Solidarität mit dem Gefängnisstreik in den USA

Pat, Sprecher der GG/BO in Waldheim (Sachsen), Infomail 2018, 6. September 2018

Der folgende Text richtet sich an die streikenden inhaftierten Männer und Frauen, die seit dem 21. August einen Arbeitskampf gegen die Haftbedingungen und die Knastsklaverei führen. Mehr zu den Hintergründen und Forderungen findet ihr in dem Artikel „Middle Tennessee Democratic Socialists of America (DSA) unterstützt den Gefängnisstreik“ und auf den Seiten des Labournet.

Liebe Genossen und Genossinnen,

mein Name ist Patrick. Ich selbst bin politischer Gefangener in einem Gefängnis der BRD. Mit großer Wut habe ich von den Ereignissen in South Carolina erfahren. Mit umso größerer Begeisterung habe ich jedoch die Nachricht über euren landesweiten Gefängnisstreik aufgenommen. Die zehn Forderungen, die ihr stellt, kann ich, können zehntausende Gefangene in Deutschland voll unterstützen.

Der Kampf, den ihr führt, betrifft jede Gefangene, jeden Gefangenen auf der Welt. Der organisierte Freiheitsentzug in den kapitalistischen Staaten dient den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Herrschenden. Während die größten VerbrecherInnen der USA in Freiheit leben, hinter Schreibtischen im Silicon Valley, an der Wall Street, im White House oder dem Pentagon sitzen, sollen wir entwürdigende Sklavenarbeit leisten?

Sie sagen, wir seien kriminell. Wir hätten es verdient. Und sicher, wir sind nicht immer stolz auf das, was wir getan haben. Aber die meisten von uns haben es nicht aus Gier wie die da oben getan. Wir haben es aus Not getan, weil wir ganz unten sind. Die meisten von uns Gefangenen sind der aussortierte Teil der arbeitslosen Reservearmee des Staates. Die Taten, weswegen wir im Knast landen, stehen nicht außerhalb dieser Gesellschaft. Ganz im Gegenteil, haben sie ihre Ursache im System, welches auf Konkurrenz beruht, dessen Fundamente unsere Ausbeutung und Armut sind.

Ihr habt jedes Recht, Widerstand gegen die menschenunwürdigen Bedingungen im Knast zu organisieren. Aber unser endgültiges Ziel darf es nicht sein, die Gefängnisindustrie „menschlicher“ zu gestalten. Unser Ziel muss es sein, diese Industrie auf den Müllhaufen der Geschichte zu befördern. Eine Industrie, die täglich mit unseren Enkeln, Kindern, Vätern und Müttern großzügig durch den Staat versorgt wird. Viele von euch werden sicher von den Vorfällen um den Nike „bait truck“ gehört haben, den die Polizei in Chicago einsetzte, um noch mehr unserer Brüder und Schwestern in Armut ins Gefängnis zu locken. (Ein teilweise offener Lastwagen mit Nike-Schuhen wurde in einem Schwarzenviertel Chicagos als Köder [bait] geparkt, um mutmaßliche DiebInnen anzulocken; d. Red.).

Die Verachtung, die uns die Herrschenden in Freiheit entgegenbringen, lassen sie uns doppelt hinter den Gefängnismauern spüren. Hier in den Gefängnissen werden selbst elementarste ArbeiterInnenrechte beschnitten. Der Staat will uns seiner Gewalt hilflos ausliefern. Das ist in den USA sicher noch härter als in Deutschland. Doch das Prinzip ist das gleiche.

Aber wir Gefangenen sind trotz unserer Situation noch immer fühlende, noch immer denkende Menschen. In uns pulsiert der Drang, frei zu sein. Euer Streik ist bisher ein großartiger Ausdruck dieses Wunsches. Diese Kämpfe gegen die da oben bergen das Potential, den eigentlichen Feind in den Vordergrund zu rücken. Sie stellen die Solidarität unter den Gefangenen in den Vordergrund. Und jede Gang, die sich dem verwehrt, zeigt dadurch nur, auf welcher Seite ihre FührerInnen tatsächlich stehen. Statt Bandenkriegen unter uns und auf dem Rücken der Armen und Unterdrückten, braucht es gemeinsame Organisationen, in denen sie alle Hand in Hand kämpfen.

Wir brauchen eine starke Gefangenengewerkschaft – in den USA, in Deutschland, international – , die Seite an Seite mit den Gewerkschaften und ArbeiterInnenorganisationen außerhalb der Gefängnisse den Widerstand organisiert. Die Erfahrungen in der BRD haben gezeigt, dass es zur Organisierung der Gefangenen nötig ist, eine Struktur aufzubauen, die innerhalb und außerhalb der Knastmauern agiert. Dadurch kann die Isolation der gefangenen Lohnabhängigen von der ArbeiterInnenbewegung außerhalb der Gefängnismauern durchbrochen und ein gemeinsamer Kampf organisiert werden. Der Aufbau einer Gefangenengewerkschaft, von UnterstützerInnenkomitees und von engen Verbindungen mit weiteren Gewerkschaften sind erste wichtige Schritte.

Aber wenn wir die menschenverachtende Gefängnispolitik grundlegend stoppen, den eigentlichen VerbrecherInnen das Handwerk legen wollen, dann braucht es auch eine gesamtgesellschaftliche Antwort. Dann braucht es eine politische Organisation, welche die gesamte ArbeiterInnenklasse in den USA und international unter einem Banner, einem Ziel, einem Programm zur Befreiung vereint. Solange der Kapitalismus nicht stirbt, können wir und unsere Kinder nicht in Frieden und Freiheit leben. Wir werden LohnsklavInnen sein, ob im Gefängnis oder am Fließband in „Freiheit“. Soll aber der Kapitalismus sterben, dann müssen wir nicht nur unsere materiellen Ketten brechen. Wir müssen die ideologischen Ketten brechen, die uns an die zwei kapitalistischen Parteien in den USA binden. Es braucht eine revolutionäre Partei, die alles Unrecht hinwegfegt.

