Nationalratswahlen 2019: Vor der Neuauflage von Schwarz-Blau?

Alex Zora, Infomail 1066, 30. August 2019

Nachdem die Ibiza-Affäre die Koalition
gesprengt hat und Ende September Neuwahlen durchgeführt werden, hat
sich die politische Lage leider womöglich nur oberflächlich
verändert. Die ÖVP unter Sebastian Kurz liegt in den Umfragen
unangefochten auf Platz 1 und, falls es im Wahlkampf nicht zu
unvorhergesehenen Ereignissen kommt, wird auch die Wahlen gewinnen.
Doch was können wir tun, um uns gegen eine Neuauflage von
Schwarz-Blau zur Wehr zu setzen, bei den Wahlen und danach?

Schwarz-Blau – ein unfertiges Projekt

Im Mai diesen Jahres war das
schwarz-blaue Projekt noch keine eineinhalb Jahre alt, da war es auch
schon wieder vorbei. Nachdem Vizekanzler Strache wegen der
Ibiza-Affäre zurücktreten musste, weigerte sich die ÖVP, die
Regierung mit Innenminister Kickl weiter zu führen, die FPÖ hielt
an letzterem fest und die Regierung platzte. Wenige Tage später
wurde Kanzler Kurz durch ein Misstrauensvotum von SPÖ, FPÖ und
Liste JETZT gestürzt. Seitdem werden wir von einem ungewählten
„ExpertInnen“kabinett regiert.

Doch in der kurzen Zeit ihres Bestehens
schaffte es die schwarz-blaue Regierung, wesentliche Angriffe auf die
große Mehrheit der Bevölkerung durchzuführen. Begonnen wurde
dieses Projekt mit dem passiven Einführen von Studiengebühren für
berufstätige StudentInnen, die zu langsam fertig würden, einem
Steuerbonus für einkommensstarke Familien und Angriffen auf die
Rechte von AsylbewerberInnen. Schon bald darauf kam es zur vermutlich
größten und wichtigsten Reform von Schwarz-Blau. Der 12-Stundentag
wurde im Eilverfahren durchs Parlament bugsiert. Damit zeigte die
Regierung zum ersten Mal offen, dass sie nicht nur Angriffe auf den
einen oder anderen unterdrückten Teil der Gesellschaft fahren würde,
sondern eben auch solche auf die gesamte ArbeiterInnenklasse auf dem
Programm stehen. Gemeinsam mit den Stimmen der NEOS wurde die „Reform
der Tageshöchstarbeitszeit“ Anfang des Sommers 2018 angenommen.
Der ÖGB mobilisierte zwar innerhalb kurzer Zeit zu einer kraftvollen
Demonstration mit mehr als 100.000 TeilnehmerInnen, doch die Kritik
der ÖGB-Spitzen bezog sich vor allem auf die Tatsache, dass sie
nicht wie üblich zu Verhandlungen eingeladen worden waren. Trotz der
ohne Zweifel möglichen Dynamik kam es abgesehen von dieser
Großdemonstration am 30. Juni zu keinen weiteren Kampfmaßnahmen.
Die verräterische Rolle der sozialpartnerschaftlich orientierten
Gewerkschaftsspitze zeigte sich ein weiteres Mal.

Mit dem 12-Stundentag waren die
Angriffe von Schwarz-Blau keineswegs vorbei. Noch vor Ende des Jahres
2018 wurde eine Reform der Sozialversicherung beschlossen, die neben
einer Zusammenlegung der Versicherungsträger vor allem das Gewicht
in den Entscheidungsgremien deutlich zu den UnternehmerInnen hin
verschob. Das letzte große Projekt war die Reform der
Mindestsicherung, das zwar keine großen Einsparungen brachte, aber –
rassistisch ausgerichtet – vor allem Familien mit vielen Kindern
deutliche Einbußen bescherte und Menschen ohne österreichische
StaatsbürgerInnenschaft den Zugang erschwerte. Klar im Interesse des
Kapitals agierend wurde immer darauf geachtet, neben diesen Angriffen
die Geflüchteten und MuslimInnen als populäre Feindbilder zu
erhalten, um sich eine populär„volksnahe“ Basis zu bewahren. Das
funktioniert bis heute ausgesprochen gut. Die aktuellen Umfragen
sagen ÖVP und FPÖ zusammen einen ähnlichen Prozentsatz wie noch
bei den Wahlen 2017 voraus, wenn auch mit einer leichten Verschiebung
hin zur ÖVP.

Doch um sich auf die möglichen
Angriffe der nächsten Regierung vorbereiten zu können, ist es neben
den durchgeführten Angriffen vor allem auch wichtig, sich anzusehen,
welche Angriffe nicht (mehr) durchgeführt werden konnten. Ganz oben
auf dieser Liste steht die Reform von Arbeitslosengeld und
Notstandshilfe. Im Regierungsprogramm lautete das erklärte Ziel, die
Notstandshilfe und das Arbeitslosengeld in einem „Arbeitslosengeld
NEU“ zusammenzuführen. Dabei sollte vor allem die praktisch
unbegrenzte Bezugszeit der Notstandshilfe abgeschafft werden, was zu
einem ähnlichen Modell wie dem deutschen Hartz IV führen würde.
Das würde bedeuten, dass nach dem Ablauf des Bezugs des
Arbeitslosengelds, das sich in Höhe und Dauer wie angedacht nach der
vorherigen Beitragsdauer richten würde, das Vermögen bis auf einen
gewissen Freibetrag verbraucht werden müsste, bevor ein Bezug der
Mindestsicherung möglich wäre. Dieses Projekt war auch jenes, das
die meisten Unstimmigkeiten zwischen FPÖ und ÖVP bewirkt hatte und
dessen Durchführung vermutlich für Herbst/Winter 2019/20 geplant
war. Wir können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
davon ausgehen, dass sich dieses Thema auch in einem neuen
Regierungsprogramm von Schwarz-Blau wiederfinden würde. Die
Gewerkschaften müssen sich schon jetzt auf diesen Angriff einstellen
und Gegenstrategien entwickeln, um nicht wieder wie bei der Reform
des 12-Stundentages vollkommen überrumpelt zu werden. Aber auch
andere Angriffe konnten nicht mehr durchgeführt werden, wie die
Einführung von Studiengebühren, ein vermieterfreundliches
Mietrecht, oder die finanzielle Austrocknung der ArbeiterInnenkammer.

Alle jagen Kurz

Was sich durch die Ibiza-Affäre klar
gezeigt hat, ist dass die etablierten Parteien, auch solche wie die
FPÖ, die sich gerne als „Partei des kleinen Mannes“ ausgibt,
nicht viel mehr als korrupte Gebilde sind, um Politik im Interesse
der Reichen und Mächtigen zu machen. Die ÖVP ist auch durch die
Spendenaffäre rund um die Milliardärin Heidi Horten (die Strache
auch im Ibiza-Video als Spenderin der FPÖ nennt) in ein für sie
ungutes Licht gerückt worden. Nachdem Spendenlisten der ÖVP
diversen Medien zugespielt wurden, veröffentlichte die ÖVP ihre
SpenderInnen von 2018 und 2019. Ungeschlagen dabei ist Heidi Horten,
die seit der Übernahme durch Kurz jeden Monat 49.000 Euro (ab 50.000
Euro wäre es zu melden gewesen) an die ÖVP überwies. Insgesamt
belief sich das auf fast 1 Million Euro. Aber auch andere
KapitalistInnen wie Pierer oder Ortner spendeten mehrere
hunderttausend.

Trotz all dieser Steilauflagen tut sich
die SPÖ bisher schwer, im Wahlkampf auf Kosten des Kanzlers Kurz an
Boden zu gewinnen. Auf der einen Seite versucht sie, zwar klar die
Politik der Reichen von Kurz und Co. anzuprangern, tut sich aber
gleichzeitig schwer, wirklich radikal und offensiv für die
Interessen der ArbeiterInnen einzutreten. Das ist auch wenig
verwunderlich, immerhin möchte sie sich ja nicht den Weg in eine
Regierung als Juniorpartnerin der ÖVP versperren. Die FPÖ hingegen
wandelt gerade auf einem schmalen Grad der Parteispaltung. Hinter den
Kulissen dürfte es harte Auseinandersetzungen zwischen dem
radikaleren Flügel um die deutschnationalen Burschenschafter und
Ex-Innenminister Kickl auf der einen Seite und dem gemäßigteren
Flügel um Parteichef Hofer geben, der sich voll auf eine Fortsetzung
der Regierung mit der ÖVP orientiert. Auch Strache versucht aktuell,
an seinem Comeback zu arbeiten, und befindet sich damit eindeutig auf
Konfrontationskurs mit Hofer. Der FPÖ-Parteitag am 14. September
könnte diesbezüglich noch interessante Entwicklungen bringen.

Die Grünen sind wohl die Partei, die
am meisten zulegen wird können. Das ist aber in erster Linie nicht
selbstverschuldet, sondern liegt vor allem an der internationalen
Umweltthematik. Mit Fridays for Future gibt es nun schon seit einigen
Monaten eine kampfstarke Umweltbewegung, die die Grünen in vielen
Ländern dominieren und wovon sie natürlich auch politisch
profitieren. Das hat sich schon bei den EU-Wahlen gezeigt. In dieser
Bewegung spielen die Grünen aber vor allem die Rolle der
„realistischen“ Alternative zu den anderen Parteien, die den
Umweltschutz nur als untergeordnetes Thema aufgreifen wollen. Aber es
ist auch ganz klar, dass sie mit ihrer Politik der grünen bzw.
sozial-ökologischen Marktwirtschaft nicht über die Grenzen dieses
Systems hinausgehen wollen und letztlich nicht in der Lage sein
werden, das Problem der Umweltzerstörung und des Klimawandels
wirklich zu lösen.

ArbeiterInnenbewegung und die Wahlen

Links der Sozialdemokratie und der
Grünen werden österreichweit der „Wandel“ antreten und die KPÖ
(diesmal unter „Alternative Listen, KPÖ PLUS, Linke und
Unabhängige“). Beide versuchen, sich mit einem mehr oder weniger
ambitionierten Reformprogramm bei diesen Wahlen als Alternative zu
präsentieren. Aber mehr als linker Reformismus ohne relevante
Grundlage in der ArbeiterInnenklasse ist bei beiden nicht zu
erkennen. Vielmehr geht es darum, das Programm der klassischen
Sozialdemokratie ins 21. Jahrhundert zu bringen. Ein klarer Bruch mit
dem Kapitalismus und ein proletarischer Klassenstandpunkt ist bei
beiden zu vermissen.

