Nein zu einem Krieg zwischen Indien und Pakistan!

Revolutionary Socialist Movement, 3. März 2019, Infomail 1044, 5. März 2019

Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan erreichten Ende
Februar dieses Jahres einen dramatischen Höhepunkt.

Am 26. Februar ließ die indische Luftwaffe verlauten, sie
habe ein Trainingslager in Balakot in Pakistan angegriffen. Diese Luftschläge
waren die ersten auf Ziele jenseits der Kontrolllinie, die seit dem Krieg
zwischen den beiden Ländern im Jahr 1971 in die Wege geleitet wurden. Auf einer
Pressekonferenz erklärte der indische Außenminister Vijay Gokhale, dass bei den
Angriffen eine „große Anzahl“ von „militanten TerroristInnen“, darunter
KommandantInnen, getötet und zivile Opfer vermieden worden wären.

Pakistan widersprach dieser Darstellung. Der Generaldirektor
der „Inter Services Public-Relations (Presseagentur der Gesamtstreitkräfte)“
(ISPR) der militärischen Institutionen des Landes gab bekannt, dass „indische
Flugzeuge aus dem Sektor Muzaffarabad eingedrungen seien. Angesichts der
rechtzeitigen und wirksamen Reaktion der pakistanischen Luftwaffe haben sie auf
der Flucht in Eile Last abgeworfen, die in der Nähe von Balakot fiel. Keine
Verluste oder Schäden.“

Als Reaktion darauf schoss die pakistanische Luftwaffe zwei
indische Flugzeuge im pakistanischen Luftraum ab. Eines der Flugzeuge stürzte
in Asad Jammu und Kaschmir (teilautonomes pakistanisches Gebiet in der zwischen
Indien und Pakistan umstrittenen Region Kaschmir) ab,  das andere auf der indischen Seite von Kaschmir. Ein Pilot
wurde verhaftet.

Beide Seiten setzten ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft.
Eine weitere Eskalation zwischen den beiden atomar bewaffneten Regionalmächten
stellte eindeutig eine echte Bedrohung dar. Auch wenn die Regierungen und
herrschenden Klassen einen Krieg nicht gewollt oder gar vermieden haben
wollten, könnten das Aufkommen nationalistischer Rhetorik auf beiden Seiten,
die gegenseitige Androhung von Vergeltungsmaßnahmen und die inneren
Widersprüche, die beide Länder heimsuchen, zu einer weiteren Eskalation und
einer Ausbreitung des Krieges weit über Kaschmir hinaus geführt haben. Die
militärischen Auseinandersetzungen in der Grenzregion dauern an. Der Luftraum
über Pakistan und Nordindien wurde für einige Tage für zivile Flüge gesperrt.

Die zunehmenden Spannungen zwischen den beiden Ländern sind
selbst ein deutlicher Ausdruck der aktuellen internationalen Situation und des
Kampfes um eine Neuaufteilung der Welt. Vorerst wollen alle imperialistischen
AkteurInnen der Welt, die USA, China, die EU und Russland, eine weitere
Eskalation in dieser Region vermeiden, die eindeutig dramatische globale Folgen
hätte. Russland bot der indischen Regierung eine Vermittlung an. China und
Russland wollen natürlich aus wirtschaftlichen und geostrategischen Gründen
eine weitere Eskalation zwischen den beiden Staaten verhindern. Ebenso wollen
die USA und die europäischen Mächte verhindern, dass die Spannungen außer
Kontrolle geraten.

Diese Faktoren haben einen großen Einfluss auf die
politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte in Indien und Pakistan.
Aber wie der jüngste Konflikt gezeigt hat, sind sie bereit, mit dem Feuer zu
spielen. Nicht zuletzt deshalb, weil die inneren Widersprüche in beiden Ländern
den Nationalismus und damit die nationalistischen Bedrohungen zu einem fast
klassischen Mittel machen, um die Unterstützung der Bevölkerung zu sammeln und
die Aufmerksamkeit von der inneren sozialen, politischen und wirtschaftlichen
Krise und dem Widerstand abzulenken. So kann zwar die unmittelbare Gefahr eines
Krieges zwischen Indien und Pakistan für den Moment ausgeglichen werden, aber
die Ursachen der Krise werden sich keineswegs in Luft auflösen.

Die wahren Opfer – das kaschmirische Volk

Die wahren Opfer des historischen Konflikts zwischen
Pakistan und Indien und der zunehmenden Spannungen stellt eindeutig das
kaschmirische Volk.

Der indische Staat täuscht die Welt (und seine eigene
Bevölkerung), indem er die Wurzeln des Konflikts als eine zwischen einem
„demokratischen Staat“ und „TerroristInnen“ darstellt, als ob der
Selbstmordanschlag islamistischer Kräfte am 14. Februar ein Einzelfall wäre,
der ohne Bezug auf die Besetzung Kaschmirs durch Indien seit der Teilung
verstanden werden könnte.

Die indische Armee hat Kaschmir den Krieg aufgezwungen.
Tausende von Kaschmiris wurden getötet, verletzt, sind verschwunden und
verhaftet. Frauen und Männer wurden vergewaltigt und sexuell missbraucht. Gummigeschossgewehre
wurden gegen DemonstrantInnen eingesetzt, die Kinder, Frauen und Jugendliche
verletzen und erblinden lassen. Seit Jahrzehnten sind die Menschen mit der
einschüchternden und terrorisierenden Präsenz der Waffen des Militärs rund um
ihre Häuser und den täglichen Demütigungen von Übergriffen, Missbrauch und
Schikanen durch das Militär konfrontiert. Nichts davon demobilisierte jedoch
die politische studentische und Jugendbewegung, deren Widerstand gegen die
indische Besatzung sogar Sympathie in Indien und international hervorrief.

Die indische Armee wurde durch den anhaltenden Widerstand
und den Angriff im Pulwama-Bezirk vom Februar (siehe oben), bei dem ein
islamistischer Selbstmordanschlag auf einen Armeekonvoi in Kaschmir mehr als 40
Mitglieder der Spezialpolizei tötete, frustriert und demoralisiert. Dies wurde
zum Vorwand genommen, um die Angriffe auszuweiten und militärische Macht zu
demonstrieren, indem Balakot in Pakistans Provinz Khyber Pakhtunkhwa (von 1901
bis 2010: Nordwestliche Grenzprovinz) bombardiert wurde.

