wurden nicht in einer Reihe von Programmen, Thesen und Dokumenten zusammengefaßt. Statt dessen besteht die Geschichte der aus der Vierten Internationale entstandenen Zentristen aus systematischen Irrtümern und verschiedenen opportunistischen oder sektiererischen Entstellungen des marxistischen Programms. Unser Programm basiert daher nicht auf einer ungebrochenen Vergangenheit revolutionärer Positionen und kann sich nicht wie das Programm von 1938 es noch vermochte, auf 15 Jahre von Dokumenten, Positionen, Thesen und Programmen (von der Linken Opposition bis zur Gründung der Vierten Internationale) stützen. Unser Programm ist daher notwendigerweise analytischer und umfassender, als das Programm von 1938 es sein mußte. Wenn Trotzki glaubte, daß es 1938 notwendig war, mehr Kommentare aufzunehmen, als es in einem Programm zweckmäßig ist, so mußten wir das in einem noch weit größeren Ausmaß tun. In diesem Sinne ist es ein Versuch, nicht nur den Kampf von Millionen anzuleiten, sondern ebenso die LRKI klar gegenüber den vielen Spielarten des Zentrismus, die sich auf den Trotzkismus berufen, zu definieren. Es muß auch den Militanten dieser Tendenzen, ebenso wie denen anderer Organisationen innerhalb der Weltarbeiterbewegung, zweierlei aufzeigen: die Lehren, die wir aus der vergangenen Periode ziehen müssen, und ebenso unsere Antworten, die wir auf die Krisen geben.

Klarerweise ist unser Programm weit davon entfernt, das letzte Wort zum internationalen Klassenkampf und zu Strategie und Taktik der Revolution zu sein. Seit 1984 hat die „Bewegung für eine Revolutionäre Internationale“ (jetzt die „Liga für eine Revolutionäre Kommunistische Internationale“ – LRKI) Resolutionen und Thesen zu den wichtigen Fragen des internationalen Klassenkampfs formuliert. Diese bilden eine Ergänzung zu diesem Programm. Zusätzlich erkennen wir an, daß die Diskussion mit Kämpfern aus Ländern, in denen die LRKI bislang nicht vertreten ist, uns zur Bereicherung und Entwicklung des internationalen Charakters unseres Programms weiter befähigen wird. Aber wir sind fest davon überzeugt, daß wir ein Programm erstellt haben, das als Grundstein für eine solche Entwicklung dient. Dieses Programm, das mit seiner Methode, seiner Analyse, seinen Forderungen und Taktiken und seiner Strategie den lebendigen Geist des revolutionären Marxismus verkörpert, legt die Grundlage für die Wiedererrichtung eines authentischen Trotzkismus auf Weltebene.




Strategie und Taktik in den halbkolonialen Ländern

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 4, Sommer 1989

Seit 1945 hat der Kapitalismus seine Aufgabe, die Reste früherer Produktionsweisen zu zerstören oder völlig zu unterwerfen, erfüllt. Aber obwohl er jeden Winkel der früheren Kolonialsphäre durchdrungen hat, haben sich in der Regel keine stabilen nationalen Bourgeoisien entwickelt. Obschon der Imperialismus eine halbkoloniale Bourgeoisie innerhalb formal unabhängiger Staaten gewährt, ja sogar geschaffen hat, ließ er sich seine ökonomische sowie politische Vormachtstellung in diesen Staaten nicht entreißen.

Zu Anfang der imperialistischen Epoche erfuhren die noch jungen und unterentwickelten nationalen Bourgeoisien in den Kolonialländern nationale Unterdrückung. Koloniale und später imperialistische Mächte zwangen ihr Großkapital den unterdrückten Nationen auf und zerstörten dabei viele kleine lokale, unabhängige Unternehmen. Dadurch wurde die nationale Bourgeoisie nach und nach jedes ernstzunehmenden politischen Einflusses auf die Kolonialverwaltung beraubt. Unter diesen Umständen war die koloniale Bourgeoisie gezwungen, eine wichtige Rolle im Kampf gegen die imperialistische Herrschaft zu spielen. Indem sie irreführende Phrasen und falsche Versprechungen benutzten, konnten Bewegungen wie der Indian National Congress und die Kuomintang in China eine Massengefolgschaft aller plebejischen Klassen in ihrem Interesse mobilisieren.

Doch diese „national-revolutionären Bewegungen“, wie die Komintern sie beschrieb, blieben unter der Führung einer Klasse (der Bourgeoisie), die sich immer wieder unwillig zeigen sollte, einen beharrlichen Kampf gegen den Imperialismus zu verfolgen. Die Furcht vor dem revolutionären Potential der Arbeiterklasse und einer landhungrigen Bauernschaft machte die Bourgeoisie zu einer wankelmütigen und verräterischen Führung der antiimperialistischen Kämpfe. Sie zeigte sich bei erstbester Gelegenheit willens zum Kompromiß und zum Ausverkauf an die Imperialisten und ertränkte ihre „eigene“ revolutionäre Bewegung oft in Blut (Shanghai 1927).

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden unter der Aufsicht des US- Imperialismus die alten Kolonialreiche demontiert und schrittweise durch das heute gängige halbkoloniale System ersetzt. Überall in ihrem Herrschaftsgebiet waren die alten, geschwächten imperialistischen Mächte – Britannien, Frankreich, Holland und Portugal – gezwungen, ihren Kolonien politische Unabhängigkeit zu gewähren. Außer episodisch, war die nationale Bourgeoisie nie imstande, über die Strategie des friedlichen Drucks zum Rückzug der Imperialisten hinauszugehen. In einer Kolonie nach der anderen wurde der Unabhängigkeitskampf von den kleinbürgerlichen Nationalisten, oft im Bund mit den Stalinisten, angeführt. Wo immer die Imperialisten bis zum letzten Moment ausharrten (Algerien, Malaysia, Vietnam, Südjemen, Mozambique, Angola, Zimbabwe), griffen die kleinbürgerlichen Nationalisten zu revolutionär- nationalistischen Kampfmethoden.

Obwohl sie den Massen versprochen hatten, die drückende Last der imperialistischen Herrschaft zu erleichtern, haben dieselben „Revolutionäre“, kaum daß sie an die Macht gekommen waren, diese Macht dazu benutzt, das Proletariat und die armen Bauern zu unterdrücken, den Kapitalismus zu unterstützen und zu entwickeln und die Interessen der Imperialisten zu verteidigen. Bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalisten zeigten sich beide unfähig zur Erfüllung selbst der elementarsten bürgerlich-demokratischen Aufgaben der Revolution gegen den Imperialismus. Nationale Unabhängigkeit blieb eine Illusion, solange die Wirtschaft dieser Länder vom Imperialismus dominiert war. Einige der neuen herrschenden Klassen – z.B. in Taiwan, Südkorea, auf den Philippinen, im Iran und in Kenia – verließen sich auf die offene Kollaboration mit den imperialistischen Mächten, um ihre Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln. Diese Staaten bildeten Ökonomien heraus, die völlig an die imperialistische Weltarbeitsteilung gebunden waren. Sie boten vom Polizeistaat kontrollierte Arbeiterbewegungen und stellten ein Arbeitskräftereservoir zur Verfügung, das überausgebeutet werden konnte und damit zu imperialistischen Investitionen ermutigte.

Das andere Extrem stellen einige Halbkolonien mit national isolierten Entwicklungsversuchen dar, die mehr oder minder konsequent ihre Bindungen an den Imperialismus lockerten, oft durch den Aufbau ökonomischer Verbindungen zum Sowjetblock. Diese Regimes nahmen oft einen linksbonapartistischen Charakter an und vollführten eine Gratwanderung zwischen Imperialismus einerseits und genau kontrollierten Massenmobilisierungen andererseits. Indem sie ihre Wirtschaftsentwicklung bewußt nach der Erfahrung der stalinistischen Industrialisierungspolitik ausrichteten, verfolgten sie größere „staatskapitalistische“ Projekte und etablierten ausgedehnte Staatsbürokratien als wichtige soziale Stütze. Durch diese Methoden suchten solche Regimes einen Weg zu „unabhängiger kapitalistischer Entwicklung“, tatsächlich aber einen Weg zur Aufnahme in den erlesenen Klub der imperialistischen Nationen. Diese Strategie erwies sich Land für Land als eine wirtschaftliche Katastrophe. Stagnation und imperialistischer Druck erzwangen den Zusammenbruch und den Weg zurück in die Arme des Imperialismus.

Perons Argentinien, Nassers Ägypten, Bandaranaikes Sri Lanka und Nyereres Tansania sind nur einige Beispiele für das Fehlschlagen dieser Strategie. Die Krisen in Burma, Algerien und Angola in den späten 80er Jahren zeigen, daß andere staatskapitalistische Regimes sich auf demselben Weg befinden. Autarkie ist eine Utopie und es sind immer die Massen, welche die Zeche für ihr Scheitern zahlen. Welche Strategien die halbkolonialen Bourgeoisien auch immer verfolgt haben – und einige, wie z.B. Indien, haben eine Kombination aus beidem versucht, d.h. offene Kollaboration mit dem Imperialismus und national isolierte Entwicklung – das Resultat war das gleiche: chronisch abhängige Ökonomien, ungeheure Massenarmut, Stagnation und wachsende Verschuldung gegenüber dem Imperialismus. Nur unter den außergewöhnlichen Umständen Südafrikas war es für eine halbkoloniale Macht möglich, aus diesem Kreislauf auszubrechen und sich dem Imperialismus als Juniorpartner anzuschließen.

Der bürgerliche Nationalismus war unfähig, wirkliche Unabhängigkeit zu erreichen und politische Demokratie aufrechtzuerhalten. Während die Imperialisten heuchlerisch die Tugenden der „parlamentarischen Demokratie“ priesen und den neuen Nationalstaaten sogar ihre Verfassungen nach dem Modell von Westminster oder Washington vermachten, drückten sie bei deren Sturz hocherfreut beide Augen zu, wenn diese demokratisch gewählten Regierungen ihre ökonomischen Interessen bedrohten. Nur eine Minderheit der am höchsten entwickelten Halbkolonien war in der Lage, parlamentarische Regimes für einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Und sogar hier, wie im Falle Chiles 1973, hat der Imperialismus direkt interveniert, um jene demokratischen Regimes zu stürzen, von denen er seine Interessen gefährdet sah.

Konfrontiert mit den Forderungen der Bauernschaft nach einer umfassenden Lösung der Landfrage, waren die bürgerlichen Nationalisten zu keinerlei radikalen Maßnahmen bereit, die ihr Bündnis mit den halbfeudalen Grundbesitzern oder den kapitalistischen Großbauern gefährden konnten. Wo sie gezwungen waren, größere Landreformen durchzuführen – in Bolivien, Peru oder im indischen Pandschab -, geschah dies nur, um eine revolutionäre Lösung zu vermeiden. Eine von oben aufgezwungene reformistische Lösung stillte zwar vorübergehend den Landhunger der Bauern, führte aber bloß zur Entstehung einer neuen Klasse von Kleinbauern, knapp an Krediten und Maschinen, und lieferte sie den Wucherern, Banken und reichen Farmern aus.

Um die Ausbeutung durchzuführen und beizubehalten, gehörte es immer auch zur Strategie des Imperialismus, zu teilen und zu herrschen. In vielen Fällen wurde eine solche Spaltung durch imperialistische Mächte durchgesetzt, welche mit Absicht eine bestimmte Minderheit der Bevölkerung in ihrem kolonialen Apparat bevorzugten, wie in Sri Lanka oder Zypern. In anderen Fällen, wo Überreste vorkapitalistischer und religiöser Spaltungen noch existierten, bemächtigte man sich ihrer und kultivierte und bewahrte sie im Interesse des Imperialismus. Zum Beispiel wurde die vererbte Arbeitsteilung, auf der das indische Kastensystem beruht, vom britischen Kolonialismus institutionalisiert und trug dazu bei, jenes große Maß an Fügsamkeit auf dem Lande aufrechtzuerhalten. Einheimischer Grundbesitz und Kapitalismus waren in der Lage, dieses System zu ihrem Vorteil auszubeuten. Trotz der Entwicklung des modernen Kapitalismus in Indien ist bis heute die systematische Diskriminierung und institutionalisierte Ungleichheit des Kastensystems noch stark. Auch hier war die „unabhängige“ Bourgeoisie nicht dazu fähig, ihre Nation auf der Basis der Gleichheit der Rechte zu vereinheitlichen.

Trotz der Behauptungen von „Dritte-Welt-“ und Abhängigkeitstheoretikern, daß eine umfassende kapitalistische Entwicklung in der imperialisierten Welt nicht möglich sei, hat der Imperialismus gerade dies erreicht und im Verlauf seiner Geschichte Millionen von neuen Lohnarbeitern und -arbeiterinnen hervorgebracht. In den letzten beiden Jahrzehnten hat diese halbkoloniale Arbeiterklasse den Weg unabhängiger Klassenaktionen betreten, ist dort allerdings an die Grenzen ihrer syndikalistischen, stalinistischen und kleinbürgerlichen Führungen gestoßen. Es gibt eine Führungskrise in der halbkolonialen Arbeiterklasse. In den meisten Ländern fehlt sogar der Keim einer revolutionären kommunistischen Partei. Das erlaubte es kleinbürgerlichen politischen Formationen aller Schattierungen, an die Spitze antiimperialistischer Massenaktionen zu gelangen und sie unvermeidlich zu verraten.

Im Kampf gegen die Ausbeutung in den Fabriken, Bergwerken und Plantagen des heimischen wie imperialistischen Kapitals muß die Weltarbeiterklasse die volle Spanne an Übergangsforderungen und Taktiken anwenden. Außerdem muß die Arbeiterklasse einen Kampf für die Vollendung der verbliebenen bürgerlich-demokratischen Aufgaben führen. Nationale Einheit und Unabhängigkeit, Agrarrevolution und politische Demokratie sind die brennenden Forderungen von Millionen Arbeitern, Bauern und Halbproletariern. Die Arbeiterklasse muß an den Kampf um ihre vollständige Verwirklichung vom Standpunkt der permanenten Revolution herangehen.

Die nationalen, agrarischen und demokratischen Forderungen sind an und für sich historisch bürgerliche Fragen. Aber in der imperialistischen Epoche ist es nicht mehr möglich, diese Probleme im Kapitalismus vollständig zu Lösen. Die militärische, politische und ökonomische Abhängigkeit der Halbkolonien, ihre Rückständigkeit und wirtschaftliche Unausgewogenheit sind grundlegend für die imperialistische Weltordnung. Es kann kein abgesondertes Stadium der Revolution geben, in dem die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse weiterbestehen, während die bürgerlich-demokratischen Aufgaben voll erfüllt werden. Die gesamte Geschichte des antiimperialistischen Kampfes nach 1945 bestätigt diese grundlegende These von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution. Die „Siege“ der antiimperialistischen Massenbewegungen illustrieren dies sogar deutlicher als die zahlreichen Niederlagen.

Mit ihrer Weigerung, die Firmen und Banken sowohl der nationalen als auch der imperialistischen Bourgeoisie zu enteignen und die Forderungen der armen und landlosen Bauern zu befriedigen, besiegelten die Revolutionsführer in Nicaragua, Zimbabwe und im Iran den fortdauernden Nutzen für den Imperialismus. Selbst wo militärisch-bonapartistische Regimes wie in Burma, Ägypten und Libyen dazu gezwungen waren, die Wirtschaft zu verstaatlichen und eine staatseigene Infrastruktur zu schaffen, ist es ihnen nicht gelungen, die ökonomischen Ketten zu brechen, welche diese Länder an den Imperialismus binden. Stagnation, das Ergebnis der Autarkiebestrebungen, Verschuldung, das Wiederaufleben einer nationalen Bourgeoisie außerhalb des staatlichen Sektors: dies ist das Muster für jene Länder, wo der Bonapartismus sich festgesetzt hat.

Nur wo der Kapitalismus völlig ausgerottet worden ist (China, Kuba, Vietnam, Kambodscha), hatten halbkoloniale Revolutionen die Möglichkeit, sich dem Griff der imperialistischen Weltwirtschaft nach ihren Ländern zu entwinden. Aber sogar hier haben die Stalinisten die permanente Revolution verkümmern lassen und das Erbe der imperialistischen Dominanz nicht erfolgreich überwunden. In vielen dieser Staaten hat sich die Unterdrückung nationaler Minderheiten verstärkt, zum Beispiel die der Chinesen in Vietnam oder die Tibetaner in China.

Die Kombination aus bürokratischer Planung und „nationalem Weg zum Sozialismus“ hat das Potential nachkapitalistischer Eigentumsverhältnisse erwürgt und somit die früheren Halbkolonien zu den schwächsten Gliedern in der Kette der degenerierten Arbeiterstaaten gemacht. Sie bleiben von der Bereitschaft der Sowjetbürokratie, ihre Ökonomien zu unterstützen, stark abhängig. Der wachsende Widerwille der Moskauer Bürokratie dazu vergrößert den internen restaurativen Druck und stärkt jene Teile der Stalinisten, welche die Ökonomien für imperialistische Durchdringung unter dem Mantel des „Marktsozialismus“ öffnen wollen. In diesen Ländern kann nur eine politische Revolution, welche die stalinistische Bürokratie zerstört und wirkliche Sowjetdemokratie errichtet, für die Arbeiter und armen Bauern einen Weg vorwärts weisen und sie befähigen, endgültig mit dem Imperialismus abzurechnen.

Die Enteignung der Schlüsselindustrien, der Banken und Finanzhäuser, die Errichtung eines Staatsmonopols auf den Außenhandel und die Internationalisierung der Revolution müßten die ersten Schritte einer jeden siegreichen halbkolonialen Revolution sein. Aber nur das Proletariat, mobilisiert in Arbeiterräten und Arbeitermilizen kann diese Aufgaben in wirklich progressiver Weise durchführen. Im Verlauf einer solchen Revolution muß die Arbeiterklasse die bäuerlichen und halbproletarischen Massen über die komplette Verwirklichung der nationalen, agrarischen und demokratischen Anliegen an sich ziehen.

Die Agrarrevolution in den Halbkolonien

Insgesamt stellt heute die Bauernschaft, trotz des Wachstums des Industrieproletariats, in den Halbkolonien die absolute Mehrheit der Bevölkerung. Das Proletariat muß sich die Unzufriedenheit und die Bedürfnisse der armen und landlosen Bauern und Bäuerinnen zu eigen machen, wenn die Revolution eine wirklich umfassende sein soll. In der gesamten imperialistischen Epoche hat sich die Agrarfrage als eine der wesentlichsten und explosivsten der unerfüllten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution erwiesen. Der Kampf der Bauernschaft um Land war und ist die Triebfeder im Kampf um nationale Unabhängigkeit gegen den Imperialismus. Dies zeigte sich z.B. in China in den 30-er und 40-er Jahren, sowie in Indochina in den 50-er und 60-er Jahren dieses Jahrhunderts. Weiters erwies sich die agrarische Revolution in Rußland 1917 als eine gewaltige gesellschaftliche Kraft für politische Demokratie gegen die zaristische Selbstherrschaft. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist sie ein zentraler Sprengsatz in Aufständen gegen die verhaßten herrschenden Oligarchien in den Halbkolonien (z.B. Nicaragua 1979, Philippinen 1985). Wo auch immer der Kampf der Bauern und Bäuerinnen um Land bewußt vom Kampf für nationale Unabhängigkeit (wie z.B. in Irland 1880-1921) oder für politische Demokratie (z.B. in Spanien 1931-1939) getrennt wurde, konnte keine der bürgerlich- demokratischen Aufgaben vollendet werden.

In der imperialistischen Epoche gab sowohl die imperialistische als auch die halbkoloniale Bourgeoisie jeden Anspruch auf einen revolutionären Kampf gegen den vorkapitalistischen Großgrundbesitz auf. Der Imperialismus versuchte das Proletariat und die Bauernschaft durch Allianzen mit den feudalen Grundbesitzern im Zaum zu halten. Auf diese Weise hielt der Imperialismus die Halbkolonien in ihrer Rückständigkeit und unterwarf die Landwirtschaft durch Handel oder Kolonialherrschaft unter seine Herrschaft.

Mit der Auflösung der alten Kolonialreiche und der Etablierung der US- Welthegemonie fiel der Kampf gegen die Überreste des Semi-Feudalismus in den (Halb-)Kolonien mit dem Kampf gegen die Auswirkungen des tiefen Eindringens des Finanzkapitals in die Landwirtschaft zusammen. Um einen profitablen Weltmarkt für landwirtschaftliche Produkte zu schaffen, drängte das Finanzkapital zu Beginn auf eine Konzentration und Zentralisation des Landes. Große Landstriche wurden für den Export von „Cash-crops“ kultiviert. Auf der einen Seite half das Finanzkapital, die halbfeudalen Grundbesitzer abzufinden, oder verwandelte sie in Agrarkapitalisten, während es auf der anderen Seite Millionen von Bauern und Bäuerinnen verjagte, betrog und ausbeutete. Als Ergebnis müssen Länder, die ehemals genügend Nahrung für den Binnenmarkt produzierten, heute die Grundnahrungsmittel einführen, was der Landoligarchie und der multinationalen Konzerne riesige Profite einbringt. Die Hauptdynamik der agrarischen Revolution liegt heute im Widerspruch zwischen den Massen der Bauern und Bäuerinnen, die auf immer kleinere Parzellen unfruchtbaren Landes zusammengedrängt werden, und den mächtigen kapitalistischen Plantagenbesitzern, welche für den Export produzieren.

In den Nachkriegsjahrzehnten wurde mittels Agrarreformen von oben versucht, eine revolutionäre Lösung der Landfrage von unten abzuwenden, indem eine stabile Schicht von konservativen Mittelbauern geschaffen wurde. Während diese Reformen in einzelnen Ländern für eine gewisse Zeit – wenn auch nur zum Teil – erfolgreich waren, Lösten sie nicht das grundlegende Problem (und konnten dies auch nicht), dem sich die halbkoloniale Bourgeoisie gegenübersieht. Denn deren Abhängigkeit vom Imperialismus sorgt dafür, daß sie unfähig ist, entweder die überschüssigen landhungrigen Bauern und Bäuerinnen in Werktätige im Industrie- oder Dienstleistungssektor in den Ballungszentren zu verwandeln, oder ausreichende Hilfe den kleinen Landbesitzer zukommen zu lassen, um deren Abstieg in die Armut zu verhindern. Die überlebenden halbfeudalen Großgrundbesitzer verbünden sich daher mit dem Finanzkapital, um die bäuerliche Ökonomie den Bedürfnissen der Massenproduktion des ländlichen Kapitalismus unterzuordnen. Dies hat zur Folge, daß die Lösung des Landhungers der Bauern und Bäuerinnen, das Ende der hohen Pachtzinsen, der bäuerlichen Verschuldung und der primitiven Technik nur erreicht werden kann durch ein Bündnis mit der Arbeiterklasse und den revolutionären Sturz des Kapitalismus und Imperialismus – durch die permanente Revolution.