Die Macht der KapitalistInnen besteht darin, unsere Welt an den Abgrund zu treiben, die Umwelt zu zerstören, uns in Kriegen abzuschlachten, unsere Viertel mit Drogen zu überschwemmen und uns in Armut schuften zu lassen. ArbeiterInnenmacht bedeutet das genaue Gegenteil. Daher sende ich auch Grüße an die GenossInnen der gleichnamigen Organisation Workers Power USA, die mich mit Informationen über euren Kampf versorgen und meine Briefe übersetzen.

Seid tapfer, seid standhaft und lasst euch nicht spalten! Sobald wir uns gemeinsam als ArbeiterInnen und Unterdrückte organisieren, haben wir nichts mehr zu verlieren als unsere Ketten.

 

 

 

 

 

 

 




USA: Middle Tennessee Democratic Socialists of America (DSA) unterstützt den Gefängnisstreik

DSA Middle Tennessse, Infomail 1014, 15. August 2018

Auf der Grundlage dieser Resolution, die auf der allgemeinen Mitgliederversammlung im Juli 2018 angenommen wurde, unterstützt der Verband der Democratic Socialists of America in Middle Tennessee den nahenden nationalen Gefängnisstreik, zu dem inhaftierte Frauen und Männer aufgerufen haben. Der Streik, der am 21. August beginnen und bis zum 9. September 2018 andauern wird, ist eine Antwort auf den Aufstand in der Lee Correctional Gefängnisinstitution in South Carolina vom April 2018, in dessen Verlauf sieben Männer ihre Leben verloren.

Hinter den Gefängnismauern erleiden Menschen eine Brutalität und Ausbeutung, die nur von jenen wirklich verstanden werden kann, die ihre Erfahrungen geteilt haben. Mit ungefähr fünf Prozent der Weltbevölkerung aber 25 Prozent der weltweiten GefängnisinsassInnen, kerkern die Vereinigten Staaten die größte Zahl an Menschen ein, sowohl in relativen als auch absoluten Zahlen. Massenhafte Einsperrung in Gefängnisse ist die moderne Fortsetzung der Sklaverei, und als SozialistInnen streben wir an, dieses System der Ausbeutung, Entmenschlichung und Unterwerfung aufzuheben. Wir können sehen, dass das wahre Ziel dieses Kerkerstaates keinesfalls die Rehabilitierung der Gefangenen oder der Schutz der Gesellschaft ist. Tatsächlich ist es ein Angriff auf humanistische Werte, es ist die Aufrechterhaltung der Sklaverei, eines der widerlichst riechenden Fundamente der amerikanischen Gesellschaft, das diese im Namen des Profits umgibt.

Wir kennen diese Entmenschlichung durch Kriminalisierung, die für viele bereits in jungem Alter stattfindet, die unsere Nachbarschaften und Gemeinden heimsucht, indem sie uns BürgerInnen unserer Autonomie und unserer Selbstbestimmung beraubt. Wir können in Middle Tennessee sehen, wie die Gentrifizierung dieses Phänomen noch weiter verschärft: North Nashville, eine historisch schwarze Gemeinde, ist immer wieder abwechselnd von der herrschenden Klasse der Stadt geplündert oder vernachlässigt worden, seitdem vor 150 Jahren ehemalige Sklaven hier zu siedeln begannen. Auch jetzt ist die Gemeinde wieder unter Beschuss, durch InvestorInnen und die kommunale Regierung. 14 % der Bevölkerung North Nashvilles sind im Gefängnis. Das ist die höchste Rate der gesamten Nation. Menschen, die in unseren Gemeinden für Jahrzehnte gelebt haben, werden auf die gleiche Weise verdrängt wie die indigenen Stämme, die von den KolonistInnen vertrieben wurden von dem Land, das sie seit Generationen bewohnt hatten. Alle, die sich weigern zu verschwinden, spüren den Stiefel des Staates in ihrem Genick, so wie damals auch.

Die massenhafte Inhaftierung ist kein Ausrutscher, sondern Produkt eines Systems, in dem sichergestellt werden soll, dass jene, die von der Ausbeutung der Unterdrückten profitieren, es auch in Zukunft tun können. Dieses System wurde von den GründerInnen der Vereinigten Staaten von Amerika geschaffen und wird von Kapital und Staat auch heute aufrechterhalten. Diese Allianz von Staat und Kapital ist offen sichtbar am Beispiel von CoreCivic, dem größten Gefängnisunternehmen der Welt mit Hauptsitz in Nashville, das seinen AktionärInnen, aber auch freundlich gesinnten PolitikerInnen Dividenden auszahlt, die es den leidenden Gefangenen abgepresst hat. Diese ProfiteurInnen sind die direkten ideologischen NachfahrInnen der ArchitektInnen, StifterInnen und AufseherInnen des atlantischen Sklavenhandels.

Wir unterstützen die Forderungen des Streiks:

  1. Unmittelbare Verbesserung der Haftbedingungen und eine Strafvollzugspolitik, die die Menschlichkeit inhaftierter Männer und Frauen anerkennt.
  2. Abschaffung der Knastsklaverei. Alle, die unter US-amerikanischer Rechtssprechung inhaftiert wurden, müssen nach dem Lohnniveau des entsprechenden Bundesstaats oder Territoriums bezahlt werden.
  3. Abschaffung des „Gesetzes zur Reform der Prozessordnung im Strafvollzug“, sodass Gefangene wirklich die Möglichkeit erhalten, sich gegen Missstände und Verletzungen ihrer Rechte zu wehren.
  4. Abschaffung des „Gesetzes über die Wahrheit im Urteilsprozess“ und des „Gesetzes zur Reform des Urteilsprozesses“, sodass Gefangene die Möglichkeit zur Resozialisierung und Bewährung bekommen. Niemand darf zum Tode durch Wegsperren verurteilt werden oder eine Haft ohne Möglichkeit auf Bewährung absitzen müssen.
  5. Ein sofortiges Ende der Praxis, Schwarze und braune Menschen mit einem überproportional hohen Strafmaß anzuklagen, sie zu überproportional hohen Strafen zu verurteilen und ihnen Bewährungsstrafen zu verwehren. Schwarzen darf nicht länger Bewährung verwehrt werden, weil das Opfer des Verbrechens weiß war, was vor allem in den Südstaaten ein Problem darstellt.
  6. Abschaffung der „Gesetze zur Strafmaßerhöhung bei Bandenkriminalität“, die sich vor allem gegen Schwarze und braune Menschen richten.
  7. Häftlingen darf der Zugang zu Resozialisierungsprogrammen in ihren Haftanstalten nicht weiter aufgrund dessen verwehrt werden, dass sie als Gewalttäter abgestempelt werden.
  8. Finanzierung von Resozialisierungsdienstleistungen in Gefängnissen für Langstrafer.
  9. Wiedereinführung von Bildungszuschüssen in allen Staaten und Territorien der USA.
  10. Das Wahlrecht aller Bürger die aufgrund einer Haftstrafe oder in Untersuchungshaft inhaftiert sind sowie aller Ex-Gefangener ist zu respektieren. Wir fordern Repräsentation, alle Stimmen zählen.