Die SPÖ, immer noch die dominierende
Kraft in den Gewerkschaften und in den organisierten Teilen der
ArbeiterInnenklasse, bringt bei diesen Wahlen selbst nicht viel mehr
als ein handzahmes Programm des Bruchs mit der schwarz-blauen
Koalition vor. Nicht einmal die Rücknahmen aller Konterreformen der
letzten zwei Jahre finden sich bei ihnen. Offiziell möchte man
wieder schaffen, stärkste Kraft zu werden, doch anlässlich der
Umfrageergebnisse ist wohl die Rolle der Juniorpartnerin unter
Sebastian Kurz realistischer, nicht zuletzt um die FPÖ aus der
Regierung zu verdrängen. Nichtsdestotrotz werden viele
fortschrittliche ArbeiterInnen, Arbeitslose und Jugendliche die SPÖ
als Partei des kleineren Übels und als Kraft gegen eine Neuauflage
von Schwarz-Blau wählen.

Für uns ist es deshalb nicht genug,
auf die Unzulänglichkeiten aus den vergangenen SPÖ-Regierungen
hinzuweisen: auf die Sparpolitik nach der Wirtschaftskrise, in der
Faymann die Kosten der Bankenrettung auf die ArbeiterInnen und
Jugendlichen abwälzte, auf die rassistische Grenzpolitik im Zuge der
„Flüchtlingskrise“ und die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung
der sozialdemokratisch dominierten Gewerkschaftsführungen. Die SPÖ
ist eben wegen dieser zutiefst bürgerlichen Politik, Strukturen und
Führung, aber gleichzeitig wegen ihrer engen Verbindungen zu den
Gewerkschaften und der ArbeiterInnenbewegung eine bürgerliche
ArbeiterInnenpartei. Ihre reformistische, lähmende Dominanz bleibt
das größte Hindernis für revolutionäre Politik der
ArbeiterInnenbewegung, die den konsequenten Bruch mit den
KapitalistInnen sucht. Deswegen müssen alle ehrlichen und
klassenbewussten Linken Wege finden, um die ArbeiterInnenbewegung vom
Reformismus zu trennen.

Interessanter Weise ist die Rolle der
Sozialistischen Jugend in der Partei in den letzten Monaten gestärkt
worden. Die SJ-Chefin Julia Herr kandidiert auf Platz 7 der
Bundesliste. Als selbstproklamierte Sozialistin müssen wir von ihr
die konsequente Ablehnung aller Politik gegen die Interessen der
ArbeiterInnenklasse, Frauen, MigrantInnen und Jugendlichen fordern
und die Unterstützung für die Mobilisierung der Linken und der
ArbeiterInnenbewegung. Von der SPÖ fordern wir die Ablehnung
jeglicher Koalitionen mit den bürgerlichen Parteien des Parlaments
und stattdessen eine Orientierung auf den außerparlamentarischen
Widerstand gegen die kommenden Angriffe von Kurz und Co. Gerade den
linkeren Kräften innerhalb der Sozialdemokratie, die eine solche
Herangehensweise teilen, bieten wir hier eine praktische
Zusammenarbeit an. Um den Kampf um solche Anliegen zu stärken,
werden wir am 29. September für eine kritische Wahlunterstützung
der SPÖ aufrufen. Gleichzeitig muss uns aber auch klar sein, dass
der wirkliche Kampf erst nach den Wahlen beginnen wird und deshalb
schon jetzt in der ArbeiterInnenbewegung die Diskussion über den
praktischen Widerstand gegen die geplanten Angriffe geführt werden
muss.




Brasilien: Politisches Lumpenpack!

Liga Socialista, Infomail 1063, 25. Juli 2019

Mit einer entscheidenden Abstimmung billigte das
brasilianische Repräsentantenhaus am 8. Juli 2019 mit 379 Ja-Stimmen und 131
Nein-Stimmen den Grundtext der „Reform“ der sozialen Sicherheit. Die Debatte
war im Plenum heftig geführt worden, wobei die Opposition große Anstrengungen
unternahm, um diese Katastrophe zu vermeiden.

Die Umsetzung der Reform würde die Zerstörung des
Sozialversicherungssystems des Landes bedeuten. Von nun an müssen die
Arbeit„nehmer“Innen etwa zehn Jahre länger arbeiten, um mit einer Rente in den
Ruhestand zu gehen, von der sie leben können. Darüber hinaus könnte die Höhe
der Rente der Hälfte des bisherigen Gehalts entsprechen. Die Renten, die
Ehemänner für ihre Witwen hinterlassen, betragen die Hälfte des Mindestlohns.
Damit droht eine verheerende Situation im Land.

Wir müssen die Mitglieder des Parlaments unter die Lupe
nehmen, die für diese Reform gestimmt haben. Während der gesamten Debatte
bestanden sie darauf, dass Privilegien abgeschafft werden sollten und die
Reform notwendig sei, um zu verhindern, dass das Land auseinanderfällt.

Dieses Lumpenpack! Gleichzeitig mit ihren Reden, in denen
sie scheinheilig erklärten, dass BeamtInnen und LehrerInnen privilegiert seien,
wurde die Tatsache verschleiert, dass die Sonderkommission des Parlaments, die
die Reform der Sozialversicherung analysierte, die Steuerbefreiung für die
AgrarexporteurInnen wieder eingeführt hat, was ohne dieses Geschenk zu einem
Steueraufkommen von rund 84 Milliarden Real geführt hätte.

Viele dieser Abgeordneten, die sagen, dass das Land vor
einem finanziellen Zusammenbruch stand und es sich einfach nicht mehr leisten
konnte, die Renten zu zahlen, verteidigten und genehmigten das Repetro-Gesetz,
das während der Regierung Temer verabschiedet wurde, das Ölgesellschaften, die
das Gebiet über und unter den Salzschichten ausbeuten, Steuervorteile gewährte
und bis 2040 wirksam ist. Diese Befreiungen werden zu Steuerausfällen von rund
1 Billion Real führen.

Wenn es dem Land an Geld mangelt, was ist dann mit dem
Vermögen von hohen RegierungsbeamtInnen, Abgeordneten und SenatorInnen? Werden
sie ihre Rentenansprüche und andere Privilegien aufgeben? Also, für wen war die
Reform wirklich notwendig?

Diese Reform wurde durchgeführt, um den Bedürfnissen von
Geschäftsleuten und Bankiers gerecht zu werden, denen dieser Ausgabenposten des
Haushalts immer ein Dorn im Auge war. Ein Sozialhaushalt, der den ArbeiterInnen
im Alter, bei Unfällen oder Krankheiten helfen sollte, wurde von den wirklich
Privilegierten – Geschäftsleuten, Bankiers und AgroexporteurInnen –, die ihn in
die Finger bekommen wollten, immer als Hindernis angesehen. Jetzt wird der
Staat mehr Geld haben, um es auf Kosten der Gesellschaft an diese ParasitInnen
zu verteilen.

Klassenwahl

Offensichtlich war die Abstimmung im Parlament eine
Klassenwahl: eine Abstimmung für die Reichen und Superreichen, für das
bürgerliche Establishment, für die Bankiers, Industriellen und das
Agrobusiness, für das brasilianische und internationale Kapital. Es ist kein
Wunder, dass alle bürgerlichen Parteien, die Stützen der Regierung sowie die
traditionellen Parteien der brasilianischen Elite für die „Reform“ gestimmt
haben. Es ist auch kein Zufall, dass eine beträchtliche Anzahl der „Mitte-Links“-Mitglieder
von PDT (Demokratische ArbeiterInnenpartei) und PSB (Partido Socialista
Brasileiro) ebenfalls dafür gestimmt hat, obwohl die Führungen dagegen
sprachen. Nur die Abgeordneten der reformistischen und linken Parteien PT
(ArbeiterInnenpartei), PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) und PCdoB
(Kommunistische Partei von Brasilien), die behaupten, die ArbeiterInnenklasse
zu vertreten und historisch und organisatorisch mit den ArbeiterInnen- und
Gewerkschaftsbewegungen verbunden sind, stimmten gegen diesen historischen
Angriff auf die sozialen Rechte.

Unser Kampf kann und darf nicht hier enden. Wir müssen den
Widerstand der ArbeiterInnenklasse weiterhin organisieren und mobilisieren. Die
Abstimmung im Kongress war nur der erste Akt. Es wird nun eine längere Zeit der
Änderungen und Ergänzungen geben, bis am 6. August eine weitere Abstimmung im
Kongress stattfinden wird. Wenn es noch eine Mehrheit dafür gibt, wird das
Gesetz an den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, am 8. August übergeben.

Natürlich können wir nicht erwarten, dass der Kongress,
geschweige denn der Senat, die Rentenkürzungen aufgibt. Es wird viel „Kuhhandel“
geben, wo dieser oder jener Beruf (z. B. Lehrerschaft und Polizei)
zusätzliche Regeln erhalten wird, wo das Mindestalter für den Ruhestand oder
die Formel für die Beziehungen zwischen Beitragsdauer und Rentenniveau
angepasst wird. Wir können mit Sicherheit erwarten, dass dies zum Schaden der
Bevölkerungsmehrheit geschieht, auch wenn es einige Verbesserungen für
Schichten der Gesellschaft geben wird, die von bestimmten Parlamentsfraktionen
unterstützt werden. Wir können uns bei diesen Verhandlungen keinerlei
Illusionen machen! Nur Massenmobilisierungen an den Arbeitsplätzen, in den
Büros und auf den Straßen können die derzeitige Offensive von Regierung und
Bürgertum stoppen.

Die CUT, der größte und wichtigste Gewerkschaftsdachverband des
Landes, hat zu Massenversammlungen im Juli und zu einer Protestwoche vom 5. bis
12. August aufgerufen, die am 13. August in einem „Tag des Kampfes gegen die
Rentenreform“ gipfelt, um das Land zum Stillstand zu bringen.

Es liegt auf der Hand, dass sich alle linken und
ArbeiterInnenparteien und die sozialen Bewegungen, die StudentInnen, die
Frauenbewegung, die Landlosen, die Bauern/Bäuerinnen und indigenen Völker sowie
die Obdachlosenbewegung zusammenschließen sollten, um eine massenhaft vereinte
Front gegen die Rentenreform aufzubauen. Wir, die Liga Socialista, schlagen
vor, Aktionsräte an allen Arbeitsplätzen und in allen Büros, an den Schulen,
Universitäten, in den ArbeiterInnensiedlungen, den Favelas, in Stadt und Land
zu bilden, um die Aktion vorzubereiten, zu organisieren und zu leiten. Die Räte
sollten von Massenversammlungen gewählt werden, ihrer Basis
rechenschaftspflichtig und von ihr abrufbar sein und die Grundlage für eine
nationale, demokratische Koordination des Kampfes bilden.

Die „Aktionswoche“ ist ein positiver Schritt nach vorne.
Aber aus der Vergangenheit wissen wir, dass temporäre und begrenzte Maßnahmen,
auch wenn es sich um einen eintägigen Generalstreik handelt, die Regierung und
die Bosse nicht aufhalten werden. Wir müssen einen unbefristeten Generalstreik
zur Rücknahme des Gesetzes einleiten und organisieren und er muss auf den
Aktionsräten basieren. Um Provokationen und Angriffe der extremen Rechten,
paramilitärischen bzw. (proto)faschistischen Kräfte oder der Polizei zu
stoppen, muss die Bewegung eine Selbstverteidigung in großem Stil organisieren.

