Tarifergebnis Stahl 2019 – ein Erfolg oder eher nicht?

Kuno Benz, Frederik Haber, Infomail 1051, 16. April 2019

Nach vielen Warnstreiks und
Aktionen der Beschäftigten der nordwestdeutschen Stahlindustrie und etlichen,
zähen Verhandlungsrunden gab es nun am 16. März einen Abschluss, der schließlich
auch im Saarland mit einer 2-monatigen tariflichen Verschiebung übernommen
wurde. Aber: Kann dieser Abschluss als Erfolg gewertet werden?

Viele Beschäftigte sind
unzufrieden. Selbst in der Tarifkommission regte sich Unmut, vor allem aus den
norddeutschen Betrieben. Aber die Dominanz der VertreterInnen von Thyssen-Krupp
in der Tarifkommission sorgte für ein eindeutiges Ergebnis. Offensichtlich
waren die führenden Kräfte aus diesem Konzern genauso zufrieden mit dem
Abschluss wie der IG Metall-Vorstand. Haben die SpitzengewerkschafterInnen
wegen der aufziehenden Krisenwolken die Bremse reingehauen oder hatten sie zu
Beginn der Tarifrunde zu laut geklappert?

„Wir wollen von dem dicken
Kuchen, der auf dem Tisch liegt, dieses Mal ein gutes Stück abhaben“ tönte noch
im Februar Duisburgs IG-Metall-Chef Dieter Lieske. „Nach den zum Teil
hausgemachten Krisen der vergangenen Jahre, die wir als Arbeitnehmer zu einem
guten Teil aufgefangen haben, hat die Stahlbranche im vergangenen Jahr wieder
richtig gutes Geld verdient.“ Bei den Stahlpreisen in den vergangenen zwölf
Monaten hätten die Arbeit„geber“Innen das Geld nur noch mit der Schneeschaufel
in die Garagen schubsen müssen.

Unmittelbar nach dem Abschluss
werteten beide Seiten die Einigung als „schwierigen, aber vertretbaren“
Kompromiss. „Wir haben in den letzten drei Monaten und auch in den letzten 16
Stunden hart miteinander gerungen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen“,
betonte IG Metall-Verhandlungsführer Knut Giesler. „Gerade die unteren
Entgeltgruppen profitieren besonders von den 1.000 Euro zusätzlicher
tariflicher Vergütung.“ Damit habe der Vertrag eine starke soziale Komponente.
Und mit den Regelungen für mehr freie Tage in der Stahlbranche setze die IG
Metall ihre arbeitszeitpolitische Offensive fort. Nach dem Abschluss in der
Metall- und Elektroindustrie sei ihr in einer weiteren großen Branche ein
Durchbruch für mehr Arbeitszeitsouveränität gelungen. „Damit tragen wir dem
Wunsch der Beschäftigten nach mehr Selbstbestimmung, Entlastung und mehr Freiräumen
für das Private Rechnung“, sagte Giesler.

Die IG Metall ist also mehr als
zufrieden mit dem Abschluss.

Und die Arbeit„geber“Innen? Sie
stöhnen zwar ein wenig – jedoch mehr über die Tarifrunde als solche denn über
das Ergebnis: „Diese Tarifrunde war außergewöhnlich komplex und wurde
dementsprechend intensiv geführt. Insbesondere die Forderung nach einem in
Freizeit umwandelbaren Zusatzentgelt hat uns vor eine Zerreißprobe gestellt“,
erklärte auch Christian Büttner, Geschäftsführer im Arbeitgeberverband Stahl.

Wie ist aber der Abschluss für
uns zu bewerten? Woher kommt der Unmut der Kolleginnen und Kollegen?

Entgelt

Man kann Tariferhöhungen
unterschiedlich einschätzen. Auf lange Sicht ist die Erhöhung der Tabellenwerte
entscheidend, für den Lebensunterhalt zählt dagegen das Volumen im laufenden
Jahr.

Die Tabellenerhöhung von 3,7 %
klingt ordentlich, ist aber die einzige Erhöhung der Entgeltgruppen während der
gesamten Laufzeit von 26 Monaten. Dazu kommt dann noch das „zusätzliche
Urlaubsgeld“ in Höhe von 1.000 Euro ab dem Jahr 2020. Dieses ist
tarifdynamisch, soll also bei den nächsten Tariferhöhungen steigen. Immerhin
bedeuten diese 1.000 Euro eine Sockelerhöhung, die in der Vergangenheit, wenn
eine solche Forderung aus den Vertrauenskörpern kam, von der IG Metall-Führung
heftig bekämpft wurde.

Die 1.000 Euro entsprechen
einer Tariferhöhung von etwa 1,5 % (geschätzter Mittelwert), wenn man 13,2
Monatsentgelte zugrunde legt. Zusammen ergibt sich also eine Erhöhung der
Tarifentgelte von 3,7 % + 1,5 %, also 5,2 % über 26 Monate oder
2,4 % auf 1 Jahr gerechnet – denn die Preissteigerungsraten sind auch
immer auf 1 Jahr gerechnet. Und dann sieht der Abschluss also alles andere als
üppig aus!

Wie viel mehr im Geldbeutel?

Die Tariferhöhung von
3,7 % gilt ja erst ab 1. März. Zuvor gibt es 100 Euro für Januar und
Februar. Wenn man also das Volumen ab dem Zeitpunkt der Laufzeit – also ab 1.
März 2019 – rechnet, dann erhöhen 3,7 % in zehn Monaten das
Jahreseinkommen nur um rund 3,1 %, zu denen dann noch 100 Euro Einmalbetrag
kommen.

Die gleiche Betrachtung findet
dann 2020 nochmals statt, wenn das zusätzliche Urlaubsgeld die einzige
Tariferhöhung sein wird – je nach Entgelt im Mittel rund 1,5 %. Und 2021
startet aufgrund der Laufzeit des Tarifvertrags mit zwei Null-Monaten.

Arbeitszeit

Anders als in der Metall- und
Elektroindustrie forderte die IG Metall keine „verkürzte Vollzeit“ oder „tarifliches
Zusatzgeld“ (T-ZUG), sondern mehr Urlaub. Immerhin wurde dann das Ergebnis auch
längst nicht so kompliziert – und auch nicht an bestimmte Beschäftigungsgruppen
bzw. Voraussetzungen gekoppelt.

Als Ergebnis kann jede(r)
Beschäftigte ab 2020 das zusätzliche Urlaubsgeld in bis zu 5 freie Tage
umwandeln – allerdings ist der Anspruch je nach Anzahl der Anträge gedeckelt.
Für die Arbeit„geber“Innen ist das Ergebnis zunächst „kostenneutral“ – dafür
kostet einen Beschäftigten jeder freie Tag 200 Euro.

Bewertung

Eine genaue Betrachtung des
Ergebnisses lässt wenig von der Begeisterung übrig, die die Verlautbarungen der
IG Metall, aber auch manche BetriebsrätInnen und Vertrauensleute verbreiten.
Die Erhöhung der Tariftabellen um rund 2,4 % auf 12 Monate gerechnet ist
nicht der große Erfolg. Das gleicht kaum die Preissteigerungen aus. Der
Produktionsfortschritt geht weiter überwiegend in die Kassen des Kapitals.

Die maximal 5 Tage zusätzlicher
Urlaub sind durchaus etwas, was vielen nützt, den zunehmenden Arbeitsstress
oder private Belastungen zu bestehen – so es für sie finanziell verkraftbar
ist. Wie weit diese Möglichkeit tatsächlich genutzt wird, bleibt abzuwarten.

Die Regelung verliert bei der
Umwandlung in Urlaub übrigens ihre „soziale Komponente“: Der zusätzliche
Urlaubstag ist für alle Entgeltgruppen der gleiche! Wenn er freiwillig genommen
wird, ist das dennoch okay. Nicht aber, wenn aus dieser
Urlaubs-Flatrate per Betriebsvereinbarung ein Zwang werden würde. In etlichen
Betrieben der Metall- und Elektroindustrie, so bei Ford, Opel, Audi, wird die
Umwandlung der dort „tarifliches Zusatzgeld (T-ZUG)“ genannten Komponente schon
als Kurzarbeitsinstrument (ohne KurzarbeiterInnengeld) genutzt.

Betrachtet man jedoch, was
eigentlich tarifpolitisch nötig wäre, sieht der Abschluss schlecht aus. Der
zunehmende Arbeitsdruck; bevorstehende Angriffe auf Arbeitsplätze und
Standorte; massive Arbeitsplatzverluste durch E-Mobilität, Digitalisierung und
Industrie 4.0; die Ausdifferenzierung der Belegschaften in überausgebeutete
LeiharbeiterInnen und Ausgegliederte einerseits und tarifliche
Stammbelegschaften andererseits – all das wurde schon im Vorfeld bei der
Debatte um die Aufstellung der Forderungen ausgeblendet. In der betrieblichen
Wirklichkeit bestimmt dies viel mehr das Arbeiten und das gewerkschaftliche
Handeln als individuell einige Urlaubstage mehr oder weniger. Bei einer
Gesamtbewertung des Abschlusses muss dies die Perspektive sein.

Als Mittel gegen die schon bestehenden
und drohenden weiteren Arbeitsplatzverluste hätte die Forderung nach einer
kollektiven Arbeitszeitverkürzung erhoben werden müssen. Die
Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahren gestiegen, so dass mit weniger
KollegInnen in der gleichen Zeit mehr produziert werden kann. Von daher wäre es
möglich und auch nötig gewesen, eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei
vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Natürlich hätte man das mit der
besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Abmilderung von Arbeitsdruck
vor allem bei Schichtarbeit verbinden müssen. Kollektive Arbeitszeitverkürzung
ist aber das einzige Mittel, um dem drohenden Arbeitsplatzabbau auf
gewerkschaftlicher Ebene etwas entgegenzusetzen.

Dass dies bei Aufstellung der
Forderungen nicht diskutiert werden konnte, zeigt auch, wie wenig die
KollegInnen in den Betrieben darüber in einer Tarifrunde entscheiden können.
Und das Ergebnis zeigt auch, dass trotz des Kampfwillens, den viele in der
Warnstreikrunde gezeigt haben, die IG Metall-Führung nicht geneigt ist, die
ganze Kampfkraft durch unbefristete Streiks in die Waagschale zu werfen. Ihr
ist ein Ergebnis, das die UnternehmerInnen nicht zu viel kostet, wichtiger, als
die Arbeitenden vor Arbeitsdruck, Arbeitsplatzverlust und prekärer
Beschäftigung zu schützen. Dieses Ergebnis reiht sich ein in die Tarifpolitik
der letzten Jahre: Die Kampfkraft der Lohnabhängigen wird nicht ausgeschöpft,
damit „Deutschland“ weiter Exportweltmeister bleibt. Auch die lange Laufzeit
von 26 Monaten gibt den UnternehmerInnen Planungssicherheit, wie VertreterInnen
der Unternehmerverbände ganz unverhohlen loben. Sie ist auch ein Geschenk für
die Bundesregierung von Seiten der (un)heimlichen MitkoalitionärInnen im IG
Metall-Apparat an ihre ParteifreundInnen von der Koalitionspartnerin SPD.

