G7-Proteste – eine nüchterne Bilanz ist nötig

Wilhelm Schulz / Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1162, 1. Juli 2022

Olaf Scholz und Co. feierten den G7-Gipfel der westlichen Staats- und Regierungschefs als harmonische, geradezu weltoffene Veranstaltung für Demokratie, Menschenrechte, soziale und ökologische Vorsorge. Ganz zu offen war es dann natürlich doch nicht. Knapp 18.000 Polizist:innen wurden zum Schutz des G7-Gipfels in der Region Werdenfelser Land (Oberbayern) stationiert. Es glich einem Belagerungszustand. Mit Maschinenpistolen ausgestattete Polizist:innen standen hinter Nato-Stacheldrahtzäunen, ständig erfolgten Polizeikontrollen, Geschäfte mussten für den Protest schließen, Autobahnabsperrungen wurden verfügt. Mindestens 170.000.000 Euro soll allein der Polizeieinsatz gekostet haben.

Dessen Umfang entspricht dem von 2015, dem letzten G7-Gipfel in Elmau. Trotz ähnlicher Anzahl erschien die Polizeipräsenz angesichts der schwachen Mobilisierung stärker.

Allerdings besaß die Präsenz eine größere Akzeptanz in der Öffentlichkeit. Schon während der Pandemie wurde polizeiliche Überwachung zunehmend und weit über deren Bekämpfungsmaßnahmen hinaus verstärkt. Der Krieg in der Ukraine dient zusätzlich als Rechtfertigung dieses Zustandes, zumal die Politik von G7 und NATO zu einem „demokratischen“ Eingreifen verklärt wird.

Eine verschärftes Polizeiaufgabengesetz, ständige Kontrollen, Einschränkungen der Versammlungsfreiheit bis hin zu abstrusen Fahnenregeln, Flyerverboten, Angriff wegen Verknüpfung von Transparenten, Polizeipräsenz bei linken Veranstaltungen im Vorfeld gehören mittlerweile schon fast zum „Normalzustand“ der deutschen Demokratie, und zwar nicht nur in Bayern oder bei G7-Gipfeln.

Sicherlich schüchterte die schon im Vorfeld angedrohte massive Repression Menschen ein und wirkte demobilisierend. Das erklärt aber keineswegs die enttäuschend geringe Beteiligung an allen Aktionen. Im Folgenden wollen wir auf einzelne eingehen, um am Ende die Frage zu beantworten, worin die zentralen Gründe für die schwache Mobilisierung lagen.

Großdemo mit 6.000 Teilnehmer:innen?

Die von den NGOs angekündigte „Großdemo“ mit Start und Ziel auf der Münchener Theresienwiese blieb am Samstag, den 25. Juni, weit unter den Erwartungen. Die Mehrheit der rund 6.000 Teilnehmer:innen wurde von verschiedenen antikapitalistischen, antiimperialistischen, sozialistischen und kommunistischen Gruppierungen mobilisiert. Die Masse der NGOs blieb aus.

Dabei hatten diese im Vorfeld die politische Ausrichtung der Demonstration am 25. Juni an sich gerissen, alle politischen Parteien und radikaleren Gruppierungen aus dem Träger:innenkreis, der Festlegung des Aufrufes und auch weitestgehend aus der Mobilisierung zur Demo gedrängt.

Dieses bürokratische und undemokratische Manöver hatte nicht nur die Gesamtmobilisierung erheblich geschwächt und behindert. Der Verzicht auf eine grundlegende Ablehnung der G7, das Ausweichen vor der Kriegsfrage und die Anbiederung an die Mächte der Welt, die im Aufruf deutlich wurde, erwiesen sich als politischer Rohrkrepierer.

Einige der NGOs und Gruppen der sog. Zivilgesellschaft dürften schon im Vorfeld ihre Mobilisierung faktisch eingestellt haben. Andere wie Fridays For Future scheinen sich selbst im Spannungsverhältnis zwischen Pressuregroup der grünen Regierungspartei und sozialem Faktor auf der Straße zu zerlegen. So konzentrierte sich FFF auf eine Kleinstdemo am Freitag mit einigen 100 Teilnehmer:innen, die unabhängig von anderen Protesten stattfand, und war kaum sichtbar auf der Großdemo.

FFF mutierte von einer Streikbewegung zu einer Eventorganisation. Obwohl es auf dem Papier Unterstützer:in der Gegenproteste war, konnte kaum von einer öffentlichen Mobilisierung die Rede sein. Bis auf einzelne bekannte Gesichter am Samstag und eine kleine eigene Aktion am Freitag mit knapp 300 Teilnehmer:innen war FFF nicht präsent. Scheinbar liegt der Fokus aktuell auf einer Unterstützung der Embargos gegen den russischen Imperialismus, anstatt die eigene Regierung und ihre zerstörerische Umweltpolitik anzugreifen.

Auffällig war nicht nur, dass die NGOs zahlenmäßig gering vertreten waren, sondern auch die Abwesenheit anderer Parteien, die sonst auf solchen Protesten anzutreffen waren. Während bei den letzten Gipfelprotesten auch Teile der Grünen und sogar der SPD teilnahmen, so ist ihr Fernbleiben einfach durch die Einbeziehung in die Ampelkoalition sowie die Unterstützung deren Kurses zu erklären. Ähnliches gilt auch für die Gewerkschaften. Der sozialpartner:innenschaftlichen Anbindung an die SPD wurde durch die Pandemie kein Abbruch getan und auch jetzt werden die Kosten des Krieges auf dem Rücken der Lohnabhängigen stumm mitgetragen. Vereinzelt sah man ver.di- und GEW-Mitglieder aus München, aber eigene Blöcke oder gar Lautsprecherwagen waren nicht zu finden. Dies ist nicht verwunderlich, da diese bereits während der Vorbereitung mit Abwesenheit glänzten.

Die NGOs haben in diesem Jahr die Spaltung der Gegenproteste erreicht. Sie weigerten sich mit fadenscheinigen Argumenten, gemeinsam mit sämtlichen Parteien und allen subjektiv revolutionären Organisationen sie zu organisieren. Als NGOs dürften sie keinen Widerstand gegen den Staat organisieren. Solche Argumente tauchen inmitten einer Krise der Linken und Arbeiter:innenbewegung auf!

Warum galten diese Einwände bei vergangenen Gipfelprotesten nicht? Sie stellen nichts anderes dar als den Versuch, den Widerstand konform zu lenken und jene, die nach einer Perspektive gegen und nicht mit den G7 suchen, ruhigzustellen. Gesagt, getan. Das Ergebnis war ein doppeltes. Einerseits wurde die Desorganisation der Linken dadurch befeuert, andererseits die Aussicht auf eine größere Mobilisierung bewusst aufs Spiel gesetzt. Die Entscheidung, dass die G7 zu beraten statt zu bekämpfen sind, liefert die Erklärung für diese Entwicklung. Die NGOs haben sich so als Erfüllungsgehilfinnen einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenz präsentiert. Die „Zivilgesellschaft“, für die sie einzustehen versuchen, stellt eben nichts weiter als einen Hofstaat jener Klassengesellschaft voller sozialer Gegensätzlichkeiten dar. Ebenjene ist es, die im letzten Jahrzehnt nach rechts rückte. Sich in ihrer Mitte zu positionieren, erzwingt die Bekämpfung oder zumindest das Ausbremsen radikaler Kräfte. Der Fördertropf an dem sie hängen, bildet die materielle Hintergrundfolie einer ideologischen Kapitulation.

Wie verliefen die Aktionen?

Während die Hoffnungen im Vorhinein nicht allzu groß waren, so geriet die Realität mit nur 6.000 Teilnehmer:innen noch bitterer. Als positives Moment bleibt zu bemerken, dass sich die Demonstrierenden trotz ihrer inhaltlichen Differenzen gegenüber der Polizeirepression solidarisch verhielten. Als die Cops ohne ernsthaften Grund bei der Abschlusskundgebung den antikapitalistischen Block angriffen, solidarisierten sich die Sprecher:innen von der Bühne dagegen und riefen die Polizei auf, sich zurückzuziehen. Sie akzeptierten die Spaltung in „gute“ und „schlechte“ Demonstrierende nicht.

Man würde sich an der Stelle mehr wünschen, aber viel Besseres gibt es auch nicht zu berichten.

Leider blieben auch die Aktionen in Garmisch selbst deutlich hinter jenen von 2015 zurück. Dabei haben viele Genoss:innen und Aktivist:innen ihre gesamte Energie dafür aufgebracht, ein Camp mit geringsten Ressourcen auf die Beine zu stellen. Sie haben gekocht, Nachtwachen afgestellt, ein Workshop- und Kulturprogramm organisiert und einiges mehr. Doch leider blieben Tausende fern. Das Camp trug eher den Charakter eines alpinen Urlaubsprogramms als einer Koordinationszentrale des Kampfes gegen den G7-Gipfel. Wenige hundert Menschen übernachteten vor Ort.