Eine solche Bewegung könnte natürlich nicht nur die
Rentenreform stoppen, ein solcher unbefristeter Generalstreik würde auch die
Frage der Macht aufwerfen, die Frage, welche Klasse die Gesellschaft führt und
in wessen Interesse.

Wichtig ist, dass wir wissen, wie wir den Kampf gegen das
Gesetz zu einem für eine sozialistische Gesellschaft eskalieren können, dass
wir bereit sind, einen Verteidigungskampf und einen Generalstreik in einen
Machtkampf zu verwandeln. Vom Widerstand zur Revolution!




Österreich: Widerstand gegen die Angriffe auf unsere Gesundheit!

Mo Sedlak, Infomail 1012, 22. Juli 2018

Was sich die schwarz-blaue Regierung im Umgang mit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) bisher geleistet hat, ist beachtlich. Aber nach schlecht organisierten Medienscharmützeln und kleinlicher Selbstdarstellung der Gesundheitsministerin nimmt der Angriff jetzt Gestalt an. Laut Kronenzeitung liegen Pläne vor, wie die AUVA kaputtgespart werden soll. Das macht den Weg frei für eine umfassende Privatisierung des Gesundheitswesens in Österreich, auf Kosten der Versicherten und der ArbeiterInnen im Gesundheitsbereich, für Milliardenprofite der großen KapitalistInnen. Ein Streik und breiter Widerstand können die Reform aber noch stoppen.

Die AUVA ist die Unfallversicherungsanstalt von 5 Millionen Menschen. Sie ist sowohl für die Behandlung in spezialisierten Unfallzentren (zum Beispiel das UKH Meidling oder das Lorenz-Böhler-Spital), die Rehabilitation und die Auszahlung von Unfallrenten verantwortlich. Das ist vor allem für Arbeitsunfälle entscheidend und die AUVA finanziert sich hauptsächlich aus Unternehmensbeiträgen.

Unerfüllbare Forderungen und ein umgestoßener Zeitplan

Die Angriffe auf das Gesundheitssystem in Österreich und besonders auf die AUVA standen schon im Regierungsprogramm. Auf Seite 115 geht es darum, dass der Unfallversicherungsbeitrag der UnternehmerInnen gekürzt werden soll. Damit sollen die Lohnnebenkosten gesenkt werden. Ein Nebeneffekt der Affäre ist, dass jetzt offensichtlich wird: Das geht immer auf Kosten der ArbeiterInnen und Angestellten.

An sich wurde von der AUVA gefordert, innerhalb eines Jahres einen Sparplan über 500 Millionen Euro vorzulegen. Das ist über ein Drittel des Gesamtbudgets des Versicherungsträgers. Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (ÖVP) erklärte dann, es solle in der Verwaltung gespart werden. Erfundene superreiche Verwaltungsbonzen wurden für die hohen Lohnnebenkosten verantwortlich gemacht. Für die Verwaltung gibt die AUVA aber unter 100 Millionen Euro aus. Also selbst wenn keine einzige Person dort überhaupt bezahlt werden würde, wäre nicht einmal ein Fünftel des Geforderten eingespart. Die Forderung war von Anfang an undurchführbar und ein Vorwand, um die AUVA zu zerschlagen.

Eigentlich hätte die Versicherung bis Ende 2018 Zeit gehabt, Einsparvorschläge vorzulegen. Schon im April zog die Gesundheitsministerin aber die Reißleine und verkündete, bis 31. August müssten 500 Milliarden Euro eingespart werden.

Das Sparpaket der AUVA

Dieser Sparplan ist jetzt über den Betriebsrat durchgesickert. Es wird nicht bei erfundenen Versicherungsbonzen gespart, sondern Krankenhäuser werden „zusammengelegt“ und Betten gestrichen. Auch von einer Umwandlung in eine GmbH und teilweisen Verkauf wird gesprochen, was auch Gehaltskürzungen durch einen neuen Kollektivvertrag für die Angestellten in den Spitälern bedeuten würde.

Die Gesundheitsministerin behauptet weiterhin, es gäbe eine Standortgarantie, kein Krankenhaus würde geschlossen. Das glaubt man ihr aber nicht mal bei der ÖVP-Gewerkschaftsfraktion FCG (Fraktion Christlicher Gewerkschafter). Es geht konkret um Schließungen in Wien (Lorenz-Böhler-Spital) und in der Steiermark (UKH Kalwang), außerdem Personalabbau um zwei Drittel in der Verwaltung. Die Privatisierung von einzelnen Spitälern oder Teilen der AUVA selbst würden, das zeigen alle internationalen Erfahrungen, die Kosten für die Versicherten explodieren lassen.

Die GewinnerInnen sind, wie bei allen Plänen dieser Regierung, die KapitalistInnen. Und zwar gleich in doppelter Hinsicht. Die Senkung der UnternehmerInnenbeiträge um mehr als ein Drittel (von 1,3 auf 0,8 Prozent der Lohnsumme) wandert natürlich direkt in ihre Taschen. Aber auch bei einer möglichen Privatisierung der Krankenhäuser und der Versicherung selbst sind Milliarden zu holen. Das zeigen die Rekordprofite von Versicherungen auf der einen und Privatspitälern auf der anderen Seite.

Wird der Betriebsrat streiken?

Vom Betriebsrat kommen jetzt kämpferische Töne. Betriebsratobmann Erik Lenz sagt laut oe24.at, ein Streik sei jetzt möglich. Auch der ÖVP-Bürgermeister der betroffenen Stadt Kalwang behauptet gegenüber dem ORF, er könne sich vorstellen, aus Protest die Autobahn zu blockieren. Auf jeden Fall ist ein Protesttag am 13. August geplant.

Die Situation in den Spitälern war schon vor den geplanten Einsparungen angespannt. In den meisten Spitälern des KAV (Krankenanstaltenverbund in Wien) und der AUVA sind eigentlich zu wenige PflegerInnen angestellt. Im Betriebsflugblatt „Herzschlag“ und in der „CARE Revolution“-Bewegung redeten Angestellte immer wieder Klartext: mit so wenigen Kräften auf den Stationen und so langen Schichten sei die Arbeit eigentlich gesundheitsgefährdend sowohl für die PatientInnen als auch für die PflegerInnen.

2016 gingen deshalb Tausende PflegerInnen mit „CARE Revolution“ in Wien mehrmals auf die Straße. 30 % mehr Personal, 30 % mehr Lohn und demokratische Kontrolle über die gewerkschaftlichen Verhandlungen wurden damals gefordert. Der ArbeiterInnenstandpunkt war an der Organisation der Proteste und an dem Betriebsflugblatt Herzschlag zum damaligen Zeitpunkt führend beteiligt.

Schon damals war es möglich, in Ansätzen einen gemeinsamen Kampf aller Betroffenen – ÄrztInnen, PflegerInnen und PatientInnen – für bessere Bedingungen zu organisieren. Jetzt wo eine riesige Verschlechterung für alle Beteiligten im Raum steht, ist das noch notwendiger als vor zwei Jahren. Eine breite Bewegung gegen Angriffe auf das Gesundheitssystem und für bessere Arbeitsbedingungen kann die Pläne noch zurückschlagen. Wir schlagen vor, dass sich alle Betroffenen um folgende Forderungen organisieren:

  • Keine Einsparungen, keine Privatisierungen im Gesundheitsbereich! Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin! Stattdessen bessere Versorgung für alle, finanziert durch eine Besteuerung der Reichen und KapitalistInnen!
  • Mehr Lohn und mehr Personal in den öffentlichen, privaten und kirchlichen Krankenhäusern! Ausverhandlung der tatsächlichen Personalaufstockungen durch gewählte Strukturen von den Stationen ausgehend!
  • Kontrolle über den Verhandlungsprozess für die ArbeiterInnen: Betriebsversammlungen und Betriebsrätekonferenzen für alle Krankenhäuser und Versicherungsanstalten jetzt! Abstimmung der Strategie mit Stimmrecht für alle ArbeiterInnen! Öffentliche Verhandlungen, keine geheimen Absprachen mit den Landesregierungen, dem Gesundheitsministerium oder den Krankenhausverwaltungen!

Diese Bewegung muss von denen angeführt werden, die im Krankenhaus die meisten Leute stellen und schon in der Vergangenheit gekämpft haben: den PflegerInnen und dem technisch-medizinischen Personal. Die Gewerkschaften, vor allem YOUNION, aber auch VIDA und PROGE, die in der „CARE Revolution“-Bewegung unsichtbar geblieben sind, müssen jetzt alle Ressourcen aufbringen, um den Protest und den Streik zu organisieren. Die Gewerkschaft steht unter Druck und ist selbst auch von den Angriffen bedroht. Jetzt kann man sie in den Betrieben, auf den Protestversammlungen und im Betriebsrat nach links drücken. Das ist die Aufgabe aller KollegInnen innerhalb und außerhalb der Gewerkschaft, die nicht für die Zerstörung der Krankenversicherungen verantwortlich sein wollen.

Auch die SPÖ, die die Situation im KAV in Wien zu verantworten hat, muss jetzt den Kopf aus dem Sand ziehen, und echte Verantwortung übernehmen. Sie soll beweisen was für eine Opposition sie tatsächlich gegenüber dieser Regierung ist. Dazu müssen wir Taten statt nur schöne Worte im Parlament einfordern, d. h. sie soll die Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen unterstützen und Proteste organisieren.

Der Angriff auf das Gesundheitssystem kann nicht für sich alleine betrachtet werden. Diese Regierung greift alles an, was für uns ArbeiterInnen, Arbeitslose und Jugendliche wichtig ist. Eine Forderung der KapitalistInnen nach der anderen wird durchgesetzt. Und je mehr sie erreichen, desto dreister werden sie. 12-Stunden-Tag, Kürzung der Mindestsicherung und rassistische Hetze: Das ist aus demselben Holz geschnitzt wie das Kaputtsparen und Privatisieren unserer Gesundheit. Die Kämpfe dagegen müssen so eng verbunden sein, dass kein Blatt Papier zwischen uns Betroffene passt.




Frankreich: Macron erklärt EisenbahnerInnen den Krieg

Marc Lassalle, Infomail 995, 28. März 2018

Am 22. März fanden Streiks und Demonstrationen in ganz Frankreich statt. Sie wurden von den meisten Gewerkschaften des öffentlichen Diensts, die das Eisenbahn-, Schul- und Krankenhauspersonal, BeamtInnen, FluglotsInnen und Pariser U-Bahn-MitarbeiterInnen vertreten, ausgerufen. Ihr Ziel war, das „Gesetzesprojekt für einen neuen Eisenbahnpakt“ von Präsident Emmanuel Macron, dem Pin-up-Boy der internationalen Bourgeoisie, zu Fall zu bringen.

Es besteht nur aus vier Seiten und 8 kurzen Artikeln, enthält aber eine echte Kriegserklärung. Damit hat Macron die Feindseligkeiten gegen EisenbahnerInnen mit einem weitreichenden Angriff eröffnet: Änderung des Status der SNCF (der staatlichen Eisenbahngesellschaft mit 146.000 Beschäftigten) in Richtung Privatunternehmen, Öffnung der französischen Eisenbahnen für den Konkurrenzkampf (derzeit ist sie ein staatliches Monopol), Abbau von 4000 bis 9000 km Nebenstrecken und Verhinderung der Neueinstellung von Beschäftigten unter bestehenden kollektiv vereinbarten Arbeitsbedingungen der SNCF.