Pakistan schoss indische Flugzeuge als Vergeltung ab und
nahm einen Piloten gefangen. Der Premierminister des Landes, Imran Khan, bot
dann Gespräche und Frieden an. Der Pilot wurde freigelassen und am 1. März als
Geste des guten Willens an Indien übergeben. Dies zeigt einerseits die Schwäche
und Isolation des pakistanischen Staates, andererseits hofft er, durch dieses
Manöver sowohl regional als auch global zu profitieren. Viele aus der
pakistanischen Linken lobten dies und unterstützten den taktischen Zug der
Regierung, was ihr einen linken Deckmantel verlieh. Das ist nicht nur unehrlich,
es ist auch selbstzerstörerisch. Wenn es nicht gelingt, die ganze Heuchelei des
pakistanischen Staates aufzudecken, wenn nicht auf die Verletzung und
Verweigerung der demokratischen Rechte für die belutschischen, paschtunischen, sindhschen
und muhajirischen Völker und Nationalitäten innerhalb Pakistans verwiesen wird,
spielt dies den ZynikerInnen der Regierung in die Hände, die sich als rationale
„VerteidigerInnen der Nation“ oder des kaschmirischen Volkes präsentieren.

In Wirklichkeit hat nicht nur Indien, sondern auch Pakistan
dem kaschmirischen Volk das Recht verweigert, über das Schicksal seines eigenen
Landes zu entscheiden. Kein Wunder, dass die Kaschmiris mit der pakistanischen
Art der Kontrolle und Plünderung ihrer Ressourcen nicht zufrieden sind.
Tatsächlich ist Pakistan bestrebt, den kaschmirischen nationalen Kampf entlang
religiöser Spaltungslinien auseinanderzudividieren und ihn dadurch zu
schädigen, mit der Absicht, ihn zu einem Werkzeug im Kampf um die regionale
Macht zu machen.

Wir SozialistInnen sind gegen diesen Krieg. Die
ArbeiterInnen, die Jugendlichen, die Volksmassen Indiens und Pakistans dürfen
sich nicht zu Werkzeugen in den Auseinandersetzungen zwischen den
nationalistischen bürgerlichen FührerInnen machen lassen. Ein Krieg würde nur
den Kapitalistinnen und den herrschenden Eliten dienen. Gleichzeitig dürfen wir,
so sehr wir uns einem solchen Krieg widersetzen, die so genannte „Friedenspolitik“
dieser Regierungen nicht anerkennen. Sie ist nur ein Mittel, um ihre
Klasseninteressen als Formen der „nationalen Verteidigung“ darzustellen.

Um der Region echten Frieden zu bringen, müssen wir, die
pakistanischen und indischen Linken, ArbeiterInnen, Jugendlichen und alle
Unterdrückten, uns mit dem kaschmirischen Volk solidarisieren. Die
kaschmirische Bevölkerung ist es, die seit Jahrzehnten mit den Folgen von
Besetzungs- und Machtkonflikten zwischen Indien und Pakistan konfrontiert ist.
Die jüngste Verschärfung der Spannungen und die Situation, in der sich die
einfachen Kaschmiris auf beiden Seiten der Kontrolllinie befinden, zeigen dies.
Eine militärische Eskalation zwischen Indien und Pakistan könnte ihr ganzes
Land zerstören und es zu einem blutigen Kampfplatz machen.

Ohne den Abzug der indischen und pakistanischen Armeen aus
Kaschmir wird es keinen Frieden auf dem Subkontinent geben. Ohne dies können
die Kaschmiri über ihr Schicksal nicht frei entscheiden, ihr
Selbstbestimmungsrecht nicht ausüben.

Während wir das Recht der Guerillas, sich den
Besatzungskräften zu widersetzen, anerkennen und verteidigen, schlagen wir eine
andere politische Strategie vor: eine Strategie der Klassensolidarität und des
gemeinsamen Kampfes, um die indische und pakistanische ArbeiterInnenklasse für die
Auseinandersetzung um das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit zu
gewinnen. Wir treten für einen massenhaften Kampf  der ArbeiterInnen, 
Bauern und Bäuerinnen und Armen ein und verbinden den Kampf um
Selbstbestimmung mit dem für eine sozialistische Zukunft. Es ist die Pflicht
jedes/r SozialistIn in Indien und Pakistan, den kaschmirischen Kampf für
Unabhängigkeit zu unterstützen und ihn mit dem gegen imperialistische
Ausbeutung und für eine sozialistische Konföderation Südasiens zu verbinden.




Generalstreik legt Indien lahm

Martin Suchanek, Infomail 1037, 10. Januar 2019

Fast 200 Millionen Menschen legten Indien mit einem
Generalstreik am 8. und 9. Januar lahm. Zur landesweiten Arbeitsniederlegung
war von der indischen „National Convention of Workers“ aufgerufen worden, die 10
Gewerkschaftsverbände (INTUC, AITUC, HMS, CITU, AIUTUC, TUCC, AICCTU, SEWA,
LPF, UTUC) und mehrere unabhängige Vereinigungen von Lohnabhängigen umfasst.

Somit unterstützten alle größeren Gewerkschaftsverbände den
Aufruf, abgesehen von „Bhartiya Mazdoor Sangh“ (Indische Arbeiterinnenunion,
BMS), dem „Gewerkschaftsflügel“ der rechten, hindu-chauvinistischen „Rashtriya
Swayamsevak Sangh (Nationale Patriotische Freiwilligenunion)“. Diese
Vereinigung bildet ein Herzstück der regierenden rechts-populistischen,
chauvinistischen und neo-liberalen BJP (Indische Volkspartei) von Präsident
Narendra Modi. Die BMS denunzierte den Streik als „politische Aktion“, die
gegen die Regierung gerichtet sei. In der Tat war dies der Generalstreik genau
– und so sollte es auch sein!

Kein Wachstum für die ArbeiterInnenklasse

Nach 2015 und 2016 war dies der dritte Generalstreik, der
sich gegen die massiven neoliberalen Angriffe und Gesetze richtete, die die
ArbeiterInnenklasse, die Bauern-/Bäuerinnenschaft, die städtische und ländliche
Armut getroffen haben. Das Wachstum des indischen Kapitalismus unter der
Modi-Regierung hat den Massen keinen wirtschaftlichen Nutzen gebracht.