Wir rufen zur Solidarität zwischen jenen unter uns, deren einzige Ketten die der Lohnarbeit sind, und jenen gefangenen Menschen, die am 21. August zu streiken beginnen, auf. Durch Solidarität wollen wir jene unterstützen, denen die Schlinge der industriellen Gefängniskomplexe um den Hals liegt, bis und auch nachdem sie wieder frei sind. Durch Solidarität werden wir die Mauern niederreißen, die die rassistische und sexistische Bourgeoisie errichtet hat, um uns voneinander zu trennen. Durch Solidarität alleine werden wir eine Zukunft für uns alle gestalten, die ohne Ketten und Gitter auskommt.




Studie zur Flüchtlingsgewalt: So wird Rassismus “wissenschaflich” bedient

Nina Berger, Neue Internationale 226, Februar 18

Geradezu passend zur Auffrischung der rassistischen Flüchtlingsdebatte erschien Anfang Januar 2018 eine durch den hannoverschen Kriminalitätsforscher Dr. Christian Pfeiffer und Kollegen veröffentliche Studie zu tatverdächtigen GewalttäterInnen in Niedersachsen. Die Studie wurde vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegeben und basiert auf Zahlen des niedersächsischen Landeskriminalamts.

Für Co-Autor Pfeiffer ist es nicht das erste Mal, dass er durch seine Studien bemerkenswerte Zusammenhänge konstruiert. Fokussiert auf junge Flüchtlinge stellt die Studie aufgrund statistischen Materials einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Flüchtlingszuzug fest.

War die Debatte über einen gewalttätigen jungen Mann aus Afghanistan in den Medien gerade abgeebbt, sorgte kurz danach die niedersächsische Gewaltstudie für Furore, gefolgt von der Diskussion um die weitere Aussetzung des Familiennachzuges für subsidiär Schutzberechtigte.

Verwendung

Statt das Ergebnis, das wir weiter unten vorstellen werden, als ein klares Votum für Unterstützung, insbesondere des Familiennachzugs zu werten, wie es Pfeiffer sogar selbst angedeutet hatte, und die Frauen und Familien der oft männlichen Geflüchteten nachzuholen, soll es zur Begründung für verstärkte Abschiebungsbemühungen herhalten. Darüber hinaus wird es mit Forderungen verknüpft, die Resultate weiterer schwerwiegender politischer Fehlentscheidungen bei der Einschätzung der Gefährdungslage in Fluchtländern darstellen.

Berufene der bundesdeutschen Politprominenz legen in puncto Rassismus auch gleich nach: Da ruft AfD-Chef Meuthen lauthals nach „Heimreise“, also Abschiebungen. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende der SPD Thomas Oppermann fordert milliardenschwere Rückkehrprogramme und Pfeiffer selbst plädiert für radikale Abschottung. Andernfalls käme es zu einer sogenannten Sogwirkung für nordafrikanische Flüchtlinge. O-Ton Pfeiffer gegenüber N24 am 2. Januar 2018: „Man müsste ja nur nach Deutschland gehen (sic!) und Flüchtling werden, dann schieben die einen wieder ab und man hat sogar Vorteile davon.“ Wer solch eine Aussage trifft, hat sich eigentlich schon komplett diskreditiert und bedient mit billiger Rhetorik den rechten Sumpf. Frau Weidel, mit der SPD-Mann Pfeiffer schon öffentliche Dispute pflegte, klatscht wahrscheinlich immer noch Beifall.

Auch wenn die Studie sicherlich nicht jede rechte Interpretation von PolitikerInnen aus der AfD, aber auch von Union, SPD und FDP stützt, so ist sie auch weit davon entfernt, selbst ein bloß „missbrauchtes“ Ergebnis statistischer Forschungsarbeit zu sein.

Worauf stützt sich die Studie?

Das fängt schon bei der „Datenbasis“ an. Die Polizei führt eine sogenannte PKS, eine Polizeiliche Kriminalstatistik, deren Daten einmal pro Jahr vom Bundeskriminalamt und in den Ländern veröffentlicht werden. In dieser PKS erscheinen die Zahlen der erhobenen Strafanzeigen, darunter auch jene, die nur von Nichtdeutschen begangen werden können wie Verstöße gegen das rassistische Ausländer- und Aufenthaltsgesetz.

Pfeiffers Studie stellte nun nach jahrelangem Rückgang der angezeigten Gewalttaten in Niedersachsen (2007-2014) ihren mit der Zunahme der Geflüchtetenzahlen korrelierenden Anstieg (2014-2016) fest, und zwar um 10,4 Prozent. Daraus wird gefolgert, dass jeder 8. Gewalttäter ein Geflüchteter sei, was damit zu einem Anstieg der Kriminalität führt, für den Geflüchtete zu 92,1 Prozent verantwortlich seien.

Als Geflüchtete zählen die Forscher alle die, die Asyl suchen, internationalen Schutz haben, Menschen mit einer Duldung und auch Personen mit „unerlaubtem Aufenthalt“. Sieht man sich diese Gruppe Menschen genauer an, stellt man fest, dass in den Jahren 2015/ 2016 in großer Zahl junge Männer zwischen 14 und 30 Jahren einreisten, die in allen Ländern der Welt in puncto Gewalt- und Sexualdelikte die Statistiken anführen. Diese machten in Niedersachsen unter den Geflüchteten einen Anteil von 26,9 Prozent aus, also mehr als ein Viertel, während es in der Durchschnittsbevölkerung nur 9,3 Prozent sind.

