Ungarn: Erneuter Vorstoß gegen LGBTIQ-Personen

Heidi Specht, Neue Internationale 257, Juli/August 2021

Gesetze, die massive Verschlechterungen für LGBTIQ-Personen bedeuten, sind unter der Regierung Viktor Orbáns keine Seltenheit. Mitte Juni ging ein neues Gesetz durch das ungarische Parlament. Ursprünglich drehte sich der Entwurf ausschließlich um sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige und enthielt bereits Maßnahmen wie die Erstellung eines Pädophilenregisters. Kurzfristig gab es jedoch Abänderungen von Fidesz-Abgeordneten, nach denen sich dieses Gesetz klar in die Reihe der LGBTIQ-feindlichen Maßnahmen einordnen lässt.

Das neueste Gesetz

Kurz gesagt geht es darum, LGBTIQ-Personen und ihre Existenz weiter aus dem öffentlichen Raum und dem Bewusstsein zu verdrängen. Nicht nur wird jede aktive Aufklärung von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren über Homosexualität, Transsexualität und Geschlechtsanpassung, zum Beispiel im Rahmen von Unterricht oder Vorträgen an Schulen, verboten. Unter-18-Jährige sollen darüber hinaus auch keinen Zugang mehr zu Inhalten erlangen, die diese als Teil der gesellschaftlichen Normalität darstellen. Das beinhaltet Bücher und Filme, kann aber noch wesentlich umfassender ausgelegt werden. Ist das Tragen einer Regenbogenfahne in Gegenwart Minderjähriger noch legal? Brauchen Bibliotheken zukünftig riesige Abteilungen, die Minderjährigen unzugänglich sind? Darf Harry Potter nur noch ab 18 gezeigt werden? Dürfen homosexuelle Paare ihre Kinder noch gemeinsam von der Schule abholen? Diese und andere Fragen werden derzeit heiß diskutiert – das Gesetz birgt massives Potential, die Unterdrückung weiter zu verschärfen.

Allgemein betrachtet bedeutet das, dass eine Generation herangezogen werden soll, in der Queerness nichts Normales ist, in der das hart erkämpfte und immer noch unzureichende Bewusstsein wieder aktiv zurückgebildet wird.

Konkret bedeutet es vor allem für LGBTIQ-Kinder und -Jugendliche eine massive Gefährdung. Ihnen wird die Aufklärung über Geschlechtsidentitäten und sexuelle Vorlieben, die über die „klassische Familie“ hinausgehen, verwehrt. Ihnen wird suggeriert, dass ihre Identität etwas Abnormales und Verbotenes sei. All das passiert in einer Lebensphase, die selbst für viele Cis-Heteromenschen keine einfache ist. Konkret bedeutet es die aktive Gefährdung der geistigen Gesundheit bis hin zu der des Lebens von Kindern und Jugendlichen.

Bisherige Gesetze

Dieses Gesetz reiht sich ein in stetige Angriffe seit inzwischen fast 10 Jahren:

  • 2012 wurde die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau festgelegt.
  • 2013 wurde der Begriff Familie im Grundgesetz neu definiert: „Grundlage der Familienbeziehung ist die Ehe sowie die Eltern-Kind-Beziehung.“
  • 2018 wurde das Studium Gender-Studies verboten.
  • 2020 wurde zuerst die juristische Geschlechtsänderung verboten, indem in allen amtlichen Dokumenten der Begriff „Geschlecht“ durch den Begriff „Geburtsgeschlecht“ ersetzt wurde. Später im selben Jahr wurden Homosexuelle vom Recht auf Adoption ausgeschlossen.

