Antibürokratisch, organisiert, antikapitalistisch – Basisbewegung für eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik!

Vorschläge für ein Aktionsprogramm

Flugblatt der Gruppe ArbeiterInnenmacht zur „Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften“, Infomail 1085, 22. Januar 2020

Die nächste große Krise
der Weltwirtschaft steht vor der Tür. Die Vorboten der Krise zeichnen sich
schon jetzt weltweit ab, insbesondere in den Ländern der sog. „Dritten Welt“,
den von den kapitalistischen Zentren wirtschaftlich und politisch beherrschten
Halb-Kolonien.

Aber auch in der EU und
in Deutschland kippt die Entwicklung Richtung Rezession. Besonders betroffen
werden diesmal auch die Auto- und Zulieferindustrie sein, das Flaggschiff der
deutschen Industrie und des Exports. Zehntausende Stellen wurden schon
gestrichen, die Arbeitsplätze nicht wieder besetzt und Tausende sollen in den
nächsten Monaten noch entlassen werden. Unvermeidlich werden die verschiedenen
Krisenherde sich gegenseitig verstärken. Verschärfte Konkurrenz und mehr oder
weniger offen geführte Handelskriege schränken den Spielraum für eine konzertierte
„Anti-Krisenpolitik“ der wirtschaftlichen Großmächte und Blöcke massiv ein, ja
verunmöglichen sie tendenziell. Der deutsche Imperialismus möchte in diesem
Kampf um die Neuaufteilung der Welt bestehen – daher sollen die Lohnabhängigen
hier wie weltweit die Kosten tragen, sei es durch verschärfte Ausbeutung oder
durch weitere Kürzungen.

„Wirtschaft“ und die
„Politik“, also Regierung und Kapital, erweisen sich als in dieser Situation
als unfähig auch nur eine der dringenden gesellschaftlichen Fragen im Interesse
der Massen zu lösen: Pflegenotstand und medizinische Unterversorgung; wachsende
Armut, insbesondere bei Alten und Kindern, und an vorderster Stelle die
drohende Klimakatastrophe und die anderen Umweltprobleme. Eisern halten sie
trotz wachsender Proteste daran fest, die Unternehmen zu schonen und die
arbeitende Bevölkerung und Jugend zahlen zu lassen. Zu kosmetischen Zwecken
verabschiedet die Regierung „Pakete“ und die Unternehmen stellen die
Produkt-Werbung auf grün.

Krise der Gewerkschaften

In allen diesen Fragen
könnten die Gewerkschaften eine wichtige Rolle als Sammelpunkte des
Widerstandes spielen, ja sie müssten es. Niemand kann den KapitalistInnen
besser entgegentreten als die Beschäftigten, die dort arbeiten, wo die
Unternehmen Umweltgift auf schädliche Weise produzieren, wo sie die
Entscheidungen im Interesse ihres Profits gegen die arbeitenden Menschen
fällen: für Entlassungen, Arbeitszeitverlängerung, Lohneinsparungen oder
Kürzungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Die Gewerkschaften
könnten, ja müssten in dieser Situation die ArbeiterInnenklasse nicht nur gegen
die Willkür der Unternehmen, sondern auch über den einzelnen Betrieb hinaus
branchenweit mobilisieren. Sie müssten in dieser kommenden Krise den Angriffen
des Kapitals in allen Bereichen eine gemeinsame, organisierte politische
Gegenwehr entgegensetzen, indem sie das wirksamste Kampfmittel einsetzen, das
die arbeitenden Menschen in diesem System haben: den Streik, also die
Weigerung, das Kapital weiter zu vermehren. Über Proteste hinaus können damit
andere Entscheidungen durchgesetzt werden, wenn der Streik nicht bloß als
„letztes Mittel“ betrachtet würde, das tunlichst nur beschränkt und rein
tariflich einzusetzen sei, sondern als politisches Kampfmittel in Form des Massenstreiks
bis hin zum Generalstreik.

Ver.di und IG Metall
haben ihre Gewerkschaftstage abgehalten und dabei so getan, als ginge sie die
Krise nichts an: wo sie herkommt, welche Gefahren es gibt, wie verhindert
werden kann, dass wieder die ArbeiterInnenklasse mit Arbeitsplätzen,
Reallohnverlust und weiterer Prekarisierung bezahlt – keine Themen.
Digitalisierung ist zwar ein Problem, das die Gewerkschaftsführungen benennen,
sie fordern aber lediglich eine sozialverträgliche Umstellung und tun so, als
ob diese „partnerschaftlich“ möglich wäre. Auch wenn es auf dem
ver.di-Gewerkschaftstag im Gegensatz zu dem der IG Metall zu mehren Fragen wie
der kollektiven Arbeitszeitverkürzung, des Mindestlohns, des politischen
Streiks, der Leiharbeit zu heftigen Diskussionen und Kampfabstimmungen kam,
ändert das an dieser Tatsache nichts.

Diese „Partnerschaft“,
die in den Betrieben, aber auch in Tarifrunden und in allen gesellschaftlichen
Auseinandersetzungen praktiziert wird, wird nur vordergründig und mit dem
beschränkten Blick auf einzelne Betriebe ausreichen, die Interessen zumindest
eines Teil der (Stamm)-Belegschaften zu sichern. Sie wird angesichts des
Generalangriffs des Kapitals völlig wertlos und hat noch nie erlaubt, eine
wirkliche Wende durchzusetzen. Denn sie geht immer damit einher, dem Kapital zu
erlauben, seine Profitinteressen auf Kosten der Konkurrenz, anderer
Unternehmens- oder Belegschaftsteile, der prekär Beschäftigten und/oder der
Umwelt durchzusetzen.

Die (Irre-)Führung der
Gewerkschaften fällt aber nicht vom Himmel. Sie hat ihre Ursache in der
politischen Unterordnung unter die Anforderungen der KapitalistInnen und ihrer
Regierung, ja der Fesselung an das kapitalistische System mitsamt seinen
Krisen. In den letzten Jahrzehnten führte das zu mehreren politisch
verheerenden Resultaten:

1. Die Gewerkschaften
organisieren einen immer kleiner werdenden Teil der Lohnabhängigen. Sie
konzentrieren sich immer mehr auf Organisierte in der Großindustrie oder in
schon organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes und des
Dienstleistungssektors.

2. Trotz wichtiger
einzelner Gegenbeispiele wie z. B. im Gesundheitssektor blieben größere
Abwehrkämpfe aus. Die Vorherrschaft der Bürokratie, die Dominanz des Apparates
und der Betriebsräte der Großbetriebe nahmen eher zu.

3. Ein monströses System
der Klassenzusammenarbeit und die Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ bestimmen
die Politik der Gewerkschaften und jene der meisten Betriebsräte. Die
DGB-Gewerkschaften stellen eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und
agieren dementsprechend auf allen Politikfeldern.

Die Bürokratie hofft, die
nächste kapitalistische Krise durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital,
noch mehr „Partnerschaft“ bei der Sicherung der Interessen des deutschen
Exports und des Großkapitals insgesamt zu überstehen. Kein Wunder, dass immer
größere Teile der ArbeiterInnenklasse von diesen „Interessenvertretungen“
entfremdet, ganze Sektoren wenig oder gar nicht organisiert sind.

Die klassenkämpferischen
und linken Kräfte in den Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren schwächer,
nicht stärker. Dafür gibt es mehrere Ursachen: Erstens die Niederlagen durch
Hartz- und Agenda-Gesetze sowie die sozialpartnerschaftliche Politik in der
Rezession, die die Bürokratie (v. a. in IG Metall und IG BCE) stärkten.
Zweitens die Übernahme und Zähmung von Ansätzen einer größeren
Gewerkschaftslinken durch die Linkspartei. Drittens die weitgehende Ausblendung
des politischen und ökonomischen Gesamtzusammenhangs aus der Aktivität der
gewerkschaftlichen und betrieblichen Oppositionsansätze.

Gerade die aktuelle
Krisenperiode erfordert aber eine politische, nicht bloß eine gewerkschaftliche
Strategie, wenn wir eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine echte
Opposition gegen die Bürokratie bundesweit aufbauen wollen.

Angesichts der
fundamentalen Krise der Gewerkschaften kann es nicht nur darum gehen,
Forderungen zu einzelnen Missständen zu bündeln, sondern wir brauchen eine
zusammenhängende Strategie, Konzeption und letztlich ein Aktionsprogramm mit
dem Ziel, eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine organisierte Opposition
nicht nur gegen rechte BürokratInnen, sondern das gesamte System der Bürokratie
aufzubauen, um breite Teile der ArbeiterInnenklasse gegen die Angriffe des
Kapitals zu vereinen.

Aktionsprogramm

Ein solches Programm muss
die zentralen Angriffe und Antworten im Interesse der ArbeiterInnenklasse zum
Ausgangspunkt nehmen. Es darf sich aber nicht auf reine Lohnfragen und
betriebliche Probleme beschränken, sondern muss versuchen, gewerkschaftliche und
betriebliche Forderungen in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen
und mit allen wichtigen Fragen des Klassenkampfes zu verbinden. Nur so kann der
gewerkschaftliche Kampf zu einem Kampf gegen das Kapital werden.

Angesichts der
Entlassungen und Streichung zehntausender Arbeitsplätze ist es unabdingbar, für
eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung für alle zu kämpfen. Es geht dabei nicht
darum, die Arbeitszeit an die Auftragsschwankungen der Unternehmen oder
individuelle Bedürfnisse anzupassen (so berechtigt letztere auch sein können),
wie zuletzt in den Tarifen von IG Metall oder EVG vereinbart. Es geht um eine
kollektive Waffe gegen die Strategie des Kapitals, einen Teil der arbeitenden
Bevölkerung mit immer mehr Arbeit zu überlasten und andere aufs Abstellgleis zu
schieben und insgesamt die Löhne zu senken.

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Für die 30-Stunden-Woche in Ost und West bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Die Arbeitszeitverkürzung darf nicht zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit führen, deshalb muss sie sofort mit Neueinstellungen verbunden werden. Die Entscheidung darüber muss bei den Beschäftigten, den Vertrauensleuten und Betriebs-/Personalräten liegen.
  • Kampf zur Verkürzung der Arbeitszeit muss europaweit koordiniert werden! In der EU sind die Arbeitslosenzahlen noch immer auf einem Höchststand. In internationalen Konzernen muss dieser Kampf von Beginn an übergreifend geführt werden!

Als Antwort auf konkrete
Schließungspläne reicht es nicht, auf eine verkürzte Arbeitszeit zu warten. Die
Antwort auf alle Angriffe auf die Arbeitsplätze muss sein:

  • Streiks und Besetzungen!
  • Dazu sind Aktionskomitees nötig, die auf Vollversammlungen gewählt werden. Mitglieder der Aktionskomitees müssen jederzeit abwählbar sein, wenn sie nicht nach dem Willen der Mehrheit handeln.

Gegenüber den Firmen, die
mit Stilllegung und Entlassungen drohen, fordern wir:

  • Entschädigungslose Verstaatlichung und Fortführung/Umstellung der Produktion solcher Firmen unter der Kontrolle der Belegschaften und gewerkschaftlichen Vertrauensleute!
  • Umstellung/Konversion der Produktion vor allem da, wo umwelt- oder gesundheitsschädliche Produkte hergestellt oder solche Verfahren angewendet werden – kontrolliert von den Beschäftigten, Gewerkschaften und Ausschüssen aller lohnabhängigen KonsumentInnen!

Die Arbeit muss auf alle
verteilt werden und niemand, vor allem die Beschäftigten im Niedriglohnsektor,
darf deswegen an Einkommen verlieren. Im Gegenteil, dort müssen sie sofort
nachhaltig erhöht und gesellschaftliche Einrichtungen ausgebaut werden, die der
Masse zugutekommen!

  • Spürbare Erhöhung der Einkommen – nach den Bedürfnissen der arbeitenden Menschen, nicht nach dem „Spielraum der Wirtschaft“, d. h. des Kapitals!
  • Festgeldzuwachs für alle, um Einkommensverluste wettzumachen! Angleichung der  Löhne und der Arbeitszeit im Osten auf Westniveau!
  • Gegen Billigjobs und Lohndrückerei! Für einen steuerfreien Mindeststundenlohn von 12 Euro netto (ca. 1.600 Euro/Monat)!
  • Verbindung der Tarifkämpfe mit den Kämpfen gegen Entlassungen!
  • Nein zur Rente mit 67 oder noch späterem Einrittsalter! Einführung der Rente ab 60 für alle bei vollen Bezügen!
  • Für eine Altersteilzeit, die die in Rente gehenden KollegInnen tatsächlich durch BerufseinsteigerInnen ersetzt – unter Kontrolle der Beschäftigten und finanziert aus den Unternehmensgewinnen!
  • Für Arbeitslose, Studierende, RentnerInnen, SchülerInnen ab 16, chronisch Kranke, Schwerstbehinderte kämpfen wir für ein monatliches Mindesteinkommen von 1.100 Euro plus Warmmiete!
  • Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, Wohnungsbaus, im Gesundheits- und Bildungswesen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften! Finanziert durch die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und massive Erhöhung der Kapitalsteuern!