Zu erwähnen ist auch, dass 2014-2016 sich die Zahl der in Niedersachsen registrierten Flüchtlinge mehr als verdoppelt hat (117 Prozent). Obwohl Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und dem Irak 54 Prozent unter den Geflüchteten in Niedersachsen stellen, sind sie nur für 34 Prozent aller Gewaltverbrechen und 16 Prozent aller Raubdelikte verantwortlich gemacht worden. Da ihr Aufenthaltsstatus weniger prekär als bei Menschen aus Nordafrika ist, zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen Bleibeperspektive sowie Aussicht auf Nachzug von Angehörigen und Kriminalitätsverdacht.

Dass unter den Geflüchteten der Anteil junger Männer überdurchschnittlich groß ist, ist jedoch keineswegs nur eine zufällige Sache, sondern hängt auch damit zusammen, dass die rassistische Abschottung der EU und der selektive Markt für „illegale“ Arbeitsverhältnisse diesen noch eher eine Chance auf Überwindung der Außengrenzen und zum Überleben verspricht. Die Politik der europäischen und der deutschen Regierungen bringt also selbst eine Selektion unter den Menschen auf Flucht hervor, die bei der Studie ausgeblendet wird. Mehr noch: Die deutsche Politik verkehrt diese Folge ihrer eigenen menschenverachtenden Maßnahmen zu einer Rechtfertigung noch härterer rassistischer Abschottung.

Dennoch: Geflüchtete sind weiterhin nur für etwas mehr als ein Zehntel aller Gewaltkriminalität verantwortlich.

Methodisch fragwürdig

Methodisch sowieso fragwürdig, aus lediglich angezeigten Gewaltverdächtigungen ein höheres Kriminalitätslevel abzuleiten, stellt Pfeiffer aber „gerechterweise“ in Rechnung, dass Gewaltdelikte, bei denen Geflüchtete als Verdächtige in Frage kämen, weitaus häufiger angezeigt würden als die, bei denen man Deutsche als TäterInnen vermute. Welche rassistischen Motive hier zum Tragen kommen, bleibt medial meist völlig unreflektiert, obwohl Pfeiffer auf sogenannte Verzerrungseffekte hinweist. So erwähnt die Studie schon, dass Opfer insbesondere mutmaßliche Täter anzeigten, die sie nicht persönlich kennen, dass Fremde eher als bedrohlicher empfunden würden, dass bei Gewalttaten durch Personen aus dem persönlichen Umfeld des Opfers aus Angst vor dem/der TäterIn auf Anzeige verzichtet würde und es aufgrund der Sprachbarrieren eher zu Gewalt in Auseinandersetzungen und durch selbige im Nachgang oftmals nicht zu Verständigungsmöglichkeiten käme.

Laut den Daten der Studie sind zwei Drittel der Opfer von Gewaltkriminalität, die Flüchtende verübt haben sollen, außerdem andere Geflüchtete oder sonstige AusländerInnen, bei Tötungsdelikten sogar 91 Prozent. Diese Korrelation ist auch im Fall sexueller Nötigung und Vergewaltigung anzunehmen. Die Mehrheit der Opferanzeigen stammen hier zwar von deutschen Frauen (58 Prozent), doch welche im Lager lebende Flüchtlingsfrau zeigt schon ihre Vergewaltiger an? Welche/r PolizistIn nimmt nicht bereitwilliger Anzeigen von Deutschen und gegen AusländerInnen auf statt umgekehrt – ganz abgesehen von sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten?

An welcher Stelle Pfeiffer das Anzeigen von Gewaltverbrechen und die Verurteilungen zusammenwirft, bleibt unklar. Macht auch nichts, solange im Mainstream das politische Fazit stimmt. Aber das wissen wir auch schon seit der bekannten Silvesternacht aus Köln: Es gibt Geflüchtete, die aus dem Irak, Syrien und Afghanistan kommen und die anderen aus den „neuen sicheren Herkunftsländern“ und aus Nordafrika, die hier sowieso keine Bleibeperspektive haben, weil diese politisch bald auch offiziell als „sicher“ erklärt werden. Merkwürdigerweise ist Afghanistan nach Ansicht des BAMF auch ziemlich sicher, weswegen immer weniger AfghanInnen in Deutschland einen dauerhaften Aufenthaltsstatus erhalten. Im ersten Halbjahr 2017 waren es gerade mal 6 %. Trotzdem folgert Pfeiffer zwar richtig, dass die, die ihre guten Perspektiven, in Deutschland bleiben zu dürfen, nicht durch Gewalttaten gefährden möchten, auch weniger gewalttätig wären. Umgekehrt sei es aber nicht richtig, die Bleibeperspektiven für aus „sicheren“ Herkunftsländern und aus Algerien, Marokko und Tunesien Stammende zu verbessern, sondern diese abzuschieben. Es wird also passend gemacht, was zusammenpassen soll.

Was tun?

Natürlich gibt es Probleme, wenn Menschen nach traumatisierenden Erlebnissen durch Unterdrückung, Bedrohung, Verfolgung, Elend und Krieg, einer lebensgefährlichen, langjährig andauernden Flucht, einer völlig inhumanen Behandlung durch von Deutschland mitunterstützte sogenannte Grenzsicherungssysteme gegenüberstehen. Wenn sie durch Unterbringung in überfüllten Sammellagern ohne jede Privatsphäre, die laut Sondierungsergebnis Aufnahme- und Abschiebelager in einem werden sollen, durch Trennung von Familie, FreundInnen und Verwandten geschwächt, der Härte und Eiseskälte der strukturell rassistischen deutschen Bürokratie und dem rassistischem Mob der Straße ausgesetzt sind. Wenn tagtäglich Flüchtlingsunterkünfte bedroht werden und den geflüchteten Menschen offene Gewalt entgegenschlägt, was wird erwartet, wie dann das Konfliktverhalten funktionieren soll?

Und viele von ihnen, aber eben nicht alle reagieren mit depressivem Rückzug. Manche/r wird auch versuchen, ihre/seine inneren Konflikte nach außen abzuleiten. Nichts anderes passiert hier. Doch statt das eigene imperiale Gebaren im Hinblick auf weltweite Kriege und Klimazerstörung zu hinterfragen und die eigene Rolle unter die Lupe zu nehmen, wird doch de facto mit jedem auch noch so menschenverachtendem Unterdrückerregime für die Profite des deutschen Rüstungs- und Exportkapitals ins Bett gegangen. Statt die Grenzen für die Geflüchteten zu öffenen, um damit auch den weltweiten Migrationsbewegungen Rechnung zu tragen, wird weiter gemauert und in klassisch deutscher Manier an der rassistisch definierten Grenze gespalten. Wir sind die Guten, die Flüchtlinge, die man so schnell nicht wieder los wird, tolerieren wir gerade noch, der Rest muss weg. Dazu taugt dann eben auch jene Statistik.