Die größte Aktion, die von ihm ausging, war die Demonstration am 26. Juni. Das Bündnis „Stopp G7 Elmau“ rief dazu auf. Etwa 1.500 Teilnehmer:innen folgten dem Aufruf. Dominiert wurde die Demonstration von verschiedensten antiimperialistischen Kräften. Ihre Überrepräsentanz ist dabei nicht in erster Linie Ausdruck ihrer Stärke, sondern, wie beschrieben, einer allgemeinen Defensive. Teile der Demonstration wurden von der Polizei durchgehend im Spalier „begleitet“. Bereits vor Beginn wurde deutlich, dass der Protest zu nicht viel mehr als einem Ausdruck symbolischen Widerstands gegen den Gipfel des Kapitals geraten würde.

Noch deutlicher wurde dieser rein symbolische Charakter am Montag, dem 27. Juni. An dem Tag nahmen zusätzlich 50 Personen unter Polizeigeleit an einer kleinen Protestkundgebung außerhalb der Hör- und Sichtweite des Gipfels statt. Die Polizei führte erniedrigende Leibesvisitationen bei den Teilnehmer:innen durch und agierte dabei übergriffig, konfiszierte Gegenstände wie Marker, die mit Sicherheit keinerlei Bewaffnungen oder Ähnliches darstellen. Ebenso fand ein Sternmarsch statt. Aufgeteilt auf eine Wanderroute und Fahrradtour nahmen 100 Teilnehmer:innen den Marsch in die oberbayrischen Alpen auf.

Linke, Krise Globalisierung

Doch die zahlenmäßig schwachen Proteste gegen den G7-Gipfel sind freilich nur die Spitze des Eisbergs. Unter dem Wasserspiegel verbirgt sich der desaströse Zustand der Linken und Arbeiter:innenbewegung in der heutigen Zeit, die enorm zugespitzte proletarische Führungskrise eben.

Dieser wurde mittels Fokussierung auf Eventmobilsierungen wie „Blockupy“, „Castor schottern“ oder „Tag X“ versucht zu überdecken. Angesichts der heutigen Lage waren dies reine Heerschauen und Selbstbeweihräucherung linker Organisationen, die sich in Stärkeposition wähnten. Sie waren reine Symbolproteste. Aktivist:innen konnten sich an ihren Symbolen stärken oder scheitern, aber sie erkämpften keine realen Verbesserungen für die Klasse und schafften es nicht, inhaltliche Differenzen innerhalb der Radikalen Linken zu klären. Vielmehr formten diese Stunts eine Fassade, die den Zustand der Ratlosigkeit zu überdecken versuchte. Prominente Beispiele dafür bilden Interventionistische Linke und vor allem die Linkspartei.

Über Jahre blieben in der Deutschen Linken ernsthafte programmatisch-strategische Debatten zu den Aufgaben gegen den vorherrschenden Rechtsruck, den erstarkenden Nationalismus angesichts des aufkochenden Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und der Krise aus. So wie viele während der Pandemie darauf hofften, dass diese an ihnen vorbeiginge, ohne darauf eine politische Antwort geben zu müssen, so flehen andere wiederum, dass der Krieg um die Neuaufteilung der Welt bald vorbei sein möge.

Fast schon folgerichtig war die Interventionistische Linke auf keiner einzigen Blockade oder Demonstration als Kraft sichtbar. Die Linkspartei schaffte es, ihren Krisenparteitag parallel zum Gipfel stattfinden zu lassen und nur in kleinster Form ihres bayrischen Landesverbandes aufzutreten. Selbst dieser war ein Schatten seiner selbst.

Während manche Kräfte das Fernbleiben dieser Akteur:innen als Fortschritt feiern, das den Protest „radikal“ erscheinen lasse, ist die Realität doch eine andere. Durch die geringe Mobilisierung droht der Gegenprotest, in die Bedeutungslosigkeit zu schwinden und mit ihr die Debatte um den Inhalt.

Für eine Strategie- und Aktionskonferenz

Das Fernbleiben dieser Kräfte ist dabei Resultat ihrer eigenen Schwäche. Die unzählbaren Krisen, die Veränderung unserer Kampfbedingungen in Zeiten der Pandemie und Kriegseuphorie zeigen auf, dass die reine Fokussierung auf einzelne Aspekte reine Feuerwehrpolitik bleibt. Sie weicht der Frage aus, wie dieser Totalität des Elends ein Ende gesetzt werden kann. Noch schlimmer: Sie leugnet deren Notwendigkeit. Somit kam und kommt es zum Unterordnen unter die jeweiligen Führungen der Bewegungen, seien es bürgerliche Kräfte bei der Umweltbewegung bzw. gegen Rechtsruck oder ökonomistische Nachtrabpolitik bei gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen.

Damit wurde nicht nur verpasst, Kämpfe erfolgreich zu führen, sondern auch aus Niederlagen zu lernen.

Angesichts dieser schwachen Mobilisierung ist zu diskutieren, welche Aufgaben sich Internationalist:innen, Antiimperialist:innen und Antikapitalist:innen in dieser Zeitenwende stellen, um zumindest größere Teile der Avantgarde der Arbeiter:innenklasse gegen die Neuorientierung der westlichen Imperialismen im Kampf gegen die russischen und chinesischen Widersacher programmatisch und praktisch in Stellung zu bringen. Es ist Aufgabe der teilnehmenden Organisationen, einen offenen Austausch um die Kampfperspektive inmitten der Defensive zu führen. Wir brauchen eine Strategie- und Aktionskonferenz im kommenden Herbst. Wir richten diesen Appell insbesondere, aber natürlich nicht nur an jene Kräfte, die an der Demonstration teilgenommen haben: DKP, SDAJ, MLPD, REBELL, Föderation klassenkämpferischer Organisationen, Zora, Perspektive Kommunismus, Atik, Young Struggle, Neue Demokratische Jugend, Partizan, Atif, Kuhle Wampe, Karawane, Klasse gegen Klasse, die Sozialistische Alternative.




Ergebnisse des G7-Gipfels – der Westen macht mobil

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1191, 29. Juni 2022

Selbstzufrieden präsentiert sich nicht nur der deutsche Kanzler und Gastgeber des G7-Gipfels Olaf Scholz. Inmitten des Kriegs um die Ukraine, einer beginnenden nächsten Wirtschaftskrise, einer drohenden Hungerkatastrophe und des Fortschreitens des Klimawandels inszenierten sich die Staats- und Regierungschefs der westlichen Mächte samt EU-Gästen als Retter des Planeten. Demonstrativ wurde die neue Einheit des erlesenen Clubs zelebriert, Schulterklopfen, Lob und …

Sicherlich. Die Gegensätze zwischen den Sieben sind nicht verschwunden. Aber die Invasion Russlands und das stetig wachsende wirtschaftliche und politische Gewicht Chinas drängen die G7 zur Einheit und dazu, den Kampf um die längst herausgeforderte Hegemonie der westlichen imperialistischen Mächte entschlossen aufzunehmen. Darum ging es auf dem bayrischen Schloss Elmau, darum geht es am unmittelbar darauffolgenden NATO-Gipfel in Madrid.

Kampf um die Ukraine

Wenig verwunderlich stand der Krieg um die Ukraine im Zentrum der Tagung. Auf der abschließenden Pressekonferenz verkündete Olaf Scholz, dass die G7 „eng und unverbrüchlich an der Seite der Ukraine“ stünden – als ob das jemand bezweifelt hätte. Neue Waffensysteme und Kreditlinien wurden angekündigt. Der ukrainische Staatshaushalt soll mit 28 Mrd. Euro unterstützt werden. Für die Zukunft wird in der Abschlusserklärung außerdem eine Art Marshallplan für das Land versprochen.

Weitere Schritte, den Ring um Russland enger zu ziehen, werden auf dem NATO-Gipfel in Madrid folgen.

Bei aller zur Schau gestellten Einheit stehen die G7 global vor einer wirklichen Herausforderung ihrer Hegemonie. Die Sanktionen gegen Russland zeigen natürlich massive Wirkung – vor allem was die Verarmung der russischen Bevölkerung betrifft. Aber zugleich haben es die westlichen Mächte schwer, ihr Sanktionsregime durchzuziehen – teilweise aufgrund der eigenen Abhängigkeit von russischem Öl und Gas, teilweise weil andere Länder wie China und vor allem Indien massiv russische Energie abnehmen.

Kein Wunder also, dass zentrale sog. Schwellenländer wie Indonesien, Indien, Südafrika, Senegal und Argentinien als Gäste geladen wurden – zweifellos, um sie in eine westliche Allianz gegen Russland und China zu ziehen.

Die unmittelbare militärische Herausforderung durch den russischen Imperialismus dient zur Rechtfertigung der Wiederbelebung der westlichen Allianz unter US-Führung und einer Expansion und Ausweitung der NATO wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr gesehen. So soll die NATO-Eingreiftruppe von 40.000 auf 300.000 Soldat:innen aufgestockt werden. Die Zeiten, wo Russland als „Partner“ begriffen wurde, sind unwiederbringlich vorbei.