Auch der Kampf um die
35-Stundenwoche im Osten – eine Angleichung, die schon vor etlichen Jahren am
Widerstand der westdeutschen BetriebsratsfürstInnen in der Automobilindustrie
scheiterte – wird mit diesem Abschluss und der darauf folgenden Friedenspflicht
untergraben. Von der IG Metall ist dazu nur zu hören, dass sie Vereinbarungen
aushandeln wolle. Wie sollen hier Vereinbarungen auf reinem Verhandlungsweg
erzielt werden, wenn die UnternehmerInnen schon jetzt sagen, alles solle im
Osten so bleiben, weil die Produktivität dort nach wie vor geringer sei als im
Westen. Eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden wie im Westen
wird von den Arbeit„geber“Innen weiterhin abgelehnt.

Die IG Metall will sie
zumindest dazu bringen, mit ihr zu verhandeln. „Wir sind mit den Arbeitgebern
in Ostdeutschland bereits im Gespräch“, sagt Bernd Kruppa, Erster
Bevollmächtigter der IG Metall Leipzig. Doch die Arbeit„geber“Innen rühren
bereits Beton an: „Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil weiterhin. Die
längere Arbeitszeit muss bleiben“, stärkt Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger
den HardlinerInnen in Sachsen den Rücken.

Die ArbeiterInnen brauchen die
Kontrolle über ihren Kampf von Anfang an – von Aufstellung der Forderungen,
über die Durchführung, wo, wann und wie lange gestreikt wird, bis zum Abschluss
der Verhandlungen. Es darf kein Übereinkommen geben, ohne dass die Beschäftigten
in den Betrieben über die genauen Bedingungen des Tarifvertrags auf
Betriebsversammlungen und mit Aushängen eingehend informiert wurden und in
einer Urabstimmung darüber entschieden haben.




Opel: IG Metall knickt ein

Frederik Haber, Neue Internationale 229, Juni 2018

Sie nennen es Zukunftssicherung. Sicher ist dass 3700 Arbeitsplätze weg sind. Angeblich sollen die betroffenen Beschäftigen schon weitgehend freiwillig ausgeschieden sein oder dies unterschrieben haben. Wie das in Eisenach bei 450 abzubauenden Plätzen von 1800 funktionieren soll, dazu schweigt die Erklärung des IG Metall-Bezirks Mitte. Ein Kündigungsschutz für die Verbleibenden soll fünf Jahre gelten bis 2023. Dafür verzichten die Opel-Beschäftigten auf das tarifliche Zusatzgeld, das erst jetzt für alle MetallerInnen vereinbart worden war und die einzige Tariferhöhung für das Jahr 2019 darstellt. Zukünftige Erhöhungen sollen verzögert werden.

Erpressung

Erreicht hat PSA-Chef Tavares diese Zugeständnisse durch einen Investitionsstreik: Alte Modelle laufen aus oder werden – wie der Corsa – verlagert, neue Aufträge wurden zurückgehalten. IG Metall und Gesamtbetriebsrat haben den Forderungen zugestimmt, die sie zuvor noch als „Erpressung“ bezeichnet hatten.

IG Metall-Chef Hofmann feiert „den wichtigen Schritt zur Sicherung aller Standorte“. Nur, dass die eigentlich auch vorher als gesichert galten. Und dass dafür schon einiges hergegeben wurde. Für die Sicherung von OPEL waren auch schon mal die Bochumer Produktionswerke stillgelegt worden. Eisenach dürfte die nächste Zukunftssicherung nicht überleben.

Zugleich gibt es Berichte über mehrere hundert LeiharbeiterInnen, die in den Werken eingesetzt werden. Ist das Teil des Projekts, um „OPEL als starke deutsche Marke“ (Hofmann) zu erhalten? Macht OPEL gar – mithilfe der IG Metall und des Gesamtbetriebsrates – den Billigheimer, mit dem die anderen Belegschaften des PSA-Konzerns erpresst werden sollten?

Schon zu General Motors-Zeiten suchten IG Metall-Spitze und Gesamtbetriebsrat nie die internationale Solidarität im Konzern, sondern versuchten immer, den Abbau auf Werke in England, Belgien oder Spanien abzuladen. Auch der deutsch dominierte Europa-Betriebsrat wurde dahingehend instrumentalisiert, bis es schließlich den englischen KollegInnen zu bunt wurde und sie – wie in Deutschland die Bochumer Belegschaft – auf die „Hilfe“ des Gesamtbetriebsrates verzichteten. Letztlich gingen sie allein auch unter.

Die Alternative zur ständig wiederkehrenden Erpressung durch die Kapitalisten und zum gemeinsamen Selbstmord auf Raten, wie er auch jetzt ein gutes Stück weitergetrieben wurde, ist nicht der einsame Tod. Es ist der solidarische gewerkschaftliche Kampf! Über alle Grenzen in jedem Konzern und in der gesamten Branche!

Von der IG-Metall- und Betriebsratsspitze ist eine Politik nicht nur nicht zu erwarten, sie werden sie direkt zu verhindern versuchen – umso dringender ist, dass die Beschäftigen, die um ihre Existenz kämpfen wollen, sich selbst, als klassenkämpferische Basisbewegung organisieren, um die Gewerkschaften und die Betriebsräte den sozialpartnerschaftlichen FreundInnen der Konzernführung zu entreißen.




Rechte in den Betriebsräten und die IG Metall

Frederik Haber, Infomail 996, 30. März 2018

Die Kandidaturen von rechten Listen insbesondere in der Auto- und Metallbranche haben schon früh für Wirbel gesorgt. Wird die (extreme) Rechte in den Betrieben Fuß fassen? Für GewerkschafterInnen, vor allem linke, ein Albtraum. Für die bürgerlichen Medien, die gerne die AfD als ein Problem mangelnder Bildung darstellen und insbesondere in der ArbeiterInnenklasse angesiedelt sehen, die Nagelprobe. Jetzt liegen Ergebnisse vor.

Daimler

Daimler war von den Rechten speziell ins Visier genommen worden, zumal sich in Untertürkheim schon lange ein profilierter Rechtsradikaler mit der CGM (Christliche Gewerkschaft Metall) und später als „Zentrum“ im Betriebsrat etabliert hat. Es wurde wirklich Wahlkampf gemacht: Plakate, Flyer, professionelle Verteiltrupps. Die linke Betriebszeitung „alternative“ dokumentierte das Ergebnis:

Sie kommentiert: „Mit dem (…) ‚Oppositionsverständnis‘ gegen die IG Metall (anstatt gegen die Unternehmer) war Zentrum nicht so erfolgreich, wie sie dachten. Ihre Enttäuschung über das Wahlergebnis war ihnen bei der öffentlichen Auszählung anzusehen. Sie hatten sich wohl wesentlich mehr erhofft. Auch was bis jetzt an bundesweiten Ergebnissen bekannt ist, sind sie in nur wenigen Betrieben vertreten. (…) Und trotzdem ist jedes Mandat für die Rechten eines zu viel. (…) Deshalb kann man sie auch nicht einfach ‚wegschweigen‘. (…) Und wir werden uns auch in der IG Metall für eine wirksame Kampagne gegen rechts stark machen. Dazu gehört auch eine selbstkritische Sicht auf unsere eigene Arbeitsweise in der IG Metall.“

In den anderen Daimler-Werken war die Rechte deutlich schwächer:

  • Zentrale Stuttgart: 108 von 6626 abgegebenen Stimmen, kein Mandat.
  • In Sindelfingen, dem größten Standort mit über 40.000 Wahlberechtigten, bekam die IG Metall knapp 75 % (16.992 Stimmen) und hat damit 46 der 59 Betriebsratssitze. Die rechte Liste „Zentrum“ bekam 764 Stimmen, dies entspricht 3,4 Prozent und 2 Mandaten.
  • Rastatt: Über verschiedene Listen sind 29 IG Metall-Mitglieder in den 35köpfigen Betriebsrat gewählt worden. Die CGM bekam keinen Sitz. Die rechtsextreme Liste „Zentrum“ bekam 447 Stimmen und 3 Mandate.

Auch in Leipzig war „Zentrum Automobil“ erfolgreich. Bei Porsche erzielte die damit verbundene „Interessengemeinschaft Beruf und Familie“ (IG BuF) 6 % der Stimmen und 2 von 31 Sitzen. Bei BMW waren es 12 % und 4 der 35 Sitze.

Die in den Medien verbreitete Behauptung, dass bei Siemens in Görlitz aus dem Stand heraus mit 16,4 % zwei rechte Betriebsräte gewählt worden seien, wird von der IG Metall dementiert. Die IG Metall zählt bundesweit 19 Mandate für rechte Listen. Insgesamt seien in ihrem Organisationsbereich über 78 000 Betriebsratssitze in über 11 000 Betrieben zu vergeben.

Zahlen reichen nicht

Um zu verstehen, was in den Betrieben los ist, reicht es weder, einzelne Ergebnisse hochzurechnen, noch so zu tun, als sei in 10990 Betrieben die Welt in Ordnung. Um was geht es normalerweise bei Betriebsratswahlen?

Die meisten Wahlen laufen auf unglaublich niedrigem inhaltlichem Niveau ab, der Begriff „politisch“ wäre schon übertrieben. Bei den Personenwahlen sind individuelle Stellungnahmen zu Themen verpönt, auch bei Listenwahlen bewegen sich die Aussagen auf ähnlich niedrigem Niveau wie die gewohnte IG Metall-Propaganda von „guter Arbeit“ oder „schönem Leben“. Warum aber, bitte schön, sollen Betriebsratswahlen inhaltlicher tiefer gehen als Bundestagswahlen? Bei Betriebsratswahlen sind zumindest die AkteurInnen und ihre Ansichten zu betrieblichen Themen bekannt, vielleicht ihre Fähigkeiten und, ob sie sich als GewerkschafterInnen hervortun.

Von Seiten der Beschäftigten werden die Wahlen allerdings auch genutzt, um die Unzufriedenheit mit der Arbeit des Betriebsrates auszudrücken – und in diesem Jahr mindestens so sehr wie vor 4 und 8 Jahren. Es gibt zunehmend unterschiedliche Listen gerade auch von Gewerkschaftsmitgliedern. Anders als früher sind es weniger gewerkschaftsferne Angestellte, die eigene Listen aufstellen, sondern gewerkschaftlich organisierte ArbeiterInnen. Dabei spielt auch die größere Chance, in den BR einzuziehen, eine Rolle. Die persönliche Karrierechance ist aber gerade in Großbetrieben, wo BR-Mandate mit Privilegien verbunden sind, auch bei den Mehrheitslisten ein entscheidender Antrieb, oftmals mehr als bei den Initiativen von unten.

Diese vielen Gegenlisten drücken eine Unzufriedenheit mit der Politik des Co-Managements, der Deals hinter dem Rücken und/oder auf Kosten der Belegschaft oder dem schlichten Desinteresse der Spitzenbetriebsratsmitglieder für die Belange der Belegschaft aus. Selten wird diese präzise formuliert, meist wird sie an der Person der/s jeweiligen BetriebsratsfürstIn festgemacht und umgekehrt an der Glaubwürdigkeit der Gegen-ListenführerInnen.