Um der Erniedrigung durch
die Arbeitslosenverwaltung und den Drohungen des sozialen Absturzes zu
begegnen, sofort:

  • Abschaffung von Hartz IV! Für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1100,- Euro plus Warmmiete und Mindestrenten in dieser Höhe!
  • Keine Zwangsjobs, keine Leih- und Zeitarbeit! Als Schritt in diese Richtung: gleicher Lohn für gleiche Arbeit, gleiche Bedingungen und Rechte für LeiharbeiterInnen wie für die Stammbelegschaften! Unbefristete Übernahme der LeiharbeiterInnen in tariflich gesicherte Arbeitsverhältnisse! Nein zu allen Formen des Kombilohns, von Bürgergeld inkl. seiner „linken“ Spielart, des bedingungslosen Grundeinkommens!

Um gegen die Angriffe von
Seiten des Kapitals gewinnen zu können, müssen die Kämpfe politisch geführt
werden! Die Trennung von gewerkschaftlichem und politischem Kampf muss
überwunden werden!

Schulterschluss mit der
Umweltbewegung!

Die Proteste gegen die
Klimazerstörung und andere Schädigungen der Umwelt haben deutlich vorgeführt,
wie peinlich Betriebsräte, die zuständigen Gewerkschaften und auch die Mehrheit
der Belegschaften jede Umweltsünde abdecken. Sie haben der Erpressung mit
Arbeitsplatzverlust nichts entgegengesetzt, weil die Führungen der
Gewerkschaften sich immer dem Diktat des Kapitals und seinen Bedürfnissen
untergeordnet haben. Je anti-kapitalistischer die Gewerkschaften und die
Umweltbewegung vorgehen, desto mehr können sie kooperieren!

  • Bezahlung des ökologischen Umbaus durch die Besteuerung der Reichen und die Enteignung der gesamten Energiewirtschaft unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse!
  • Umweltschädliche Produktion stoppen, den schnellstmöglichen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau durchsetzen und die Beschäftigten ohne Einkommensverlust umschulen! Wirtschaftliche Entwicklungsprogramme für die betroffenen Regionen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften!
  • Die Ergebnisse von Forschung und Entwicklung offenlegen und betrieblich und gesellschaftlich durch die lohnabhängigen Beschäftigten und KonsumentInnen kontrollieren!
  • Eine Konversion durchsetzen, die nicht auf Kosten der Arbeitsplätze geht, sondern die Beschäftigten einbezieht! Denn sie verfügen über das Know-how, wie zukünftige umweltfreundliche Arbeitsplätze aussehen können.
  • Die großen Konzerne unter Kontrolle der Beschäftigten enteignen, um einen demokratischen Plan zum ökologischen Umbau der Produktion und der Infrastruktur durchzusetzen!

Faschismus, Rassismus, Nationalismus bekämpfen!

In den Zeiten der
weltweiten Krise des Kapitalismus gehen auch Teile der ArbeiterInnenklasse nach
rechts und suchen ihr Heil in der Sicherung ihrer Arbeitsplätze und sozialen
Standards gegen andere. Forderungen nach Abschottung und verschärften
Grenzkontrollen, Rassismus und Nationalismus nehmen zu. Die Logik der
Standortsicherungen und die ganze Ideologie des „Standortes Deutschland“, also
die Sicherung der wirtschaftlichen Dominanz auf Kosten anderer fördert
Einstellungen, die Wasser auf die Mühlen von AfD oder sogar faschistischen
Organisationen sind. Sie wollen die Gewerkschaften im Grunde zerschlagen und
haben das auch schon getan – nicht nur in Deutschland, aber da am radikalsten.
Dagegen hilft keine Anpassung sondern die klare Alternative:

  • Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen, Aufnahme der Geflüchteten in die Gewerkschaften!
  • Offene Grenzen, keine Abschiebungen! Recht auf Arbeit für alle Geflüchteten und MigrantInnen – bezahlt zu tariflichen Löhnen!
  • Nazis und Rechten entgegentreten! Keine Propagandafreiheit für FaschistInnen, aktiver Kampf gegen rassistische und rechte Gruppierungen in den Betrieben! Aufbau einer ArbeiterInneneinheitsfront, betrieblicher und gewerkschaftlicher Selbstverteidigungsstrukturen!
  • Kampf allen Einschränkungen demokratischer Rechte, der Militarisierung, wirtschaftlichen und politischen Sanktionen sowie der Aufrüstung in Deutschland und der EU! Politische Streiks und Aktionen gegen Militärinterventionen (wie z. B. gegen den Iran)!
  • Internationale Koordinierung der gewerkschaftlichen, sozialen und politischen Kämpfe – für eine europaweite Aktionskonferenz gegen die Krise zur Diskussion und Koordinierung des gemeinsamen Abwehrkampfes!

Durch eine solche
Offensive können die Gewerkschaften für die Masse der Beschäftigten ein
effektives Kampforgan zur Verteidigung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen
werden, die in den letzten Jahren das Vertrauen verloren hatten oder die – wie
große Teile der jüngeren Generationen und der prekär Beschäftigten – noch nie
positive Erfahrungen mit kollektiver Gegenwehr und Organisation machen konnten.
Mit der Anbiederung an Kapital und Regierung, mit der Unterstützung von
Leiharbeit und Niedriglöhnen und der Ignoranz gegenüber der Basis und gegenüber
neuen und unorganisierten Betrieben haben die Gewerkschaftsführungen die
Mitgliederzahlen der DGB-Gewerkschaften auf einen historischen Tiefstand
gefahren.

  • Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks!
  • Organisierung der Unorganisierten! Dies erfordert, einen zentralen Fokus auf die Gewinnung von prekär Beschäftigten zu richten, verbunden mit Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung und zum gesetzlichen Mindestlohn! Das trifft insbesondere auch auf die Branchen zu, in denen überwiegend Frauen arbeiten, die generell schlechter bezahlt werden!

Andere Methoden, andere Ziele

Solche Forderungen müssen
von aktiven und oppositionellen GewerkschafterInnen in Betriebsgruppen,
Vertrauensleutekörpern oder auf Delegiertenkonferenzen eingebracht werden, um
die Bürokratie unter Druck zu setzen und kämpferische Kräfte zu gruppieren.

Um die Allmacht der
Apparate zu brechen, braucht es auch einen systematischen Kampf. Dieser muss
mit der Demokratisierung der Gewerkschaften beginnen. Wir müssen uns vor allem
dafür einsetzen, dass die Mitglieder, ja die Belegschaften allgemein über
Forderungen und Kampfmethoden entscheiden. Nur wenn sie ins Spiel kommen,
können Kräfteverhältnisse so geändert werden, dass andere Entscheidungen
möglich werden. Eine Handvoll Leute mit Resolutionen erreicht das nicht.

Verbunden werden muss das
mit dem Kampf gegen die Einschränkung der politischen Tätigkeit in den
Gewerkschaften selbst. Das gegenwärtige System der „Einheitsgewerkschaft“ kommt
einem politischen Maulkorb für jede oppositionelle, nicht-sozialdemokratische Strömung
gleich. Wir treten daher für das Recht auf Bildung politischer Fraktionen in
den Gewerkschaften und Betrieben ein.

Basisbewegung

Das erfordert, dass
programmatische Diskussionen, wie sie eine zukünftige Gewerkschaftslinke
braucht, helfen müssen, die bestehenden Differenzen demokratisch zu bearbeiten
und zugleich neuen AktivistInnen einen Zugriff auf diese zu erlauben. Also die
besten Traditionen der gewerkschaftlichen Bildung wieder aufzugreifen bei
gleichzeitiger Erarbeitung eines Aktionsprogramms für eine klassenkämpferische
Basisbewegung, eine organisierte anti-bürokratische Opposition.

Am Aufbau einer
Opposition können auch FunktionärInnen und Hauptamtliche teilnehmen. Das Ziel
kann und darf jedoch nicht darin bestehen, im Rahmen der bestehenden
bürokratischen Struktur einfach nur mehr Posten zu gewinnen oder Linke besser
zu vernetzen – es geht darum, das existierende bürokratische System zu
zerbrechen und durch ein arbeiterInnendemokratisches zu ersetzen. Alle
FunktionsträgerInnen auf gewerkschaftlicher und betrieblicher Ebene müssen
ihrer Basis rechenschaftspflichtig, von ihr gewählt und abwählbar sein. Kein/e
FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt
verdienen.

Heute haben Hauptamtliche
noch weniger Spielraum als früher und vielen, die als Linke einen solchen Job
haben, fehlt das politische Rüstzeug, um dem Druck des Reformismus und der
Sozialpartnerschaft standzuhalten. Das heißt nicht, dass die Krise der
Gewerkschaften nicht Risse im Apparat produzieren kann, die eine unabhängig
strukturierte Opposition auszunutzen vermag.

Vor allem aber darf sich
eine oppositionelle, klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaften
nicht von „linken“ Teilen des Apparates abhängig machen oder zu deren
ZuträgerInnen verkommen.

Politische Ausrichtung

Der systematische Kampf
gegen die Bürokratie und ihren Würgegriff, in dem sie die Gewerkschaftsbewegung
festhält, muss also im Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung münden,
die für eine andere Führung und eine andere Struktur der Gewerkschaften kämpft.

Auch wenn sie eine
Bewegung zur Erneuerung der Gewerkschaften darstellt, ist dieser Kampf
letztlich ein politischer: Er muss nicht nur für kämpferische Methoden
eintreten, sondern auch für ein wirkliches Verständnis des kapitalistischen
Systems und seiner Krise, seines Staates und seiner Herrschaftsmechanismen bei
den Kolleginnen und Kollegen.

Eine Wende der
Gewerkschaften muss mit einer Wende der Linken einhergehen: Die Gewerkschaften
müssen sich freimachen von der Fessel an die SPD. Die Linkspartei darf sich
nicht länger diesem Diktat unterordnen. Die linken Kräfte müssen auch mit der
Illusion brechen, dass die Linkspartei insgesamt eine substantielle politische
Alternative darstelle. Auch sie zielt nicht auf die Abschaffung des
Kapitalismus, sondern auf dessen Reform, dessen angeblich „gerechtere“
Ausgestaltung.

Die Politik des
Reformismus hat sich als Illusion erwiesen. Alle wichtigen Verbesserungen und
Reformen können in der gegenwärtigen Situation nur mit den Mitteln des
Klassenkampfes durchgesetzt werden. Reformen und Teilerfolge können die
Angriffe vielleicht stoppen und zurückwerfen – sie werden aber kein „neues“
Modell mit sich bringen, sondern rasch zu noch härteren Angriffen der
herrschenden Klasse führen. Die Kämpfe in Griechenland, in Frankreich oder in
Chile, die Putschbewegungen in Bolivien oder Brasilien verdeutlichen das. Die
kommenden Auseinandersetzungen – seien es drohenden Massenentlassungen,
Rassismus, Militarismus oder Umweltkatastrophe, verdeutlichen, dass es um die
Systemfrage geht.

Wir brauchen daher eine Opposition, eine
klassenkämpferische Basisbewegung, die nicht nur die Symptome bekämpft, sondern
auch das Problem an der Wurzel packt, die den Kapitalismus nicht zähmen,
sondern ihn überwin




Strategiekonferenz klassenkämpferischer GewerkschafterInnen: Aufgaben und Ziele

Frederik Haber, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar 2020

Die Gewerkschaften in Deutschland haben angesichts von
Neoliberalismus und Globalisierung und den damit verbundenen Angriffen des
Kapitals alle Chancen verpasst, aus der Defensive herauszukommen – und sie
hatten auch keinen Plan dafür.

Das sieht man daran, dass praktisch alle Maßnahmen und
Vereinbarungen, die „das Schlimmste verhindern“ sollten, die nächsten Angriffe
erlaubt und erleichtert oder den Widerstand dagegen erschwert haben.

In den letzten Jahrzehnten führte das zu mehreren politisch
verheerenden Resultaten:

  1. Die Gewerkschaften organisieren einen immer kleiner werdenden Teil der Lohnabhängigen. Sie konzentrieren sich immer mehr auf Organisierte in der Großindustrie oder in schon organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors.
  2. Trotz wichtiger einzelner Gegenspiele wie z. B. im Gesundheitssektor blieben größere Abwehrkämpfe aus. Die Vorherrschaft der Bürokratie, die Dominanz des Apparates und der Betriebsräte der Großbetriebe nahmen eher zu.
  3. Ein monströses System der Klassenzusammenarbeit und die Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ bestimmen die Gewerkschaftspolitik und jene der meisten Betriebsräte. Die DGB-Gewerkschaften stellen eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und agieren dementsprechend in allen Politikfeldern.