Natürlich werden nicht alle ländlichen Klassen enge Verbündete auf diesem Weg sein. Die Bauernschaft ist keine moderne Klasse mit einer einheitlichen Stellung zu den Produktionsmitteln. Je weiter sie sich von Gemeineigentum an Land und einer dementsprechenden Arbeitsweise Löst, umso mehr differenziert sie sich in reiche Agrarkapitalisten auf der einen und ländliche Proletarier auf der anderen Seite. Wo die Bauernschaft sich eine stabile Grundlage an kleinem Privatbesitz schaffen konnte, war und ist es immer möglich, diese als Massenbasis zur Unterstützung reaktionärer bonapartistischer Regimes zu mobilisieren. Diese Regimes stellten im Angesicht einer Konfrontation die Arbeiterklasse demagogisch als Feinde der Kleinbauern dar.

Auf dem Weg der Revolution wird sich die städtische Arbeiterklasse zuerst dem wachsenden ländlichen Proletariat zuwenden, welches auf den Plantagen, Farmen, Höfen und in den verarbeitenden Betrieben ganztägig arbeitet. Diese Arbeiter und Arbeiterinnen, die zwar von geringer Anzahl, aber großer gesellschaftlicher Macht sind, haben immer wieder gezeigt, daß sie als erste stabile Organisationen (wie Gewerkschaften und Komitees) für den Kampf für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen aufbauen. Von den Zuckerarbeitern in Kuba bis zu den Kaffeearbeitern in Nicaragua ist es diese Klasse, die oftmals durch ihre Aktivitäten das Kräfteverhältnis zuungunsten verhaßter Diktatoren veränderten. Sie müssen für unmittelbare ökonomische Forderungen ebenso wie für Übergangsforderungen kämpfen und ein Regime der Arbeiterkontrolle und der gewerkschaftlichen Organisation in den Fabriken und auf den Plantagen errichten. Die Geschichte dieser Epoche hat auch gezeigt, daß es für diese Schicht lebensnotwendig ist, die Verteidigung ihrer Interessen gegen die Todesschwadronen der Großgrundbesitzer durch die Bildung von Arbeitermilizen in die eigenen Hände zu nehmen.

In seiner Bedeutung steht das Halb-Proletariat dieser Schicht am nächsten: die saisonalen Farmarbeiter und -arbeiterinnen, welche sich in der verbleibenden Zeit ihren Lebensunterhalt durch harte Arbeit zusammenscharren; oder die Kleinbauern, deren Familien auf dem kargen Stück Land nicht überleben können und Arbeit in der Stadt annehmen müssen. Diese Klasse ist in Lateinamerika, Afrika und in Teilen von Asien groß, oftmals so groß, daß sie die Anzahl des ländlichen Proletariats um das Zehnfache übertrifft. Der Kontakt mit den Plantagen hat ihnen die Möglichkeit gegeben, den üblichen Horizont der armen Bauern zu erweitern und so den Kampfgeist und die Organisation des Proletariats zu übernehmen. Die Saisonarbeit und ihr Leben als Wanderarbeiter führt dazu, daß sie u.a. die zentrale Basis für die Guerillaarmeen in Zentralamerika sind. Wesentlich für sie ist der Kampf für gleiche Bezahlung und Arbeitsbedingungen auf den Plantagen und für unbefristete Verträge für jene, die dies wollen, bzw. für Landvergabe an diejenigen, die aufgrund des Landhungers zum Wandern gezwungen sind.

Die verzweifeltste Klasse auf dem Land ist die der landlosen Bauern und Bäuerinnen, welche ihres Erbes durch die Oligarchie, die kolonialen Plantagenbesitzer oder durch die „Grüne Revolution“ beraubt wurden. Heute gibt es über 600 Millionen landlose Bauern in den Halbkolonien. In Pakistan, Indien und Bangladesh sind zwischen einem Viertel und der Hälfte aller Bauern und Bäuerinnen ohne Land, in Zentralamerika ist es mehr als die Hälfte der bäuerlichen Bevölkerung. Die meisten nagen am Hungertuch – ein Leben, das nur gelegentlich durch Tages- oder Saisonarbeit erleichtert wird. In der hoffnungslosen Suche nach Arbeit wandern viele in die Städte ab. Diese Klasse, die die größte ist, stellt einen notwendigen Bündnispartner des Proletariats dar. Die dauernde Unterstützung durch diese Klasse muß gewonnen werden, selbst wenn dies die Aufteilung der größeren Güter bedeutet. Ihr gegenüber muß sich die revolutionäre Arbeiterklasse verpflichten, für die Verwirklichung folgender Forderungen zu kämpfen: Land für diejenigen, die es bearbeiten; Besetzung des brachliegenden und ungenügend genutzten Bodens; Verteidigung der Besetzung von Plantagen im Kampf für den Lebensunterhalt; für Komitees und Milizen der landlosen Bauern und Bäuerinnen.

Trotzkisten und Trotzkistinnen müssen an der Spitze des Kampfes der Landhungrigen für Landbesetzungen stehen – unabhängig davon, ob diese gegen halb-feudale oder gegen kapitalistische Großgrundbesitzer gerichtet sind. Aber es ist zentral, für die ehest mögliche Bildung von Kooperativen als Übergangsmaßnahme einzutreten. Für jene, die bereits in die Slums der großen Städte abgedrängt wurden, müssen wir für ein Programm öffentlicher Arbeiten kämpfen, um ihnen nützliche Arbeit und lebensermöglichenden Lohn zu geben. Dies muß Hand in Hand mit der Organisierung der Arbeitslosen geschehen.

Die armen Bauern und Bäuerinnen wehren sich verzweifelt gegen ihren Abstieg in die Legion der Landlosen. Ihr kleiner Landbesitz wird von den gewaltigen Zinsen erdrückt oder ist von hohen Schulden belastet, welche das Resultat der harten Zahlungsbedingungen sind. Zu diesen Schulden kommen noch Kredite für den Kauf von Ausrüstung und Düngemitteln. Dieser Schritt wird ihnen aufgezwungen, weil die Kleinheit der Parzellen nicht das Überleben für die armen bäuerlichen Familien garantieren kann. Die armen Bauern und Bäuerinnen können dadurch von den großen Ländereien und den Großbauern unterdrückt werden. Hier müssen die zentralen unmittelbaren Forderungen ansetzen: Abschaffung der Pacht und Streichung aller Schulden bei ländlichen Wucherern und städtischen Händlern; für staatliche Kredite zum Erwerb von Maschinen und Düngemittel; für die Schaffung von Anreizen, um die Subsistenzbauern und -bäuerinnen zum freiwilligen Eintritt in Produktions- und zu Absatzgenossenschaften zu ermutigen.

Viele Bauern und Bäuerinnen glauben, daß der einzige Weg zum Überleben der Anbau von Pflanzen für die Drogenindustrie ist. Sie werden unbarmherzig von den Drogenbaronen ausgebeutet und von den imperialistischen „Anti-Drogen“-Einheiten verfolgt. Wir fordern daher das Recht der Bauern und Bäuerinnen auf freien und legalen Anbau von Pflanzen, die zur Drogenherstellung verwendet werden können. Weiters verlangen wir den staatlichen Ankauf solcher Pflanzen zu Preisen, die von Preiskomitees der Arbeiter und Bauern festgelegt werden.

Die mittlere Bauernschaft, normalerweise eine kleine Schicht, ist dem Proletariat gegenüber mißtrauisch, da sie eine geplante Abschaffung ihres Privateigentums befürchtet. Gewöhnlich verfügen diese Bauern über genügend Überschüsse, um diese in den Städten mit Gewinn verkaufen zu können. Dennoch werden auch sie oft durch Zwischenhändler ausgebeutet. In allen Auseinandersetzungen über Löhne und Arbeitsbedingungen, die zwischen diesen Bauern und den von ihnen ausgebeuteten Arbeitern und Arbeiterinnen stattfinden, muß das Proletariat auf der Seite letzterer stehen. Der Forderung der kleinen und mittleren Bauern nach höheren Preisen für ihre Produkte (eine Forderung, die vor allem dann aufkommt, wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen die Regierung zu Preiskontrollen bei den Grundnahrungsmitteln zwingen) stellen wir eine andere Losung gegenüber: Laßt die Bosse und Großgrundbesitzer zahlen – und nicht die Arbeiter! Wir verlangen die Streichung der Schulden, die Ausweitung von Krediten, die Förderung von Kooperativen und den Aufbau gemeinsamer Preiskomitees der Arbeiter und Bauern, um die Erzeugung ihrer jeweiligen Produkte zu planen und deren Austausch zu regeln.

Dort, wo der Halb-Feudalismus zerstört wurde und der Imperialismus in Allianz mit den halbkolonialen Staaten die reichen Bauern in den Weltmarkt integriert hat, stellen sich die reichen und ausbeuterischen Bauern im allgemeinen auf die Seite der Bourgeoisie. Revolutionäre und Revolutionärinnen stellen sich daher auf die Seite der armen Bauern und Bäuerinnen, um das Land der reichen Bauern zu enteignen. Doch wo auch immer die halbfeudalen Fesseln bestehen blieben, die sowohl die reichen als auch die armen Bauern und Bäuerinnen unterdrücken, ist auch ein gemeinsamer Kampf zur Beendigung dieser Unterdrückung möglich.

Das imperialistische Agrobusiness, die kapitalistischen Großbauern und die in den Städten oder im Ausland lebenden Großgrundbesitzer werden jedoch in der Arbeiterklasse einen unerbittlichen Feind finden. Ihr Eigentum stellt in den Augen der Arbeiter und armen Bauern den Mechanismus der Verarmung dar. Wir müssen der nationalen Bourgeoisie bzw. dem Kleinbürgertum, die gegen die Landoligarchie kämpfen, zur Durchsetzung folgender Forderungen zwingen: entschädigungslose Verstaatlichung ihres Großgrundbesitzes; Verstaatlichung der imperialistischen Plantagen und ihre Stellung unter Arbeiter- und Bauernkontrolle; für ein breit angelegtes Programm öffentlicher Arbeiten zur Verbesserung der Lebensbedingungen der ländlichen Massen – zur Elektrifizierung, Bewässerung des Bodens, für Maßnahmen zur Schaffung reinen Wassers und ausreichender sanitärer Möglichkeiten oder von kulturelle Einrichtung.

Nur so ein Programm kann die massenhafte Landflucht der Bauern und Bäuerinnen, die vom Hunger getrieben werden, verhindern. Die Umgestaltung und Planung der landwirtschaftlichen Produktion wird die Abhängigkeit von den nur für den Export bestimmten Ernten verringern, die Produktivität des Bodens erhöhen und die vorhandene Menge an Lebensmitteln für den heimischen Verbrauch steigern.

Solche Maßnahmen werden dazu beitragen, die Belastung der ländlichen Umwelt zu verringern. Mit der tiefgreifenden Umwandlung der ländlichen Gebiete hat der Kapitalismus die ökologische Krise auf immer neue Regionen der Erde ausgeweitet. Die Abholzung, die Zerstörung der traditionellen Bewässerungssysteme, die Verschmutzung der Flüsse durch industrielle Abwässer und chemische Düngemittel bewirken eine wirkliche ökologische Katastrophe in vielen Teilen der „Dritten Welt“. Der Kampf des Proletariats und der armen Bauernschaft muß ein Programm für sofortige Maßnahmen zur Verhinderung einer ökologischen Katastrophe beinhalten – die Beendigung massiver Abholzungen ebenso wie Projekte zur Wiederaufforstung und Bewässerung.

Die Jahre seit 1945 haben gezeigt, daß die einzige wirkliche Lösung des Landhungers und der Knechtschaft der armen Bauern der Sturz des Kapitalismus selbst ist. Die revolutionäre Partei muß den Klassenkampf auf dem Land zu seinem Höhepunkt führen. Wir stellen ein Programm für die revolutionäre und entschädigungslose Enteignung aller kapitalistischen Plantagen und die Landwirtschaften reicher Bauern durch Räte der Arbeiter und armen Bauern auf. Wir kämpfen für eine Politik der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe sowie für freiwillige Genossenschaften der Klein- und Mittelbauern als Programm des sozialistischen Übergangs in der Landwirtschaft.

Die Nationale Frage in den Halbkolonien

Wenngleich nationale Einheit und Unabhängigkeit politische Ziele der Bourgeoisie waren, hatten sie einen gesellschaftlichen und ökonomischen Zweck: die Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes, auf dem das heimische Kapital vor ausländischer Konkurrenz geschützt war und sich entfalten konnte. Ungeachtet der formellen nationalen Unabhängigkeit sind heute die ehemaligen imperialistischen Kolonien und Mandatsgebiete von einer echten wirtschaftlichen Unabhängigkeit genauso weit entfernt wie am Beginn der imperialistischen Epoche. Sie blieben unterdrückte Nationen. Rückständigkeit und im besten Fall eine einseitige, abhängige Industrialisierung blieben in den Halbkolonien die Norm. Kein noch so hoher Grad formeller politischer Unabhängigkeit kann das ausgleichen.

Die Ketten der ökonomischen Abhängigkeit werden durch die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitalismus geschmiedet und können nur durch die Enteignung des Kapitals selbst zerrissen werden. Gerade aus diesem Grunde hat nur die Arbeiterklasse das Interesse und die Fähigkeit, die nationale Unterdrückung der Halbkolonien vollständig aufzuheben. Das Proletariat muß daher für folgende Ziele kämpfen:

• Die Vertreibung aller bewaffneten Kräfte des Imperialismus, seiner Gendarmen, einschließlich der UNO, seiner Berater und Sicherheitseinrichtungen.

• Die Abschaffung der stehenden Armeen, die durch den Imperialismus ausgebildet werden und ihm gegenüber loyal sind, und deren Ersetzung durch bewaffnete Arbeiter- und Bauernmilizen.

• Die Streichung aller Schulden und Zinsen gegenüber den imperialistischen Banken. Die Imperialisten wünschen keine Tilgung der Schulden, da dies das Ende ihrer daraus erzielten Extra- Profite und den Verlust einer ihrer Waffen zur Ausübung politischer, militärischer und ökonomischer Kontrolle über die Halbkolonien bedeuten würde. Diese Schulden wurden unter Bedingungen vereinbart, die vom Imperialismus festgesetzt wurden. Die engen Grenzen, die der halbkolonialen Bourgeoisie gesetzt sind, wenn sie den Imperialismus herausfordert, zeigen sich durch die Hinnahme dieser Bedingungen. Die praktischen Auswirkungen dieser Feigheit sind Sparmaßnahmen auf Kosten der Massen, Arbeitslosigkeit, Beschränkungen politischer und gewerkschaftlicher Tätigkeit, exportorientierte Produktion und – als Folge davon – Hunger.

• Gegen die Strategie, die Schuldenrückzahlung auf einen bestimmten Anteil der Exporte oder des Bruttonationalproduktes zu begrenzen. Gegen ein Moratorium der Auslandsschulden, das tatsächlich nur einen Zahlungsaufschub bedeuten würde. Diese Schuld wurde schon zig-mal durch erpresserische Zinslasten und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Halbkolonien getilgt.

• Die Rückführung aller geleisteten Zahlungen und die Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen. Für die Rückgabe des unbezahlbaren archäologischen Erbes, das Jahre hindurch von den imperialistischen Plünderern gestohlen wurde.

• Die entschädigungslose Nationalisierung der Banken, Finanzhäuser und der bedeutendsten Industrien und die Streichung aller Sonderabkommen und Joint-Ventures zwischen Staatsbetrieben und Finanzkapital.

Das Proletariat muß sowohl dafür kämpfen, den imperialistischen Würgegriff über die Wirtschaft der Halbkolonien zu durchbrechen, als auch den Kampf für nationale Einheit und das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Nationalitäten führen. In den Jahren 1880, 1919 und 1945 zog der Imperialismus bei seinen Aufteilungen und Wiederaufteilungen der Welt willkürliche Grenzen, die viele Nationalitäten und Völker auseinanderrissen und nationale Minderheiten in den kolonialen und halbkolonialen Ländern schufen. Sofern sich der Nationalismus der sich entwickelnden kolonialen Bourgeoisien in seinen Kämpfen gegen feudale Überreste oder gegen den Imperialismus richtete, hatte er einen relativ fortschrittlichen Inhalt. Dieser Nationalismus verwandelte sich jedoch in eine Waffe gegen unterdrückte nationale Minderheiten, sobald er die politische Macht erlangte (z.B. in der Türkei oder in Burma).

Die halbkoloniale Bourgeoisie ist aber weit davon entfernt, die vielen nationalen Probleme zu Lösen, die durch die imperialistische Teilung der Welt verursacht oder verschärft wurden. Ihre Unfähigkeit, die Nation zu vereinen oder ökonomisch zu entwickeln, führt vielmehr zur Verschärfung der regionalen ökonomischen Unterschiede, zur Reaktivierung alter nationaler Widersprüche und zur Schaffung neuer (beispielsweise in Indien).

Wo immer eine wirkliche nationale Bewegung vorhanden ist, die in Bewußtsein, Sprache, Kultur und einem bestimmten Gebiet verankert ist, muß das Proletariat das Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nation unterstützen. Diese Unterstützung ist bedingungslos: Das heißt, daß wir von den Nationalisten nicht verlangen, kommunistische Kampfmethoden anzuwenden, bevor wir sie unterstützen. Genauso wie wir den Zielen der Nationalisten kritisch gegenüberstehen, kritisieren wir ihre Methoden, die den nationalen Kampf häufig auf bewaffnete Aktionen einiger weniger reduzieren. Doch besteht kein Recht auf Eigenstaatlichkeit, wo die Selbstbestimmung auf der nationalen Unterdrückung eines anderen Volkes beruht (Israel, Nordirland).

Das Proletariat ist eine internationalistische Klasse, die auf sozialistischer Grundlage versucht, die Völker und Nationen durch freiwillige Vereinigung und Föderation zu einen. Unser allgemeines Programm sieht weder die Schaffung einer immer größeren Anzahl getrennter Nationalstaaten noch die Zerschlagung großer „multinationaler“ Staaten in ihre Bestandteile als Mittel, solche Länder vom imperialistischen bzw. kapitalistischen Joch zu befreien. Obwohl Kommunisten und Kommunistinnen gegen diese falschen Lösungen auftreten, anerkennen sie, daß sich Revolutionäre und Revolutionärinnen an die Spitze eines Kampfes für die Errichtung eines eigenen Staates stellen müssen, sobald die Forderung von den Massen der Arbeiter und Bauern aufgegriffen wurde und sich dies zum Beispiel in Referenden, bewaffneten Kämpfen der Massen oder einem Bürgerkrieg (wie in Bangladesh) äußert. Kommunisten und Kommunistinnen stellen diese Forderung sowohl in der Unterdrückernation als auch in den nach Abtrennung strebenden Gebieten. Doch sie warnen weiterhin, daß nur die sozialistische Revolution, nicht die Lostrennung, den Massen eine dauerhafte Lösung bieten wird.

Obwohl die Arbeiterklasse die legitimen nationalen Rechte der unterdrückten Nationen verteidigen muß, bedeutet aber deren internationalistische Strategie, daß sie alle nationalistischen Ideologien bekämpft, auch die der unterdrückten Nationen. Solcher Nationalismus gerät unvermeidlich in Widerspruch mit der Entwicklung der Arbeiterklasse zu einer selbstbewußten Kraft, die fähig ist, ihre Klasseninteressen zu verteidigen, und wird daher reaktionär werden. Während wir die Kämpfe für Selbstbestimmung bis hin zur Abtrennung z.B. in Kurdistan, Euskadi, Kashmir oder Tamil Eelam unterstützen, weisen wir gleichzeitig auf den Utopismus des nationalistischen Projekts hin, in diesen Gebieten wirklich unabhängige bürgerliche Staaten aufbauen zu wollen.

Das Proletariat muß gleichzeitig für die Enteignung der Kapitalisten und für die größtmögliche Ausweitung der demokratischen Planung kämpfen. Ein Rückzug hinter noch engere ökonomische Grenzen bietet für die unterdrückten Nationen keine Lösung ihrer ökonomischen Grundbedürfnisse.

Gegenüber der bewußten imperialistischen Politik der „Balkanisierung“, die die Spaltung und Beherrschung der schwachen und instabilen Nationalstaaten zum Ziel hat, propagieren Kommunistinnen und Kommunisten für diese Länder, die durch Sprache, Kultur, Handel usw. geschichtlich verbunden sind, die Alternative einer echten Föderation von sozialistischen Staaten. Solche Übergangslosungen können eine mächtige Mobilisierungskraft auf die Massen haben, so etwa in Lateinamerika, im Nahen Osten oder auf dem indischen Subkontinent, wo sie vom Imperialismus geschaffene Spaltungen und die bürgerlich- und kleinbürgerlich-nationalistischen Vorurteile überwinden können.

Der Kampf gegen Militärdiktatur und Bonapartismus in den Halbkolonien

Vom Imperialismus in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung aufgehalten, sind die Halbkolonien nicht in der Lage gewesen, eine stabile bürgerliche Demokratie aufrechtzuerhalten. Wahlen und Parlamente sind vorübergehend oder generell durch verschiedene Restriktionen im Wahlrecht, durch die Einführung von Lese- und Sprachqualifikationen und durch eine Unzahl von Hindernissen bei der Wählerregistrierung eingeschränkt worden.

Folglich waren verschiedene Arten des Bonapartismus die Norm. Obwohl solche Regimes entschlossene Verteidiger des Kapitalismus gewesen sind, haben sie durch ihre Kontrolle der Armee und des Staatsapparates einen gewissen Grad von Unabhängigkeit von der herrschenden Klasse erreicht. Sie haben die Kapitalistenklasse von ihrer eigenen politischen Herrschaft ausgeschlossen, ebenso wie sie die ausgebeuteten Klassen im Zaum gehalten oder unterdrückt haben.

Die bonapartistische Herrschaft in den Halbkolonien variierte zwischen „antiimperialistischen“ und proimperialistischen Formen. Die „linke“ Form des Bonapartismus hat oft die Form nationalistischer Offiziersbewegungen angenommen, die aus der kleinbürgerlichen Mittelschicht kamen und den Standpunkt dieser Klasse widerspiegelten. Diese Schicht, die ihre Zukunft durch wirtschaftliche Stagnation, Korruption und die Abhängigkeit ihrer eigenen Bourgeoisie vom Imperialismus zunichte gemacht sieht, hat seit dem zweiten Weltkrieg in zahlreichen Ländern die Macht erlangt – wie z.B. in Argentinien, Peru, Libyen, Ägypten und Burma. Ihre Ideologien haben Elemente vom Stalinismus und gelegentlich vom Faschismus entlehnt und haben typischerweise einen „dritten“ Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus proklamiert. Diese Regimes haben versucht, mit dem Scheitern der wirtschaftlichen Entwicklung fertig zu werden, indem sie die imperialistische Durchdringung einschränkten. Sie haben alles daran gesetzt, eine „unabhängige kapitalistische Entwicklung“ zu fördern, indem sie von Handelsbarrieren, staatskapitalistischer Industrialisierung und Landreformen Gebrauch machten. Sie haben oft einen bösartigen Antikommunismus mit Versuchen verbunden, die Gewerkschaftsbewegung und Bauernorganisationen als eine Stütze für ihre Regimes gegen den imperialistischen Druck von außen und innen heranzuziehen.