Dort, wo es linken Einfluss gab und gibt, können solche Listen dann eine gewisse Methodik, vielleicht sogar Programmatik entwickeln. Die große Zeit der linken Listen ist allerdings vorbei und die spontanen Gegenlisten entwickeln selten Konstanz über die Wahl hinaus. Die AkteurInnen werden in den Apparat integriert oder abgestoßen – ein Prozess also, wie er in der fast durchgängig vom bürokratischen Apparat beherrschten IG Metall ständig passiert. Die Zustände in den Betrieben und die Angriffe des Kapitals provozieren Widerstand. Diejenigen, die als AktivistInnen in und mit der IG Metall aktiv bleiben wollen, werden einem echten Härtetest unterworfen, der letztlich dazu dient festzustellen, ob sie bereit sind, die Disziplin der Apparate im Betriebsrat und der IG Metall zu akzeptieren.

In Kleinbetrieben kann die IG Metall manchmal noch das Instrument des kämpferischen Teils der Belegschaft sein, auch gegen eine unternehmerhörige Betriebsratsspitze. In den Großunternehmen der Autoindustrie, ja der ganzen Auto-Branche, sieht sich die IG Metall als Garant des Export-Modells Deutschland mit Klassenzusammenarbeit auf der Ebene der Betriebe, der Konzerne, der Aufsichtsräte und der Regierung – dort vermittelt auch durch die SPD. Diese Politik muss mit einer entsprechenden Machtpolitik abgestützt werden. So wie die IG Metall in der Tarifrunde bewiesen hat, dass sie eine halbe Million in Streiks und noch mehr in Warnstreiks führen kann, ohne dass auch nur eine Belegschaft in der Aktion weitergeht als vom Apparat erlaubt, muss sie auch in der Betriebspolitik dem Kapital beweisen, dass sie die Belegschaften unter Kontrolle hat.

Erfolgsgarant Klassenzusammenarbeit?

Ihre Fähigkeit, erfolgreich zwischen Kapital und Arbeit zu vermitteln und zum Wohl des Standorts beizutragen, hält die IG Metall nicht nur für erfolgreich, sondern auch für einen Schutzwall gegen rechts. Das bringt der Vorsitzende Hofmann folgendermaßen auf den Punkt: „Der beste Weg, damit das Zentrum eine Randerscheinung bleibt, ist, unsere erfolgreiche Politik fortzusetzen.“ Anders gesagt: Rassismus und Rechtsradikalismus sind kein Problem, solange die IG Metall die Kontrolle hat. Weiter so.

Es kann mit Gewissheit angenommen werden, dass auch über die Listen der IG Metall oder völlig unpolitisch auftretende Listen AfD-Mitglieder oder -AnhängerInnen in die Betriebsräte der Metallindustrie gewählt wurden, wahrscheinlich sogar im vierstelligen Bereich. Dass Höcke in Erfurt auf IG Metall-Demos in der zweiten Reihe mitlaufen durfte und auf der Protestversammlung gegen die Schließung von Siemens in Görlitz der dortige AfD-Abgeordnete begrüßt wird, zeigt die „Normalität“, mit der die IG Metall mit der AfD umgeht, sofern diese nicht wie bei Daimler gezielt gegen die Gewerkschaft agiert.

Politik der IG Metall

Das „Netzwerk-Info“ der Gewerkschaftslinken beschreibt: „Im Report Mainz am 27. Februar 2018 kam ein IG Metall-Vertrauensmann vom Werk Rastatt zu Wort, der sich seit Jahren gegen rechte Tendenzen im Betrieb engagiert – gegen Widerstände vor allem aus den eigenen Gewerkschaftsreihen. Er kritisierte die IG Metall und fühlt sich im Stich gelassen ‚von den Kollegen im Betriebsrat und auch von der Gewerkschaftsspitze. Die Linie von oben ist eben: Den Kampf nehmen wir gar nicht erst auf. Es ist besser so, wir ducken uns da weg und das Problem geht damit vorbei.’“

Das hat seinen Grund. Die „erfolgreiche Politik“, die IGM-Chef Hofmann fortsetzen will, ist keine Waffe gegen die Rechten, sondern fördert sie. Ihrem weitgehend undiskutierten Inhalt nach ist sie Klassenkollaboration – nicht nur mit dem jeweiligen Unternehmen, wie das Betriebsräte urwüchsig tun, sondern mit einem führenden Teil des deutschen Kapitals, dem Exportkapital. Der Export von Autos, Maschinen, Waffen und Großchemie ist zugleich die wichtigste Waffe des deutschen Imperialismus in der globalen Konkurrenz und zur Ausbeutung der Halbkolonien. Die IG Metall hat die Standort-Deutschland-Politik zur Perfektion entwickelt und alle dafür nötigen Maßnahmen, von Leiharbeit, Flexibilisierung, Ausgliederungen, Einschränkung des Streikrechts bis zu Industrie 4.0 und Abgaspolitik aktiv unterstützt. Das wurde mit den Extraprofiten aus dem Export geschmiert, wie sich in Korruption bei den BetriebsratsfürstInnen und den Privilegien für die Stammbelegschaften der Auto-Industrie zeigt.

Die innergewerkschaftliche Diskussion wurde dafür weitgehend entpolitisiert: keine Debatte zu Einschränkungen des Streikrechts. Die Gesetzesnovelle zur Leiharbeit war kein Thema, höchstens oberhalb der betrieblichen Funktionärskaste. Selbst die SPD, mit der doch auf höchster Ebene aufs Engste kooperiert wird, kommt nicht als solche vor, sondern immer nur „die Politik“, die gewissermaßen „natürlich“ eine sozialdemokratische und vor allem sozialpartnerschaftliche sein solle. Wahlaufrufe sind, wenn überhaupt, solche, nicht die AfD zu wählen. Sie sind völlig unvermittelt, da sie mit der Tagespolitik der Gewerkschaft nichts zu tun haben, und werden oftmals als Bevormundung aufgefasst, was sie – wie die ganze IGM-Propaganda – letztlich auch sind.

Wie sollen denn der Nationalismus und Rassismus der AfD und der rechten Listen bekämpft werden, wenn ein Hauptbestandteil der „erfolgreichen“ IGM-Politik die Standortvereinbarungen sind, die Arbeitsplätze in Deutschland gegen die Lohnabhängigen im Ausland sichern? Man braucht diese gar nicht rassistisch zu beschimpfen, ja man kann sie sogar bedauern. Wenn man eine Politik betreibt, die diese ganz praktisch als BedroherInnen des „eigenen“ Arbeitsplatzes darstellt, die einen zu Opfern und Verlusten zwingen, ist der Weg nicht weit, MigrantInnen und Geflüchtete als GegnerInnen und Bedrohung zu betrachten. Die Kampagne „kein Platz für Rassismus“ ist dann das Alibi für die Praxis der IGM, die dem Rassismus den Boden bereitet und nicht bekämpfen kann. Die Kampagne verkommt so notwendigerweise zu einer Spielwiese für BasisaktivistInnen und verbleibt weitgehend auf der Ebene humanistischen Gutmenschentums in Eintracht mit PastorInnen und Fussballstars.

Die Strategie des Zentrums Automobil

Während der Großteil der Rechten in der IG Metall also sauber im Gefolge des Apparates mitschwimmen kann (und auch brave Sozis rassistische Ansichten entfalten können), haben „Zentrum Automobil“ und sein Frontmann Oliver Hilburger einen anderen Ansatz gesucht. Sie greifen die IG Metall da an, wo der Verrat der Führung deutlich wird:

„Die Herausforderungen der Zukunft liegen in der immer weiter um sich greifenden Globalisierung und deren negativen Folgen. Diese Herausforderung bedarf eines völlig neuen gewerkschaftlichen Ansatzes. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, neue Strategien zu entwickeln. Auswege und Lösungen müssen, für die sich aus der Globalisierung ergebenden Veränderungen und Herausforderungen, aufgezeigt und angeboten werden. (…) – Kampf gegen Korruption und Co-Management. (…) Aufbau einer gewerkschaftlichen Opposition, da in vielen Fällen die Einheits- bzw. Monopolgewerkschaften nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems sind!

Wir sind gegen:

Arbeitsexport
Co-Management
Begünstigung und Korruption
Lohnverzicht als Erpressungsmittel
Intransparenz
Faule Kompromisse.“ (http://zentrum-auto.de/)

Das Zentrum kombiniert Nationalismus und Rassismus vergleichsweise geschickt mit einem Angriff auf Privilegien, Korruption, Kungelei der Gewerkschaftsbürokratie. Seine rechtsextreme, nationalistische Einstellung kommt in der Ablehnung jedes „Arbeitsexports“ zum Ausdruck. Die Forderung wäre also ein extremer Protektionismus, der weit über den eines Trump hinausginge. Da der „Export von Arbeit“(-splätzen) schwer zu verhindern und mit den Interessen eines auf den Weltmarkt orientierten Kapitals unvereinbar ist, bleibt als unmittelbares Ziel, den Zustrom von Arbeit(-skräften) aus anderen Ländern zu verhindern. Rassismus bildet den Kern der rechten Betriebspolitik, die in „oppositionell“ verpackt wird.

Bemerkenswert und bedrohlich zugleich ist, dass das Zentrum den Wahlkampf in Untertürkheim tatsächlich als Protestbewegung gestalten konnte. Über 170 Beschäftigte ließen sich auf ihrer Liste als KandidatInnen eintragen, die Hälfte davon mit Migrationshintergrund. Auch wenn darunter bekannte UnterstützerInnen der Grauen Wölfe, von Chrysi Avgi und andere faschistischer Gruppierungen waren, so liegt die eigentliche Bedeutung des Untertürkheimer Ergebnisses darin, dass es den FaschistInnen gelungen ist, eine Basis unter den ArbeiterInnen aufzubauen – anders als in den meisten anderen Betrieben, wo die Zustimmung von wenigen Prozenten eher noch eine „normale (Protest-)Wahlerscheinung“ bleibt. Doch das kann sich in den nächsten Jahren ändern, wenn die IG Metall ihre Politik weiter verfolgt, die AfD und andere Rechte wie Compact daran gehen, mit viel Geld und Apparat eine „nationale Opposition“ aufzubauen, und die IG Metall ihre Politik fortsetzt. Diese wird nämlich zunehmend in Widerspruch zu den Interessen ihrer Mitglieder geraten, insbesondere wenn sich die konjunkturelle Lage verschlechtert und damit der sozialpartnerschaftliche Spielraum verengt.

Linke Alternativen ?

Gegen diese Gefahr reicht bloße Empörung über das Phänomen rechter Gegenkandidaturen nicht. Erst recht hilft es nichts, daraus den Schluss zu ziehen, die Listen der IG Metall unkritisch zu unterstützen. Das ist kein Wunder bei der SPD, bei der Linkspartei und ihren AnhängerInnen, die immer und überall den Apparat unterstützen bzw. Teil desselben sind. Sie fordern gelegentlich, mehr gegen Rechte zu tun. Allein, in der Praxis tragen sie die Politik Jörg Hofmanns mit und damit auch sein oben zitiertes „weiter so“.