Die Bürokratie hofft, die nächste kapitalistische Krise
durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital, noch mehr „Partnerschaft“ bei der
Sicherung der Interessen des deutschen Exports und des Großkapitals insgesamt
zu überstehen. Kein Wunder, dass immer größere Teile der ArbeiterInnenklasse
von diesen „Interessenvertretungen“ entfremdet, dass ganze Sektoren der
Ökonomie wenig oder gar nicht organisiert sind.

Die klassenkämpferischen und linken Kräfte in den
Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren schwächer, nicht stärker. Dafür
gibt es mehrere Ursachen: Erstens die Niederlagen durch Hartz- und
Agenda-Gesetze sowie die sozialpartnerschaftliche Politik in der Rezession, die
die Bürokratie (v. a. in IG Metall und IG BCE) stärkte. Zweitens die Übernahme
und Zähmung von Ansätzen einer größeren Gewerkschaftslinken durch die
Linkspartei. Drittens die weitgehende Ausblendung des politischen und
ökonomischen Gesamtzusammenhangs aus der Aktivität der gewerkschaftlichen und
betrieblichen Oppositionsansätze.

Gerade die aktuelle Krisenperiode erfordert aber eine
politische, nicht bloß eine gewerkschaftliche Strategie, wenn wir eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine echte Opposition gegen die Bürokratie
bundesweit aufbauen wollen.

Zur Strategiekonferenz in Frankfurt am 25./26. Januar treffen sich all jene, die, wenn auch mit unterschiedlichen politischen Ansätzen und Analysen, erkannt haben, dass es einer Neuformierung der Gewerkschaftslinken bedarf, dass dazu nicht nur praktische, sondern auch strategische und programmatische Fragen diskutiert werden müssen.

Fundamentale Krise

Wir denken, dass es angesichts der fundamentalen Krise der
Gewerkschaften nicht nur darum gehen kann, einzelne Forderungen zu einzelnen
Missständen zu bündeln, sondern dass es um eine zusammenhängende Strategie,
Konzeption und letztlich ein Aktionsprogramm geht mit dem Ziel, eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine organisierte Opposition nicht nur gegen
rechte BürokratInnen, sondern das gesamte System der Bürokratie aufzubauen.

Die (Irre-)Führung der Gewerkschaften hat ihre Ursache in
der politischen Unterordnung unter die Anforderungen der KapitalistInnen und
ihrer Regierung, ja der allgemeinen Fesselung an das kapitalistische System
mitsamt seinen Krisen. Auch wenn GewerkschaftsführerInnen heute nicht mehr so
offen mit ihren SPD-Parteibüchern wedeln, sind sie auf das Engste mit dieser
Partei und ihrer Politik verbunden.

Wie in allen Landesregierungen ordnen sich auch die
Mitglieder der Linkspartei in den Gewerkschaftsapparaten den kapitalistischen
„Sachzwängen“ unter. Erst recht gilt das für gesellschaftliche Fragen und für
die internationale Politik. So treten auch die Gewerkschaften für staatliche
kontrollierte, also beschränkte Migration, für die Abriegelung der
EU-Außergrenzen, für ein, wenn auch „menschlicheres“ Sanktionssystem für
Erwerbslose usw. ein, ohne dass es nennenswerten Widerstand von Seiten der
Linkspartei dagegen gibt.

Das Verhindern und Abwürgen von Kämpfen und Aktionen durch
nicht nachvollziehbare „politische“ Argumente und die Anpassung an die
„weltwirtschaftlichen Gegebenkeiten“ durch die Bürokratie, also die
Unterordnung unter sozialpartnerschaftliche Dogmen, führt dazu, dass etliche
kämpferische KollegInnen dazu neigen, sich auf „reine Interessenvertretung“ zu
konzentrieren. Auch AktivistInnen aus antikapitalistischen Gruppierungen
beschreiten zu oft diesen Weg – auch wenn sie selbst politische Standpunkte zu
Einzelfragen einnehmen mögen. Wir halten das für falsch: Im Gegenteil, die
Kämpferinnen und Kämpfer der Zukunft müssen politisch bewaffnet werden, wenn
sie gegen die Unterordnung der Gewerkschaften unter das Kapital und gegen die
Herrschaft der Bürokratie erfolgreich sein wollen.

Wofür kämpfen?

Weiter oben haben wir schon auf die Rolle der
Gewerkschaftsführungen – und unter ihrer Regie der Gewerkschaften selbst – beim
Krisenmanagement des deutschen Kapitals verwiesen. Um die Gewerkschaften
wiederzubeleben und zu Kampfinstrumenten zu machen, braucht es nicht nur ein
Verständnis der aktuellen Krise des Kapitalismus und der dramatischen Angriffe,
die uns bevorstehen.

Wenn die „Gewerkschaftslinke“ zu einer Alternative zur
Bürokratie werden will, braucht sie auch ein alternatives Aktionsprogramm, ein
Programm des Klassenkampfes, das sie der Sozialpartnerschaft gegenüberstellt.

Die Strategiekonferenz wird sicher noch nicht in der Lage
sein, ein solches Programm zu beschließen – sie sollte aber erstens eine
systematische Diskussion in Gang setzen und bundesweit organisieren. Zweitens
kann und sollte sie sich um zentrale Forderungen verständigen, die sie zu den
wichtigsten gewerkschaftlichen und politischen Fragen erhebt, die in der
nächsten Periode auf uns zukommen werden. Die verschiedenen Arbeitsgruppen
können und sollten dazu konkrete Vorschläge erarbeiten, die in eine
Abschlusserklärung der Konferenz einfließen.

In jedem Fall sollte die Konferenz folgende Fragen
diskutieren:

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zum Wohnungsbau, im Gesundheits- und Bildungswesen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften!
  • Abschaffung von Hartz IV! Für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1100,- Euro plus Warmmiete und Mindestrenten in dieser Höhe! Für einen Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde!
  • Für die enge Verbindung mit der Umweltbewegung! Bezahlung des ökologischen Umbaus durch die Besteuerung der Reichen und die Enteignung der gesamten Energiewirtschaft unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse!
  • Organisierung der Unorganisierten! Dies erfordert, einen zentralen Fokus auf die Gewinnung von prekär Beschäftigten zu richten, verbunden mit Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung und zum gesetzlichen Mindestlohn!
  • Faschismus und Rassismus bekämpfen! Offene Grenzen, keine Abschiebungen! Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen, Aufnahme der Geflüchteten in die Gewerkschaften!
  • Verbindung der Tarifkämpfe mit den Kämpfen gegen Entlassungen! Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks!
  • Internationale Koordinierung der gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe – für eine europaweite Aktionskonferenz gegen die Krise zur Diskussion und Koordinierung des gemeinsamen Abwehrkampfes!

Andere Methoden, um zu kämpfen!

Solche Forderungen müssen von aktiven und oppositionellen
GewerkschafterInnen in Betriebsgruppen, Vertrauensleutekörpern oder auf
Delegiertenkonferenzen eingebracht werden, um die Bürokratie unter Druck zu
setzen und kämpferische Kräfte zu gruppieren.

Um die Allmacht der Apparate zu brechen, braucht es auch
einen systematischen Kampf. Dieser muss mit der Demokratisierung der
Gewerkschaften beginnen. Wir müssen uns vor allem dafür einsetzen, dass die
Mitglieder, ja die Belegschaften allgemein über Forderungen und Kampfmethoden
entscheiden. Nur wenn sie ins Spiel kommen, können Kräfteverhältnisse so geändert
werden, dass andere Entscheidungen möglich werden. Eine Handvoll Leute mit
Resolutionen erreichen das nicht.

Verbunden muss das mit dem Kampf gegen die Einschränkung der
politischen Tätigkeit in den Gewerkschaften selbst werden. Das gegenwärtige
System der „Einheitsgewerkschaft“ DGB kommt einem politischen Maulkorb für jede
oppositionelle, nicht-sozialdemokratische Strömung gleich. Wir treten daher für
das Recht auf Bildung politischer Fraktionen in den Gewerkschaften und
Betrieben ein.

Basisbewegung

Das erfordert, dass programmatische Diskussionen, wie sie
eine zukünftige Gewerkschaftslinke braucht, helfen müssen, die bestehenden
Differenzen demokratisch zu bearbeiten und zugleich neuen AktivistInnen einen
Zugriff auf die Probleme zu erlauben. Also die besten Traditionen der
gewerkschaftlichen Bildung wieder aufzugreifen bei gleichzeitiger Erarbeitung
eines Aktionsprogramms für eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine
organisierte anti-bürokratische Opposition.

Am Aufbau einer Opposition können auch FunktionärInnen und
selbst Hauptamtliche teilnehmen. Das Ziel kann und darf jedoch nicht darin
bestehen, im Rahmen der bestehenden bürokratischen Struktur einfach nur mehr
Posten zu gewinnen oder Linke besser zu vernetzen – es geht darum, das
existierende bürokratische System zu zerbrechen und durch ein
arbeiterInnendemokratisches zu ersetzen. Alle FunktionsträgerInnen  auf gewerkschaftlicher und
betrieblicher Ebene müssen ihrer Basis rechenschaftspflichtig, von ihr gewählt
und abwählbar sein. Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches
FacharbeiterInnengehalt verdienen.

Heute haben Hauptamtliche noch weniger Spielraum als früher
und vielen, die als Linke einen solchen Job haben, fehlt das politische
Rüstzeug, um dem Druck des Reformismus und der Sozialpartnerschaft
standzuhalten. Das heißt nicht, dass die Krise der Gewerkschaften nicht Risse
im Apparat produzieren kann, die eine unabhängig strukturierte Opposition
auszunutzen vermag.

Vor allem aber darf sich eine oppositionelle,
klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaften nicht von „linken“
Teilen des Apparates abhängig machen oder zu deren ZuträgerInnen verkommen.

Strukturen

Der Weg zum Aufbau einer Basisbewegung geht vor allem über
die Sammlung und Organisierung von BasisaktivistInnen, die trotz der
Verweigerung durch die Apparate den Kampf suchen, die die Herausforderung durch
die Angriffe der UnternehmerInnen annehmen und den Widerstand suchen. Sie muss
außerdem auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sogar viele kämpferische ArbeiterInnen
heute den Gewerkschaften mit berechtigter Skepsis gegenüberstehen oder in
weitgehend unorganisierten Sektoren arbeiten. Ein Schritt beim Aufbau eine
klassenkämpferischen Basisbewegung müsste auch darin bestehen, diese für diese
KollegInnen zu öffnen und auch gemeinsame Kämpfe zu organisieren.

Mit anderen Worten, eine zukünftige Opposition muss da
eingreifen, wo Kolleginnen und Kollegen sie brauchen: beim Kampf gegen
Entlassungen und Werksschließungen, beim Aufbau betrieblicher Gruppen und
alternativer Betriebsratslisten, beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit und
Prekarisierung.

Dazu brauchen wir handlungsfähige Strukturen, also örtliche
Gruppen. Viele der bestehenden nennen sich „Foren“, aber es muss klar sein,
dass die Aufgaben solcher Gruppen weit über den Austausch von Infos und
Meinungen hinausgehen müssen.

Eine bundesweite Koordinierung muss nicht nur Material für
die lokale Arbeit produzieren und Treffen, z. B. auch von Arbeitsgruppen,
organisieren, sondern auch beim Aufbau lokaler Gruppen helfen. Eine
provisorische Koordinierung sollte in Frankfurt gewählt werden, aber sie sollte
flexibel genug sein, VertreterInnen neuer Lokalgruppen und weiterer
Organisationen zu kooptieren.

Handlungsfähigkeit setzt auch demokratische Willensbildung
und Legitimation voraus. Wir müssen damit verantwortungsvoll umgehen.
Einerseits müssen Konflikte demokratisch, also durch Abstimmung entscheiden
werden genauso wie eine zukünftige Koordinierung gewählt werden sollte.
Zugleich macht es keinen Sinn, durch Majorisierung an einzelnen Terminen
Kurswechsel durchzustimmen, die nicht tragfähig sind. Deshalb schlagen wir vor,
dass alle so weit wie möglich ihre politische Orientierung offenlegen und
zweitens sichergestellt wird, dass für die anstehende Aufbauphase jede Organisation
darauf verzichtet, eine absolute Mehrheit in Leitungsgremien zu besetzen.