Aber nirgendwo haben solche Regimes den Weg zum Sozialismus eröffnet, noch wären sie aufgrund ihres eigentlichen Wesens dazu überhaupt in der Lage. Tatsächlich haben sie den kapitalistischen Staat und die kapitalistische Wirtschaft durch Angriffe auf die Arbeiter und Arbeiterinnen wieder bestärkt und haben weder vor vollständiger Unterdrückung noch vor Massakern haltgemacht.

Im Falle eines ernsthaften Zusammenstoßes zwischen diesen Regimes und dem Imperialismus bzw. seinen reaktionärsten Agenten wäre das Proletariat dazu verpflichtet, an der Seite der nationalistischen und demokratischen militärischen Einheiten zu kämpfen. Aber zu jeder Zeit müßten die Arbeiter und Arbeiterinnen die entschlossenste Klassenunabhängigkeit und die Opposition zu diesen vorübergehenden Verbündungen bewahren. Das Proletariat braucht keine militärischen Retter oder Führer. Es kann nur durch seinen eigenen Aufstand die Macht erlangen, nicht durch Militärcoups.

Es ist der schwerste Fehler, strategische Blöcke mit Teilen der Offiziere zu bilden oder Illusionen in deren Fähigkeit, das Proletariat zu bewaffnen und zu führen, zu säen. Dies führt zu Klassenkollaboration und programmatischen Zugeständnissen und kann nichts anderes, als den Drang des Proletariats schwächen, unabhängige Abeitermilizen einzurichten und die einfachen Soldaten zu organisieren.

Das zwangsläufige Scheitern dieser ökonomischen und politischen Strategie, die wiederholten Zugeständnisse an die Imperialisten und die daraus resultierende Desillusionierung der Massen, ebnen den Weg für den Sturz dieser Regimes und deren Ersetzung durch fügsamere, proimperialistische. Millionen von Arbeitern und Bauern auf der ganzen Welt leiden unter der Herrschaft solcher bösartiger rechts-bonapartistischer Regimes. Diese sind oft entweder aus dem Scheitern des linken Bonapartismus (Indonesien 1965, Argentinien 1955 und Peru 1975) oder, wie in Chile 1973 und Bolivien nach 1971, aus dem Niederschmettern revolutionärer Situationen entstanden. Diese Regimes sind durch ihre Abhängigkeit vom Imperialismus, ihre Versuche, Arbeiter- und Bauernorganisationen zu zerschlagen und ihre Anwendung von Todesschwadronen, Folter und weitreichenden Menschenrechtsverletzungen gekennzeichnet.

Die wiederholte Ausnützung solcher Diktaturen durch die Imperialisten und ihre Agenten bedeutet, daß die Forderung nach politischer Demokratie ein brennendes Anliegen für Millionen von Proletariern und Nicht- Proletariern auf der ganzen Welt von Indonesien bis Paraguay bleibt. Wo immer das Proletariat an der Seite kleinbürgerlicher und bürgerlicher Kräfte für demokratische Rechte kämpft, muß es dies vom Standpunkt seines eigenen strategischen Zieles tun: die Macht der Arbeiterräte. Was es im wesentlichen innerhalb bürgerlicher Demokratie verteidigt, sind seine Kampforganisationen, die der Bourgeoisie abgerungenen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Zugeständnisse und jene Formen der bürgerlichen Demokratie (Parlamente, etc.), welche die Arbeiterklasse als eine Tribüne dafür benützt, die Massen zu mobilisieren und in ihnen zu agitieren. Aber die Macht der Arbeiterräte ist die demokratischste Form der Klassenherrschaft in der Geschichte und ersetzt die demokratische Republik als ein strategisches Ziel in der imperialistischen Epoche.

Trotzdem wir es zurückweisen, die Revolution auf eine besondere demokratische Stufe zu beschränken, können wir nicht – wie die Sektierer – daraus schließen, daß demokratische Losungen unnötig seien. Brutale Diktaturen geben ständig Anlaß zu demokratischen Bestrebungen und zu Illusionen in bürgerlich-demokratische Institutionen. Nur verhärtete Sektierer, welche die Notwendigkeit unterschätzen, sich auf die fortschrittlichen Elemente in den demokratischen Illusionen der Massen zu beziehen, können glauben, daß es möglich sei, das Bewußtsein der Massen zu „überspringen“. Wenn diese Illusionen überwunden werden sollen, ist in der Praxis mehr als nur die Forderung nach Sozialismus nötig.

Dort, wo die herrschenden Klassen versuchen, den Massen die vollen demokratischen Rechte zu verweigern, mobilisieren wir rund um demokratische Losungen, einschließlich jener der souveränen, verfassungsgebenden Versammlung. Wir müssen für einen Wahlablauf kämpfen, in dem es keine vorausgehenden Beschränkungen oder Geheimabkommen gibt, d.h. für einen für die Massen wirklich demokratischen: allgemeines, direktes, geheimes und gleiches Wahlrecht ohne Voraussetzung von Eigentum oder der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. Es sollte Publikations- und Versammlungsfreiheit für alle Parteien der Arbeiter und Bauern existieren und von einer bewaffneten Miliz verteidigt werden. Wir müssen auch die proportionale Vertretung aller Parteien in der Versammlung, entsprechend den Stimmen, die sie erhalten haben, fordern, ohne irgendeine Mindestgrenze.

Daß man jedoch die Wichtigkeit solcher Forderungen erkennt, bedeutet nicht, die opportunistischen Methoden der Zentristen anzunehmen, die den Kampf für eine verfassungsgebende Versammlung in eine demokratische Stufe verwandelt haben, durch welche die Massen gehen müssen. Der Zentrismus trotzkistischen Ursprungs (Lambertismus, Morenoismus, das Vereinigte Sektretariat der IV. Internationale) ist immer den Stalinisten oder den kleinbürgerlichen Nationalisten nachgeschwänzelt, indem er die Losung der verfassungsgebenden Versammlung in einer Art verwendet hat, die den Kampf für Arbeiterräte und Arbeitermacht in eine Zeit, nach der eine solche Versammlung gewonnen wurde, verbannte. Gleichzeitig haben die Zentristen Illusionen in das „sozialistische“ Potential gesät, das solche Versammlungen hätten. Die „antiimperialistischen“ linken Bonapartisten haben sich gleichfalls sehr geschickt darin gezeigt. Sei es der Derg in Äthiopien, Mugabes „Einparteienstaat“, Ortegas machtlose „Volkskomitees“ oder Ghadhafis Volkskomitees, diese Organisationen werden in Wahrheit dazu benutzt, den Arbeitern und Bauern ihre Organisationsfreiheit abzuerkennen.

Die verfassungsgebende Versammlung enthält deshalb keinen ihr innewohnenden progressiven Kern. Sie kann nur – und in neunundneunzig von hundert Fällen war sie dies – ein bürgerliches Parlament sein, das damit beauftragt ist, eine Verfassung zu installieren. Schlimmer noch, in halbkolonialen Ländern (Brasilien 1982) und sogar in einigen imperialistischen Ländern (Portugal 1975) wird sie nur unter militärbonapartistischen Beschränkungen ihrer Macht einberufen. Gleichzeitig wird bereits zuvor zwischen den reformistischen Parteien und dem Militär ein Pakt darüber abgeschlossen, wie die Verfassung aussehen soll. Oft haben sich verfassungsgebende Versammlungen als reaktionäre Körperschaften erwiesen, die den revolutionären Organen des Kampfes und der Macht der Arbeiter und Bauern entgegengestellt sind. Dies kann in den Halbkolonien geschehen, wo das enorme Gewicht der Bauernschaft von der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse benützt werden kann. Die Kapitalisten und Kapitalistinnen benützen das gleiche Wahlrecht aller „Bürger“ als Bremse für die Revolution. Deshalb ist es unabdingbar für die verfassungsgebende Versammlung mittels der Schaffung von Räten der Arbeiter, Soldaten und armen Bauern zu kämpfen. Nur dann kann die Versammlung eine Waffe revolutionärer Demokratie und nicht ein Werkzeug des Bonapartismus sein, nur dann kann die Versammlung von den Räten der Arbeiter und armen Bauern beseitigt werden, wenn ihre Rolle erschöpft ist.

Selbst unter verfassungsmäßigen Regimes in den Halbkolonien existieren massive Elemente des Bonapartismus, die regelmäßig gegen die Arbeiterklasse eingesetzt werden: das Präsidentenamt mit seiner Macht, den Ausnahmezustand zu erklären; der Senat, mit seiner Fähigkeit, die Gesetzgebung zu beschränken; die nichtgewählte Richterschaft und vor allem die paramilitärische Polizei und die stehende Armee. Alle diese Ämter und Kräfte reduzieren wiederholt die „Demokratie“ auf eine völlig leere Hülle. Gegen diese Angriffe auf die demokratischen Rechte sollte die Arbeiterklasse die Abschaffung des Präsidentenamt und des Senates und die Schaffung eines Einkammersystems, in dem mindestens alle zwei Jahre gewählt wird und die Wähler und Wählerinnen ihre Abgeordneten abwählen können, in ihr Aktionsprogramm aufnehmen. Dem sollten wir die Forderung nach Auflösung der paramilitärischen Truppen, der Polizei und der stehenden Armee und die Schaffung einer bewaffneten Volksmiliz hinzufügen.

Stalinismus, kleinbürgerlicher Nationalismus und bürgerlich-demokratische Aufgaben

Der Stalinismus ist in all seinen Erscheinungsformen ein unversöhnlicher Gegner der Theorie und Strategie der permanenten Revolution geblieben. Der Triumph des Stalinismus wurde durch die offizielle Annahme der Doktrin vom Sozialismus in einem Land durch die kommunistische Partei der Sowjetunion markiert. Der Gedanke eines nationalen Weges zum Sozialismus entspringt dieser Theorie. In den halbkolonialen und kolonialen Ländern bedeutete dies das Durchlaufen besonderer und getrennter politischer Stadien: zuerst die Etappe des Kampfes für politische Demokratie und unabhängige kapitalistische Entwicklung – im Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie -; danach, wenn der Stand der Produktivkräfte reif für diese Etappe befunden wird, die Entwicklung Richtung Sozialismus. In der imperialistischen Epoche kann diese Strategie nur bedeuten, daß die Stalinisten die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse überall dort leugnen, wo diese in der demokratischen Etappe mit den bürgerlich-nationalen Interessen in Konflikt geraten. Angesichts der Unmöglichkeit einer unabhängigen Industrialisierung hat der Stalinismus nach dem Zweiten Weltkrieg oft jeden Anspruch aufgegeben, daß die zweite Etappe für die Halbkolonien möglich wäre.

Wir schließen nicht aus, daß „Stadien“ im lebendigen Kampf um die Arbeitermacht auftreten können. Aber es können niemals abgeschlossene, auf einer jeweils getrennten Strategie für eine getrennte Periode basierende Stadien sein. Die verschiedenen Aufgaben, bürgerlich- demokratische und proletarische, sind miteinander verknüpft, und zu jedem Zeitpunkt muß offen dafür gekämpft werden, und zwar mit dem einzigen strategischen Ziel der Arbeitermacht. Aber die Arbeiterklasse muß das städtische und ländliche Kleinbürgertum im Kampf um die demokratischen Aufgaben führen. Die ganze Nachkriegsentwicklung beweist, daß die vollständige Erfüllung der noch offenen demokratischen Aufgaben nur unter der Diktatur des Proletariats, das heißt auf Grundlage der Zerstörung des kapitalistischen Privateigentums und seines Systems der Nationalstaaten, erfüllt werden kann.

Der Stalinismus ist so voll auf die „demokratische Etappe“ orientiert, daß er sich sogar mit kleinbürgerlich-nationalistischen Formationen fusioniert, um so besser – wie Trotzki sagte – „die Schlinge um den Hals des Proletariats zuziehen zu können“. Wo auch immer die Arbeiterklasse spontan aus den vom Stalinismus vorgezeichneten Grenzen des revolutionären Prozesses ausgebrochen ist, sind die Stalinisten die eifrigsten Befürworter der Niederschlagung der Arbeiter und Arbeiterinnen und deren Zurückpressung in diese Grenzen gewesen. Die bittere Konsequenz dessen war oft nicht eine Realisierung der demokratischen Etappe, sondern eine blutige Konterrevolution und Diktatur (Indonesien, Chile, Iran).

Der kleinbürgerliche Nationalismus hat im Laufe der imperialistischen Epoche zunehmend unter dem Mantel des „nationalrevolutionären Kampfes“ in der halbkolonialen Ära agiert. Er übernahm im Streben nach nationaler Unabhängigkeit oft revolutionäre Kampfmethoden (Aufstände, Guerillakriegsführung). Bei manchen Gelegenheiten haben kleinbürgerliche Kräfte Methoden des Klassenkampfes (Streiks, Besetzungen, Landnahme), auch wenn sie diese nicht organisiert haben, zugelassen. Nichtsdestotrotz bleibt das angestrebte Ziel des kleinbürgerlichen Nationalismus eine reaktionäre Utopie.

Der Kampf für einen „unabhängigen Kapitalismus“, der sich „soziale Gerechtigkeit“ im Inneren und „Paktungebundenheit“ nach außen zu eigen macht, ist im Zeitalter des Imperialismus eine Illusion. Diese kleinbürgerlichen Parteien – normalerweise von Angehörigen gehobener städtischer Berufe, Mitgliedern der Intelligenz und desillusionierten Söhnen und Töchtern der herrschenden Oligarchien geführt – sind unfähig, mit dem Kapitalismus zu brechen. Nur in Ausnahmesituationen kann es die Hilfe der existierenden stalinistischen Staaten solchen Parteien ermöglichen, den Kapitalismus auf bürokratische Art und Weise zu überwinden. Ein solcher Verlauf hat allerdings nur dann stattgefunden, wenn er ihnen im Konflikt mit dem Imperialismus als einziges Mittel ihres Überlebens aufgezwungen wurde. In diesem Prozeß verschmelzen sie mit stalinistischen Parteien oder verwandeln sich in solche. Dort, wo solche Parteien eine zeitlang regieren, ohne den Kapitalismus zu stürzen (Nicaragua), rauben sie den Arbeitern und Bauern – durch den Versuch, sich mit einer „patriotischen“ Kapitalistenklasse zu versöhnen – die Früchte ihres Kampfes. Das endet unausweichlich mit einer konservativen Konterrevolution innerhalb des Regimes (Ägypten, Algerien, Iran) und mit dem Aufstieg der Bourgeoisie oder dem Sturz der kleinbürgerlichen Regierung durch proimperialistische Kräfte (Guatemala, Grenada).

Die offiziellen kommunistischen pro-Moskau-Parteien haben sich seit ihrer stalinistischen Degeneration nicht nur immer wieder selbst diskreditiert, sondern durch die Unterstützung reaktionärer Diktaturen – im Interesse der diplomatischen Manöver des Kremls – auch den Gedanken einer proletarischen Führung in Mißkredit gebracht. Der bürgerliche und kleinbürgerliche Nationalismus hat seine Stärke aus diesem Verrat bezogen. Aber als diese Kräfte an der Reihe waren, haben auch sie die Arbeiter und Bauern in die Niederlage geführt. Eine der Folgen ist, daß sich die Massen der Religion zuwenden, um Trost und Anregung für den Kampf zu erhalten. Ideologien, die sich am Beginn des Kapitalismus – angesichts einer emporkommenden Bourgeoisie voller Selbstvertrauen und begleitet von Rationalismus und Säkularismus – auf dem Rückzug befanden, erfahren nun in der reaktionären Epoche des Kapitalismus eine Stärkung.

Religiöse Institutionen spielen im Kampf der Unterdrückten generell eine konterrevolutionäre Rolle. Die meiste Zeit verbreiten sie eine Ideologie der Unterwürfigkeit oder der friedlichen Reform. Aber wenn sie an der Spitze einer Massenrevolte stehen, dann mit dem Ziel, die Massen davon abzuhalten, die kapitalistische Ordnung selbst zu attackieren. Meistens haben sie als führende Kirchenhierarchie agiert, um den Widerstand zu zügeln und die Gehirne der Arbeiter und Bauern zu vernebeln. In gewissen Ländern (z.B. in Zentralamerika) haben Geistliche niedrigen Kirchenranges oder Laienpriester den Bauern und Landarbeitern gelegentlich geholfen, sich in unabhängigen Gewerkschaften zu organisieren, bzw. sie zur Alphabestisierung, politischen Bewußtseinsbildung und Überwindung der Passivität ermuntern. Die reformistischen und klassenversöhnlerischen Anliegen, die dieser Tätigkeit zugrunde lagen, wurden von den Arbeitern und Bauern ihrerseits oft beiseite geschoben; woraufhin sich dieselben Priester und Nonnen gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen stellten. Das schließt natürlich nicht aus, daß individuelle Mitglieder des Klerus – umso mehr die Masse der Gläubigen – in den militanten oder sogar revolutionären Kampf involviert werden. Aber die Aufgabe von Marxistinnen und Marxisten ist es trotzdem, sich entschlossen gegen den Einfluß aller religiösen Ideologien zu stellen.

Im Iran hegemonisierte eine solch reaktionäre Ideologie die Mehrheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten, sogar zu dem Zeitpunkt, als die Massenbewegung den proimperialistischen Schah stürzte. An die Macht gekommen, wurde der volle reaktionäre Inhalt der religiösen Ideologie deutlich: die Verweigerung demokratischer Rechte, die Verfolgung unabhängiger proletarischer Organisationen und die Unterdrückung der Frauen sind Kernbestandteil halbkolonialer kapitalistischer Staaten, die vom religiösen Dogma durchtränkt sind. Hier müssen Revolutionäre und Revolutionärinnen für den Schutz der proletarischen Demokratie gegen religiöse Kasten und für die Trennung von Kirche und Staat kämpfen.

Die antiimperialistische Einheitsfront

Trotz ihrer Abhängigkeit vom Imperialismus bleibt die halbkoloniale Bourgeoisie eine nationale Klasse, die zu begrenzten Kämpfen gegen den Imperialismus fähig ist. Je mehr der Imperialismus seine Krise offen auf Kosten der herrschenden Klasse der Halbkolonie Löst, desto mehr neigt letztere zu rhetorischem und sogar tatsächlichem Widerstand.

Dies macht die nationale Bourgeoisie oder Teile von ihr keineswegs revolutionär. Aber solange bürgerliche oder kleinbürgerliche Kräfte über einen realen Masseneinfluß im antiimperialistischen Kampf verfügen, ist es notwendig, daß die Arbeiterklasse die Taktik der antiimperialistischen Einheitsfront anwendet. Das betrifft auch taktische Vereinbarungen mit nicht-proletarischen Kräften sowohl auf Führungsebene als auch an der Basis. Solche Absprachen können formale Bündnisse oder Komitees einschließen. Wo dies der Fall ist, sind die grundlegenden Voraussetzungen für die Teilnahme an einem solchen Block, daß die bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräfte tatsächlich einen Kampf gegen den Imperialismus oder seine Agenten führen, daß der politischen Unabhängigkeit der revolutionären Organisation innerhalb dieses Blocks keinerlei Beschränkungen auferlegt werden und daß keine bedeutenden Kräfte, die gegen den Imperialismus kämpfen, bürokratisch ausgeschlossen werden. Es ist sogar möglich, diese Einheitsfront im Rahmen von Basisstrukturen einer Massenorganisation mit Volksfrontcharakter, in der sich getrennte Klassenparteien noch nicht herausgebildet haben, zu bilden. Zentral ist dabei, daß diese Einheit auf die Mobilisierung breitester antiimperialistischer Kräfte für genau definierte gemeinsame Kampfziele, wie die Einführung demokratischer Rechte und die Vertreibung der Imperialisten, gerichtet ist.

Während die Kämpfe der halbkolonialen Bourgeoisie darauf abzielen, ihren eigenen Ausbeutungsradius zu erweitern, droht mit dem Eintritt der Arbeiterklasse in den Kampf, die Ausbeutung überhaupt abgeschafft zu werden. Deshalb gibt es nichts konsequent Antiimperialistisches oder Revolutionäres an der halbkolonialen Bourgeoisie, und es sollte für sie kein Dauerplatz in der antiimperialistischen Einheitsfront reserviert werden. Der Zweck der Aktionen der antiimperialistischen Einheitsfront muß die Unterstützung des Proletariats bei der Mobilisierung der Massen sein, so daß diese die – ihnen von ihren traditionellen Führungen und Organisationen auferlegten – Schranken durchbrechen. Deshalb muß das Proletariat die kühnsten Formen der direkten Massenaktion und Massenorganisation, Streikkomitees, Volksversammlungen, Massenveranstaltungen (cabildos) etc., die die Entwicklung von Arbeiter- und Bauernräten, Arbeitermilizen und Soldatenkomitees fördern, vorantreiben.

Das Proletariat darf „linke“ Regimes nie politisch unterstützen oder an deren Unterdrückung demokratischer Rechte mitwirken. Die Avantgarde der Arbeiterklasse soll, solange demokratische Freiheiten existieren und die Mehrheit der Arbeiter und Arbeiterinnen ein solches Regime noch unterstützt, einen bewaffneten Aufstand gegen diese Regierungen unterlassen. Die einzig mögliche Unterstützung für diese Regimes besteht im gemeinsamen militärischen Vorgehen gegen einen reaktionären Putsch oder gegen eine imperialistische Intervention. Trotzkisten und Trotzkistinnen können demzufolge militärische Aktionen bürgerlicher Regierungen gegen den Imperialismus unterstützen. Aber wir werden zu keinem Zeitpunkt von unserem Kampf zum Sturz und zur Ersetzung dieser Regierung durch eine Arbeiter- und Bauernregierung ablassen.