Internationaler Aufschrei

Das neue Gesetz ist ein heißes Thema in der EU – auch das nicht zum ersten Mal. Unterschiedliche Fraktionen und Länder ergreifen Position für oder gegen das Gesetz. Unter den BefürworterInnen ist das Argument stark, die EU habe sich nicht in die innerstaatlichen Gesetze Ungarns einzumischen. Der Hauptfokus der Kritik im In- und Ausland bezieht sich auf die Vermischung von Homosexualität mit Kindesmissbrauch, die durch das neue Gesetz vorgenommen wird. Doch vor Sanktionen scheut man sich immer noch. Bisher belässt man es bei kritischen Worten oder symbolischen Aktionen. Die österreichischen Grünen ließen es sich nicht nehmen, eine Protestaktion an der Grenze zu organisieren – jene Grünen, die in der Regierung mit der ÖVP nicht nur anfangs die EU-Resolution gegen das Gesetz nicht mitunterzeichneten, sondern auch im eigenen Land Regelungen wie das Blutspendeverbot für homosexuelle und bisexuelle Männer mittragen.

Friede, Freude, Regenbogen im Kapitalismus

Nicht nur die österreichischen Grünen üben sich in Scheinheiligkeit. Genau wie Frauenunterdrückung liegt auch die von queeren Menschen im ureigensten Interesse des Kapitalismus. Die bürgerliche Kleinfamilie dient der Reproduktion der menschlichen Gesellschaft im kleinen Rahmen und der Arbeitskraft – und diese wird gefährdet durch jene Menschen, die sich nicht so einfach darin eingliedern lassen. Während in manchen Ländern Zugeständnisse erkämpft wurden, ist die Unterdrückung in anderen Teilen der Welt noch sehr viel ausgeprägter. Doch die Ereignisse in Ungarn führen uns schmerzhaft vor Augen, dass uns jeder erkämpfte Erfolg wieder genommen werden kann. Konservative Kräfte werden immer gegen jene kämpfen, die ihrer Moral nicht entsprechen und das System gefährden. Echte sexuelle Freiheit kann es in dieser Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebaut ist, niemals geben. Die Regenbogenfahne bringt erst dann echte Befreiung, wenn sie während der Revolution getragen wird, die dieses System endgültig zu Fall bringt.




Homophobie, gibt’s das überhaupt noch hier?

Jaqueline Katherina Singh,Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Im Alltag wird „schwul“ mal schnell als Synonym für „Scheiße“ genutzt oder gerne als Beleidigung geäußert, wenn sich ein Mann nicht seinem Stereotyp entsprechend verhält. Das „Coming Out“ Vieler wird belächelt und als Phase abgetan. Oder schlimmer: Freunde wenden sich ab, Mitschüler_innen wollen nicht, dass man sich im Sportunterricht in der gleichen Umkleidekabine umzieht und Eltern fangen an zu weinen, wenn man ihnen davon erzählt, und versuchen, es vor den Verwandten zu vertuschen. Auch Kolleg_innen, die gegen das Adoptionsrecht von gleichgeschlechtlichen Paaren wettern oder der Trans-Frau aus der anderen Abteilung abwertende Blicke zuwerfen, während sie hinterrücks abfällige Kommentare von sich geben, sind keine bloßen Einzelfälle. Es sind Beispiele, die den Alltag vieler Menschen beschreiben.

„Warum müssen die sich so zur Schau stellen? Niemand hat was gegen Schwule und Lesben“, tönt es von den Stammtischen. Dass dem nicht so ist, zeigt das Projekt Maneo. Die Berliner Initiative erfasst Gewalttaten gegen LGBTIA im Berliner Raum. Im Jahr 2014 hat sie 500 Fälle registriert, die in Zusammenhang mit Homophobie stehen. Die Dunkelziffer ist aber höher, denn ähnlich wie bei rassistischen und sexistischen Übergriffen werden die meisten Beleidigungen oder Übergriffe nicht gemeldet. Wenn doch, werden sie meistens nicht von der Polizei anerkannt und als solche registriert.

Auch die sogenannten „Demo für Alle“-Proteste zeigen auf, dass das Abweichen von der Heterosexualität noch lange nicht zur großen Selbstverständlichkeit geworden ist. Als man in Baden-Württemberg 2014 Homo- und Transsexualität  in den Lehrplan des Biologieunterrichtes  integrieren wollte, sind  „besorgte Eltern“ unter dem fadenscheinigen Titel „Demo für Alle! Ehe und Familie vor! Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder“ auf die Straße gegangen – natürlich nur, um ihre Kinder zu schützen.

