TVöD: der 8. März als Streiktag?

Anne Moll/Resa Ludivien, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 11, März 2023

Abgesehen von Berlin ist in keinem anderen Bundesland der Frauenkampftag ein Feiertag. Und zu feiern gibt’s auch nicht viel, schaut man sich die derzeitige TVöD-Runde an. Ein prädestinierter Streiktag also?

Was aus Clara Zetkins Frauentag wurde

Historisch gesehen ging es beim Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen zuerst um das Wahlrecht, um das gleiche Recht, sich zu organisieren und Gewerkschafts- wie Parteimitglied zu werden, um Zugang zur Universität, Gesundheitsschutz der arbeitenden Frauen und um das Recht, über den eigenen Körper zu bestimmen. Doch der Versuch seiner Vereinnahmung und Entpolitisierung ist auch nichts Neues. Immer wieder wird deutlich, dass die bürgerlichen Frauen, aber auch die Gewerkschaftsführung andere Forderungen im Sinn haben als Frauen aus der Arbeiter:innenklasse.

So versuchten 1994 Frauen in Stuttgart, den DGB von einem Frauenstreiktag zu überzeugen, bei dem auf die ungleiche Bezahlung und Doppelbelastung aufmerksam gemacht werden sollte. Trotz der Versuche des Vorstandes, die Aktionen als „Streittag“ zu verharmlosen, kam es zur Besetzung einer Kreuzung sowie zum Teil einer Teilnahme während der Arbeitszeit, sprich zu einem Streik. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, wie viel Mitverantwortung die Entschlossenheit der Basis trägt. Auch 29 Jahre später hat sich an der Situation von Frauen nur wenig geändert.

TVöD-Runde Bund und Kommunen: Wer streikt und was ist bis jetzt passiert?

Der 8. März 2023 fällt in Deutschland in eine spannende Zeit: Tarifauseinandersetzungen bei öffentlichen Betrieben, der Post, kommunalen Busunternehmen, im öffentlichen Dienst (TVöD-Runde), Streiks bei den Lehrer:innen in Berlin sind einige Beispiele dafür. Wir leben in Zeiten der Inflation. Sollten die geforderten 10,5 % durchgesetzt werden können, dann würden sie die aktuelle Preissteigerung wenigstens ausgleichen. Mindestens 500 Euro würden, vor allem für die Niedriglohngruppen, tatsächlich eine große Änderung bewirken und eine wichtige Signalwirkung ausstrahlen.

Das betrifft 1,6 Millionen Menschen, die nach TVöD bezahlt werden, d. h. diejenigen, die im öffentlichen Dienst bei Bund und Gemeinden tätig sind. Das sind beispielsweise Arbeiter:innen in kommunalen Kitas, in Altenpflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern. Es gab viel Applaus, dass sie während der Pandemie weitergearbeitet haben, viele schöne Worte von Politiker:innen, dass sich die Arbeitssituation für Pflege- und Erziehungsberufe verbessern muss. Passiert ist bisher wenig. Gleichzeitig existiert ein Vorbild, wie erfolgreiche Streiks aussehen können: 2021 und 2022 erkämpfte die nordrhein-westfälische Krankenhausbewegung in wochenlangen Streiks den Tarifvertrag Entlastung.

Federführend für die derzeitige Verhandlungsrunde innerhalb des DGB ist ver.di. Die Mobilisierung läuft bereits seit letztem Jahr in Form von Mitgliederversammlungen und Vorbereitungen in den Betrieben. In Gewerkschaftskreisen hatte man zeitweise den 8. März ins Auge gefasst, um zu streiken. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass es sich um Bereiche handelt, in denen sehr viele Frauen arbeiten. Neben einer dauerhaften Überlastung und Unterfinanzierung dieser Sektoren sind Frauen und Migrant:innen strukturell schlechter bezahlt oder gar ohne Tarifverträge outgesourct – in Zeiten der Inflation ein tägliches Spiel mit dem Feuer.

Schaut man sich die Bereiche, zu denen auch Reinigung oder Behörden zählen, nochmal genauer an, so verwundert es nicht, dass zu den ursprünglichen Forderungen der Beschäftigten auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gehörte. Dazu zählen „utopische“ Wünsche wie Arbeitszeitverkürzung oder mehr Urlaub bei Dauerschichtdienst. Doch das war den Gewerkschaften zu heiß. Der 8. März als Streiktag ist auch weg vom Fenster und man konnte sich im Oktober lediglich auf einen versöhnlichen Forderungskatalog einigen, welcher sich lediglich auf die Löhne bezieht. Ebenso offensichtlich ist die gezielte Schwächung des Streikes durch eine Teilmobilisierung. Warum alle zusammen mobilisieren, wenn man auch nur einzelne Sektoren wie die BSR (Stadtreinigung) in Berlin aufrufen kann? Und das mit dem Wissen, dass die Kolleg:innen am Limit sind, alles immer teurer wird, sodass sogar Butter, geschweige denn Gas- oder Mietpreise ein Luxusprodukt darstellen. Und das, nachdem nach Corona vor allem im Krankenhaus viele mit dem Gedanken spielen, ganz auszusteigen, und die Arbeit„geber“:innenseite auch diese niedlichen Forderungen noch herunterhandeln wird. Das ist Politik gegen die Arbeiter:innenklasse!

Frage dich mal, was deine Gewerkschaft für dich tun kann

Am 24.01.2023 fand die erste Verhandlungsrunde zum TVöD statt. Eine der Teilnehmer:innen aufseiten der Arbeit„geber“:innen war Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese hat wieder einmal gezeigt, dass diese sich zwar auf ihre „guten alten Zeiten“ als Arbeiter:innenpartei stützt, aber keineswegs Politik für die Arbeiter:innenklasse betreibt. Ergebnis: nächste Runde, denn es gab nichts zu „verhandeln“. Dafür hätten die Gemeinden und Kommunen ein Angebot unterbreiten müssen. Besonders interessant ist, dass die minimalen Forderungen der Gewerkschaften zu hoch und unrealistisch angesichts leerer Kassen ausfallen sollen. Doch wo bleiben dann Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz, sodass endlich mal die Reichen für die Krise bezahlen?

Diese Argumentation hat nicht nur etwas mit der aktuellen Situation zu tun: Sie hat System. Es gibt nur eine Möglichkeit, diesem zu entrinnen, nämlich, indem die Warn- in unbefristete Erzwingungsstreiks überführt werden. Daneben müssen Demonstrationen organisiert und Solidaritätsbündnisse geschlossen werden. Unsere Aufgabe als klassenkämpferische Gewerkschafter:innen und Revolutionär:innen liegt darin, dies voranzutreiben, Druck auf die Gewerkschaftsführung auszuüben, die Kämpfe zusammenzuführen und unter Kontrolle demokratisch gewählter, den Mitgliedern verantwortlicher Streikkomitees zu stellen.

Frauenkampftag, Streiktag – gemeinsam auf die Straße!

Es wird knapp in der Kasse. Schon allein, wenn wir nach dem Einkauf in unser Portemonnaie sehen. Die nächste Gasrechnung bereitet uns schlaflose Nächte. Wir sind es leid, dass alle die Krisen von Corona über Klima- und Energiekrise auf unseren Rücken ausgetragen werden! Lasst uns unseren Anteil zur Tilgung der Kosten und Ermöglichung eines anständigen Lebens erstreiken! Der Internationale Frauentag ist dafür wie geschaffen und ursprünglich als Kampftag gedacht. Diese Bedeutung müssen wir ihm zurückgeben. Bremen geht hier mit gutem Beispiel voran: Hier ist der Streik durch die ver.di-Mitglieder beschlossene Sache.

Dass er in Berlin zu einem Feiertag geriet, kann nur unter Berücksichtigung der wenigen Feiertage dort allgemein positiv bewertet werden. Es trägt parallel zur Entpolitisierung des Tages bei und das ist gewollt. Man mag es als Form der Transformation sehen, wenn sich die Regierenden eine zunächst kämpferische Thematik zu eigen machen und nach ihrem Gusto interpretieren. Dass es gerade von einer rot-rot-grünen Politik befürwortet wird, zeigt die tief verwurzelte Sozialpartnerschaft, die kein Interesse aufkommen lässt, tatsächlich an diesem Tag die Belange von Frauen wie schlechte Bezahlung, Sexismus am Arbeitsplatz oder geringere Aufstiegschancen zu thematisieren. Der Frauenkampftag ist kein Feiertag, kein Streittag, sondern Streiktag!

Es ist daher Aufgabe der Basis, die Gewerkschaftsführungen daran zu erinnern, wessen Interessen sie ursprünglich vertreten sollten, und dies zu erzwingen. Doch ein Streiktag reicht nicht. Die nordrhein-westfälische Krankenhausbewegung hat es vorgemacht. Es darf nicht nur um Geld, sondern muss auch um Entlastung und bessere Arbeitsbedingungen gehen. Dafür brauchen wir Streikkomitees in allen Betrieben.

  • Hinaus zum Frauenkampftag! Frauenkampftag ist Frauenstreiktag!

  • Regelmäßige Vollversammlungen, Wahl und Abwählbarkeit der Streikkomitees!

  • Volle Kampfkraft für 10,5 % jetzt und mindestens 500 Euro für alle!

  • Früheren Renteneintritt ermöglichen, Altersteilzeitregelung verlängern! Mehr Urlaub bei Dauerschichtdienst!

  • Für eine Arbeitszeitverkürzung mit paralleler Einstellungsoffensive unter Kontrolle der Beschäftigten!

  • Finanzierung der Maßnahmen durch massive Besteuerung der Unternehmensgewinne und Vermögen!



Spanien – Vorreiter im Abtreibungs- und Sexualstrafrecht?

Leonie Schmidt, Neue Internationale 266, Juli/August 2022

Die seit 2020 amtierende neoreformistische Regierung im spanischen Staat, bestehend aus sozialdemokratischer PSOE und linkspopulistischer Podemos, hat in diesem Jahr einige Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die verschiedenste Bereiche der geschlechtsspezifischen Unterdrückung betreffen und künftig für mehr reproduktive Rechte und härtere Strafen bei geschlechtsspezifischer Gewalt führen sollen.

Spanien scheint von außen oft eher konservativ und wird auch zuweilen als Macho-Land abgetan, zumal die katholische Kirche gesellschaftlich auch noch sehr präsent ist. In Sachen Antisexismus gibt es jedoch schon seit einiger Zeit ein Umdenken in den Parlamenten. Doch die fortschrittlichen Gesetze kommen nicht von irgendwo her, sie wurden erkämpft.

Was ändert sich?

Besonders auffällig ist das gelockerte Abtreibungsgesetz: So dürfen Schwangere schon ab 16 Jahren ohne elterliches Einverständnis abtreiben, Abtreibungen sind bis zur 14. Woche legal und die 3-tägige Bedenkzeit soll ebenso abgeschafft werden. Außerdem müssen öffentliche Krankenhäuser mit gynäkologischer Abteilung über fachkundiges Personal verfügen, welches einen Abort durchführen kann.