Vorbereiten

Wir brauchen uns keine Illusionen zu machen: Die
reformistischen BürokratInnen werden die Strategiekonferenz als Kampfansage
begreifen und bekämpfen. Da hilft es nicht, wenn wir uns in Unverbindlichkeit
oder Harmlosigkeit hüllen. Wir müssen unser Recht auf Debatte über die Zukunft
der ArbeiterInnenbewegung erkämpfen und zwar gerade gegen diejenigen, die sie
in den Sand gefahren haben.

Das Ziel dieser Konferenz ist eine neue Strategie, eine
andere Strategie und wir wollen sie nicht nur entwickeln, sondern durch- und
umsetzen und das heißt auch mit Leuten, die das wollen und können, und in
Strukturen, die von den Mitgliedern kontrolliert werden und nicht vom Apparat.

Ergreifen wir unsere Chance!




Stuttgart: Gegen Entlassungen!

Frederik Haber, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar 2020

Immer neue
Angriffe verkünden die ManagerInnen in der Automobil- und Zulieferindustrie.
Daimler will zusätzliche 1,5 Milliarden einsparen und fordert einen Eingriff in
die Tarife, bei Bosch wurde ebensolcher umgesetzt. Dennoch werden weitere 1.000
Arbeitsplätze in Schwäbisch Gmünd abgebaut, 500 in Reutlingen und 1.600 in
Feuerbach und Schwieberdingen. Daimler verfolgt das Ziel, insgesamt 10.000
Arbeitsplätze zu vernichten.

Die IG Metall
reagierte und mobilisierte 15.000 auf den Schlossplatz, wo der Bezirksleiter
Zitzelsberger eine kämpferische Rede hielt. Das heißt: Er sprach wortgewaltige,
aber vage Drohungen gegen die Unternehmensleitungen aus – falls diese nicht mit
den Betriebsräten und der IG Metall kooperierten und eine ebenso vage „Zukunft“
für die baden-württembergischen Betriebe in Aussicht stellten.

Das wird nicht
reichen und die Betriebsräte setzen überall schon die Abbaupläne um. Einige
Grausamkeiten aus den Katalogen des Kapitals werden dann oft abgebogen, aber
erstens stellen die ManagerInnen natürlich mehr Forderungen auf als „nötig“ und
zweitens kommen diese spätestens dann wieder auf den Tisch, wenn die
Betriebsräte bei der Konkurrenz eingeknickt sind.

Für gemeinsamen
Widerstand

Gelegentliche
Aktionstage der IG Metall werden die Offensive nicht stoppen können. Für den 5.
Dezember hatten deshalb das Zukunftsforum, eine Gruppe der Gewerkschaftslinken,
und die DIDF, eine linke MigrantInnenorganisation, zur Diskussion geladen.

Rund 25
TeilnehmerInnen aus verschiedenen Betrieben beteiligten sich, darunter viele
Beschäftigte von Mahle und die Betriebsgruppe „Mahle Solidarität“, aber auch
KollegInnen von Bosch, Mercedes Sindelfingen und Untertürkheim sowie aus zwei
Maschinenbaubetrieben. Von den politischen Gruppierungen waren außer DIDF und
ArbeiterInnenmacht noch DKP, Sol, Birkar und Arbeit-Zukunft anwesend.

Die KollegInnen,
die die Flyer von Mahle Solidarität verteilten, berichteten aber einerseits von
breiter Zustimmung für die Forderung nach einem gemeinsamen Abwehrkampf. Sie
verwiesen andererseits darauf, dass die BetriebsratschefInnen sofort auf sie
zukommen und sie auffordern, die Verteilung zu unterlassen. Offensichtlich soll
jede kritische Diskussion unterbunden werden.

Auf dieser
Versammlung war es Konsens, dass eine kontinuierliche Zusammenarbeit notwendig
ist, um gemeinsam kämpferische KollegInnen wie bei Mahle zu unterstützen. Für
diese Arbeit soll der „Metallertreff“, den es in Stuttgart als Treffpunkt
linker MetallerInnen seit Jahrzehnten gegeben hatte, wiederbelebt werden.

Ebenso machte
die Diskussion zuversichtlich. Die aufkommende kapitalistische Krise, die
Handelskriege der deutschen Autoindustrie mit USA und China, die
Digitalisierung und das Ende des Verbrennungsmotors – viele diese Themen wurden
ebenso angesprochen wie die eigentlich notwendigen Gegenmaßnahmen der IG Metall
… Dazu soll beim Treffen am 30. Januar der Entwurf einer Plattform, eines
„Manifests“ diskutiert werden.

Mahle
Solidarität

Die Existenz der
Mahle-Betriebsgruppe hat sicher Anteil an diesem Aufschwung in Stuttgart. Sie
hat bewiesen, dass es möglich ist, konkrete Kritik an der Betriebsratspolitik
zu üben, die getränkt von sozialpartnerschaftlicher Kooperation mit dem
Management unfähig ist, diesem in den Arm zu fallen. Sie hat recht gehabt mit
ihrer Prognose, dass die Vereinbarungen das Management nur zu weiteren
Angriffen ermuntern und jeden gemeinsamen überbetrieblichen Widerstand
untergraben, weil jeder Betriebsrat nur die eigene Situation im Kopf hat.

Die Gruppe
ArbeiterInnenmacht unterstützte das von Anfang an. Von Beginn an hatte Mahle
Solidarität alle Werke – einschließlich jener in anderen Ländern – im Blick und
versucht, Verbindungen aufzubauen. Ihre Beteiligung zeigte, dass sie ihren
Kampf nicht als einen rein betrieblichen begreift, sondern eine Änderung der
Politik der gesamten IG Metall notwendig ist.

Die Forderungen
von Mahle Solidarität haben sich allerdings bisher auf die Organisierung von
betrieblichem und gewerkschaftlichem Widerstand konzentriert. Es wird notwendig
sein, weiterzugehen: Die Unterwerfung der Betriebsräte unter die Diktate der
ManagerInnen hat schließlich ihre Ursache in ihrer Verteidigung des
kapitalistischen Systems.




Es sind immer die gleichen: die, die Arbeitsplätze vernichten und das Klima killen!

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), Aufruf von GewerkschafterInnen zur Unterstützung des globalen Klimastreiks am 29. November und der Aktionen von Ende Gelände!, Infomail 1078, 19. November 2019

Die
Klima-Proteste bringen das Land und die ganze Welt in Bewegung und ein Großteil
unserer Gewerkschaften unterstützen sie. Das ist gut so!

Denn die
eigentlichen Verursacher der Klimakatastrophe, die großen Konzerne – seien es
die Energie- oder die Automobilkonzerne – interessiert es nicht, ob sie die
Umwelt zerstören und damit die ganze Menschheit in eine existentielle Krise
stürzen. Für sie zählt nur der Profit.

Aber die
Realität ist auch, dass viele Betriebs- und Personalräte und große Teile der
Belegschaften jede Umweltsünde mitmachen, wenn die Unternehmen mit
Arbeitsplatzvernichtung drohen. Dann werden weiter Wälder für Braunkohle
abgeholzt, Kernkraftwerke weiterbetrieben und dicke Verbrennermotoren in überdimensionierte
SUVs gebaut.

Die Realität
ist, dass aus solchen Betrieben so gut wie keine Mobilisierung zum Klimastreik
am 20.9. stattgefunden hat und es gab schon früher die Bilder vom Hambacher
Forst, als ArbeiterInnen gegen die DemonstrantInnen standen. Beim „Kohlegipfel“
der Bundesregierung stimmten auch die VertreterInnen einem extrem späten
Ausstieg und Milliardensubventionen für die Konzerne zu.

So bleibt von
der Solidarität mit der globalen Umweltbewegung und den Aktionen von Friday for
Future nur ein Lippenbekenntnis mit schalem Beigeschmack.

Verantwortlich
dafür sind auch die Führungen der großen Gewerkschaften wie der IG Metall und
der IG BCE, die den notwendigen Kampf gegen die zunehmenden zerstörerischen
Auswirkungen der fossilen Energieerzeugung und der Autoindustrie (um nur die
Augenscheinlichsten anzuführen) gegen den Erhalt von Arbeitsplätzen stellen,
selbst wenn sie bei anderen Gelegenheiten von „ökologischer Erneuerung“ und
Maßnahmen gegen den Klimawandel sprechen. Und damit die Durchsetzung dieser
beiden Ziele in den Augen der meisten Beschäftigten als unüberwindbaren
Widerspruch hinstellen. Das führt auch dazu, dass GewerkschafterInnen bei
Auseinandersetzung auf unterschiedlichen Seiten stehen. Während die IG BCE
zusammen mit RWE Pro-Kohleabbau-Demos organisierte, unterstützte ver.di
(richtigerweise) die Gegendemo.

Diese Spaltung
wollen und müssen wir aber überwinden. GewerkschafterInnen dürfen sich nicht
länger vor den Karren „ihrer“ Unternehmen spannen lassen. Wenn jetzt die
Unternehmen mit der Vernichtung von zehntausenden Stellen drohen, dann werden
dieses Problem und der Druck noch größer. Alle Konzernzentralen begründen den
Abbau mit der Konjunktur, aber alle, die das irgendwie können, schieben die
Schuld auf die Klimabewegung und die „Politik“, die angeblich nicht im
Interesse der Arbeitsplätze entscheide.

Das ist
verlogen und dagegen wehren wir uns: alle Bundesregierungen haben immer Gesetze
nach dem Wunsch der Unternehmen gemacht, besonders aber für die Autoindustrie
und die Energie-Branche. Genau deshalb wurden die Klimaziele, die auf einem
anderen Papier standen, nicht erreicht, während e.on, RWE, EnBW und Vattenfall
der Ausstieg aus Atom und Braunkohle mit Milliardengeschenken vergoldet wurden.
Diese Zugeständnisse an die Profitinteressen retten letztlich auch keine
Arbeitsplätze, sondern verschärften nur die ökologische Krise und treiben
außerdem einen Keil zwischen die Lohnabhängigen.

Wenn die IG
Metall als größte Industriegewerkschaft verlangt, dass „die Transformation
ökologisch und sozial sein soll“, dann ist das Ziel richtig. Aber die Erfahrung
hat gezeigt, dass die Unternehmen solange sie können die Umwelt schädigen, wenn
es Profit bringt. Genauso wie sie alle anderen Kosten ihrer Entscheidungen auf
die Gesellschaft abwälzen, von den krankmachenden Arbeitsbedingungen bis zur
Arbeitslosigkeit, wenn das ihre Kassen klingeln lässt.

Die
SchülerInnen haben richtig erkannt, dass Demos, die niemand weh tun, die
politisch Verantwortlichen nicht beeindrucken. Sie haben mit Schulstreiks
begonnen. Am 20.9., dem internationalen Streiktag kam plötzlich die Frage auf,
ob Gewerkschaften ebenfalls zum Streik aufrufen, ob das erlaubt sei. Am 29.
November findet der nächst globale Aktionstag statt – und die Gewerkschaften
sind gefordert, diesen nicht nur verbal, sondern durch betriebliche Aktionen
und Arbeitsniederlegungen zu unterstützen.

Wir sagen, es
ist nötig: Es ist nötig, weil die Unternehmen nicht einfach weiter
Entscheidungen auf Kosten unserer Zukunft fällen dürfen! Es ist nötig, weil die
Regierungen nicht weiter die Unternehmen finanziell entlasten dürfen! Es geht
nicht nur um Demos während der Arbeitszeit, es geht um die Wahrnehmung des
politischen Streiks, um den nötigen ökonomischen und politischen Druck ausüben
zu können. Dazu braucht es eine Perspektive, die den Kampf gegen den
Klimawandel als Teil des Kampfes für die Interessen der gesamten arbeitenden
Bevölkerung begreift. Wir treten dafür ein:

  • umweltschädliche Produktion zu stoppen, den schnellst möglichen Ausstieg aus dem Braunkohletagbau durchzusetzen und die Beschäftigten ohne Einkommensverlust umzuschulen.
  • die Entscheidungen über Forschung und Entwicklung offenzulegen und betrieblich und gesellschaftlich durch die lohnabhängigen Beschäftigten und KonsumentInnen zu kontrollieren.
  • Arbeitsplatzverlagerung zu blockieren und Betriebsschließungen zu verhindern
  • eine kollektive Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden sofort bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchzusetzen
  • eine Konversion durchzusetzen, die nicht auf Kosten der Arbeitsplätze geht, sondern die Beschäftigten in diesen Prozess einbeziehen. Denn sie verfügen über das Know-how wie zukünftige umweltfreundliche Arbeitsplätze aussehen können.
  • die Kapitalsteuern massiv zu erhöhen und die Vermögenssteuer wieder einzuführen.
  • die großen Konzerne unter Kontrolle der Beschädigten zu enteignen, um einen demokratischen Plan zum ökologischen Umbau der Produktion und der Infrastruktur durchzusetzen!