Am Ausstand beteiligten sich Beschäftigte aus allen Sektoren
der indischen Wirtschaft, ob organisiert oder unorganisiert. So
unterschiedliche Bereiche wie Eisenbahnen, Verteidigungsindustrie,
Gesundheitswesen, Bildung, Wasser, Banken, Versicherungen, Telekommunikation,
Öl, Kohle, öffentliche Verkehrsmittel und Bauwesen folgten dem Aufruf. Neben
gewerkschaftlich organisierten Lohnabhängigen aus dem öffentlichen und privaten
Sektor, aus „alten“ Industrien und der IT-Branche schlossen sich Millionen von
nicht organisierten an – Rikscha-, Auto-Rikscha- und TaxifahrerInnen,
LandarbeiterInnen, Beedi-ArbeiterInnen (Beedi ist eine zigarettenähnliche
Tabakware) und TextilarbeiterInnen, WanderarbeiterInnen, HeimarbeiterInnen und
Hausangestellte. Alle diese Sektoren schlossen sich am 8. und 9. Januar gegen
die Politik der neoliberalen, arbeiterInnenfeindlichen und repressiven
Modi-Regierung zusammen und gegen das indische und ausländische Großkapital,
dessen Interessen sie bedient.

Der Streik stellt zweifellos einen enormen Erfolg dar,
beteiligte sich doch rund ein Drittel aller Lohnabhängigen des Landes – und das
trotz massiver Repression gegen Streikende.

So versuchten am 8. Januar vielerorts staatliche Organe,
durch Verhaftungen bis hin zu körperlichen Angriffen den Streik zu brechen, an
anderen griffen Gangs oder Sicherheitsdienstete Lohnabhängige an. Dazu einige
Beispiele.

Im Industriegürtel in Neemrana in der Provinz Rajasthan
griff der Sicherheitsdienst der Fabrik Daikin Air Conditioning India Pvt. Ltd.
ArbeiterInnen physisch an, um den Streik zu brechen. Dabei wurden einige
verletzt, andere sollten zur Arbeit gezwungen werden. Aber der Streik hielt und
war erfolgreich.

Das Unternehmen buchte außerdem drei Nobelhotels, um
Sicherheitsleute und einige LeiharbeiterInnen unterzubringen. Aber mit diesen
Mitteln konnte es den Streik nicht verhindern. Dafür organisierten die
ArbeiterInnen zahlreicher Betriebe eine lebhafte Kundgebung in diesem
Industriegürtel, inmitten der japanisch-indischen Freihandelzone.

Ähnliche Szenen prägten den Streik in vielen Städten – aber
die enorme Masse und Entschlossenheit ermöglichte es, den Generalstreik
durchzusetzen.

Was steht auf dem Spiel?

Warum aber wurde und wird der Kampf geführt? Die „National
Convention of Workers“ tagte zum ersten Mal im September und beleuchtete dabei
einige der Themen, die eine lohnabhängige Erwerbsbevölkerung von etwa 500
Millionen Menschen betreffen.

Etwa 82 Prozent der männlichen und 92 Prozent der weiblichen
Arbeit„nehmer“ verdienen weniger als 10.000 indische Rupien (etwa 125 Euro) pro
Monat und liegen damit selbst noch weit unter dem von der indischen Central Pay
Commission empfohlenen Mindestlohn von 18.000 Euro. „Dies deutet darauf hin,
dass eine große Mehrheit der InderInnen nicht einmal bezahlt wird, was als
Existenz sichernder Lohn bezeichnet werden kann, und das erklärt auch den
starken Run auf Regierungsjobs“, erklärten GewerkschafterInnen.

Seit mehreren Jahren sind Unterbeschäftigung und niedrige
Löhne Schlüsselprobleme für die Masse der indischen ArbeiterInnenklasse, aber
in letzter Zeit ist sogar die Arbeitslosigkeit deutlich gestiegen. Sie liegt jetzt
offiziell über 5 Prozent, aber für die Jugend ist sie mit rund 16 Prozent
deutlich höher. Auch die besser ausgebildeten Menschen sind
überdurchschnittlich betroffen, ein klares Zeichen dafür, dass das indische
kapitalistische Wachstum eine noch schneller wachsende ArbeiterInnenklasse
nicht absorbieren kann.

Die Regierung hat alle Forderungen nach einem Mindestlohn
und anderen grundlegenden Forderungen der Beschäftigten und der Gewerkschaften
ignoriert wie z. B. nach allgemeinen sozialen Sicherungssystemen
(Krankenversicherung, Renten, …), nach Rechten der Beschäftigen,
einschließlich von Löhnen und Arbeitsbedingungen, sowie Forderungen gegen die
Privatisierung einschließlich jener des Finanzsektors. Die Regierung Modi hat
sich auch geweigert, internationale Abkommen wie die ILO-Konvention 177 über
Heimarbeit und 189 über Hausarbeit zu ratifizieren. Stattdessen hat sie 44
zentrale Arbeitsgesetze aufgehoben und neue, noch unternehmerfreundlichere
Regelungen sowie ein neues Rentensystem eingeführt.

Darüber hinaus haben sowohl die von der BJP geführte
Zentralregierung als auch die Regierungen verschiedener Bundesstaten den
repressiven Apparat und die reaktionären Kräfte eingesetzt, um
ArbeiterInnenproteste, StudentInnenaktionen, Frauenmärsche und Mobilisierungen
von Bauern und Bäuerinnen einzuschüchtern, zu unterdrücken und anzugreifen.

Natürlich muss eine solche Regierung durch eine umfassende
Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse, der Bauern/Bäuerinnen und der Armen
bekämpft werden, da sie, wie der Aufruf zum Streik zeigt, nicht nur den
reaktionären Hindu-Chauvinismus vertritt, sondern auch die Interessen der
gesamten indischen kapitalistischen Klasse und der Monopole aus den
imperialistischen Ländern. So hieß es im Aufruf zum Streik:

„Um den Interessen der multinationalen Unternehmen mit
indischen Niederlassungen zu dienen, verfolgt die gegenwärtige Regierung eine
eklatante menschenfeindliche, arbeitnehmerfeindliche und antinationale Politik
auf Kosten der schweren Schädigung der Volkswirtschaft und der Zerstörung ihrer
einheimischen Produktionskapazitäten. Ein solches Regime muss entschieden
besiegt werden, um die Personen zu Veränderungen in der Politik an allen
Fronten zu zwingen.“

Auch wenn diese Passagen selbst eine reformistische (und
implizit auch links-nationalistische) Stoßrichtung vertreten, so prangern sie
zu Recht die Klassenpolitik der Regierung an.