Ferner wurde das Sexualstrafrecht verschärft, und zwar gilt nun „Nur Ja heißt Ja“, was eine fortschrittlichere Regelung ist als „Nein heißt Nein“, da nun auch Täter für eine Vergewaltigung verurteilt werden können, deren Betroffene sich nicht wehren oder äußern konnten, sei es aus Schockstarre und Angst oder Bewusstlosigkeit. Dies fiel vorher lediglich unter den Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Konkret heißt es nun im neuen Gesetzesentwurf: Alle Handlungen, die „die sexuelle Freiheit einer anderen Person verletzen“, gelten als Vergewaltigung und können für die Täter bis zu 15 Jahre Gefängnis bedeuten. Konservative kritisieren, dass es nun keine Unterscheidung mehr zwischen Übergriffen und Vergewaltigungen gebe und sehen die Unschuldsvermutung in Gefahr. Auch Catcalling wird nun strafbar insofern, als jegliche Annäherungen in Form eines Flirts von allen Beteiligten gewollt werden müssen und andernfalls als Straftatbestand gelten.

Neben diesen Verschärfungen wurde der sogenannte Periodenurlaub von bis zu 3 Tagen monatlich nun eingeführt. Wenngleich das eine gute Idee ist, ist der Name doch etwas missverständlich, denn in Spanien war es bisher erst möglich, ab 4 Tagen Krankheit eine Lohnfortzahlung vom Unternehmen zu erhalten. Daher wurde hier nur eine Lücke geschlossen. Spanien hat somit als erstes europäisches Land den Periodenurlaub eingeführt. Bisher existieren derartige Regelungen vor allem im asiatischem Raum, bspw. in Taiwan, Südkorea und China. Außerdem soll es nun endlich Verordnungen zur Prostitution in Spanien geben. Diese ist nämlich weder verboten noch legal, was vielen ein Dorn im Auge ist.

Wie kam es dazu?

Wie konnte es nun zu solchen fortschrittlichen Zugeständnissen kommen, während weltweit ein extremes Rollback gegen Frauen und LGBTIA-Personen im vollen Gange ist, insbesondere Abtreibungsrechte reihenweise verschärft werden – siehe Polen und die USA. Hierfür sind mehrere Gründe verantwortlich. Einerseits, wie bereits eingangs erwähnt, wurden die Gesetzesänderungen maßgeblich durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Diese ist ziemlich stark, zu den 8.-März-Protesten gehen landesweit Millionen Menschen auf die Straße. Alleine in Barcelona waren es 2021 über 100.000 Personen.

Die Größe der Bewegung ist insbesondere historisch bedingt, denn während in den späten 1960er und 1970er Jahren in den westlichen Industrieländern der Kampf um Gleichberechtigung und sexuelle Befreiung erstarkte, war in Spanien noch das halbfaschistische Regime Francos an der Macht, in welchem Frauen zu Kinder, Küche, Kirche verbannt waren. Erst 1978 wurde ein Gesetzantrag zur Gleichstellung von Mann und Frau erwirkt, das Recht auf Scheidung gibt es erst seit 1981. Das kollektive Trauma dieser Zeit besteht fort und sorgt auch heute noch für größeres und kämpferischeres Bewusstsein. Bereits in den späten 1990er Jahren konnte ein Gesetz durch Massenproteste ins Rollen gebracht werden.

Diese formierten sich 1997 nach einem Femizid an einer Frau, Ana Orantes, deren Mann sie ermordete, weil sie in einem Fernsehinterview über die 40 Jahre häuslichen Missbrauchs durch ihn an ihr und den gemeinsamen Kindern sprach. Sie hatte sich zuvor sogar an die Polizei gewandt, 15 Anzeigen gestellt. Doch diese wollte ihr nicht helfen, da es keine entsprechenden Gesetze gab, die Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützten. Als die Scheidung nach über 10 Jahren endlich durchkam, musste sie dennoch weiter mit ihm zusammen wohnen.

Die damals konservative Regierung unter der Partido Popular, einer rechtskonservativen Volkspartei, sprach von einem Einzelfall, was nicht unbeantwortet blieb. Unter dem Motto „ Wir sind alle Ana“ gingen damals Tausende auf die Straßen. Im Anschluss wurde 2004 ein erstes Gesetz auf die Beine gestellt, welches weitreichend gegen häusliche Gewalt ankämpfen sollte. Alleine schon die Benennung der geschlechtsspezifischen Gewalt stellte einen großen Schritt nach vorn dar. Außerdem wurden Spezialgerichte für die Verfolgung der Straftaten eingerichtet und Männer, die Frauen Gewalt antun, werden nun durch das Gesetz stärker bestraft als Frauen, die Männern etwas antun, oder Männer, die anderen Männern etwas antun. Seit 2007 wird auch jegliche geschlechtsspezifische Gewalttat statistisch erfasst, was in Deutschland bspw. erst seit 2015 der Fall ist.

Das „Ja heißt Ja“-Gesetz kam vor einem ähnlichen Hintergrund zustande: Nach einer Gruppenvergewaltigung an einer 18-Jährigen durch 5 Männer (welche ihr Opfer zusätzlich filmten) wurden die Täter nur wegen sexueller Belästigung verurteilt, da sie das Opfer nicht schlugen oder bedrohten, und sie sich nicht wehrte. Sie bekamen somit nur 9 Jahre Haft. Jedoch mobilisierten auch 2016 erneut die spanischen Feminist:innen gegen dieses milde Urteil und erzwangen somit dessen Revision. Die Täter wurden nun doch wegen Vergewaltigung verurteilt und sitzen eine 15-jährige Haftstrafe ab. Das neue Gesetz soll auch zukünftig ähnliche Gerichtsurteile ermöglichen und wurde somit de facto durch die Frauenbewegung in Spanien erkämpft. Außerdem wirkte sich positiv aus, dass auch die Gewerkschaften mit der feministischen Bewegung wahrhaft vernetzt sind und es sich bei vielen 8M-Protesten wirklich um Frauenstreiks handelte, welche mit Streikposten einhergingen und nicht wie bspw. in Deutschland einen rein symbolischen Charakter trugen.

Einige Politikerinnen und Ministerinnen der Regierung PSOE/Podemos entstammen ebenfalls einer Tradition feministischer Proteste und haben sich auch deswegen für diese Belange eingesetzt. Generell ist die reformistische Regierung natürlich auch ein Grund für die Durchsetzung. In Krisenzeiten gibt es zwar klassischer Weise Rollbacks gegen Frauen und LGBTIA-Personen, aber irgendwas muss die linke Koalition trotzdem der mobilisierten Wähler:innenschaft anbieten. Dass es im Rahmen von Krieg, Krise, Umweltkatastrophe und Pandemie nur wenig Spielraum gibt, ist klar. Denn ansonsten ist die Regierung eher weniger linksorientiert, als es eventuell scheinen mag. Die Politik, die gefahren wird, ist durchaus arbeiter:innenfeindlich. So werden bspw. Streiks im Auftrag der Regierung durch Polizei und Militär brutal niedergeschlagen. Insbesondere während der Pandemie zeigten die Politiker:innen ihr wahres Gesicht. So sperrten sie die Arbeiter:innen in ihren Stadtvierteln ein, diese durften sie nur verlassen, wenn sie zur Arbeit fuhren.

Kritik an der Gesetzesänderung

Kritik gab es einige, sowohl aus feministischen Kreisen als auch von rechts. Die Feminist:innen in Spanien sind stark beeinflusst von Andrea Dworkin, welche als Radikalfeministin insbesondere eine abolitionistische Position gegenüber der Prostitution einnahm. Sie sahen sich und das Anliegen eines Sexkaufverbots in den neuen Entwürfen nicht gehört, denn das nordische Modell wurde anfangs nicht eingeplant. Prostitution wurde 1995 in Spanien entkriminalisiert, Zuhälterei ist allerdings strafbar. Anfang Juni wurde jedoch ein Entwurf ins Rollen gebracht, der einem Sexkaufverbot gleichkommt: Das vorgeschlagene Gesetz soll diejenigen bestrafen, die Prostituierte finanziell ausbeuten, für ihre Dienste bezahlen oder wissentlich Räumlichkeiten für die Ausübung der Prostitution zur Verfügung stellen. Wenngleich die PSOE in Spanien sich für dieses, vom „nordischen Modell“ inspirierte Gesetz ausspricht, so ist es alles andere als sicher für die betroffenen Sexarbeiter:innen, denn so werden sie in noch unsicherere Arbeitsverhältnisse gedrängt (ausführlicher Artikel zur Frage siehe Neue Internationale 257, Juli/August 2021). Beibehaltung der Entkriminalisierung, die Möglichkeit für sichere und kostenlose Umschulungen zum Ausstieg sowie gewerkschaftliche Organisation der Sexarbeiter:innen wären aus einer marxistischen Perspektive die deutlich sinnvolleren Mittel gewesen.

Interessant ist auch, dass diese Frage zu einer Spaltung innerhalb der Koalition geführt hat. Die PSOE arbeitet nun bzgl. des Gesetzesentwurfs mit der rechtspopulistischen PP (Partido Popular) zusammen, während sich Podemos dagegen stellt, da er zu moralisierend wäre. Für die feministische Partei Spaniens ist der Vorschlag von PSOE und PP aber dennoch zu unkonkret, sie fordert umfassendere Maßnahmen. Außerdem gab es Proteste mit bis zu 7.000 Frauen, die sich für ein abolitionistisches Gesetz aussprachen.

Auch wenn der Gesetzentwurf ansonsten einen wichtigen Schritt darstellt, so bleibt Sexismus eine strukturelle Unterdrückung im Kapitalismus, welche sich nicht einfach durch Gesetze wegreformieren lassen kann und so auch in Spanien unter der linken Regierung bestehen bleibt: Reproduktionsarbeit wird auch hier weiterhin vornehmlich von Frauen ausgeführt.

Zugleich gibt es natürlich auch Kritik von rechts und aus konservativen Kreisen. Die rechtsradikale VOX, drittstärkste Partei im Parlament, möchte das Gesetz gegen geschlechtsspezifische Gewalt aus dem Jahr 2004 schon länger abschaffen. Sie ist außerdem gegen die Legalisierung von Abtreibung. Gegen die Veränderung des Abtreibungsgesetzes gingen auch 100.000 Konservative auf die Straße, unter anderem angestachelt durch die Aufhebung von Wade vs. Roe in den USA.

Wie weiter?

Auch wenn in Spanien wichtige gesetzliche Verbesserungen errungen werden konnten, so ist der Kampf längst nicht vorbei. Einerseits findet auch innerhalb der Bewegung ein Kampf zwischen fortschrittlichen und reaktionären Richtungen (siehe die Frage der Prostitution) statt. Die PSOE, aber auch wichtige Strömungen des Feminismus schrecken dabei auch vor einer Zusammenarbeit mit den Konservativen nicht zurück. Andererseits macht die extreme und konservative Rechte gegen alle fortschrittlichen Verbesserungen weiter mobil, wie die Massendemonstrationen der VOX verdeutlichen.

Die enge Verbindung zwischen den feministischen Streiks und der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter:innenklasse war jedoch nicht nur entscheidend dafür, warum wichtige Verbesserungen überhaupt durchgesetzt werden konnten. Sie ist auch der einzige Weg zur Verteidigung und Ausweitung dieser Errungenschaften und zur Schaffung einer proletarischen Frauenbewegung – nicht nur in Spanien, sondern international.




Frauenstreiks: Wie weiter international?