Die Nationalisten und Reformisten wollen die Aktionsfront gegen den Imperialismus immer in einen strategischen Block zur Erreichung der politischen Macht (also in eine Volksfront) verwandeln. Sie versuchen die antiimperialistischen Kräfte in einer Regierungskoalition, die das Überleben des „nationalen Kapitals“ gegen die sozialistische Revolution garantiert, zusammenzufassen. Revolutionäre Kommunistinnen und Kommunisten kämpfen für die Errichtung von Regierungen, die sich auf Räte und Milizen der Arbeiter und Bauern stützen. Nur eine Regierung des Proletariats, im Bündnis mit der armen Bauernschaft, kann die unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution Lösen. Der Klasseninhalt einer solchen Regierung ist im vorhinein festgelegt. Die Losung lautet: Für eine revolutionäre Arbeiter- und Bauernregierung! Eine solche Regierung wird nicht, ja kann nicht die Revolution auf eine eigenständige demokratische Etappe beschränken, denn andernfalls wird sie unter dem Druck der Konterrevolution zusammenbrechen. Diese Perspektive befähigte die Bolschewiki, die radikalisierten Bewegungen des Kleinbürgertums, wie die linken Sozialrevolutionäre und die Volksparteien Zentralasiens, auf ihre Seite zu ziehen. Die Gründung eines strategischen Blocks mit diversen linken Kräften ohne dieses Kampfziel wird nur den Weg zur Diktatur des Proletariats versperren. Der Eintritt in eine Regierung oder Regierungskoalition, die die Aufrechterhaltung des Privateigentums und dessen Armee und Staat zur Grundlage hat, ist die höchste Form des Verrats am Proletariat.

Die Arbeiterklasse und die Guerillastrategie

Trotzkistinnen und Trotzkisten stehen in Opposition zur Strategie des Guerillakrieges, gleichgültig, ob in einer „Focus“- oder „Volkskriegsvariante“. Der kleinbürgerliche Guerillaismus widersetzt sich dem Aufbau einer Arbeiterpartei, von Arbeiterräten und der Organisierung des bolschewistischen Aufstandes. Durch ein klassenübergreifendes Programm will er die proletarischen Interessen dem Kleinbürgertum unterordnen. Der Guerillaismus möchte bürokratische Organisationen durchsetzen und die Entwicklung von Arbeiterräten und unabhängigen, demokratischen Arbeitermilizen umgehen. Sogar dort, wo es ihm gelingt, verfaulte Diktaturen wie in Kuba und Nicaragua zu Fall zu bringen, eröffnet er den Weg für eine bonapartistische Lösung. Egal ob die Siege der Guerilla – ausnahmsweise – bürokratische soziale Umstürze oder – wie meist – militärisch-bonapartistische Regime mit sich brachten: Sie waren immer von der Zerschlagung der unabhängigen Organisationen des Proletariats begleitet.

Hinter ihrer ultralinken Phraseologie und Methode versteckt sich in der Tat ein starkes Mißtrauen in die Arbeiterklasse und eine Neigung zu Abkommen mit Teilen der Bourgeoisie. Diese Politik beinhaltet, daß die politische Führung der städtischen Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum überlassen wird. Insoweit der Guerillaismus eine Massenbasis für seine Aktionen (wie im „Volkskrieg“) sucht, ordnet er die unabhängigen Interessen der Arbeiterklasse dem Kleinbürgertum unter. In diesem Sinne hat der Guerillaismus als Strategie immer die Tendenz, eine bewaffnete Volksfront zu verkörpern.

Der Guerillaismus entwertet den politischen und ökonomischen Kampf zu Gunsten gelegentlicher und oft willkürlicher militärischer Aktionen. Der individuelle Terror, die Zerstörung von Fabriken (Zentren der proletarischen Konzentration) und spektakuläre Militäraktionen sind Methoden, die der Strategie der Arbeiterklasse entgegengesetzt sind. Entgegen dem Marx’schen Postulat, daß die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter selbst sein könne, glaubt der Guerillaismus, daß die Befreiung das Werk außenstehender Retter sein wird. Durch ihre undemokratische und elitäre Haltung gegenüber den Massen, die sie zu vertreten vorgeben, können Guerillaführer diese angesichts überlegener staatlicher Militärkräfte und Wachmannschaften häufig schutzlos zurücklassen. Das Abziehen der furchtlosesten und kämpferischsten Arbeiterinnen und Arbeiter von den Fabriken, den Stadtzentren, den dicht besiedelten ländlichen Gebiet bedeutet, daß den Arbeiter- und Bauernorganisationen ihre Kader und Führer entzogen werden. Wie im Fall von ‚Sendero Luminoso‘ in Peru können Guerilleros auch die Arbeiterorganisationen selbst angreifen .

Für Trotzkistinnen und Trotzkisten ist der Guerilla-Kampf aber eine Taktik, die im antiimperialistischen Kampf angewendet werden kann. Wir lehnen die militärische Einheitsfront mit Guerilla-Armeen nicht ab, weder in der Form von eigenen Bataillonen noch in der Form von kommunistischer Zellenarbeit innerhalb von bürgerlich oder stalinistisch geführten Armeen. Das Ziel dieser militärischen Einheitsfront ist jedoch die Vorbereitung einer weitverzweigten und unabhängigen Bewaffnung der Arbeiterklasse und der armen Bauern. Über diesen Weg kämpfen Kommunistinnen und Kommunisten darum, die Guerilla-Armeen und deren politische Apparate zu zwingen, die Plantagenbesitzungen zu enteignen, die Landbesetzungen zu unterstützen und die Unabhängigkeit der Arbeiter- und Bauernräte und deren Milizen anzuerkennen.

Das bleibt jedoch eine untergeordnete Taktik gegenüber einer Strategie, deren zentrale Vorkämpferin die Arbeiterklasse selbst ist. Das Programm der permanenten Revolution ordnet jede militärische Aktion den politischen Notwendigkeiten unter, die vom vorhandenen Niveau des Klassenkampfes und dem revolutionären Bewußtsein der Arbeiter und der armen Bauern bestimmt werden. Eine breite militärische Aktion der bewaffneten Miliz in Stadt und Land sollte im allgemeinen nur dann unternommen werden, wenn eine Doppelmacht besteht und eine weitreichende Arbeiterkontrolle die Organisierung des Aufstandes zur unmittelbaren Notwendigkeit macht. Wir lehnen alle breiten Militäraktionen mit ausdrücklich nicht-defensivem Charakter kategorisch ab, die die Massen politisch passiv lassen. Unter allen Umständen hat die Arbeiterklasse ihre Unabhängigkeit und ihre Opposition gegenüber dem Guerillaismus zu behaupten. Sie muß alle Aktionen, die ihren Perspektiven entgegengesetzt sind, kritisieren und in extremen Fällen verurteilen.

In den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kleinbürgerlichen Guerillaarmeen und dem bürgerlichen Staat verteidigen wir sie immer gegen die staatliche Repression. Wir sprechen dem Staat das Recht ab, diejenigen zu verurteilen, die gegen ihn kämpfen. Wir kämpfen für die Anerkennung des Kriegsgefangenenstatus der gefangengenommenen Guerilleros und für deren Befreiung. Wenn Guerilleros Arbeiterorganisationen angreifen, rufen wir zu deren Verteidigung nicht um die Hilfe des kapitalistischen Staates. Wir verlangen, daß die Arbeiterbewegung selbst, in Versammlungen und in den Gewerkschaften, ein Urteil ausspricht, indem die Arbeiter und Bauern eigene Verteidigungskommandos gegen diese Guerilla-Angriffe organisieren. Wir weichen vor der unvermeidlichen militärischen Konfrontation mit den bürgerlichen und stalinistischen Kommandeuren nicht zurück, die das Ergebnis voneinander abweichender Programme des Proletariats und des Kleinbürgertums ist.




Für eine revolutionär- kommunistische Internationale

Das Trotzkistische Manifest, Kapitel 7, Sommer 1989

Die Arbeiterklasse braucht eine revolutionäre Partei, um die Diktatur des Proletariats zu errichten. Nur eine revolutionäre Partei, die die Mehrheit der organisierten Arbeiterklasse in den revolutionär umgewandelten Gewerkschaften, den Fabrikkomitees, den Arbeitermilizen und -räten errungen hat, kann die Macht übernehmen. Nur eine Partei kann die Macht gegen die Konterrevolution halten, sie vor bürokratischer Entartung schützen und die Revolution international ausbreiten. Der Aufbau einer leninistischen Partei in allen Ländern ist die grundlegende Aufgabe für Revolutionärinnen und Revolutionäre.

Die revolutionäre Partei muß sich von allen reformistischen und zentristischen Elementen abgrenzen, gleichzeitig aber allen Schichten der Arbeiterklasse die geschlossenste Kampfeinheit anbieten. Jede Tendenz, die Partei den Einheitsfrontorganen unterzuordnen oder sie in eine dauerhafte Front aufzulösen, die sich an die Massen nur auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners wendet, wird die revolutionäre Partei in zentristische Degeneration führen. Die argentinische MAS in den 80er Jahren gibt ein klassisches Beispiel für diese Gefahr.

Die leninistische Vorhutpartei fungiert auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus. Demokratie in der Wahl der Führerinnen und Führer und der Festlegung von Strategie und Taktik bildet kritische und selbstbewußte Kader heran. Die freie Äußerung von Differenzen ist wichtig. Bürokratismus hingegen erzieht willige Werkzeuge, aber keine militanten Kämpferinnen und Kämpfer. Wenn ernste und längere Meinungsverschiedenheiten in der Partei auftauchen, kann die Formierung von organisierten Tendenzen oder sogar Fraktionen ein „notwendiges Übel“ sein. Deshalb muß das Recht zur Tendenz- und Fraktionsbildung intensiv gesichert werden. Genauso wie der Stalinismus das Wort „Kommunismus“ korrumpiert und entwertet hat, ist von ihm auch die leninistische Parteiorganisation in eine bürokratische Karikatur nach einem leblosen Einheitsprinzip verwandelt worden.

Zentralisierte Disziplin ist ein wichtiges Mittel zur Konzentration aller Kräfte der revolutionären Vorhut auf die Bourgeoisie und ihren Staat. Sie macht jede Parteiaktion wirksamer. Disziplin kann eine Überlebensfrage unter Bedingungen der Illegalität oder angesichts brutaler Unterdrückung sein. Demzufolge ist die revolutionäre Organisation kein Debattierverein. Wenn politischer Streit durch eine Abstimmung innerhalb der Organisation gelöst wird, ist es die Pflicht aller Mitglieder, alle Beschlüsse und Aktionen, die sich aus einem solchen Votum ergeben, loyal und systematisch auszuführen. Nach Durchführung solcher Beschlüsse und Aktionen ist es durchaus erlaubt, die Politik kritisch aufzuarbeiten und zu versuchen, sie zu ändern. Ein solch wahrhaft demokratischer Zentralismus ist in allen Etappen des Parteiaufbaus wesentlich.

Sehr oft werden die Anfangsstadien des Parteiaufbaus vornehmlich der Propaganda gewidmet sein. Wo es nur eine Handvoll Revolutionärinnen und Revolutionäre gibt, wird die Hauptaufgabe im jeweiligen Land in der Klärung der grundlegendsten Programmfragen bestehen. Nichtsdestotrotz streben wir danach, unser Programm durch Eingreifen in den Klassenkampf wo immer möglich zu erproben und anzuwenden. Wenn die Organisation zu einer kämpfenden Propagandagruppe heranwächst, wird sie zunehmend an Massenkämpfen teilnehmen. Sie wird um die Führung kämpfen, praktische Vorschläge machen, wie in den Kämpfen Siege errungen werden können, und wird die Lehren aus ihnen ziehen, um die fortgeschrittensten Elemente der Klasse für das revolutionäre Programm zu gewinnen.

Der Übergang von einer kämpfenden Propagandagruppe zur leninistischen Kampfpartei kann weder dadurch erreicht werden, daß sich eine Handvoll Kader in oberflächliche „Massenarbeit“ stürzt, noch dadurch, daß man sich opportunistisch in zugespitzten Klassenkampfsituationen anpaßt. Wo es bedeutende, sich nach links bewegende, zentristische Kräfte in zentristischen oder reformistischen Parteien gibt, kann es notwendig sein, in solche Organisationen mit der doppelten Zielsetzung eines gemeinsamen Kampfes gegen die rechten Parteiführerinnen und Parteiführer einerseits und dem Aufbau einer revolutionären Tendenz andererseits einzutreten. Auf diese Weise können die besten Klassenkämpfer für die Perspektive der Bildung einer revolutionären Partei versammelt werden. Diese Taktik ist keineswegs eine unumgängliche Etappe im Parteiaufbau und hat auch nichts zu tun mit dem strategischen „tiefen Entrismus“ verschiedener rechtszentristischer „trotzkistischer“ Organisationen seit Ende der 40er Jahre. Sie sind in den reformistischen Parteien tief begraben worden und sind seit langem vom Kampf für das revolutionäre Programm desertiert.

Eine wahrhaft revolutionäre Partei übt einen starken Einfluß auf die Avantgarde der Klasse aus. Sie besteht aus kommunistischen Kadern, weist eine umfangreiche landesweite Verankerung in den fortgeschrittenen Sektoren des Proletariats auf und ist imstande, Massenkämpfe zu organisieren. In revolutionären und vorrevolutionären Situationen muß sie sich zu einer Massenpartei entwickeln, um die Massen für den Kampf um die Macht zu organisieren.

Für eine revolutionäre Massenpartei der Arbeiterinnen und Arbeiter

In vielen imperialisierten, aber auch in einigen imperialistischen Ländern waren die Jahrzehnte des kapitalistischen Wachstums begleitet von einer massiven Ausdehnung des Proletariats und seiner Gewerkschaften ohne vergleichbares Anwachsen ihrer politischen Parteien. Arbeiterinnen, Arbeiter und Gewerkschaften verharren häufig bei den bürgerlichen oder kleinbürgerlich-nationalistischen Parteien oder gar bei Formen des Bonapartismus. Unter solchen Umständen wird der Kampf um die Schaffung einer revolutionären Partei aufs engste mit dem Kampf für die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse verflochten sein.

In den USA der 30er Jahre hat Trotzki die Losung einer auf den Gewerkschaften fußenden Arbeiterpartei als Mittel zur Überwindung der politischen Rückständigkeit der US-Arbeiterinnen und Arbeiter und als Antwort auf das spürbare Bedürfnis nach einer politischen Organisation im Klassenkampfaufschwung Mitte der 30er Jahre entwickelt. Dies war keineswegs ein Aufruf zur Bildung einer reformistischen sozialdemokratischen Partei, sondern eine im Kampf um eine revolutionäre Partei von Trotzki entwickelte Taktik.

Im allgemeinen stellt die Losung der Arbeiterpartei ein wichtiges Propagandainstrument zur Unabhängigkeit der Klasse und zur Bloßstellung der Anbiederung der Bürokraten an die Unternehmer dar, kann aber gelegentlich auch zur scharfen agitatorischen Waffe werden. Der Aufruf für eine Arbeiterpartei ist eine Forderung an die Gewerkschaften zum Bruch mit den offenen Parteien der Bourgeoisie und zum Kampf für den Aufbau einer Partei der gesamten Arbeiterklasse. Die Gewerkschaften sollten aufhören, die Loyalität der Arbeiterklasse gegenüber ihren Klassenfeinden zu sichern. Sie haben einen zentralen Stellenwert in der Forderung, gerade weil sie generell unter den Bedingungen des verschärften Klassenkampfes greift, wo ein massiver Zustrom von radikalisierten Arbeiterinnen und Arbeitern in die Gewerkschaften stattgefunden hat (USA in den 30er, Südafrika und Brasilien in den 80er Jahren).

Falls die Revolutionärinnen und Revolutionäre unter solchen Umständen die Taktik der Arbeiterpartei nicht anwenden und nicht in den Gründungsprozeß eingreifen, besteht die Gefahr, daß die Reformisten die radikalisierten Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Bildung einer reformistischen Partei oder einen erneuerten Pakt mit bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Parteien lenken könnten.

Die Taktik der Arbeiterpartei ist keine unüberspringbare Etappe in der politischen Entwicklung der Arbeiterklasse. Ihre agitatorische Anwendung hängt von den jeweiligen konkreten Umständen in einem Land ab. Trotzdem machen wir klar, daß wir im Kampf um die Schaffung einer Arbeiterpartei deren Grundlegung auf einem revolutionären Programm vorschlagen. Wir wollen verhindern, daß eine reformistische oder zentristische Schlinge um den Hals des Proletariats gelegt wird. Aber der Charakter dieser Partei kann nicht im voraus ultimativ festgeschrieben werden. Er wird vom Kampf zwischen Revolutionärinnen und Revolutionären und den falschen Führern bestimmt.

Wo keine Tradition von politischer Massenorganisation der Arbeiterklasse existiert, gestattet der politische Kampf innerhalb der Arbeiterpartei zur Verteidigung von Arbeiterinteressen die Polarisierung der bestehenden politischen Tendenzen in der Arbeiterklasse. Dies zeigt sich in der Entwicklung der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) während der 80er Jahre.

Die revolutionäre Internationale

Die Imperialisten und ihre Steigbügelhalter in den Halbkolonien und Arbeiterstaaten koordinieren ihre Aktionen gegen das Proletariat auf internationaler Ebene mittels der UNO, dem IWF, der Weltbank, dem RGW und Militärblöcken wie NATO oder Warschauer Pakt. Gegen ihre „Internationalen“ müssen wir eine revolutionäre Internationale der proletarischen Massen stellen, um den von der bürgerlichen Gesellschaft der Weltarbeiterklasse auferlegten Chauvinismus und Rassismus zu überwinden. Das Ziel dieser Internationale soll die revolutionäre Zerstörung der kapitalistischen und stalinistischen Herrschaft auf der ganzen Welt sein. Sie wird die Führung im Befreiungskampf der gesamten Menschheit vom Doppeljoch der Ausbeutung und Unterdrückung übernehmen. Die internationale Diktatur des Proletariats wird die Grundlage für ein sozialistisches Weltsystem herstellen und damit beginnen, alle Spuren der alten Ordnung auf ihrem Marsch zum Weltkommunismus auszumerzen.

Vor und nach der Revolution ist die Aufgabe zur Schaffung eines revolutionären Programms und einer revolutionären Partei eine internationale. Es kann nicht die Frage sein, zunächst für die Bildung großer nationaler Parteien einzutreten und sie dann in einer Masseninternationale miteinander zu verbinden. In nationaler Isolation aufgebaute Parteien werden nationaler Beschränktheit und Einseitigkeit unterliegen. In den imperialistischen Ländern wird dies eine Neigung zur Anpassung an Ökonomismus und Sozialchauvinismus bedeuten. In den Halbkolonien wird es zur Nachgiebigkeit gegenüber kleinbürgerlichem Nationalismus und zur Verwischung der klassenmäßigen Unabhängigkeit des Proletariats führen. In den stalinistischen Staaten wird es zu einer Anpassung an den „Reform“flügel der stalinistischen Bürokratien führen. Zur Überwindung des nationalen Drucks ist die Entfaltung einer weltumspannenden Perspektive und das Eingreifen in den internationalen Klassenkampf lebenswichtig. Die Herstellung praktischer Solidarität zwischen Arbeiterinnen und Arbeitern verschiedener Länder ist jederzeit vonnöten.

Heute ist keine revolutionäre Arbeiterinternationale vorhanden. Die sozialistische Internationale ging 1914 endgültig ins Lager des Reformismus über, als seine Hauptsektionen die „eigene“ Bourgeoisie im Ersten Weltkrieg unterstützten. Sie fungiert nunmehr als Koordinationszentrum für die sozialdemokratischen Reformisten und ihre arbeiterfeindlichen Pläne.

Die Komintern brach unter der erdrückenden Bürde des Stalinismus 1933 politisch zusammen, als ihre Politik Hitlers Machtergreifung erleichterte. 1943 löste sie Stalin auf zynische Art auf. Nichtsdestotrotz sind die Bindungen zwischen den Kommunistischen Parteien und den herrschenden Kasten in den degenerierten Arbeiterstaaten weiterhin stark. Eine verschleierte bürokratische Internationale verbindet die Mehrheit aller KPen mit Moskau. Aber der Kreml verfügt nicht mehr über das Loyalitätsmonopol. Der Eurokommunismus hat die westlichen KPen von Moskau entfernt und für andere stellen Kuba oder China eine ideelle und materielle Alternative dar. All dies bezeugt den fortwährenden Prozeß der Desintegration der stalinistischen Weltbewegung.

Die letzte revolutionäre Internationale, die von Trotzki 1938 gegründete IV., gibt es nicht mehr. Sie wurde auf der Perspektive begründet, daß sie rasch zur Führung von Millionen während der durch den Zweiten Weltkrieg hervorgerufenen revolutionären Krisen gelangen würde. Dies trat nicht ein, da Stalinismus und Sozialdemokratie gestärkt aus dem Konflikt hervorgingen. Die IV. Internationale aber operierte weiter mit ihrer Vorkriegsperspektive von bevorstehendem Krieg und Revolution. Geschwächt durch stalinistische und imperialistische Verfolgung und infolge politischer und organisatorischer Verwirrung und Unordnung im Krieg war die IV. Internationale unfähig, unter den neuen Bedingungen nach Kriegsende für die Weltarbeiterklasse einen Kurs anzugeben.

Zwischen 1948 und 1951 entfernte sich die IV. Internationale immer mehr von der marxistischen Methode, als sie eine Reihe von politischen Anpassungen vornahm und die führende Rolle im Klassenkampf angeblich „zentristischen“ Kräften stalinistischen, sozialdemokratischen oder kleinbürgerlich-nationalistischen Ursprungs überließ. Erstes und dramatischstes Beispiel hiefür war die Haltung zu Jugoslawien. Nach dem Bruch Tito – Stalin 1948 erklärte die IV. Internationale, daß Tito kein Stalinist mehr sei, und trat der Losung für eine politische Revolution in Jugoslawien entgegen.

Dieser Verfall wurde untermauert durch eine unmittelbare Weltkriegserwartung und dessen alsbaldige Umwandlung in einen internationalen Bürgerkrieg. Das Scheitern an der Aufgabe, Programm und Perspektive wiederzuerarbeiten, führte zur Übernahme einer systematisch zentristischen Methode auf dem Weltkongreß der IV. Internationale 1951; die IV. Internationale war politisch zerstört. In der bolivianischen Revolution 1952 unterstützte die zentristische IV. Internationale eine bürgerliche Regierung der nationalistischen MNR und verschwendete auf kriminelle Art das Potential für eine Arbeitermacht. 1951 hörte die IV. Internationale auf, als revolutionäre Organisation zu bestehen. 1953 beendete sie ihr Dasein als einheitliche Organisation, als sie in einander befehdende zentristische Fraktionen zerbrach, von denen keine eine politische Kontinuität mit der revolutionären IV. Internationale von 1938 bis 1948 verband.

Nach 1953 leistete das Spaltprodukt Internationales Sekretariat (IS) Pionierarbeit für die rechtszentristische Abweichung der IV. Internationale. Mit seinem Nachfolger ab 1963, dem Vereinigten Sekretariat der IV. Internationale (VS), hat sich diese Richtung folgerichtig an verschiedene stalinistische, kleinbürgerlich- nationalistische und sozialdemokratische Strömungen angepaßt. Die Hauptopposition zum Internationalen Sekretariat nach 1953 verkörperte das Internationale Komitee (IK).