Landbevölkerung

Natürlich sind nicht nur die LohnarbeiterInnen von dieser
Politik betroffen. Der Kisan-Mukti-Marsch, bei dem sich am 29. und 30. November
Bauern, Bäuerinnen und LandarbeiterInnen in der Hauptstadt versammelten,
vereint die immer häufiger und intensiver werdenden Proteste von Dorfgemeinden
im ganzen Land. Dies führte zur Gründung einer einzigen Dachorganisation, dem
All India Kisan Sangharsh Coordination Committee (AIKSCC), das sich auf über
200 lokale und landesweite Bauern-Bäuerinnenorganisationen stützt. Bhoomi
Adhikar Andolan (BAA), eine mächtige Plattform von Organisationen der Bauern
und Bäuerinnen, hat auch zum Generalstreik aufgerufen. Die der CPI (M)
(Communist Party of India/Marxist) nahestehende AIKS (All India Kisan Sabha) organisierte
schon 2018 einen zweitägigen landesweiten Massenprotest.

All das spiegelt die Verschlechterung der Lage auf dem Land
wider. In den letzten vier Jahren gab es einen jährlichen Rückgang der
Realinvestitionen in der Landwirtschaft um 2,3 Prozent und die Wachstumsrate
der Agrarkredite hat sich auf 12 Prozent verlangsamt, verglichen mit 21 Prozent
im letzten Jahrzehnt. Diese Zahlen spiegeln den langfristigen Trend zur Aufgabe
des Agrarsektors durch aufeinanderfolgende Regierungen wider.

Der indische Export von Agrarprodukten sank, während sich
die Importe in weniger als 10 Jahren verfünffacht haben. Zwei Drittel der
indischen Bevölkerung sind für ihren Lebensunterhalt von der Landwirtschaft
abhängig, aber die Landwirtschaft macht nur 14 Prozent der gesamten
Wirtschaftsleistung des Landes aus. Trotz der starken Abwanderung in die Städte
in den letzten zwei Jahrzehnten lebt immer noch mehr als die Hälfte der
Bevölkerung in ländlichen Gebieten – und das unter immer prekäreren
Bedingungen.

Schon vor dem Generalstreik kam es nicht nur zu
beeindruckenden Streikaktionen von Sektoren der ArbeiterInnenklasse wie seit
dem September 2018 in Rajasthan, sondern auch zu massiven Protesten der
Studierenden. In jüngster Zeit stand die Massenmobilisierung von Frauen gegen
den reaktionären hinduistischen Chauvinismus auf der Tagesordnung: die
„Frauenmauer“ im Bundesstaat Kerala für die Gleichstellung der Geschlechter. Am
1. Januar schlossen sich etwa 5 Millionen Frauen in einer Menschenkette
zusammen, um eine 620 Kilometer lange „Mauer“ von der nördlichen bis zur
südlichen Grenze Keralas zu bilden. Gegen den hinduistischen Chauvinismus und
ein reaktionäres Urteil des Obersten Gerichtshofes fordern sie ihr Recht, den
Lord-Ayyappa-Tempel zu betreten, von dem sie traditionell ausgeschlossen sind.

Das Potenzial des Generalstreiks

Daher zeigen nicht nur die massive Zahl der ArbeiterInnen,
die mobilisiert wurden, sondern auch der Anstieg dieser Massenbewegungen von
Bauern/Bäuerinnen, Frauen und StudentInnen, dass das Regime des
erz-reaktionären Modi in die Defensive gebracht und sogar gestürzt werden
könnte.

Die regierende BJP hat kürzlich in fünf Bundesstaaten die
Wahlen verloren. Die WählerInnen aus den ländlichen Gebieten zeigten ihre Wut
auf die Regierung, weil sie sie in ihrer Zeit der Not nicht unterstützt hat. So
wurde die BJP in Rajasthan, Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Telangana und Mizoram
an den Urnen abgestraft. Die von der Modi-Regierung vertretene neoliberale und
wirtschaftsfreundliche Politik ist die Hauptursache für die Niederlage der BJP.

Um die Regierung Modi zu besiegen, müssen aber auch die
politischen Lehren aus den Generalstreiks der letzten Jahre und Tage gezogen
werden. Die Gewerkschaften und die Bauern-/Bäuerinnenverbände haben sich als
fähig erwiesen, Massen in wirklich historischem Maßstab in den Kampf zu führen
– 150 bis 200 Millionen! Aber es wurde ebenso deutlich, dass ein- oder
zweitägige Generalstreiks nicht ausreichen, um die Regierung oder die
KapitalistInnen zu stoppen. Sie haben sich als unzureichend erwiesen, um die
Forderungen nach einem Mindestlohn, einer sozialen Absicherung, einer
ausreichenden Altersversorgung usw. durchzusetzen.

Wenn der Generalstreik ein voller Erfolg werden, also seine
Ziele durchsetzen soll, muss er unbefristet durchgeführt werden, bis die
Forderungen erfüllt sind.

Ein solcher Streik wäre natürlich mit noch schwerwiegenderen
Repressionen, Schikanen, der Mobilisierung sowohl des Repressionsapparats als
auch der reaktionären hindu-chauvinistischen Kräfte, der rechten oder gar
faschistischen Banden und Milizen aus dem Umfeld der BJP konfrontiert.

Nichtsdestotrotz haben die „National Convention of
Workers“ sowie die Unterstützung von
Massenbauern-/Bäuerinnenorganisationen und durch die Kommunistischen Parteien
begonnen, eine Einheitsfront der ArbeiterInnen, Bauern und BäuerInnen sowie
aller Unterdrückten für ihre sozialen und politischen Forderungen zu schaffen.
Nun sollten alle Gewerkschaften, alle ArbeitInnenorganisationen dem Konvent
beitreten, sich mit den Bauern-/Bäuerinnenbewegungen, den StudentInnen- und
Frauenorganisationen verbünden, um den Kampf gegen die Ausbeutung mit dem für
demokratische Rechte und Gleichberechtigung der Frauen, die Rechte der
unterdrückten Nationalitäten und gegen das religiösen Sektierertum sowie für
die wirkliche Abschaffung des Kastensystems zu verbinden.

Eine solche einheitliche Front darf nicht nur eine
Vereinbarung zwischen den FührerInnen der Massenorganisationen sein. Um einen
unbefristeten Generalstreik zu organisieren, zu verteidigen und auszuweiten,
sollten an allen Arbeitsplätzen, in allen Wohnvierteln der ArbeiterInnenklasse,
in den Megacities, in den Städten und auf dem Land Aktionskomitees geschaffen
werden. Die StreikführerInnen sollten gewählt, rechenschaftspflichtig und
diesen Organen gegenüber rückrufbar sein. Die Komitees sollten zentralisiert
operieren, um eine nationale Koordination und schlagkräftige Führung des
Kampfes zu gewährleisten, damit sie noch größere Massen erreichen und auch ihre
eigene Selbstverteidigung organisieren können.