Leonie Schmidt (REVOLUTION, Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10, März 2022

In den letzten Jahren haben die weltweiten Krisen immer mehr zugenommen, seien es Wirtschaftskrise, Pandemie, Umweltzerstörung oder aber (drohende) Kriege. Ursache: der Kapitalismus. Die Kosten und Konsequenzen werden natürlich auf den Rücken der Arbeiter_Innenklasse ausgetragen. Zusätzlich dazu kommen rechtskonservative Kräfte in vielen Ländern an die Regierung oder rechte Bewegungen erlangen mehr Relevanz. Oftmals wollen diese Kräfte traditionelle, reaktionäre Rollenbilder vertreten und das Kapital stärken.

Die Wirtschaftskrise 2007/08 hat bereits für einen Rollback gegen Frauen gesorgt, aber die Corona-Krise hat diesen zusätzlich verstärkt: erstens aufgrund einer neuen Wirtschaftskrise, welche durch die zugespitzte Lage katalysiert wurde; zweitens durch die Lockdowns, welche häusliche Gewalt verstärkten, sowie die Überlastung der Pflege, in welcher ebenfalls mehrheitlich Frauen beschäftigt sind.

Doch dieser Rollback stieß auch auf massenhaften Widerstand. In den letzten Jahren erlebten wir einige große Frauenstreiks am 8. März, dem Frauenkampftag, die sich auch international formierten und Millionen Menschen auf die Straße brachten. Diese begannen 2016 erstmalig in Lateinamerika im Rahmen der ursprünglich argentinischen Bewegung #Ni Una Menos (Nicht eine mehr), welche sich vor allem auf die vielzähligen Femizide bezog, und breiteten sich bis 2019 weltweit aus. So gingen am 8. März 2018 in über 177 Ländern Menschen für die Rechte der Frauen auf die Straße. Allein in Spanien streikten 2018 und 2019 6 Millionen Frauen gegen sexuelle Gewalt, für gleiche Löhne und das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper. In der Türkei demonstrierten mehrere Tausende trotz der großen Repression seitens des Erdogan-Regimes. In Pakistan beteiligten sich am Aurat-Marsch in den größeren Städten wie Lahore, Karatschi, Hyderabad und Islamabad ebenfalls Tausende an den Aufmärschen. In der Schweiz waren im Juni 2019 500.000 Personen auf der Straße. Im Dezember 2019 fingen vornehmlich Hausfrauen in Indien an zu streiken. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren immer wieder große Proteste: Ob nun im Rahmen des Women’s March in den USA oder des „schwarzen“ Protests gegen das Verbot von Abtreibungen in Polen – überall auf der Welt demonstrierten Millionen Frauen für ihre Rechte.

In den Pandemiejahren 2020 und 2021 gingen die Proteste vor allem in den imperialistischen Ländern zurück, während sie in den Halbkolonien weiterhin auf die Straße getragen wurden. Ein weiteres Aufkeimen der feministischen Proteste in dieser Zeit konnte vor allem um spezifische Vorfälle und Forderungen beobachtet werden wie bspw. den Mord an Sarah Everard in England im Frühjahr 2021, im Rahmen der Abtreibungsproteste gegen die polnische Regierung und ihre Verbote oder die Anti-Taliban-Proteste und deren frauenfeindliche Politik in Afghanistan.

Trotz ihrer enormen Mobilisierungskraft hat es die Frauen*streikbewegung jedoch bisher nicht geschafft, ihre Vernetzung international zu vertiefen und während der Pandemie aufrechtzuerhalten. Sie steht selbst an einem politischen Wendepunkt.

Dennoch ist es natürlich wichtig, dass das Mittel des politischen Streikes wieder etwas in den Vordergrund gerückt, Forderungen verbreitet und Erfahrungen im Kampf gesammelt werden konnten. Die Frauen*streikbewegung hätte allerdings insbesondere im Kampf gegen Pandemie und erneute Finanzkrise eine relevantere Rolle spielen können. Im Rahmen der Rollbacks gegen die körperliche Selbstbestimmung haben sich aber u. a. in Polen größere Bewegungen etabliert, die weiterhin relevant bleiben. Das mangelnde Recht auf Abtreibung stellt nach wie vor ein internationales Problem dar und ist in den USA auch ein Thema, was zurzeit zu Protesten mit tausenden Teilnehmer_Innen und viel Widerstand führt.

Was brauchen wir?

Für eine internationale, erfolgreiche Frauenbewegung müssen wir anerkennen, dass der Kampf um Frauenbefreiung (und die Befreiung anderer geschlechtlich Unterdrückter) eng mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft sein muss, denn die Frauenunterdrückung wurzelt in der Klassengesellschaft und ihre materiellen Ursachen müssen abgeschafft werden, um diese selber vollständig verschwinden zu lassen.

Einen Fokus stellt dabei die Reproduktionsarbeit in der Arbeiter_Innenfamilie dar, in welcher die Ware Arbeitskraft (re)produziert wird, also durch Hausarbeit, Erziehung, Care-Arbeit etc., die wichtig für den Fortbestand des Kapitalismus ist und vornehmlich von Frauen ausgeführt wird. Es ist dabei wesentlich, deren Vergesellschaftung und gleiche Verteilung auf alle selbst als Teil des Klassenkampfes zu begreifen, als Kampf der gesamten Arbeiter_Innenklasse.

Entgegen den bürgerlichen Vorstellungen einer alle Klassen umfassenden Frauenbewegung muss berücksichtigt werden, dass es auch unter Frauen gegensätzliche Klasseninteressen gibt und in dieser Bewegung nicht einfach „ausgeglichen“ werden können. So verfolgen Frauen des (höheren) Kleinbürgertums und der Bourgeoisie andere Interessen, wie bspw. Frauenquoten und Plätze in der Chefetage, während das für proletarische Frauen nicht relevant ist. Während letztere um existenzsichernde und gleiche Löhne kämpfen müssen, wollen bürgerliche „Schwestern“ und jene aus den gehobenen Mittelklassen diese möglichst gering halten, um die Profite und Einkommen ihrer eigenen Klasse zu sichern.

Ähnlich wie kleinbürgerliche Ideologien erkennen sie den engen Zusammenhang von Kapitalismus und Privateigentum mit der Frauenunterdrückung nicht, von der Unversöhnlichkeit der Klassengegensätze ganz zu schweigen. Sie erblicken vielmehr in deren ideologischen Ausdrucksformen (Stereotypen, Geschlechterrollen, sexuellen Vorurteilen, Heterosexismus … ) die Ursache der Unterdrückung. Ihre Strategie erschöpft sich in verschiedenen Formen des radikalen oder reformistischen Feminismus, was ihre relativ privilegierte Stellung als Kleineigentümer_Innen oder Akademiker_Innen (Bildungsbürger_Innen) gegenüber der Masse der werktätigen Frauen widerspiegelt. Dementsprechend ist eine klare antikapitalistische Ausrichtung relevant sowie die Verknüpfung von Kämpfen der Frauenbewegung und der Arbeiter_Innenklasse.

Angesichts des globalen Rechtsrucks ist es dabei unbedingt notwendig, sich als ersten Schritt auf gemeinsame Forderungen für den koordinierten globalen Kampf zu einigen. Dafür schlagen wir folgende Eckpunkte vor:

1. Volle rechtliche Gleichstellung und Einbeziehung in den Produktionsprozess!

Auch wenn gefeiert worden ist, dass nun fast überall auf der Welt Frauen wählen dürfen, haben sie vielerorts nicht die gleichen Rechte. Das bedeutet praktisch beispielsweise erschwerte Scheidungsmöglichkeit oder keine politische Teilhabe. Ein Verbot, arbeiten zu gehen oder dies nur von zuhause aus tun zu können, bedeutet vollkommene ökonomische Abhängigkeit von Partner oder Familie. Dort, wo diese Frauen nicht organisiert sind, müssen wir die Gewerkschaften dazu auffordern, sie für unsere Reihen zu gewinnen. Dies ist ein wichtiger Schritt, der deutlich macht, dass auch sie Teil der Arbeiter_Innenklasse sind.

2. Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Während Reaktionär_Innen versuchen, den Lohnunterschied damit zu erklären, dass Frauen einfach in weniger gut bezahlten Berufen arbeiten, weil sie angeblich „nicht so hart arbeiten können“ wie Männer, ist für uns klar: Der Unterschied in der Lohnhöhe folgt aus der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die der Kapitalismus reproduziert. Der Lohn der Frau erscheint bis heute in den meisten Ländern als „Zuverdienst“ zum Mann.

3. Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Ob durch religiöse Vorschriften, rassistische Hetze oder Abtreibungsgegner_Innen: Überall auf der Welt sind Frauen damit konfrontiert, dass man versucht, über ihre Körper zu bestimmen. Deswegen treten wir dafür ein, dass sie selbstständig entscheiden können, was sie anziehen dürfen oder ob sie schwanger werden oder bleiben wollen.

4. Recht auf körperliche Unversehrtheit!

Ob nun sexuelle Grenzüberschreitungen, Vergewaltigungen oder Femizide: Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig!

Dabei ist herauszustellen, dass dies ein internationales Problem verkörpert und nicht auf bestimmte Regionen bzw. Religionen beschränkt ist, wie manche Reaktionär_Innen behaupten. Es ist vielmehr eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und Einfluss gewinnen.

Doch essentiell ist es, die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees aufzuwerfen, die in Verbindung mit der Arbeiter_Innenbewegung und den Unterdrückten stehen. Der Vorteil solcher Strukturen besteht darin, dass Frauen nicht passive Opfer bleiben sollen, sondern man ihnen die Möglichkeit gibt, sich aktiv gegen Unterdrückung zu wehren. Daneben ist die Forderung nach Selbstverteidigungskomitees für Marxist_Innen wichtig, weil wir nicht auf Polizei oder Militär als verlässliche Verbündete setzen können. Diese stehen oft vielmehr auf der Seite der Täter oder sind selbst welche. Außerdem schaffen Selbstverteidigungsstrukturen ein Gegengewicht gegen ihr Gewaltmonopol und das des bürgerlichen Staates allgemein.

5. Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Dies ist eine essentielle Forderung, um die Doppelbelastung von Frauen zu beenden und letzten Endes auch einer der Schritte, die die geschlechtliche Arbeitsteilung – und mit ihr die Stereotype beenden. Grundgedanke ist es, die Arbeit, die wir tagtäglich verrichten, um uns zu reproduzieren (essen, Wäsche waschen, Kindererziehung), nicht länger im stillen Kämmerlein alleine zu absolvieren, sondern sie kollektiv zu organisieren und auf alle Hände zu verteilen. Diese kann dann beispielsweise in großen Wohneinheiten, Kantinen oder Waschküchen erfolgen.

Vom Frauen*streik zur proletarischen Frauenbewegung!

Diese Frauenbewegung muss multiethnisch und international sein, da das Patriarchat und der Kapitalismus ein weltweites System darstellen und es in den vorherrschenden kleinbürgerlich geprägten Feminismen oftmals nur um „die westliche, weiße Cis-Frau“ geht. Es ist wichtig, dass eben auch die Belange von Frauen aus halbkolonialen Ländern oder rassistisch Unterdrücken in imperialistischen Staaten ins Zentrum gerückt werden, weil sie unter besonders heftigen Formen der Ausbeutung leiden und, global betrachtet, den größten Teil der proletarischen Frauen ausmachen.