Sicher ist, dass Homo- und Bisexualität akzeptierter sind als vor einigen Jahrzehnten, während man von Trans-, Inter- und Asexualität (oder sogenannten „Randgruppen“) lieber nicht spricht. Festhalten kann man allerdings auch, dass Aufklärungsprogramme an einzelnen Schulen oder Kampagnen nicht gereicht haben, um LGBTIA-Feindlichkeit vollkommen aus der Gesellschaft zu löschen. Ablehnung und Gewalt sind keine Einzelerfahrungen. Woran liegt das?

Angriff auf die bürgerliche Familie

Um diese Frage zu beantworten, muss man einen Blick in die Geschichte werfen. Die sexuelle Unterdrückung manifestiert sich in der bürgerlichen Familie und ist eng mit Frauenunterdrückung verbunden.

Die Familie hat im Verlauf der Jahrhunderte eine Entwicklung durchgemacht. Es ist falsch anzunehmen, dass schon immer Männer arbeiten gegangen sind, während die Frau treuergeben sich zu Hause um die Kinder gekümmert hat. Angefangen hat dies seit der Entstehung von Klassengesellschaften. Vorher existierten Clans und lose Verwandtschaftsgruppen.

Im Übergang zu den ersten Klassengesellschaften entwickelte sich die Ackerbaugemeinde mit patriarchalischer Großfamilie (Hausgenossenschaft). Die alten Sippenverbände lösten sich auf. Der Begriff Familie stammt aus dem Lateinischen famulus: der Sklave. Kriegsgefangene wurden zu Haussklaven, für Frauen musste ein Brautpreis bezahlt werden, dessen Vorschuss heranwachsende Männer beim Oberhaupt der Familie abarbeiten mussten. So entstanden sklavenähnliche Abhängigkeiten auch innerhalb der Familie, bei den Frauen und den Jungen. Die Familie ist somit auch Keimzelle der Ausbeutergesellschaften („primitive“ Haussklaverei), nicht nur Hort sozialer und sexueller Unterdrückung von Jugendlichen und Frauen.

Diese patriarchale Großfamilie, der Grund und Boden gehörte bzw. diesen von der (patriarchalen) Dorfgemeinde zugewiesen bekam, war die ursprüngliche Produktionseinheit, die Zelle der ersten Klassengesellschaft. Das heißt, alle Mitglieder dieser Großfamilie waren in den Produktionsprozess integriert.

Mit dem Beginn der kapitalistischen industriellen Revolution hat sich dies ebenfalls gewandelt. Zwar wurden anfangs alle Mitglieder des Familienverbandes in die Produktion miteinbezogen, aber man produzierte nicht mehr für sich selber, sondern arbeitete nur noch in kapitalistischen Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben. Die Familie blieb erhalten, um die Arbeitskraft zu reproduzieren. Frauen mussten zuvor neben der Reproduktionsarbeit dezentral organisierte Heimarbeiten (Weben, Nähen etc.) verrichten. Im Zuge der Entwicklung und Rationalisierung der Produktivkräfte wurden sie Schritt für Schritt in den Produktionsprozess integriert. Die Einführung von Maschinen in der Industrieproduktion erlaubte es allen Teilen der Arbeiter_innenklasse – egal welchen Geschlechts oder Alters -, im Produktionsprozess nützlich zu sein. Zum einen, um die Löhne der Arbeiter zu drücken, da der Kapitalismus es schon damals als selbstverständlich ansah, Frauen schlechter zu bezahlen und zum anderen, um dem wachsenden Maß an gesellschaftlicher Arbeit gerecht zu werden. Zum Dritten verteilte sich der Wert der Arbeitskraft auf alle arbeitsfähigen Familienmitglieder.