Wir fordern die
DGB-Gewerkschaften auf, am 29.11. den globalen Klimastreik zu unterstützen und
sich mit den Aktionen von „Ende Gelände“ vom 29.11. zum 1.12. zu
solidarisieren!

Vernetzung für
kämpferische Gewerkschaften (VKG), verabschiedet am 10.11.2019




Vor der nächsten Krise: Eine neue Strategie für die Gewerkschaften!

Frederik Haber, Neue Internationale 242, November 2019

Die nächste große Krise der Weltwirtschaft steht vor der
Tür. Auch in Deutschland kippt die Entwicklung Richtung Rezession. Besonders
betroffen ist die Auto- und Zulieferindustrie, das viel beschworene Flaggschiff
der deutschen Industrie und des Exports. Tausende Stellen werden schon
gestrichen. Die Arbeitsplätze werden nicht wieder besetzt, aber Tausende sollen
in den nächsten Monaten auch entlassen werden. Unvermeidlich werden die
verschiedenen Krisenherde sich gegenseitig verstärken. Verschärfte Konkurrenz
und Handelskriege können alles schnell schlimmer machen.

Gewerkschaftstage

Ver.di und IG Metall haben ihre Gewerkschaftstage abgehalten
und dabei so getan, als ginge sie das nichts an. Krise, wo sie herkommt, welche
Gefahren es gibt, wie verhindert werden kann, dass wieder die
ArbeiterInnenklasse mit Arbeitsplätzen, Reallohnverlust und weiterer
Prekarisierung bezahlt – keine Themen. Digitalisierung ist zwar ein Punkt, aber
die Gewerkschaftsführungen akzeptieren sie, fordern eine sozialverträgliche
Umstellung und tun so, als ob diese „partnerschaftlich“ möglich wäre.

Gleiches gilt für den Klimaschutz. Offiziell sind die
DGB-Gewerkschaften dafür. Praktisch tun sie nicht viel und da, wo er dem
Kapital nicht passt, machen sie weiter wie bisher. Ähnlich wie die
Bundesregierung.

Aber alle diese Themen spitzen sich auch in den Betrieben
zu. Da werden Debatten über neue Zusatzrenten wie bei der IG Metall nichts
helfen. Appelle an die Arbeit„geberInnen“ und die „Politik“ auch nicht.
Arbeitszeitverkürzung, selbst bezahlt mit Lohnverlust, wie sie die IG Metall
vor zwei Jahren vereinbart hat und wie sie ver.di für den öffentlichen Dienst
plant, kann als selbst bezahlte Kurzarbeit höchstens ein Tröpfchen auf die
heißen Steine sein, die demnächst nicht mehr ignoriert werden können, wie dies
die Gewerkschaftsbürokratie derzeit noch tut.

Auch wenn in den Gewerkschaften – nicht nur auf den
Kongressen – um die drohenden Gefahren keine wirkliche Debatte stattfindet, es
gibt Unbehagen und Unmut.

Unzufriedenheit

Ein Zeichen war die Klatsche für IGM-Chef Hofmann auf dem
Gewerkschaftstag, als er das schlechteste Wahlergebnis eingefahren hat, das
jemals ein Vorsitzender ohne GegenkandidatIn erhielt. Ein Signal war auch die
Umfrage, die die IGM-Spitze im letzten Jahr unter den Mitliedern machen ließ –
nicht von den Vertrauensleuten, sondern ganz management-modern von einem
Beratungsinstitut: Die immer noch hohe Zufriedenheit mit der Politik und den Ergebnissen
der Organisation war gepaart mit einer dramatisch abgestürzten „Bindungskraft“.

Diese vage Unzufriedenheit oder kriselnder Glaube an die
Führung können sich in den Strukturen solcher Organisationen nur sehr schwer
manifestieren und formulieren. Im Gegenteil, die Strukturen wie die Politik des
Apparates sind voll darauf fokussiert, Kritik mundtot zu machen oder zu
isolieren, WortführerInnen einzukaufen oder zu entfernen. Eine neue, andere
Strategie – ja selbst die Debatte darüber – muss organisiert angegangen, müsste
dem Apparat von einer klassenkämpferischen Opposition erst aufgezwungen werden.

Doch diese existiert nicht, allenfalls in bescheidenen
Ansätzen. Die kleinen oppositionellen Kerne in den Strukturen müssen sich
vernetzen, aber mehr als das: Sie müssen auch Diskussionen und Initiativen
absprechen und koordinieren. Sie dürfen sich nicht auf in den
Gewerkschaftsgliederungen aktive Oppositionelle beschränken, sondern müssen
auch kämpferischen, aber von den Gewerkschaften desillusionierten Mitgliedern
eine Perspektive zeigen.

Das erfordert den Aufbau verbindlicher Strukturen, die
letztlich darauf abzielen müssen, eine andere Politik gegen die heutige Führung
durchzusetzen und damit auch diese zu ersetzen. Es erfordert nicht nur den
Kampf gegen einzelne BürokratInnen, sondern das Brechen der Macht und Kontrolle
des Apparates über die Gewerkschaften.

Praktisch erfordert das, örtliche und betriebliche Kerne
aufzubauen, die in der Lage sind, an Brennpunkten, z. B. in Betrieben, die
gegen Entlassungen oder für Tarifverträge kämpfen, solidarische Unterstützung
zu organisieren und den kämpfenden KollegInnen zu helfen, eigene Vorschläge zur
Führung des Kampfes gegen den Ausverkauf durch die BürokratInnen zu
entwickeln  und durchzusetzen. Es
bedeutet auch von Anfang an, dass sich diese nicht nur um rein
gewerkschaftliche Fragen, sondern auch um politische – Kampf gegen Rassismus,
Abschottung der EU, internationale Solidarität und Mobilisierung zum
Klimastreik, um nur einige Beispiele zu nennen – gruppieren.

Strategiekonferenz 2020

Nach vielen Jahren gibt es wieder eine Chance für den Aufbau
einer solchen Struktur. Bis etwa 2005 hatte es bundesweite Konferenzen der
Gewerkschaftslinken gegeben, die bis zu 400 TeilnehmerInnen versammelt hatten.
Diese waren immer geprägt vom Widerspruch zwischen denen, die daraus handelnde
Strukturen aufbauen, und denen, die nur „Austausch“ pflegen wollten.

Der Aufbau der Linkspartei löste den Konflikt in Richtung Unverbindlichkeit. Die Konferenzen unter dem Titel „Erneuerung durch Streik“ dominierten das Feld. Auf der letzten dieser Art, die im Februar 2019 in Braunschweig stattgefunden hat, wurde aber mehr Leuten klar, dass dieses Format nicht reicht, um das, was eigentlich nötig wäre, anzugehen. Am 25./26. Januar 2020 soll eine Strategiekonferenz in Frankfurt/M. stattfinden. Die Kernthemen stehen auf der Agenda. https://www.vernetzung.org/.

Damit aber auch da qualitativ und quantitativ was rauskommt,
muss noch viel passieren. Betriebliche AktivistInnen müssen verstehen, dass
nicht ihr/e Betriebsratsvorsitzende/r das Problem ist, sondern die
SozialpartnerInnenschaft, die alle Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit heute
durchzieht.

Mit anderen Worten: Die betrieblichen AktivistInnen und die
betrieblich engagierten Linken dürfen nicht denselben Fehler machen wie die
Gewerkschaftsbürokratie, nämlich zu glauben, sich durch die kommende Krise
wurschteln zu können. Auch die Linke kann noch mehr in die Defensive kommen,
als sie heute schon ist. Sie kann aber auch gewinnen, wenn sie die Antworten
gibt, die die bürokratischen Führungen heute verweigern!

Fragen

Dazu muss die Konferenz im Januar neben der Vernetzung und
dem notwendigen Aufbau handlungsfähiger Strukturen vor allem auch strategische
Fragen klären: Welches Aktionsprogramm brauchen wir zum Aufbau einer
klassenkämpferischen, organisierten Basisbewegung gegen die Bürokratie? Wie
kann eine solche nicht nur in Deutschland aufgebaut, sondern auch mit ähnlichen
Initiativen in ganz Europa, ja global vernetzt werden?

Die Diskussion um diese Fragestellungen ergibt sich
letztlich aus dem Charakter der kommenden Angriffe. Der globale Kapitalismus
bewegt sich auf einen erneuten Krisenausbruch zu. Die Abwälzung seiner Kosten
auf die Lohnabhängigen wird nur durch Methoden des Klassenkampfes – Besetzungen,
politische Großdemonstrationen und Massenstreiks – zu verhindern sein. Zugleich
werfen die kommenden Auseinandersetzungen die Frage nach einem
anti-kapitalistischen Aktionsprogramm der ArbeiterInnenklasse auf, das
notwendigerweise nicht nur ein gewerkschaftliches, sondern ein
gesamtgesellschaftliches sein muss. Und schließlich muss dieser Kampf
international koordiniert geführt werden, da national isolierte Kämpfe – zumal
in der EU – unvermeidlich an ihre Grenzen stoßen werden.

Die Strategiekonferenz im Januar bietet den Rahmen, diese Fragen nicht nur in kleinen Zusammenhängen, sondern mit all jenen zu diskutieren, die über eine Gewerkschaftsopposition nicht nur reden, sondern einen erneuten Anlauf zu ihrem Aufbau machen wollen.

Strategiekonferenz 2020

Für eine kämpferische Gewerkschaftspolitik

25./26. Januar 2020

Frankfurt/Main, DJH Jugendherberge, Deutschherrnufer 12

Programm und Anmeldung: https://www.vernetzung.org




Gewerkschaftslinke: Strategiekonferenz 2020 und ihre Aufgaben

Leo Drais, Neue Internationale 238, Juni 2019

Am 18. Mai 2019 trafen sich in Frankfurt am Main AktivistInnen aus dem Bereich der Gewerkschaftslinken, um eine Strategiekonferenz für kämpferische Gewerkschaften im kommenden Jahr vorzubereiten (vernetzung.home.blog). In der Diskussion waren sich fast alle politischen Kräfte einig, dass die Konferenzen der Rosa-Luxemburg-Stiftung eigentlich nur Austauschforen darstellen. Die zur Koordinierung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftspolitik notwendige strategische Diskussion findet dort ebenso wenig statt wie eine Beschlussfassung zur verbindlichen gemeinsamen Aktion – ein Resultat der Dominanz des linken Gewerkschaftsapparates, der diese Versammlungen auf unverbindlichen Austausch beschränken will. Daher beschloss die Gewerkschaftslinke, eine eigene Strategiekonferenz, vermutlich im Januar oder Februar 2020, durchzuführen.

Die Lage

Eine Strategiekonferenz muss die gegenwärtige Lage der
Gewerkschaften bewerten. Derzeit stehen wir vor einer neuen Verschärfung der
seit 2008 weltweit allgegenwärtigen Krise. Nach einem kurzen Aufschwung der
letzten Jahre werden zur Zeit die Wachstumsprognosen nach unten revidiert, für
Deutschland „halbiert“ (0,8 %). Bürgerliche PolitikerInnen und ÖkonomInnen
erwarten ein Ende der Konjunktur. Globale Konfliktherde nehmen zu: drohender
Brexit, Staatsschuldenkrise in Italien, Handelskonflikte – vor allem zwischen
USA und China – sind nur einige der Punkte.

Treibende und zugleich verschärfende Kraft hinter diesen
Entwicklungen ist die zugespitzte Konkurrenz zwischen den kapitalistischen
Mächten und der daraus resultierende Kampf um die Neuaufteilung der Welt.
Während die Herrschenden in den imperialistischen Zentren 2008 und in den
folgenden Jahren noch zu einem koordinierten Vorgehen gegen die Auswirkungen
der Krise fähig waren – vor allem durch Auslagern der Krisenfolgen in
Halbkolonien sowie durch eine Politik der Bankenrettung und des billigen Geldes
-, sind die Möglichkeiten beim nächsten Einbruch der Konjunktur deutlich
beschränkter. Erstens haben die Maßnahmen zur Rettung der großen Unternehmen
selbst dazu geführt, dass nicht so viel Kapital vernichtet wurde, wie zu einer
neuen nachhaltigen Expansion nötig wäre. Im Gegenteil: Die strukturellen
ökonomischen Probleme – Überakkumulation von Kapital, Verschuldung, neue
spekulative Blasen – sind größer geworden. Zugleich schwindet auch die
Möglichkeit und Bereitschaft der herrschenden Klassen, zu einem koordinierten
Vorgehen – stattdessen haben die Tendenzen zu Blockbildung und Unilateralismus
zugenommen. Die Kosten der Krise sollen auf die KonkurrentInnen abgeladen
werden, die um die Vormachtstellung kämpfen.