G7 als Helfer in der Not

Doch der Krieg um die Ukraine bildet nur einen Aspekt eines größeren Kampfes, den die G7 natürlich nicht erst seit Garmisch forcieren. Die innere ökonomische Krise des chinesischen Imperialismus soll genutzt werden, um dessen Projekt, die Neue Seidenstraße, zurückzudrängen und die Dominanz des westlichen Finanzkapitals über die halbkoloniale Welt wieder zu festigen. Genüsslich prangern die westlichen Staatschefs die harschen Kreditbedingungen Chinas an, das seinen „Partnerländern“ keine fairen Bedingungen biete, ja diese geradezu im Stich lasse angesichts von Währungskrisen, drohendem Bankrott, Hunger und Armut.

Die G7 präsentieren sich angesichts jenes Elends, das ihre Konzerne, ihre Banken, ihre Wirtschaftsordnung maßgeblich produziert haben, selbstlos. Mehr als 600 Milliarden US-Dollar sollen bis 2027 in Häfen, Schienenverkehr, aber auch das Gesundheitswesen, regenerative Energiesysteme und Stromnetze investiert werden. Allein 200 Milliarden davon sollen durch den US-Imperialismus bereitgestellt werden. Laut EU-Präsidentin Ursula von der Leyen soll „Team EU“ knapp 300 Milliarden US-Dollar beisteuern.

Vor allem afrikanische Nationen sollen von dieser sattsam bekannten Hilfe im Stile des IWF „profitieren“. Außerdem stellt Scholz einen „Klimaclub“ in Aussicht, der noch Ende 2022 gegründet werden und vor allem den „Schwellenländern“ helfen soll, also jenen Staaten, die der Westen als Verbündete gegen Russland und China gewinnen will. Angesichts drohender Hungersnot in vielen Ländern der sog. Dritten Welt sagten die Staats- und Regierungschefs weitere 4,3 Mrd. Euro zu. Auch wenn sich somit die Gesamtsumme der von den G7 versprochenen Hilfsleistungen für die Ärmsten der Armen auf 13 Mrd. Euro beläuft, so bleibt diese weit unter den 44 Mrd. Euro zurück, die lt. UN-Berechnungen nötig wären, um die aktuelle Nahrungsmittelkrise wirksam einzudämmen.

G7 als westlicher imperialer Club

Anders als noch vor einigen Jahren, als die G7 als eine Art Auslaufmodell der Weltpolitik erschienen, sind diese nun als Kraft zurück auf der weltpolitischen Bühne. Auch wenn die G7 keine verbindlichen Beschlüsse fällen, so fungieren sie wieder als ein zentrales Mittel zur Koordinierung der ökonomischen, politischen und geostrategischen Ziele der westlichen imperialistischen Mächte.

Die G20, die einige Zeit als alternatives Regulierungsgremium der Globalisierung erschienen, werden an Bedeutung verlieren und zu wenig mehr als einem Mittel zur Austragung der Konkurrenz mit Russland und China geraten. Angesichts der angekündigten Teilnahme Putins am nächsten G20-Gipfel wurde sogar kurzfristig ein Boykott der Tagung erwogen. Doch das war rasch vom Tisch – schließlich wolle man ja Russland keine Bühne überlassen.

So sehr die G7 ihr Kerngeschäft wiederentdeckt und einen neuen Sinn im Kampf um die Neuaufteilung der Welt gefunden haben, so blieben, wenig verwunderlich, trotz aller demokratischen, humanitären, sozialen Absichtserklärungen die Bekämpfung der Armut und des Klimawandels auf der Strecke.

Scholz und Macron, Biden oder Trudeau mögen sich in ihren Ländern als liberale oder gar sozialdemokratische Gegenmodelle zum Rechtspopulismus, ja als Männer des sozialen Ausgleichs präsentieren – global betrachtet geht es freilich darum, die eigene, ins Wanken geratene globale Hegemonie wieder zu errichten und die Profite der eigenen Kapitale vor dem Hintergrund einer heraufziehenden Weltwirtschaftskrise zu sichern. Sprich, es steht die Stärkung imperialistischer Herrschaft, der Ausbeutung der „eigenen“ wie „fremder“, also halbkolonialer Arbeitskraft, auf dem Zettel.

Darauf zielen letztlich nicht nur die militärischen Ausgaben, sondern auch die „Hilfsprogramme“ in Milliardenstärke.

Angesichts des barbarischen russischen Angriffs auf die Ukraine präsentiert sich der Westen dabei keineswegs ohne Erfolg und unter kräftiger Mithilfe fast aller bürgerlichen Kräfte als Hort der Demokratie. Der Kampf um die Ukraine wird als einer zwischen den globalen Kräften von Autoritarismus und Diktatur gegen jene von Demokratie und Freiheit ideologisiert. Ganz in diesem Sinn versuchen die G7 auch, ein Bündnis der „demokratischen“ Staaten zu schmieden, inklusive solcher Vorzeigeregime wie jenes von Modi in Indien.

Mit der Demokratie ist es auch bei anderen Verbündeten der demokratischen Staatenwelt wie auch in deren Innerem bekanntlich nicht so weit her. Dies hindert freilich Gewerkschaftsführungen, Grüne, US-Demokrat:innen und sozialdemokratische Parteien nicht daran, die G7 zu einer respektablen Institution zu verklären und deren wahren, imperialistischen Charakter zu verschleiern. Angesichts des öffentlichen Drucks und des Opportunismus gegenüber dem „demokratischen“ Imperialismus geraten auch so manche Linksparteien ins Schwanken. Ganz an vorderste Stelle jener, die die G7 faktisch beschönigen, finden sich die NGOs, die oft genug auch von den Geldern der G7-Staaten leben. So forderten sie in ihrem Aufruf zur Demonstration gegen den G7-Gipfel: „Zieht Konsequenzen aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine! Befreit uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle! Handelt in aller Konsequenz gegen Klimakrise und Artensterben! Und bekämpft endlich Hunger, Armut und Ungleichheit!“

Dumm nur, dass die G7-Staaten keine über den Klassengegensätzen und schon gar nicht über den globalen Konflikten stehende „neutrale“ Institution darstellen, sondern selbst ein zentrales Gremium der dominierenden westlichen imperialistischen Mächte bilden. Wer von den führenden imperialistischen Bourgeoisien die Rettung der Welt erhofft, streut nur sich selbst und anderen Sand in die Augen.




Gerechtigkeit im Kapitalismus? Ein notwendige Kritik am NGO-Aufruf für den 25. Juni

Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1191, 22. Juni 2022

Am Samstag, dem 25.Juni, wird es im Zuge der G7-Gegenproteste eine Massendemonstration in München geben. Maßgebliche Organisator:innen sind NGOs wie Brot für die Welt, attac, NaturFreunde, WWF und Greenpeace. Unter dem Motto „Klimakrise, Artensterben, Ungleichheit – gerecht geht anders!“ sollen sich Zehntausende auf der Theresienwiese sammeln und durch die bayrische Hauptstadt ziehen.

Grundsätzlich ist eine Mobilisierung, die weit über die radikale Linke hinausgeht, zu begrüßen. Gleichzeitig lohnt es sich, einen genaueren Blick auf den Aufruf der NGOs zu werfen, denn dieser ist an mehr als einer Stelle problematisch. Erst recht fragwürdig ist, dass sie mit ihrem undemokratischen Vorgehen faktisch die inhaltliche Ausrichtung der Demonstration bestimmen (siehe dazu: G7-Gipfel 2022: Spaltung statt Mobilisierung?).

Konsequenzen für … ?

Der Aufruf der NGOs startet mit einem dringenden Appell: „Zieht Konsequenzen aus dem russischen Krieg gegen die Ukraine. Befreit uns so schnell wie möglich aus der Abhängigkeit von Öl, Gas und Kohle! Handelt in aller Konsequenz gegen Klimakrise und Artensterben! Und bekämpft endlich Hunger, Armut und Ungleichheit!“

Man könnte meinen, dass diese Formulierung recht ungeschickt gewählt ist. Mitnichten. Schließlich handelt es sich bei den Vertreter:innen der diversen NGOs nicht um politische Neulinge, sondern um professionelle Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Lobbyvereine, die ihre Hauptaufgabe darin sehen, „unsere“ Regierungs- und Staatschef:innen endlich zum Handeln für das Gute in der Welt zu bewegen.