Der Angriff

Letzteres ist das Herzstück der Attacke. Die EisenbahnerInnen verfügen aufgrund vieler Kämpfe in der Vergangenheit über vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen sowie eine Entschädigung für Nacht- und Wochenendarbeit. Diese „Privilegien“ werden seit Jahrzehnten medial und politisch angegriffen, obwohl die Gehälter dem nationalen Durchschnitt entsprechen und die Belegschaften bereits besondere Verrentungsbedingungen verloren haben. Der Hauptgrund für den Angriff ist jedoch, dass die ArbeiterInnen der SNCF nach wie vor eine Hochburg des militanten Gewerkschaftswesens sind, und zwar einer der letzten gut organisierten und kämpferischen Industriesektoren in Frankreich.

Von seinem Erfolg im Herbst beseelt, als seine Regierung ohne ernsthaften Widerstand ein neues Arbeitsgesetz (Code du Travail) verhängte, das die Bosse völlig begünstigte, will Macron dieser Avantgarde der französischen ArbeiterInnenklasse, dem Kern des Widerstands innerhalb der verschiedenen sozialen Bewegungen der letzten zwei Jahrzehnte, eine große strategische Niederlage aufzwingen. Jede/r denkt noch an den langen Streik von 1995, als die EisenbahnerInnen das Land für drei Wochen lahmlegten und am Ende der rechten Regierung Alain Juppés eine demütigende Niederlage zufügten.

Macron profitiert von einer außergewöhnlich starken parlamentarischen Mehrheit und möchte diese neue „Reform“ ohne öffentliche Debatte auf dem Wege von Verordnungsdekreten durchsetzen, so wie er es mit dem Arbeitsgesetz getan hat. Das sind kurze Ermächtigungsgesetze, die der Regierung einen Blankoscheck aushändigen, damit sie tun kann, was sie will. Diese Eile hat keine wirkliche Rechtfertigung, abgesehen von dem Versuch, die Debatte im Parlament und im Land zu verkürzen und die ArbeiterInnen vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Er will auch die politische Krise nutzen, die die ArbeiterInnenbewegung erschüttert. Ihre traditionellen Parteien, die Sozialistische Partei, PS, und die Kommunistische Partei, PCF, befinden sich in völliger Zerrüttung, während die Neue Antikapitalistische Partei, NPA, stark geschwächt ist. Jean-Luc Mélenchons Versuche, sie mit seiner populistischen Bewegung La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich) zu beerben, sind trotz wiederholter rhetorischer Heißluft nie richtig in Gang gekommen.

Als Grund für die Veränderungen werden die Vorgaben der Europäischen Union (EU) herbeizitiert. Doch dies ist eine Ausrede. Die EU ist heute so geschwächt, dass sie eine andere Entscheidung Frankreichs für den Eisenbahnsektor akzeptieren müsste. Die Wahrheit ist, dass die französische Regierung diesen öffentlichen Dienst in ein privates Unternehmen umwandeln will, das auf Profit ausgerichtet ist. Sie wünscht, dass das Schienennetz auf Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen den wichtigsten Städten beschränkt bleibt, mit Nahverkehrszügen in dichten Stadtgebieten. Die NutzerInnen in ländlichen und verarmten Gebieten sowie solchen mit einem hohen ArbeiterInnenanteil an der Bevölkerung lässt der Rahmen dieses neuen Geschäftsplans eindeutig außer Acht.

Die Öffnung des Marktes sowie eine Klausel, die die EisenbahnerInnen verpflichtet, jeden neuen Arbeitsplatz in diesem Sektor, auch bei privaten Unternehmen, anzunehmen, wird zu einer Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen führen. Was auch immer von den derzeitigen Verhältnissen übrig bleiben sollte, würde ständig der Gefahr, unterlaufen zu werden, ausgesetzt sein. Mit dem Angriff auf die SNCF verfolgt Macron auch einen großen politischen Sieg, der den Weg für weitere „Reformen“ gegen den öffentlichen Dienst ebnen könnte.

Eines der Wahlversprechen Macrons war, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um 120.000 zu reduzieren. Ähnliche „Reformen“ sind in Vorbereitung, unter anderem in den Bereichen Gemeindeverwaltung, Schulen und Gesundheitswesen. Macron will „Jobs auf Lebenszeit“ für die Staatsbediensteten untergraben und sie durch „prekäre“ ArbeiterInnen mit niedrigeren Löhnen und niedrigen oder gar keinen Renten ersetzen.

Als unverschämter Verfechter des Neoliberalismus, der den individuellen wirtschaftlichen Erfolg als einziges wichtiges Kriterium lobt, träumt Macron von einer umfassenden Umgestaltung der französischen Wirtschaft, die nach wie vor auf einen bedeutenden öffentlichen Dienst angewiesen ist. Bisher ist er auf wenig Widerstand gegen seine Schocktaktik gestoßen.

Die aktuelle Angriffswelle wird jedoch nicht ohne einen ernsthaften Klassenkampf ausgehen. Der Aktionstag und die Streiks am 22. März waren ein klarer Erfolg, warfen aber die Frage auf, was die nächsten Schritte sein sollten, denn der letzte ähnliche Aktionstag passierte im Oktober 2017.

Kampftaktiken

Alle Gewerkschaften der SNCF haben die Reform abgelehnt, und die stärksten Gewerkschaften, einschließlich der CGT, rufen zu Streiks im April und Mai auf. Leider ist die gewählte Streiktaktik von Anfang an bürokratisch. Sie besteht aus zwei Streiktagen pro Woche, die von den Leitungsgremien der Gewerkschaft im Voraus festgelegt werden. Die französische Gewerkschaftstradition, insbesondere bei der SNCF, sieht unbefristete Aktionen vor, bei denen der Streik jeden Morgen auf jeder Arbeitsstelle von der Generalversammlung der Beschäftigten gemeinsam beschlossen wird. Indem die GewerkschaftsbürokratInnen den Streik im Voraus für die nächsten Monate planen, erzwingen sie eine strengere Kontrolle des Kampfes von oben – nützlich, wenn sie beschließen, ihn zu beenden.

Laurent Brun, Leiter der CGT-EisenbahnerInnen, spricht erwartungsgemäß von einem guten Kampf. „Wir nehmen die Herausforderung an. Dies wird sicherlich eine der größten sozialen Bewegungen in der Geschichte der SNCF sein“, sagte er. Es scheint allerdings auch, als hätte Macron die Unterstützung durch Laurent Berger, den Generalsekretär des CFDT-Gewerkschaftsverbandes, verloren, der die Regierung beschuldigt hat, „den ArbeiterInnen der Eisenbahn und des öffentlichen Dienstes ins Gesicht zu spucken“. Bei der „Reform“ des Code du Travail konnte Macron Berger noch benutzen, um die Gewerkschaften zu spalten und die CGT zu isolieren.

Der Kampf der ArbeiterInnen der SNCF ist in der Tat so bedeutsam, dass alle französischen ArbeiterInnen ihn aktiv unterstützen müssen, am besten, indem sie auf eigene Forderungen hin streiken. In mehreren anderen Sektoren wurde in letzter Zeit die ArbeiterInnenschaft mobilisiert oder wird es bald werden: bei Air France, dem riesigen Einzelhändler Carrefour, EHPAD (Etablissement d’Hébergement pour Personnes Agées Dépendantes; deutsch: Niederlassung für die Unterbringung abhängiger älterer Personen), also ArbeiterInnen, die sich um ältere Menschen in Heimen kümmern, und SchullehrerInnen. Auch die SchülerInnen haben sich in den letzten Wochen gegen eine „Reform“ ihrer Gymnasien eingesetzt, die den Zugang zu den Universitäten stark einschränken wird.

In diesem Zusammenhang ist der von Olivier Besancenot von der NPA initiierte und von 16 Gruppen, darunter der PCF, unterzeichnete Aufruf zur Solidarität ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Massenbewegung und ein Sieg für die EisenbahnerInnen wären ein Sammelpunkt für die gespaltene französische Linke und die Gewerkschaften.

Der 22. März, der Tag des Streiks, war der 50. Jahrestag der Besetzung des Campus der Universität Nanterre (Universität Ouest Paris-Nanterre La Défense oder Universität Paris X) , die die Bewegung initiierte, die mit dem Generalstreik und den Barrikadenkämpfen im Mai 1968 ihren Höhepunkt erreichte. Heute müssen die französischen ArbeiterInnen und Jugendlichen dem Beispiel dieses Streiks mit Massenmobilisierungen, Betriebsbesetzungen und einem Generalstreik folgen, der von der Basis kontrolliert wird. Tatsächlich kann nur eine Bewegung dieser Stärke das gesamte Reformpaket von Macron zu Fall bringen. Im Kampf müssen die ArbeiterInnen und Jugendlichen Organe der Selbstorganisation schaffen, um die Kontrolle über den Streik zu übernehmen und ihre Forderungen nicht nur an die Regierung, sondern auch an ihre eigenen nationalen FührerInnen zu stellen.




Nein zur Großen Koalition!

Markus Lehner, Infomail 981, 14. Januar 18

Nach der verlorenen Bundestagswahl hatte die SPD noch verkündet, dass es ein „Weiter so“ nicht geben könne und die Partei sich auf sozialer Grundlage wieder „erneuern“ müsse. Eine kräftige Opposition („eins in die Fresse“) im Sinne der noch verbliebenen Klientel bei den abhängig Beschäftigten wurde versprochen. Wem sich diese Partei vor allem verpflichtet fühlt, weiß man ja eigentlich spätestens schon seit 1914, als man sich auch schon als „staatstragend“ erwies. Die ArbeiterInnenbasis wird allemal verarscht, wenn es darum geht, dem Staat des Kapitals zu dienen. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen war es daher keine Überraschung, dass sich die SPD-Führung wieder als günstig zu habende Mehrheitsbeschafferin für die Unionsparteien bereitfand.

Dies ist auch insofern nicht überraschend, da die wesentliche Verbindung der SPD, die sie noch zur ArbeiterInnenklasse aufweist, die Gewerkschafts- und Betriebsrätebürokratie darstellt. Die Spitzen der letzteren waren selbst nach dieser Wahlschlappe weiterhin überzeugte GroßkoalitionärInnen. Ihnen ist der direkte Draht zum Arbeits- und Sozialministerium die Essenz der „Sozialpartnerschaft“ – also des geordneten Ausverkaufs der Interessen der ArbeiterInnenklasse, solange nur Gewerkschaften und Betriebsräte dabei „mitbestimmen“ dürfen.