Nicht endende Arbeitstage, sowie Kinder- und Frauenarbeit sorgten dafür, dass die Arbeiter_innen sich nicht reproduzieren konnten. In Zuge von Reformen wurden dann Arbeitsschutzgesetze erlassen, die die Einschränkung der Arbeitszeit und -tätigkeit – besonders für Frauen und Kinder – mit sich brachten. Dies bedeutete, dass die bereits existierende Trennung zwischen Hausarbeit und gesellschaftlicher Produktion verschärft und die Unterdrückung der Frauen dadurch verstärkt wurde

Im Zuge der Entwicklung der Arbeiter_innenaristokratie wurde das Ideal der bürgerlichen Familie in die Arbeiter_innenklasse getragen. Die Arbeiter_innenaristokratie, also der Teil der Klasse, der durch Lohnkämpfe zu mehr Wohlstand gelangte, konnten sich durch eben diesen Wohlstand es leisten, dass die Frauen nicht arbeiten gehen mussten, sondern zu Hause den Haushalt machen „durften“.  So wurde die bürgerliche Familie ebenfalls ein Ideal der Arbeiter_innenklasse, da der Reformismus auf der Arbeiter_innenaristokratie fußte und ihren Konservativismus verstärkte, statt ihn zu bekämpfen.

Was hat die Familie mit Homophobie zu tun?

Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich,  unermüdlich Hausarbeit verrichtet sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Überall wo man hinschaut, sieht man in der Werbung und in Filmen stets das Bild der zufriedenen Eltern und glücklicher Kinder. Sexuelle Gewalt, Missbrauch und Frauen- sowie Jugendunterdrückung werden dabei gerne totgeschwiegen. Und das obwohl die Studie „Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen“ aus dem Jahr 2009 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aufgezeigt hat, dass etwa jede fünfte bis siebte Frau, die zum Befragungszeitpunkt in einer Paarbeziehung lebte (13 – 20 Prozent), in relevantem Maße Formen psychisch-verbaler Gewalt, Kontrolle und Dominanz durch den aktuellen Partner ausgesetzt war.

Wie wir schon festgestellt haben, ist die Familie ein Stützpfeiler des Kapitalismus. Sie regelt die Erbschaftsverhältnisse für die herrschende Klasse, während sie für die Arbeiter_innen als Reproduktionsort dient. Aber nicht nur das, sie dient in der Gesellschaft auch dazu, vorherrschende Werte und Normen zu reproduzieren, die dem Kapitalismus nutzen. Homosexualität passt da nicht rein, da es das Bestehen der Familie im klassischen Sinne angreift. Zum einen durch die Tatsache, dass Geschlechterstereotypen direkt damit angegriffen werden. Wer kümmert sich um die Kinder? Wer geht arbeiten? All das sind Fragen, die dadurch aufgeworfen werden. Auch den Ursprung der Transphobie kann man hier finden. Die Tatsache, dass es Menschen gibt, die sich nicht dem Geschlecht, das ihnen bei Geburt zugeordnet worden ist, einfach „fügen“, ist für viele Konservative ein Graus aus genau dem Grund. Zum anderen greift Homosexualität die bürgerliche Familie an, weil sie Sex nicht nur zum Kinder Bekommen darstellt, sondern aufzeigt, dass man diesen auch zum Spaß und Vergnügen haben kann. Das stellt indirekt die Monogamie in Frage, die zentral für die Erbschaftslinien innerhalb des Kapitalismus ist.

Viele Lesende werden sich vielleicht fragen: Das ist ja alles gut und schön, aber ist es nicht gerade so, dass es die „typische“ Familie eigentlich nicht mehr wirklich gibt? Ja, das stimmt zum Teil. Aufgrund von unterschiedlichen Faktoren kann man sagen, dass es eine gewisse Auflösungstendenz der Familie innerhalb des Kapitalismus gibt. Konkret in Deutschland kann man das mit der angestiegenen Zahl alleinerziehender Mütter oder der Zunahme von sogenannten Singlehaushalten belegen.

Das hängt allerdings nicht damit zusammen, dass es progressive Schritte zur Auflösung der Familie gibt. Vielmehr schwindet die materielle Sicherheit, die die Basis für die Familie legt. Viele junge Leute arbeiten in prekären Verhältnissen und haben unsichere Zukunftsperspektiven. Leih- und Zeitarbeit, Praktika und schlecht bezahlte Ausbildungen laden nämlich die wenigsten dazu ein, sich über die Finanzierung eines Eigenheims oder von Kindern Gedanken zu machen. Dennoch ist das propagierte Ideal in den Medien die vierköpfige Familie.