Wie die Konsequenzen, die gezogen werden sollen, aussehen, ist im Aufruf recht unklar – und auch das ist an der Stelle eine bewusste Entscheidung. Schließlich stehen die NGOs fest auf dem Boden bürgerlicher Realpolitik und wissen daher, dass die von ihnen geforderte gemeinsame Sicherheit, eine „aktive Friedenspolitik, die sozial-ökologische Transformation und ein leistungsfähiger Sozialstaat“ nicht vom Himmel fallen. Sie gelten als Resultat langwieriger Überzeugungsprozesse und Diskurse, zumal wenn man sie nicht mit den Mitteln des Klassenkampfs, sondern durch Überzeugung der Herrschenden und Appelle an deren Vernunft herbeizuführen versucht.

So wird entgegen der realen Erfahrung (von einem Verständnis der Gesetzmäßigkeiten des kapitalistischen System wollen wir gar nicht reden) einfach unterstellt, dass die G7, wenn sie denn wollten, die Welt wirklich retten könnten.

So heißt es: „Die G7-Staaten tragen mit ihrem wenig nachhaltigen Wirtschaftssystem große Verantwortung dafür, wie massiv sich diese beiden Krisen zuspitzen. Gerade deswegen müssen sie das Ruder jetzt herumreißen.“

So kann auch der gefräßigste Bock zum Gärtner werden. Die G7 gelten den NGOs letztlich nicht als Teil des Problems, sondern der Lösung.

Wenig verwunderlich erscheinen im Kampf um die Ukraine der Westen, also die NATO-Mächte, als die Guten, als „unsere“ Seite. Lassen wir einmal beiseite, dass sich Deutschland und die anderen G7 zur Zeit nicht anschicken, aus Gas und Öl auszusteigen, sondern Kohleverstromung, Fracking-Gas- und -Öl und selbst ein Ausbau der Kernenergie angeschoben werden, so wird erst gar nicht reflektiert, dass der Ruf nach dem Ausstieg aus russischem Öl und Gas auch gut in die Politik der NATO-Staaten passt. Die bewusst vage gehaltene Formulierung im Aufruf ist somit bestenfalls ein leerer Appell, im schlimmsten ein Aufruf zum Energieembargo, wie es Aktivist:innen wie Luisa Neubauer (FFF) bereits gefordert haben.

Der Nachsatz bezüglich Klimakrise und Artensterben sowie der Unmut über weitere Missstände, die angeführt werden, scheinen die Intention unklarer zu machen. Am schwersten wiegt aber ein anderer Grund. Russisches Gas und Öl sind in Deutschland willkommen, da günstig. Zu argumentieren, dass die aktuelle Situation mit dem Krieg aus der Ukraine aufzeigt, dass wir davon abhängig sind – und somit uns davon trennen müssten, kann einerseits dazu dienen, die Abwälzung der gestiegenen Preise auf die Massen zu rechtfertigen, andererseits kommt es einer indirekten Unterstützung der geostrategischen Ziele der G7-Staaten gleich.

Oder anders gesagt: Wirtschaftliche Sanktionen werden im Namen des Klimaschutzes und der guten Moral gefordert. Dass dies dafür sorgt, dass die Energiepreise weiter steigen werden, während weltweit Arbeiter:innen mehr zahlen und im Winter frieren, zeigt den bürgerlichen Klassencharakter auf. Wer eine Energiewende will, der/die sollte nicht nach „besten“Argumenten suchen, damit das deutsche Kapital zuhört. Stattdessen bedarf es Forderungen wie der Verstaatlichungen des Energiesektors, geplanter ökologischer Erneuerung unter Arbeiter:innenkontrolle, automatischer Anpassung der lohnabhängigen Einkommen an die Inflation und Preiskontrollkomitees, damit die entstehenden Kosten nicht die Lohnabhängigen tragen müssen.

Unklarheiten

Auch ein generelles Problem des Aufrufs besteht darin, dass die ganzen Formulierungen so allgemein gehalten sind, dass sie scheinbar jeglichen Inhalt verlieren. Als Beispiel dient folgender Absatz:
„Wir bekennen uns zum Ziel gemeinsamer Sicherheit und fordern eine aktive Friedenspolitik. Wir benötigen mehr Geld für eine sozial-ökologische Transformation und einen leistungsfähigen Sozialstaat. Zudem müssen weit mehr Mittel als bisher für Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung und den Ausbau der Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe zur Verfügung stehen.“

Begriffe wie leistungsfähiger Sozialstaat oder sozialökologische Transformation sind so allgemein gehalten, dass zur Zeit fast alle irgendwie dafür sind – und auch alle recht Verschiedenes darunter verstehen können. Einen bitteren Beigeschmack hinterlassen dabei frei interpretierbare Begriffe wie jener der „aktiven Friedenspolitik“ oder der „gemeinsamen Sicherheit“, bei denen man sich fragen muss: Was bedeutet das eigentlich? Als aktive Friedenspolitik kann auch eine „humanitäre“ NATO-Intervention bezeichnet werden, die die heiligen westlichen Werte natürlich im Interesse der gemeinsamen Sicherheit vertritt.

Eine Standardreplik auf die Kritik an diesen bewusst vagen, für kapitalkonforme Interpretationen offenen Formulierungen lautet, dass es ja das Ziel sei, so viele Menschen wie möglich auf die Straße zu bringen, damit der Protest erfolgreich wird. Deswegen müsse man offen sein, allgemeine Begriffe verwenden und am besten nichts Konkretes fordern. Nur so könne man ganz viele Leute mobilisieren!

Das stimmt allenfalls vordergründig. Natürlich können unklare Forderungen und Ziele in bestimmten Situationen hilfreich sein, größere Proteste zu organisieren. So schien der Mangel an konkreten, klaren Forderungen z. B. am Beginn von Fridays for Future (FFF) geradezu als Erfolgsrezept. Schließlich sind ja (fast) alle für Klimaschutz und dafür, dass etwas getan werden muss.

Doch gerade die Entwicklung von FFF verdeutlicht die Grenzen und Probleme dieser „Strategie“. Nach etlichen globalen Aktionstagen, nach zahlreichen Forderungen an die Mächtigen der Welt, ihrer Verantwortung nachzukommen, gerät die Bewegung in eine Sackgasse, beginnt zu stagnieren. Das Fehlen von klaren Forderungen offenbarte schließlich die am Beginn einer Bewegung nachvollziehbare Unreife der Aktivist:innen, aber auch den fatalen Einfluss von kleinbürgerlichen und bürgerlichen Kräften, die von einer notwendigen Klärung der Ziele, Methoden und der Frage nach dem Subjekt und der klassenpolitischen Ausrichtung der Bewegung nicht wissen wollten, weil das ihre reale Dominanz in Frage gestellt hätte. Genau aus demselben Grund wollen die NGOs von der Frage nach dem Charakter der G7, von offenem Antikapitalismus und Antiimperialismus und von der zentralen Rolle der Arbeiter:innenklasse im Kampf um Veränderungen und gegen das System nichts wissen.

Längerfristig soll so nicht nur die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder bestenfalls reformistischer Kräfte gesichert werden – die Bewegung selbst droht, sich so als Fußtruppe des NGO-Lobbyismus totzulaufen.

Wer verändert eigentlich was?

Sie und ihr Aufruf setzen darauf, lautstark auf die Straße zu gehen, damit die Regierungschef:innen endlich merken, was wirklich wichtig ist. Wir sollen in möglichst großer Zahl demonstrieren und mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen versuchen, sie zur „Vernunft“ zu bringen. Deutlich wird das in Formulierungen wie: „Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten müssen dafür sorgen, dass … “

Wer jedoch in den letzten Jahren als Klimaaktivist:in unterwegs gewesen ist, weiß, dass das nicht das Mittel ist, um nachhaltig etwas zu verändern. So zu tun, als ob uns noch genügend Zeit bleibt, einfach die Herrschenden dieser Welt, die nicht so denken wie wir, zu überzeugen, bedeutet, die Augen vor der Realität zu verschließen. Dieser Eindruck entsteht, wenn man nicht klar benennt, dass die getroffenen wie die nicht getroffenen Entscheidungen im Rahmen des Umweltschutzes oder der Armutsbekämpfung von Kapital- und Profitinteressen geprägt sind. Der Staat ist eben nicht das viel erträumte „neutrale“ Organ, das über alle wacht, sondern ein Ausdruck der Klassenherrschaft. Die G7 sind kein missverstandener Club verantwortlicher Staatslenker:innen, sondern eine zentrale Institution der dominierenden westlichen imperialistischen Mächte, die ihre Interessen gegen die russische und chinesische Konkurrenz wie auch gegen die sog. Dritte Welt und die Massen der Ausgebeuteten und Unterdrückten durchsetzen wollen – und zwar mit allen Mitteln. Dass dies von NGOs ignoriert oder abgelehnt wird, ist kein Wunder, da sie selbst sich positiv auf eben jenen Staat und das kapitalistische Gesellschaftssystem beziehen, das er verteidigt.

Was also tun?