Des Weiteren darf es sich nicht nur um einen losen Zusammenschluss handeln, da dessen Mobilisierungspotential zeitlich ebenso wie in der Schlagkraft begrenzt ist, wenn es sich nur um unkoordinierte lokale bzw. nationale Aktionen handelt. Die Frauenbewegung steht dann letzten Endes vor zwei Aufgaben:

Erstens, sich als globale, organisierte Bewegung um gemeinsame Ziele, verbindliche Aktionen und Kampagnen zu koordinieren. Dazu müssen gemeinsame Bezugspunkte wie die obigen Forderungen gefunden, aber auch gemeinsame Kämpfe verschiedener Strömungen geführt werden bspw. mit der Organisierung und den Streiks in der Pflege, der Umweltbewegung oder der gegen Rassismus. Beispielsweise könnte gerade der gemeinsame Kampf mit Pflegekräften und betroffenen Frauen im Rahmen der Abtreibungsproteste relevant werden. Diese Forderungen müssen in die Bereiche unseres alltäglichen Lebens getragen werden wie Schule, Uni und Arbeit. Hier müssen wir uns dafür einsetzen, dass darüber nicht nur geredet wird, sondern auch konkrete Errungenschaften damit einhergehen. Dafür müssen Aktions- und Streikkomitees aufgebaut werden. Mit diesen alltäglichen Forderungen wie bspw. Recht auf körperliche Selbstbestimmung ist es revolutionäre Frauen möglich, einen gemeinsamen Kampf auch mit Reformist_innen oder kleinbürgerlichen Feminist_innen führen.

Entscheidend ist jedoch, welche Klasse einer solchen Bewegung ihren Stempel aufdrückt. Oben genannte Forderungen können dabei die Grundlage für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung bilden, in der Revolutionär_innen um politische Hegemonie und Führung kämpfen.

Eng damit verbunden damit ist eine zweite Aufgabe, nämlich für eine Internationale zu werben und die Notwendigkeit dieser Organisierungsform aufzuzeigen. Eine Bewegung braucht nicht nur gemeinsame Forderungen, sondern auch eine Führung und klare klassenpolitische Ausrichtung, um erfolgreich zu sein. Wohin lose, wenngleich dynamische Bewegungen führen, können wir an verschiedensten Kämpfen sehen: seien es der Arabische Frühling, Fridays for Future oder auch die Frauen*streikbewegung. Die Dominanz bürgerlicher, kleinbürgerlicher oder reformistischer Kräfte hat diese Bewegungen selbst in eine Krise oder gar zum Scheitern geführt.

Revolutionäre Frauen stehen daher nicht „nur“ vor der Aufgabe, in den Frauen*streiks und anderen Foren und Kämpfen um eine klassenpolitische Ausrichtung zu ringen. Auch unter jenen Kräften, die die Notwendigkeit einer internationalen, ja selbst einer proletarischen Frauenbewegung anerkennen, müssen wir zu Konferenzen aufrufen, um zu gemeinsamen Forderungen und international koordinierten Aktionen zu kommen. Dazu müssen wir auch reformistische Organisationen wie Linkspartei, DGB-Gewerkschaften oder selbst die SPD sowie feministische Gruppierungen und Kampagnen aufrufen, um so vor allem deren Basis in die Aktion zu ziehen, gemeinsame Kämpfe zu führen und zugleich praktisch die Fehler der reformistischen Führung offenzulegen. So kann nicht nur die aktuelle Schwäche der Frauen*streikbewegung überwunden werden.

Die gemeinsame Aktion und der Kampf für eine internationale Frauenbewegung erfordern auch ein internationales Programm und den Kampf für eine neue Arbeiter_Inneninternationale. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frauenunterdrückung selbst untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden ist, also nur durch den Sturz dessen wirklich beseitigt werden kann. Daher ist der Kampf für eine proletarische Frauenbewegung untrennbar mit dem für eine revolutionäre, Fünfte Internationale verbunden.




Frauenbefreiung international, aber wie? Verónica Gagos Versuch

Jürgen Roth / Martin Suchanek (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 10, März 2022

Die Frauen*streiks rücken das Potential des Feminismus, genauer eines popularen, volkstümlichen Feminismus’ ins Zentrum politischer Debatten und Diskussionen. Mit dem 2019 erschienenen Buch „La potencia feminista – O el deseo de cambiarlo todo“ untersucht die argentische feministische Sozialwissenschafterin und Aktivistin Verónica Cago die Ursachen und das Potential der großen Kämpfe, die seit 2016 in mehrfacher Hinsicht den Beginn einer neuen Welle der Frauenbewegung markieren.

Den Ausgangspunkt diese Bewegung bildeten die in Argentinien bereits ab 2016 beginnenden Frauenstreiks sowie die US-amerikanische Bewegung gegen die drohende Machtübernahme Trumps. Auf ihrem vorläufigen Höhepunkt 2019 umfasste sie mehrere Millionen Streikende, vor allem in Lateinamerika, aber auch in Spanien und anderen Ländern. In ihnen kommt nicht nur ein neuer Aufschwung der Bewegung zum Ausdruck, sondern gerade im globalen Süden auch eine radikal neue Opposition von unten gegen den Neoliberalismus.

In ihrem Buch, das 2020 unter dem Titel „Feminist International – How to change everything“ (Verso, GB-London/USA-Brooklyn, NY) und 2021 auf Deutsch mit dem Titel „Für eine feministische Internationale. Wie wir alles verändern“ (Unrast-Verlag) erschien, will sie aber keineswegs nur die Bewegung und ihre Aktivitäten nachzeichnen.

In dem Buch und vor allem in den abschließenden „8 Thesen zur feministischen Revolution“ versucht sie, die Ursachen für die Entstehung und Bedeutung dieser Bewegung theoretisch zu fassen und zu begründen, worin deren zukunftsweisender Charakter besteht. In der folgenden Besprechung der Arbeit folgen wir dem Aufbau des Textes, beziehen uns aber immer wieder auf die 8 Thesen, die auch eine Art Zusammenfassung ihrer Untersuchung darstellen. Die Zitate beziehen sich in der Regel auf die englischsprachige Ausgabe.

Ausgangspunkt

Das für Gago Entscheidende an den Frauen*streiks der letzten Jahre besteht darin, dass sie ein neues politisches Potential zum Ausdruck bringen: die potentia (Macht, Handlungsvermögen) der Frauen aus dem Proletariat und den unteren Klassen. „Das Konzept der feministischen potentia spiegelt diese Art von Bewegung wider, indem es eine alternative Theorie der Macht anstrebt. Feministische potentia bedeutet, die Unbestimmtheit dessen, was man tun kann, was wir tun können, zu rechtfertigen.“ (Seite 2, Englische Ausgabe, eigene Übersetzung)

Damit, so Gago, wolle sie keineswegs einem naiven Verständnis von Macht das Wort reden, das von Institutionen und Strukturen der Herrschaft absieht. Die potentia steht für sie vielmehr für die Konfrontation mit diesen Strukturen, für eine Art Gegenmacht:

„In diesem Sinne handelt es sich um ein Verständnis von potentia als Entwicklung einer Gegenmacht. Letztlich geht es um die Bejahung einer anderen Art von Macht: die der gemeinsamen Erfindung gegen die Enteignung, des kollektiven Engagements gegen die Privatisierung und die Ausweitung dessen, was wir im Hier und Jetzt für möglich halten.“ (Ebenda)

Der von Hardt/Negri entnommene Begriffe der potentia stellt ein Schlüsselkonzept des gesamten Buches dar. Doch die von Negri übernommene Interpretation ist selbst überaus fragwürdig. In dem Buch „Die wilde Anomalie, Spinozas Entwurf einer freien Gesellschaft“ behauptet er, die Begriffe potentia und potestas würden bei Spinoza einen „absoluten Antagonismus“ darstellen. Ersterer stünde für das kreative Vermögen der Vielen, deren kollektives und schöpferisches Vermögen, deren dynamische Gestaltungsmacht, zweiterer für die Unterdrückung der Vielheit, von Freiheit, Kreativität. In dieser Lesart steht die potestas für die Herrschaft des unterdrückerischen Staates, für Ausbeutung, Unterdrückung, Kolonialismus oder für das Empire. Die potentia steht für Macht und Begehren der Menge, der Multitude.

Spinoza verwendet die Begriffe in der von Negri behaupteten starren Gegenüberstellung nicht, vielmehr begreift er potentia und potestas als dialektisches Verhältnis. Dabei stellt die potentia durchaus das vorrangige, treibende Moment dar. So soll bei ihm die vernünftige potentia potestas werden. Die potestas des Staats begreift er als durchaus notwendig (z. B. zum Schutz gegen reaktionäre religiöse Intoleranz). Sie muss allerdings seiner Vorstellung nach demokratisch kontrolliert werden.

Es geht uns an dieser Stelle jedoch nicht um eine richtige oder falsche Interpretation Spinozas, sondern vielmehr darum, dass Gago die falsche, undialektische Gegenüberstellung von potentia und potestas von Negri unkritisch übernimmt.

So knüpft sie am Begriff der Multitude, der Menge an, die bei Hardt/Negri schon den Kern und die Produktionsweise einer zukünftigen Gesellschaft darstellt. Die Frauen*streiks sind für Gago deshalb von so großer Bedeutung, weil sie das Hervortreten, die Selbstformierung eines neues Subjekts und einer neuen Form der Vergesellschaftung von unten darstellen. Hier trete einen neues, umfassendes proletarisches Klassensubjekt hervor, das nicht mehr auf die (marxistischen) Eingrenzungen auf die industrielle (zumeist weiße) Lohnarbeit beschränkt wäre. Hier würden vielmehr transversale Verknüpfungen gebildet, die alle popularen und proletarischen Schichten und Subjektivitäten umfassen würden. Dass Gago dabei die Begriffe popular und proletarisch fast durchgängig synonym verwendet, ist kein Zufall, denn bei ihrem Klassenbegriff verschwimmen die Grenzen zwischen der Lohnarbeit und anderen nicht-ausbeutenden Klassen, insbesondere zu den unteren Schichten des Kleinbürger:innentums und zur Bauern-/Bäuerinnenschaft.

Ähnlich wie Hardt/Negri lehnt auch Gago die Dialektik ab. Die umfassende Klasse bedarf keiner zusammenfassenden strategischen Zielsetzung, keines wissenschaftlichen Programms, das ihre heterogenen Teile politisch auf ein gemeinsames Ziel orientiert. Die Klasse muss nicht erst von einer an sich zu einer für sich werden. Sie muss eigentlich nur ihre Diversität miteinander verknüpfen und anreichern. Dies erklärt auch, warum für Gago die neue Qualität in den Frauen*streiks hervortrete. Das revolutionäre, gesellschaftsverändernde Subjekt existiert in diesen nämlich bereits. Indem die verschiedenen Unterdrückten ihre eigenen Bedürfnisse entdecken, artikulieren, verbinden, schaffen und erweitern sie auch ihr Bedürfnis zur Revolution, zur Neueinrichtung der Gesellschaft. Letztere versteht sie aber nicht als politischen Kampf um die Macht, um den Sturz einer Klasse durch einen andere, sondern als stetig vor sich gehenden Transformationsprozess, der die Gegenüberstellung von Reform und Revolution hinter sich lasse.

Neue Qualität der Streikwaffe?

Doch nun zu den einzelnen Aspekten ihrer Argumentationskette. Der feministische Streik ginge mit der Erweiterung des Klassenbegriffs einher. Die Frauen*streiks würden den engen Horizont der gewerkschaftlichen, reformistischen, aber auch marxistisch dominierten Arbeiter:innenbewegung, die nur auf die weißen, männlichen Industriearbeiter geblickt habe, sprengen.