Ähnlich sieht es bei DKP und MLPD aus, die fast überall die Einheit beschwören und sich in deren Namen dem Apparat unterordnen. Bei Daimler in Untertürkheim betreibt die MLPD allerdings seit Jahren eine eigene Liste entgegen ihrem eigenen Dogma, keine gewerkschaftsoppositionellen Strukturen aufzubauen. Dieser Schwenk wurde jedoch vollzogen, nachdem ihr Protagonist Kraft aus der IG Metall ausgeschlossen worden war. Ausgerechnet diese Liste hat jetzt 2 von 3 Sitzen verloren, ihre WählerInnen dürften entweder angesichts der Polarisierung im Betrieb zurück zur IG Metall gegangen sein, die 2 Sitze gewonnen hat, manche gar zum Zentrum. Wäre schön, wenn das nicht die opportunistische Linie innerhalb der MLPD stärkt, sondern die Positionierung gegenüber der IG Metall-Spitze, die in den letzten Jahren etwas schärfer geworden ist, besser fundiert wird. Die Kritik ihrer Untertürkheimer Liste am Apparat und seiner Politik war leider stets auf erbärmlich populistischem Niveau und nicht unähnlich der des Zentrums: Es reicht nicht, „Co-Management“ zu denunzieren. Man muss sagen, worin es besteht und was die Alternativen sind.

Inhaltlich rechts von DKP und MLPD positionierte sich die Stuttgarter „Initiative Klassenkampf“. Sie ist eine lose Formation im Umfeld des Autonomen Zentrums „Lilo Hermann“, bei der auch einige Daimler Beschäftigte mitmachen. Diese Initiative war ungeheuer aktiv dabei, dem ZENTRUMs-Wahlkampf auch vor dem Betrieb etwas entgegenzusetzen. In dem Heft „Faktencheck Zentrum Automobil“ ruft sie auf, „sich klar gegen rechts auszusprechen und auch hier im Betrieb aktiv zu werden.“ Aber sie verbinden die Aufklärung und Agitation gegen den Rechten mit einer opportunistischen Haltung zur Gewerkschaftsbürokratie. Die Losung „In einem Betriebsrat braucht es eine Opposition!“, die das „Zentrum“ von Linken abgekupfert hat, wird mit der Begründung abgelehnt, dass der Betriebsrat ja die Opposition zur Geschäftsführung wäre. Schön wär’s.

Als nächstes greifen sie die Aussage an, dass die IG Metall Co-Management betreibe. Dagegen wird angeführt, dass die IG Metall seit 50 Jahren Tariferfolge erreicht habe. Anschließend wird noch der Autoexport völlig unkritisch verteidigt wird, lediglich ein „fairer“ Welthandel wird angemahnt. Diese Linie, die auch die von Jörg „Weiter So“ Hofmann ist.

Der Ansatz der „Alternative“ in Untertürkheim ist demgegenüber richtig: für eine wirksame Kampagne gegen rechts und dabei die (eigene) IG Metall-Politik kritisch betrachten. Alle, die gegen die Rechten in den Metallbetrieben kämpfen wollen, sollten zu einer Konferenz zusammenkommen, um dort folgende Themen zu diskutieren und dazu gemeinsame Aktionen zu vereinbaren:

  • Wie Rassismus bekämpfen?
  • Für eine kämpferische Antwort gegen Standortschließungen und Verzichtsvereinbarungen
  • Für eine internationalistische Antwort auf Standortsicherung und „Standort Deutschland“

Dazu ist eine Debatte über die Politik der Gewerkschaft bzw. ihrer Führung notwendig und die Kräfte aus der IG Metall, der LINKEN und der SPD können und müssen sich dieser stellen.

Eine anti-rassistische Bewegung in den Betrieben hätte auch die Chance, die gesamtgesellschaftliche Bewegung gegen Rassismus aus der Perspektivlosigkeit herauszuholen, in der sie derzeit steckt.

Strategisch muss die Linke ihre Ignoranz gegenüber den Gegenlisten von der Basis aufgeben. Die ProduktionsarbeiterInnen, teilweise auch die FacharbeiterInnen, haben mit ERA und den Standortvereinbarungen viel verloren. Ihre Arbeitsplätze sind es, die bedroht sind. Die IG Metall tritt im Betrieb selten als Gewerkschaft, als „Organisation der Lohnabhängigen“ auf, sondern in Person der FunktionärInnen, meistens der Betriebsratsmitglieder. Da zudem Vertrauenskörper nur in einer Minderheit der Betriebe existieren und dann oftmals dem Betriebsrat untergeordnet sind, findet der Kampf dafür, die Gewerkschaft wieder zu der eigenen zu machen, notwendig den Weg über Kandidaturen und eigene Listen.

Hier können Linke helfen, den Unmut zu formulieren, ihm Ausdruck geben und zugleich die Diskussion beginnen über die Ursachen des Verrats, der Korruption und des Gekungels mit dem Chef. Eine Diskussion, die auch aufzeigen muss, dass die Lösung nicht innerhalb eines Betriebes möglich ist, sondern eine Vernetzung erfordert, eine Bewegung über die Betriebe hinweg – für eine andere Politik der IG Metall, einen anderen, demokratischen Aufbau und ohne die Schicht der BürokratInnen, die sie voll im Griff haben. Der erste, aber keineswegs leichte Schritt dahin ist eine klassenkämpferische, oppositionelle Basisbewegung.




Gut gekämpft! Guter Abschluss?

Frederik Haber, Infomail 986, 9. Februar 2018

Eine halbe Million Kolleginnen und Kollegen in ganztägigen, bezahlten Warnstreiks, mehrere hunderttausende schon vorher in mehreren Warnstreikwellen aktiv – an Kampfeswillen fehlte es nicht. Dann wurde erneut lange an einem Ergebnis gefeilt. Es ist ein Ergebnis, das nicht ganz einfach zu bewerten und somit für KollegInnen kaum noch zu durchschauen ist. Gleichzeitig macht der Abschluss auch Türen auf für eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeiten.

Entgelt

Man kann Tariferhöhungen unterschiedlich bewerten. Auf lange Sicht ist die Erhöhung der Tabellenwerte entscheidend, für den Lebensunterhalt das Volumen im laufenden Jahr das wichtige.

Die Tabellenerhöhung von 4,3 % klingt gut, ist aber die einzige Erhöhung der Entgeltgruppen während der gesamten Laufzeit von 27 Monaten. Das wäre also eine jährliche Erhöhung von weniger als 2 %. Dazu kommt aber das völlig neue Tarifliche Zusatzgeld (T-ZUG) ab dem Jahr 2019, das einmal jährlich im Juli ausbezahlt werden soll. Es setzt sich aus 400 Euro Festbetrag und 27,5 % eines Monatseinkommens zusammen. Die 400 Euro sollen zukünftig auch bei Tariferhöhungen steigen. Diese 400 Euro sind die erste Sockel-Erhöhung in der Metall- und Elektro-Industrie. Bisher wurde eine solche Forderung immer heftig bekämpft, wenn sie aus den Vertrauenskörpern kam. Andererseits haben 400 Euro im Jahr natürlich nur einen sehr bescheidenen Anteil am Jahreseinkommen. Die Schere, die zwischen niedrigen und hohen Einkommen immer größer wird, wird damit nicht wirklich geschlossen.

Die 400 Euro im Jahr entsprechen bei 13,2 Monatseinkommen rund 30 Euro im Monat. Das ist für die untersten Entgeltgruppen etwas mehr als ein Prozent, für die höheren fällt das auf ungefähr ein halbes.

Die 27,5 % selbst entsprechen einer Tariferhöhung von etwa 2 %, wenn man 13,2 Monatsgehälter zugrunde legt, die Tarifbeschäftigte nach 3 Jahren erhalten. Zusammen ergibt sich also eine Erhöhung der Tarifentgelte von 4,3% + 2% + 0,9% (geschätzter Mittelwert), also gut 7%  über 27 Monate.

Wieviel mehr im Geldbeutel?

Die Tariferhöhung von 4,3 % kommt ja erst am 1.4. Zuvor gibt es 2 Nullmonate und 100 Euro für den März 2018. Trotzdem errechnet die IG Metall in Baden-Württemberg, dass die Beschäftigten – je nach Entgeltgruppe – rund 4 % in diesem Jahr mehr im Geldbeutel hätten. Das stimmt dann, wenn man das Volumen 2018 mit dem Volumen 2017 vergleicht. Auch im letzten Jahr wurde die Tariferhöhung ja erst zum 1. April wirksam.

Wenn man aber das Volumen ab dem Zeitpunkt der Laufzeit – also ab 1. Jan. 2018 – rechnet, dann erhöhen 4,3 % in neun Monaten das Jahreseinkommen nur um knapp 3 %, zu denen dann noch 100 Euro Einmalbetrag kämen.

Die gleiche Betrachtung findet dann 2019 noch mal statt: Das T-ZUG erhöht das Volumen 2019 um gut 3 % im Vergleich zum realen Volumen 2018, im Vergleich zum dann existierenden Niveau sind es nur gut 2 %.

Nicht vergessen werden sollte, dass das T-ZUG bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten verschoben, gekürzt oder gestrichen werden kann. Die Formulierung „ … wenn dies dem Erhalt…der Wettbewerbsfähigkeit dienlich ist“ lässt wohl alles zu. Ebenso kann es Ausnahmen bei der sozialen Komponente geben „in Betrieben mit einem hohen Anteil unterer Entgeltgruppen“.

Generell scheint dieses T-ZUG gerade dazu vorherbestimmt zu sein, bei Standortsicherungen etc. als erstes geopfert zu werden. Seine eigentliche Bestimmung ist aber eine andere: Über diese Hilfskrücke können die Unternehmen einen ganz kleinen Beitrag zur individuellen Arbeitszeitverkürzung leisten ohne das zuzugeben.

Arbeitszeit

Durchgesetzt hat sich die IG Metall zwar mit dem Recht auf individuelle „verkürzte Vollzeit“, mit der die Arbeitszeit befristet auf bis zu 28 Stunden abgesenkt werden kann Umsonst hat sie dieses individuelle Recht aber nicht von den UnternehmerInnen bekommen. Dagegen sind aufzurechnen die Beschränkung auf Gewährung nur bis zu einer angezeigten Überlastquote von 10 %, Veto für die Unternehmen bei „Schlüsselqualifikationen“ der Beschäftigten und ähnliche Beschränkungen. Letztlich sind die UnternehmerInnen nicht generell gegen eine solche Regelung. Sie wollen sie halt nur dann gewähren, wenn sie es für nötig oder sinnvoll halten.