Trotz gewisser teilweise korrekter Kritik am Internationalen Sekretariat wandte das Internationale Komitee im Grunde weiter die Methode der zentristischen IV. Internationale an. Die tiefe Entrismusarbeit seiner britischen Sektion in der Labour Party war durch und durch opportunistisch. Das IK beugte die Knie vor kleinbürgerlichem Nationalismus und Maoismus. Sein Markenzeichen war eine katastrophistische Perspektive, ein hohles Echo auf das Übergangsprogramm von 1938.

Wie bei der „sozialistischen“ und „kommunistischen“ Internationale dauert das Erbe des politischen und organisatorischen Niedergangs der IV. Internationale bis heute fort. Es gibt mehrere internationale zentristische Strömungen, die dieses Vermächtnis beanspruchen und mit denen wir uns politisch messen. Doch alle zeigen dieselbe Unfähigkeit, die Methode Lenins und Trotzkis anzuwenden, um die Weltarbeiterklasse zum Sieg zu führen. Die Tagesaufgabe ist klar: der Aufbau einer neuen revolutionär kommunistischen Internationale.

Die Liga für eine revolutionär-kommunistische Internationale (LRKI) ist das Instrument für die Schaffung einer neuen leninistisch- trotzkistischen revolutionären Masseninternationale. Wir fangen diesen Kampf nicht bei Null an. Wir stehen in der politischen Tradition von Marx und Engels erster Internationale, dem Kampf der revolutionären Internationalisten in der zweiten Internationale, den ersten vier Kongressen von Lenins kommunistischer (dritter) Internationale, Trotzkis Kampf für die Verteidigung und Wiedererarbeitung des revolutionären Programms sowie der revolutionären Positionen der vierten Internationale von 1938 bis 1948. Wir beginnen daher unsere Arbeit auf der Grundlage von Kämpfen und programmatischen Errungenschaften eines runden Jahrhunderts.

Der Kampf gegen Zentrismus

Der Zentrismus belegt eine Mittelposition zwischen revolutionärem Kommunismus und Reformismus und vermischt auf eklektische Weise die dem Kommunismus entlehnte Theorie mit der Anpassung an die „praktische Politik“ des Reformismus. Diese Erscheinung ist nicht neu. Gleich vom Beginn der marxistischen Bewegung vor anderthalb Jahrhunderten hat sich der Zentrismus in Gestalt von Organisationen entwickelt, die sich nach rechts von revolutionärer Politik wegbewegten (die sozialistische Internationale vor 1914, die stalinistische Komintern der 20er und frühen 30er Jahre, die IV. Internationale Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre). Aber wie bei den Pivertisten in der französischen SFIO Mitte der 30er Jahre und Strömungen in der ungarischen Revolution 1956 sind wir auch Zeugen von zentristischen Tendenzen geworden, die sich nach links vom Reformismus wegentwickelt haben.

Der Zentrismus ist prinzipiell unfähig, die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen. Er gibt wohlklingende „revolutionäre“ Verlautbarungen ab, aber sträubt sich gegen die Verbindlichkeit einer klaren Strategie und eines konkreten Programms. Außerstande, Theorie und Praxis in Einklang zu bringen, fußt die theoretische Methode des Zentrismus v.a. auf Impressionismus: eine leichtfertige Entwicklung von „neuen Theorien“ für eine stets „neue“ Wirklichkeit, wobei Lehre und Methode des Marxismus mit Füssen getreten werden. Aufgrund der wilden Zickzacks des Zentrismus gehen während der raschen Ereignisse einer Revolution entscheidende Gelegenheiten verloren und die Initiative wird den bewußt konterrevolutionären Kräften von Sozialdemokratie und Stalinismus zurückgegeben. Von daher rührt seine Gefahr für die Arbeiterklasse. Immer dort, wo der Zentrismus die Arbeiterinnen und Arbeiter in einem entscheidenden Konflikt angeführt hat (Deutschland 1919, Italien 1920, China 1927, Spanien 1937, Bolivien 1952, 1971 und 1976, um nur einige Beispiele zu nennen), war das Ergebnis eine Katastrophe.

Das Beispiel der POUM im spanischen Bürgerkrieg zeigt, wie eine zentristische Organisation den Aufbau einer revolutionären Partei behindern kann. Die zentristische POUM hat die Massen nicht im entferntesten zum Siege geführt, sondern war eine linke Flankendeckung für die konterrevolutionäre stalinistische Volksfront und verschleierte den Verrat der Anarchisten und half somit, den Weg zur Niederschlagung der spanischen Arbeiterklasse durch Franco zu ebnen.

Zentrismus ist vor allem ein Phänomen der Bewegung (Entfaltung oder Degeneration) nach links oder rechts. Aber in Abwesenheit sowohl von revolutionären Massenereignissen wie auch eines mächtigen revolutionären Anziehungspols kann sich der Zentrismus längere Zeit behaupten, allerdings in verknöcherter Daseinsform. Dies war auch der Charakter des beginnenden kautskyschen Zentrismus in der zweiten Internationale vor 1914. Ein solcher Rechtszentrismus ist konsequent reformistisch in seiner Praxis, ist aber bis zu seinem Übergang ins Lager des Reformismus auch bereit, scheinrevolutionäre Phraseologien zu benutzen. Das ist der Charakter vieler Organisationen in allen Erdteilen, die vorgeben, „trotzkistisch“ zu sein.

Das Sektierertum fürchtet die realen Kämpfe der Arbeiterklasse. Es rechtfertigt seine Passivität im Namen der „Wahrung der Prinzipien“. Das Sektierertum hält sich von den Massenorganisationen der Arbeiterinnen und Arbeiter fern und versteckt sich lieber in schein“revolutionären“ Strukturen. Kurzum, es hat nichts gemeinsam mit revolutionärem Marxismus, dafür aber alles mit Zentrismus. Trotz aller Wunschvorstellungen eingefleischter Sektierer sind Sektierertum und Opportunismus keine Gegenpole, sondern Produkte derselben politischen Methode: beide haben kein Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse, sich um das revolutionäre Programm zu mobilisieren. Der Opportunist trachtet danach, das Programm zu verwässern, der Sektierer scheut vor entschlossener Intervention in die Klasse auf Grundlage dieses Programms zurück. Die Wesensgleichheit der beiden Methoden zeigt sich in dem sektiererischen Schwenk der zentristischen Komintern von 1928 bis 1933 und dem Ultralinkstum des Vereinigten Sekretariats von 1967 bis 1974.

Der Kampf gegen den Zentrismus aller Schattierungen ist ein entscheidendes Merkmal beim Aufbau jeder revolutionären Internationale gewesen. Marx und Engels kämpften gegen die Anarchisten; Lenin und Luxemburg führten den Kampf gegen die zentristische Führung der sozialistischen Internationale. Die Komintern gewann die linkszentristischen Syndikalisten in Frankreich und die deutsche USPD und spaltete den linken Flügel von der italienischen PSI ab. Im Kampf für die Bildung der IV. Internationale richtete Trotzki seine Polemik gegen die zentristischen Kräfte, die von der Komintern (z.B. Bordiga, Treint, Souvarine) oder von der Sozialdemokratie (z.B. die unabhängige Labour Party, ILP in Britannien und Pivert in Frankreich) herkamen. Gleichzeitig schlug er Aktionseinheiten mit den Zentristen und Zentristinnen wo immer möglich vor. So stehen auch wir zu den heutigen zentristischen Kräften.

Der Übergang vom Zentrismus zu revolutionärer Politik bedeutet nicht nur eine Entwicklung, sondern auch einen markanten Bruch. Es ist kein allmählicher oder unvermeidlicher Prozeß. Die große Mehrheit der zentristischen Organisationen ist nicht revolutionär geworden. Entweder haben sie sich aufgelöst (wie die ILP und die POUM in den 30er Jahren) oder sie sind zum Reformismus verkommen (die MIRs in Lateinamerika). Wo zentristische Parteien zu beträchtlichen Massenformationen geworden sind, können sie nicht lange das Gleichgewicht zwischen Reform und Revolution halten. Die PUM in Peru und die Democrazia Proletaria in Italien weisen immer stärker ausgesprochen reformistische Flügel auf.

Formen des instabilen Zentrismus sind auch während der letzten 40 Jahre unter dem Einfluß des Maoismus und der kubanischen Revolution besonders in den Halbkolonien entstanden. Obwohl die chinesische Kulturrevolution (1964-69) in Wirklichkeit ein bürokratischer Fraktionskampf war, hat das radikale Getön des maoistischen Flügels Sympathie bei Gegnern des Moskauer Stalinismus und bei antiimperialistischen Kräften geweckt. Maoistische Gruppen in der BRD, in Italien und einer Reihe von Halbkolonien gründeten sich auf radikalisierte, meist jugendliche Kräfte, und viele von ihnen durchliefen kurz eine Periode zentristischer Entwicklung. Die reaktionäre Realität des Maoismus, die sich im Massaker an proletarischen Kräften in Wuhan und Guandong während der Kulturrevolution und der Wiederannäherung an Nixon und Pinochet ausdrückte, brachte im Zusammenhang mit dem Aufschwung der europäischen Sozialdemokratie Anfang der 70er Jahre das Ende dieses Abschnitts. In den halbkolonialen Ländern Lateinamerikas degenerierten die MIR-Gruppen, die unter dem Einfluß von Guevarismus und kubanischer Revolution entstanden waren, rasch zu sozialdemokratischen, kleinbürgerlich- nationalistischen oder gar ausgesprochen bürgerlichen Parteien. Zentristische Tendenzen eines anderen Ursprungs haben sich angesichts der Krise des Stalinismus in den degenerierten Arbeiterstaaten entwickelt. Sie vereinigen revolutionäre Feindschaft zum Regime mit oft sozialdemokratisch beeinflußtem programmatischen Wirrwarr.

Die derzeitige Hauptform des Zentrismus auf internationaler Ebene hat ihre Wurzeln im Verfall der IV. Internationale. Organisationen dieses Ursprungs haben Teilkritik an Sozialdemokratie, Stalinismus oder den degenerierten Bruchstücken der IV. Internationale geübt. Viele haben versucht, eine revolutionäre Kontinuität wiederherzustellen, aber alle uns bekannten Versuche sind gescheitert. Keine dieser Gruppen war in der Lage, ein revolutionäres Programm für die Massen konsequent auszuarbeiten, und konnte es weder in Alltagskämpfen noch in größeren revolutionären Situationen der letzten 40 Jahre umsetzen. Im allgemeinen waren ihre Fehler entsprechend ihrer fehlenden Verankerung in der Arbeiterklasse für den Ausgang von Kämpfen des Weltproletariats von geringer unmittelbarer Konsequenz. Nichtsdestotrotz haben sich trotzkistisch nennende Zentristen bedeutsame Rollen beim Fehlschlag der Revolution von 1952 in Bolivien und beim Ausverkauf einer Massenbewegung in Sri Lanka 1964 und in Peru 1978 bis 1980 gespielt.

Korrumpiert durch opportunistische Anpassung haben diese Organisationen die Fehler der zentristischen IV. Internationale wiederholt, indem sie an den „revolutionären Prozeß“ geglaubt haben und der einen oder anderen „linken“ Tendenz im Reformismus oder im kleinbürgerlichen Nationalismus in der Hoffnung nachgelaufen sind, daß sie sich als neues Instrument für die ins Stocken geratene „Weltrevolution“ erweisen würden.

Dies trifft für die systematische Anpassung des Vereinigten Sekretariats zu. Sie halten Nikaragua für einen gesunden Arbeiterstaat und kämpfen nicht für den Sturz des bürokratischen Castro-Regimes auf Kuba. Dies gilt auch für die von Moreno gegründete Internationale Arbeiter Liga, die sich zunächst an den Peronismus und dann an den Stalinismus in ihrem Ursprungsland Argentinien anpaßte. Nicht minder auffällig ist die Politik des Nachtrabens hinter kleinbürgerlichen Nationalisten und Reformisten, wie sie die von der lambertistischen Strömung gegründete IV. Internationale (internationales Zentrum für den Wiederaufbau) betreibt. Sie jubelte die algerischen Nationalisten als „Bolschewiken“ hoch und schlägt den Aufbau einer „Arbeiterinternationale“ auf einem reformistischen Programm vor, das sich auf bürgerlich demokratische Forderungen konzentriert. Die internationale Tendenz um die britische „Militant“-Gruppe, die ihre Ursprünge in der IV. Internationale verheimlicht, strebt nach der Umwandlung der sozialdemokratischen Parteien. Die Gruppierungen um die britische Socialist Workers Party und die französische Organisation Lutte Ouvriere passen sich an den spontanen Arbeiterkampf an und machen keinen praktischen Gebrauch vom Übergangsprogramm. Daß diese Organisationen in verschiedener Form seit 40 Jahren weiterbestehen, ist ein Beweis für ihre Isolation von der internationalen Arbeiterklasse, jedoch nicht für die Stärke oder Gültigkeit ihrer Politik.

Die Kräfte für eine neue Internationale werden viele der besten Klassenkämpferinnen und -kämpfer einschließen, die gegenwärtig in den zentristischen Organisationen gefangen sind. Die Sektionen unserer eigenen internationalen Organisation haben alle ihren Ursprung in Brüchen mit dem Zentrismus. Spaltungen, Fusionen und Umgruppierungen werden sich als notwendig erweisen, und für die LRKI ist es besonders wichtig, sich in Polemik und gemeinsamer Aktion mit jenen Zentristen zu engagieren, die sich fälschlicherweise als Trotzkisten bezeichnen. Zu diesem Zweck beginnen wir mit Trotzkis Devise „Zuerst das Programm!“

Baut die LRKI, baut eine revolutionär- kommunistische Internationale auf!

Der Imperialismus ist ein gewaltiger Feind. Er verfügt über reiche Reserven, die er nutzt, um die reformistischen Führer des Proletariats zu korrumpieren und gefügig zu machen; er unterhält einen riesigen Staatsapparat, mit dem er Arbeiterinnen und Arbeiter überall auf der Welt unterdrückt und tötet. Aber er kann den Klassenkampf, der unaufhörlich auf Grund der grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus ausbricht, nicht unterbinden. Jeder Zyklus der Expansion und Prosperität bringt Vertrauen für den Kampf. In jeder Krise spornt es die ausgebeuteten zu weiteren Angriffen auf die Herrscher der Welt an.

Gleich, ob die Gelegenheit früher oder später kommt, alle Agenten des Kapitalismus in den Abgrund zu stürzen – die Weltarbeiterklasse braucht eine internationale revolutionäre Partei. Die LRKI schickt sich an, eine solche Weltpartei der kommunistischen Revolution aufzubauen. Wir haben mit der Erarbeitung einer Reihe von revolutionären Positionen zu wichtigen internationalen Kämpfen und mit der Neuerarbeitung des internationalen revolutionären Programms begonnen. Diese Aufgabe ist seit beinah 50 Jahren überfällig, aber mit unserem Herangehen stellen wir unser Programm auf Politik und Methoden des unverfälschten Trotzkismus, des revolutionären Marxismus. Unser Ziel ist der Aufbau einer neuen Weltpartei der kommunistischen Revolution, einer wiederbegründeten leninistisch-trotzkistischen Internationale.

Ist die LRKI weit von diesem Ziel entfernt? Sind ihre Kräfte zu gering angesichts einer Herausforderung dieser Größenordnung? Es stimmt zwar, daß unsere Kräfte schwach sind, weit schwächer noch als Trotzkis IV. Internationale bei der Gründung 1938. Wir haben bislang nur eine Handvoll Kader in nur wenigen Ländern. Aber wir haben keine Veranlassung, uns davon entmutigen oder von der Inangriffnahme des Kampfes abschrecken zu lassen. Trotz einer langen Periode imperialistischer Stabilität zur Jahrhundertmitte bleibt die imperialistische Epoche eine Epoche von Kriegen und Revolutionen. Doch die Ereignisse vollziehen sich nicht in einem gleichmäßigen Tempo, ebensowenig wie Parteien einfach durch allmähliche Kaderakkumulation aufgebaut werden. Es kommen Perioden von Krieg und Revolution, wo die Aufgaben von Jahren oder Jahrzehnten in Wochen oder Monaten vollendet werden können. Aber damit das Proletariat solche Perioden nützen kann, müssen wir ein Programm haben, auf dem wir aufbauen können, und Kader, die zur Führung fähig sind. Deshalb gilt es, keine Zeit zu verlieren. Wir müssen die Fundamente jetzt legen. Wir appellieren an alle Kämpferinnen und Kämpfer, die sich auf die revolutionären Traditionen des internationalen Proletariats berufen und die sich von den zentristischen Schwankungen abgestoßen fühlen; wir appellieren an alle kämpferischen Arbeiterinnen und Arbeiter, die gegen den Verrat des Reformismus, des kleinbürgerlichen Nationalismus und der Gewerkschaftsbürokratie revoltieren:

Schließt euch uns an!




Wahlen in der Türkei: Mücadeleye devam – Wir kämpfen weiter

Dilara Lorin, Neue Internationale 274, Juni 2023

In den letzten Monaten, vor allem, aber in den letzten Wochen war das Land politisiert und die Spannungen innerhalb der Bevölkerung wurden immer größer. Dies hat verschiedene Ursachen. Das verheerende Erbeben vom 6. Februar, welches mehr als 50 000 Menschen das Leben kostete, aber auch die Korruption und Vetternwirtschaft der Regierung aufzeigte; die Inflationsrate, die Oktober 2022 ganze 80 % erreichtet; die immer prekärer werdende Lage der Arbeiter:innenklasse, auch eine zumeist tief rassistisch geführte Debatte über die Lage und Rolle von Millionen Flüchtlingen und der Kurd:innen.

Dennoch konnte Erdogan die Präsidentschaftswahlen im zweiten Wahlgang für sich entscheiden. Zweifellos kam ihm dabei das Monopol über die staatlichen Medien wie das Fernsehen, die Kontrolle des Staatsapparates, Repression und Entschücherung der Opposition, vor allem der kurdischen HDP, die vom Verbot bedroht sind und von der hunderte Mitglieder in den Gefängnissen sitzen zugute. Aber sein Gegenkandidat, der kemalistische türkische Nationalist Kılıçdaroğlu versprach selbst eine reaktionäre, kapitalistische und rassistische Politik, die keine Alternative zu Erdogan dargestellt hätte.

Zwei Lager, aber zwei reaktionäre Lager

Zweifellos hat die Wahl die Menschen in zwei Lager gespalten, die einen, die Erdogan weiterhin unterstützen, die anderen, die sich für Kılıçdaroğlu aussprachen, weil sie diesen als Alternative zum bonapartistischen Regime Erdoğan ansahen. Dass dies jedoch eine Wahl zwischen Pest und Cholera war und Kılıçdaroğlu keine Alternative für die Arbeiter:innen, Kurd:innen, Geflüchteten und weitere Unterdrückte darstellen kann, wurde in den letzen zwei Wochen immer deutlicher.

Im ersten Wahlgang war neben den beiden Kandidaten trat noch ein dritter angetreten: Sinan Oğan, ein Rechter, der wegen nationalistischen und rassistischen, wegen sexistischen und frauenfeindlichen Äußerungen bekannt wurde, erhielt 5 %. In der Stichwahl versuchte er sich als „Königsmacher“ zu inszenieren. Jedenfalls buhlten beide Kandidaten um seine Stimmen. Auch deshalb waren die vergangen zwei Wochen geprägt von rassistischen Äußerungen und vor allem Kılıçdaroğlu fokussierte seine Wahlpropaganda darauf, innerhalb von 2 Jahren bis zu 2 Millionen Geflüchtete zu deportieren. Zugleich verlor er kaum ein Wort zur Inflation und die kapitalistische Wirtschaftspolitik Erdogans. Vielmehr würden die Geflüchteten Arbeitsplätze „klauen“ und nur deshalb ginge es der Arbeiter:innenklasse so schlecht.

Die rassistischen Äußerungen Kemal Kılıçdaroğlu erinnern an NPD und AfD. Dass dabei Erdogan keine bessere Position vertritt, ist klar. Er benutzt die Geflüchteten als Spielball gegenüber der EU. Große Teile des Geldes, welches im Zuge des reaktionären Flüchtlingsdeals in die Türkei gelangt, erreichen gar nicht erst die Lager und die Betroffenen und letztlich verfolgt auch Erdogan das Ziel, viele wieder zurückzuschicken. Jedoch behauptet er, dies erst zu tun, wenn die dafür notwendigen Bedingungen geschaffen sein würden würden. Dass bedeutet, dass Assad als Diktator wieder anerkannt wird und auch die Beziehungen nach Syrien wieder normalisiert werden – und das auf den Rücken nicht nur der Geflüchteten, sondern vor allem der Kurd:innen in Rojava. 

Parlamentswahlen

Gewonnen hat in den Parlamentswahlen letztlich wieder die AKP, welche  bei den Wahlen zur 600 Abgeordnete umfassenden großen Nationalversammlung 35,61% für sich gewinnen konnte. Dabei hat die AKP aber im Vergleich zu den Wahlen 2018 6,95% der Stimmen eingebüßt. Diese Zahlen verdeutlichen auch, dass die AKP nicht mehr jene Zustimmung in der Bevölkerung erhält wie es früher einmal der Fall war. Auch ihre Basis bröckelt, viele Anhänger:innen stehen nicht mehr hinter der Partei. Nichtsdestotrotz kann sie mit dem Wahlbündnis „Volksallianz“, mit welchen sie auch zur Wahl angetreten ist, insgesamt 49,47 % erhalten. Die AKP tritt dabei im Bündnis mit der faschistischen MHP an. Von den 318 Sitzen der Volksallianz hält die MHP immerhin 50 Sitzen.

Die CHP, welche von vielen als die Alternative zur AKP angesehen wird, kam in den Parlamentswahlen auf 25,33 % und trat ebenfalls in einem Wahlbündnis mit 5 weiteren Parteien auf, dem „Bündnis der Nation“. Dabei koaliert unter anderem mit der IYI Partei, welche islamisch, konservativ und rechts einzuordnen ist. Das „Bündnis der Nation“, das in den Medien auch „Sechsertisch“ genannt wird, kommt auf insgesamt 213 Sitze.

Dass dieses Wahlbündnis kein Interesse daran hat, wirklich demokratische Zustände in der Türkei wieder durchzusetzen, eine Verbesserung für die Arbeiter:innenklasse herbeizuführen oder für die Rechte von den unterdrückten Minderheiten einzutreten, zeigt schon der bürgerliche Charakter der CHP, deren historische Verrat an der Arbeiter:innenklasse, aber auch die Position zu den Kurd:innen  und Geflüchteten ist extrem reaktionär. 

Ergebnis von HDP und YSP

Die links-kleinbürgerliche HDP, welche für die Rechte von Frauen, LGBTI, Kurd:innen und Geflüchteten kämpft, fuhr das schlechteste Ergebnis bei den Parlamentswahlen seit ihrer Gründung ein. Sie trat aufgrund aufgrund der möglichen Illegalisierung unter dem Namen der Yeşil Sol Partei (YSP) an. Die YSP kam lediglich auf 8,82 %. Somit büßt die HPD 2,68% der Stimmen im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2018 ein. Mit dem Wahlbündnis „Arbeit und Freiheit“ traten im Rahmen der YSP 5 weiteren kleinere linke Parteien zu den Wahlen an, da runter die bekannteste, neu gegründete TİP (Arbeiterpartei der Türkei), welche 1,73 % mit ihren eigenen Listen erlangte, denn im Wahlbündnis selbst konnten alle Parteien auch mit ihren eigenen Namen und Listen antreten.