Dies geschehe schon dadurch, dass er mehr als den „normalen“ Streikkampf zwischen Lohnarbeit und Kapital umfasse. Indem er Haus-, Reproduktions- und migrantische Arbeit einbeziehe, mache er diese ebenso sichtbar wie die „territoriale“ Dimension des Kampfs um Land der indigenen Bevölkerung. Zweifellos liegt eine Stärke darin, breitere Schichten in den Kampf einzubeziehen, als dies die Gewerkschaftsbürokratie üblicherweise tut, und auch nicht weiter darauf zu warten, bis diese grünes Licht für die Aktion gibt.

Zu den Stärken zählt sie auch, dass der Frauen*streik ebenfalls jene Unterstützer:innen umfasse, die sich trotz der „Unmöglichkeit zu streiken“ solidarisieren.

Spätestens hier wird die Sache jedoch problematisch. Es ist natürlich sehr positiv, dass auch Menschen, die aufgrund von Repression oder ihrer sozialen Stellung nicht am Streik teilnehmen können, die Aktionen befürworten oder das sogar sichtbar machen. Doch wir machen uns nur selbst etwas vor, wenn wir auch Menschen, die die Arbeit aufgrund von Repression, geringerem Organisationsgrad oder mangelnder Solidarität unter Kolleg:innen (noch) nicht niederlegen können, als Streikende mitrechnen. Der Klassengegner wird sich davon leider nicht beeindrucken lassen.

Ebenso ist es problematisch, den Unterschied zwischen streikenden Lohnarbeiter:innen und anderen „Streikenden“ als nebensächlich zu betrachten. Grundsätzlich ist es natürlich sehr gut, wenn sich auch Genoss:innenschaften, kleine Selbstständige, Studierende, Schüler:innen und Erwerbslose dem Streik anschließen. Anders als Lohnarbeiter:innen setzt ihr „Streik“ jedoch das Kapital oder den Staat als Arbeit„geber“ nicht ökonomisch unter Druck.

Natürlich zeigt es zwar eine Stärke der Frauen*streiks als politischer und gesellschaftlicher Massenbewegung, dass sich ihr Millionen anschlossen, die zur Zeit ihre Arbeitskraft nicht gegen Lohn verkaufen (können). Aber für die reale Durchsetzungsfähigkeit ist es letztlich von entscheidender Bedeutung, ob es gelingt, vor allem die große Masse der lohnarbeitenden Frauen in den Streik zu ziehen wie auch ihre männlichen Kollegen (ansonsten fungieren letztere eigentlich, ob sie wollen oder nicht, objektiv als Streikbrecher). Das ist vor allem entscheidend, wenn der Frauen*streik über einen befristeten, eintägigen Demonstrationsstreik hinausgehen und zu einem unbefristeten werden soll.

Dazu ist es natürlich von entscheidender Bedeutung, dass auch die Gewerkschaften in den Kampf gezogen werden und die Bürokratie durch klare Forderungen und eine Basisbewegung von unten unter Druck gesetzt wird. Dazu wäre bei den Frauen*streiks ein gemeinsames, möglichst internationales Aktionsprogramm für Schlüsselforderungen notwendig gewesen. Nur so können die weiblichen (wie männlichen) Beschäftigten im prekären Sektor auch wirklich grundlegende Forderungen durchsetzen, weil sie gerade aufgrund ihrer prekären Stellung auf die Solidarität und den gemeinsam Kampf der gesamten Arbeiter:innenbewegung angewiesen sind.

Ein solches Programm wird leider im gesamten Buch von Gago nicht erwähnt, geschweige denn diskutiert. Hier zeigt sich die Achillesferse ihrer Strategie, die jedoch aus dem Verständnis der Subjektkonstituierung der Autorin durchaus logisch folgt.

Arbeiter:innenklasse oder populare Klasse?

Für sie umfasst die feminisierte Arbeit die von Frauen, Lesben, Transgender und Travestis, aber auch die Arbeit von Menschen unterschiedlicher Klassen, die umstandslos zu einem erweiterten Begriff einer Klasse vereint werden.

So beläuft sich beispielsweise der informelle Sektor, die Schattenwirtschaft, in Argentinien auf rund 40 % aller Arbeitenden. Dieser Anteil ist aufgrund der Krise um die Jahrtausendwende in diesem Land selbst für lateinamerikanische Verhältnisse sehr hoch. Unabhängig davon ist es sicher sehr wichtig, Forderungen für diesen Sektor aufzustellen. Doch dieser Sektor, den Verónica Gago auch als „populare Ökonomie“ bezeichnet, besteht keineswegs nur aus Lohnarbeiter:innen.

In einer deutschsprachigen Veröffentlichung der 8 Thesen zur Feministischen Revolution definieren die Herausgeber:innen, was darunter verstanden wird: „Die «populare Ökonomie» umfasst Arbeitsformen, die traditionell als informell definiert werden, sowie Subsistenzarbeit und außerhalb des traditionellen Lohnsystems erfundene Arbeitsformen; sie bezieht sich auf ein heterogenes Proletariat, das mit unterschiedlichen Mitteln für seinen Lebensunterhalt sorgt, etwa durch Müll- und Flaschensammeln oder durch gemeinnützige Arbeit in Suppenküchen. Das Konzept einer «popularen Ökonomie» will diese Arbeitsformen politisieren sowie einer Marginalisierung und Abwertung durch Begriffe wie «informelle Wirtschaft» oder «soziale Ausgrenzung» begegnen.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 6)

Hier wird aus der Not eine Tugend gemacht. Menschen, vor allem Frauen, die aufgrund der kapitalistischen Krise dauerhaft ihre Arbeitskraft nicht mehr verkaufen können, die sich durch Müll- und Flaschensammeln durchbringen müssen, unterliegen objektiv einem Verelendungs- und Entproletarisierungsprozess. Um diesen zu stoppen, ist es notwendig, dafür zu kämpfen, dass diese Menschen wieder ins Lohnarbeitsverhältnis zu existenzsichernden Löhnen integriert werden. Diesen Prozess als „populare Ökonomie“ zu charakterisieren, bedeutet nicht nur, ihn schönzureden. Es bedeutet auch, die Augen vor den objektiven Deklassierungsprozessen des Kapitalismus zu verschließen und damit auch davor, dass diese Tendenzen die Arbeiter:innenklasse schwächen, weil größere Teile aus ihr herausfallen – entweder in Richtung prekäre kleinbürgerliche Existenz oder, im allerschlimmsten Fall, in Richtung Lumpenproletariat. Noch deutlicher wird bei der Einbeziehung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft in die Arbeiter:innenklasse.

Die „erweiterte Klasse“ entpuppt sich hier als Zusammenwürfeln von Proletariat und Kleinbürger:innentum. Mit dieser Ausweitung des Begriffs wird auch die zentrale Rolle der kapitalistischen Ausbeutung, also der Aneignung des Mehrwerts durch das Kapital, für die Bestimmung der Arbeiter:innenklasse relativiert. Anstelle der Ausbeutung durch das Kapital tritt bei diesem „erweiterten Klassenbegriff“ „die spezifische Abwertung von gemeinnütziger, nachbarschaftlicher, migrantischer und reproduktiver Arbeit. Wir haben verstanden, wie im Alltag ihre Unterordnung im Verhältnis zu allen Formen von Arbeit steht.“ (Ebenda, S. 7)

Nun wird niemand bestreiten, dass diese Arten von Arbeit oft „unterbewertet“ werden. Doch in Wirklichkeit ist die „Ausweitung“ des Ausbeutungsbegriffs einfach nur unscharf und undifferenziert. Migrantische und auch reproduktive Arbeit sind oft Formen der ausgebeuteten Lohnarbeit. Die nachbarschaftliche Tätigkeit mag nicht geschätzt werden – sie stellt ein anderes Verhältnis dar. Mit der Vermischung von Ausbeutung und „Unterordnung“ werden vor allem jedoch die Klassenverhältnisse, in denen sie stattfinden, unklar. So ist sicher auch die Arbeit von armen Bauern und Bäuerinnen oder von unteren Schichten des Kleinbürger:innentums „unterbewertet“. Viele mögen ärmer sein als manche Lohnabhängige. Dennoch gehören sie verschiedenen Klassen an. Während die Arbeiter:innenklasse über kein Privateigentum an Produktionsmitteln verfügt und gezwungen ist, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen, sind die Bauern/Bäuerinnen kleine Eigentümer:innen und Warenproduzent:innen. Sie nehmen daher eine widersprüchliche gesellschaftliche Stellung ein. Bei Gago hingegen sind sie umstandslos Teil des Proletariats und sogar „antikapitalistisch“.

Neue Kritik der politischen Ökonomie

Im Buch theoretisiert sie dies weiter. Zwischen feministischen Ökonomietheorien und volkstümlicher Schattenwirtschaft ohne kriminellen Sektor wie Drogenhandel habe es „Intersektionen“ gegeben. Es handle sich bei Letzterer um eine antineoliberale, kollektiv organisierte Überwindung individuellen Lebens in Gestalt von Kooperativen, autonomen Lebensstilen und -entwürfen. Dabei sei Neoliberalismus nicht auf den Gegensatz Staat – Markt reduzierbar.

Für Gago ist die feministische ökonomische Perspektive schon deshalb antikapitalistisch, weil Wertextraktion aus Körperterritorien erfolge. Hier folgt sie dem feministisch-operaistischen Ansatz von Mariarosa Dalla Costa, der ihrer Forderung nach Lohn für Hausarbeit zugrunde lag. Sie weitet ihn sogar aus über die Hausarbeit in der Sphäre der Lohnarbeiter:innenfamilie hinaus, auf praktisch alle Frauen, die irgendwie körperlich arbeiten und nicht zur herrschenden Klasse gehören.

Was in „Feministische Internationale“ als Ausweitung des Klassenbegriffs versprochen wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als die Auflösung des marxistischen Klassenbegriffs. Im Grunde wird der Klassen- durch einen Volksbegriff ersetzt, der stark an die Vorstellungen der antimarxistischen russischen Volkstümler:innen Ende des 19. Jahrhunderts erinnert, die in der Bauern-/Bäuerinnenschaft eine konsequent revolutionäre Klasse erblickten.

Die „Volksökonomie von unten“ produziert zwar in Teilen Mehrwert in Gestalt prekärer Lohnarbeit. Der Rest lebt aber von staatlich vermittelten Transfereinkünften, die wesentlich vom indirekten (Sozial-)Lohn gespeist werden. Der informelle Sektor ist noch abhängiger als Lohnarbeit und sollte (Verteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und öffentliche Arbeiten zu Tariflöhnen unter Arbeiter:innenkontrolle) vollständig in die offizielle Lohnarbeit integriert statt konserviert werden!

Antikapitalistisches Wirtschaften kann unter Herrschaft des Kapitals nur Nischen bekleiden und ihn nicht graduell sukzessive ersetzen. Angesichts des Weltmarkts der Agrokonzerne wäre die Revitalisierung der ursprünglichen Ackerbaugemeinde noch reaktionärer und utopischer als die sozialdemokratischen und populistischen Genossenschaftsillusionen. Die Landfrage kann genossenschaftlich nur in Kooperation mit sozialistischer Planwirtschaft auf höchstem technischen und vergesellschafteten Niveau gelöst werden, nicht durch eine Idealisierung der Subsistenzwirtschaft. Wirklicher Antikapitalismus ist mit dem ökonomischen Romantizismus der russischen Sozialrevolutionär:innen oder großer Teile der lateinamerikanischen populistischen Bewegungen inkompatibel. Gagos Nähe dazu ist als radikale Linkspopulist:in kein Zufall.