Der teilweise finanzielle Ausgleich für Beschäftigte, die Kinder betreuen, Pflegearbeit leisten oder hohe Belastungen durch Schicht haben, findet aber auf völlig anderem Weg statt als gefordert. Das war eines der Zugeständnisse der IG Metall Führung, um die individuelle Arbeitszeitreduzierung den UnternehmerInnen schmackhaft zu machen. Gegen eine Ausgleichszahlung sind sie ja bekanntlich Sturm gelaufen. Die Vier vor dem Komma schmerze, sagte Südwestmetall-Chef Stefan Wolf im Anschluss an die Verhandlungen. Immerhin habe man aber mit der langen Laufzeit von 27 Monaten für Planungssicherheit gesorgt. „Ich glaube das neue Tarifsystem ist vernünftig ausbalanciert.“ (zit. nach neues-deutschland.de vom 6.2.18)

Getrennt von dieser „verkürzten Vollzeit“ können diese Personengruppen ihr T-ZUG in 6 freie Tage umwandeln, auf die die Firma dann noch 2 weitere drauflegt. 14 Stunden im Jahr sind also das, was Unternehmen zukünftig in wenigen Einzelfällen gewillt sind, als Ausgleichszahlung für den Lohnverlust darzubringen.

Dazu stellt sich die Frage, wer die „verkürzte Vollzeit“ überhaupt in Anspruch nehmen wird, da die Regelungen, wer davon Gebrauch machen darf, restriktiv und kompliziert sind. Aber wie das T-ZUG gelten alle Arbeitszeitregelungen auch erst ab 2019.

Flexibilisierung

Der Preis, den die IG Metall gezahlt hat, sind vielfältige Möglichkeiten zur Flexibilisierung nach oben. Oder anders ausgedrückt: Die individuelle Arbeitszeitverkürzung können sie nicht nur ausgleichen, sondern durch Vereinbarungen mit den Betriebsräten die 40-Stunden-Stellen etc. auch erheblich ausweiten. So kann ins Arbeitszeitvolumen der Mehrstundenverträge, die in Baden-Württemberg 18 % der Belegschaft haben dürfen, das Minus an Teilzeitbeschäftigtenstunden im Vergleich zur tariflichen Vollzeit hinzugerechnet werden. Jede Teilzeitstelle, die durch die „verkürzte Vollzeit“ dazu kommt, ermöglicht dann weitere Mehrstundenverträge.

Das hat auch die IG Metall erkannt und ein Verhandlungspäckchen eingebaut, um diese weitere Flexibilisierungsmöglichkeit den Betriebsräten schmackhaft zu machen: Bisher haben Betriebsräte keine Eingriffsmöglichkeit, wenn Betriebe einfach mehr als 18 % der Beschäftigten längere Verträge geben. Jetzt können sie ein Ablehnungsrecht bekommen, aber dann steigt die Quote auf 22 %. Insgesamt gibt es sehr viele Varianten, aber sie laufen alle auf mehr Flexibilisierung und mehr Verträge jenseits der 35 hinaus.

Bewertung

Eine genaue Betrachtung des Ergebnisses, lässt wenig von der Begeisterung übrig, die die Verlautbarungen der IG Metall, aber auch viele BetriebsrätInnen und Vertrauensleute verbreiten. Die Erhöhung der Tariftabellen um rund 4,5 bis 5 % in 27 Monaten ist nicht der große Erfolg. Das gleicht kaum die Preissteigerungen aus, deren Rate zuletzt auf 1,8 % geklettert ist. Der Produktionsfortschritt geht weiter überwiegend in die Kassen des Kapitals. Die Kosten der 2 Tage für einige Wenige fallen ökonomisch überhaupt nicht ins Gewicht.

Die 28 Stunden verkürzte Vollzeit sind durchaus etwas, was vielen nützt, den zunehmenden Arbeitsstress oder private Belastungen zu bestehen – so es für sie finanziell verkraftbar ist. Wie weit diese Möglichkeit wie auch die 8 Tage für Belastete tatsächlich genutzt werden, bleibt abzuwarten. Das Gleiche gilt umgekehrt auch für die Flexi-möglichkeiten, die sich für die Unternehmen öffnen.

Nimmt man noch dazu, was eigentlich tarifpolitisch nötig wäre, sieht der Abschluss noch schlechter aus: Die Ausweitung der Arbeitszeiten, die in den letzten Jahren schon stattgefunden hat; der zunehmende Arbeitsdruck; bevorstehende Angriffe auf Arbeitsplätze und Standorte, wie es Bombardier und Siemens ankündigen; massive Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung und Industrie 4.0; die Ausdifferenzierung der Belegschaften in überausgebeutete LeiharbeiterInnen und Ausgegliederte und anderseits tarifliche Stammbelegschaften – all das wurde schon im Vorfeld bei der Debatte um die Aufstellung der Forderungen ausgeblendet. In der betrieblichen Wirklichkeit bestimmt dies viel mehr das Arbeiten und das gewerkschaftliche Handeln als eine individuell verkürzte Vollzeit. Bei einer Gesamtbewertung des Abschlusses muss dies die Perspektive sein. Als Mittel gegen die schon bestehenden und drohenden weiteren Arbeitsplatzverluste hätte die Forderung nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung erhoben werden müssen. Die Arbeitsproduktivität ist in den letzten Jahren gestiegen, so dass mit weniger KollegInnen in der gleichen Zeit mehr produziert werden kann. Von daher wäre es möglich und auch nötig gewesen, eine kollektive Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu fordern. Natürlich hätte man das mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Abmilderung von Arbeitsdruck vor allem bei Schichtarbeit verbinden müssen. Kollektive Arbeitszeitverkürzung ist aber das einzige Mittel, um dem drohenden Arbeitsplatzabbau auf gewerkschaftlicher Ebene etwas entgegenzusetzen.

Dass dies bei Aufstellung der Forderungen nicht diskutiert werden konnte, zeigt auch, wie wenig die KollegInnen in den Betrieben über die endgültige Aufstellung der Forderungen in einer Tarifrunde entscheiden können. Und das Ergebnis zeigt auch, dass trotz des Kampfwillens, den die KollegInnen in der Warnstreikrunde gezeigt haben, die IG Metall-Führung nicht geneigt ist, die ganze Kampfkraft der KollegInnen in die Waagschale durch unbefristete Streiks zu werfen. Ihr ist ein Ergebnis, das die UnternehmerInnen nicht zu viel kostet, wichtiger, als die KollegInnen vor Arbeitsdruck, Arbeitsplatzverlust und prekärer Beschäftigung zu schützen. Dieses Ergebnis reiht sich ein in die Tarifpolitik der letzten Jahre: Die Kampfkraft der KollegInnen wird nicht ausgeschöpft, damit „Deutschland“ weiter Exportweltmeister bleibt. Auch die lange Laufzeit von 27 Monaten gibt den UnternehmerInnen Planungssicherheit wie ein Vertreter des Unternehmerverbandes ganz unverhohlen lobt. Sie ist auch ein Antrittsgeschenk für Deutschlands „neue“ Bundesregierung von Seiten der (un)heimlichen MitkoalitionärInnen im IG Metall-Apparat an ihre ParteifreundInnen von der Juniorkoalitionspartnerin SPD.

Auch der Kampf um die 35-Stundenwoche im Osten – eine Angleichung, die schon vor etlichen Jahren am Widerstand der westdeutschen Betriebsratsfürsten in der Automobilindustrie scheiterte – wird mit diesem Abschluss und der darauf folgenden Friedenspflicht untergraben. Von der IG Metall ist dazu nur zu hören, dass sie Vereinbarungen aushandeln wolle. Wie sollen hier Vereinbarungen auf reinem Verhandlungsweg erzielt werden, wenn die UnternehmerInnen schon jetzt sagen, alles solle im Osten so bleiben, weil die Produktivität dort nach wie vor geringer ist als im Westen.

Eine Angleichung der Arbeitszeit von 38 auf 35 Stunden wie im Westen wird von den Arbeit„geber“Innen weiterhin abgelehnt. Die IG Metall will sie zumindest dazu bringen, mit ihr zu verhandeln. Das müsse die Gewerkschaft „in unseren regionalen Übernahme-Verhandlungen für Berlin und Brandenburg sowie für Sachsen erreichen“, sagte Bezirksleiter Olivier Höbel am Dienstag. Doch die Arbeit„geber“Innen rühren bereits Beton an: „Der Osten braucht diesen Wettbewerbsvorteil weiterhin. Die längere Arbeitszeit muss bleiben“, stärkte Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger den Hardlinern in Sachsen den Rücken. (zit. nach neues-deutschland.de vom 7.2.18)

Die KollegInnen brauchen die Kontrolle über ihren Kampf von Anfang an – von Aufstellung der Forderungen, über die Durchführung, wo, wann und wie lange gestreikt wird, bis zum Abschluss der Verhandlungen. Es darf kein Übereinkommen geben, ohne dass die KollegInnen in den Betrieben über die genauen Bedingungen des Tarifvertrags auf Betriebsversammlungen und mit Aushängen eingehend informiert wurden und in einer Urabstimmung darüber entschieden haben.




Tarifrunde Metall – Volle Mobilisierung für Streik!

Frederik Haber, Neue Internationale 226, Februar 2018

Die Warnstreikwellen hatten gezeigt, dass die Belegschaften bundesweit kampfbereit sind. Hunderttausende beteiligten sich in den ersten Wochen. Die hohe Auslastung der Werke verleiht zusätzlich Gewissheit, dass diesmal wirklich etwas durchzusetzen ist.

Die Unternehmerverbände haben ihre Taktik aufgegeben, die Forderung nach einer befristeten „verkürzten Vollzeit“ als illegal zu diffamieren, lediglich die Aufzahlung sehen sie noch als Ungleichbehandlung. Als ob nicht Tarifverträge immer für die Mitglieder einer Gewerkschaft etwas Besseres vereinbaren sollen!

Gegen die Blockade helfen keine faulen Kompromisse!

Dazu haben aber nicht nur die Warnstreiks beigetragen, sondern auch die Andeutung der IG Metall-Verhandlungsführung, dass sie bei der Flexibilisierung den UnternehmerInnen noch weiter entgegenkommen wolle. Die Rede ist von noch mehr 40-StünderInnen oder Öffnungen bei Ruhezeiten.

Solche faulen Kompromisse sind nicht nur völlig unnötig, sondern auch gänzlich kontraproduktiv. Erleichterungen für die einen dürfen nicht mit Mehrbelastungen für andere erkauft werden. Die Forderung nach einer „verkürzten Vollzeit“ trug von Anfang an den Geburtsfehler, nur ein Trostpflaster für einzelne statt einer generellen Entlastung zu sein, die allen nutzt, wie es auch von der Mehrheit in der großen Befragung der IG Metall gefordert worden war. Die Arbeitsbelastung würde mit einem solchen Deal noch schlimmer. Die Arbeitszeiten würden noch mehr auseinandergerissen und die „verkürzte Vollzeit“ zum Notnagel für diejenigen, die den noch weiter gestiegenen Stress nicht mitmachen können.

Das Ziel der Gewerkschaft muss aber darin liegen, gesunde, familien- und menschenfreundliche Arbeitszeiten für alle zu erreichen!

Der letzte Verhandlungstermin in Baden-Württemberg war am 24. Januar. Dieser sollte die Grundlage für die Entscheidung bilden, ob weiterverhandelt wird oder die Kampfmaßnahmen verschärft werden. Der IG Metall-Vorstand traf sich am 26. Januar, zum Zeitpunkt unserer Drucklegung war das Ergebnis seiner Beratungen aber noch nicht bekannt.