In Wirklichkeit können die realen Probleme der Geflüchteten wie auch Kriminalität, Gewalttägigkeit, Sexismus, sexuelle Übergriffe gegen Frauen oder sexuelle Minderheiten nur bekämpft werden, wenn dies mit einer klaren anti-rassistischen Perspektive verbunden wird.

Dazu gehört zum ersten, den Geflüchteten die einzige reale und sinnvolle Integrationsperspektive zu bieten, die es in der bürgerlichen Gesellschaft nur geben kann: das Recht auf Arbeit – und zwar nicht zu 80-Cent-Jobs oder in der Illegalität, sondern durch Mindestlohn und ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle von Gewerkschaften und Geflüchteten.

Zweitens geht es um die Abschaffung des Lagersystems, der Zwangskasernierung unter unmenschlichen Bedingungen, also die freie Wahl des Wohnortes und Bekämpfung der Wohnungsnot durch öffentliche Wohnungsbauprogramme und Beschlagnahme leerstehender Räume.

Damit könnte zugleich eine Brücke für den gemeinsamen Kampf aller Lohnabhängigen geschlagen werden, der sich nicht gegeneinander, sondern gegen die WohnungsspekulantInnen, UnternehmerInnen und Spardiktate richtet.

Drittens muss der Zuzug für alle Angehörigen ermöglicht und das Damoklesschwert der Abschiebung, das über allen Geflüchteten droht, abgeschafft werden. Geflüchtete, die Straftaten begehen, die Frauen bedrohen oder gar vergewaltigen, müssen natürlich bestraft werden – und zwar genau so wie auch Deutsche. Abschiebungen für „kriminelle“ AusländerInnen lehnen wir ab wie jede Forderung nach einer rassistischen Sonderbehandlung von Geflüchteten. Viel wichtiger ist hingegen, die Selbstorganisation Geflüchteter, insbesondere auch jene der Frauen und sexuell Unterdrückter zu stärken.




Geflüchtete im Knast – Vom Regen in die Traufe

Pat, Infomail 984, 30. Januar 2018

In den vergangenen Jahren kam es zu massenhaften Fluchtbewegungen nach Europa. Viele gelangten zu uns im Zuge der Hungersnöte auf dem afrikanischen Kontinent, verursacht durch die Lebensmittelspekulationen und die Krise seit 2007. Andere kamen, nachdem die demokratischen Bewegungen des Arabischen Frühlings zerschlagen wurden – durch imperialistische Intervention und die erneute Stabilisierung diktatorischer Regime. Millionen Menschen suchten und suchen immer noch Schutz hinter den Mauern Europas. Sie kommen in der Hoffnung, im Auge des Orkans von Ausbeutung, Verwüstung und Unterdrückung vor dem Terror der Großmächte und ihrer jeweiligen verbündeten DiktatorInnen verschont zu bleiben, um für sich und ihre Familien ein neues Leben aufbauen zu können.

Doch wie wir wissen, wird dieser Wunsch nur den Allerwenigsten erfüllt. Anstatt wenigstens einen Krümel des gelobten „westlichen Wohlstands“ zu bekommen, stehen sie, die vor Terror fliehen, selbst unter Generalverdacht. Sie werden kaserniert und von rassistischen Mobs empfangen, geschlagen und sogar beschossen. In Deutschland erhalten sie weniger Geld als Hartz 4 empfangende Personen und haben als AsylbewerberInnen kein Recht auf einen Job. Versorgung, Sprachkurse und Qualifizierungen stehen unzureichend zur Verfügung und werden bestenfalls ungenügend staatlich finanziert. Aufgrund der isolierten Lage der Massenunterkünfte wird eine Integration in die Gesellschaft fast verunmöglicht. Dieses Kasernierungssystem bildet selbst eine der Grundlagen, auf der die RassistInnen „Überfremdungsängste“ insbesondere in ländlichen Gebieten schüren.

Viele Geflüchtete haben aufgrund dieser Umstände keine andere Wahl, als den legalen Boden zu verlassen, wenn sie sich selbst die Nahrungsmittelbeschaffung finanzieren wollen. Es ist das Asylregime des deutschen Staates selbst, der es der organisierten Kriminalität erlaubt, Geflüchtete aus den Lagern und von der Straße anzuwerben. Wir wissen nur zu gut, dass viele keine andere Wahl haben.

Und die abschiebefreudige Justiz nutzt diesen Umstand aus, um Geflüchtete aufgrund kleinster Delikte direkt in Untersuchungshaft zu sperren. Die Knäste in der BRD füllen sich zunehmend mit Geflüchteten. Insofern sie noch Illusionen in den „Rechtsstaat“ hatten, werden sie ihnen im Gefängnis genommen. DolmetscherInnen, Sprachkurse, jedwede Hilfe sind dort noch seltener zu finden als beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Gerade in sächsischen Gefängnissen kommt es zu rassistischen Übergriffen und Anfeindungen durch andere Gefangene und durch das JVA-Personal.

Nur durch die Hilfe anderer solidarischer Gefangener und ArbeiterInnenorganisationen wie der Gefangenengewerkschaft kann ihnen wirklich geholfen werden. So stellt die „Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation“ (GG/BO) Geflüchteten kostenlose juristische Unterstützung zu Verfügung und baut Strukturen im Gefängnis auf, die vor Ort helfen können. Gemeinsam kann es auch hinter den grauen Mauern einen Funken Hoffnung geben. Doch dieser Funken muss von der ArbeiterInnenbewegung außerhalb der Gefängnisse aufgegriffen werden. Die DGB-Gewerkschaften müssen endlich ihren Kurs ändern, Geflüchtete rigoros organisieren und eine bundesweite Kampagne für die Forderungen nach Recht auf Arbeit bei gleichem Lohn, eine eigene Wohnung und den gleichen Anspruch auf soziale Leistungen starten.