Es ist daher auch kein Zufall, dass sich ihr „Antikapitalismus“ im Wesentlichen auf einen Anti-Neoliberalismus, Anti-Extraktivismus und die Betonung des Kampfes gegen die massenhafte Verschuldung von Communities und Armen konzentriert. All dies sind wichtige Themen und Aufgaben, um die sich auch eine proletarische Frauenbewegung organisieren muss. Doch das reicht nicht, um zu bestimmen, worin eigentlich das Ziel des Kampfes bestehen soll. Hier stellt Gago vor allem fast, was sie nicht will: weder kapitalistischen Markt noch Planwirtschaft. Diese wenig originelle Zurückweisung des Sozialismus hat freilich weitreichende Konsequenzen für das Programm zur Frauenbefreiung. Die Überwindung der Trennung von Produktion und Reproduktion ist ohne Sozialisierung der Hausarbeit letztlich nicht möglich. Diese erfordert aber ihrerseits die Enteignung der herrschenden Klasse und die bewusste Reorganisation von Produktion und Reproduktion auf Basis einer Planwirtschaft.

Reform und Revolution

Gago meint hingegen, ohne solche grundlegenden revolutionären Veränderungen auskommen zu können. Für sie überwindet die argentinische Bewegung eine Beschränkung auf Themen, Quoten und Sektoren. Sie praktiziere eine Intersektion von Geschlecht, Klasse und rassistisch Unterdrückten.

Der Ort dieser Verbindung unterschiedlicher Sektoren sind Frauenvolksversammlungen (Asambleas), Netzwerke, die sich gleichzeitig auf Institutionen bezögen, indem sie Forderungen stellten.

Somit würden sie verkörpern, was Rosa Luxemburg revolutionäre Realpolitik genannt hatte: Handeln in der Gegenwart und gleichzeitige Existenz als Möglichkeit, Potenzial. Dieses könne zum Bruch mit dem System führen, sei also eine Rohform der Methode des Systemübergangs. Der Wunsch nach Revolution („Wir wollen alles verändern!“) stamme aus der Realität des vor sich gehenden Wandels. Die Zeit der Revolution sei jetzt angebrochen. Transversalität als neue Organisationsform entwickle die Kapazität, den Feminismus an jeder Ecke in Szene zu setzen, ohne sich in eine Logik umschriebener Forderungen einzwängen zu lassen. In These 5 fasst Gago dies folgendermaßen zusammen:

„Die feministische Bewegung besetzt die Straßen, trifft sich zu Versammlungen, schmiedet territoriale Allianzen und erstellt Diagnosen der politischen Konjunktur. Sie erzeugt eine Gegenmacht, die sich Rechte erkämpft und gleichzeitig einen radikalen Horizont beibehält. Damit demontiert sie den Gegensatz zwischen Reform und Revolution.“ (Gago, 8 Thesen zur feministischen Revolution, Rosa-Luxemburg-Stiftung 2020, S. 16)

Die Asambleas bilden die Gegenmacht in dem Sinne, dass sie – wie bei Negris Multitude – der Ort sind, an dem sich die Frauen und Unterdrückten zum Subjekt konstituieren, ihre potentia entdecken, einander mitteilen, vermitteln. Die Aufgabe der Asambleas besteht daher auch nicht darin, ein gemeinsames Kampfprogramm zu diskutieren, zu verabschieden und gemeinsame Aktionen zu vereinbaren. Im Gegenteil, diese Form der demokratischen und politischen Zusammenfassung der Kämpfenden unter einem Ziel ist Gago suspekt. Die Verbindung würde vielmehr durch die Diversität und Transversalität der Akteur:innen geschaffen.

Hier wird deutlich, dass sich ihr Begriff von Gegenmacht grundlegend von der revolutionär-marxistischen Vorstellung unterscheidet. Gegenmachtorgane sind grundsätzlich Kampforgane gegen die bestehende Staatsmacht und Klassenherrschaft. Sie können daher auch nur in bestimmen krisenhaften Klassenkampfsituationen entstehen, müssen entweder auf gesellschaftlicher Ebene verallgemeinert werden oder sie sind letztlich dem Untergang – sei es durch Repression oder Integration – geweiht. Werden sie jedoch verallgemeinert, sei es auf betrieblicher und/oder örtlicher Ebene, entwickelt sich eine Situation der Doppelmacht, die entweder revolutionär oder konterrevolutionär gelöst werden muss, also indem die Kampforgane der Gegenmacht zu Machtorganen einer neuen, sozialistischen Gesellschaft oder von den Machtorganen der herrschenden Kapitalist:innenklasse zerschlagen werden.

Nicht so bei Gago. Den „Gegensatz zwischen Reform und Revolution“ „demontiert“ sie, indem sie die Revolution als stetiges Voranschreiten der (feministischen) Gegenmacht konzipiert. Diese bezieht immer neue Schichten und Teile des Proletariats ein, immer neue Sektoren der „popularen Ökonomie“. Die Asambleas oder andere Organe der Gegenmacht erheben dabei natürlich auch Reformforderungen an den bestehenden Staat, organisieren Debatten, erweitern ihren Diskurs, ihr Handlungs- und Vorstellungsvermögen und vor allem auch schon die zukünftige Gesellschaft selbst, indem sie für die Ausweitung der „popularen Ökonomie“ kämpfen. Zu Kampforganen um die politische Macht müssen die Asambleas, muss die so verstandene „Gegenmacht“ erst gar nicht geraten, da die Transformation und Revolution bereits im Gange ist.  Für sie bedeutet soziale Revolution schließlich nicht den Übergang der Staatsmacht in die Hände einer anderen Klasse, sondern ein Höchstmaß an Bewegung und Ausdehnung der Alternativökonomie.

Dieses Konzept ist historisch nicht neu. Es ähnelt vielmehr recht offenkundig dem Revisionismus eines Bernsteins und dem sozialdemokratischen Reformismus, der Abkehr vom Ziel der Machteroberung. Revolutionäre Realpolitik beinhaltet für Gago keine Übergangsstrategie, die Teilkämpfe um Verbesserungen mit Übergangslosungen und der Machtfrage verknüpft, sondern ihr gerät unter der Hand die aktuelle Bewegung zu einer, die beides, Reform und Revolution, „aushält“. Da sie den Kampf für Reformen nicht als untergeordnetes Moment des revolutionären Kampfs akzeptieren kann und will, bleibt von der „Revolution“ letztlich nur die ideologische Verkleisterung einer Spielart der reformistischen Transformationsstrategie übrig, wie sie heute im linken Reformismus und auch bei Strömungen des Linkspopulismus vertreten wird.

Feministische Internationale

Nachdem auch auf nationaler Ebene kein Programm, keine revolutionären Strategie nötig seien, ja als schädlich betrachtet werden, vertritt Gago auch eine Internationale, die ohne diese auskommt.

„Die aktuelle feministische Bewegung bringt einen neuen Internationalismus hervor. Dabei geht es nicht darum, den verschiedenen Kämpfen eine abstrakte Struktur aufzuerlegen, sie zu homogenisieren und dadurch auf eine «höhere» Ebene zu heben. Ganz im Gegenteil: Sie wird an jedem einzelnen Ort als spürbare Kraft wahrgenommen, die ausgehend von Körpern und individuellen Lebensverläufen transnationale Dynamiken auslösen kann. Somit ist die feministische Bewegung eine global organisierte, destabilisierende, im Globalen Süden verankerte und von dort aus wirkende Kraft.“ (Ebenda, S. 19)

Für unsere argentinische, postoperaistische Feministin bildet die Bewegung eine koordinierte Kraft globaler Destabilisierung, webt Netzwerke antiautoritärer Insubordination und Selbstermächtigung ausgehend von Lateinamerika. Sie sei trans- und plurinational (Letzteres bezieht sich auf die indigenen Ethnien, Nationalitäten), überkomme somit Internationalismus wie Nationalstaat, weil sie überall existiere. Ihr Transnationalismus verkörpere die Inversion eines Internationalismus’ von oben.

Der Streik sei zum globalen Schlüsselwort geraten: „Wenn wir streiken, macht die Welt Halt!“

In Anbetracht der Friedhofsruhe innerhalb der klassischen Arbeiter:innenbewegung kann die Bedeutung der Frauen*streiks gar nicht genug betont werden. Haben sie aber „die Welt“ wirklich destabilisiert? Und reicht das aus oder braucht es vielmehr zusätzlich Vorstellungen, wie eine neue Ordnung errichtet werden soll und organisiertes Eintreten dafür? Bei Gago werden Aufbau, Strategie und Programm ganz bewusst der Spontaneität und Unmittelbarkeit überlassen.

„Dieser Ansatz unterscheidet sich stark davon, kollektive Organisationsformen moralisch vorauszusetzen oder theoretisch zu fordern. Der Feminismus in den Stadtvierteln, im Bett oder zu Hause ist nicht weniger internationalistisch als der Feminismus auf den Straßen oder den regionalen Treffen. Genau darin liegt sein starker raumpolitischer Aspekt: In seinem Ansatz, Feminismus nicht in getrennten Sphären zu denken, sondern Transnationalismus aktiv zu praktizieren, in ihm Wurzeln zu schlagen und Territorien gleichzeitig für unerwartete, unzählige und weltweite Zusammenhänge zu öffnen.“ (Ebenda, S. 21)

Mit diesen Zeilen endet die Darlegung der neuen, entstehenden Feministischen Internationale. Sie soll also offensichtlich unterschiedliche Teile und Konzepte ohne Debatte um Strategie, Taktik und Programm lose verbinden. Das Problem der Vermittlung von aktuellem Bewusstsein der Klasse und revolutionärer Strategie, die Frage, um welche Forderungen, um welche kollektiven Organisationsformen, um welche Kampagnen und verbindlichen Aktionen sich eine neue proletarische Frauenbewegung konstituieren soll, taucht in der Schrift erst gar nicht auf. Es scheint vielmehr durch die spontane Entwicklung gelöst. Man müsse einfach „Sphären“ gemeinsam denken, Transnationalismus praktizieren, dann erledigt sich die Frage, um welche Kampfziele und Forderungen sich alles drehen soll, von alleine. Die ökonomistische Vorstellung, dass Klassenbewusstsein spontan aus dem gewerkschaftlichen Kampf entstehe, wird hier auf die Sphäre des Kampfes gegen die Unterdrückung von Frauen und LGBTIAQ-Personen übertragen, wenn auch philosophisch durch den Rekurs auf die potentia der Menge, durch das politische und ökonomische Handlungsvermögen der (proletarischen) Frauen.

Eine solche Strategie wird unvermeidlich an ihre Grenzen stoßen. Schon jetzt erweist sie sich nach zwei Jahren Pandemie und Krise als unfähig, eine Antwort auf die Stagnation oder sogar den Rückgang der Frauen*streiks in vielen Ländern zu geben. Natürlich wäre es kindisch, einfach ein lineares Wachstum der Bewegung zu erwarten. Zeitweilige Rückschläge und Schwankungen sind unvermeidlich, selbst bei einer revolutionären Führung der Bewegung.

Doch schon allein diese Entwicklungen sind eigentlich ein Argument für verbindliche, internationale Strukturen einer Bewegung und für die Diskussion und Erarbeitung gemeinsamer Forderungen und Aktionen.