Szenarien

Nachdem diese Verhandlungen in der 4. Runde dann doch trotz viel Vorarbeit auf der zweiten Ebene und bis in den Abend des 25. Januar andauernd ohne Ergebnis abgebrochen wurden, sind verschiedene Möglichkeiten denkbar.

Erstens könnten die Unternehmerverbände bis zum 26. Januar noch einlenken und am folgenden Wochenende mit dem IGM-Vorstand einen Kompromiss zusammenzimmern. Dieser dürfte allerdings teuer werden. Gerade in Bayern und Baden-Württemberg, wo die Autoproduktion allen Skandalen zum Trotze derzeit auf Hochtouren läuft, sind die Erwartungen sehr hoch. So manche/r RednerIn auf den Warnstreikkundgebungen sprach davon, dass – würde die Forderung jetzt aufgestellt – man wohl eher 8 Prozent fordern würde. Mit anderen Worten: Ein Abschluss muss eine satte 4 vor dem Komma haben.

Eine zweite Möglichkeit ist der Einsatz der im Bürokratendeutsch „Zweite Eskalationsstufe“ genannten 24-Stunden-Streiks. Diese werden wie Streiks bezahlt und werden mit Sicherheit in den großen Produktionsbetrieben mit Kampftradition gerne befolgt. Tatsächlich dürften sie in manchen Betrieben auch zu wirtschaftlimem Druck auf die Unternehmen führen. Aber dieser ist begrenzt.

Diese Streiks können ohne Urabstimmung angesetzt werden. Die Mitglieder werden nicht befragt, ob es Streik geben soll oder ob sie diese bezahlten Warnstreiks wollen. Sie werden nachher nicht gefragt, ob sie mit dem Ergebnis zufrieden sind oder weiter streiken wollen.

Die Betriebe sind schon lange ausgewählt worden, sie hatten keine Mitsprache. Für die Entfaltung der Kampfkraft ist es am besten, wenn die Belegschaften selbst entscheiden, wie sie kämpfen wollen: ob sie sich zutrauen, den Betrieb längere Zeit stillzulegen, oder nur einen längeren Warnstreik durchhalten.

Die dritte Variante ist ein Streik in einem oder zwei Tarifbezirken. Wenn ernsthaft Druck auf die UnternehmerInnen ausgeübt werden soll, ist dies das beste Mittel. Tatsächlich scheint es sogar unter höheren Apparatschiks einige zu geben, die der Meinung sind, dass es effektiver ist, auf einen Teil der Unternehmen größeren Druck auszuüben, als flächendeckend mit Ein-Tages-Streik zu hantieren.

Kampftaktik

Uns geht es darum, die Kampfziele durchzusetzen, nicht um eine möglichst klug dosierte „Effektivität“, die zu einem „guten Kompromiss“ führen soll, also einem „vorzeigbaren“ oder schöngeredeten Ergebnis, das aber anderseits die Konkurrenzfähigkeit „unserer“ Betriebe, also des deutschen Kapitals, nicht gefährden soll.

Auch wenn von Vorstand und Bezirksleitungen zuletzt immer wieder betont wurde, dass es nur einen Abschluss mit allen drei Bestandteilen – Tariferhöhung, verkürzte Vollzeit und einen Teillohnausgleich für bestimmte Gruppen – geben wird, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie noch immer an möglichen Kompromisslinien basteln. Eine davon könnte – wieder einmal – der Osten sein. Dort steht 2018 auch eine Tarifrunde zur Angleichung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden an. Damit diese ohne Lohnverlust und bei gleichzeitigen Neueinstellungen erkämpft und auch ohne längere „Übergangsfristen“ umgesetzt wird, braucht es die Solidarität aller MetallerInnen, ja der gesamten Gewerkschaftsbewegung. Eine Koordinierung der beiden Tarifrunden wäre dazu das beste und einfachste Mittel. Doch genau das fürchtet die Gewerkschaftsführung, weil sie letztlich den Arbeitskampf begrenzen will, nicht „zu viel“ und zu viel unkontrollierbare Dynamik sehen will.

Um eine möglichst effektive, breite Kampfbewegung herzustellen, braucht es daher eine entschlossene Kampftaktik – die möglichst rasche Einleitung der Urabstimmung und zwar nicht nur in ein, zwei Pilotbezirken, sondern in der ganzen Fläche.

Über diesen Schritt sollen nicht der Vorstand oder selbsternannte TarifexpertInnen, sondern die Mitglieder demokratisch entscheiden!

  • Die Kontrolle über den Kampf dadurch, dass die Entscheidung über die Aktionen bei der Belegschaft, den Gewerkschaftsmitgliedern, den Vertrauensleuten und von ihnen gewählten und abwählbaren Streikkomitees liegt.
  • Die Kontrolle über die Arbeitszeit: Die Beschäftigten müssen in ihren Abteilungen Forderungen nach mehr Personal zur Entlastung der Arbeitenden aufstellen. Die Betriebsräte müssen sich das zu eigen machen. Die Strategie der Konzernführungen, überall noch mehr aus den Menschen rauszupressen, muss von der Gewerkschaft generell bekämpft werden – nicht mit Trostpflastern für die, die nicht mehr können.
  • Zusammenlegung und enge Koordinierung des Kampfs um Entgelt, Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeitszeitregelung im Westen mit dem um Verkürzung auf 35 Stunden im Osten – dazu braucht es Kontrolle über die Kampftaktik und über etwaige Verhandlungen. Kein Abschluss, kein Aussetzen von Aktionen ohne Zustimmung der Basis!



Gegen die Blockade helfen keine faulen Kompromisse! Volle Mobilisierung für Streik!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur Metall-Tarifrunde Nr. 1/18, Infomail 982, 18. Januar 18

Die erste Warnstreikwelle hat gezeigt, dass die Belegschaften bundesweit kampfbereit sind. Hunderttausende beteiligten sich in der ersten Woche. Die hohe Auslastung der Werke verleiht zusätzlich Gewissheit, dass wir diesmal wirklich etwas durchsetzen können.

Die Unternehmerverbände haben ihre Taktik aufgegeben, die Forderung nach einer befristeten „verkürzten Vollzeit“ als illegal zu diffamieren.

Keine Tauschgeschäfte!

Dazu haben aber nicht nur die Warnstreiks beigetragen, sondern auch die Andeutung der IG Metall-Verhandlungsführung, dass sie bei der Flexibilisierung den UnternehmerInnen noch weiter entgegenkommen wolle. Die Rede ist von noch mehr 40-StünderInnen oder Öffnungen bei Ruhezeiten im Gegenzug für Zugeständnisse bei der 28-Stunden-Woche.

Solche faulen Kompromisse sind nicht nur völlig unnötig, sondern auch völlig kontraproduktiv. Erleichterungen für die einen dürfen nicht mit Mehrbelastungen für andere erkauft werden. Die Forderung nach einer „verkürzten Vollzeit“ trug von Anfang an den Geburtsfehler, nur ein Trostpflaster für einzelne statt einer generellen Entlastung zu sein, die allen nutzt, wie es auch von der Mehrheit in der großen Befragung gefordert wurde. Das würde mit einem Deal noch schlimmer. Die Arbeitszeiten würden noch mehr auseinandergerissen und die „verkürzte Vollzeit“ zum Notnagel für diejenigen, die den noch weiter gestiegenen Stress nicht mitmachen können.

Das Ziel der Gewerkschaft muss aber darin liegen, gesunde und familien- und menschenfreundliche Arbeitszeiten für alle zu erreichen!

Den Osten nicht fallen lassen!

Von Seiten des Vorstandes und der Bezirksleitungen ist zuletzt immer wieder betont worden, dass es nur einen Abschluss geben wird, mit allen drei Bestandteilen: Tariferhöhung, verkürzte Vollzeit und einen Teillohnausgleich für bestimmte Gruppen. Das klingt schön und standfest. Aber die 35 im Osten scheint schon wieder unter den Tisch zu fallen. Das dürfen wir nicht zulassen! Vielmehr müssen die beiden Tarifrunden miteinander verbunden und koordiniert geführt werden.

Der nächste Verhandlungstermin im Pilotbezirk in Baden-Württemberg ist am 24. Januar. Dieser soll wohl die Grundlage für die Entscheidung bilden, ob weiterverhandelt wird oder die Kampfmaßnahmen verschärft werden. Entscheiden will der Vorstand zwei Tage später.

Entfaltung der Kampfkraft

Bis dahin sind noch viele Aktionen und Warnstreiks angesetzt. Volle Mobilisierung dafür ist wichtig! Aber schon jetzt muss den Verhandlungskommissionen und dem Vorstand klargemacht werden, dass wir weder faule Kompromisse noch billige Tricks beim Abschluss akzeptieren werden!

Aus den Reihen der UnternehmerInnen war zu hören, die Arbeitszeitforderung der IG Metall sei mit mehr als 2 % zu werten. Das ist natürlich Unsinn. Aber es ist auch völlig egal, wieviel Prozent das sind. Wir fordern 6 % UND Verbesserungen bei der Arbeitszeit!

Seitens der IG Metall wird angekündigt, dass es 24-Stunden-Streiks geben soll, wenn am 24. 1. kein Abschluss in Aussicht ist. Diese Streiks sind bezahlt, können aber ohne Urabstimmung angesetzt werden. Sie sind bezahlte Warnstreiks. Die Mitglieder werden nicht gefragt, ob es Streik geben soll oder sie diese bezahlten Warnstreiks wollen. Die Betriebe sind jetzt schon ausgewählt worden, sie hatten keine Mitsprache. Für die Entfaltung der Kampfkraft ist es am besten, wenn die Belegschaften selbst entscheiden, wie sie kämpfen wollen: ob sie sich zutrauen, den Betrieb längere Zeit stillzulegen, oder nur einen längeren Warnstreik durchhalten. Wir schlagen vor:

  • Die Kontrolle über den Kampf dadurch, dass die Entscheidung über die Aktionen bei der Belegschaft, den Gewerkschaftsmitgliedern und von ihnen gewählten Streikkomitees oder ihren VertreterInnen, den Vertrauensleuten, liegt.
  • Die Kontrolle über die Arbeitszeit: Die Beschäftigten müssen in ihren Abteilungen Forderungen nach mehr Personal zur Entlastung der Arbeitenden aufstellen. Die Betriebsräte müssen sich das zu eigen machen. Die Strategie der Konzernführungen, überall noch mehr aus den Menschen rauszupressen, muss von der Gewerkschaft generell bekämpft werden – nicht mit Trostpflastern für die, die nicht mehr können.
  • Zusammenlegung und enge Koordinierung des Kampfs um Entgelt, Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeitszeitregelung im Westen mit dem um Verkürzung auf 35 Stunden im Osten – dazu braucht es Kontrolle über die Kampftaktik und über etwaige Verhandlungen. Kein Abschluss, kein Aussetzen von Aktionen ohne Zustimmung der Basis!
  • Die Mitglieder müssen über das Ergebnis vom 24. Januar entschieden. Da die UnternehmerInnen wahrscheinlich nicht nachgegeben werden und wir keine faulen Kompromisse wollen, müssen wir uns auf einen harten Arbeitskampf vorbereiten. Daher müsste dann so rasch wie möglich die Urabstimmung über einen Streik eingeleitet werden. Denn nur wenn wir unsere Kräfte voll mobilisieren, werden wir Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung durchsetzen können.