Ergebnis der Sondierungsverhandlungen

Dies ist letztich auch der Geist der „sozialdemokratischen Handschrift“ in dem am 12.1. veröffentlichten Einigungs-Dokument „Ergebnisse der Sondierungsverhandlungen von CDU/CSU und SPD“. In nächtelangem „Ringen um Kompromisse“ (ähnlich wie bei Tarifverhandlungen) wurden wieder mal sämtliche grundlegenden SPD-Forderungen abgeräumt, um dann ein paar soziale Brosamen als „hervorragendes Ergebnis“ (Originalton Martin Schulz) zu feiern. Selbst die moderate Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 45 % (bei um die 100.000 Euro Jahreseinkommen) wurde vollständig und ohne Ersatz aufgegeben. Dies wäre noch die einzige tatsächliche Umverteilungsaktion im SPD-Programm gewesen. Angesichts der enorm gestiegenen Schere zwischen großen Einkommen und denen des überwältigenden Rests wäre das das Mindeste gewesen. Ganz zu schweigen von Besteuerung der gewaltig gestiegenen Vermögen – Vermögensbesteuerung traut sich die SPD angesichts der zu erwartenden bürgerlich-medialen Empörung schon überhaupt nicht mehr, mal zu erwähnen. Das ganze Kapitel zu Steuern enthält genau nichts außer der schrittweisen Absenkung des Solidaritätsbeitrags – also einer allgemeinen, vor allem für höhere Einkommen relevanten Steuersenkung. Das ganze Finanzierungskonzept der KoalitionärInnen in spe beruht also auf der derzeitig günstigen Finanzlage, die sich aus historisch niedrigen Zinsen und einer gerade günstigen Konjunkturlage ergibt. Dass hier keine langfristige Finanzplanung vorgelegt wird, bedeutet, dass sowohl das absehbare Ende der Nullzinspolitik der EZB (Europäische Zentralbank) als auch der wahrscheinliche Konjunktureinbruch im Laufe der Legislaturperiode sofort zu Haushaltslücken und zum Gezeter über nötige Sparpakete führen wird – natürlich auf Kosten eben besagter sozialer Brosamen. So wird hier mit diesem scheinbar „leichten Zugeständnis“ in der Steuerpolitik der nächste zukünftige Angriff auf die ArbeiterInnenklasse zielsicher vorbereitet.

Statt also auf Grundlage von Besteuerung der Profite die nötigsten Maßnahmen gegen Verarmung und Prekarisierung weiter Bevölkerungsteile anzugehen, wird der Angriff auf Beschäftigtenrechte weitergeführt, mit sozialdemokratischer „Abmilderung“. Zu dem entscheidenden Feld der Leiharbeit steht der einzige Satz im Ergebnispapier, dass es 2019 eine „Evaluierung“ des Arbeiternehmerüberlassungsgesetzes geben wird. Von einem notwendigen Verbot der Leiharbeit also keine Spur! SPD und Gewerkschaftsführung werden bei besagter Evaluierung sicher weiterhin Leiharbeit als „Standortvorteil“ für die Großkonzerne in welcher Pseudo-Regulierung auch immer verteidigen. Einzige konkrete Maßnahme ist die schon in der letzten GroKo angekündigte Umsetzung des Rechts auf befristete Teilzeit mit Rückkehrrecht. Dazu wurde zur angeblichen Beschleunigung der Umsetzung in das sonst so blumige Papier eine Unmenge an konkreten Ausnahmebestimmungen (nicht für Betriebe unter 200 Beschäftigte, Grenzen für größere Firmen, keine Verlängerungs- oder Verkürzungsrechte….) hineingeschrieben. Angesichts der gerade laufenden Auseinandersetzung um das 28-Stunden-Teilzeitrecht in der Metallindustrie ist zu befürchten, dass die Arbeit„geber“Innen auch bei der Beratung zu diesem Gesetz noch weitere Verwässerungen durchsetzen werden – und die „Wirtschaftssachverständigen“ angesichts des „Fachkräftemangels“ sicher zur Kompensation die Flexibilisierungen der Arbeitzeithöchstgrenzen fordern werden.

Zu den sozialen Brosamen zählen die Garantie eines nicht unter 48 % sinkenden Rentenniveaus, die Grundrente von 10 % über der Grundsicherung, die Erhöhung des Kindergeldes sowie eine Absichtserklärung zum Bau von 1,5 Millionen „erschwinglicher“ Wohnungen. Eine Änderung der Rentenformel wird angesichts der neoliberalen Fiananzierungslogik bei entsprechend schlechterer Einnahmensituation nicht ein weiteres Absenken verhindern. Eine Rentenreform, die die bestehenden Ungerechtigkeiten (z. B. Unterschied zu den Pensionen, Finanzierungsmöglichkeiten der Vermögenden) und Finanzierungsprobleme (z. B. durch ein steuerbasiertes System) behebt, sieht anders aus. Auch die Grundrente, die derzeit für eine Einzelperson damit etwa bei 900 Euro liegen würde, ist alles andere als ein Gegensteuern gegen die wachsende Altersarmut, ebenso wie 25 Euro mehr an Kindergeld ein Tropfen auf den heißen Stein wachsender Probleme junger Familien oder Alleinerziehender darstellt.

Die 2 Milliarden Euro, die für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden sollen, erscheinen als wenigstens mal eine Art Wiedereinstieg in denselben. Allerdings ist die geplante Umsetzung angesichts der Bund-/Länder-/Kommunal-Kompentenzen sehr ungewiss. Konkret wird nur deutlich, dass vor allem frei finanzierter Wohnbau und Wohneigentum gefördert werden sollen, also der Sektor, der gerade nicht sozial Schwachen zugutekommt. Dazu passt, dass weiterhin nichts Konkretes zur tatsächlichen Beschränkung der explodierenden Mieten im Dokument steht – außer natürlich, dass die Mietpreisbremse demnächst „evaluiert“ werden soll.

Als großen Erfolg der SPD-VerhandlerInnen feiern diese die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung in der Krankenversicherung – dabei wurde von einer SPD-geführten Regierung selbst dieses Prinzip durchbrochen. Dabei bleibt das Papier in Bezug auf die Umsetzung aber vage – was mit Zusatzbeiträgen und Zuzahlungen geschehen soll, bleibt unklar, da nur von paritätischen Beiträgen zur Krankenversicherung die Rede ist. Ganz abgeräumt wurde die von der SPD großspurig angepriesene „Bürgerversicherung“. Nicht mal ein Einstieg in die Überwindung der Ungleichbehandlung von Privatversicherten und KassenpatientInnen ist auch nur erwähnt – ein Punkt, der für die SPD-Führung besonders schändlich ist.

Auch die gefeierten Versprechen für Bildungsinvestitionen haben einen Haken: sie erfordern eine Grundgesetzänderung, um dem Bund überhaupt den Eingriff in die Bildungshoheit der Länder an diesen Stellen zu erlauben (Stichwort „Kooperationsverbot“). Dabei ist die GroKo dann auf Oppositionsparteien angewiesen. Von der Union wird da natürlich vor allem an die FDP gedacht. Diese wird sich ihre Zustimmung sicherlich mit Zugeständnissen in Bezug auf die zu fördernden Schultypen abkaufen lassen.

Zusätzlich relativiert werden die Finanzsummen für „Neuinvestitionen“, wenn man liest, dass auch der Etat der Bundeswehr um 2 Milliarden Euro erhöht werden soll, um das selbst gesetzte Ziel von 0,7 % des BIP für die Militärausgaben zu erzielen. Dies soll natürlich im Rahmen eines Ausbaus der „europäischen Verteidigungsfähigkeit“ erfolgen – dabei wird explizit das neue militaristische Projekt der EU, die Beteiligung an PESCO, genannt.

EU-Imperialismus und Rassismus

Insgesamt wird besonders im Teil zur Europäischen Union die staatspolitische Bedeutung des Dokuments klar. Das Verhältnis zur EU und besonders zu Frankreich stellt den Kern der Differenzen innerhalb der deutschen Bourgeoisie dar, der auch zur derzeitigen Krise bei der Regierungsbeteiligung geführt hat. Insbesondere das Verhalten zu den Vorschlägen des französischen Staatspräsidenten Macron stellte eine Herausforderung für die bisherige EU-Politik dar. So war es die völlig ablehnende Haltung der FDP zu einer stärkeren Integration vor allem in Finanzfragen, die letztlich die Jamaika-Verhandlungen zum Scheitern gebracht hat. Tatsächlich sind auch weite Teile der Union, insbesondere die CSU, hier weiterhin auf einer kompromisslosen neoliberalen Linie. Dies spiegelt sich in einer gewissen Schwammigkeit des Sondierungs-Dokuments gerade in dieser Frage wider – was weitere Auseinandersetzungen und Krisen in den nächsten Jahren hierzu vorhersehen lässt. An der entscheidenden Stelle besagt das Dokument:

„ Dabei befürworten wir auch spezifische Haushaltsmittel für wirtschaftliche Stabilisierung und soziale Konvergenz und für die Unterstützung von Strukturreformen in der Eurozone, die Ausgangspunkt für einen künftigen Investivhaushalt für die Eurozone sein können…. Wir wollen in diesem Sinne und insbesondere auch in enger Partnerschaft mit Frankreich die Eurozone nachhaltig stärken und reformieren, so dass der Euro globalen Krisen besser standhalten kann“.

Hier werden in äußerst vager Form die Vorschläge Macrons eines stetig steigenden Investivhaushalts und der Schaffung eines Euro-Finanzministeriums „aufgegriffen“. An anderer Stelle wird eine Vertiefung der deutsch-französischen Beziehungen bis hin zu einem neuen Élysée-Vertrag angesprochen. Ebenso vage bleiben Ankündigungen in Bezug auf europaweite Festlegungen von Mindestsätzen bei der Unternehmensgewinnbesteuerung und einen europäischen Sozialpakt zur Herstellung gleicher Bedingungen für Löhne und Arbeitsverhältnisse, die für alle an einem Ort Arbeitenden gleich sein sollen. Was hier an tatsächlicher Politik herauskommen wird, kann man daran ablesen, dass dies schon „Vorhaben“ der letzten GroKo waren.

Der wahre Geist des Dokuments kommt natürlich beim Thema Migration und Klimaschutz zum Ausdruck. Die rassistischen Vorgaben der CSU zur „Begrenzung“ der Migration (220.000 Obergrenze jährlich und Beschränkung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen mit subsidiärem Schutzstatus auf 1000 pro Monat) wurden voll übernommen. Dazu wurden noch die zentralen Aufnahmeeinrichtungen – eine Art Flüchtlingskonzentrationslager, die so natürlich nicht bezeichnet werden –, wie es sich die Unions-RassistInnen gewünscht haben, in das Dokument aufgenommen. Die SPD hat sich hier nochmals als selbsternannte „Verteidigerin des Grundrechts auf Asyl“ bis auf die Knochen blamiert.

Dass das von der letzten GroKo selbst gesetzte Klimaziel gleich als erstes von den SondiererInnen aufgegeben wurde, zeigt, wie „langfristig“ und „grundlegend“ die GroßkoalitionärInnen mit solch entscheidenen Fragen wie der bedrohten Zukunft des Planeten insgesamt umgehen – wenn es um Kosten für den „Industriestandort Deutschland“ geht.