Aber – ähnlich wie die Sozialistische Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg – muss sich auch eine neue, internationale Frauenbewegung, wenn sie ihr Potential realisieren will, grundsätzlich den großen strategischen Fragen widmen. Nur so wird sie in der Lage sein, den Kämpfenden, den verschiedenen Bewegungen und Kräften angesichts der aktuellen kapitalistischen Krise und angesichts des schärfer werdenden Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zwischen den Großmächten Orientierung zu geben. Das betrifft auch den Kampf gegen die geschlechtliche Unterdrückung und seine untrennbare Verbindung zur sozialistischen Revolution. Gagos Buch „Feministische Internationale“ kommt zweifellos das Verdienst zu, die Frage der Internationale aufgeworfen zu haben. Eine revolutionäre Antwort darauf präsentiert sie jedoch nicht.




Gegen Krieg, Frauenunterdrückung und Kapitalismus! Für eine internationale Koordinierung der Frauenbewegungen!

Internationales Sekretariat der Liga für die 5. Internationale, Infomail 1181, 8. März 2022

In diesem Jahr findet der Internationale Frauenkampftag in einer Zeit statt, in der mehr als eine Million Flüchtlinge, die meisten von ihnen Frauen und Kinder, aus ihren Häusern in der Ukraine fliehen. Sie sind es, die am meisten unter den Bombardierungen durch Putins Streitkräfte leiden.

Krieg und Flucht

Heute teilen sie das harte Schicksal ihrer Schwestern in Afghanistan, Syrien, Äthiopien, Myanmar, im Jemen und vielen anderen Kriegsgebieten der Welt. Nur sehr wenige von ihnen können die Vorteile offener Grenzen zur Europäischen Union oder die Anerkennung ihres Rechts auf Asyl in Anspruch nehmen. Eine unserer wichtigsten Forderungen heute ist, dass die Land- und Seegrenzen Europas für sie alle geöffnet werden.

In den Medien der Nato-Länder werden die Kriegstrommeln für „verheerende Wirtschaftssanktionen“ gegen Russland geschlagen. Die Auswirkungen solcher Sanktionen werden wiederum in erster Linie die russischen Frauen zu spüren bekommen. Andere agitieren sogar für eine von der Nato verhängte Flugverbotszone, was zu einem direkten Zusammenstoß mit den russischen Streitkräften und damit zu einem Krieg zwischen den beiden imperialistischen Lagern führen würde. Dies würde nicht nur den Ukrainer:innen nichts nützen, sondern könnte direkt zu einem dritten imperialistischen Weltkrieg führen, der noch schrecklicher wäre als seine Vorgänger.

Diese Verschärfung der Ereignisse bestätigt, was die Liga für die Fünfte Internationale gesagt hat: dass wir in eine neue Phase des Kampfes zwischen den Weltmächten eingetreten sind, den USA und ihren Verbündeten auf der einen Seite und China und Russland auf der anderen, um die Ressourcen, Märkte und Länder der Welt zu beherrschen.

Dies wurde weithin als neuer Kalter Krieg bezeichnet. Er kann leicht zu einem heißen Krieg werden, mit dem noch verheerenderen Einsatz von thermobarischen (Druckluft- oder Aerosol-)Bomben, die Hitze- und Druckwellen gleichzeitig erzeugen, und sogar Atomwaffen.

Letztes Jahr sahen wir in Afghanistan, wie Frauen, die bereits zwanzig Jahre Krieg erlitten hatten, von US-amerikanischen, britischen und anderen imperialistischen Besatzer:innen gezwungen wurden, ihre Häuser und Heimat zu verlassen oder brutalen Einschränkungen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens unterworfen wurden. Auch in Syrien sind immer noch Millionen Menschen Binnenvertriebene oder leben unter entsetzlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern. Diejenigen, die in Europa Zuflucht suchen, treffen auf Grenztruppen an Land und auf See und werden von ihnen zurückgedrängt.

Pandemie und Krise

Der Krieg in der Ukraine kommt zu den zwei Jahren der Pandemie Covid-19 hinzu, in denen die Mehrheit der Menschheit auf Impfstoffe und angemessene öffentliche Gesundheitsmaßnahmen warten musste, bis die Bürger:innen der imperialistischen Länder  geschützt waren.

Die Pandemie hat in aller Deutlichkeit gezeigt, wie der Kapitalismus arbeitende Frauen unterdrückt und ausbeutet, und zwar nicht nur im Krieg, sondern auch im „Frieden“. Tatsache ist, dass Frauen in wichtigen, aber schlecht bezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen eine große Rolle spielen, das Familienheim allzu oft Schauplatz häuslicher Gewalt ist und Regierungen und Unternehmer:innen am Ende der Krise versuchen werden, sie für die Kosten der Krise aufkommen zu lassen. Schon jetzt untergräbt die steigende Inflation den Wert von Löhnen, Renten, sozialer Sicherheit und Krankenversicherungsschutz.

Während der Pandemie haben Frauen die schwersten Lasten getragen. Sie waren als Gesundheitsarbeiterinnen an vorderster Front in Krankenhäusern und Pflegeheimen im Einsatz oder haben die Kinderbetreuung verstärkt, einschließlich des „Lernens zu Hause“, wenn die Schulen geschlossen waren. All diese Arbeit ist natürlich unbezahlt. Schlimmer noch, sie haben schwere Einkommensverluste erlitten, als sie gezwungen waren, ihre Arbeitsplätze im Gastgewerbe, im Einzelhandel oder im Büro aufzugeben, wo die Belegschaften meist weiblich sind. In der Zwischenzeit waren es Großkapitalist:innen wie Jeff Bezos von Amazon, die sich bereichert haben, indem sie ihre Belegschaften super ausgebeutet und ihnen das Recht verweigert haben, einer Gewerkschaft beizutreten.

Kapitalismus

Die Kombination aus Wirtschaftskrise und Pandemie hat den eindeutigen Zusammenhang zwischen der Unterdrückung von Frauen und Klassenausbeutung im Kapitalismus offenbart. Jetzt treten wir in eine neue Phase ein, in der die Ukraine zu einem Brennpunkt des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt geworden ist. In den kommenden Monaten und Jahren wird sich dieser Kampf noch weiter zuspitzen und die Welt mit Sanktionsrunden und sogar einem globalen Krieg bedrohen. Die Arbeiter:innenklasse und die Armen, und unter ihnen vor allem die Frauen, werden die ersten sein, die den Preis dafür zahlen müssen.

Der Krieg wird Frauen und ihre Familien aus ihren Häusern vertreiben. Frauen und Männer aus der Arbeiter:innenklasse werden diejenigen sein, die ihr Leben lassen, wenn die Städte bombardiert werden, und sie werden mit Preissteigerungen, Arbeitsplatzverlusten, Angriffen auf die Arbeitsbedingungen und Lebensmittelknappheit in der ganzen Welt konfrontiert sein.

Das kommende Jahr wird für die Frauenbewegung, aber auch für die gesamte Arbeiter:innenklasse, die Jugend und die unterdrückten Völker dieser Welt entscheidend dafür sein, ob wir helfen können, die russische Invasion abzuwehren und gleichzeitig zu verhindern, dass die Nato daraus einen globalen Krieg macht. Es wird entscheidend sein, ob wir uns gegen die drohende globale Krise, Preissteigerungen und die drohende Umweltkatastrophe wehren können, die nach dem totalen Scheitern des COP26 in Glasgow durch den Krieg aus den Schlagzeilen verdrängt wurde. Junge Frauen haben eine wichtige Rolle bei der Aufdeckung und Bekämpfung des Klimawandels gespielt, in den Schulstreiks von Bewegungen wie Fridays for Future.

Und wieder einmal sind es die Frauen im globalen Süden, die darunter leiden werden, ja bereits unter den ersten Auswirkungen in Form von extremen Wetterereignissen, Überschwemmungen, Dürren, Waldbränden und in deren Gefolge Hunger, Unterernährung und regelrechten Hungersnöten leiden.

Das Wiederaufleben und der Aufstieg der weltweiten Frauenkämpfe in den letzten Jahren zeigt, dass ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung sowohl für die Befreiung der Frauen als auch für die Klassenkämpfe gegen die Bosse und ihre Regierungen von zentraler Bedeutung sind. Ohne sie könnten wir historische Niederlagen erleiden.

Diese Kämpfe haben gezeigt, dass Frauen keine passiven Opfer von Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung sind, sondern dass sie diese aufgedeckt und sich dagegen gewehrt haben. Die heldinnenhaften Kämpfe von Frauen in den vordersten Reihen von Bewegungen wie #MeToo, Ni Una Menos, dem Frauenstreik, Black Lives Matter sowie die Bauern- und Bäuerinnenproteste in Indien und die Bewegungen für soziale und demokratische Rechte in Belarus, Hongkong, Myanmar oder dem Libanon zeigen, dass es guten Grund zur Hoffnung gibt. In Russland stehen die Frauen trotz der massiven Repression an der Spitze der entstehenden Bewegung gegen den reaktionären Krieg. Wir meinen, dass diese Hoffnung eine Perspektive in einem internationalen Kampf mit dem Ziel der vollständigen Vergesellschaftung der reproduktiven und produktiven Arbeit finden muss.

Dies kann natürlich nur durch die Wiederbelebung oder Bildung von Organisationen des militanten Klassenkampfes erreicht werden. In den letzten Jahren wurden viele wichtige Schritte zur Entwicklung solcher Organisationen unternommen. Viele kämpfende Frauen sehen sich zunehmend als Teil einer globalen Bewegung, die Patriarchat und Kapitalismus miteinander verbindet und dagegen kämpft.

Wir sind der Meinung, dass dies die Vorbereitung einer globalen Konferenz der Frauenbewegungen erfordert, ähnlich dem Geist der frühen kontinentalen und weltweiten Sozialforen. Diese würde die Erfahrungen der verschiedenen arbeitenden Frauenbewegungen zusammenführen, ihnen aber darüber hinaus durch gemeinsam beschlossene Aktionen eine gleiche Richtung geben. Dies könnte ein starkes Signal für die ganze Welt senden. Diese Bewegung muss an der Spitze einer Antikriegsbewegung stehen, nicht nur um die russische Invasion zu stoppen, sondern auch um zu verhindern, dass die Kriegstreiber:innen im imperialistischen NATO-Lager die Welt in einen dritten imperialistischen Krieg ziehen.

Die Genossinnen und Genossen der Liga für die Fünfte Internationale tun ihr Bestes, um zum Aufbau einer solchen Bewegung beizutragen. Sie würden ebenfalls alles in ihrer Macht Stehende tun, um für eine alternative Vision der Gesellschaft, den Sozialismus, zu streiten, um die Befreiung der Frauen, Arbeiter:innen und von lesbischen, schwulen, trans und nicht-binären Menschen zu erreichen. Wenn Tausende von internationalen Aktivist:innen persönlich und online zusammenkämen, um gemeinsam über den Weg nach vorn zu diskutieren, würde dies die Kämpfe auf der ganzen Welt stärken, indem es ihnen Solidarität und Unterstützung bringt.

Wir rufen alle, die diesem Vorschlag zustimmen, auf, mit uns und untereinander Kontakt aufzunehmen, um zu besprechen, welche ersten Schritte wir gemeinsam unternehmen können, um mehr und größere Kräfte wie die Gewerkschaften, Arbeiter:innenparteien und ganze Frauenbewegungen, wie den Frauenstreik, für ein solches Ziel zu gewinnen.