Dass die YSP in diesem Wahlgang an Stimmen verloren hat, zeugt auch von ihren taktischen Fehlern, welche sie schon vor der Wahl entschieden: kein gemeinsames Auftreten einer/s eigenen Präsidentschaftskandidat:in und damit die offene oder indirekte Unterstützung des CHP Kandidaten Kılıçdaroğlu und der fälschliche Glaube, man müsse sich nur auf einige Sitze im Parlament, sowie Bürgermeister und andere Posten fokussieren. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass der Wahlkampf des Bündnis für Arbeit und Freiheit unter massiver Repression stattfand, darunter der Inhaftierung sowie Einschüchterung von vielen Aktivist:innen und Wahlhelfer:innen.

Und die Kurd:innen?

Diese haben in dieser Wahl komplett verloren. Dadurch dass es keinen Präsidentschaftskandidaten von der YSP gab, konnten sie ihren Forderungen kaum öffentliches Gewicht und kein Gehör verschaffen. Dabei ist für die CHP ohnedies klar: Kurd:innen sollen allenfalls als Stimmvieh fungieren, ansonsten setzt man auf Nationalismus und Chauvinismus. So positionierte sich die CHP 2015 gegen Friedensverhandlungen und kritisierte Erdogan und die AKP von rechts. Sie unterstützte viele Angriffe der Türkei auf Rojava.

Dadurch dass die YSP und etliche revolutionäre und kommunistische Gruppen dazu aufriefen, den Präsidentschaftskandidaten der CHP zu unterstützen, verschwand die Masse der kurdischen Stimmen in denen der reaktionären, nationalistischen und bürgerlichen Masse der CHP. Die Politik des kleineren Übels ist jedoch nicht aufgegangen: Erdoğan gewinnt die Wahl am 28.5. und beginnt seine dritte Amtszeit als Präsident. Die stärkte das nationalistische Bewusstsein der AKP-Unterstützer:innen, welches sich jetzt nochmal bestätigt fühlen. Und schon in seiner ersten Ansprache als neuer Präsident hetzt Erdogan gegen den inhaftierten HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und spricht vom Großtürkischen Reich, welches er in dieser Amtsperiode weiter forcieren möchte.

In seine ersten Ansprach nach den Wahlen gibt sich Kılıçdaroğlu als „wahrer Demokrat“, hinter den vor allem Frauen und Jugendlichen zu stehen scheinen, um gleich in den nächsten Sätzen seine rassistische Haltung gegenüber den Geflüchteten noch einmal zu bekräftigen. So äußert er sich gleich am Anfang seiner Rede rassistisch und verkündet: „Als Millionen Geflüchtete kamen und ihr zum Volk zweiter Klasse wurdet, konnte ich nicht dazu schweigen“. Von den Kurd:innen war keine Rede mehr, es schien so, als seine sie vergessen, unwichtig oder nicht der Rede wert. Dabei waren es Städte vor allem die Städte aus der kurdischen Region, in denen oftmals mit einer überwältigenden Mehrheit Kılıçdaroğlu gewählt wurde. 

Kaybettik (Wir haben verloren)  oder Mücadeleye devam (Wir kämpfen weiter)?

Während viele am 28. Mai mit Türkei-Fahnen, den Wolfs- oder Rabiagrüßen den Sieg Erdoğans feierten, war ein anderer Teil der Bevölkerung niedergeschlagen. Es wurde seitens liberaler und bürgerlicher Kräfte, aber auch großer Teil der Linken für einen möglichen Sieg der „Demokratie“ unter Kılıçdaroğlu geworben. Für eine gewisse Zeit hinterließ diese bei vielen den Eindruck, dass „bessere Zeiten“ bevorstände: Erdoğan und die AKP hätten ausgesorgt, sie würden gehen. An ihre Stellt würden besser Zeiten mit mehr demokratischer Mitbestimmung, mehr Rechten für das Parlament, einer stärkeren Wirtschaft folgen.

Auch wenn es vollkommen nachvollziehbar ist, dass man sich nach besseren Zeiten sehnt, man das autoritäre Regime satt hat, so war die CHP nie eine Alternative. Denn eine bürgerlich, nationalistische Partei, welche weiterhin im Sinne der Kapitalist:innenklasse agiert, hat nicht das Interesse daran, wirkliche Verbesserungen durchzusetzen. Und alleine die weltweite wirtschaftliche Lage und tiefe ökonomische Krise in der Türkei (Inflation, Verfall der Währung) hätten gar nicht erst die Möglichkeit unter Kılıçdaroğlu geben, Reformen durchzuführen. Vielmehr hätte auch seine Regierung die Arbeiter:innenklasse massiv angegriffen, um die Profitwirtschaft wieder flott zu machen.

Wir dürfen daher auch jetzt nicht dem Modus des Verlorenen – kaybettik – verfallen, sondern unser Motto muss lauten: „Mücadelemis devam etmeli“ – Unser Kampf muss weiter gehen! Denn was notwendig gewesen wäre, und was weiterhin notwendig ist, ist die stark politisierte Lage in der Türkei zu nutzen, um die Arbeiter:innen und Unterdrückten jetzt für ihre Interessen zu mobilisieren, für den Abbau einer Massenbewegung gegen die Krise, gegen den Rassismus, gegen das Regime. Die Wahlbeteiligung lag zwar bei über 80%, aber kaum eine Organisation hat einen dritten Weg der Organisierung und Mobilisierung aufgezeigt, obwohl es die Situation dies erfordert.

Es ist notwendig, dass die türkische Linke jetzt in einer Einheitsfront tritt, in welcher sie alle kämpferischen und fortschrittlichen Teile der Gesellschaft vereint, und versucht, die Gewerkschaften, die linken Parteien, die Kurd:innen, die Umwelt- und Frauenbewegung gemeinsam zu mobilisieren. Wir brauchen Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen und einer gleitenden Skala Löhne, nach Enteignung der Großunternehmen und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle. Nur so kann die Inflation und die damit einhergehende Wirtschaftskrise bekämpft werden.

Dafür müssen die Gewerkschaften in der Türkei anfangen ihre Mitgliedschaft und ihren Organisationsgrad auszuweiten, Aktionskomitees in Betrieben und Stadtteilen aufzubauen, um so zu Massenorganen der Arbeiter:innen zu werden. Revolutionär:innen müssen für ein  Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse eintreten, das die Rechte und Forderungen aller unterdrücken Minderheiten, allen voran der Kurd:innen und Araber:innen und aller Geflüchteten vertritt! Eine solche Einheitsfront muss sich auf Massenversammlungen und Aktionskomitees in den Betrieben und Stadtteilen stützen sowie auf Selbstverteidigungseinheit gegen die Repression.

Es ist eine große Aufgabe, aber das Regime kann nicht durch einen weiteren nationalistischen und bürgerlichen Kandidaten gestürzt werden, sondern nur von der Arbeiter:innenklasse und den Unterdrückten selbst – und dazu ist der Aufbau einer neuen, revolutionären Arbeiter:innenpartei nötig, die unabhängig von allen Flügeln der herrschenden Klasse agiert.




Widerstand: Aber wie?

Leonie Schmidt / Katharina Wagner, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 11, März 2023

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen. Seien es zum einen die Auswirkungen der Coronapandemie, Umweltzerstörung und zunehmender Klimawandel oder zum anderen der derzeit stattfindende Ukrainekrieg mit einhergehender Inflation und Energiekrise. Ursache von alle dem: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen. Zusätzlich kommen rechtskonservative Kräfte  in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hatte bereits für einen starken Rollback gegen Frauen gesorgt und die Coronapandemie diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind. Hinzu kommen nun noch der seit Februar 2022 geführte Ukrainekrieg und die damit einhergehende Energiekrise, was zusammen genommen zu weltweiter Inflation und enormen Preissteigerungen geführt hat.

Auch diesmal leisten Frauen weltweit massiven Widerstand dagegen. So zum Beispiel im Iran, wo sie seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa (kurdischer Name Jina) Amini nach ihrer Verhaftung durch die „Sittenpolizei“ im September 2022 weiterhin ihren Protest unter dem Motto „Jin, Jiyan, Azadi“ (kurdisch für „Frauen, Leben, Freiheit“) gegen das religiöse, unterdrückerische Regime und die herrschende Diktatur auf die Straße tragen. Und das trotz enormer Repression, zahlreicher Verhaftungen, Folter und bereits vollstreckter Todesurteile. Mittlerweile konnten sie eine breite gesellschaftliche Unterstützung quer durch alle Altersgruppen und Geschlechter für ihren Kampf erreichen und damit enormen Druck auf das Regime ausüben.

Anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen am 25. November gingen ebenfalls weltweit Frauen auf die Straße, um gegen ihre Unterdrückung zu kämpfen. Eine weiterer großer Aktionstag unter dem Slogan „One Billion Rising“ fand am Valentinstag statt, an dem sich weltweit rund 1 Milliarde Frauen an dem Flashmob beteiligten, um gegen Gewalt an Frauen und für Gleichberechtigung einzutreten.

Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen der letzten Sommer stattfindenden Verschärfungen des Abtreibungsrechts in den USA oder anlässlich des Austritts der Türkei aus der Istanbuler Konvention zum Schutz von Frauen im Juli 2021  – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

Des Weiteren spielen Frauen auch im Kampf gegen den derzeitigen Ukrainekrieg eine zentrale Rolle. So organisieren sie in Russland beispielsweise innerhalb der Bewegung „feministischer Widerstand gegen den Krieg“ (Feminist Anti-War Resistance; FAR) vielfältige Proteste gegen Putins Angriffskrieg in der Ukraine.

Was all diese feministischen Proteste eint, ist, dass sie meist (spontan) um aktuelle  Vorfälle entstehen und spezifische Forderungen aufstellen. Sie werden allerdings meist nicht mit anderen bestehenden Bewegungen wie z. B. der Klimabewegung oder Kämpfen gegen Preissteigerungen und Inflation koordiniert. Daher bleiben sie häufig national isoliert und stark hinter ihren Mobilisierungsmöglichkeiten zurück.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter:innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Carearbeit etc. Diese ist  wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus und wird vornehmlich von Frauen ausgeführt. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter:innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und diese in einer solchen Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des liberalen, radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer:innen oder Akademiker:innen (Bildungsbürger:innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter:innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter:innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär:innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zu dem des Mannes.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner:innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär:innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und der politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist diese Forderung für Marxist:innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype – beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Dies kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße Cisfrau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrückten in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt. Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden. So bspw. mit der Organisierung von Streiks im öffentlichen Dienst, der Umweltbewegung oder der Bewegung gegen Rassismus. Beispielsweise könnte auch der gemeinsame Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen oder den Ukrainekrieg relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionären Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist:innen oder kleinbürgerlichen Feminist:innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär:innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in aktuellen feministischen Bewegungen und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen.  Wir müssen uns auch in aktuelle Tarifauseinandersetzungen beispielsweise im öffentlichen Dienst einschalten. Auch die Unterstützung von Klimaaktivist:innen oder Aktionen zum Kampf gegen Inflation und Preissteigerungen sind eine wichtige Aufgabe von Revolutionärinnen. Zudem müssen wir unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen ansprechen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter:inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Auf in ein revolutionäres Kampfjahr 2023!

Neujahrserklärung der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1208, 1. Januar 2023

2022 wurde die Welt von einer Reihe miteinander verbundener Krisen heimgesucht. Da waren die Kriege in der Ukraine, in Tigray, im Jemen und in Myanmar sowie ein „Kalter Krieg“, den die Nato begonnen hatte. Hinzu kommen wirtschaftliche Verwerfungen und eine galoppierende Inflation, das eskalierende Ausmaß von Klimakatastrophen und eine immer noch andauernde Pandemie. Das Jahr war auch geprägt von einer großen Zahl von Flüchtlingen aufgrund dieser Katastrophen und den Maßnahmen der reichsten Staaten zur Abriegelung ihrer Grenzen und Küsten.

Krise der kapitalistischen Globalisierung

Hinter all diesen Ereignissen steht die Krise der kapitalistischen Globalisierung und die sich verschärfende Rivalität zwischen den imperialistischen Lagern USA-EU und China-Russland. Das Ergebnis wird nicht nur von den objektiven wirtschaftlichen Entwicklungen abhängen, sondern vor allem von den politischen Konflikten, die sie hervorrufen, d. h. von den Kämpfen um die Kontrolle und die Nutzung der Produktionskapazitäten der Gesellschaft. Die grundlegendste dieser Auseinandersetzungen ist der Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit, aber sie umfassen auch Konflikte zwischen und innerhalb der großen kapitalistischen Mächte.

Am intensivsten und bedrohlichsten ist der Krieg, der durch den Einmarsch und die versuchte Besetzung der Ukraine durch Russland ausgelöst wurde, der am 24. Februar begann und dessen unmittelbares Ende noch immer nicht abzusehen ist. Die massiven Waffenlieferungen an die Ukraine und die beispiellosen Wirtschaftssanktionen der G7 haben zu einem nationalen Verteidigungskampf hinzugefügt, dass die NATO versucht, Putins Großmachtambitionen zu vereiteln, wobei die USA und das Vereinigte Königreich von Großbritannien hoffen, in diesem Rahmen auch die eigenständigen Bestrebungen der EU zu blockieren.

Putins Blockade der Schwarzmeerhäfen und die westlichen Sanktionen haben einen starken Druck auf die Öl- und Gaspreise sowie auf die Versorgung mit Getreide und Düngemitteln erzeugt. Die Folgen sind wachsender Hunger und sinkende Reallöhne. Die Reaktion der Arbeiter:innenschaft und der armen Menschen in den Städten und auf dem Land steht erst am Anfang, ist aber unvermeidlich: Die Frage ist, ob der Kampf siegreich sein kann.

Diese neuen zwischenimperialistischen Konflikte kommen zu denen hinzu, die durch ihre frühere Politik verursacht wurden. Die Abstimmung der UN-Vollversammlung, die israelische Besetzung palästinensischer Gebiete vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen, und zwar genau an dem Tag, an dem Netanjahus äußerst rechte und rassistische Regierung ihr Amt antrat, ist vielleicht das beste Beispiel dafür.

Vor einer globalen Rezession

Wir stehen am Beginn einer weiteren globalen Rezession, die mindestens so schwerwiegend ist wie die der großen Finanzkrise von 2008, aber dieses Mal mit China als Hauptleidtragendem und nicht als Lokomotive des Aufschwungs. Anders als damals ist eine koordinierte Strategie der führenden imperialistischen Mächte als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise praktisch ausgeschlossen.

Dies verschärft nicht nur die zyklische Wirtschaftskrise in einzelnen Staaten, sondern auch die zwischenimperialistischen Antagonismen, die Tendenzen zur „Deglobalisierung“, die Fragmentierung des Weltmarktes, die Blockbildung und die Abwälzung der Krisenkosten auf die halbkoloniale Welt. Der Krieg um die Ukraine und die gegenseitigen Sanktionen, die beide Seiten massiv treffen, wirken krisenverschärfend, ebenso wie die Krise die gegenseitige Konkurrenz und die Kriegsgefahr erhöht.

All dies treibt die Eskalation anderer grundlegender Probleme der Menschheit voran, darunter der Klimawandel, das Artensterben, die Zerstörung der Ozeane und Pandemien, die ohne ein wirksames globales Gesundheitssystem endemisch werden können. Die zunehmende Häufigkeit extremer Wetterereignisse, die von Klimawissenschaftler:innen seit langem vorhergesagt wird, war im vergangenen Jahr weltweit zu beobachten: Dürren, Waldbrände und Ernteausfälle in der Sahelzone und am Horn von Afrika, Überschwemmungen in Pakistan, Wirbelstürme und noch nie dagewesene Winterstürme in den USA, Trockenheit in Europa.

Die Pandemie, die Millionen von Menschenleben gefordert hat, die drohende Hungersnot und die Vertreibung von einer Milliarde Klimaflüchtlingen in den nächsten 30 Jahren sind Ausdruck dieser Entwicklung. Die Kombination aus Wirtschaftskrise und dem zwischenimperialistischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt wird die Krise des Verhältnisses zwischen Mensch und Umwelt erheblich verschärfen.

Die Krise wird zwangsläufig von Angriffen auf die Arbeiter;innenklasse, die Bauern- und Bäuerinnenschaft sowie die unteren Schichten des Kleinbürger:innentums begleitet. Heute steht die Inflation im Mittelpunkt der Angriffe auf die Einkommen und Lebensbedingungen der Massen. Mit der Entwicklung der Krise könnte es jedoch zu einer Deflation kommen, die mit Massenentlassungen, Betriebsschließungen, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung einhergeht, wie es bereits in großen Teilen der Halbkolonien der Fall ist.

Die imperialistische Bourgeoisie konnte sich durch eine Politik des billigen Geldes („Quantitative Easing“) von der großen Rezession und der globalen Krise von 2008 – 2010 „erholen“. Dadurch wurde die Vernichtung von Überschusskapital in den imperialistischen Zentren begrenzt und vor allem das Finanzkapital gerettet. Die der Krise zugrundeliegenden Ursachen – sinkende Profitraten und Überakkumulation des Kapitals – erforderten jedoch eine solche Vernichtung, und ohne sie wurden sie auf einem höheren Niveau in einem Aufschwung reproduziert, der durch die Expansion des fiktiven Kapitals stark unterstützt wurde.

Schon vor 2020 zeichnete sich eine neue Krise ab. Ihre Entwicklung wurde jedoch von der Coronapandemie überholt, die dazu diente, einen gewaltigen Einbruch der Weltproduktion zu synchronisieren – wenn auch unter anderen Umständen als 2008. Die Struktur der Weltwirtschaft hatte sich weiter verschoben und die globale Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten zugespitzt. Das Ausmaß der Pandemie, die 2020 alle Länder mit voller Wucht traf, führte zu einem weitaus stärkeren Produktionseinbruch als 2008 – 2010, von dem sich die Weltwirtschaft bis heute nicht erholt hat.

Schließlich ist die Fähigkeit, der Krise mit denselben Mitteln wie nach 2010 entgegenzuwirken, stark eingeschränkt (für die Halbkolonien lange vor 2020). Die inneren Widersprüche der kapitalistischen Weltordnung, die wirtschaftlichen, politischen und ökologischen, haben sich so sehr verschärft, dass sie sich gegenseitig verstärken und die Instabilität und Konflikte schaffen, mit denen die Menschheit jetzt konfrontiert ist.

Kampf

Die sich entfaltende Weltkrise markiert den Beginn eines neuen Kapitels im Klassenkampf, in dem sich die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten weltweit in einer schwierigeren Lage befinden als nach der Krise 2008 – 2010. Nach der großen Rezession befand sich die Bourgeoisie ideologisch in der Defensive. Die Arabischen Revolutionen und die vorrevolutionäre Eskalation in Griechenland haben das Potenzial für einen großen Aufschwung des Klassenkampfes aufgezeigt und die Arbeiter:innenklasse und die Massen weltweit mehrere Jahre lang inspiriert. Ihre Fortschritte verdeutlichten das spontane revolutionäre Potenzial der Arbeiter:innenklasse – aber auch seine Grenzen.

Die schließlichen Niederlagen dieser Bewegungen, die auf die tiefe Krise der Führung des Proletariats zurückzuführen sind, hatten auch nachhaltige globale Auswirkungen auf die Moral, die Kampfbereitschaft und das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse. Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses hatte reaktionäre Folgen: die Zersetzung der traditionellen Arbeiter:innenorganisationen und der Aufstieg des Rechtspopulismus, einschließlich faschistischer und halbfaschistischer Kräfte, der sich als reaktionäre, aber gegen die „Elite“ gerichtete pseudoradikale Lösung präsentierte.

Selbst fortschrittliche Massenbewegungen wie der Frauenstreik, Ni Una Menos oder Black Lives Matter und der kämpferische Flügel der Arbeiter:innenklasse selbst sind sehr stark von kleinbürgerlichen und neoreformistischen Ideen (Identitätspolitik, Individualismus, Linkspopulismus, Transformationsstrategie) beeinflusst. Der Populismus wird in Frankreich von Jean Luc Mélenchon und La France Insoumise, in Spanien von Podemos und anderen vertreten. Sein Narrativ „das Volk gegen die Elite oder die Kaste“ und seine Beschränkung auf demokratische und reformistisch-utopische Forderungen können nur dazu führen, dass die Klassenidentität und die Unabhängigkeit geschwächt werden und zu Niederlagen beitragen, was wiederum der Rechten in die Hände spielt.

Kräfteverhältnis

Diese globale Verschiebung des politischen und ideologischen Kräfteverhältnisses drückt sich auch in einer Schwäche der subjektiv revolutionären (zentristischen) Linken auf dem Globus und in ihrer Anpassung an solche Ideologien aus. Die endgültige Zersplitterung der Neuen Antikapitalistischen Partei in Frankreich markiert das Ende einer 2009 eröffneten Möglichkeit, in den Wellen des Kampfes, die Frankreich regelmäßig erschütterten, eine Kaderpartei aufzubauen, die ein Programm für die Arbeiter:innenmacht entwickeln könnte.

Zweifellos haben die Kämpfe der letzten Jahre wichtige Gelegenheiten für die Wiedergeburt einer militanten Bewegung der Arbeiter:innenklasse und der sozial Unterdrückten geschaffen und werden dies auch weiterhin tun. Dazu gehörten große aufstandsähnliche Revolten wie in Sri Lanka, die mutigen Proteste gegen die Unterdrückung der Frauen durch die iranische Klerikaldiktatur, die Massenproteste in China gegen Xi Jinpings harte Abriegelung der Städte im Gefolge des Covidlockdowns, die seinen raschen Rückzug erzwangen, und die sich entwickelnde Streikwelle in Großbritannien.

In einigen Ländern könnten reformistische Arbeiter:innenparteien wie die PT in Brasilien trotz ihrer verräterischen Politik erneut die Hoffnungen und Illusionen der Arbeiter:innenklasse auf sich lenken. Solche Hoffnungen werden bald enttäuscht werden, aber wenn die Massen sich dem Verrat „ihrer“ Regierungen widersetzen und dabei kämpferische Organisationen aufbauen, kann dies eine Lösung der Führungskrise einleiten, einleiten, aber nicht vollenden.