Statt sich auf Regierungschef:innen zu stützen und bei Appellen stehenzubleiben, bräuchte es eine Mobilisierung, die a) klare Forderungen gegen Krieg, Inflation und Umweltzerstörung international gibt und b) sich selbst als kämpfende und nicht nur beeinflussende Masse sieht. Mobilisierungen wie zum G7-Gipfel bringen immer auch das Problem mit sich, dass sie als einmaliges Event verpuffen. Deswegen muss man sie nutzen, um neue Menschen für eine längerfristige Perspektive wie den Aufbau einer internationalistischen Bewegung gegen Krieg und Krise zu gewinnen, die nicht nur nett bittet, sondern auch bereit ist, ihre Forderungen mit den Mitteln des Klassenkampfes durchzusetzen!




Sieben Gründe gegen die G7

Martin Suchanek, Neue Internationale 265, Juni 2022

Weitab von der Masse der Bevölkerung tagen die Staats- und Regierungschefs der sieben mächtigsten Staaten der Welt im bayrischen Schloss Elmau in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten waren die G7-Gipfel und andere Tagungen zentraler Organisationen der Weltpolitik und -wirtschaft von oft radikalen Massenprotesten begleitet, die die Legitimität dieser Veranstaltungen offen zurückwiesen. Die G7 und andere Institutionen des globalen Kapitalismus wie die G20-, IWF- oder WTO-Tagungen galten ihnen nicht als Teil der Lösung der großen Probleme der Menschheit, sondern als Problems selbst.

Daher fanden und finden diese Treffen der Staats- und Regierungschef:innen der mächtigsten Länder der Welt immer wieder in schwer zugänglichen Regionen statt. Die G7 schienen lange ein Auslaufmodell der Weltpolitik zu sein und durch Formate wie die G20 abgelöst zu werden. Noch unter Donald Trump gerieten sie regelmäßig zur peinlichen Zurschaustellung der Uneinigkeit der eigentlich verbündeten westlichen Mächte.

Doch nicht nur die Neubesetzung im Weißen Haus und die Wiederbelebung der Allianz zwischen den USA und Westeuropa haben den G7 neues Leben eingehaucht. Dass Letztere wieder gebraucht werden, bringt vor allem eine grundlegende Veränderung der internationalen Lage zum Ausdruck. Die ökonomische, politische, geostrategische und letztlich auch militärische Konkurrenz zwischen dem von den USA geführten westlichen imperialistischen Lager und den konkurrierenden Mächten China und Russland hat sich in der letzten Krise und unter Corona noch einmal massiv verschärft. Der Krieg um die Ukraine treibt diesen Antagonismus noch einmal auf eine höhere Stufe, auch wenn er nicht direkt zwischen den Hauptkonkurrenten USA und China, sondern in Europa entbrannt ist.

In dieser Situation sollen sich die G7 als Instrument der neuen Einheit des Westens, der NATO und zur Koordinierung der gemeinsamen Interessen gegenüber den globalen Rivalen bewähren. Die reaktionäre Invasion Russlands in der Ukraine dient dabei als Mittel, die politischen, wirtschaftlichen und geostrategischen Ziele der G7 im Licht von Demokratie, Menschenrechten, ja sogar ökologischer und sozialer Sorge um die Weltgemeinschaft erscheinen zu lassen.

Die G7 und ähnliche Institutionen galten jahrelang auch in der Masse der Bevölkerung als zweifelhafte, illegitime Veranstaltungen. Auch wenn sie sich als „Retter:innen der Welt“ inszenierten, so glaubte das kaum jemand. 2022 ist das zumindest ein Stück weit anders. Das Treffen der sieben Länder wird öffentlich und mit mehr Nachdruck als in vergangenen Jahren als wirklich entscheidende Tagung präsentiert. So verkündet Kanzler Scholz: „Wir werden unsere G7-Präsidentschaft nutzen, damit dieser Staatenkreis zum Vorreiter wird. Zum Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt.“

Die alles überragenden Themen in Elmau werden natürlich Krieg, Aufrüstung und Sanktionen sein, die selbstverständlich auch Klima und Gerechtigkeit voranbringen sollen.

Doch während sich die Versprechungen der G7 über Jahre fast schon selbst als leere Phrasen entlarvten, können wir 2022 nicht davon ausgehen. Nicht, dass die Gründe besser argumentiert oder stichhaltiger wären, aber die Tatsache, dass der Krieg um die Ukraine – nicht zuletzt wegen des realen, barbarischen Charakters der russischen Kriegsführung – einigermaßen erfolgreich als Krieg zwischen Demokratie und blutiger Diktatur verkauft werden kann, verleiht dem G7-Gipfel wie auch anderen Institutionen der westlichen Großmächte (z. B. der NATO) eine Legitimität, die sie jahrelang nicht besaßen.

Hinzu kommt, dass der Krieg die strategischen Differenzen und Interessengegensätze zwischen den USA und ihren Verbündeten, insbesondere den führenden EU-Mächten Deutschland und Frankreich, für die nächste Zukunft in den Hintergrund drängt und die US-Führungsrolle massiv gestärkt hat.

Bei Lichte betrachtet, entpuppen sich die G7 freilich als alles anders als ein selbstloser Verein gutwilliger Mächtiger zur Rettung der Menschheit, sondern als Dach, unter dem die sieben mächtigsten westlichen imperialistischen Nationen ihre Interessen koordinieren und ihre gemeinsamen Ziele abstimmen und verfolgen. Das können sie natürlich auch ohne solche Gipfeltreffen, aber das G7-Format bringt dennoch eine Stärke zum Ausdruck, die nicht nur auf symbolischer Ebene besteht. Die westlichen Führungsmächte verfügen über Institutionen und Gremien, die ihren gemeinsamen Willen, ihre Interessen gegenüber ihren Rivalen zum Ausdruck zu bringen, während diese auf vergleichbare Strukturen noch nicht zurückblicken, diese erste entwickeln müssen.

Zur Mobilisierung gegen die G7 und die Weltordnung, die sie verteidigen, gibt es sicher mehr als nur sieben Gründe. Wie wollen hier dennoch sieben der wichtigsten nennen, warum wir gemeinsam zu den Demonstrationen und Aktionen nach München am 25. und nach Garmisch am 26. Juni und danach mobilisieren.

1. Aufrüstung, Militarisierung, Krieg, Interventionen

Nicht erst mit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird die Aufrüstung der westlichen Staaten – so auch der Bundeswehr – zur dringenden Notwendigkeit angesichts eines vorgeblichen russischen Übergewichts erklärt. In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Die G7 gaben lt. SIPRI-Jahrbuch 2021 (SIPRI: Stockholmer Friedensforschungsinstitut) für ihr Militär insgesamt 1094,5 Milliarden US-Dollar aus, gegenüber 65,9 Mrd., die Russland aufbrachte, also mehr als das Fünfzehnfache. Nehmen wir die verbündeten Staaten im Rahmen der NATO oder anderer US-geführter „Verteidigungspakte“ hinzu, so vergrößert sich dieser Abstand.

Zweitens ist der technologische Vorsprung der USA und ihrer Verbündeten gegenüber Russland auf dem Gebiet konventioneller Waffentechnik in den letzten Jahrzehnten größer geworden. Wirklich auf gleicher Ebene kann es mit den USA nur als Nuklearmacht mithalten.

Der ökonomische Vorsprung des Westens und die massiven Aufrüstungsprogramme werden den Wettlauf verschärfen und Russland wird wirtschaftlich nicht in der Lage sein, hier Schritt zu halten. Im Grunde geht es aber auch nicht in erster Linie um Russland, sondern längerfristig um China, das mit 293 Milliarden US-Dollar den zweitgrößten Rüstungshaushalt der Welt stellt (und damit mehr aufwendet als die gesamte EU nach dem Austritt Britanniens).

Auch bei der Anzahl der Auslandsinterventionen erweist sich der Westen als führend. Allein die USA führten seit 1993 152 Auslandseinsätze durch, darunter Kriege mit Hunderttausenden Toten wie in Afghanistan und im Irak. Gefolgt wird die USA darin von Russland und westlichen verbündeten Staaten.

Militärische Interventionen in Nachbarländern (z. B. Türkei, Saudi-Arabien) oder Grenzkonflikte zwischen Staaten sind durchaus stetiger Bestandteil der Weltpolitik. Aber Auslandsinterventionen fernab der unmittelbaren Grenzen und Verfolgung globaler ökonomischer und geostrategischer Interessen bilden ein Kennzeichen der führenden imperialistischen Nationen, die faktisch ein Monopol darauf beanspruchen und sich auch als oberste Gewalt darüber aufzuspielen versuchen, welche Interventionen legitim sind und welche nicht. Während russische Interventionen der G7-Auffassung zufolge den Weltfrieden in Gefahr bringen, sichern ihn umgehrt die „humanitären“ Interventionen westlicher Mächte in ehemaligen Kolonialgebieten, ob in Mali, Afghanistan oder sonst wo.

In Wirklichkeit handelt es sich bei all dem Gelaber nur um ideologische Begleitmusik, um Rechtfertigungen für die eigentlichen, imperialistischen Ziele der G7-Staaten.