Insbesondere nach der Debatte um die im Januar veröffentlichte Kriminalitätsstatistik fordern wir die Gründung unabhängiger Kommissionen aus Gewerkschaften, antirassistischen Organisationen und fortschrittlichen RechtsanwältInnen, die die wahren Ursachen – Armut, Ausgrenzung, Fluchttraumata – für Kriminalität unter Geflüchteten aufdecken. Alle Gefangenen, egal welcher Herkunft, die aufgrund kleiner Delikte (Schwarzfahren, leichter Diebstahl, kleine Deals etc.) einsitzen, müssen umgehend entlassen, die Vorfälle aus ihren Akten gelöscht werden. Ebenfalls muss es eine umfassende Untersuchung über die ungleiche Aburteilung von Geflüchteten sowie MigrantInnen im Vergleich zu (weißen) Deutschen geben. Überall, wo ersichtlich wird, dass Geflüchtete aufgrund ihres Status größere Haftstrafen erhalten haben, müssen ihre Fälle neu behandelt werden. Zuletzt fordern wir, dass Geflüchtete nach dem Absitzen ihrer Haftstrafen keinerlei staatlicher Diskriminierung ausgesetzt werden dürfen. Die Praxis, straffällig gewordene Geflüchtete nach Absitzen ihrer Strafe abzuschieben, ist eine rassistische und muss sofort beendet werden.

Zum Autor

Pat ist Sprecher der GG/BO in Waldheim (Sachsen)




Der Knast schließt nicht nur meinen Körper ein

Interviews mit Miftar und Ahmed, Gefangene Geflüchtete in der JVA-Waldheim

Wir wollen den Unterdrückten an dieser Stelle eine Stimme geben, wollen gemeinsam mit ihnen unsere Wut über das Unrecht in die Welt schreien. Daher wurden in der JVA-Waldheim zwei Geflüchtete von Pat interviewt. Miftar, 23, aus Pristina im Kosovo und Ahmed, 32 (Name geändert), aus Tunesien sprechen über ihren langen Weg nach Deutschland und, wie es ihnen im Gefängnis ergeht.

 

Miftar, 23, aus Pristina im Kosovo. Nach dem Zerfall Jugoslawiens fanden eine Reihe von Kriegen in der Region statt. 1999 beteiligte sich auch die Bundeswehr an der NATO-Intervention im Kosovokrieg. Bis heute sind rund 500 deutsche Truppen in dem Land stationiert. Daneben ist es eines der ärmsten Länder in Europa. Die Bundesregierung erkennt Flüchtlinge aus dem Kosovo nicht an, da sie das Land als „sicher“ einschätzt.

Wann und warum bist du nach Deutschland gekommen, Miftar?

Das war im März 2015. Ich kam mit meinem älteren Bruder, der inzwischen wieder im Kosovo ist. Ich wollte ein neues Leben anfangen, studieren und ein gutes Leben führen.

Und hast du in Deutschland die Chance auf ein Studium oder einen Arbeitsplatz bekommen?

Nein, keine Chance, das war relativ schnell klar.

Wann kamst du ins Gefängnis?

Das war im Juli 2015. Ich kam zuerst in Untersuchungshaft nach Dresden. Später wurde ich dann nach Waldheim verlegt. Besonders die Zeit in Dresden war furchtbar. Das Essen war schlecht, die Wärter sehr grob und es gab kaum Unterstützung in der Anstalt. Über meine Rechte wurde ich nur ausreichend informiert, weil mein Anwalt Englisch sprach.

Und wie empfindest du die Situation im Gefängnis?

Sowohl in Dresden als auch hier in Waldheim haben mich die Beamten, gerade im Verhältnis zu anderen Gefangenen, relativ normal behandelt. Bei den Gefangenen gibt es solche und solche. Viele behandeln mich normal, weil ich helle Haut habe. Wenn sie dann aber erfahren, dass ich kein Deutscher bin, zeigen manche schon, dass sie Rassisten sind. Und das sind nicht wenige.

Wie sieht es mit Integration aus?

Es gibt zwar Sprachkurse, aber das meiste habe ich mir selber beigebracht. Doch die Isolation war und ist auch hier im Gefängnis grauenhaft. Wie sollte ich mir denn hier ein soziales Umfeld aufbauen, wenn überall zwischen Deutschen und Ausländern unterschieden wird? Jetzt bin ich zu 100 % von Abschiebung bedroht. Ich habe keine Chance auf ein Bleiberecht. Wenn ich Glück habe, muss ich nur 2/3 meiner Strafe absitzen und werde dann abgeschoben. Mit Pech sitze ich komplett ab und muss dann zurück.

 

Ahmed, aus Tunesien. Nach dem Sturz des Diktators Ben Ali, der auch maßgeblich jahrzehntelang Unterstützung durch die deutsche und französische Regierung genoss, kam es verstärkt durch ökonomische Krise und politische Unsicherheit zu Fluchtbewegungen. Trotz anerkannter Menschenrechtsverletzungen gelten die Maghreb-Länder, zu denen auch Tunesien gehört, seit 2016 für die Regierung als „sicher“.

Wie kamst du nach Deutschland?

Ich kam im Jahr 2010. Das war das Jahr, in dem die Revolution in Tunesien ausbrach. Ich wollte dem Elend in der Heimat entkommen, gewaltfrei leben, eine Familie gründen und von meiner Arbeit leben können. Deshalb bin ich nach Deutschland gegangen.

Wie erging es dir nach deiner Ankunft?

Zuerst kam ich in eine Asylunterkunft. Dort bekam ich 15 Euro Bargeld die Woche. Frühstück, Mittag und Abendessen gab es in der Unterkunft. Nach drei Monaten wurde ich dann in eine WG gesteckt. Ich bekam Lebensmittelgutscheine im Wert von 120 Euro und 40 Euro „Taschengeld“. Damit musste ich den ganzen Monat auskommen. Trotz aller Probleme lernte ich schnell Deutsch. Einen Job hat mir das allerdings nicht eingebracht. Daher mussten wir uns Kleidung und Hygieneartikel illegal besorgen. Wir waren dementsprechend frustriert und die Stimmung wurde Woche für Woche angespannter. Später heiratete ich, mittlerweile habe ich ein kleines Kind. Wir sind eine Familie. Wir müssen versorgt werden. Aber eine Arbeit konnte ich nicht finden. Irgendwann wurde ich beim Klauen erwischt und so kam ich im Juni 2017 ins Gefängnis.