Revolutionäre Intervention erforderlich

Dies erfordert eine gezielte revolutionäre Intervention auf der Grundlage eines klaren, globalen Programms, dessen zentrales Thema die Notwendigkeit ist, unabhängige Arbeiter:innenparteien mit einem kämpferischen antikapitalistischen Programm aufzubauen. Im Widerstand gegen die Inflation und die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften der Klasse können Aktionsräte, Organisationen der Arbeiter:innenkontrolle nicht nur diese unmittelbaren Fragen aufgreifen, sondern auch zum Mittel werden, um den Kapitalismus zu stürzen und die Grundlage für Arbeiter:innenstaaten zu bilden.

Parteien, die sich auf ein solches Programm stützen, müssen es in Form von nationalen oder sektionsspezifischen Aktionsprogrammen konkretisieren und ständig aktualisieren. Sie müssen auch wissen, wie sie prinzipielle Taktiken beim Parteiaufbau anwenden können, z. B. Umgruppierung, Eintritt oder Bildung einer Arbeiter:innenpartei, die national und international die Sache einer neuen Fünften Internationale voranbringen kann.

Wir, die Liga für die Fünfte Internationale, laden die Kräfte, die diese Herausforderungen und die Notwendigkeit, ein gemeinsames Programm für eine Organisation von Revolutionär:innen zu entwickeln, um sie in die Mitte des Klassenkampfes zu bringen, erkennen, dazu ein, gemeinsam mit uns nationale und internationale Foren einzuberufen, um dies im Jahr 2023 zu diskutieren.




Erklärung des Kongresses der Liga für die 5. Internationale 2022

Internationales Sekretariat der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1207, 17. Dezember 2022

Die Welt steht vor einer Krise, die noch schwerwiegender ist als die Große Rezession von 2008 – 2010. Der Ukrainekrieg hat eine neue Phase eingeleitet, in der Wirtschaftskriege, zahlreiche durch den Klimawandel verursachte Katastrophen, ein sich beschleunigendes Wettrüsten und die Auswirkungen der Pandemie die Weltwirtschaft massiv erschüttern. Hunger, Arbeitslosigkeit und massenhafte Flüchtlingsströme, die vor Krieg und Armut fliehen, bringen die Ressourcen der Staaten, der Vereinten Nationen und der Nichtregierungsorganisationen an ihre Grenzen.

Krise, Krieg, Ursachen

Von Wirtschaftswissenschaftler:innen und Politiker:innen sind bereits die Stimmen für Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen zu hören. Die Inflation senkt die Löhne und Gehälter, aber auch die notwendigen Ausgaben für das Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen, ganz zu schweigen von den Zusagen der Weltgipfel zur Bekämpfung des Klimawandels.

Der Krieg, den der russische Imperialismus im Februar 2022 gegen die Ukraine begonnen hat, die Reaktion der NATO und der G7-Imperialist:innen, Waffenlieferungen in noch nie dagewesenem Umfang und weitreichende Wirtschaftssanktionen haben zusammen die weltweite Versorgung mit Nahrungsmitteln und Treibstoffen destabilisiert und bedrohen Millionen Menschen mit dem Zusammenbruch ihres ohnehin schon geringen Lebensstandards.

Die Ukraine, die im Jahr 2020 das niedrigste Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in Europa aufwies, wird nach Angaben der Weltbank voraussichtlich einen Rückgang ihrer Wirtschaft um 35 Prozent erleben. 14 Millionen Menschen sind aus ihren Häusern vertrieben worden, 7,6 Millionen aus dem Land geflohen.

Es wird Jahre dauern, bis die zerstörten Wohngebäude, Fabriken, Krankenhäuser, Verkehrsverbindungen, Kraftwerke und das Stromnetz wieder aufgebaut sind. Obwohl der Krieg unmittelbar vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und seinem diktatorischen Regime zu verantworten ist, um ihren Großmachtstatus zu behaupten, versuchen die NATO-Mächte seit langem, die Ukraine in ihre Einflusssphäre zu ziehen, indem sie sie mit einem EU- und NATO-Beitritt locken. Die Ukraine ist das Opfer dieser zwischenimperialistischen Rivalität.

Da die Ukraine einen Großteil der weltweiten Weizen-, Mais- und Gersteproduktion und einen noch größeren Teil der weltweiten Düngemittelversorgung abdeckt, haben der Krieg und die Unterbrechung der Lieferungen aus Russland sowie der Öl- und Gasversorgung der weltweiten Inflation einen enormen Auftrieb verliehen. Die Ukraine ist auch eine wichtige Weizenquelle für das Welternährungsprogramm, das 115,5 Millionen Menschen in mehr als 120 Ländern mit Nahrungsmitteln versorgt, wodurch in Teilen Afrikas, die bereits von der durch den Klimawandel bedingten Dürre betroffen sind, eine Hungersnot verursacht zu werden droht.

Hunger war schon oft der Auslöser für Revolten und Revolutionen. Lebensmittelunruhen haben zu Streikwellen und dem Zusammenbruch von Regierungen geführt, wie in Sri Lanka und Haiti.

Der Krieg und die weltweiten Sanktionen lenken auch Ressourcen ab, die für die Bewältigung der wachsenden Klimakrise benötigt werden, die sich am deutlichsten in den katastrophalen Überschwemmungen in Pakistan, in Dürren und Hungersnöten in ganz Afrika und in zunehmend störenden Wetterereignissen in Europa, Asien, Australien und Nordamerika äußert. Hinzu kommt der enorme Druck, den die immer noch nicht erloschene Covid-Pandemie auf die Gesundheitsdienste und die Volkswirtschaften ausübt, einschließlich China, dessen jährliches Bruttoinlandsproduktwachstum Prognosen zufolge 2022 auf 3,2 Prozent fallen wird.

Die tiefen Wurzeln der heutigen, miteinander verknüpften Krisen sind in den Grundgesetzen der kapitalistischen Wirtschaft zu finden. Die Fabriken, ihre qualifizierten Arbeitskräfte, die neuen und alten Produktions-, Logistik- und Kommunikationsmittel sind in Hülle und Fülle vorhanden, ebenso wie die wissenschaftlichen und technologischen Mittel zur Bekämpfung von Pandemien und Klimawandel. Die Instrumente für die globale Planung, die zu ihrer Bekämpfung erforderlich sind, stünden ebenfalls zur Verfügung, und zwar in den multinationalen Konzernen und den riesigen Banken, aber sie sind durch Privateigentum und eine erbitterte Konkurrenz voneinander getrennt. Dieser Widerspruch hat sich während der Pandemie gezeigt: einerseits die rasche Entwicklung von Impfstoffen, andererseits deren ungleiche Verteilung an die Bevölkerungen unseres Planeten. Im Herbst 2022 haben 31 Prozent der Bevölkerung noch keine einzige Impfung erhalten.

Die grundlegende Ursache für die Krise des Systems liegt in der massiven Überakkumulation von Kapital und sinkenden Profitraten in allen imperialistischen Zentren der Weltwirtschaft. Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Profite aus der Produktion in gleichem oder höherem Maße zu realisieren als in der Boomphase der Globalisierung, könnte er seine Krise nur durch eine massive Vernichtung dieses überschüssigen Kapitals lösen. Alle großen imperialistischen Akteur:innen, die USA, China, die europäischen Mächte und Japan, haben jedoch eine solche Vernichtung vermieden, indem sie ihr Kapital und dessen Position auf dem Weltmarkt verteidigt haben. Dies führt nicht nur zu Protektionismus und einer Zersplitterung des Weltmarktes, sondern wirft auch die Frage auf, wessen Kapital vernichtet werden soll, welche untrennbar mit dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt verbunden ist.

Der Kapitalismus hat sich zu einem globalen System des Umweltimperialismus entwickelt. Die Ausbeutung der halbkolonialen Länder wird systematisch und ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen verschärft, um die Profite in den imperialistischen Zentren zu steigern.

Klimawandel und Umweltzerstörung können nur eingedämmt und umgekehrt werden, wenn die Kontrolle über die Produktion aus den Händen der großen Kapitalformationen genommen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. Die vielen „Umweltbewegungen“, die entstanden sind, müssen über den Protest hinausgehen, über den Versuch, kapitalistische Regierungen zu überzeugen oder gar zu zwingen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Diese Regierungen werden niemals das Kapital in dem Umfang enteignen, der notwendig wäre, um die rasante Entwicklung hin zur Klimakatastrophe umzukehren. Das ist eine Aufgabe, die das Handeln der Arbeiter:innenklasse aller Länder erfordert, die Übernahme der politischen Macht durch die Arbeiter:innenmassen.

Zwischenimperialistische Rivalität

Die Liga für die Fünfte Internationale hat davor gewarnt, dass eine neue Periode der Rivalität zwischen den alten imperialistischen Mächten und den Neuankömmlingen auf der Bühne, die nun ihren Platz an der Sonne beanspruchen, in einen offenen Konflikt münden könnte. Die Ära der wohlwollenden Synergie zwischen den USA und China, die die 1990er und frühen 2000er Jahre kennzeichnete und den Anspruch Washingtons untermauerte, eine neue Weltordnung geschaffen zu haben, ist längst vorbei. Jetzt erleben wir nicht nur einen Verdrängungswettbewerb, sondern auch Handelskriege, einen kalten Krieg und stellvertretende „heiße“ Kriege.

Darüber hinaus droht jedoch ein Krieg zwischen den Großmächten, wobei die „Pulverfässer“ in Osteuropa, im Nahen und Fernen Osten liegen. Neue Bündnisse werden ins Leben gerufen (AUKUS) und alte aufgewertet (NATO, die Quad; Quadrilateraler Sicherheitsdialog zwischen den USA, Australien, Indien und Japan). Riesige Waffenlieferungen an die Ukraine haben das offene Ziel, Putin zu demütigen und stürzen, während die Demonstration der Seemacht in den Meeren um China dessen Staatschef Xi Jinping davor warnt, sich Taiwan gewaltsam einzuverleiben.

Die Machthaber:innen in Washington, Berlin, Paris und London, aber auch in Peking und Moskau, spielen mit dem Feuer. Die Rolle der USA als Polizistin einer „Weltordnung“ verkehrt sich in ihr Gegenteil, in die einer Brandstifterin.

Der US- und der russische Präsident, Biden und Putin, die beide beweisen wollen, dass ihre Staaten wieder „Großmächte“ sind, haben kein Recht, sich zu beschweren, wenn sie von „starken Männern“ in Delhi, Ankara, Brasilia, Jerusalem oder Riad nachgeahmt werden. Der Nahe Osten ist seit langem ein Pulverfass, im Irak, in Syrien, im Jemen. Kriege haben sich bis zum Horn von Afrika ausgebreitet, wo 2022 in Tigray (Nordäthiopien) ein brutaler Krieg wütet. Saudi-Arabien führt einen mörderischen Krieg im Jemen, Israel einen Dauerkrieg gegen die Palästinenser:innen und die Türkei hat freie Hand, die kurdische Region Rojava zu bombardieren oder gar eine Invasion und Besetzung vorzubereiten. In Russlands vermeintlicher Einflusssphäre sind im Kaukasus Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um Bergkarabach und in Zentralasien zwischen Kirgisistan und Tadschikistan ausgebrochen.

Die despotischen Herrscher:innen dieser Gebiete versuchen, den inneren Druck durch Kriege und ethnische Säuberungen zu lösen, wie sie Jugoslawien in den 1990er Jahren zerrissen haben. Potenzielle „Friedensstörer:innen“ tauchen auch in Europa auf, mit rechtsgerichteten Parteien an der Macht in Ungarn, Polen und möglicherweise in Schweden, Italien oder Spanien. Auch weltweit wird die Liste immer länger.

Ein großer Erfolg der extremen Rechten ist die Eroberung der Republikanischen Partei durch Donald Trump und ihre Umwandlung in eine rechtspopulistische Partei. Schon jetzt setzt sein Oberster Gerichtshof eine reaktionäre Agenda gegen Frauen um (Aufhebung des Urteils Roe gegen Wade) und wird über kurz oder lang Farbige ihrer hart erkämpften Bürger:innenrechte berauben.

Hinter diesen autoritären Führer:innen wuchsen im letzten Jahrzehnt reaktionäre, oft rassistische Massenbewegungen, die sich gegen Minderheiten richten und sich unter den Bedingungen einer tiefen und lang anhaltenden sozialen Krise zu ausgewachsenen faschistischen Bewegungen entwickeln können.

Amerikas strategischer Rivale ist, trotz des Konflikts mit Russland über die Ukraine, China. Sein wirtschaftlicher Aufstieg und sein Auftauchen als neue imperialistische Macht im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends führten unweigerlich dazu, dass es die „einseitige“ globale Hegemonie der Vereinigten Staaten in Frage stellte und unter Xi Jinping offen Anspruch auf seine eigene Einflusssphäre erhob. Dies brachte ihm die Sympathie von Staaten ein, die unter der Hegmonie der USA durch den Internationalen Währungsfonds und andere Instrumente ihrer finanziellen Vorherrschaft gelitten hatten, ganz zu schweigen von Sanktionen und Blockaden.

Um die Errichtung einer chinesischen Vorherrschaft über die pazifischen Staaten zu verhindern, die an die Stelle der von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Hegemonie tritt, versuchen die USA und ihre britischen, kanadischen, australischen und neuseeländischen Verbündeten, eine NATO für den Pazifik zu schaffen, indem sie unter den südostasiatischen Staaten Verbündete suchen, die sie ihren japanischen, südkoreanischen und taiwanesischen „geschützten“ Verbündeten hinzufügen. Der „Ozean des Friedens“ könnte in den nächsten zehn Jahren durchaus zu einem Kriegsschauplatz ausarten.

Im Inland ist Xis raue Behandlung von Teilen der Bourgeoisie (wie Jack Ma, dem Gründer des Technologieriesen Alibaba) ein Zeichen dafür, dass Teile der Großbourgeoisie gegen seine restriktive Innenpolitik resistent werden. Auf globaler Ebene hat seine aggressivere Haltung eine Gegenreaktion aus den USA und Europa hervorgerufen, die deren Ambitionen ebenfalls bremst. So tut sich ein großer Widerspruch auf zwischen der durch die KP China gestellten Staatsbürokratie, die im staatskapitalistischen Sektor sowie in der Volksbefreiungsarmee noch immer über große wirtschaftliche Macht verfügt, und der von Milliardär:innen geführten Klasse des Privatkapitals. Dieser Widerspruch kann sich zu einem offenen Konflikt ausweiten, der eine Komponente einer revolutionären Situation darstellt – eine herrschende Klasse, die nicht mehr auf die alte Art und Weise regieren kann. Auch im Bankensystem gibt es Anzeichen für Unzufriedenheit.

Wenn die arbeitenden Massen nicht bereit sind, in der alten Weise weiterzumachen, wenn das System nicht in der Lage ist, den verbesserten Lebensstandard der 1980er bis in die 2010er Jahre hinein weiter zu gewährleisten, könnte dies dazu führen, dass Chinas „großer Führer“ mit seinem eigenen „perfekten Sturm“ innerhalb des riesigen Landes konfrontiert wird. Das kapitalistische Wachstum der letzten Jahrzehnte bringt zwangsläufig kapitalistische Krisen hervor. Der Rückgang der Durchschnittsprofitrate und die Überakkumulation von Kapital treiben China auf eine Explosion zu. Hinzu kommen die wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Null-Covid-Politik, die weite Teile des Landes geschwächt hat, sowie die Krise des Finanzsektors und eine Spekulationsblase in dem so wichtigen Bausektor.

Seit einigen Jahren erschüttern Konflikte und Kämpfe die Arbeitsplätze und haben immer wieder zur Bildung kleinerer Netzwerke von Arbeiteraktivist:innen geführt. Die massiven und weit verbreiteten Proteste gegen Xis harte Null-Covid-Politik haben nur etwa einen Monat nach seiner Krönung auf dem Kongress der KP Chinas einen demütigenden Rückzieher erzwungen. Das Ausmaß der Proteste in Chinas Städten und die Anti-Xi- und Anti-KP-Slogans zeigen, dass die vermeintliche Allmacht des Überwachungsregimes in den kommenden Jahren erheblichen Erschütterungen ausgesetzt sein wird.

Dies kann den Raum für die Schaffung einer neuen revolutionären Arbeiter:innenbewegung, ja einer Partei schaffen, die ihren Hauptfeind im chinesischen Imperialismus erkennt und für eine sozialistische Revolution auf der Grundlage eines Programms der permanenten Revolution kämpft.

Der Widerstand und seine Führung

Die Große Rezession von 2008 löste im Nahen Osten eine Welle „demokratischer Revolutionen“ aus, bei denen Arbeiter:innenstreiks wie in Ägypten und Tunesien eine entscheidende Rolle beim Sturz der alten Diktatoren spielten. Da diese jedoch nicht „dauerhaft“ in dem Sinne wurden, dass die politische Führung der Arbeiter:innenklasse in Arbeiter:innenregierungen mündete, scheiterten sie selbst als demokratische Revolutionen, so dass islamistische oder militärische Kräfte an die Macht kommen konnten. Die lange US-geführte Besatzung Afghanistans endete mit einer Saigon-ähnlichen „panikartigen Flucht“ durch die westlichen Streitkräfte und diejenigen, die Vergeltung durch die siegreichen Taliban befürchteten. Die wahren Opfer waren die Frauen des Landes, die ihre Bürger:innenrechte und ihren Zugang zu Bildung erneut eingeschränkt oder abgeschafft sahen.

Die Lehre für alle fortschrittlichen Kräfte im so genannten globalen Süden lautet einmal mehr, ihr Vertrauen, ihre Menschenrechte und ihr Leben nicht in die Hände der „demokratischen Imperialismen“ zu legen. Ebenso ist es eine Illusion zu glauben, dass Xi Jinping und Wladimir Putin und ihre Nachahmer:innen an der Spitze der Regionalmächte den Antiimperialismus verkörpern. Die Investitionen in die Neue Seidenstraße („Road and Belt“; „Gürtel- und Wege“) des ersteren sowie die Söldner:innen der russischen Wagnergruppe zeigen, dass sie nicht an der Entwicklung der Souveränität derjenigen interessiert sind, denen sie helfen.

Dennoch hat es im letzten halben Jahrzehnt eine Wiederbelebung der Kämpfe der Arbeiter:innenklasse und der rassistisch und sexuell Unterdrückten gegeben. In den USA hat die „Back Lives Matter“-Bewegung mehrere Wellen erlebt, ausgelöst durch die Gräueltaten durch Mörder:innen in Polizeiuniform, insbesondere die Ermordung von George Floyd im Jahr 2020. Außerdem gab es die Bewegungen „#Me Too“ und „Ni Una Menos“ gegen Vergewaltigung und sexuelle Belästigung.

Das inspirierendste Beispiel für den Widerstand der Frauen sind die monatelangen Massenproteste im Iran, die auf die Ermordung der 22-jährigen Jina Mahsa Amini durch die berüchtigte Sittenpolizei folgten, die die Kleiderordnung durchsetzt. Das Durchschnittsalter der Demonstrant:innen lag bei sechzehn Jahren. Als sich die Proteste ausbreiteten, rissen sich junge Frauen ihre Schleier vom Leib und riefen „Jin, Jiyan, Azadi“ (Frau, Leben, Freiheit!) und „Tod dem Diktator!“ Trotz brutaler Unterdrückung und Hunderten von Toten, wobei die Basidsch-Schläger:innen der Polizei (paramilitärische Milizen) scharfe Munition einsetzten, hielt die Bewegung im Oktober, November und Dezember an. Um die Massen zu beschwichtigen, kündigte Generalstaatsanwalt Montazeri an, die Sittenpolizei abzuschaffen und das Gesetz über das obligatorische Tragen des Hidschab zu überprüfen. Über die staatlichen Medien dementierte das Innenministerium diese Ankündigung, was auf Uneinigkeit innerhalb des Regimes hindeutet.

Wie die Demonstrationen in China gegen die Covid-Lockdownregeln, die das Regime dazu veranlasst haben, diese zu lockern, zeigt dies, dass selbst die totalitärsten Regierungen durch Massenproteste der Bevölkerung erschüttert werden können. Um diese Regime zu stürzen, bedarf es jedoch einer anhaltenden Massenaktion der Arbeiter:innen, d. h. eines Generalstreiks, des Überlaufens der Mannschaftsränge der Repressionskräfte in Verbindung mit der Bildung einer alternativen Staatsmacht, von Machtorganen der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten.

In Indien traten am 2. September 2016 schätzungsweise 150 bis 180 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in einen 24-stündigen landesweiten Generalstreik. An einem weiteren Streik am 26. November 2020, der von zehn Gewerkschaften organisiert wurde, beteiligten sich 250 Millionen Arbeiter:innen.

Seit etwa einem Jahr gibt es auch in den alten imperialistischen Kernländern, in Europa und Nordamerika, wieder Anzeichen für eine Wiederbelebung des Widerstands im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie Proteste gegen gewerkschafts- und streikfeindliche Gesetze, wie sie in diesem Jahr in Ontario, Kanada, drohten. Insbesondere in den Vereinigten Staaten gab es eine Welle von Streiks in Fabriken, Schulen und in der Logistik sowie gewerkschaftliche Kampagnen in den neuen Onlinedienstleistungsunternehmen wie Amazon und der so genannten Gig Economy (kurze, befristete Auftragsvergabe).

Lehrer:innenstreiks sind zu einem wichtigen Merkmal der US-Arbeitswelt geworden. 2018 und 2019 gab es Mobilisierungswellen, mit denen höhere Gehälter oder andere Verbesserungen für Lehrkräfte in Arizona, Colorado, Kentucky, North Carolina, Oklahoma und West Virginia erreicht wurden. Dann kam der berühmte Bildungspersonalstreik in Chicago im März 2022.

Im Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland hat der Inflationsanstieg, der im Jahr 2022 so richtig losging, zu einer Reihe von Streiks bei Bahn und Post geführt. Die Gewerkschaften des Gesundheitswesens drohen mit dem ersten landesweiten Ausstand des Krankenpflege- und Ambulanzpersonals seit den 1980er Jahren. Auch in Frankreich kündigen eine Reihe von Protesten der französischen Gewerkschaften gegen die Lebenshaltungskosten und die laufenden Aktionen der Eisenbahner:innen eine verstärkte Reaktion auf die Inflation und den Versuch der Bosse und Regierungen an, die Arbeiter:innenklasse und Armen den Preis für die zunehmende Krise des Systems zahlen zu lassen.

Im August und September desselben Jahres zwangen Massenaktionen, die von den argentinischen Gewerkschaften der CGT und linken politischen Parteien organisiert wurden, Regierung und Arbeit„geber“:innen, Löhne und Arbeitslosenunterstützung zu erhöhen, nachdem die Preise um 70 Prozent pro Jahr und allein im Juli um 7,4 Prozent gestiegen waren und ein Währungsverfall die Löhne weiter abgewertet hatte.

In all diesen Auseinandersetzungen kam es nach einem jahrzehntelangen Abschwung der Arbeitskämpfe zu einem Wiederaufleben der Militanz der Arbeiter:innenschaft. Nach den Niederlagen, Enttäuschungen und dem Verrat durch neue oder erneuerte sozialdemokratische oder linkspopulistische Parteien wie Syriza, Podemos, Jeremy Corbyns Labour und DIE LINKE stimuliert eine bevorstehende schwere Wirtschaftskrise einen gewerkschaftlichen Kampf auf der ganzen Welt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Rolle, die eine wirklich klassenkämpferische Gewerkschaftsbewegung spielen kann.