Nein zur Großen Koalition!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur Metall-Tarifrunde Nr. 1/18, Infomail 982, 18. Januar 18

Die Regierungsbildungskrise gibt dieser Tarifrunde eine zusätzliche, politische Tragweite: Will die IG Metall im Schlepptau der SPD wieder an den Katzentisch einer Großen Koalition zurückkehren oder will sie wieder mehr Unabhängigkeit von Kabinett und Kanzlerin, um gegen die Angriffe des Kapitals zu kämpfen?

In der letzten Regierung war der Preis für ein – vorübergehend – abgesenktes Renteneintrittsalter für „besonders langjährig Versicherte“ der Verzicht auf den Kampf für eine Rücknahme der Rente mit 67 und gegen ein Absenken des Rentenniveaus auf 44 % des letzten Einkommens. Der Preis für eine Reform des Leiharbeitsgesetzes war der Verzicht auf eine Reform der Erbschaftssteuer, was für die LeiharbeiterInnen gar nichts, den reichen Erben Millionen brachte.

In der nächsten Koalition wird das Kapital von der SPD wieder ganz anderes fordern als nur den Verzicht auf schon in Koalitionsverträgen zugesagte Reformen. Sie wollen die Zustimmung zu Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse im Stile einer Agenda 2010.

Eine kämpferische Tarifrunde ist also zugleich eine gute Basis für GewerkschafterInnen, der SPD zu signalisieren: Keine Große Koalition! Wenn ihr was Gutes tun wollt, dann kämpft auf der Straße und in den Betrieben gegen alle Angriffe auf Arbeitende, Arbeitslose und RentnerInnen! Für die Einheit der Klasse gegen das Kapital!




Kampf dem Rassismus!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftinfo der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur Metall-Tarifrunde Nr. 1/18, Infomail 982, 18. Januar 18

Nach der Bundestagswahl waren viele in der IG Metall aufgeschreckt: Viele Gewerkschaftsmitglieder, auch MetallerInnen, hatten AfD gewählt. Viele taten das aus natoinalistischen und fremdenfeindlichen Motiven, manche aus Protest gegen Merkel und ihre Regierung. In jedem Fall haben sie billigend in Kauf genommen, dass eine rassistische und gewerkschaftsfeindliche Partei gestärkt wurde.

Gift

Rassismus ist Gift für eine Gewerkschaft. Sie muss immer alle Beschäftigten vertreten, in allen Betrieben, die ganze Klasse, also auch die Arbeitslosen, die prekär Beschäftigten und auch die arbeitssuchenden Flüchtlinge. Erstens sind wir dann stärker, zweitens können dann nicht diejenigen, die Arbeit suchen müssen, so einfach als LohndrückerInnen missbraucht werden. Denn letztlich ist das immer das Ziel der KapitalistInnen. Bei der großen Fluchtwelle vor drei Jahren haben sie ganz human von Integration gesprochen und dann sofort gefordert, dass Flüchtlingen kein Mindestlohn zustehen soll. Solche Lohndrückerei fördert den Rassismus!

Die AfD ist die Partei, die das unverhohlen zum Ausdruck bringt. Mag sie auch „Soziales“ versprechen, so steht sie für Entsolidarisierung, Konkurrenz, Rassismus und Nationalismus. Doch die Politik von SPD und Gewerkschaftsführungen haben mit der Großen Koalition und mit der sog. „Standortpolitik“ den Rechten in die Hände gespielt. Die SPD-Reformen kamen, wenn überhaupt, nur einem Teil der Beschäftigten zugute, während die Masse im Stich gelassen wurde. Die „Rente mit 63“ ist z. B. schön für langjährig Beschäftigte und diese haben sie auch verdient. Sie klingt wie Hohn in den Ohren derer, die eine Rente auf Armutsniveau zu erwarten haben.

Die IG Metall-Spitze war zufrieden damit, mit der Arbeitsministerin reden zu dürfen. Die IGM hat darauf verzichtet, für eine Änderung der Leiharbeit mit dem Ziel zu kämpfen, sie auf feste Arbeitsplätze zu bringen. Die IGM hat für Verbesserungen bei der Rente geworben – kurz vor der Wahl. Demonstrationen gegen die Regierung? Fehlanzeige!

Kampf statt Scheinheiligkeit!

Es ist richtig, den AfD-Wählerinnen vorzuwerfen, dass sie ihre Lage auf Kosten der Flüchtlinge, denen es noch schlechter geht, verbessern wollen. Aber es ist auch ein Stück weit scheinheilig, wenn die Gewerkschaften ihrerseits nur noch für diejenigen kämpfen, die sichere Arbeitsplätze haben und den Rest sich selbst überlassen.

Es ist scheinheilig, von „Solidarität“ zu reden, wenn die IG Metall ständig Standortvereinbarungen macht, die Belegschaften auf Kosten von anderen KollegInnen schützt.

  • Kampf gegen Rassismus heißt: jeder rassistischen oder diskriminierenden Äußerung oder Handlung entgegentreten!
  • Kampf gegen Rassismus heißt aber auch, in den Gewerkschaften dafür einzutreten, dass nicht mehr jede Branche oder jeder Betrieb auf sich allein gestellt bleibt, sondern alle für alle aktive Solidarität üben!
  • Kampf gegen Rassismus heißt auch, gegen jede Abschiebung, für offene Grenzen und gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben, einzutreten. Daher sind wir für die gewerkschaftliche Organisierung der Geflüchteten – für den gemeinsamen Kampf für Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzung, bezahlbare Mieten und Wohnraum für alle!



Tarifrunde 2017/2018 – Offener Brief von MetallerInnen aus Unterfranken

MetallerInnen aus Unterfranken, Infomail 982, 18. Januar 2018

An die VerhandlungsführerInnen des vbm (Verband der bayerischen Metall- und Elektroindustrie e. V.), Bertram Brossardt und Angelique Renkhoff-Mücke, und die VerhandlungsführerInnen in anderen Tarifgebieten

Sehr geehrte Damen und Herren,

Wir haben uns entschlossen, Ihre absurden Argumentationen zur laufenden Tarifrunde öffentlich zu entkräften.

Wir wollen damit alle Kolleginnen und Kollegen motivieren, noch aktiver zu kämpfen.

Wir wollen aber auch das Bewusstsein der Vorstandmitglieder, Betriebsräte, Vertrauensleute und Mitglieder der IG Metall sensibilisieren.

Wie eure Kapitalistenfreunde verbreitet Ihr Thesen, welche der Unwahrheit entsprechen und nur darauf abzielen, die bestehenden Machtverhältnisse, welche euch weiterhin garantieren, Gewinner der asozialen Umverteilung zu sein, mit allen Mitteln zu verteidigen. Euch stehen immer die Medien zu Dienste, Ihr nutzt sie immer, aber diesmal doch weit mehr als in den vergangenen Tarifrunden.

Ganz offensichtlich deshalb, weil dieses Mal das Thema Arbeitszeit im Mittelpunkt steht.

Die Forderung der IG Metall nach einer befristeten 28-Stundenwoche mit einem Teil-Lohnausgleich ist noch lange kein Instrument, um die dringend notwendige nachhaltige Umverteilung von oben nach unten einzuläuten (und leider auch nur eine temporäre Entlastung für die MitarbeiterInnen), aber Ihr hegt offensichtlich die Befürchtung, dieses Thema könnte in den Belegschaften an Dynamik gewinnen, wie es glücklicherweise aktuell im Osten geschieht, und eine Forderung nach einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn und vollem Personalausgleich anstoßen.

Zu Euren absurden Argumentationen

„Die Produktivität ist nur geringfügig gestiegen“, sagt Ihr, und „Die Lohnforderung von 6 % ist zu hoch“

Wie kann es dann sein, dass die deutsche Wirtschaft Exportweltmeisterin ist und seit Jahren einen wahnsinnigen Außenhandelsüberschuss erzielt?

Natürlich sind Euch unsere Löhne immer zu hoch. Ihr konntet erfolgreich die Lohnstückkosten seit Anfang der Jahrtausendwende senken und im europäischen und im internationalen Vergleich drücken, durch massive Rationalisierung, und Flexibilisierung und immer mehr Schichten zur Auslastung der Anlagen. Euch ist die Ausweitung prekärer Beschäftigung zu Gute gekommen. Das habt Ihr Gerhard Schröder zu verdanken und, dass die Gewerkschaften kaum Widerstand gegen seine Agenda organisiert haben.

Kommt uns nicht damit, dass höhere Löhne Euch zwingen würden, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. Das macht Ihr eh dauernd. Das habt Ihr auch oft genug gemacht, nachdem Belegschaften auf Lohn verzichtet haben oder umsonst länger gearbeitet haben. Wir wollen nicht nur höhere Löhne für uns, sondern für alle: Keine Niedriglöhne und keine Leiharbeit mehr, weder in Deutschland noch anderswo!

Und überhaupt: Unsere Löhne sind nur ein kleiner Teil der ganzen Werte, die wir schaffen – und die Ihr Euch aneignet!

Euer altes Lied vom Fachkräftemangel

Ja, in manchen Branchen/Berufen besteht wirklich ein Fachkräftemangel, was aber nicht daran liegt, dass es keine Menschen gibt, die nicht in der Lage sind, die notwendige Qualifikation zu erwerben – wie Ihr es behauptet. Das ist eine echte Beleidigung gegenüber den vielen Arbeitslosen, prekär Beschäftigten und Jugendlichen ohne Ausbildung.

Ihr seid nicht bereit, für Qualifizierung, Umschulung und Weiterbildung wirklich zu zahlen. Das sollen die Menschen selbst tun oder die Allgemeinheit. Zudem ist es schon seltsam, dass in vielen Betrieben TechnikerInnen, MeisterInnen aber auch IngenieurInnen am Band stehen. Auch dass Ihr und Eure FreundInnen aus der Politik das Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit verhindert habt, zeigt, dass Ihr gezielt vor allem Frauen aus qualifizierten Jobs heraushalten wollt.

Teil–Lohnausgleich

,,Der Teil –Lohnausgleich für manche Beschäftigte würde zu einer Zwei-Klassenbelegschaft führen“, was ja euer Freund und Arbeitsrechtler Clemens Höpfner mit seinem Gutachten bestätigen will.

Eure Aussage ist zynisch, ja zynisch – denn würde es Euch wirklich um Gerechtigkeit in den Belegschaften gehen, hätten wir u. a. keine asozialen Beschäftigungsverhältnisse wie Leih-und Zeitarbeit, Werkverträge, befristete Arbeitsverhältnisse sowie ausufernde Flexibilisierung. Dann würdet Ihr – trotz Tarifverträgen – nicht den Frauen über 20 % weniger bezahlen als den Männern.

Eure Verweigerung des Rückkehrrechts aus Teilzeit schafft schon heute Ungerechtigkeit: Den einen gewährt Ihr die Rückkehr, den anderen nicht.