Wie erging es dir in der Haft?

Zuerst war ich in der JVA Dresden. Dort wurde ich bereits am zweiten Tag vom Hausarbeiter rassistisch beleidigt. Es gab Streit, ein Beamter kam und schrie mich an. Ich wurde ebenfalls laut und er löste den Alarm aus. Die Beamten beschimpften mich als „Kanakenschwein“, schlugen mich zusammen und sperrten mich zwei Tage in den Bunker. 24 Stunden davon war ich gefesselt. Einer von ihnen schlug mir auf mein Ohr. Noch heute habe ich dort Schmerzen. Im November wurde ich nach Waldheim verlegt. Hier ist es ruhiger. Auch ich selbst versuche, immer freundlich zu sein und niemandem eine Angriffsfläche zu bieten.

Wirst du durch die JVA unterstützt?

Der Sozialarbeiter in Dresden hat mir immer geholfen. Die Cops allerdings nicht. In Waldheim hilft mir ein Mitgefangener auf meiner Station (vielen Dank).

Und die Situation mit anderen Gefangenen?

Ich will keinen Ärger und bin daher meistens alleine. Der Knast schließt nicht nur meinen Körper, sondern auch meinen Geist ein. Ich habe Probleme, länger als eine Stunde mit mehr als drei Leuten abzuhängen.

Was muss deiner Meinung nach passieren, damit die Situation hier besser wird?

Es bräuchte mehr kreative Freizeitangebote. Klar, ich weiß, dafür fehlt denen das Personal. Und ich glaube, man sollte uns Refugees nicht wegen jeder Kleinigkeit wegsperren. Dann wären die Knäste auch nicht so überfüllt. Es kann nicht sein, dass ein Araber wegen 2 Gramm Hasch in U-Haft landet und ein Deutscher für 10 Gramm plus Waage nicht einmal eine Geldstrafe bekommt. Bei Lockerung etc. stehen wir immer hinten an. Gleiches gilt für Arbeit und für Freizeitgruppen. Wir werden ganz offensichtlich diskriminiert. Als Nicht-Deutsche und als Muslime. Das kotzt mich an.

 




Yarl’s Wood-Skandal in Britannien: Sexueller Missbrauch im Abschiebeknast

Joy Macready, Infomail 758, 18. Juni 2014

Nach unzähligen Beschwerden, einem Hungerstreik von 80 InsassInnen, Nachweisen durch die Überwachungskameras und einer Gefängnisschwangerschaft, gelangte endlich die Wahrheit über den weit verbreiteten sexuellen und körperlichen Missbrauch im Abschiebegefängnis Yarl’s Wood in die Schlagzeilen.

Es bedurfte eines ehemaligen Angestellten, um das Lügennetz zu zerreißen, das  Serco, „die größte Firma, von der du nie gehört hast”, gesponnen hatte. Diese multinationale Dienstleistungsfirma betreibt nach wie vor Yarl’s Wood, obwohl sie schon im Oktober letzten Jahres zwei Mitarbeiter wegen „Sex mit Insassen“ feuern musste. Ein weiterer Mitarbeiter wurde wegen „unangemessenem Verhalten gegenüber Insassen“ entlassen – vier Jahre, nachdem der Vorfall von der Überwachungskamera aufgenommen worden war.

Der Informant beschrieb den wiederholten sexuellen Missbrauch und den ungezügelten Rassismus der Mitarbeiter. Erst jetzt hat die Labour-Innenministeriums-Kandidatin des Schattenkabinetts, Yvette Cooper, eine unabhängige Untersuchung gefordert und stellt den Bericht der Gefängnisaufsichtsbehörde vom Oktober 2013 in Frage, demzufolge sich die Insassinnen “sicher fühlen” und “wenig Gewalt herrsche“.

Keine neue Entdeckung

Aber der weit verbreitete Missbrauch ist keine neue Entdeckung. Während der sieben Jahre, die Serco Yarl’s Wood betreibt, gab es eine Reihe fundierter Beschwerden von weiblichen Asylsuchenden gegen Mitarbeiter von Serco; doch Serco hat alles getan, um die Opfer zu diskreditieren und zum Schweigen zu bringen.

Die Einwanderungsbehörde (Home Office) zeigt sich in dieser Sache als Komplizin, in dem sie den sexuellen Missbrauch durch Abschiebung deckt. Eine Frau beklagte, dass versucht wurde, sie in neun verschiedene Länder abzuschieben, nachdem sie sich über sexuelle Übergriffe beschwert hatte.

Serco hält nicht einmal das gesetzliche Minimum an Fürsorge für die verletzen Frauen im Gefängnis ein, von denen viele aus ihren Heimatländern gerade deshalb geflohen waren, um Vergewaltigungen und Misshandlungen zu entkommen. Der ehemalige Angestellte sagte aus, dass Frauen abgeschoben wurden, ohne dass ihr psychischer Zustand hinreichend untersucht wurde, obwohl mehr als die Hälfte der Insassinnen – über 200 Personen – entweder auto-aggressiv oder selbstmordgefährdet waren.

Paragraph 35 des Gesetzes für Abschiebegefängnisse untersagt der Einwanderungsbehörde die Abschiebung von Frauen, die misshandelt wurden. Ärzte müssen die Behörde über jede Insassin informieren, die ihrer Meinung nach Opfer von Misshandlung gewesen sein könnte. Trotzdem wurden 2012 nur 6% der Insassinnen auf Grund von Regel 35 entlassen.

Tragischerweise starb im März eine 40jährige Frau aus Jamaica, die seit 14 Jahren in Großbritannien gelebt hatte an Herzstillstand, nachdem sie 45 Minuten vor Schmerzen geschrien hatte. Ein Sprecher von Serco sagte, dass Christine Case einen umfassenden Gesundheitscheck durch eine Krankenschwester und einen Arzt bekommen habe, als sie in Yarl’s Wood ankam. Doch zehn Tage später war sie tot.