Vor diesem Hintergrund sind auch härtere Angriffe auf die
Kernsektoren der ArbeiterInnenklasse zu erwarten, auf die sich heute die IG
Metall, IG BCE usw. im Wesentlichen stützen.

Die Konzerne sind sich dieser verschärften Konkurrenz und
der drohenden Krise bewusst. In der Automobilbranche – einem, wenn nicht dem
zentralen Sektor der deutschen Industrie – werden bereits jetzt große
„Sparprogramme“ aufgelegt. So sollen bei VW 7.000, bei Daimler 10.000, bei
Ford-Deutschland 5.000 Jobs vernichtet werden. Trotz dieser klaren Kampfansage
schüren die GewerkschaftsführerInnen weiter die Illusion, all dies ließe sich wie
eh und je sozialpartnerschaftlich lösen.

Dabei mussten wir schon in der Vergangenheit die fatalen
Auswirkungen dieser Politik erleben. Sie schlägt sich nach den mitgetragenen
Generalangriffen der letzten Jahrzehnte (Ausverkauf der DDR, Agenda 2010) in den
Mitgliederzahlen nieder. 2017 wurde die 6-Milllionenmarke im DGB
unterschritten. Der Klassenfrieden, die Konzentration auf rein ökonomische
Aufgaben (Lohn, Arbeitszeit,..) und die Standortlogik stellen einen
wesentlichen Grund für die Rechtsentwicklung auch von Teilen der Mitgliedschaft
dar.

So fordert der Vorsitzende des VW-Gesamt- und
Konzernbetriebsrats Osterloh: „(…) wir wollen auch deutlich mehr Zusagen für
Zukunftsarbeitsplätze. Und diese Zukunftsarbeitsplätze entstehen nicht irgendwo
in der Welt, sondern in der VW-Heimat.“ Der Konzernbetriebsrat gibt sich hier
kämpferisch – doch nur für die Belegschaft an „seinem“ Standort. Die
VW-Beschäftigten in anderen Länden spielen bei dieser Art standortbornierter
Politik allenfalls am Rande eine Rolle.

Sie spielt dabei unwillkürlich RassistInnen und
RechtspopulistInnen in die Hände, die sich noch als die Anwälte „deutscher
Arbeitsplätze“ präsentieren – und damit Erfolge einfahren. 15 % der
DGB-Mitglieder wählten 2017 die AfD – ein Kampf dagegen oder auch nur eine
Diskussion über die Ursachen findet so gut wie nicht statt. Eine Aufnahme von
Geflüchteten in die Gewerkschaften erfolgt zumeist nur, wenn diese bereits in
ein Arbeitsverhältnis eingetreten sind. Ein Abschiebestopp wurde letztes Jahr
diskutiert – aber bloß für berufstätige Geflüchtete, ganz im Einklang mit der
Industrie.

Eine Frage der Kontrolle

Angesichts dieser Ausgangslage ist die Initiative zur
Strategiekonferenz der Gewerkschaftslinken wichtig und richtig. Ein erstes
Vorbereitungstreffen fand Mitte Mai 2019 statt. Aus unserer Sicht sollte eine
Strategiekonferenz der Startpunkt für den Aufbau einer klassenkämpferischen
Basisopposition in den Gewerkschaften sein. Das bedeutet einerseits, dass
Arbeitskampfmaßnahmen demokratischer und kämpferischer gestaltet werden.

Es muss darum gehen, die Kontrolle über die Kämpfe in die
Hände der Belegschaften selbst zu legen. Jeder Arbeitskampf, bei dem sich die
ArbeiterInnen selbst dazu ermächtigen, zu entscheiden, wie und für was sie
kämpfen wollen, wird jedoch unweigerlich einen Konflikt mit der
Gewerkschaftsbürokratie hervorrufen – auch mit deren linkem Flügel.

Die GewerkschaftsführerInnen und FunktionärInnen, der
gesamte bürokratische Apparat, sind nicht nur ideologisch auf
Klassenzusammenarbeit getrimmt. Die Politik der Sozialpartnerschaft entspricht
der Vermittlerrolle, die die Bürokratie im Kampf zwischen Kapital und Arbeit
einnimmt – eine Vermittlerrolle, die ihrerseits über Jahrzehnte
institutionalisiert wurde und mit einer engen Bindung der Bürokratie an Unternehmen
und Staat einhergeht.

Die opportunistische Haltung zu den Arbeit„geber“Innen
stellt daher keinen politischen Ausrutscher dar, sondern bildet vielmehr das
Lebenselixier dieser Funktionärsschicht, selbst wenn sie gelegentlich gezwungen
sein kann, linker und kämpferischer aufzutreten, als ihr lieb ist. Darüber
hinaus ist die heutige Struktur der Gewerkschaften hierarchisch
durchorganisiert und auch kämpferische FunktionärInnen können dadurch
Repressionen von höheren Instanzen ausgesetzt werden. Genau deshalb geht es
nicht bloß um eine andere Politik der Gewerkschaften – es geht um ihre
grundsätzliche Reorganisation auf klassenkämpferischer, antibürokratischer
Basis.

Eckpunkte dessen sind:

  • Aufbau von Streikkomitees, die gegenüber den Vollversammlungen in den Betrieben verantwortlich, von diesen gewählt und jederzeit abwählbar sind! Diese Versammlungen müssen alle Beschäftigten einschließen, auch die gewerkschaftlich unorganisierten, um sie in den Kampf einzubeziehen und den Druck auf die Routine des Apparats zu erhöhen. Die Komitees müssen zentralisiert und zu einer schlagkräftigen Führung ausgebaut werden!
  • Streiks und Kämpfe müssen gegen StreikbrecherInnen, Polizei und ProvokateurInnen geschützt werden! Dazu sind demokratisch kontrollierte Streikposten zu Selbstverteidigung der ArbeiterInnen nötig!
  • Für das Recht aller politischen und sozialen Gruppierungen (mit Ausnahme faschistischer und offen gewerkschaftsfeindlicher), sich in den Gewerkschaften zu versammeln, zu artikulieren und Fraktionen zu bilden!
  • Für die Wählbarkeit und jederzeitige Abwählbarkeit der FunktionärInnen! Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches FacharbeiterInnengehalt verdienen!
  • Aufhebung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere des Rechts auf politischen Streik! Für klassenkämpferische Gewerkschaften, strukturiert nach Branchennähe, Streikfähigkeit und gemäß dem Prinzip „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft“.

Ein Programm gegen die Krise

Entscheidend für den Erfolg der Strategiekonferenz und der
Gewerkschaftslinken wird sein, ob ihre Isolation innerhalb der
ArbeiterInnenbewegung durchbrochen werden kann. Dazu bedarf es aber auch der
Diskussion und Formulierung einer politischen Alternative zum Bürokratismus und
Reformismus des Apparates.

Der Kampf um eine Politisierung der Gewerkschaften ist dazu
unerlässlich. Die drohenden Angriffe werden nicht nur in Betrieben stattfinden.
Die Frage von explodierenden Mieten, Kampf um die Erhaltung unserer
Lebensgrundlagen, imperialistische Aufrüstung, Rassismus, Schuldendiktate und
Generalangriffe auf demokratische Rechte bedürfen politischer Antworten bis hin
zum politischen Streik.

Daher sollte auch eine Verbindung der gewerkschaftlichen
Kämpfe mit bestehenden Bewegungen wie „Fridays for Future“ oder „Deutsche Wohnen
und Co. enteignen“ gesucht werden. Dies wird nur möglich sein durch
programmatische Forderungen, die in die kommenden Auseinandersetzungen getragen
werden und um die sich kämpferische ArbeiterInnen sammeln können:

  • Wir zahlen nicht für eure Krise! Gegen die staatliche Rettung maroder Banken und Konzerne. Keine Subventionsprogramme zur Steigerung der Profite!
  • Streiks und Besetzungen gegen die kommenden Massenentlassungen! Anstelle einer sozialpartnerschaftlichen „Lösung“: entschädigungslose Enteignung der Schlüsselindustrien und der Banken unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Weg mit allen Hartz-Gesetzen sowie Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen! Nein zu allen Privatisierungen! Demokratische Kontrolle der Arbeitslosenversicherung, des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens durch die Beschäftigten! Die Gewerkschaften müssen auch für die kämpfen und die aufnehmen, die nicht im Produktionsprozess stehen.
  • Kampf für eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche in ganz Europa! Für einen europaweiten Mindestlohn und internationale Tarifverträge, um der Standortkonkurrenz entgegenzutreten!
  • Nein zu Rassismus, Sexismus, Militarismus, Umweltzerstörung! Offene Grenzen statt Festung Europa! Europaweiter und internationaler Klassenkampf statt Nationalismus!

Auf dem Vorbereitungstreffen wurde von verschiedenen Kräften
der Vorschlag eingebracht, eine Kampagne zur Arbeitszeitverkürzung auf 30
Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich zu starten –
angesichts der drohenden Massenentlassungen eine richtige und wichtige
Forderung, vor allem im Zusammenhang mit den zu erwartenden
Produktivitätssteigerungen durch die Digitalisierung. Die Forderung sollte aber
dahingehend erweitert werden, eine von ArbeiterInnen kontrollierte Aufteilung
der Arbeit auf alle, die in Europa leben, zu erreichen – so kann auch der
Spaltung der Lohnabhängigen entgegengetreten werden.

Um zu einem Attraktionspol für kämpferische
GewerkschafterInnen zu werden, reicht natürlich die Bewerbung einer
Strategiekonferenz nicht aus. Die Initiative muss vielmehr auch in den Kämpfen
und Mobilisierungen bekannt gemacht werden.

Vor allem aber geht es auch darum, dass die
Gewerkschaftslinke eine klassenkämpferische Antwort in den laufenden
Auseinandersetzungen und Aktionen – sei es gegen die drohenden
Massenentlassungen, sei es gegen den Pflegenotstand, sei es bei Fridays for
Future oder der zentralen Mobilisierung 
der IG Metall am 29. Juni – vertritt.




„Aus unseren Kämpfen lernen“ – aber wie?

Frederik Haber/Helga Müller, Infomail 1064, 14. März 2019

Unter obigem Motto fand die 4. Streikkonferenz vom 15. bis 17. Februar in Braunschweig statt. Mit rund 800 Teilnehmenden war sie die bisher größte ihrer Art. Offensichtlich gibt es Bedarf, über die Praxis der Gewerkschaften zu diskutieren. Von den Mitgliederzahlen her waren diese in den letzten 70 Jahren noch nie so schwach wie heute. Nur noch die Hälfte der Beschäftigten arbeitet in Betrieben mit Betriebs- oder Personalräten, der Geltungsbereich von Tarifverträgen ist auf unter 50 Prozent gesunken.

Niedergang

Dieser
Niedergang hat nicht nur auf Grundlage strategischer Niederlagen wie der Agenda
2010 stattgefunden, sondern setzte sich in den letzten Jahren auch ohne scharfe
offene Angriffe und Rückschläge fort, in Zeiten, in denen die
Gewerkschaftsführungen mit der Regierung kooperieren, ja sie sogar offen
unterstützen; in Zeiten, in denen der DGB gemeinsam mit den
Unternehmerverbänden „Hundert Jahre Mitbestimmung“ feiert.

Höchste Zeit
also zu fragen, was die Gewerkschaften falsch machen. Ist es nur die Praxis
oder steht dahinter auch eine bestimmte Politik? Die Rosa-Luxemburg- Stiftung
als Veranstalterin der Braunschweiger Konferenz beschränkte sich allerdings
bewusst auf ein Konzept, einzelne gute Beispiele zu präsentieren, die dann
anderswo nachgeahmt werden können. Recht offen stellte ihre Vorsitzende dar,
dass in den Gewerkschaftsführungen oft Leute sitzen, die nichts ändern möchten.
Sie berichtete von der mühevollen Arbeit, diese trotzdem von der Notwendigkeit
dieser Konferenz zu überzeugen.

Die einfache
Frage, warum die Leute, die für den Niedergang der Gewerkschaften
verantwortlich sind, an der Klassenzusammenarbeit um praktisch jeden Preis
festhalten und daran auch nichts ändern wollen, noch hofiert, stellt sie nicht
und offensichtlich nicht viele im Publikum: Gehören solche Leute nicht einfach
rausgeschmissen?

Die
VeranstalterInnen setzen denn auch darauf, möglichst viele regionale
Verantwortliche als UnterstützerInnen zu gewinnen. Überhaupt sind viele
Hauptamtliche dabei. Beim Branchentreff Metall stellen sie rund die Hälfte der
Anwesenden. Mag sie auch Unbehagen über die derzeitige Politik nach
Braunschweig getrieben haben, in der Diskussion verteidigen sie die Politik der
Führung – sei es aus Überzeugung oder Reflex.