2. Plünderung des globalen Südens

Fast noch verlogener als die Kriegs- und Aufrüstungsanstrengungen stellen sich die zynischen Verlautbarungen bezüglich der Armutsbekämpfung in den Ländern der sog. Dritten Welt dar. Einmal mehr schwört die deutsche Präsidentschaft der G7, sich für ein „soziales und gerechtes globales Wirtschaftssystem“ starkzumachen.

Dazu sollen ausgerechnet jene Strukturen der Weltwirtschaft beitragen, die seit Jahr und Tag die ökonomische Vorherrschaft der führenden imperialistischen Nationen und die Dominanz des westlichen Finanzkapitals über ganze Länder sichern. Die neoliberale Öffnung ganzer Märkte der letzten Jahrzehnte hat die Plünderung der Rohstoffe, die Ausbeutung der vergleichsweise billigen Arbeitskräfte, die Umstrukturierung der Landwirtschaft durch das westliche Agrobusiness massiv verstärkt – bis hin zur Verwüstung ganzer Regionen, der Ausbreitung von Armut, Vertreibung von Bauern/Bäuerinnen und Indigenen von ihrem Land. Zweifellos haben die westlichen Mächte, wie die Politik des chinesischen Imperialismus zeigt, kein Alleinstellungsmerkmal, wenn es um die Verfolgung der eigenen Profitinteressen geht.

Für die G7 geht geht es freilich unter Schlagwörtern wie „gerechte Ordnung“ vor allem um ihre Ordnung, um die Kontrolle der globalen Finanzmärkte und -ströme durch das große Kapital. Die Verschuldung der Staaten des globalen Südens sowie die zahlreichen, von den G7 dominierten Institutionen der Weltwirtschaft (z. B. IWF, WTO) bilden dabei zentrale Hebel, um die imperialistische Ausplünderung durchzusetzen.

Die Entrechtung und Verelendung der Arbeiter:innenklasse, Bauern und Bäuerinnen sowie die Sicherung dieser durch reaktionäre, oft diktatorische Regime, Paramilitärs und rechte Bewegungen bilden faktisch Instrumente zur Durchsetzung dieser Politik.

3. Klimakatastrophe und Umweltzerstörung

Die G7 bilden den Kern der Umweltzerstörer:innen des Globus. In diesen Ländern sind historisch die größten Emittent:innen nicht nur von CO2 konzentriert. Trotz gegenteiliger Beschwörungen fußt der reale, von den G7 verteidigte und forcierte globale Kapitalismus auf der Ausbeutung von Mensch und Natur.

Ein Ausstieg aus den fossilien Energien ist in Wirklichkeit nicht in Sicht. Als Ersatz für russisches Gas und Öl soll „ohne Tabus“ über alternative Importe aus den Golfstaaten oder den USA nachgedacht werden. Selbst dort, wo unter dem Deckmantel des Green Deal die ökologische Erneuerung beschworen wird, handelt es sich im Grunde um ein Projekt zur Erneuerung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Da der Zweck der kapitalistischen Produktion auch dann weiter die Profitmaximierung bleibt, ist eine Abkehr von extraktivistischen Methoden und expansivem Wachstum nicht nur nicht zu erwarten, sondern auch strukturell unmöglich.

Die G7 wollen den Kapitalismus natürlich nicht abschaffen, sondern effektiver und profitabler gestalten.

Das trifft vor allem die Länder der sog. Dritten Welt, deren Rohstoffe weiter ausgeplündert und angeeignet werden und denen die Mittel fehlen, auch nur einigermaßen den Auswirkungen des Klimawandels, des Artensterbens, von Dürren, Verwüstung und generell von Exremwettern entgegenzuwirken.

Im Gegenteil, die Umweltpolitik der G7 ist Umweltimperialismus. Während sie in den westlichen Staaten noch eine gewisse grüne Tünche erhalten mag, so basiert sie wesentlich darauf, die Kosten der ökologischen Krise den Ländern des globalen Südens und den Lohnabhängigen aufzuhalsen.

4. Globale Gesundheits- und Versorgungskrise

Die Pandemie verdeutlichte einmal mehr den mörderischen Charakter der Profitmacherei. Um globale Produktionsketten aufrechtzuerhalten, wurde billigend der Tod von Hunderttausenden, ja Millionen weltweit in Kauf genommen.

In den G7-Staaten war es noch möglich, die Lasten dieser Krise für die Arbeiter:innenklasse ein Stück weit über Kurzarbeiter:innengeld, Lohnfortzahlung und andere staatliche Maßnahmen abzufedern. In den Ländern des globalen Südens wurden Millionen vor die Alternative Corona oder Hunger gestellt.

Die Ressourcen zur Bekämpfung der Pandemie wurden auf die reichen, westlichen Länder konzentriert. Besonders deutlich und zynisch zeigte sich das, als wirksame Impfstoffe entwickelt wurden. Während eine Mehrheit der Bevölkerung der G7-Staaten zumindest teilweise immunisiert wurde, wartet sie in Afrika noch immer auf die erste Impfung.

Bis heute weigern sich Regierungen der G7-Staaten, darunter die deutsche, die Patente oder Gelder für den Aufbau von Produktion und medizinischer Versorgung freizugeben.

Dabei muss die wachsende Gefahr von Pandemien selbst im Kontext der Ausplünderung der Natur und vor allem der kapitalistischen Landwirtschaft begriffen werden. Dass Millionen und Abermillionen ohne Gesundheitsschutz dastehen, ist selbst eine Folge jahrzehntelanger Kürzungen, von Privatisierungen und einer generellen Zerstörung kollektiver Gesundheits- und Altersvorsorge. Die „Erfolge“ des Kapitalismus der letzten Jahrzehnte basieren nicht zuletzt auch auf der Plünderung und Zerstörung öffentlicher Vorsorge und Infrastruktur durch den Markt, der es den G7 zufolge richten soll.

5. Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse

Die gerechte Welt, die die G7 auf ihre Fahnen schreiben, basiert auf der verstärkten Ausbeutung der globalen Arbeiter:innenklasse.

Weltweit betrachtet, ist sie in den letzten Jahrzehnten massiv angewachsen, vor allem in Ländern wie China, Indien und vielen anderen Ökonomien Asiens. Zugleich wurde die Klasse auch weitaus heterogener, eine Entwicklung, die selbst durch neoliberale Angriffe der letzten Jahrzehnte vertieft wurde.

Die Arbeitsproduktivität stieg in vielen Ländern massiv. Eigentlich könnten weltweit in weniger Zeit genügend Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs produziert werden, um allen ein sicheres Leben ohne Hunger und Existenzangst zu gewährleisten. Diese Ressourcen könnten eigentlich zum ökologischen Umbau und zur Ausweitung sinnvoller gesellschaftlicher Arbeiten (Gesundheitswesen, Altersversorgung, Bildung, Vergesellschaftung der Hausarbeit, öffentlicher Verkehr, Wohnungsbau, Sanierung von Umweltschäden) verwendet werden.

Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Schließlich wird im Kapitalismus nicht für die Bedürfnisse der Menschen, sondern für die Vermehrung des Profits produziert. Die Ausdehnung von prekären Arbeitsverhältnissen, Intensivierung der Arbeit, Sozialkürzungen und Überausbeutung gerade der Arbeiter:innenklasse des globalen Südens sind hier nur folgerichtig. Über Jahre versuchte man, dem Fall der Profitraten durch eine Steigerung der Ausbeutungsrate, also durch Lohnverluste sowie Senkung der Konsumgüterpreise entgegenzuwirken. Zur Zeit werden die Löhne weiter gedrückt, doch zugleich sind die Lohnabhängigen weltweit mit massiven Preissteigerungen infolge der Inflation und mit dem kompletten Verfall ihrer Kaufkraft in vielen halbkolonialen Ländern konfrontiert.

Die Antwort der G7: einige kosmetische Maßnahmen in den reichen Ländern bei massivem Reallohnverlust; drastische Verarmung, Entwertung ganzer Währungen im globalen Süden. G7 und andere neoliberale Institutionen sollen die Nationalökonomien retten – auf Kosten der Massen durch Lohnstopps, Privatisierungen, Kürzungen.

6. Spaltung der Massen durch Rassismus, Nationalismus, Sexismus

Damit nicht genug. Trotz aller Beteuerung von Gleichheit, Humanismus, universellen Menschenrechten fördert die Politik der G7 in Wirklichkeit Ungleichheit und Spaltung der Arbeiter:innenklasse und aller Unterdrückten durch Rassismus, Nationalismus, geschlechtliche Unterdrückung – um nur einige zentrale Unterdrückungsmechanismen zu nennen.

Dabei geben sich die federführenden Regierungen nicht mit der quasi automatischen Vertiefung sozialer Ungleichheit infolge von Lohnkürzungen und Einschränkungen von Sozialleistungen zufrieden. Die Spaltung wird vielmehr aktiv vorangetrieben.