Die Verletzlichsten

Fast 90% der in Yarl’s Wood Festgehaltenen sind Frauen, trotzdem sind ungefähr die Hälfte der Beschäftigten männlich.

Diese Frauen sind die Verletzlichsten der Gesellschaft. Viele von ihnen sind vor Kriegen geflohen oder wurden wegen ihrer ethnischen Herkunft, Religion, Nationalität oder politischen Meinung verfolgt. Wenn sie in Britannien Asyl suchen, werden sie von ihren Familien getrennt und in manchen Fällen für bis zu vier Jahre ins Gefängnis gesteckt. Keine von den Frauen in Yarl’s Wood hat eine Ahnung, ob oder wann sie entlassen oder abgeschoben werden.

Diese Frauen haben kein Verbrechen begangen und doch werden sie schlimmer behandelt als verurteilte Kriminelle – doch die wissen wenigstens, wie lange sie eingesperrt werden.

Ein paar Zahlen belegen die katastrophalen Zustände in Yarl´s Wood:

  • 50% der weiblichen Asylsuchenden sind Überlebende von Vergewaltigungen;
  • 70% der eingesperrten Frauen sind Überlebende von Vergewaltigungen;
  • 57% der eingesperrten Frauen haben keinen Anwalt.

Viele glauben, dass die offiziellen Statistiken deutlich unter diesen Zahlen liegen. Vergewaltigungsopfer erwähnen die Übergriffe häufig wegen der abweisenden Haltung der Beamten der UK Border Agency (UKBA) und wegen ihres eigenen Schamgefühls nicht. Die UKBA bietet keine Kinderbetreuung an, was bedeutet, dass viele Frauen gezwungen sind, ihre Vergewaltigung oder Misshandlung vor ihren Kindern beschreiben zu müssen.

Diese Bedingungen der Gefangenschaft haben traumatische Folgen. Die Gefangenschaft in Yarl’s Wood ist, als ob sie ihre schlimmsten Alpträume nochmals durchleben. Viele werden in Folge dessen depressiv oder selbstmordgefährdet. Insassinnen sagen, dass Wärter ihnen den Eindruck vermitteln, sie könnten ihnen, gegen sexuellen Kontakt, bei der Einwanderung helfen. Sie beklagen außerdem, dass sie mit Mitarbeitern flirten müssten, um Zugang zu grundlegenden Gütern wie Toilettenartikeln zu erhalten.

In diesem Machtungleichgewicht kann ein sexuelles Verhältnis von Mitarbeitern mit Gefangenen unter keinen Umständen als auf „gegenseitigem Einverständnis basierend“ betrachtet werden. Daran ändert auch die Untersuchung des Home Office’s Professional Standards Unit nichts, die behauptet, dass eine junge Frau, die dazu gebracht wurde, Oralsex mit einem Wärter zu haben, dies „in gegenseitigem Einverständnis“ getan habe.

Serco

Serco ist seit der Übernahme von Yarl’s Wood 2007 in Skandale verstrickt. 2010 wurde das Einsperren von Kindern nach einer öffentlichen Kampagne gestoppt. Letztes Jahr musste Serco 90,5 Mill. Pfund zurückzahlen, nachdem ans Licht kam, dass sie der Regierung Tagging-Ortungssender in Rechnung gestellt hatten für Menschen, die entweder tot waren, noch im Gefängnis saßen oder nie mit einem Sender ausgestattet wurden.

Nach einer kurzen Sperre beschloss die Regierung im Januar still und heimlich, Serco wieder als Bewerber für Verträge mit Regierungsbehörden zuzulassen. Allein 2012 betrugen die Einnahmen von Serco aus öffentlichen Aufträgen 1,8 Milliarden Pfund. Dies beinhaltet Verträge über 600 Millionen Pfund mit dem Verteidigungsministerium sowie Verträge über je mehr als 200 Millionen Pfund mit dem Justizministerium, dem Verkehrsministerium und dem Gesundheitsministerium.

Im Mai wurde bekannt gegeben, dass Serco laut einem Vorschlag des Bildungsministeriums von Michael Gove unter jenen Firmen sei, welche die privatisierte Kinderbetreuung, inklusive Kinderschutz, übernehmen würden.

Firmen, wie Serco, G4S, Capita und Virgin Care, an die öffentliche Dienstleistungen outgesourct werden, sind praktisch niemandem rechenschaftspflichtig. Diese Unternehmen betreiben in Britannien ehemals staatliche Einrichtungen, wie Schulen, militärische Einrichtungen (inklusive solcher für nukleare Waffen), Gefängnisse, ambulante Behandlungszentren und das Arbeitsprogramm der Regierung für Arbeitslose – nur für den Profit, nicht zum Vorteil der Gesellschaft als Ganzes.

Welche Antwort?

Wir brauchen eine Kampagne der Arbeiterbewegung, geführt von den Gewerkschaften und von AktivistInnen, die bereits gegen Privatisierung kämpfen, um private Firmen aus diesen Bereichen zu vertreiben und öffentliche Dienstleistungen wieder unter Kontrolle der Lohnabhängigen zu bringen. Nur dann ist es möglich jene, welche die Dienste bereitstellen, dazu zu bringen, nicht nur die nötigste, sondern gute Qualität zu garantieren.

Aber die Kampagne muss auch die Rechte der Asylsuchenden und ImmigrantInnen aufgreifen. Sie muss dafür kämpfen, alle Abschiebeeinrichtungen zu schließen und die  Grenzen zu öffnen. Serco, die in 30 Ländern arbeitet, ist ein gutes Beispiel dafür, wie Geld um die Welt fließen kann, ohne dass die Kapitalisten beim Einheimsen von Profiten von irgendeiner Grenze gestoppt werden. Warum sollten Menschen sich nicht mit der gleichen Freiheit bewegen können?

Einige britische Gewerkschaften vertreten bereits die Position der Öffnung der Grenzen, doch sie müssten dies mit realen Aktionen untermauern. Dies bedeutet auch, die Lügen anzugreifen, die alle großen Parteien bezüglich Einwanderung und Asyl gestreut haben. Die rassische Einschränkung der Zuwanderung, die sie alle unterstützt haben, hat die Situation verschlimmert, und dabei die Verzweiflung von Frauen (und auch Männern) verstärkt, welche in Großbritanniens repressiven Asylsystem gefangen sind.