Eine solche Bewegung könnte Modi und die
hinduistisch-chauvinistische Bewegung stoppen. Die Geschichte zeigt aber, dass
sich RevolutionärInnen innerhalb einer solchen Bewegung auch mit der Frage der
politischen Strategie und des Programms befassen müssen. Im Jahr 2019 finden in
Indien allgemeine Wahlen statt. Man muss kein politisches Genie sein, um zu
erkennen, dass die meisten GewerkschaftsführerInnen und vor allem die
FührerInnen der so genannten „Kommunistischen Parteien“ – der CPI und CPI (M) –
versuchen werden, die Bewegung in eine elektoralistische Richtung zu lenken.
Sie werden sich darauf konzentrieren, wie man Modi und die BJP verdrängt und
die „linke“ bürgerliche Alternative, die Kongresspartei, mit einiger
Unterstützung der reformistischen KPen auf regionaler oder sogar nationaler
Ebene ans Ruder bringt. Das wäre keine Lösung. Es würde nur bedeuten, die
Regierungsgewalt von einer Fraktion der Bourgeoisie auf eine andere zu
übertragen, und unweigerlich zu einer massenhaften Desillusionierungswut
führen.

Die Linke muss vielmehr die Forderung nach einem unbefristeten
und demokratischen Generalstreik mit der Notwendigkeit verbinden, sich von der
Politik der politischen Bündnisse mit dem Kongress zu lösen. Solche Allianzen führen
nur zur Unterordnung der ArbeiterInnenbewegung unter die indische
„fortschrittliche“ Bourgeoisie, wie die Regierungsbeteiligungen von CPI und CPI
(M) seit Jahrzehnten immer wieder verdeutlichen. Daher müssen RevolutionärInnen
auch die gegenwärtige politische Krise und Gärung nutzen, um die Aufmerksamkeit
auf die Notwendigkeit einer revolutionären ArbeiterInnenpartei in Indien zu lenken,
einer Partei, die die Arbeiterklasse dazu bringen könnte, nicht nur das
Modi-Regime zu stürzen, sondern auch das kapitalistische System herauszufordern
und durch eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung zu ersetzen, die
auf Räten und dem bewaffneten Volk basiert, die die Großkonzerne enteignen und
einen demokratischen Plan einführen würde, um den Bedürfnissen der Hunderte von
Millionen ArbeiterInnen, Bauern/Bäuerinnen und Armen gerecht zu werden.




Vergewaltigung und Missbrauch von Frauen in Indien und Pakistan: Für eine proletarische Frauenbewegung im Kampf gegen Unterdrückung!

Shazia Shahzad, Pakistan, Infomail 669, 15. Februar 2013

Die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Studentin im Bus nach Delhi im Dezember 2012 hat eine massive Bewegung in Indien aufflammen lassen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen schlossen sich zusammen, um gegen den alltäglichen Missbrauch von Frauen zu demonstrieren, gegen die weit verbreitete sexistische und patriarchalische Struktur und das Verhalten innerhalb der Gesellschaft und die Mitschuld von politischen Behörden, der Polizei, der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer.

Vergewaltigung und Frauenunterdrückung in Indien

Die junge Frau wurde auf dem Weg nach Hause vergewaltigt, nachdem sie und ihr Freund einen Film angeschaut hatten und in den Bus in der Munirka-Gegend von Delhi eingestiegen waren, um  nach Dwarka im Südwesten der Stadt zu fahren. Sechs Männer fingen an, die Frau anzumachen, dass sie abends allein mit einem Mann sei und beschlossen, ihr „eine Lektion“ zu erteilen. Sie wurde fast eine Stunde lang vergewaltigt und sie wie auch ihr Freund wurden mit Eisenstangen geschlagen und aus dem fahrenden Bus auf die Straße geworfen. Daran ist sie zwei Wochen später gestorben.

Indien ist das Land mit der höchsten Zahl von Vergewaltigungen in der Welt; sogar die offiziellen Statistiken besagen, dass alle 20 Minuten eine Frau in Indien vergewaltigt wird. In Delhi wurden 660 Fälle von Vergewaltigungen im Jahr 2012 bekannt, die Situation auf nationaler Ebene ist noch viel schlimmer. Es ist zudem allgemein bekannt, dass die tatsächliche Zahl der Vergewaltigungen noch viel höher liegt als die Zahl der offiziell berichteten Fälle. Höchstens einer von fünf Fällen wird bekannt, da die Frauen sich vor der Schande in ihrer Familie und der Nachbarschaft fürchten.

Auch Polizei und Justiz diskriminieren Frauen. Pakistan sieht sich den gleichen Problemen wie Indien gegenüber – ja sogar schlimmer, weil es in Pakistan zusätzlich noch regressive Gesetze gegen die Gleichstellung der Frau im Namen von Sharia und „pakistanischer Kultur“ gibt.

Aber das Schlimmste – sowohl in Indien wie in Pakistan – ist, dass vergewaltigten Frauen unterstellt wird, selbst Schuld zu sein, da sie sich provokant kleiden würden oder weil sie nachts nicht draußen sein sollten.

Dies stigmatisiert nicht nur die Frauen, sondern schafft auch einen starken reaktionären Druck für ihren Ausschluss aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Das Ergebnis ist eine massive, unglaubliche Beschränkung für die Frauen und ihre Mobilität, auch dabei, was sie zu ihrer eigenen „Sicherheit“ anziehen dürfen. Es ist „normal“, dass Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden, beweisen müssen, dass sie „nicht schuldig“ sind und keine „problematische“ Vergangenheit haben.

So hat im Fall von Mukhtar Mai und anderen Massenvergewaltigungen in Pakistan, der damalige Präsident, General Musharraf, der ein enger Verbündeter des amerikanischen Imperialismus war, die vergewaltigten Frauen beschuldigt, Geld verdienen zu wollen, wenn sie ihre Vergewaltigung an die Öffentlichkeit bringen.