Rassistische, rechtspopulistische und andere reaktionäre bis hin zu faschistischen Bewegungen finden wir in allen G7-Staaten. Während sich die meisten Regierungen offiziell dagegenstellen, erfüllen sie in Wirklichkeit viele der Forderungen der Rechten.

Deutlich wird das bei den Grenzregimen der G7-Staaten – sei es beim rassistischen Grenzzaun der USA oder beim mörderischen Regime der Festung Europa.

Nicht minder deutlich wird dies im Inneren – der Rassismus gegen Schwarze, People of Color, Migrant:innen aus dem globalen Süden, Muslime:innen gehört zur Struktur der „großen Demokratien“, sei es in den USA, Frankreich oder Deutschland.

Während sich die G7 gern als Verteidiger:innen von Frauen und sexuell Unterdrückten aufspielen, kann von einer wirklichen Gleichheit der Geschlechter keine Rede sein. Im Gegenteil, Gewalt gegen Frauen und LGBTIAQ-Menschen gehört zum Alltag in diesen Ländern. Errungene, selbst noch unzugängliche Rechte stehen auf der Kippe, wie der Angriff auf das Abtreibungsrecht in den USA zeigt.

Hinzu kommt, dass in einer Periode der Krise und angesichts des härter werdenden Kampf um die Neuaufteilung der Welt Rassismus und Nationalismus nicht nur im ökonomischen Kampf spalten, sie dienen auch zur Mobilisierung der „eigenen“ Nation unter Führung der herrschenden Klasse. Nationalismus und Rassismus dienen, zumal in ihrem „demokratischen“ Gewand, als Mittel zur Rechtfertigung von Auslandsinterventionen, Aufrüstung, Überwachung, Abbau demokratischer Rechte und Krieg.

7. G7 als imperiale Ordnungsmächte

Die G7 sind nicht einfach eine Gruppe von Ländern, die gemeinsame Absprachen treffen, mal schlechte, mal weniger schlechte Ziele verfolgen. Sie bilden den Kern jener Staaten, die die imperialistische Weltordnung seit dem Zweiten Weltkrieg beherrschten und auch gegen aufstrebende Konkurrenz weiter dominieren wollen.

Sie und die ihnen angelagerten westlichen Staaten vereinigen bis heute den größten Teil des Kapitalstocks der Welt, also der Anlagevermögen. Sie kontrollieren mit US-Dollar und Euro ihre zentralen Reservewährungen. Gerade auf dem Finanzsektor verfügt das US-amerikanische Kapital noch über eine Dominanz, die ihresgleichen sucht.

Nur wenige andere Länder, also nur die globalen Rivalen wie China und Russland oder besonders starke Halbkolonien wie Indien konnten auch Großkapitale bilden, die mit den großen Konzernen aus den USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Britannien, Italien und Kanada mithalten können. Aber gerade der Aufstieg Chinas drückt sich selbst hier in einer beachtlichen Verschiebung aus.

Für die G7 ist ihre Vormachtstellung in Gefahr. Die internationale Isolierung Russlands und die inneren Widersprüche Chinas bilden aktuell eine günstige Situation, die Durchsetzung der eigenen Interessen voranzutreiben.

Umso mehr ist dies der Fall, als die barbarische Kriegsführung Russlands dem Westen insofern in die Hände spielt, als die eigene imperialistische Politik als Form „demokratischer“ Selbstverteidigung im Interesse der gesamten Menschheit verkauft werden kann und verkauft wird. Wir müssten uns, so US-Präsident Biden im März in Polen, auf einen langen Kampf um Demokratie und Freiheit einstellen. Die G7 würden das Lager der Freiheit gegen den russischen und chinesischen Despotismus verkörpern.

Auf einen langen, harten Kampf müssen wir uns allerdings einstellen – gegen die G7 wie auch gegen alle anderen imperialistischen Mächte und die globale kapitalistische Ordnung, die sie vertreten.

Die G7 und ein ganzes Geflecht von Institutionen, die die USA, EU-Mächte und ihre Verbündeten über Jahrzehnte entwickelt haben, bilden dabei eine Allianz, die im Kampf um die Neuaufteilung der Welt den Globus in ihrem Sinne organisieren will – sowohl gegen ihre imperialistischen Rivalen wie China und Russland als auch gegen die Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten weltweit.

So wie die Beherrscher:innen der Welt ihre internationalen Institutionen schaffen, müssen wir ihnen unsere, wirklich globalen Strukturen entgegensetzen – eine Internationale des Widerstandes und des Klassenkampfes für eine sozialistische Gesellschaftsordnung.




Das Comeback der G7 und die Krise der Globalisierung

Martin Suchanek, Neue Internationale 265, Juni 2022

Bis vor wenigen Jahren erschien das G7-Format als Auslaufmodell der imperialistischen Ordnung. Die Veränderungen der Weltwirtschaft im Zuge der Globalisierung nährten jahrelang die Vorstellung einer neuen „partnerschaftlichen“ und „freien“ Weltordnung. Russland wurde zeitweilig als Partner in die erlauchte Runde der führenden westlichen imperialistischen Nationen aufgenommen (G8). Die stetige, scheinbar unaufhaltsame Ausdehnung des Weltmarktes, die Etablierung internationaler Wertschöpfungsketten sowie der wachsende Anteil der neuen Großmacht China, aber auch Indiens und anderer sogennanter Schwellenländer an der globalen Produktion schienen eine neue Ära anzukündigen. Diese neue Ordnung schien die Nationalstaaten immer mehr in den Hintergrund zu drängen – und damit auch den Antagonismus zwischen den imperialistischen Großmächten.

Die Ideolog:innen der kapitalistischen Globalisierung versprachen eine Welt, in die freie Marktwirtschaft Wachstum, (bescheidenen) Wohlstand für alle, Gleichheit und Demokratie tragen würde.

In der globalisierungskritischen und antikapitalistischen Bewegung stießen diese wohlfeilen Versprechungen von Beginn an auf Widerspruch und Widerstand – oft auch in Form massenhafter und militanter Mobilisierungen gegen Gipfeltreffen der G7/8, der G20, von IWF und WTO. Zugleich übernahmen jedoch große Teile dieser Bewegung einige Illusionen der Globalisierungserzählung.

Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Großmächten sei mehr und mehr in den Hintergrund getreten, da der „neue“ Kapitalismus, der nach 1990 Gestalt angenommen hätte, nicht mehr durch nationale Großkapitale der imperialistischen Mächte, sondern von einem neuen, transnationalen Finanzkapital dominiert würde. Die Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Mächten wäre daher nur noch ein Randphänomen, Kriege zwischen den imperialistischen Staaten gehörten im Grunde der Vergangenheit an. Manche verkündeten gar das Ende des Imperialismus, andere vertraten faktisch eine Theorie des Ultraimperialismus, bei dem eine mehr oder minder geeinte Welt des Finanzkapitalismus den Massen und Ländern des globalen Südens gegenüberstehen würde.

Die List der Geschichte erwies sich hier einmal mehr als wirksamer als vorschnelle Kurzschlüsse. Auch wenn diese falschen Theorien scheinbar durch die Entwicklung des Welthandels, die massive Ausdehnung der Finanzinstitutionen und die Kooperation der führenden Nationen unter Einschluss von Mächten wie China und Russland bei einer mehr oder minder partnerschaftlichen Ausplünderung der Welt gerechtfertigt schienen, so saßen sie letztlich Oberflächenphänomenen auf.

Die Entwicklungsdynamik der Weltwirtschaft selbst trieb die „Globalisierung“ an ihre Grenzen. Sie war selbst Resultat einer veränderten Weltordnung – des Sieges der USA und ihrer Verbündeten im Kalten Krieg und der Restauration des Kapitalismus in China, Russland und Osteuropa, aber auch eine Antwort auf die inneren Krisentendenzen des Kapitalismus – den Fall der Profitraten in den Weltzentren und eine strukturelle Überakkumulation des Kapitalismus. Die Expansion des Weltmarktes, die Verlagerung der Produktion in Länder mit geringeren Lohnkosten und Umweltstandards, die „Flucht“ in Finanzmärkte und der Aufbau spekulativer Blasen, die Zerschlagung von Rechten der organisierten Arbeiter:innenklasse und damit einhergehende Erhöhung der Ausbeutungsrate bildeten allesamt Faktoren, die zeitweilig die Profitabilität des Kapitals erhöhten.

Doch sie konnten seine inneren Widersprüche nicht beseitigen. Die Finanzkrise 2008 und die folgende Rezession markieren den Beginn einer Krise der Globalisierungsperiode selbst, die von einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den imperialistischen Mächten geprägt war und ist. Die globale Rezession 2020 und die Corona-Pandemie vertieften diese Tendenz noch einmal massiv und signalisieren ihr Ende.