Zwar gibt es Auflösungstendenzen der Familie im Kapitalismus und einen gewissen Spielraum für die Anerkennung der Rechte von LGBTIAs – die sind aber nicht von großer Dauer. In Krisenzeiten werden Kosten auf die Arbeiter_innen abgewälzt. Rechtspopulist_innen wie die AfD treten für die Stärkung der Familie ein – aus dem Grund, dass sie um ihre Erschütterung als Grundpfeiler des Kapitalismus wie aller vorhergehenden Klassengesellschaften fürchten. Das bezieht sich auf ihre Rolle als Reproduktionsort der Arbeitskraft bei den Lohnabhängigen, als Erbinstanz des Reichtums bei herrschenden und mittleren Klassen wie auch ihre Vermittlungsrolle für monogame, heterosexuelle  Sexualmoral. Die Familie ist im Kapitalismus wie die Ware eine Keimzelle der Gesellschaftsordnung, Stabilisatorin des Systems der Herrschenden!

Was heißt das konkret? Die Ablehnung von LGBTIA ist genauso wenig wie Sexismus oder Rassismus bloßes Resultat von Ideen in Köpfen von Menschen, die man einfach nur so durch genug Gespräche oder Aufklärungskampagnen wegkonstruieren kann. Sie besitzen eine materielle, sich stets reproduzierende Grundlage und sind Teil des Kapitalismus: die bürgerliche Familie, die die Trennung von Produktion und Reproduktion manifestiert. Doch was stellt man dieser entgegen?

Kämpfe verbinden!

An Schulen und Universitäten fordern wir die Aufnahme von LGBTIA-relevanten Themen in den Lehrplan durch Lehrende und Lernende. Beispielsweise müssen im Aufklärungsunterricht auch Sexualitäten neben der Heterosexualität erklärt werden – ohne negative Äußerungen. Außerdem treten wir für die Gründung einer Schüler_innen- und Studierendengewerkschaft ein, die nicht nur die Interessen der Lernenden vertritt, sondern sich auch aktiv gegen Diskriminierung einsetzt und diese thematisiert. Im Betrieb kämpfen wir für Betriebsgruppen, die sich gegen Sexismus, Rassismus und LGBTIA-Feindlichkeit positionieren und durch Veranstaltungen oder Betriebsversammlungen über die Diskriminierung aufklären. Wir treten zusätzlich für ein Caucusrecht auch für LGBTIAs in Gewerkschaften und anderen Organen der Arbeiter_innenklasse ein. Die Caucuses (Recht auf gesonderte Treffen von sozial Unterdrückten) sind wichtig, um von Diskriminierung Betroffenen den Raum zu geben, konkret über ihre Erfahrungen zu sprechen sowie mögliche Diskriminierung innerhalb der Organisationen äußern und für deren Abschaffung eintreten zu können. Sie stärken somit das Selbstbewusstsein, die Lernfähigkeit und Kampfkraft der Unterdrückten (Empowerment).

Am zentralsten für Revolutionär_innen ist aber die Forderung nach Vergesellschaftung der Hausarbeit. Diese greift die Trennung von Reproduktion und Produktion offen an – und somit die Wurzel der sexuellen Unterdrückung, die bürgerliche Familie. Erst die Sozialisierung der Reproduktionsarbeit erleichtert insbesondere das Los der proletarischen Frauen. Sie ermöglicht erst die vollständige und gleiche Verteilung aller Arbeiten auf alle Geschlechter und Menschen verschiedener sexueller Orientierung. Alle betreuen Alte und Kinder, unabhängig davon, ob es sich um eigene Verwandte handelt oder nicht. Alle lernen und praktizieren Berufe und Tätigkeiten, die ehemals getrennt nach Geschlechtern ausgeübt wurden. Sozialismus heißt eben auch: vollständige Sozialisierung der notwendigen Arbeiten!