Eure Vorstellung von Gerechtigkeit ist, dass alle Beschäftigten gleich rechtlos sind und Ihr alle Rechte und alle Macht besitzt.

Gebt doch das Rückkehrrecht und den Teillohnausgleich allen!

Arbeitszeit

Ihr verlangt eine Flexibilisierung der Arbeitszeit noch oben und argumentiert, es gebe schon genügend Regelungen, sowohl gesetzlich, tariflich als auch betrieblich, um den Bedürfnissen der ArbeiterInnen gerecht zu werden. Für einzelne Beschäftigungsgruppen/ArbeiterInnen mag das zutreffen, aber für einen Großteil der Belegschaften sieht die Wahrheit anders aus. Da werden Betriebsvereinbarungen, tarifliche und gesetzliche Regelungen teils dauerhaft missachtet, was größtenteils nicht kontrolliert und folglich nicht sanktioniert wird. Ausufernde Arbeitszeiten in indirekten und direkten Bereichen – besonders Nacht-, Schicht-und Wochenendarbeit sind für viele ArbeiterInnen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Es ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass solche Beschäftigungen nicht nur krank machen können, sondern auch die Lebenserwartung der betroffenen ArbeiterInnen deutlich verkürzen.

Was Ihr damit anrichtet, ist Euch entweder nicht bewusst oder es ist Euch schlichtweg einfach egal. Ihr seid ja nicht davon betroffen – nein, Ihr profitiert ja noch davon…

An den Vorstand der IG Metall

Die einzige logische Konsequenz kann jetzt nur sein:

Den Arbeit„geber“Innen mit der Gegenforderung einer ,,kollektiven Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und vollem Personalausgleich auf Basis der 30-Stundenwoche“ entgegenzutreten.

So wäre ihre zynische Argumentation entkräftet und alle ArbeiterInnen würden davon profitieren. Zudem würde es die asozialen Beschäftigungsverhältnisse zurückdrängen, die Gewerkschaften auf Dauer stärken, den Druck auf die Politik erhöhen und eine Umverteilung von oben nach unten würde eingeläutet werden, was wiederum den RechtspopulistInnen den Nährboden entziehen würde.

Zudem müssen Arbeitszeitkorridore mit klar definierten Grenzen (die sowohl den gesundheitlichen und sozialen Aspekt beinhalten – Dauer, Lage, Länge, Verteilung, Pausen) für SchichtarbeiterInnen gefordert und durchgesetzt werden, welche auch eine max. Anzahl von Arbeitswochenenden beinhalten müssen: höchstens 1/3 der Jahresarbeitswochen je MitarbeiterIn, also max. 18…

An alle Kolleginnen und Kollegen

Wir sollten die dummen und arroganten Argumente der Arbeit„geber“vertreterInnen zum Anlass nehmen, uns wirklich für unsere Interessen einzusetzen:

  • Arbeitszeitverkürzung ist nötig!
  • Kein Einknicken, kein billiger Kompromiss!
  • Bezahlte 24 Stunden-Streiks in allen Betrieben, die das wollen!
  • Einbeziehung der LeiharbeiterInnen und anderen prekär Beschäftigten!
  • Für eine aktive Basis in der IG Metall!

Schreibt uns, was Ihr darüber denkt!

Kontakt: ufmetaller@gmail.com




Gehaltskürzung für VW-Betriebsrat – Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit

Frederik Haber, Infomail 980, 1. Januar 2018

Vorsorglich hat VW die Gehälter der Betriebsratsmitglieder gekürzt, da den ManagerInnen, die diese Bezüge veranlassen, möglicherweise Strafen drohen und man sich unbedingt rechtskonform verhalten wolle. Betriebsratsboss Osterloh hat sein bisheriges Einkommen von rund 290.000 Euro (ohne Prämien) noch mal betriebsöffentlich verteidigt. Unter anderem hätte er Managerfähigkeiten und er arbeite auch regelmäßig 70 Stunden (Die Zeit online, 22. Dezember). Kurz vor Weihnachten triefte es vor Scheinheiligkeit und Selbstgerechtigkeit.

Bezahlte und Gekaufte

Betriebsratsmitglieder werden bezahlt. Nicht aus den Gewerkschaftsgeldern, wie manche meinen, sondern von den Unternehmen, in denen sie arbeiten. Das regelt das Betriebsverfassungsgesetz, das die Aufgaben und Rechte der Betriebsräte festlegt. Es sagt auch, dass Mitglieder von Betriebsräten weder bevorzugt noch benachteiligt werden dürfen.

Viele Betriebsratsmitglieder werden benachteiligt. Vor allem in Kleinbetrieben wird gemobbt. Besonders engagierte KollegInnen bekommen schlechtere Arbeitsaufgaben, unangenehmere Schichten, keine Beförderung oder Weiterbildung.

Betriebsratsmitglieder werden auch gekauft. Vor allem Vorsitzende, vor allem in großen Konzernen und dort dann richtig. Spektakuläre Spitze dürfte sein, dass Osterloh von VW – durch Boni – bis zu 750.000 Euro in einem Jahr erhalten hat (Die Zeit, Mai 2017). Er erweist sich als der würdige Nachfolger von Klaus Volkert, der nicht nur ähnlich viel Geld kassierte, sondern auch Urlaubsflüge und eine Edel-Prostituierte vom VW-Vorstand bezahlt bekam. Der damalige Personalvorstand war Herr Hartz – ein- und derselbe, nach welchem die Sozialabbaugesetze der Agenda 2010 benannt sind.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ermittelt (Spiegel online, 15.11.17). Sie ermittelt nicht gegen Osterloh, sondern gegen VW. Das ist richtig insofern, dass es die Managementspitze ist, die besticht. Es sind die Vorstände, die die Millionen locker machen – Millionen, die zuvor aus allen Ecken des Konzerns und aus den Zulieferbetrieben herausgepresst wurden.

Offensichtlich halten sie diese Summen für gut angelegt. Mit Osterloh stimmte der Betriebsrat jedem Sparprogramm der Konzernführung zu, allerdings darauf bedacht, dass die Milliarden vor allem von den LeiharbeiterInnen, Fremdfirmen und Zuliefern kommen und die eigene Stammbelegschaft soweit als möglich geschont wird. Zuletzt verweigerte er den seit einem Jahr unter schwierigsten Bedingungen kämpfenden LeiharbeiterInnen bei VW in Changchun (VR China) die Unterstützung (siehe http://www.clb.org.hk/content/one-year-struggle-continues-volkswagen-workers-changchun und zur Hinhaltetaktik des Betriebsrates http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2017/10/vw_gbr_d.pdf)

Auch wenn die Korruption vom Kapital kommt, bezahlt haben diese Millionen also nicht wirklich die Vorstände, sondern die ArbeiterInnen bei VW, egal ob Stammbelegschaft oder LeiharbeiterInnen. Ein guter Grund, Osterloh davon zu jagen – aus dem Betriebsrat und aus der IG Metall. Der Mann ist gekauft und er hat die Belegschaften verkauft.

Das müssen übrigens GewerkschafterInnen bei VW und anderswo selbst tun. Denn was die Staatsanwaltschaft und die JournalistInnen, die sich über Osterlohs Gehalt empören, stört, ist weder die Zustimmung Osterlohs zu den Angriffen des Kapitals noch dessen Käuflichkeit. Sie stört, dass diese Gelder bei den Gewinnen fehlen. Wenn es also den VW-ManagerInnen gelingt zu belegen, dass sie Osterloh günstig im Sinne des Kapitals gekauft haben, dürften sie – wie seinerzeit Peter Hartz – mit Freispruch oder Bewährung davonkommen.

Wie sich Osterloh verteidigt

Aufschlussreich ist übrigens die Höhe der Gehälter derer, mit denen sich Osterloh in seiner Rechtfertigung vergleicht: „Ein Abteilungsleiter bei VW verdient zwischen 8.800 und 16.400 Euro im Monat, also zwischen gut 100.000 und mehr als 200.000 Euro im Jahr, der Jahresbonus kann dieses Gehalt verdoppeln. Ein Bereichsleiter kommt in guten Jahren inklusive Boni auf 750.000 Euro oder mehr und zählt intern zum Topmanagement“, berichtet Claas Tatje auf ZEIT online.

Das stört ihn ebenso wenig wie Kristina Gnirke von SPIEGEL online, die sich dafür über die 3,3 Mio Euro mokiert, die der derzeitige Personalvorstand (bei VW stets einE ehemaligeR GewerkschafterIn) im letzten Jahr erhielt. Tatje findet auch, dass die Aufsichtsratstantiemen im dreistelligen Bereich zu hoch sind – für die BetriebsratsvertreterInnen, nicht für die KapitalvertreterInnen. Die Empörung dieser bürgerlichen MoralistInnen ist durch und durch verlogen.

Genauso verlogen sind die Verteidigungsreden des VW-Vorstandes und von Osterloh. Wenn er mit seinen „Managerfähigkeiten“ angibt, zeigt das nur, dass er Betriebsratstätigkeit überhaupt nicht mehr als Interessenvertretung ansieht, sondern als eine Managementaufgabe wie jede andere. Wenn er mit einer 70-Stundenwoche prahlt, dann zeigt er, wie weit seine Lebensrealität von der einer/s Gewerkschafter/in/s entfernt ist, die/der in einem unorganisierten, bislang betriebsrats- und gewerkschaftsfreien Betrieb in ihrer/seiner „Freizeit“ eine Interessenvertretung aufzubauen versucht und dafür keinen Cent kriegt. Ostlohn hingegen ist im wahrsten Sinn des Wortes Co-Manager, der daraus auch sein Anrecht auf ein Managergehalt herleitet. Mit so jemand können keine Tarifverträge erkämpft und verteidigt werden. Er kann selbst die gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe des Betriebsrats, „darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden“, schwerlich erfüllen. (BetrVG §80 Abs1)

GewerkschafterInnen und AntikapitalistInnen sollten den „Skandal“ und seine Aufdeckung zum Anlass nehmen, deutlich zu machen, wie viele Gelder sofort für die ArbeiterInnen und für die Forschung für ein effizientes und umweltfreundliches Verkehrssystem frei würden, wenn die ganzen ManagerInnen und MöchtegerngeschäftsführerInnen davongejagt oder in die Produktion eingegliedert werden, die sich jetzt parasitär an der Wertschöpfung durch die ArbeiterInnen mästen.

Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle ist nicht nur der Weg aus Dieselkrise und globaler Erwärmung, sondern auch aus Korruption und Parasitismus. Führungsfunktionen werden gewählt, sind jederzeit abwählbar und erhalten das gleiche Gehalt wie alle anderen.

Und es ist ein Schritt auf dem Weg, das kapitalistische System zu überwinden mitsamt der Ausbeutung der Arbeitenden durch das Kapital und der Klassenkollaboration ihrer VertreterInnen. Dass der Neuanfang im VW-Betriebsrat, den Osterloh als Volkerts Nachfolger machen wollte, nachdem dieser in den Knast gewandert war, so kläglich gescheitert ist, ist nicht nur eine Charakterfrage. Es ist auch eine Systemfrage.