Dieses Dokument der Schande muss zu Fall gebracht werden – egal, ob durch Proteste vor der endgültigen Entscheidung der SPD oder im Fall der Regierungsbildung zur Verhinderung der Maßnahmen. Im Rahmen der laufenden Tarifauseinandersetzungen, des sozialen Widerstands, der anti-rassistischen Mobilisierungen, der Klima-Proteste etc. muss die Gegenwehr gegen diese Politik auf die Straße gebracht und gebündelt werden. Die Jusos und SPD-Linken, die jetzt gegen dieses Dokument protestieren, müssen in ihrem Widerstand sich glaubhaft mit diesem Protest der Straße verbinden. Der Juso-Vorsitzende Kühnert hat einige der Kritikpunkte richtig benannt und auch Teilerfolge erzielt (z. B. bei der Ablehnung des Dokuments beim SPD-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt). Jusos und SPD-Linke müssen jetzt ihren Worten Taten folgen lassen und einen Fraktionskampf in der SPD beginnen, der die bestehende Führung, die für diesen neuerlichen Verrat verantwortlich ist, stürzen soll. Ebenso muss die Linkspartei jenseits inhaltsleerer Forderungen nach einer neuen „linken Sammlungsbewegung“ (Lafontaine) zu Protesten und Demonstrationen aufrufen. Nur aus solchen heraus kann der Wunsch nach einer wirklich anderen und sozialistischen Politik zu einer Machtoption werden – nicht durch weitere parlamentarische Klüngelspielchen. Bringen wir die Möchtegern-GroßkoalitionärInnen zu Fall und kämpfen gemeinsam für das Ende ihrer Politik!




Kampf gegen die schwarz-blaue Regierung in Österreich

Gegenwehr! ArbeiterInnenmacht-Flugschrift für Studierende Nr 1, Januar 18

Am 18. Dezember wurde in Österreich die neue Regierung aus ÖVP und FPÖ angelobt. Sie ist eine toxische Mischung aus Neoliberalismus und Rassismus. Ihr Regierungsprogramm ist gespickt von fundamentalen Angriffen auf die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung.

Was ist geplant?

An Steuersenkungen plant die Regierung eine Senkung der Abgabequote für Konzerne von bis zu 40 %, getragen durch eine Senkung der Besteuerung der Unternehmensgewinne (Körperschaftssteuer) und die Verringerung der Lohnnebenkosten. Als „Gegenfinanzierung“ ist eine massive Einsparung im öffentlichen Dienst vorgesehen. Bis zu 2,5 Mrd. Euro sollen hier allein im ersten Jahr gekürzt werden.

Gleichzeitig kündigt die Regierung eine Deregulierung des Arbeitsmarktes an: eine Erhöhung der Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich sowie eine Veränderung der Arbeitslosenversicherung gemäß dem Beispiel der Hartz-Reformen.

Für in Österreich Studierende sieht es nicht viel besser aus. Die Studierendenvertretung (ÖH) soll politisch entmündigt und Studiengebühren sollen eingeführt werden.

Für MigrantInnen und Geflüchtete sieht es besonders bitter aus. Zuwanderung soll nur dort „einfach“ sein, wo eine Nachfrage nach spezifisch qualifizierter Arbeitskraft existiert – somit soll die Migration wieder deutlicher unter dem Fokus der Kapitalverwertung stehen. Geflüchteten hingegen soll zu Beginn ihr Bargeld abgenommen werden und sie sollen lediglich Sachleistungen erhalten. Zusätzlich sollen alle Handys überprüft werden. Hier handelt es sich um einen kategorischen Terrorismusverdacht. Zusätzlich soll ihnen durch Deutsch- und Wertekurse die sog. österreichische Leitkultur aufgezwungen werden.

Doch warum?

Nach Jahren der Krise und Stagnation erlebten wir im letzten Jahr eine kleine Konjunktur in Österreich samt leichtem Rückgang der Arbeitslosigkeit, Kapitalreinvestitionen der Unternehmen und einer günstigen Kreditlage. Dies findet jedoch in einem Zeitraum zunehmender internationaler Zuspitzungen bei gleichzeitiger Schwächung des Einflusses des österreichischen Kapitals statt. Ziel der Regierung ist es somit, „wieder anschluss- und wettbewerbsfähig“ zu werden, kurzum eine massive Verbesserung der Ausbeutungsbedingungen zu erreichen. Auf der anderen Seite drückt diese Entwicklung einen zunehmenden internationalen Rechtsruck aus, der sich durch alle Teile der Gesellschaft zieht.

Hiergegen gilt es den Widerstand zu organisieren!

Am selben Tag gingen mindestens 5.500 Menschen in Wien auf die Straße. Unsere GenossInnen vor Ort organisierten hierzu zusammen mit der Jugendorganisation REVOLUTION und weiteren Kräften einen Schulstreik mit 1.500 SchülerInnen. Doch damit kann es nicht enden! Für den Januar sind weitere zentrale Protestaktionen geplant, beispielsweise am 13.1. und anlässlich des Wiener Akademikerballs. Diese Mobilisierungen müssen sich auf die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung stützen. Es braucht eine gemeinsame Aktionskonferenz der Kämpfenden, um einen gemeinsamen Fahrplan im Kampf gegen Schwarz-Blau zu beschließen.




Die Pläne von Kurz und Strache – Generalangriff auf die ArbeiterInnenklasse in Österreich

Michael Märzen, Infomail 980, 7. Januar 2018

Am 18. Dezember wurde die neue Regierung aus ÖVP und FPÖ angelobt. Schon im Wahlkampf wurde klar, dass sich Kurz und Strache auf eine Mischung aus Neoliberalismus und Rassismus verständigt hatten – das entsprechende Regierungsprogramm liegt nun vor. Spätestens damit ist klar: Diese Regierung steht auf Seiten der Reichen und KapitalistInnen und plant einen Großangriff auf die sozialen Errungenschaften von Arbeitenden, Jugendlichen, Frauen und MigrantInnen. Es tut not, die Pläne der Herrschenden zu kennen. um sie zurückschlagen zu können.

Im Namen „der Wirtschaft“

Es ist wesentlich, die Gründe für die schwarz-blaue Politik zu verstehen. Immerhin wird die österreichische Konjunktur als besonders gut beworben: Die Unternehmen haben investiert, die Kredite sind weiterhin billig, die Arbeitslosigkeit geht leicht zurück und dazu sind auch noch die Asylanträge stark zurückgegangen. Warum also das ganze Gerede vom Sparen, von der Stärkung des Wirtschaftsstandorts und Begrenzung der Zuwanderung? Zum einen ist es zwar richtig, dass Österreich nach Jahren der Krise und der Stagnation einen kleinen Aufschwung erlebt. Dieser wird aber gemäß den Prognosen nicht lange anhalten und 2019 und 2020 wieder merklich abflauen. Zusätzlich bleiben die Risiken in der Weltwirtschaft hoch und damit besteht die Gefahr einer Rezession. Zum anderen sieht sich die österreichische KapitalistInnenklasse im internationalen Wettbewerb als zurückfallende. Die neue Regierung spricht das klipp und klar in der Präambel ihres Regierungsprogramms an: man habe „den Anschluss an die Spitze in Europa verloren“ und der Wirtschaftsstandort sei „im Vergleich zu unseren Nachbarn nicht mehr wettbewerbsfähig“. Gemäß der neoliberalen Ideologie betonen Kurz und Strache also die Notwendigkeit, „den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken“. Diese Floskel, die nun sogar Staatszielbestimmung werden soll, bedeutet nichts anderes als die „Verbesserung“ der Ausbeutungsbedingungen der Arbeitskraft für das österreichische Kapital, damit sich dieses gegen ausländische Konkurrenz behaupten und die eigenen dominanten Ansprüche gegenüber Osteuropa durchsetzen kann.

Entlastungen für Reiche

Die sogenannte „Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ ist somit das zentrale Projekt der schwarz-blauen Regierung. Erreicht werden soll das in erster Linie durch die Senkung der Unternehmensabgabenquote auf 40 %. Dabei geht es für allem um die steuerliche Entlastung von Firmen, den Reichen und Besserverdienenden – für die ärmere Bevölkerung und die unteren Schichten der ArbeiterInnenklasse wird es proportional viel weniger Entlastungen geben. Wichtige Maßnahmen dazu sind die Senkung der Körperschaftssteuer (Steuer auf Unternehmensgewinne) und die Senkung der Lohnnebenkosten. Die große Mehrheit der Bevölkerung profitiert von diesen Maßnahmen nicht nur nicht, sondern sie muss dadurch auch einen größeren Anteil am Staatshaushalt zahlen. Damit die Senkung der Abgabenquote aber gesellschaftlich akzeptabel ist, wirbt Schwarz-Blau mit einer Reform der Einkommenssteuer. Auch wenn noch nicht klar ist, wie eine solche aussehen wird, muss man befürchten, dass diese vor allem höhere Einkommen entlastet und durchschnittliche ArbeiterInnen über die Gegenfinanzierungsmaßnahmen belastet werden. Bedrohlich klingt auch die Ankündigung eines vereinfachten Einkommenssteuerrechts, was auf den Abbau der Progression (des zunehmenden Steuersatzes mit wachsendem Einkommen) hinauslaufen könnte.

Gegenfinanziert wird diese „Entlastung“ vor allem durch Einsparungen. Mittelfristig möchte die Regierung auf ein Nulldefizit im Staatshaushalt hinaus. Der Sparzwang soll mit einer Schuldenbremse in der Verfassung abgesichert werden. Der neue Finanzminister will schon im ersten Jahr insgesamt 2,5 Mrd. Euro in allen Ressorts einsparen. Das soll bei der Verwaltung, dem Personal und den Förderungen erfolgen. Maßgeblich wird vermutlich auch ein neues (schlechteres) Dienstrecht für den öffentlichen Dienst in Kraft treten.

Verschärfte Ausbeutungsbedingungen

Damit die KapitalistInnen im Namen des Standorts öfter und billiger auf ihre Arbeitskräfte zugreifen können, plant die Regierung den Abbau von Arbeitsschutzbestimmungen,. Das Arbeitsinspektorat soll dann mehr den Charakter einer Serviceeinrichtung statt einer Kontrollinstanz bekommen. Im Zentrum steht bei dieser „Deregulierung“ die Ausweitung der allgemeinen Höchstarbeitszeit auf täglich 12 Stunden bzw. wöchentlich 60. Für die Beschäftigten bedeutet das vor allem des Öfteren mehr Überstunden, wenn die ChefInnen es wollen. In Kombination mit einem von der Regierung „zu prüfenden“ Zeitwertkonto-Modell könnte das auch noch zusätzlich zum Wegfall vieler Überstundenzuschläge führen. Generell sind 12-Stundendienste natürlich eine enorme geistige und körperliche Belastung und tragen zur Gesundheitsgefährdung (u. a. auch durch Arbeitsunfälle) bei.