Kampf gegen LGBTIA-Diskriminierung heißt auch: Kampf dem Sexismus, Kampf dem Rassismus! Wenn es darum geht, für die Rechte von Geflüchteten einzutreten, darf man explizite Schutzmaßnahmen für LGBTIAs nicht außen vorlassen, genausowenig wie für Frauen. Diskriminierung und Verfolgung in anderen Ländern sind legitime Fluchtgründe und LGBTIA-Feindlichkeit und Sexismus dürfen nicht für rassistische Hetze instrumentalisiert werden. Deswegen stehen wir für eine multiethnische, internationale Gesamtarbeiter_innenbewegung und insbesondere eine solche proletarische Frauenbewegung ein, die diese Kämpfe zusammenführt!




LGBTIA als Fluchtursache

Sophie Amecke, Frauenzeitung Nr. 4, ArbeiterInnenmacht/REVOLUTION, März 2016

Homosexualität steht in ca. 70 Ländern unter Strafe. Diese reichen von Geldstrafen über lebenslange Haft bis zu Todesstrafen. Die Todesstrafe auf Homosexualität gilt im Iran, Katar, Sudan und Saudi-Arabien, im Jemen und in Mauretanien nur für Männer und in Somalia und Nigeria nur in bestimmten Gegenden.

Doch auch in Staaten, wo Homosexualität legal ist, wie in Russland oder den Balkanstaaten, werden LGBTIA-Personen (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Inter-, Asexual) oft wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Auch Misshandlung und gewaltsame Übergriffe sind an der Tagesordnung.

Das sind Gründe, die die Menschen dazu bewegen, aus ihrem Herkunftsland zu flüchten. Sie hoffen, in anderen Ländern in Frieden und ohne Angst leben zu können. Doch oft bietet die Flucht nicht das, was sich viele erhoffen. Sie sind der Homophobie anderer Flüchtlinge ausgesetzt und müssen ihre sexuelle und/oder geschlechtliche Identität verbergen. Dies ist besonders in den Sammelunterkünften mit Gemeinschaftsduschen und Gruppenschlafräumen sehr schwierig und die Betroffenen sind dauerhaftem Stress ausgesetzt.

Oft sind sie erneut von Gewalttaten betroffen. Ausreichend soziale und psychische Betreuung ist nicht gegeben.

Eine dezentrale Unterbringung mit gesonderten Unterkünften wäre wünschenswert, um den nötigen Schutz zu gewährleisten. Berlin ist diesbezüglich ein Vorreiter, aber leider auch eine Ausnahme. Bis Mitte Februar ist ein LGBTIA- Flüchtlingsheim mit 120 Plätzen in Planung. Bisher steht allerdings noch kein Gebäude zur Verfügung. Weder Mietvertrag noch der Betreibervertrag mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) waren indes bis zum 31.1.2016 unterschrieben. Die Unterbringung ist besonders wichtig, da sich Asylanträge über Jahre hinweg hinziehen können. Das Berliner Zentrum für Migranten, Lesben und Schwule (MILES) berichtet von 95 seinen Mitarbeiter_innen bekannt gewordenen Fällen verbaler, körperlicher oder sexualisierter Attacken. Zudem habe es seit April bei 19 von 34 Ämterbegleitungen Beleidigungen durch Dolmetscher_innen oder Wachpersonal gegeben. LesMigraS, der Antidiskriminierungsbereich der Berliner Lesbenberatung, erklärt, dass handfeste „körperliche Gewalt in den Heimen eher selten“ sei. In den Unterkünften herrsche eine „Atmosphäre der Resignation“. Saideh Saadat-Lendle von LesMigraS schildert den Fall eines jungen homosexuellen Afrikaners, der in der Unterkunft befummelt und verhöhnt worden sei.

Er erduldete diese Übergriffe aus Angst, dass seine Familie von der Homosexualität erfahren könne. „Ein Transmann, also eine Frau, die körperlich ein Mann werden wolle“, wollte sich aus Angst, in der Unterkunft angegangen zu werden, umbringen, weil die vor der Flucht nach Deutschland begonnene Hormontherapie hier abgesetzt wurde – aus Gründen, die dem bürokratischen Asylverfahren geschuldet sind, wie u.a. dem eingeschränkten Zugang zum deutschen Gesundheitswesen (ND, 1.2.2016).