Massenbewegung in Indien

Der neueste schockierende Vorfall mobilisierte die Menschen in Indien über die Bedingungen rund um Vergewaltigung u.a. Übergriffe auf Frauen. Abertausende wütende DemonstrantInnen gingen auf die Straße und forderten Gerechtigkeit für die Opfer und mehr Sicherheit und Schutz für Frauen. Vor allem viele Frauen demonstrierten gegen eine Kultur, die Vergewaltigung rechtfertigt und den Frauen die Schuld dafür gibt, „Männer zur Vergewaltigung zu provozieren“. Auf einem Plakat stand: „Bringt mir nicht bei, wie ich mich anziehen soll, bringt euren Söhnen bei, keine Vergewaltiger zu sein“.

Das Argument, dass diese Proteste nur deshalb zustande kamen, weil das Opfer aus der Mittelschicht kam, ist falsch. Tatsache ist, dass die junge Frau nicht aus der „Mittelschicht“ kam. Sie war die Tochter eines Flughafenarbeiters mit einem Monatslohn von 7.000 Rupien und sie arbeitete nachts, um ihre Ausbildung als Studentin der Psychotherapie zu finanzieren. Aber dies ist nicht der Punkt – normalerweise würde der Missbrauch einer Mittelschichtfrau nicht zu so einem öffentlichen Aufschrei führen.

Zweifellos hat die Tatsache, dass solch eine brutale Gruppenvergewaltigung in der Hauptstadt von Indien passiert ist, zur Auslösung der Proteste beigetragen, auch wenn die Situation auf dem Land ist noch weit schlimmer ist. Dort sind Frauen aus den unterdrückten niederen Kasten, religiösen Minderheiten, aus unterdrückten Nationalitäten und Frauen aus der Arbeiterklasse mit einer noch brutaleren Situation konfrontiert. Die Berichte von Vergewaltigungsfällen zeigen, dass der Staat und die kapitalistische Klasse die Situation benutzen, um die Kontrolle über die Menschen zu haben, die sich zur Wehr setzen gegen die Politik des Neoliberalismus, gegen Unterdrückung und Ausbeutung durch die Kapitalisten und Großgrundbesitzer oder jene, die gegen nationale Unterdrückung kämpfen, wie in Kaschmir.

Die Proteste und Bewegungen werden durch die Kombination von mehreren scharfen Widersprüchen erzeugt. Gewiss entstanden sie in solchen Ausmaßen, weil der Staat nicht einmal in der Lage ist, die Frauen selbst in Städten zu schützen. Zugleich drücken sie auch die Wut aus gegen die Position der Frauen in der Gesellschaft. So wie in anderen Ländern wirken sich die Belastungen der ökonomischen Krise, wie steigende Preise, sinkende soziale Leistungen oder schlechte Wohnverhältnisse auf Frauen am stärksten aus.

Diese Proteste sind ein Hoffnungsschimmer nicht nur im Kampf gegen sexuelle Übergriffe und die schreckliche Situation der indischen Frauen; sie sind auch ein Hoffnungsschimmer, dass die pakistanische Arbeiterbewegung sich der Frage der Frauenunterdrückung stellt, dieses Problem als ein zentrales Thema aufnimmt und dagegen kämpft.

Weg in die Zukunft

Die Massenbewegung in Indien zeigt, dass Millionen von Frauen nicht bereit sind, die „Normalität“ ihrer täglichen Unterdrückung in der Gesellschaft zu akzeptieren. Diese Bewegung wurde zwar von einem besonders brutalen Ereignis ausgelöst, aber der Grund, weshalb die Frauen auf die Straßen gingen, ist das Ergebnis der Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung in einem halbkolonialen Kapitalismus wie Indien oder Pakistan.

In Indien wurden Millionen von Frauen in den Arbeitsmarkt geworfen, wurden Teil des Proletariats unter verheerenden Ausbeutungsbedingungen. Dies trifft nicht nur für die dynamische kapitalistische Entwicklung in Indien zu. Auch in Pakistan wurden Frauen während der fieberhaften Entwicklung vor der großen kapitalistischen Krise in die Produktion einbezogen.

Zur gleichen Zeit sind beide Länder und auch viele andere Länder in Asiens „sich entwickelndem Kapitalismus“ geprägt von vorkapitalistischen Erscheinungen wie den feudalen Formen der Ausbeutung und das Kastensystem. All zu oft haben Frauen noch nicht einmal die formale Gleichberechtigung erreicht.

Die Rolle der Polizei, die Benutzung der Vergewaltigung als Waffe gegen unterdrückte Nationalitäten (wie in Kaschmir) und niedrige Kasten, die Verwendung von Einschüchterung und Misshandlung von den Bossen in der Fertigung sind tägliche Beispiele, die aufzeigen, dass keine Gerechtigkeit für Frauen von der herrschenden Klasse und dem Staat erwartet werden kann. Auch wenn die sechs Vergewaltiger ernsthaft verurteilt werden, sollte niemand Illusionen haben über den patriarchalen Charakter der staatlichen Institutionen und ihre Mitschuld, wenn nicht sogar Beteiligung, an den schlimmsten Formen der Unterdrückung.

Frauenbewegung

Als RevolutionärInnen kämpfen wir gegen die Unterdrückung der Frauen in jeder Form. Dies bedeutet, dass wir für vollständige Gleichberechtigung kämpfen müssen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Schuldigen der Unterdrückung oder Vergewaltigung von Frauen und jungen Mädchen vor Gericht gebracht werden, aber nicht vor eine ungewählte Justiz der reichen Männer, sondern vor Gerichte, die von der Masse der Bevölkerung, der Armen, der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der unteren Kasten und national Unterdrückten gewählt sind. Mindestens die Hälfte dieser gewählten Gerichte sollte von Frauen besetzt sein.

Im Kampf gegen Unterdrückung und Missbrauch müssen wir permanent gegen alle Formen von Sexismus im öffentlichen Leben, auf der Arbeit und in der Familie kämpfen. Wir fordern öffentliche Mittel für Frauenzufluchtsorte und die Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts auf Scheidung. Eine Ausbildung in Selbstverteidigung sollte für alle Frauen möglich sein.

Sicherlich ist das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre demokratische Gleichberechtigung nicht genug. Um es Frauen zu ermöglichen, eine vollwertige Rolle in der Gesellschaft, bei der Arbeit, in der Politik und in der Arbeiterbewegung zu spielen, müssen wir für gleiche Bezahlung, für staatliche Bereitstellung von Kinderbetreuung, für menschenwürdige Behausung und ein Minimum an Einkommen für Arbeitslose, für geschiedene Frauen mit wenig oder gar keinem Einkommen oder für Rentner kämpfen, für ein Grundeinkommen, um den Lebensstandard zu erhalten, der von der Arbeiterbewegung festgesetzt wird und an Preissteigerungen angepasst wird.