Harte Angriffe müssen Arbeitslose erwarten, für die die Regierung eine Reform der Arbeitslosenversicherung, hin zum System wie in Deutschland, vorbereitet. Im sogenannten Arbeitslosengeld NEU richtet sich die Höhe des Arbeitslosengelds nicht mehr nur nach der Höhe des früheren Einkommens, sondern auch nach der Beitragsleistung, d. h. eine kürzere Beitragsleistung führt zu einer kürzeren Bezugsdauer. Außerdem wird die Notstandshilfe abgeschafft bzw. in das Arbeitslosengeld „integriert“. Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit muss man somit Mindestsicherung beantragen, wofür man das eigene Vermögen aber bis auf etwas mehr als 4.000 Euro aufgebraucht haben muss und wo man auch nur unter bestimmten Umständen über ein Auto verfügen darf. Langzeitarbeitslose werden in diesem Fall de facto enteignet. All das beinhaltet weitreichende Gefahren nicht nur für die Arbeitslosen, sondern für die gesamte ArbeiterInnenklasse. Die Menschen, die keinen Job finden, werden noch mehr als bisher dazu gedrängt, Jobs anzunehmen, die sie womöglich nicht nur nicht interessieren, sondern bei denen besonders schlechte Arbeitsbedingungen herrschen. Dieser Zwang ist für die schlechter gestellten Schichten der ArbeiterInnenklasse umso höher. Gleichzeitig wird auch der Druck auf die Arbeitenden erhöht, denn sie werden trotz unattraktiver Arbeitsbedingungen leichter ersetzbar sein und mehr Einschränkungen akzeptieren müssen, um einer Kündigung zu entgehen. Zusammengefasst zielt diese Maßnahme also auf den Ausbau des Niedriglohnsektors in Österreich.

Jugendliche

Auch die Jugend hat unter der schwarz-blauen Regierung zu leiden. Kinder aus einkommensstärkeren Familien werden durch einen Steuerabsetzbetrag („Familienbonus“) weiter bevorzugt, denn die ärmeren Familien haben davon nichts. Das selektive Schulsystem, das mit der Neuen Mittelschule ein kleines Stück weit aufgebrochen wurde, wird beibehalten und sogar wieder gestärkt. Ein Schritt dabei ist die Notenpflicht an Volksschulen, mit der die SchülerInnen schon frühzeitig an die „Leistungsgesellschaft“ gewöhnt werden sollen, ihr Konkurrenzdenken befördert und klarer zwischen guten und schlechten Kindern unterschieden wird. Verstöße gegen schulgesetzliche Verpflichtungen sollen über Kürzungen von Sozial- und Transferleistungen sanktioniert werden, was in erster Linie sozial schwache Familien treffen wird. An der Universität wird die soziale Selektion durch Studiengebühren und ein „neues Zugangsregelungsmanagement“ weiter verschärft. Zusätzlich wird die Studierendenvertretung (ÖH) vermutlich politisch entmündigt.

Zuwanderung

Es wäre nicht die Regierung von Kurz und Strache, wenn sie nicht enorme Verschlechterungen für MigrantInnen, insbesondere Geflüchtete, plante. Das ist aber nur die eine Seite, denn dort, wo Nachfrage an (qualifizierter) Arbeitskraft besteht, soll es erleichterte Zuwanderung geben. Diese soll also gemäß dem Gesichtspunkt der Kapitalverwertung reguliert wird. Herkommen, um zu arbeiten, ist also für einige wenige Menschen genehmigt, der große Rest muss draußen bleiben. Dass die wenigen Glücklichen aber auch gleiche staatsbürgerliche Rechte bekommen, wird weiter erschwert. AsylwerberInnen wird weiter das Leben zur Hölle gemacht, um sie davor abzuschrecken, überhaupt ins Land zu kommen. Deshalb soll ihnen gleich zu Beginn das Bargeld abgenommen werden und sie sollen nur noch Sachleistungen erhalten. Auch das Handy muss mitsamt den darauf gespeicherten privaten Daten zur Verfügung gestellt werden, damit die Identität, die Fluchtroute u. ä. der geflüchteten Person kontrolliert werden kann. Wer dann eine Asylberechtigung erhält, aber keinen Job findet, soll zukünftig nur eine extra für Asylberechtigte reduzierte Mindestsicherung erhalten. Damit werden diese nicht nur noch mehr zu Menschen zweiter Klasse degradiert, sie werden auch in die Armut und in besonders unattraktive Jobs gedrängt. Die sogenannte Integration ist nichts anderes mehr als erzwungene Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft. Das wird exekutiert durch eine Kopplung finanzieller Leistungen an Deutsch- und Wertekurse. Dabei wird die Absonderung von der Mehrheitsgesellschaft vorangetrieben. Deutschkurse sollen bald in sogenannten Brückenklassen im Asylheim stattfinden. Und statt mehrsprachigen Unterrichts bzw. forcierter Förderung von Deutschkenntnissen dabei heißt es nun Deutsch vor Regelunterricht oder gar eigene Deutschklasse.

Überwachung

Während die arbeitende Bevölkerung stärker ausgebeutet werden soll und die Bevölkerung dafür weiter in In- und AusländerInnen, Arbeitende und Arbeitslose, Frauen und Männer, leistungswillige und leistungsunwillige Jugendliche gespalten wird, soll der staatliche Unterdrückungsapparat weiter ausgebaut werden. Dafür gibt es nicht nur Strafverschärfungen bei Sexual- und Gewaltdelikten – was nebenbei bemerkt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Widerstand gegen die Staatsgewalt betrifft. Straf- und Erschwernisgründe sollen eine größere Bedeutung haben und ihrer neue geschaffen werden, bspw. „religiös-fundamentalistisch motivierte Gewalt“. Junge Erwachsene sollen härter bestraft werden (derzeit bestehen bis zum 21. Lebensjahr teilweise mildere Regelungen) und schon im Kindergarten wird den Kindern mit einem „Bekenntnis zur Verfassungs, Werte- und Gesellschaftsordnung“ die herrschende bürgerliche Ideologie samt Obrigkeitshörigkeit eingetrichtert. Ein zentrales Vorhaben ist der Ausbau elektronischer Überwachung. Höchstwahrscheinlich läuft das auf den sogenannten Bundestrojaner hinaus, einer Schadsoftware, mit der Smartphones ausspioniert werden können. Außerdem möchte die Regierung eine mildere Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung („Quick Freeze“), also die Verpflichtung der Telekomfirmen zur Datenspeicherung bei verdächtigen Personen. Zusätzlich bekommt die Polizei 2.000 zusätzliche Planstellen und das Bundesheer wird gestärkt.

Fazit

Bei Schwarz-Blau III haben wir es mit einer rechtsbürgerlichen Angriffsregierung zu tun, die zentrale Anliegen der österreichischen KapitalistInnenklasse gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung durchsetzen will. Der Widerstand dagegen ist bitter nötig. Eine starke proletarische Kraft ist nicht vorhanden. Die in Opposition befindliche SPÖ wird gemeinsam mit den Gewerkschaften lieber in Worten als in der Praxis gegen die Attacken vorgehen. Ein starkes Bündnis aus linken, fortschrittlichen, antirassistischen und gewerkschaftlichen Kräften ist deshalb eine notwendige Bedingung, um sich zur Wehr zu setzen.




Frankreich: Vereinter ArbeiterInnenwiderstand kann Macron schlagen

Marc Lassalle, Paris, Infomail 964, 3. Oktober 2017

Seit Emmanuel Macrons Wahl zum Staatspräsidenten am 7. Mai ist ein umfassender Angriff auf ArbeiterInnenrechte erwartet worden. Die „Reform“ des Arbeitsrechts, das Verhandlungsrechte der Gewerkschaften und im Betrieb einschließt, war Schwerpunktthema seiner Kampagne. Er servierte es als „Befreiung“ der Arbeit, aber die meisten Leute erkannten, dass es sich dabei um die „Freiheit“ der UnternehmerInnen handelte, ArbeiterInnen zu feuern und andere mit unsicheren Verträgen und niedrigeren Löhnen einzustellen.

Macron stellte schleunigst klar, dass er die Vollmachten des Präsidentenamts nutzen würde, um Dekrete mit Gesetzeskraft zu erlassen und somit Aufschübe zu umgehen, die aus Parlamentsdebatten entstünden. Dabei verfügt seine neue Bewegung „En Marche“ über eine solide Mehrheit.

Trotz dieser ernsten Warnung unternahm die ArbeiterInnenbewegung wenig, sich auf die heranrückende Schlacht vorzubereiten. Der begrenzte Umfang einer Reihe von Mobilisierungen Anfang September spiegelt das wider. Steht Macron davor, einen gewaltigen Sieg zu landen, der nur der erste unter vielen noch folgenden sein wird? Oder ist es noch möglich, ihn auf seinem Weg aufzuhalten?

Anfang diesen Jahres schien es schockierend, als François Fillon, Kandidat der gaullistischen Mitte-Rechts-Partei UMP, den Bossen einen „Blitzkrieg“ gegen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse versprach, wenn er gewählt würde. Weniger als ein halbes Jahr später ist Emmanuel Macron dabei, exakt dieses Programm umzusetzen, ohne solche Unruhe zu provozieren, wie es Fillon vermocht hätte.

Was beinhaltet seine „Reform“?

Im Gefolge des Drucks aus der OECD sind bereits in vielen Ländern wie Deutschland, Italien und Spanien ähnliche Maßnahmen ergriffen worden. Die neuen Gesetze versetzen dem Arbeitsrecht, das ArbeiterInnen davor schützte, dass Beschäftigte von ihren KapitalistInnen ohne ernsthaften Grund entlassen werden, einen heftigen Schlag. Jetzt sollen die UnternehmensbesitzerInnen nur eine bescheidene Abfindungssumme zahlen. In kleinen Firmen wird der/die ChefIn Abkommen mit Arbeiter„repräsentantInnen“ unterzeichnen können, die nicht UnterhändlerInnen der Gewerkschaft sind, oder hinter dem Rücken der Gewerkschaft eine Abstimmung über jeden neuen Arbeitsvertrag initiieren. Neue Kurzzeitverträge werden eingeführt mit weniger Schutz für die ArbeiterInnen und Angestellten. Die Rechte der gewählten Belegschaftsvertretungen werden ausgehöhlt.

Die Botschaft ist eindeutig: Die ChefInnen werden freie Hand erhalten, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern, um „konkurrenzfähiger“ zu werden. Es wird ein Dumpingwettlauf stattfinden. Die Regierung versucht dies mit der Behauptung zu rechtfertigen, dass das Lösen der „Fesseln“ auf dem Arbeitsmarkt Millionen neuer Arbeitsverhältnisse schaffen werde. Dabei sagen selbst bürgerliche WirtschaftswissenschaftlerInnen voraus, dass die erste Auswirkung eine Reihe von Entlassungen sein wird.

Die Regierung wandte eine Serie von Tricks an, um den Sieg sicherzustellen. Erstens ergingen Macrons Durchführungsverordnungen (ordonnances) während der Sommerferien. Zweitens lockte er die Gewerkschaftsführungen in eine Serie von „Verhandlungen“. Selbst die traditionell kämpferischere CGT (Confédération générale du travail) akzeptierte diese Farce und schloss sich den Diskussionen mit den MinisterInnen an.