Die Bewilligung des Antrags ist dann eine Einzelfallentscheidung, die oft sehr willkürlich ausfällt. Verfolgung aufgrund der sexuellen und/oder geschlechtlichen Identität ist zwar ein Grund für Asyl, die bloße strafrechtliche Verfolgung auf dem Papier in dem jeweiligen Land reicht jedoch nicht aus. Die Antragsteller_innen müssen nachweisen, dass sie auch abweichend von der allgemeinen Lage verfolgt wurden. Doch das glaubwürdig zu beweisen ist nicht leicht, wenn in ihren Herkunftsländern LGBTIA-Begehren und LGBTIA-Identitäten sowie der offene Umgang damit tabuisiert sind. Oft wird ihnen unterstellt, die Unwahrheit zu sagen, um ihre Chancen auf Asyl zu erhöhen.

Ein weiteres Problem sind die RichterInnen, die sich oft von Vorurteilen leiten lassen. Sieht der oder die Betroffene nicht wie ein/eine Homosexuelle/r aus, wird ihr oder ihm nicht immer geglaubt. Häufig müssen sich die Betroffenen von sogenannten „Gutachtern“ auf die „Qualität ihrer homosexuellen Neigungen“ überprüfen lassen. Ist nach Ansicht der GutachterInnen ein „Ausweichen auf eine heterosexuelle Lebensweise“ möglich, wird kein Asyl gewährt. Einige Flüchtlinge trauen sich nicht einmal, ihren wahren Fluchtgrund anzugeben. Dies kann zum einen daran liegen, dass sie nicht über die gesetzliche Lage in Deutschland informiert sind. Sie befürchten, dass ihnen auch hier Strafe droht. Ein anderer Grund dafür ist die Angst, die Dolmetscher_innen aus ihrem Heimatland könnten sie an die dortige Regierung verraten, weil sie oft mit den Botschaften der Herkunftsländer zusammenarbeiten. Falls der Antrag dann abgelehnt würde, würde ihnen eine hohe Strafe drohen.

Deshalb fordern wir:

  • dezentrale Unterbringung für ALLE Geflüchteten
  • sensiblen Umgang in der Unterbringung für die besonderen Bedarfe von LGBTIA
  • ausreichende soziale, psychologische und medizinische Betreuung in den jeweiligen Herkunftssprachen der/des Einzelnen
  • rechtliche Unterstützung bei LGBTIA Themen
  • Sensibilisierung und Schulung aller HelferInnen und MitarbeiterInnen.



Frankreich: Faschistische Bedrohung zurückschlagen!

Marc Lassalle,  Infomail 689, 17. Juni 2013

artikel_faschistischebedrohung_frankreichClément Méric, ein 18jähriges Mitglied der Antifaschistischen Aktion von Paris-Banlieue, einer anarchistischen Gruppe, wurde am 6. Juni 2013 von einer faschistischen Bande mitten in Paris ermordet. Die Nachricht hat die radikale Linke in Frankreich schockiert. Am nächsten Tag wurden Kundgebungen in dutzenden Städten organisiert, die größte in Paris mit 1.000 TeilnehmerInnen. Am 8. Juni marschierte ein Zug von 10.000 Leuten zu Mérics Gedenken und skandierte ‚No pasaran’.

Kein isoliertes Ereignis

So schockierend der faschistische Mord ist – er darf er nicht als Einzelereignis betrachtet werden. Seit letztem Herbst trat die Arbeiterbewegung nur in kleiner Zahl und sporadisch in Erscheinung. Während Präsident Hollande und seine Sozialistische Partei die Arbeiterschaft, die Jugend und die MigrantInnen angreift, haben die Gewerkschaften und linken Parteien kaum darauf reagiert. Eine größere Offensive gegen die Arbeiterrechte wurde nur mit symbolischer Opposition von Seiten des größten Gewerkschaftsverbandes, der CGT, quittiert, der sich die andere große Gewerkschaft, CFDT, anschloss.