Um ein solches Programm durchzusetzen, müssen Frauen an vorderster Front aller sozialen und politischen Bewegungen stehen. Dies bezieht auch den Kampf gegen den weit verbreiteten Chauvinismus und Sexismus innerhalb der Arbeiterbewegung und der Bewegungen der Unterdrückten selbst ein. Um in der Lage zu sein, dies zu tun, müssen die Frauen das Recht auf einen Caucus, d.h. auf eigene Treffen und Versammlungen haben.

Frauenunterdrückung in Indien und Pakistan – wie in allen Ländern – ist eng mit der kapitalistischen Ausbeutung selbst verknüpft, wo Frauen wie Waren oder Haussklavinnen behandelt werden. Es wird kein Ende der Frauenunterdrückung insgesamt geben, ohne den Kapitalismus zu stürzen – ohne soziale Revolution.

Um diese Kämpfe zu vereinen und die Frauen in den Vordergrund zu stellen, brauchen wir eine Massenbewegung der am meisten ausgebeuteten Frauen, eine Massenbewegung der Frauen der Arbeiterklasse.




Vergewaltigung und Missbrauch von Frauen in Indien und Pakistan: Für eine proletarische Frauenbewegung im Kampf gegen Unterdrückung!

Shazia Shahzad, Pakistan, Infomail 669, 15. Februar 2013

Die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Studentin im Bus nach Delhi im Dezember 2012 hat eine massive Bewegung in Indien aufflammen lassen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen schlossen sich zusammen, um gegen den alltäglichen Missbrauch von Frauen zu demonstrieren, gegen die weit verbreitete sexistische und patriarchalische Struktur und das Verhalten innerhalb der Gesellschaft und die Mitschuld von politischen Behörden, der Polizei, der Kapitalisten und der Großgrundbesitzer.

Vergewaltigung und Frauenunterdrückung in Indien

Die junge Frau wurde auf dem Weg nach Hause vergewaltigt, nachdem sie und ihr Freund einen Film angeschaut hatten und in den Bus in der Munirka-Gegend von Delhi eingestiegen waren, um  nach Dwarka im Südwesten der Stadt zu fahren. Sechs Männer fingen an, die Frau anzumachen, dass sie abends allein mit einem Mann sei und beschlossen, ihr „eine Lektion“ zu erteilen. Sie wurde fast eine Stunde lang vergewaltigt und sie wie auch ihr Freund wurden mit Eisenstangen geschlagen und aus dem fahrenden Bus auf die Straße geworfen. Daran ist sie zwei Wochen später gestorben.

Indien ist das Land mit der höchsten Zahl von Vergewaltigungen in der Welt; sogar die offiziellen Statistiken besagen, dass alle 20 Minuten eine Frau in Indien vergewaltigt wird. In Delhi wurden 660 Fälle von Vergewaltigungen im Jahr 2012 bekannt, die Situation auf nationaler Ebene ist noch viel schlimmer. Es ist zudem allgemein bekannt, dass die tatsächliche Zahl der Vergewaltigungen noch viel höher liegt als die Zahl der offiziell berichteten Fälle. Höchstens einer von fünf Fällen wird bekannt, da die Frauen sich vor der Schande in ihrer Familie und der Nachbarschaft fürchten.

Auch Polizei und Justiz diskriminieren Frauen. Pakistan sieht sich den gleichen Problemen wie Indien gegenüber – ja sogar schlimmer, weil es in Pakistan zusätzlich noch regressive Gesetze gegen die Gleichstellung der Frau im Namen von Sharia und „pakistanischer Kultur“ gibt.

Aber das Schlimmste – sowohl in Indien wie in Pakistan – ist, dass vergewaltigten Frauen unterstellt wird, selbst Schuld zu sein, da sie sich provokant kleiden würden oder weil sie nachts nicht draußen sein sollten.

Dies stigmatisiert nicht nur die Frauen, sondern schafft auch einen starken reaktionären Druck für ihren Ausschluss aus dem politischen und gesellschaftlichen Leben. Das Ergebnis ist eine massive, unglaubliche Beschränkung für die Frauen und ihre Mobilität, auch dabei, was sie zu ihrer eigenen „Sicherheit“ anziehen dürfen. Es ist „normal“, dass Frauen, die Opfer von Vergewaltigung wurden, beweisen müssen, dass sie „nicht schuldig“ sind und keine „problematische“ Vergangenheit haben.

So hat im Fall von Mukhtar Mai und anderen Massenvergewaltigungen in Pakistan, der damalige Präsident, General Musharraf, der ein enger Verbündeter des amerikanischen Imperialismus war, die vergewaltigten Frauen beschuldigt, Geld verdienen zu wollen, wenn sie ihre Vergewaltigung an die Öffentlichkeit bringen.

Massenbewegung in Indien

Der neueste schockierende Vorfall mobilisierte die Menschen in Indien über die Bedingungen rund um Vergewaltigung u.a. Übergriffe auf Frauen. Abertausende wütende DemonstrantInnen gingen auf die Straße und forderten Gerechtigkeit für die Opfer und mehr Sicherheit und Schutz für Frauen. Vor allem viele Frauen demonstrierten gegen eine Kultur, die Vergewaltigung rechtfertigt und den Frauen die Schuld dafür gibt, „Männer zur Vergewaltigung zu provozieren“. Auf einem Plakat stand: „Bringt mir nicht bei, wie ich mich anziehen soll, bringt euren Söhnen bei, keine Vergewaltiger zu sein“.

Das Argument, dass diese Proteste nur deshalb zustande kamen, weil das Opfer aus der Mittelschicht kam, ist falsch. Tatsache ist, dass die junge Frau nicht aus der „Mittelschicht“ kam. Sie war die Tochter eines Flughafenarbeiters mit einem Monatslohn von 7.000 Rupien und sie arbeitete nachts, um ihre Ausbildung als Studentin der Psychotherapie zu finanzieren. Aber dies ist nicht der Punkt – normalerweise würde der Missbrauch einer Mittelschichtfrau nicht zu so einem öffentlichen Aufschrei führen.