Der
Tarifabschluss 2018 sei ein Einstieg in die Arbeitszeitdebatte und hätte eine
Verkürzung der Arbeitszeit gebracht – meinte z. B. das IGM-Vorstandsmitglied
Urban. Dass der Abschluss ein größeres Arbeitszeitvolumen ermöglicht und viele
Unternehmen dies nutzen, wird genauso wenig erwähnt, wie dass der rechte
Apparat der IGM mit diesem Abschluss die Arbeitszeitdebatte für beendet erklärt
hat. Jegliche Strategie der Linken muss aber von der Realität ausgehen und
nicht von Wunschdenken und Schönreden.

Rechtsruck und
Gewerkschaften

Die Krise der
Gewerkschaften drückt sich auch darin aus, wie sie mit dem Rechtsruck in der
Gesellschaft umgehen. So sorgte sich die IG Metall bei den Betriebsratswahlen
2018 sehr um das Abschneiden einiger betont rechter, rassistischer und
gewerkschaftsfeindlicher Listen. Nachdem diese aber nur wenige Mandate erzielt
hatten, ist das kein wirkliches Thema mehr.

Dazu trug Klaus
Dörre auf der Konferenz ein Referat vor, das darauf hinwies, dass „sich nur
wenige Kandidaten gefunden haben, die sich während der Betriebsratswahlen auf
Listen offensiv dazu bekennen, rechte Positionen zu vertreten, doch das bedeute
nicht, dass diese nicht existieren.“ Allein 19 Prozent der Lohnabhängigen und
15 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder haben bei der Bundestagswahl 2017 der
AfD ihre Stimme gegeben – bei einem Gesamtergebnis von 12,6 Prozent ein
deutlich überdurchschnittlicher Wert.

Er stellte dar,
dass es nicht nur GewerkschafterInnen gibt, die sowohl „korrekte“
gewerkschaftliche Positionen vertreten wie auch rechtspopulistische Floskeln
äußern, sondern auch überzeugte rassistische ReaktionärInnen, die manchmal eine
führende Rolle in den betrieblichen Strukturen ausüben und als „gute InteressensvertreterInnen“
gelten. Wo diese einmal etabliert sind, wird das Thema vom Apparat tabuisiert,
solange die Mitglieder oder Betriebsräte keine Konkurrenzliste aufmachen.

Das hätte viel
Anlass zur Diskussion geben können und müssen. Es zeigt, dass die
reformistischen BürokratInnen rassistische, nationalistische und
rechtspopulistische Positionen dulden, solang diese Kräfte die Gesamtpolitik
des Apparates nicht stören. Man könnte das als unausgesprochenes
Stillhalteabkommen bezeichnen. Für die Linke in den Gewerkschaften bedeutet
dies, dass es nicht reicht, nur gute, aktive Betriebsarbeit zu machen, auf
„Organizing“ zu setzen und sich um die unorganisierten Bereiche insbesondere im
prekären Sektor zu kümmern, der bekanntlich von der Bürokratie fast völlig
vernachlässigt wird. Vielmehr muss dies mit einem aktiven Kampf gegen Rassismus
verbunden werden – und eine solche Politik muss auch gegen den Apparat in den
Gewerkschaften und in den Großkonzernen durchgesetzt werden.

Es liegt auf der
Hand, dass diese nicht in „Bunt statt Braun“- Bekenntnissen aller Gutmenschen
oder in gemeinsamen Erklärungen von Betriebsräten mit den Unternehmensleitungen
bestehen kann. Die richtige Erklärung, dass die AFD „neoliberale“ und
arbeiterInnenfeindliche Politik mache, bleibt solange weitgehend unwirksam, wie
die Gewerkschaften auf Klassenzusammenarbeit mit den BetreiberInnen und
ProfiteurInnen dieser „neoliberalen“ Politik setzen. Der Kampf gegen rechts ist
in den Gewerkschaften zugleich einer gegen die Klassenzusammenarbeit und kann
letztlich nur so erfolgreich sein.

Dies wird nicht
nur in den Gewerkschaftsstrukturen kaum thematisiert. Auch in Braunschweig gab
es keine Diskussion mit Dörre zu dessen Studien und teilweise provozierenden
Thesen. Nur ein Workshop ganz am Ende der Tagung betrachtete den „Umgang mit
Rechtspopulismus in Betrieb und Gewerkschaft“ – ansonsten wurde das Thema
routiniert ausgesessen.

Beteiligung

Ein gutes
Drittel der TeilnehmerInnen kann man als „jung“ (also unter 40) bezeichnen und
insgesamt lag der Altersdurchschnitt deutlich unter dem der meisten
Gewerkschaftsveranstaltungen. Aber die in Braunschweig versammelte
„Gewerkschafts-Jugend“ war nicht sonderlich radikal. Es schienen viele
Studierende unter ihnen zu sein, denen die Konferenz mal erlaubt, an
Betriebsarbeit zu schnuppern, aber auch viele, die direkt an einem Aufstieg in
den Apparat arbeiten.

Frappant war der
geringe Anteil an MigrantInnen auf der Konferenz. Sie sind bekanntlich in der
Gewerkschaft umso schlechter vertreten, je höher es in die Ränge der
FunktionärInnen geht. In Braunschweig kamen gerade mal 16 Menschen zum Workshop
über Migration. Das stand in eklatantem Gegensatz zu Bernd Riexingers Statement
in der Podiumsdiskussion am Freitagabend, dass Streiks „heute jünger, weiblicher
und migrantischer“ seien. Diese Aussage ist dort gültig, wo Streiks im Handel,
bei ErzieherInnen und in ähnlichen Bereichen stattfinden. Sie wirft aber auch
ein Licht darauf, dass genau diese KollegInnen in Braunschweig wenig anwesend
waren, sondern vor allem die GewerkschaftssekretärInnen, die diese Kämpfe
betreuen und organisieren.

Insgesamt war
ver.di viel besser vertreten als die IG Metall – ein Indiz dafür, dass dort die
Spielräume größer sind. Das liegt einerseits an deren branchenbedingter Vielfalt
und einem relativ schwächeren Apparat, aber auch daran, dass die IG Metall die
Schlachtschiffe des deutschen Groß- und Exportkapitals organisiert,
insbesondere die Autoindustrie. Ihr Beitrag zu der dort herrschenden engen
Zusammenarbeit mit dem Kapital ist es, alle eigenständigen Bewegungen und
Initiativen zu ersticken, die die arbeitsteilige Produktion und den Umsatz
gefährden könnten. Ja, es werden sogar störende Elemente in Kollaboration mit
dem Management aus den Betrieben entfernt.

Pflegenotstand

Ein wichtiger
Schwerpunkt der Konferenz war die Debatte zum Gesundheitswesen. Kein Wunder
fehlen nach ver.di-Angaben über 100.000 Pflegekräfte. Ver.di hatte deswegen vor
ca. 2 Jahren eine Kampagne zur Entlastung der Klinikbeschäftigten initiiert und
in immerhin 13 Krankenhäusern Tarifverträge und schuldenrechtliche Abkommen für
mehr Personal durchsetzen können, teilweise durch wochenlange
Durchsetzungsstreiks wie an den Unikliniken in Essen und Düsseldorf. In den
Medien ist seitdem die Personalmisere insbesondere in den Krankenhäusern immer
wieder Thema. Selbst die Politik musste mit diversen neuen Gesetzen reagieren,
die vorgeben den Personalnotstand zu bekämpfen. Von daher wurden auf der
Konferenz diverse Arbeitsgruppen zur Bilanz der Entlastungskampagne und wie es
damit weitergeht angeboten.

Trotz positiver
Beispiele wie Abkommen und Tarifverträge für mehr Personal durchgesetzt werden
konnten, wurde hier versäumt intensiv darüber zu diskutieren, welche Mittel die
Belegschaften einsetzen müssen, um die Tarifverträge auch gegen den Willen der Klinikleitungen
in der Realität umzusetzen. Trotz eines Beschlusses des
Bundesfachbereichsvorstandes 3 (Fachbereich 3 ist in ver.di für den
Gesundheitsbereich zuständig), die Kampagne fortzuführen und trotz des
ernstgemeinten Appells eines linken Gewerkschaftssekretärs, die Umsetzung des
Personalaufbaus gemeinsam mit allen Beschäftigten der 13 Krankenhäuser gegen
die Verweigerungshaltung der Klinikleitungen durchzusetzen, wurde es versäumt
zu diskutieren, wie genau dieses gemeinsame Vorgehen gegen den Willen des
Apparats durchgesetzt werden kann. Lag doch eine der Schwächen der Kampagne
genau darin, dass die ver.di-Verantwortlichen die Kampagne in keiner Phase des
Kampfes so angelegt hatten, dass die Belegschaften aller Krankenhäuser in einen
gemeinsamen Kampf für die Durchsetzung von mehr Personal entsprechend dem
Bedarf geführt wurden.

Eigentlich eine
gewerkschaftliche Binsenweisheit! Liegt doch die Kraft eines bundesweit
angelegten gewerkschaftlichen Kampfes gerade darin, dass besser organisierte
und kampffähigere Belegschaften schwächere mitziehen können und diese durch ein
bundesweites Abkommen für mehr Personal davon profitieren können. Immer wieder
wurde auch gemunkelt, dass der Bundesvorstand die Kampagne gerne nur noch auf
Sparflamme hätte fortführen wollen bis sie dann zu guter Letzt ganz aufgegeben
wird. Das konnte tatsächlich durch den Kampf der Belegschaften der 13
Krankenhäuser durchbrochen werden. Sehr richtig wurde in den Diskussionen von
ver.di-Seite angemerkt, dass diese Kampagne mehr ist als der „übliche“
gewerkschaftliche Kampf um einen Tarifvertrag, diese darüber hinausgeht und
auch eine politische Kampagne beinhaltet.

Aber anstatt
Ross und Reiter zu nennen, dass es um einen politischen Streik geht gegen die
Privatisierungspolitik der Regierungen und gegen die Einführung der sog. DRGs
(Fallpauschalen), die die Privatisierung erst für Gesundheitskonzerne lukrativ
gemacht haben, verwiesen die anwesenden Gewerkschaftssekretäre und die
Vertreter der Linkspartei auf die diversen Volksbegehren in Hamburg, Berlin,
Bremen und Bayern, die zum Ziel haben einen verbindlichen gesetzlichen
Personalschlüssel durchzusetzen. Egal ob im Norden oder Süden der Republik – diese
Volksbegehren haben den großen Nachteil, dass sie einerseits einem mehr oder
weniger komplizierten gesetzlichen Verfahren unterworfen sind, das zum Ziel
oder auch nicht führen kann und das andererseits vollkommen vom politischen
Willen der jeweiligen Regierungen abhängig ist.

Perspektive

Insgesamt ist
diese Konferenz nicht darauf ausgelegt gewesen, die linken, kritischen oder
oppositionellen Teile in den Gewerkschaften zu radikalisieren und zu vereinen.
Dazu wäre auch eine Kritik an der Praxis der Bürokratie – einschließlich des
linken Flügels des Apparates – nötig gewesen. Die Vereinbarungen zur
„Standortsicherung“ beispielsweise verlieren ihren spalterischen Charakter –
die Sicherung der Arbeitsplätze auf Kosten anderer Belegschaften und der prekär
Beschäftigten – nicht dadurch, dass sie von kämpferischen Aktionen begleitet
werden und dem Kapital das eine oder andere Zugeständnis abknöpfen. Die
permanente Rechtfertigung solcher Politik durch „linke“ SekretärInnen als
einzig Mögliche und damit, dass die KollegInnen ja noch nicht so weit wären
(„Ich selber bin ja auch SozialistIn“) blockiert und beschränkt zugleich die
Entwicklung des Klassenbewusstseins und der Entschlossenheit der AktivistInnen.
Aus dem Munde linker GewerkschafterInnen sind die Rechtfertigungen oftmals
wirkungsvoller als aus dem Munde derer, die schon die Ansätze von Kämpfen
verhindern.

Hinzu kommt,
dass die Fortsetzung der Politik der Sozialpartnerschaft durch
gewerkschaftliche Unterstützung der Regierungspolitik von SPD und Linkspartei
auch weitgehend ausgeblendet wurde.

Natürlich ist es
für einzelne AktivistInnen enorm schwer, in der Masse von sowohl rückständigen
Belegschaften als auch Gewerkschaftsstrukturen, die voll und ganz unter der
Kontrolle der ReformistInnen stehen, den Spagat zu machen zwischen
Mobilisierung für den Kampf, Kritik an den Apparatmethoden, der Entwicklung und
Durchsetzung alternativer Strategien, die nicht nur kämpferischer sind, sondern
zugleich eine antikapitalistische Perspektive entwickeln, die mit der Praxis
verbunden sind.