Der Aufstieg Chinas schien lange die Internationalisierung der globalen Produktion und Wertschöpfungsketten nur in eine Richtung vorangetrieben zu haben. Der Aufstieg zur zweitgrößten imperialistischen Macht und zum zentralen Herausforderer des niedergehenden Hegemons USA spiegelt diese Veränderungen der Weltwirtschaft wider. Zugleich trug die Expansion des chinesischen Kapitals auch wesentlich dazu bei, die Bedingungen zu schaffen, auf denen die Konkurrenz selbst nicht mehr die Ausdehnung des Weltmarktes beförderte, sondern dessen Krise und Kontraktion. Anstelle der „Partner:innenschaft“ trat die Formierung konkurrierender Blöcke.

Auch Russland schien für einige Zeit, ein wichtiger, strategischer Partner vor allem für den deutschen und französischen Imperialismus zu werden. Kohl und Mitterrand, vor allem Schröder und Chirac setzten mehr oder weniger offen auf eine Achse Berlin-Paris-Moskau als globales Gegengewicht zu den USA – eine Achse, die natürlich von den beiden westlichen Mächten dominiert werden sollte. Heute erscheint das als Projekt einer weit entfernten Vergangenheit. In Wirklichkeit wurden diese Ziele erst 2013/14 nach dem Maidan und schließlich mit dem Krieg um die Ukraine begraben.

Aus den G8 wurden die G7 – aus einem angeblichen Auslaufmodell ein Instrument zur Koordinierung und Zusammenführung der gemeinsamen Interessen der wichtigsten, westlichen imperialistischen Mächte.




G7-Gipfel 2022: Spaltung statt Mobilisierung?

Veronika Schulz, Neue Internationale 263, April 2022

Turnusgemäß findet vom 26. – 28. 6. 2022 wieder ein G7-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft statt. Tagungsort ist wie bereits vor 7 Jahren das Luxushotel auf Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen. Die Klimapolitik, Weltwirtschaft und der weitere Umgang mit der Corona-Pandemie sollten eigentlich im Zentrum des diesjährigen Treffens der Staatschefs der führenden westlichen Industrienationen stehen. Der Kampf um die Ukraine wird es jedoch prägen. Mehr denn je wird der Charakter der G7 als Allianz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt in den Vordergrund drängen. Schien es noch vor einigen Jahren, als wäre das Format nicht mehr „zeitgemäß“, so gewinnt der Gipfel wieder an Bedeutung – und zwar als mehr oder weniger unverhohlenes Treffen einer Mächtegruppe, die sicherstellen will, dass sie auch die zukünftige Weltordnung bestimmt.

Die sieben Staaten stehen allesamt ganz weit oben auf der Liste der größten Klimakiller, engstirnigsten Vertreter des Impfstoffnationalismus und größten Militärmächte der Welt – um nur einige Eckdaten der Leistungen dieser illustren Runde aufzuzählen. Und ausgerechnet sie präsentiert sich als „Retterin“ des Klimas, der Gesundheit, der Weltwirtschaft, von „Freiheit“ und „Demokratie“.

Umso wichtiger ist deshalb auch die Gegenmobilisierung durch alle linken und progressiven Kräfte gegen diesen erlesenen Club führender kapitalistischer Nationen, deren Reichtum auf der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse und der halbkolonialen Welt beruht.

Wer mobilisiert wogegen?

Bisher haben sich mehrere Dutzend Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen aus dem ökologischen, kommunistischen, kapitalismuskritischen, antirassistischen und antimilitaristischen Spektrum zu einer Plattform zusammengefunden, die das Treffen der G7 nicht ungestört über die Bühne gehen lassen will. Neben Parteien wie DKP und DIE LINKE sind bisher u. a. auch mehrere lokale FFF- und XR-Gruppen, bundesweite Organisationen wie SDAJ, Linksjugend [’solid], SAV, ISO, Arbeiter:innenmacht, Revolution, Aktivist:innen aus der Mieter:innenbewegung, Perspektive Kommunismus, der Funke und das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus beteiligt.

Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gegenmobilisierung, anders als vor sieben Jahren oder auch gegen den G-20-Gipfel in Hamburg, letztlich von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) faktisch dominiert wird, darunter Greenpeace, BUND, Campact, WWF, Oxfam, Naturfreunde, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und attac.

Rolle der NGOs

Schon zu Beginn hat sich in den Gesprächen ihr Alleingang angedeutet. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass sie ihren Status als gemeinnützige Organisationen riskieren, sollten sie gemeinsam mit Parteien und „Linksradikalen“ zu Aktionen aufrufen. Ein weiterer Streitpunkt ergab sich in der Frage der Gewalt bzw. einer klaren Distanzierung der NGOs von Gruppen, die militante Protestformen nicht bereits im Vorfeld ausschließen.

Über mehrere Wochen kam Gegenmobilisierung daher nicht voran, bis am 6. März die Karten auf den Tisch gelegt wurden. Von den NGOs wurden alle übrigen Gruppen davon in Kenntnis gesetzt, dass die anvisierte Großdemonstration am 25. Juni in München, also die sicherlich größte Aktion, von ihnen selbst geplant wird. Der Rest könne sich jedoch gerne einem Aufruf anschließen.

Man sei sich dessen bewusst, so die Vertreterin von Greenpeace und Sprecherin der an der Plattform beteiligten NGOs, dass man an dieser Stelle undemokratisch agiere, es bleibe ihnen aber aus genannten Gründen keine andere Wahl. Die Demonstration wird nun von einem Trägerkreis allein aus NGOs organisiert und „verantwortet“. Ergänzt soll dieser durch einen „Unterstützerkreis“ werden, der Einzelpersonen verschiedener Milieus einbindet – natürlich nur nach einem vorhergehenden Check durch die NGOs.

Ihr provokatorisches und putschistisches Vorgehen führt nun erneut – wie bereits im Vorfeld des G20-Gipfels 2017 in Hamburg – zu einer Schwächung sowohl der Proteste als auch der Mobilisierung. Doch damals war es ihnen nicht möglich, das Bündnis zu übernehmen. Diesmal konnten sie die Großdemonstration kapern.

Wir verurteilen dieses undemokratische Vorgehen und die bewusst herbeigeführte Spaltung aufs Schärfste, nimmt es doch allen weiteren Beteiligten die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die politische Gestaltung der zentralen Großdemonstration in München zu nehmen.

Das Manöver der NGOs, selbst ein direkter Kotau vor Regierung und reaktionärer Gesetzgebung, hat freilich weitgehendere politische Gründe. Während die linken Kräfte die Legitmität der G7 selbst zurückweisen und deren Gipfel als Treffen einer imperialistischen Allianz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt begreifen, betrachten erstere die G7 ganz wie die Bundesregierung als (mögliche) Partnerinnen bei der Verbesserung der Welt. Die Kontrolle von Demo, Aufruf und politischer Ausrichtung soll also nicht nur die zukünftigen Spendenkassen von Greenpeace und Co. schützen, sondern vor allem auch all jene Kräfte marginalisieren, die die G7 und kapitalistische Weltordnung grundsätzlich ablehnen!

Aus diesem Grund müssen die Erwartungen an eine schlagkräftige Protestbewegung schon jetzt relativiert werden. Die NGOs bringen zweifelsohne Geld und weitere Ressourcen auf, behalten sich aber das Recht vor, die Demo nach ihren Wünschen auszurichten. Alle anderen Gruppen und Organisationen sind gewissermaßen die nützlichen Idiotinnen, die die wirkliche Mobilisierungsarbeit übernehmen. Zusammengefasst dürfen sie also die Hauptlast tragen, während die NGOs ihre finanziellen und personellen Ressourcen aufbieten und die Hoheit über die politische Ausrichtung der Demonstration ausüben.

Eigenständige Mobilisierung

Ein schlagkräftiges „Bündnis“ sieht anders aus. Trotz Dominanz der NGOs wäre es jedoch ein Fehler, die Demonstration am 25. Juni in München rechts liegenzulassen. Trotz ihrer mutmaßlich politisch kleinbürgerlichen bis reformistischen Ausrichtung werden wahrscheinlich Zehntausende nach München kommen. Diese müssen wir als Revolutionär:innen, Antikapitalist:innen, antiimperialistischen und Klassenkämpfer:innen zu erreichen versuchen. Daher werden wir auf jeden Fall mit einem eigenen Aufruf, eigenen Parolen, eigenem Material dafür mobilisieren. Wir werden uns auch der geplanten Gegendemonstration am 26. Juni in Garmisch-Partenkirchen anschließen und hoffen, dass das geplante Protestcamp und Workshops zur Diskussion und Aktionsplanung stattfinden können.

Angesichts der aktuellen krisenhaften Zuspitzung der Weltordnung und Weltwirtschaft müssen wir die Gegenmobilisierung nutzen, um eine Bewegung gegen Krise, Militarisierung und Krieg aufzubauen. Wir brauchen eine massenhafte Mobilisierung in den Betrieben, Schulen, Vereinen, an den Universitäten und in den Kulturstätten – unsere Organisierung muss jetzt beginnen!