Die Aulnay-ArbeiterInnen befanden sich mehrere Monate im Streik, um ihr Peugeot-Werk im Norden von Paris zu verteidigen, beendeten jedoch vor kurzem ihre Kampfmaßnahme. Sie mussten nahezu völlig auf sich allein gestellt kämpfen und blieben ohne Beistand von anderen Fabriken. Auch von der CGT wurden sie allein gelassen. Wie üblich, wenn die ‚linken’ ReformistInnen an die Regierung gelangen, können sie sich darauf verlassen, dass ihre vielen Verbündeten und Freunde an der Gewerkschaftsspitze den Widerstand gegen die Regierung und v.a. eine landesweite Mobilisierung ersticken.

Mehrere Monate lang hatte eine vollkommen reaktionäre Koalition aus der rechten UMP-Partei und der katholischen Kirche die Straßen dominiert mit Aktionen gegen die Freigabe der ‚Ehe für alle’ per Gesetz, das auch gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt. Die Reaktion brachte mehrere Hunderttausend auf die Beine. Die meisten kamen aus katholischen Mittelschichtsfamilien, dazu kamen etliche reaktionäre und faschistische Gruppierungen, u.a. „Bloc Identitaire“, „Civitas“ (katholische Faschisten) oder „Jeunesse Nationaliste Revolutionnaire“, die auch für den Mord an Méric verantwortlich war.

Die Spitze dieses reaktionären Blocks träumt davon, die Regierung durch die Organisierung eines ‚französischen Frühlings’ zu stürzen. Mit von der Arbeiterbewegung geklauten Parolen und Liedern wollen diese Gruppen eine soziale Opposition gegen die Regierung etablieren. All dies bedeutete Energiezufuhr für die radikale Rechte. In den ersten Monaten des Jahres steigerten sich homophobe Attacken um 30 Prozent. Weder die linken Parteien oder Gewerkschaften noch die äußerste Linke gaben den Anstoß, sich organisiert gegen das reaktionäre Pack zu erheben und es zurück zu schlagen.

Mehrere Jahre lang stieg ständig der Stimmenzuwachs für die rassistische reaktionäre Front National (FN). Die Ideen dieser Partei weiten sich auch auf neue Schichten aus, v.a. in ländlichen Gegenden, die am härtesten von der Krise betroffen sind. Zwar ist die FN bei den rechten Märschen nicht offiziell aufgetreten, könnte jedoch von diesen Bewegungen als Partei profitieren.

Die radikale Linke muss den Worten Taten folgen lassen

Besonders bedauerlich: auch die „Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA) blieb im wesentlichen nur passive Beobachterin dieser wachsenden Gefahr. Die wiederkehrende Formel in den Reden ihrer FührerInnen „Wir stehen im Wettlauf mit der FN“ hat sie bislang nicht in politische Strategie oder konkrete Abwehr gegen faschistische Gruppen oder die FN umgemünzt.

Die Erklärung der NPA zu dem faschistischen Mord lautete: „Der Tod von Clément ist eine Warnung. Wir müssen alle gemeinsam mit größter Einheit handeln, die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, den Abwehrkampf in Gang setzen und sie davon abhalten, Schaden anzurichten.“

Die NPA und die  französische Arbeiterbewegung müssen in der Tat schnell handeln und eine antifaschistische/antirassistische Bewegung ins Leben rufen, um diese rassistischen und reaktionären Parteien und Gruppen zu stoppen. Gemeinsame Verteidigungseinheiten sollten gebildet werden zum Schutz von Demos, Einwandererwohngebieten und Homosexuellen-Treffs vor faschistischen und Polizei-Attacken. Das Ziel sollte die Blockade von faschistischen Märschen sein, um sie daran zu hindern, ihre rassistischen und homophoben Lügen zu verbreiten.

Die Krise des europäischen Kapitalismus bereitet den Boden auch für das Anwachsen faschistischer Gruppierungen wie die Goldene Morgenröte in Griechenland, Joblik in Ungarn oder die English Defence League in Britannien. Es ist lebensnotwendig für die europäische Arbeiterklasse, sich gegen die Attacken der Bourgeoisie zusammenzuschließen, aber auch starke internationalistische Verbindungen aufzubauen, um der nationalistischen und rassistischen Demagogie erfolgreich entgegenzutreten.

Bild: http://www.flickr.com/photos/kunirosawa/ (CC BY-NC-ND 2.0)