Die Frage ist, ob sie zu einer entscheidenden Kraft werden kann, um die Masse der Arbeiter:innen zu klassenkämpferischer Politik, zu neuen Arbeiter:innenparteien zu bewegen, wie es die Power Loom Workers‘ Union in Faisalabad in Pakistan versucht. Politische Projekte, die Idee, laute und stolze Klassenparteien zu gründen, unabhängig von allen bürgerlichen Kräften, bewaffnet mit einem revolutionären Programm, können zu einer mächtigen Ergänzung der Effektivität auf der gesamten Kampffront der Arbeiter:innen und der Kämpfe der national, rassisch und geschlechtlich Unterdrückten werden.

Aus diesem Grund ist es die Aufgabe der revolutionären Avantgarde, sowohl in den Gewerkschaften als auch in den revolutionären Organisationen, die Idee der Gründung unabhängiger Arbeiter:innenparteien voranzutreiben. Dazu gehört auch die Abspaltung der Gewerkschaften von Bündnissen mit bürgerlichen Parteien, wie z. B. zwischen der Demokratischen Partei und den AFL-CIO/Change to Win-Verbänden in den USA oder in Argentinien die Notwendigkeit, die CGT und andere Gewerkschaften aus ihrer langen Unterordnung unter die peronistische Partei zu lösen.

An allen Fronten des Kampfes werden wir jedoch immer wieder durch die Unzulänglichkeiten und den Verrat der alten Führungen in den Gewerkschaften und Parteien und sogar der „spontanen“ Bewegungen gebremst. Sozialdemokratie, Labourismus, Stalinismus, aber auch die neuen Linkspopulist:innen und Anarchist:innen führen die Kämpfe weiterhin in die Niederlage. Wir müssen für eine klare revolutionäre Strategie und Organisation streiten, für Parteien und klassenkämpferische Gewerkschaften und, in Zeiten verschärfter wirtschaftlicher oder politischer Kämpfe, für in den Betrieben und Gemeinden gewählte Delegiertenräte. Auch in diesen Gremien ist eine revolutionäre Partei für den Sieg unerlässlich.

Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse, kämpferische Aktion und Basisdemokratie sind in der kommenden Periode unverzichtbar. Sie können der Entwicklung von revolutionären Parteien auf internationaler Ebene und einer Fünften Internationale enorm helfen.

Nein zum imperialistischen Krieg!

Der Krieg in der Ukraine ist der dramatischste Ausdruck des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Revolutionär:innen verurteilen den reaktionären Angriff und die Invasion des Landes durch den russischen Imperialismus. Wir unterstützen die Verteidigung des Landes gegen eine Machtübernahme durch Putins Kräfte, das ursprüngliche Ziel, das er erklärt hat, indem er das Recht des Landes auf unabhängige Staatlichkeit und sogar seine nationale Existenz ablehnte, sowie gegen das weniger wichtige Ziel der Teilung des Landes. Aber die imperialistischen Freund:innen der Ukraine liefern keine beispiellosen Mengen an Waffen sowie Zuschüsse und Kredite für solch elementare demokratische Ziele. Während Putin die Ukraine oder einen Teil davon in eine russische Kolonie verwandeln will, versuchen Biden und die europäischen Staats- und Regierungschefs und -chefinnen, sie in eine Halbkolonie des Westens zu verwandeln, in eine Vorhut der NATO. Putin will EU und NATO schwächen und spalten, während Biden und Co. die Russische Föderation als Großmacht lahmlegen und ihre Rolle als Spielverderberin für ihre Pläne in Ländern wie Syrien oder Afrikas südlich der Sahara beenden wollen.

In der Ukraine findet nicht nur ein nationaler Verteidigungskrieg gegen den Imperialismus statt, sondern das Land steht auch im Mittelpunkt des aktuellen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Obwohl die NATO nicht offiziell in den Krieg verwickelt ist, ist der zwischenimperialistische Konflikt zwischen Russland und den westlichen Mächten ein entscheidender Faktor in diesem Krieg, wobei die westlichen Imperialist:innen Wirtschaftssanktionen von historischem Ausmaß gegen Russland verhängen und die Ukraine bewaffnen und ausbilden, damit sie als ihre Stellvertreterin agiert.

Deshalb müssen sich Revolutionär:innen gegen die Kriegsziele der NATO, ihre Sanktionen, ihre Aufrüstungsbemühungen und ihre Ausdehnung auf bisher offiziell neutrale Staaten wie Schweden und Finnland wenden. Auch wenn wir den Kampf der Ukrainer:innen gegen die russische Invasion unterstützen, bedeutet dies keineswegs, dass wir die prowestliche Selenskyj-Regierung oder ihr Bestreben, der NATO beizutreten bzw. ihre Wirtschaft der EU unterzuordnen, unterstützen, ebenso wenig wie ihren Kampf, ihr Regime auf der Krim, in Luhansk oder Donezk durchzusetzen, die nicht demokratisch den Wunsch geäußert haben, Teil der Ukraine (oder Russlands) zu sein. Die Menschen in diesen Regionen müssen das Recht auf Selbstbestimmung haben, ohne dass russische oder westukrainische Besatzer:innen sie zwingen oder die Ergebnisse von Referenden oder Wahlen verfälschen.

Ebenso müssen wir uns der Politik der Konfrontation des westlichen imperialistischen Blocks mit dem russischen und chinesischen Imperialismus widersetzen, die unter der falschen Flagge von Demokratie gegen Autokratie geführt wird. Dieser Beginn eines neuen Kalten Krieges wird die Menschheit immer näher an einen Dritten Weltkrieg heranführen, der leicht ihr letzter sein könnte. Die gleichen Prinzipien würden gelten, wenn China in Taiwan einmarschieren würde. Sowohl Xi Jinping als auch die Kräfte im US-Kongress bewegen sich in diese Richtung. Es ist von entscheidender Bedeutung zu verfechten, dass die Arbeiter:innenbewegungen und antiimperialistischen Kräfte auf der ganzen Welt sich nicht dem einen oder anderen imperialistischen Lager anschließen. Vielmehr müssen wir die Verbindung zu den Arbeiter:innen Russlands und Chinas sowie zu den Arbeiter:innen und Streiter:innen für Demokratie in den vielen Diktaturen suchen, die mit dem westlichen Lager verbündet sind.

Gegen Inflation, Hunger und Armut!

Schon jetzt hat die globale Rezession, die durch die Pandemie synchronisiert wurde, in den Jahren 2020 und 2021 zu einer massiven Verarmung der Arbeiter:innenklasse und der Armen geführt, insbesondere in der halbkolonialen Welt. Schon vor dem Krieg in der Ukraine litten 800 Millionen Menschen an Hunger, Millionen sind vom Hungertod bedroht.

Und es wird noch mehr kommen. Die Inflation, die im globalen Süden nie „verschwunden“ war, ist in den imperialistischen Kernländern zurück. Die nächste globale Rezession steht bereits vor der Tür.

Milliarden von Arbeiter:innen, Bauern und Bäuerinnen sowie Armen auf dem Land und in der Stadt wurden auf schmale Rationen gesetzt. In den Halbkolonien genossen die meisten von ihnen während der Pandemie kaum Gesundheitsschutz oder staatliche Unterstützung und waren gezwungen, unter unsicheren und äußerst prekären Bedingungen zu arbeiten oder zu hungern. Auch in den imperialistischen Ländern mussten die Massen trotz Kurzarbeiter:innengeld oder anderer staatlicher Schutzmaßnahmen erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen. Gleichzeitig wurden die Großkonzerne und andere Sektoren des Kapitals während der Pandemie und jetzt des Krieges und der Sanktionen mit Milliardenbeträgen entschädigt.

Während die westlichen Regierungen Unterstützung für die Hungernden versprechen, zwingen sie den halbkolonialen Ländern, die bereits mit Hyperinflation, Währungskrisen und einer immer größeren Schuldenlast zu kämpfen haben, drastische neoliberale Bedingungen auf.

Wir brauchen eine globale Bewegung der Arbeiter:innenklasse und der Armen, um für ein Notprogramm für Millionen von Menschen zu kämpfen, um Einkommen, Lebensmittel, Wohnraum, Strom und Gesundheitsversorgung für alle zu garantieren. Wir setzen uns für die Aufhebung der vom Internationalen Währungsfonds oder von den alten und neuen imperialistischen Mächten auferlegten Schulden und Sparprogramme ein.

Wir müssen die Kämpfe für Löhne, die die Preissteigerungen ausgleichen, unterstützen und verallgemeinern. Die Durchsetzung einer gleitende Skala der Löhne, Sozialleistungen und Renten wird entscheidend sein. Dies muss mit der Forderung nach Kontrolle der Preise und Löhne durch die Arbeiter:innenklasse verbunden sein.

In Ländern, in denen der Preisanstieg die Form einer Hyperinflation annimmt, die die Lohnerhöhungen fast täglich oder wöchentlich auffrisst, und in denen das Geld selbst so schnell an Wert verliert, dass es seine Funktion als Zahlungsmittel nicht mehr erfüllen kann, reicht der Kampf um Lohnanpassungen nicht aus. Notwendig sind nicht nur Preiskontrollausschüsse, sondern direkte Eingriffe der Arbeiter:innenschaft und Verbraucher:innen in die Verteilung der lebensnotwendigen Güter für die Bevölkerung.

Angesichts der globalen Krise, der Inflation und der Angriffe auf die Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen, mit denen wir in der kommenden Krise konfrontiert sein werden, dürfen wir es nicht versäumen, die grundlegende Ursache der Krise anzugehen: das in den Händen der Kapitalist:innen konzentrierte Privateigentum. Wenn wir die Arbeitslosigkeit, den sozialen Rückschritt, Mangel und Hunger bekämpfen, die Gesellschaft entsprechend den menschlichen Bedürfnissen umgestalten und gesellschaftlich nützliche Arbeit für alle schaffen wollen, müssen wir die Eigentümer:innen des Großkapitals, ihre Fabriken, großen Dienstleistungsunternehmen, Banken und Finanzhäuser entschädigungslos enteignen. Nur auf einer solchen Grundlage können wir die Mittel freisetzen, die für einen Notfallplan benötigt werden, um die Bedürfnisse der Millionen von Menschen zu befriedigen, die von Hunger und extremer Armut bedroht sind.

Kampf gegen Umweltkatastrophe und Umweltimperialismus

Die Verschlechterung und Zerstörung der Umwelt und natürlichen Ressourcen geht ungebremst weiter und wird immer bedrohlicher. Die Zunahme extremer Wetterereignisse, nie dagewesene zerstörerische und häufige Stürme, Überschwemmungen und Waldbrände, die Zunahme von Dürren, das Schmelzen der Eiskappen und Gletscher, das zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen und viele Regionen oder ganze Länder mit Überschwemmung bedrohen wird, all dies sind Anzeichen für den fortschreitenden Klimawandel auf der Erde.

Gleichzeitig erweisen sich die herrschenden Klassen aller Länder als völlig unfähig, auch nur die brennendsten und unmittelbarsten Fragen anzugehen, wie die Weltklimakonferenz COP27 einmal mehr bewiesen hat. Dies ist nicht überraschend. Die derzeitige Verschärfung der globalen Konkurrenz und der Kampf um die Neuaufteilung der Welt beschleunigen die Tendenz des Kapitalismus, die natürlichen Grundlagen des menschlichen Lebens zu zerstören. Die Ausbeutung in den halbkolonialen Ländern wird systematisch verschärft, ohne Rücksicht auf die ökologischen und sozialen Folgen, um die Profite in den imperialistischen Zentren zu steigern. Alle Merkmale des Umweltimperialismus als globales System stellen die Menschheit als Ganzes vor unaufschiebbare Aufgaben.

Die globalen Umweltbewegungen, die in den letzten Jahren entstanden sind, haben immer wieder den Zynismus und die Heuchelei der führenden Politiker:innen der Welt entlarvt. Millionen folgten den Aufrufen zu weltweiten Klimastreiks und -märschen, bei denen mutige Aktivist:innen durch radikale direkte Aktionen einen Wandel erzwingen wollten.

Revolutionär:innen müssen sich mit diesen Bewegungen solidarisieren, aber gleichzeitig die reformistischen, kleinbürgerlichen und anarchistischen Ideen, die sie prägen, in Frage stellen. Proteste, wie militant oder störend sie auch sein mögen, werden unsere Herrscher:innen nicht davon überzeugen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, wenn sie ihre Profite oder ihre Vorherrschaft über ihre Länder bedrohen oder sie gegen wirtschaftliche oder militärische Konkurrenz schwächen. Wir müssen die Jugend für eine Antwort der Arbeiter:innenklasse auf die Umweltkrise, für Arbeiter:innenmacht und eine Planwirtschaft gewinnen. Die Jugend muss die Selbstgefälligkeit und Passivität der bürokratischen Führungen der Gewerkschaften und reformistischen Parteien sowie die Unterordnung der notwendigen Maßnahmen zur Lösung der Umweltfrage unter die Interessen des Kapitals in Frage stellen.

Klimawandel und Umweltschäden können nur eingedämmt und rückgängig gemacht werden, wenn die Kontrolle über die Produktion den großen Kapitalformationen entzogen wird, die die Menschheit an den Rand der Katastrophe gebracht haben. Es müssen demokratische Kontrollgremien aus Beschäftigten, Verbraucher:innen, Betroffenen von Großprojekten, um ihre Zukunft kämpfenden Jugendlichen usw. gebildet und ermächtigt werden, über Vorhaben, Risikostufen, Grenzwerte, ökologische Maßnahmen usw. zu entscheiden. Das Kapital muss systematisch mit einer sozialen Kontrolle hinsichtlich der sozioökologischen Auswirkungen seines Handelns konfrontiert werden. Letztlich wird nur die sozialistische Revolution das System des Umweltimperialismus überwinden und eine geplante optimale Ressourcennutzung unter Kontrolle der Mehrheit weltweit ermöglichen.

Zusammenfassung

Die sich verschärfende Wirtschaftskrise, die Klimakatastrophe und die Gefahr eines globalen Krieges zeigen, dass der Kapitalismus ein sterbendes System ist. Die entscheidende Frage ist, ob er rechtzeitig durch eine revolutionäre Umwälzung überwunden wird oder die Menschheit den Weg in Barbarei und sozialen Rückschritt beschreitet.

Schon jetzt sind die Stimmen von Wirtschaftswissenschaftler:innen und Politiker:innen zu hören, die von Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen sprechen. Durch die Inflation werden nicht nur die Löhne gekürzt, sondern auch die notwendigen Ausgaben für Gesundheit, Sozialfürsorge und Bildung, ganz zu schweigen von den Zusagen der Weltgipfel zur Bekämpfung des Klimawandels.

Während Milliarden von Menschen in Armut leben, schwelgt eine winzige Minderheit in unvorstellbarem Luxus. Zwischen 2016 und 2021 ist die Zahl der Milliardär:innen von 1.810 auf 2.755 gestiegen. Die Investitionsentscheidungen dieser Finanziers und Industriellen können ganze Länder in die Knie zwingen. Gleich unter den Milliardär:innen leben Hunderttausende von Multimillionär:innen in schamlosem Saus und Braus auf unsere Kosten, während 852 Millionen Menschen hungern und täglich mehr als 1.000 Kinder an den Folgen des Hungers sterben.

In den entstehenden globalen Bewegungen der Unterdrückten wie auch in nationalen Aufständen müssen Revolutionär:innen stets die Notwendigkeit einer neuen Internationale betonen. Dabei treten wir von Anfang an für ein revolutionäres Programm ein, ohne dies jedoch zur Vorbedingung für echte Schritte zur Vereinigung und zum Widerstand gegen Krisen und Kriege im Hier und Jetzt zu machen.

Wir rufen alle, die gegen Krise, Krieg und Unterdrückung kämpfen, dazu auf, auf die Verabschiedung eines gemeinsamen Aktionsprogramms mit dringenden Sofort- und Übergangsforderungen hinzuarbeiten, das in Richtung einer sozialistischen Weltrevolution führt. Wir rufen alle sozialistischen, kommunistischen und trotzkistischen Strömungen, die mit dieser Perspektive übereinstimmen, dazu auf, gemeinsam ein internationales Programm für eine revolutionäre Antwort auf die bevorstehenden Angriffe zu erarbeiten und sich darauf zu vereinigen.

In einem Land nach dem anderen, das von der historischen Krise des Systems erschüttert wird, müssen wir uns organisieren, um den Kapitalismus in den Abgrund zu stürzen. Unsere Prinzipien sind Unabhängigkeit der Arbeiter:innenkasse, internationale Solidarität und Aktion, Antikapitalismus, Antiimperialismus, Antirassismus und Widerstand gegen alle Formen der sozialen Unterdrückung. Sie müssen in einer Weltpartei der sozialen Revolution verkörpert werden, die das gesamte Erbe der vorangegangenen vier Internationalen vereinigt.

Weltrevolution, und nichts weniger, das muss die Aufgabe einer Fünften Internationale sein!




Die internationale Krise erfordert einen internationalen Kampf dagegen

Jeremy Dewar, Infomail 1199, 24. September 2022

Die Welt befindet sich in einer dreifachen Krise, in der jeder Teil mit den anderen interagiert und diese verschärft. Die tödliche Kombination aus militärischem Konflikt, Klimakatastrophe und wirtschaftlichem Zusammenbruch droht, ganze Kontinente in den Abgrund zu stürzen.

Krieg

Der sechsmonatige Krieg in der Ukraine hat etwa 10.000 ukrainische , 25.000 bis 40.000 russische Soldat:innen und Zehntausende von Zivilist:innen getötet. In der Ukraine gibt es 12 Millionen Flüchtlinge und ebenso viele Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen. Der Einmarsch Russlands hat das Elend der Bevölkerung beider Länder vergrößert.

Die russische Blockade der ukrainischen Häfen verhinderte die Ausfuhr von Getreide, auf das der Nahe Osten und Nordafrika dringend angewiesen sind, und führte zu einem weltweiten Preisanstieg. Jetzt treibt die Abschaltung der Nord-Stream-Pipeline die Öl- und Gaspreise in ganz Europa in die Höhe und damit auch die Preise für alle Waren, für deren Herstellung oder Transport fossile Brennstoffe verwendet werden.

Doch bevor die westlichen Imperialist:innen schreien: „Sie setzen Gas als Waffe ein“, sollten sie sich daran erinnern, dass sie den Handel „bewaffnet“ haben, indem sie die härtesten Sanktionen der Geschichte gegen Russland verhängten. Damals brüsteten sie sich damit, die Bevölkerung des Landes in die Knie zu zwingen. Sie sollten sich auch daran erinnern, dass sie Putin einen imperialistischen „Vorwand“ lieferten, indem sie die Nato an seine Grenzen heranführten und die Ukraine für den Eintritt in die EU umwarben.

Überschwemmungen und Dürreperioden

Die anhaltende Dürre am Horn von Afrika verursacht eine der schlimmsten Hungersnöte seit Menschengedenken. Die Überschwemmungen in Pakistan hingegen zerstören die Häuser und Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen und hinterlassen Krankheiten und Obdachlosigkeit in ihrem Gefolge. Die Verschärfung der Flüchtlingskrise wird dazu führen, dass die reichsten Nationen der Welt den Schwächsten den Rücken zukehren.

Beides ist die direkte Folge des Klimawandels, wie wir in dieser Zeitung zeigen. Doch die Energiekrise in Europa veranlasst immer mehr Länder, darunter auch das eigene, neue Gasfelder zu erschließen, das Fracking auszuweiten und die Saudis zu bitten, mehr Öl zu pumpen. All dies wird die Welt aus dem Konzept bringen, selbst bis 2050, geschweige denn bis 2030, kohlenstoffneutral zu werden.

Missernten und sterbendes Vieh bedeuten einen tödlichen Ausfall für die betroffenen Familien, treiben aber auch die Lebensmittelpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe. Sogar in Europa werfen die Landwirt:innen ihre Erzeugnisse weg, die durch jahreszeitlich ungewöhnliche oder extreme Wetterbedingungen verdorben sind.

Armut

All diese Ereignisse tragen dazu bei, die Inflation anzuheizen, die die Krise der Lebenshaltungskosten verursacht. Aber so wie die anderen Krisen ihre spezifischen Hintergründe woanders haben, so hat auch diese Krise ihre Wurzeln.

Eine Ausweitung der Geldmenge – durch quantitative Lockerung, Ausgaben während der Pandemie und immer höhere Schuldenberge bei Staaten, Unternehmen und Privatpersonen – in Verbindung mit einem sinkenden Warenangebot, verursacht durch unterbrochene Lieferketten, Sanktionen und Handelskriege – und im Falle des Vereinigten Königreichs durch den Brexit – führt zu höheren Preisen.

Während die Inflation für das gesamte Jahr 2023 bei über 5 % und in Großbritannien und in der Eurozone deutlich höher prognostiziert wird, werden die Zentralbanken die Zinssätze weiter anheben. Dies wird zu Insolvenzen und Rezessionen führen, von denen sich die Kapitalist:innen erhoffen, dass sie die Arbeiter:innenklasse dazu bringen, Lohnkürzungen zu akzeptieren.

Die Stagflation – die Kombination aus hoher Inflation und niedrigem Wachstum, die zuletzt in den 1970er Jahren zu beobachten war –, wird noch einige Zeit andauern. Die zunehmende Rivalität zwischen den westlichen und östlichen imperialistischen Blöcken, der neue Kalte Krieg, werden eine baldige Erholung behindern.

Wir werden nicht zahlen

Wie wir an anderer Stelle in dieser Ausgabe sagen, bedeutet dies, dass Gewerkschafter:Innen ihre Gewohnheiten ablegen und kämpferische Aktions- und Organisationsformen annehmen müssen, die in ihrer Gesamtheit sagen, dass wir nicht für ihre Krise bezahlen werden. Vielmehr werden wir die Reichen zur Kasse bitten oder werden sie und ihre Politiker:innen von der Macht vertreiben.

Aber dies ist eine internationale Krise, und wir müssen Teil eines internationalen Kampfes gegen sie sein. Wir müssen Verbindungen zu unseren Gewerkschaftskolleg:innen in Europa, aber auch in Amerika aufbauen, wo eine Wiederbelebung der militanten Gewerkschaftsbewegung im Gange ist. Wir müssen auch denjenigen in Pakistan und in Afrika die Hand reichen, die unter realen, unmittelbaren Klimakatastrophen leiden, und die Anti-Flüchtlingshysterie der Milliardärsmedien und der Tory-Führung verurteilen.

Kurzum, wir brauchen eine bewusst internationale Arbeiter:innenbewegung – eine neue Fünfte Internationale der Arbeiter:innenklasse!