Aber genau das
erfordert eine verbindliche Organisierung der klassenkämpferischen Kräfte in
den Gewerkschaften und Betrieben, die nicht nur um eine andere Politik
vertreten, sondern auch darum kämpfen, die Macht des Apparates zu brechen –
eines Apparates, der nicht nur eine sozialpartnerschaftliche und bürgerliche
Politik in der Klasse betreibt, sondern der auch über tausende Fäden eng mit
dem Herrschaftssystem des Kapitals verbunden ist. Schritte in diese Richtung
unternahm die Streikrechtskonferenz nicht – und das war von der Linkspartei und
den ihr nahestehenden Teilen der Gewerkschaftsspitzen auch nicht beabsichtigt.

Zur
organisierten Opposition können wir nur auf Grundlage einer Aufarbeitung der
Krise der Gewerkschaften und einer Verständigung gelangen, worin die Politik des
reformistischen Apparates besteht. Dazu sind Verabredungen zum Kampf gegen die
reformistische Bürokratie nötig.

Die nächste
Gelegenheit dafür bietet sich voraussichtlich mit dem Projekt einer
Strategiekonferenz im Jahr 2020. Die Initiative zur Vernetzung der
Gewerkschaftslinken hatte dafür im Vorfeld geworben und schon einige Resonanz
erhalten. Ein kurzes Treffen für die Organisierung zählte dann immerhin 70
TeilnehmerInnen. Offensichtlich gibt es bei einigen das Bedürfnis, tiefer zu
gehen, als nur Anregungen für eine bessere Praxis zu sammeln. Möglicherweise
hat die Übermacht des Apparates in Braunschweig die Notwendigkeit, über
Strategie nachzudenken, noch befördert. Zur Vorbereitung der Strategiekonferenz
2020 findet ein nächstes Vernetzungstreffen am 18. Mai 2019 in Frankfurt/Main
statt.

Das strategische
Ziel muss die Befreiung der größten Organisationen der ArbeiterInnenklasse von
denen sein, die sie in der Zusammenarbeit mit dem Kapital und dessen Staat
fesseln.




Streikrechtskonferenz 2019: Klassenzusammenarbeit ist eine Sackgasse!

Frederik Haber, Neue Internationale 235, Februar 2019

„Aus unseren Kämpfen lernen“ heißt das Motto der Konferenz
linker GewerkschafterInnen, die 2019 zum vierten Mal von der
Rosa-Luxemburg-Stiftung organisiert wird. So gut es ist, dass es diesen Rahmen
für kämpferische, aktive und linke Kolleginnen und Kollegen gibt, so groß ist
auch diesmal die Gefahr, in den vielen kleinen Problemen der gewerkschaftlichen
Alltagspraxis stecken zu bleiben und dem Bemühen, damit fertig zu werden.

„In unseren gewerkschaftlichen Kämpfen entstehen neue Formen
der Gegenwehr“, heißt es in der Einladung: „Was können wir aus ihnen lernen?
Wie können wir Erfolge verallgemeinern, alte Routinen durchbrechen und unsere
Durchsetzungsfähigkeit stärken?“

Hier stecken die VeranstalterInnen aus der Rosa
Luxemburg-Stiftung, also der Linkspartei, den Rahmen der Konferenz ab: eine
bessere gewerkschaftliche Praxis. Diese erstreben selbstverständlich alle
aktiven GewerkschafterInnen und Linken. Doch die Frage beinhaltet auch eine
Einschränkung. Der Rahmen der „gewerkschaftlichen Praxis“ selbst, die
Gesamtheit der kapitalistischen Verhältnisse in Deutschland und international,
die politische Strategie der Gewerkschaften und Betriebsräte, also die
eigentlichen Grundlagen der aktuellen Praxis, erscheinen allenfalls als
Nebenfragen.

Aber eine „bessere Praxis“ kann ohne eine „bessere“, d. h.
grundlegend andere politische Ausrichtung auf betrieblicher oder Branchenebene
allenfalls nur als Ansatz, als Stückwerk in Erscheinung treten. Die bestehende
„alte Routine“ entspricht nämlich der Ausrichtung der deutschen
Gewerkschaftsbewegung, der Verinnerlichung der Klassenzusammenarbeit mit dem
Kapital auf allen Ebenen vom Betrieb über die Aufsichtsräte bis zur
Unterstützung der Großen Koalition – und sie kann daher letztlich auch nur
überwunden werden, wenn die Politik und Strategie der herrschenden Bürokratie
in Gewerkschaften und Betriebsräten in Frage gestellt, ja bekämpft wird.

Das ist keine abstrakte Frage. Beispielsweise ist in den
Krankenhäusern eine Bewegung für Mindestbesetzungen in der Pflege in Gang
gekommen. Es gibt erste Erfolge. In Haustarifverträgen gibt es Quoten oder
zumindest Mechanismen, wie seitens der Belegschaften gegengesteuert werden
kann.

Beispiel Kampf um Pflege

Warum bleibt es bei einzelnen Beispielen? Natürlich gibt es
überall rückständige Belegschaftsteile, hinderliche Einstellungen von
Beschäftigten, die auch von christlicher und anderer Ideologie gefördert
werden. Aber es gibt auch das Problem, dass sich die ver.di-Führung weigert,
für einen allgemeinen Tarifvertrag zu kämpfen. Ein gemeinsamer Tarifkampf muss
natürlich entsprechend vorbereitet werden. Aber er kann alle Belegschaften
vereinen und die schlechter Organisierten mit hineinziehen und stärken.

Das Verhalten des ver.di-Vorstandes beruht nicht einfach auf
dem Festhalten an „alter Routine“, sondern resultiert aus ganz bewusster
Politik. Die AktivistInnen aus den Krankenhäusern und den Soli-Gruppen sollen
Unterschriften sammeln und demonstrieren, die ver.di-Führung will alleine
bestimmen, wie weit die KollegInnen gehen können/dürfen. Schließlich sollen sie
nicht als selbstständige EntscheiderInnen über ihre Aktionen auftreten, sondern
als Mittel, die Verhandlungsmacht der Führung zu erhalten.

Warum verhindert sie einen einheitlichen Kampf? Vielleicht,
weil zu viele Apparatschiks in den Aufsichtsräten sitzen? Oder in Stadträten
und Verwaltungen, die Ausgabensteigerungen fürchten? Die zwar Minister Spahn
angehen, aber keinesfalls eine Massenbewegung wollen, die die
Regierungskoalition gefährdet?

Der Kampf in der Pflege und den Krankenhäusern hat enormes
Potential. Er kann Massen in den Kampf führen, die bisher eher am Rand standen
und sich erst in den letzten Jahren organisiert und mobilisiert haben. Er kann
auf Unterstützung aus der ganzen ArbeiterInnenklasse rechnen. Der
Pflegenotstand ist Folge einer Politik, die Steuersenkungen für das Kapital von
den Arbeitenden durch Kürzungen für die Kommunen, Senkung der
„Lohnnebenkosten“, Einführung und Ausbreitung von Niedriglöhnen bezahlen lässt.

Diese Politik wurde von den Gewerkschaftsführungen
mitgetragen. Die SPD hat sie aktiv gestaltet. Die „Agenda 2010“ sollte  die Stellung Deutschlands gegenüber den
anderen führenden imperialistischen Ländern verbessern.

Die Linkspartei bekämpft diese Politik zwar in Worten, aber
es reicht weder, eine bessere Praxis zu propagieren noch der SPD gelegentlich
den Schwarzen Peter Agenda 2010 vorzuhalten. Erst recht wird eine solche
Politik zur Farce, wenn in Landesregierungen gemeinsam mit der SPD und den
Grünen die Agenda 2010 weiter verwaltet und umgesetzt wird.

Die Gewerkschaften sind durch und durch von der Politik
geprägt, die die Agenda durchsetzte und heute umsetzt:

  • „Gestaltung“ der Leiharbeit statt deren Bekämpfung.
  • Standort„sicherung“ auf Kosten anderer Belegschaften im In- und Ausland.
  • Aushöhlung der Tarifverträge durch Standort„sicherung“, Sanierungs-TV, Ausgliederung.
  • Kein Kampf für kollektive Arbeitszeitverkürzung, selbst angesichts massiver Arbeitsplatzverluste durch Digitalisierung.
  • Unterstützung des Angriffs auf das Streikrecht (IG Metall, SPD) bzw. die kampflose Hinnahme (ver.di und Linkspartei).

Diese Politik schwächt die Gewerkschaften und macht sie
wehrlos gegen Angriffe, die sich mit der kommenden Krise noch verstärken
werden. Sie entfremdet immer größere Teile der Lohnabhängigen von ihnen und
liefert sie den rechten PopulistInnen aus.

Eine andere, bessere Gewerkschaftspraxis kann nur
durchgesetzt werden, wenn diese Politik aktiv bekämpft wird. Wir müssen dafür
eintreten, dass die Gewerkschaften damit brechen!

Daher soll die Konferenz diese Fragen behandeln und die
Diskussion dazu organisieren – in Braunschweig und darüber hinaus. Wir brauchen
nicht nur Erfahrungsaustausch, sondern gemeinsame Forderungen, um den Kampf für
eine andere, klassenkämpferische und anti-bürokratische Gewerkschaftspolitik zu
koordinieren und zu vereinheitlichen. Hierzu einige Vorschläge:

  • Statt im Namen der Wettbewerbsfähigkeit und des Exportes Angriffe auf Arbeitsplätze, Löhne und Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, brauchen wir den Kampf für unsere Interessen mit allen gewerkschaftlichen und politischen Mitteln. Betriebsbesetzungen sind dabei unverzichtbar und legitim.
  • Die Einbeziehung der Basis in die Entscheidung über Streiks ist der Anfang – letztlich hat nur sie über den Abschluss zu entscheiden und nicht die hauptamtlichen Zentralen. Die Streikleitungen müssen von ihr gewählt, ihr wirklich rechenschaftspflichtig und abwählbar sein.
  • Eine radikale Erhöhung des Mindestlohnes ohne Ausnahmen ist ein entscheidendes Mittel, um den rechten DemagogInnen das Wasser abzugraben und den ständigen Lohndruck auf Stammbelegschaften abzuschwächen.
  • Betriebe, die Arbeitsplätze vernichten, müssen entschädigungslos unter Kontrolle der Beschäftigten enteignet werden!
  • Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel, alle Arbeitssuchenden in die Betriebe zu integrieren! Gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für Stamm- und Randbelegschaften! „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ statt Spaltung. Kampf der Leiharbeit!
  • Solidarität mit kämpfenden KollegInnen in anderen Ländern statt „Sicherung der deutschen Standorte“ – gerade in den internationalen Konzernen!
  • Kampf gegen Rassismus durch Massenmobilisierung! Aufnahme von Geflüchteten und MigrantInnen in die Gewerkschaften! Keine Rückendeckung für die Große Koalition – das ist nur Wasser auf die Mühlen der AfD.

Aussprechen, was ist

Es hilft den Linken in den Gewerkschaften nicht, sich davor
aus taktischen Überlegungen oder Opportunismus zu drücken. „Zu sagen, was ist,
bleibt die revolutionärste Tat….“ – Luxemburgs Satz ist angesichts der Krise
der deutschen Gewerkschaftsbewegung nur zu wahr!

Es hilft daher nichts, die Lage der Gewerkschaften
angesichts von Rechtsruck, Krise, globaler Konkurrenz und Militarisierung zu
beschönigen. Die Politik der sozialpartnerschaftlichen Mitverwaltung des
Kapitalismus, der Standortpolitik ist tief in die politische DNA der Führungen,
des Apparates und der Betriebsräte der Großkonzerne eingeschrieben. Daher
bildet diese Bürokratie heute auch eine der wichtigsten verbliebenen Stützen
der Großen Koalition.

Um eine bessere, andere Praxis in den Betrieben und
Gewerkschaften durchzusetzen, bedarf es neben Forderungen und Diskussion vor
allem auch des organisierten, gemeinsamen Vorgehens der linken,
klassenkämpferischen GewerkschafterInnen, Vertrauensleute, Betriebsräte. Das
System der Bürokratie, das die ArbeiterInnenklasse an die Zusammenarbeit mit
Kapital und Regierung bindet, kann nicht einfach „reformiert“ werden. Es reicht
nicht, einzelne Personen durch andere zu ersetzen. Vielmehr müssen die
Gewerkschaften der Kontrolle durch einen Apparat, eine ganze bürokratische
Schicht entrissen und auf demokratischer Basis neu aufgebaut werden. Dazu
bedarf es einer organisierten Basisbewegung, einer Opposition, die für eine
demokratische, antibürokratische, klassenkämpferische Gewerkschaft kämpft!