Im Ergebnis ließen sich CFDT (Confédération française démocratique du travail) und FO (Confédération générale du travail – Force ouvrière) bestechen und opponierten nicht gegen die Änderungen. Damit brachen sie die Einheitsfront zwischen den Dachverbänden, die im letzten Jahr gegen ein von der Regierung der Sozialistischen Partei (PS), in der Macron einem Schlüsselministerium vorstand, vorgeschlagenes ähnliches Gesetz zustande gekommen war.

Schließlich wurde der vollständige Inhalt des neuen Gesetzes bis Anfang September geheim gehalten. Die GewerkschaftsvertreterInnen erhielten keinen schriftlichen Entwurf. Der Präsident habe für sein Vorgehen ein Mandat vom französischen Volk erhalten, lautete das Totschlagargument, auf das FO und CFDT hereinfielen. Nur die subjektiv revolutionäre Linke hatte davor gewarnt, dass diese Karte gezogen würde. So argumentierte sie gegen die Stimmabgabe für Macron als „kleineres Übel“, um Le Pen und die Nationale Front (FN) zu stoppen. Die Angriff der Regierung verdeutlichen, wie berechtigt diese Warnung war.

Dass Macron für seine arbeiterInnenfeindlichen Attacke Volkes Zustimmung erhalten habe, ist darüber hinaus Schwindel. Ein großer Teil seiner WählerInnen gab für ihre Entscheidung vor allem oder ausschließlich als Grund an, Le Pen verhindern zu wollen. Eine Rekordzahl von 12 Millionen (25,38 % der Wahlberechtigten) ging gar nicht zur Urne, weitere 4 Millionen (9 %) gaben ungültige Stimmzettel ab. Ende September war der „Unzufriedenheitsgrad“ mit Macron auf 53 % gestiegen; 20 % waren sogar sehr unzufrieden.

Aktionstage

In Anbetracht der Aussitzstrategie von 2 der 3 großen Gewerkschaftsbünde überrascht es nicht, dass der von CGT, FSU (Lehrergewerkschaft) und Solidaires (SUD) ausgerufene erste Aktionstag am 12. September groß, aber nicht überwältigend ausfiel. Die CGT behauptete, 400.000 hätten in 100 Demonstrationen im ganzen Land gestreikt.

In Paris waren Kampfgeist und Entschlossenheit der ArbeiterInnen in den Parolen gegen Macron und seine Regierung deutlich und spürbar. Doch die nächsten Schritte blieben nicht so klar. Die CGT läutet einen weiteren Aktionstag am 21. September ein, der nicht so viel Anhang fand, auch wenn mehrere CFDT- und FO-Gruppen und Ortsverbände diesmal mitmachten.

Tatsächlich herrscht unter den Spitzen der Gewerkschaft eine Menge Verwirrung. Die CGT unternahm über den Sommer hin wenig für den Aufbau einer massiven und dauerhaften Bewegung. Am 26. September traten gewerkschaftlich organisierte LastwagenfahrerInnen in einen unbefristeten Ausstand gegen das Gesetz, wie es in ihrem Bereich wirken sollte. Doch das bewirkte wenig. Der öffentliche Dienst, Metall, Gesundheitswesen. LehrerInnen und RentnerInnen werden in den kommenden Wochen alle ihre eigenen Aktionstage zelebrieren. Doch übergreifende Koordination erfolgt schwach und sporadisch.

Um dies noch zu verstärken, beraumte Jean-Luc Mélenchon für den 23. September eine nationale Demonstration seiner neuen populistischen Bewegung „La France Insoumise“ (Aufsässiges Frankreich) getrennt und unabhängig von der Gewerkschaftsfront ein. Diese Demo war ein begrenzter Erfolg. 30.000 marschierten durch Paris und lauschten dann der wie üblich langen Rede ihres egomanischen Führers. Die schiere Zahl zeigt auf, dass Mélenchon zu Unrecht beansprucht, den politischen Kopf der Opposition zu verkörpern. Zwar verfügt er über einen Rest an Unterstützung aus der ArbeiterInnenbewegung, obwohl er die rote Fahne zugunsten der Trikolore aufgegeben hat und in ungezügeltem Nationalismus schwelgt, doch seine Ignoranz gegenüber allen anderen Parteien und den Gewerkschaften stellt eine gefährliche und spalterische Strategie dar.

Starke Bewegung möglich?

Natürlich ist eine starke Bewegung gegen Macron noch möglich. Er hat in der Tat eine Provokation an die andere gereiht, die Renten angegriffen, Staatssubventionen für Beschäftigungsprogramme gekürzt, ihm widersprechende ArbeiterInnen als faul bezeichnet und erklärt, Demokratie finde nicht auf der Straße statt. Auch Studierende haben Grund zum Demonstrieren: Der Zugang zur Universität droht eingeschränkt zu werden und die Zustände dort sind sowohl für StudentInnen wie DozentInnen schon furchtbar genug.

Doch die Voraussetzungen für eine machtvolle Bewegung erfordern entweder sehr starken Druck von unten mittels spontaner Massenaktivität (wie 1936 oder 1968), einen bestimmten Sektor, der das Land paralysieren kann (wie die EisenbahnerInnen 1995), oder am wirkungsvollsten eine einheitliche Führung mit klarer Strategie, die zur Massenrevolte auf den Straßen und in den Betrieben aufrütteln kann. Die bittere Wahrheit, die es jedoch momentan anzuerkennen gilt, ist jedoch, dass alle drei Elemente in dieser Situation fehlen. Zwar gibt es viele Zeichen der Ablehnung von Macrons Plan innerhalb der ArbeiterInnenschaft, doch objektiv ist es schwierig, diese in eine Massenbewegung zu überführen, geschweige denn in politische Streiks, die notwendig sind, die Angriffe zu stoppen.

Zur Zeit ist unklar, wohin sich die Lage entwickeln wird. In jedem Fall existiert die schreckliche Gefahr, dass sich die Bewegung ausfranst, im Sande verläuft, wenn sie durch ständig wiederkehrende Aktionstage, die immer weniger Leute mobilisieren und keine gut entwickelte Perspektive aufweisen, zermürbt wird. Das würde Macron automatisch den Sieg schenken, der daraufhin weitere Anschläge vorbereiten und die ArbeiterInnenklasse Sektor für Sektor in isolierten Schlachten niederringen wird, wie es Thatcher in den 1980er Jahren in Großbritannien vorgeführt hat.

Doch es besteht auch die Möglichkeit, dass die Bewegung einen Zahn zulegt, ihre Spaltung überwindet und neue Stärke aus jedem Sektor, der in die Schusslinie gerät, erfährt. Doch dies bedarf der Koordinierung durch eine politische Kraft, die für Aktion in Betrieben, an den weiterführenden Schulen und Universitäten, in den Vororten und auf den Straßen eintritt. Natürlich könnte eine mächtige Mobilisierung unter der Jugend der Faktor sein, der der Bewegung wieder Leben einhauchen könnte. Junge Menschen bildeten den Schlüssel für den letzten Erfolg der französischen ArbeiterInnenschaft bei der Verhinderung der Erstbeschäftigtengesetze (CPE) 2006.

Eine entschlossene Intervention selbst einer kleinen Organisation von AktivistInnen könnte das Pendel in diese Richtung ausschlagen lassen. Gewerkschaftskräfte wie Solidaires, die kämpferischen Teile der CGT sowie politische Kräfte wie die „Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA) unterstützen und formieren sich in der neuen Front Sociale (FS = Soziale Front) – einer Initiative kämpferischer Elemente der Gewerkschaftsbasis.

Zu Recht intervenierten sie in die Pariser Demonstration von France Insoumise am 23. September. Sie schlossen sich nicht dem Marsch hinter den französischen Nationalfahnen an, hielten Versammlungen an ihren eigenen „Fixpunkten“ ab, bauten Stände mit Parolen und Flugblättern auf und forderten eine Einheitsfront gegen Macron.

Sie erklärten: „Dies ist ein Staatsstreich. Machen wir also Ernst! Wir brauchen sofort eine Einheitsfront gegen Macron, nicht morgen, übermorgen oder später, zu Wahlzeiten. Dann wird Macron wie Hurrikan Irma all unsere sozialen Errungenschaften beseitigt haben. Sollen wir auf eine soziale Katastrophe warten, bis wir koordiniert zurückschlagen? (…) Dieser Sozialputsch schreit nach Anspannung unserer Energien, militanten Kräften und dem Geist der Einheit. Aber im Moment erleben wir Minderung und Zerstreuen unserer Dynamik.“

Sie schlussfolgerten: „Wir müssen eine neue Aktion vorbereiten, die noch umfassender ist, alle Bereiche einschließt, und zwar dauerhaft darauf abzielt, die Wirtschaft ernsthaft lahmzulegen.“

Das ist die richtige Herangehensweise. Nun muss sie Resonanz unter jungen Leuten finden, unter SchülerInnen und Studierenden und v. a. ArbeiterInnen. Die NPA muss all ihre Kräfte für dieses Ziel in die Waagschale werfen. Doch zum Bedauern ist sie gespalten in einen Flügel, der auf Mélenchons Linkspopulismus als Chance für eine Neuzusammensetzung der ArbeiterInnenbewegung äugt, und eine andere Tendenz, die sich mehr auf die FS orientiert. Uns muss absolut klar sein, dass Mélenchons Absicht nicht in der Wiederbelebung der ArbeiterInnenbewegung gipfelt, sondern in ihrer Liquidierung in einen klassenübergreifenden Gaullismus „von links“. Er selbst möchte dabei die Rolle „des Generals“ spielen.

Zusammen mit Initiativen auf dem Niveau bereits organisierter Kräfte brauchen wir solche von unten in Fabriken und Büros, an Schulen und Universitäten, in ArbeiterInnen- und MigrantInnenbezirken. Massenversammlungen sollen einberufen werden, um die nächsten Streiks vorzubereiten, jeden in den Kampf tretenden Teilbereich zu unterstützen und ein Paket klarer unmittelbarer Forderungen anzunehmen: Rücknahme der Dekrete Macrons zum Arbeitsrecht und anderer Angriffe, Aufhebung des Ausnahmezustands und geplanter Gesetze, ihn auf Dauer auszuweiten, Forderungen nach einem Beschäftigungsprogramm für die Jugend, ein Ende mit prekären Verhältnissen (Umwandlung befristeter in Dauerarbeitsverhältnisse mit gleichen Rechten wie die regulär Beschäftigten) usw.

Vor allem müssen den Kampf aufnehmende ArbeiterInnen eine Einheitsfront aller sozialistischen und ArbeiterInnenorganisationen fordern, die von Massen- und Betriebsversammlungen gelenkt werden. Dadurch sollen SektiererInnen und EgoistInnen daran gehindert werden, den Kampf zu sabotieren und die französischen ArbeiterInnen und Angestellten in eine historische Niederlage zu führen.