Zweifellos hat die Tatsache, dass solch eine brutale Gruppenvergewaltigung in der Hauptstadt von Indien passiert ist, zur Auslösung der Proteste beigetragen, auch wenn die Situation auf dem Land ist noch weit schlimmer ist. Dort sind Frauen aus den unterdrückten niederen Kasten, religiösen Minderheiten, aus unterdrückten Nationalitäten und Frauen aus der Arbeiterklasse mit einer noch brutaleren Situation konfrontiert. Die Berichte von Vergewaltigungsfällen zeigen, dass der Staat und die kapitalistische Klasse die Situation benutzen, um die Kontrolle über die Menschen zu haben, die sich zur Wehr setzen gegen die Politik des Neoliberalismus, gegen Unterdrückung und Ausbeutung durch die Kapitalisten und Großgrundbesitzer oder jene, die gegen nationale Unterdrückung kämpfen, wie in Kaschmir.

Die Proteste und Bewegungen werden durch die Kombination von mehreren scharfen Widersprüchen erzeugt. Gewiss entstanden sie in solchen Ausmaßen, weil der Staat nicht einmal in der Lage ist, die Frauen selbst in Städten zu schützen. Zugleich drücken sie auch die Wut aus gegen die Position der Frauen in der Gesellschaft. So wie in anderen Ländern wirken sich die Belastungen der ökonomischen Krise, wie steigende Preise, sinkende soziale Leistungen oder schlechte Wohnverhältnisse auf Frauen am stärksten aus.

Diese Proteste sind ein Hoffnungsschimmer nicht nur im Kampf gegen sexuelle Übergriffe und die schreckliche Situation der indischen Frauen; sie sind auch ein Hoffnungsschimmer, dass die pakistanische Arbeiterbewegung sich der Frage der Frauenunterdrückung stellt, dieses Problem als ein zentrales Thema aufnimmt und dagegen kämpft.

Weg in die Zukunft

Die Massenbewegung in Indien zeigt, dass Millionen von Frauen nicht bereit sind, die „Normalität“ ihrer täglichen Unterdrückung in der Gesellschaft zu akzeptieren. Diese Bewegung wurde zwar von einem besonders brutalen Ereignis ausgelöst, aber der Grund, weshalb die Frauen auf die Straßen gingen, ist das Ergebnis der Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung in einem halbkolonialen Kapitalismus wie Indien oder Pakistan.

In Indien wurden Millionen von Frauen in den Arbeitsmarkt geworfen, wurden Teil des Proletariats unter verheerenden Ausbeutungsbedingungen. Dies trifft nicht nur für die dynamische kapitalistische Entwicklung in Indien zu. Auch in Pakistan wurden Frauen während der fieberhaften Entwicklung vor der großen kapitalistischen Krise in die Produktion einbezogen.

Zur gleichen Zeit sind beide Länder und auch viele andere Länder in Asiens „sich entwickelndem Kapitalismus“ geprägt von vorkapitalistischen Erscheinungen wie den feudalen Formen der Ausbeutung und das Kastensystem. All zu oft haben Frauen noch nicht einmal die formale Gleichberechtigung erreicht.

Die Rolle der Polizei, die Benutzung der Vergewaltigung als Waffe gegen unterdrückte Nationalitäten (wie in Kaschmir) und niedrige Kasten, die Verwendung von Einschüchterung und Misshandlung von den Bossen in der Fertigung sind tägliche Beispiele, die aufzeigen, dass keine Gerechtigkeit für Frauen von der herrschenden Klasse und dem Staat erwartet werden kann. Auch wenn die sechs Vergewaltiger ernsthaft verurteilt werden, sollte niemand Illusionen haben über den patriarchalen Charakter der staatlichen Institutionen und ihre Mitschuld, wenn nicht sogar Beteiligung, an den schlimmsten Formen der Unterdrückung.

Frauenbewegung

Als RevolutionärInnen kämpfen wir gegen die Unterdrückung der Frauen in jeder Form. Dies bedeutet, dass wir für vollständige Gleichberechtigung kämpfen müssen. Aber wir müssen auch dafür sorgen, dass die Schuldigen der Unterdrückung oder Vergewaltigung von Frauen und jungen Mädchen vor Gericht gebracht werden, aber nicht vor eine ungewählte Justiz der reichen Männer, sondern vor Gerichte, die von der Masse der Bevölkerung, der Armen, der Arbeiterklasse, der Bauernschaft und der unteren Kasten und national Unterdrückten gewählt sind. Mindestens die Hälfte dieser gewählten Gerichte sollte von Frauen besetzt sein.

Im Kampf gegen Unterdrückung und Missbrauch müssen wir permanent gegen alle Formen von Sexismus im öffentlichen Leben, auf der Arbeit und in der Familie kämpfen. Wir fordern öffentliche Mittel für Frauenzufluchtsorte und die Aufhebung aller Beschränkungen des Rechts auf Scheidung. Eine Ausbildung in Selbstverteidigung sollte für alle Frauen möglich sein.

Sicherlich ist das Selbstbewusstsein der Frauen und ihre demokratische Gleichberechtigung nicht genug. Um es Frauen zu ermöglichen, eine vollwertige Rolle in der Gesellschaft, bei der Arbeit, in der Politik und in der Arbeiterbewegung zu spielen, müssen wir für gleiche Bezahlung, für staatliche Bereitstellung von Kinderbetreuung, für menschenwürdige Behausung und ein Minimum an Einkommen für Arbeitslose, für geschiedene Frauen mit wenig oder gar keinem Einkommen oder für Rentner kämpfen, für ein Grundeinkommen, um den Lebensstandard zu erhalten, der von der Arbeiterbewegung festgesetzt wird und an Preissteigerungen angepasst wird.

Um ein solches Programm durchzusetzen, müssen Frauen an vorderster Front aller sozialen und politischen Bewegungen stehen. Dies bezieht auch den Kampf gegen den weit verbreiteten Chauvinismus und Sexismus innerhalb der Arbeiterbewegung und der Bewegungen der Unterdrückten selbst ein. Um in der Lage zu sein, dies zu tun, müssen die Frauen das Recht auf einen Caucus, d.h. auf eigene Treffen und Versammlungen haben.

Frauenunterdrückung in Indien und Pakistan – wie in allen Ländern – ist eng mit der kapitalistischen Ausbeutung selbst verknüpft, wo Frauen wie Waren oder Haussklavinnen behandelt werden. Es wird kein Ende der Frauenunterdrückung insgesamt geben, ohne den Kapitalismus zu stürzen – ohne soziale Revolution.

Um diese Kämpfe zu vereinen und die Frauen in den Vordergrund zu stellen, brauchen wir eine Massenbewegung der am meisten ausgebeuteten Frauen, eine Massenbewegung der Frauen der Arbeiterklasse.