Die Proteste am 8. März dieses Jahres sind deshalb besonders wichtig, weil sie eine Demonstration der Stärke und des Selbstbewusstseins sein werden, dass wir uns in einer der größten Krisen des Kapitalismus wehren müssen.




Corona, Krise und doppelte Belastung der Frauen

Jaqueline Katherina Singh, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 9

Seit mehr als einem Jahr stellt die Pandemie unser Leben auf den Kopf. Rund 110 Millionen Menschen sind (Stand: Mitte Februar 2021) offiziell am Corona-Virus erkrankt, beinahe 2,5 Millionen sind verstorben. Ausgangsbeschränkungen, Atemschutzmasken, Arbeitslosigkeit – die Liste mit Dingen, die nun zu unserem Alltag gehören, ist lang. Angst um Freund_Innen, Familie, die eigene Existenz. Gerade Letzteres stellt sich für viele Arbeitende.

Denn das Corona-Virus hat eine Wirtschaftskrise, die sich bereits vorher abzeichnete, ausgelöst und massiv verschärft. Unter anderem, da – anders als bei der Finanzkrise 2007/08 – fast alle Länder gleichzeitig erfasst wurden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht in einem Bericht davon aus, dass die Pandemie alle Fortschritte in der Bekämpfung der globalen Armut seit den 1990er Jahren zunichtegemacht hat. Die soziale Ungleichheit hat sich 2020 drastisch weiter verstärkt. Das bedeutet, dass jene, die schon vorher am Existenzminimum gelebt haben, noch weniger besitzen sowie kleinere Verbesserungen, die in den letzten Jahren errungen werden konnten, verschwinden.

Die Krise heißt Kapitalismus

Als Ergebnis der Finanzkrise 2007/08 konnten wir in den letzten Jahren eine stetige Zuspitzung von imperialistischen Konflikten wahrnehmen – ob durch Interventionen in der Ukraine, Syrien, die stetigen Drohungen gegen den Iran oder den Handelskrieg zwischen den USA und China. Gerade Letzterer stellt eine direktere Konfrontation zwischen zwei imperialistischen Mächten dar, bei der es nicht nur um ein bloßes Kräftemessen geht. Vielmehr ist es die Zuspitzung der Frage, welche Kraft den Weltmarkt in ihrem Interesse neu gestaltet – die niedergehende, über Jahrzehnte vorherrschenden USA oder China als neue, aufstrebende Macht. Die jetzige Krise wird die Verteilungskrise und den existierenden Machtkampf massiv verstärken. Die Frage der Verfügbarkeit medizinischer Versorgung, insbesondere des Impfstoffes, ist in mehrfacher Weise mit dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt verbunden.

Zum Ersten sichern sich alle imperialistischen Mächte einen privilegierten Zugang zu den Impfstoffen und räumen den Markt faktisch leer. Hinzu kommt, dass die großen Konzerne, die fast ausschließlich in den kapitalistischen Zentren angesiedelt sind, für Jahre enorme Monopolprofite wittern, auf Patentrechten und damit dem Ausschluss von Milliarden Menschen vom bezahlbaren Zugang zu den Impfstoffen beharren. Während die Bevölkerung der imperialistischen Staaten bis Ende 2021 geimpft werden kann, sollen in vielen Ländern Afrikas, Lateinamerikas und Asiens selbst „optimistischen“ Vorhersagen zufolge nur 20 % diesen Schutz erhalten.

Die dramatisch wachsende globale Verschuldung verschärft die Ungleichheit noch weiter. Während die USA, China oder auch die EU mit Milliardenausgaben die unmittelbaren Wirkungen der Krise kurzfristig mildern und Konjunkturprogramme auf den Weg bringen können, ist dieser Weg den meisten Ländern des globalen Südens verschlossen. Sie können allenfalls auf eine kurzfristige Aussetzung des Schuldendienstes für über den IWF oder andere Institutionen vermittelte Kredite hoffen. Diese Last wird sie noch mehr von den Zentren der Weltwirtschaft und des Finanzkapitals abhängig machen – mit extremen Folgen für Milliarden Lohnabhängige, Bauern und Bäuerinnen.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass selbst wenn die imperialistischen Zentren durch Impfungen wieder versuchen, zum Regelbetrieb zurückzukehren, die Lage sich nicht von alleine entspannen wird. Während die nationalen Regierungen für größere Konzerne Rettungspakete schnüren, wird versucht werden, die entstandenen Kost auf die Arbeiter_Innenklasse abzuwälzen: Massenentlassungen, Einsparungen im sozialen Bereich neben der stetigen Gefahr von Mutationen des Virus, die gegen den Impfstoff resistent sind. Es stellt sich also die Frage: Wer zahlt für die Kosten der Krise und die Folgen der Pandemie? Und während der Machtkampf unter den Kapitalfraktionen noch läuft, ist zugleich klar, dass sie alle versuchen werden, die Kosten auf die Arbeiter_Innenklasse abzuwälzen. Im Folgenden wollen wir einen Überblick darüber geben, wie die Belastung für Frauen aus der ArbeiterInnenklasse seit Ausbruch der Pandemie zugenommen hat, welchen Problemen sie sich verschärft gegenübersehen, um dann auf die Ursachen der Unterdrückung und die Frage des Kampfes dagegen einzugehen. Schließlich stellen sie einen maßgeblichen Teil der Arbeiter_Innenklasse dar und haben aufgrund ihrer sozialen Unterdrückung mit spezifischen Angriffen zu kämpfen.

Frauen sind in vielen der am stärksten von Covid-19 betroffenen Branchen überrepräsentiert, z. B. in der Gastronomie, im Einzelhandel und in der Unterhaltungsbranche. So arbeiten 40 Prozent aller erwerbstätigen Frauen – 510 Millionen weltweit – in den am stärksten betroffenen Branchen, verglichen mit 36,6 Prozent der erwerbstätigen Männer. International stellen Frauen 70 % des Personals in sozialen und Pflegeberufen.

Kurzarbeit und Entlassungen

Auch die ersten großen Entlassungswellen betrafen vor allem Sektoren, in denen Frauen überrepräsentiert sind wie Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus. Eine statistische Erhebung aus den USA zeigt, dass Frauen in verschiedenen Branchen stärker vom Arbeitsplatzverlust betroffen sind als Männer. Im Freizeit- und Gastgewerbe waren vor der Pandemie 52 % der Beschäftigten Frauen, aber 54 % der Entlassenen sind weiblich. Im Bildungs- und Gesundheitswesen stellten Frauen 77 % der Arbeitskräfte, aber 83 % der Entlassenen; im Einzelhandel 48 % der Beschäftigten, 61 % der Arbeitsplatzverluste; in den Kommunal- und Landesverwaltungen schließlich 58 % der Belegschaften, aber 63 % der Freigesetzten.

Laut Zahlen der ILO verdienten 2018 61 % der globalen Erwerbsbevölkerung (2 Milliarden Menschen) ihren Lebensunterhalt in der informellen Wirtschaft, davon sind rund 50 % Frauen. Für diese Menschen bedeutet das, dass sie über keinen einklagbaren Arbeitsvertrag, keine Arbeitslosenversicherung oder damit vergleichbare Absicherung verfügen.

Frauen stellen zwar die Hälfte der Menschen im informellen Sektor, sie sind aber vor allem im globalen Süden überrepräsentiert. So arbeiten in Südasien über 80 % aller Frauen außerhalb der Landwirtschaft im informellen Sektor, in den Ländern südlich der Sahara 74 %, in Lateinamerika und der Karibik 54 %.

Besonders betroffen von der Krise sind oft WanderarbeiterInnen. So haben in Indien mindestens 40 Millionen ArbeitsmigrantInnen von heute auf morgen ihren Job und ihre Unterkunft verloren. Sie müssen 100 – 1.000 Kilometer zurück zu ihren Familien reisen, denen sie meistens selbst Geld schicken, also die sie eigentlich finanzieren. Schätzungen gehen davon aus, dass 660.000 bis 1,5 Millionen MigrantInnen in Lagern untergebracht wurden, wo sie minimale Essensrationen erhielten.

Frauen sind jedoch nicht nur als überausgebeutete Lohnarbeiterinnen betroffen. In vielen Ländern der halbkolonialen Welt waren sie im Zuge von „Entwicklungshilfe“ oft auch Empfängerinnen sog. Mikrokredite. In Jordanien beispielsweise erhielten rund 70 % der Frauen solche. Unter den Bedingungen von Corona und der Krise können viele ihre Raten nicht mehr tilgen, sind nicht zahlungsfähig, was in manchen Ländern mit Gefängnisstrafe geahndet werden kann.

Wir sehen anhand dieser Beispiele, dass arbeitende Frauen auch ökonomisch besonders stark von der Krise betroffen sind – und diese wird so schnell nicht nachlassen.

Gesundheit

Aufgrund der Pandemie liegt der Fokus des Gesundheitssystems auf der Bekämpfung der Krankheit. Dies ist an sich sinnvoll. Aber da es ohnedies schon einen Mangel an medizinischem Personal und Einrichtungen gibt, bedeutet das auch, dass diese anderswo fehlen. So können wir aktuell in vielen Ländern einen Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit beobachten.

Der Zugang zu hygienischen Produkten und Verhütungsmitteln wird durch Verdienstausfälle erschwert, deren Produktion teilweise ausgesetzt. In Indien wurden während der ersten Wochen des Lockdowns Binden nicht als essentiell betrachtet. Mädchen hatten aufgrund der Schließung von Schulen keinen Zugang. NGOs und Hilfsorganisationen schätzen, dass allein in Indien mindestens 121 Millionen Frauen keinen Zugriff auf Güter zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse hatten, wobei ländliche Regionen und Kleinstädte besonders betroffen waren.

Zusätzlich wird der ohnedies schon eingeschränkte Zugang zu Abtreibungen weiter erschwert. UN-Schätzungen zufolge könnte die Corona-Krise zu 7 Millionen ungewollten Schwangerschaften führen. Zum einen, da der Zugang zu Verhütungsmitteln erschwert ist, zum anderen, da die sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen massiv zugenommen hat und sie noch mehr an die Familie und damit an Ehemänner gebunden sind. Dort, wo Schwangerschaftsabbrüche legal sind, wurde der Zugang zu Beratungsgesprächen massiv eingeschränkt, da viele Praxen und Familienplanungszentren ihr Angebot reduzierten. In 8 US-Bundesstaaten liefen während des ersten Lockdowns Verfahren, da Abtreibungen auf die Liste der „nicht dringlichen“ medizinischen Behandlungen gesetzt worden sind.

Gewalt gegen Frauen

Zugleich verschärft sich die Lage der Frauen in Familien und Beziehungen. Der Bevölkerungsfonds der UN (United Nations Population Fund, bis 1987: United Nations Fund for Population Activities; UNFPA) rechnet mit 31 Millionen zusätzlichen Fällen von häuslicher Gewalt in 6 Monaten des Lockdowns. Wir haben es hier mit einem globalen, keinesfalls mit einem regionalen Problem zu tun.

In Frankreich nahmen mit der Ausgangssperre 2020 die Fälle häuslicher Gewalt um 30 Prozent zu. Die französische Regierung kündigte zudem an, bis zu 20.000 Zimmern in Hotels für Betroffene zu reservieren, in französischen Einkaufszentren wurden 20 Beratungsstellen eingerichtet.

Allein in den ersten beiden Aprilwochen 2020 gab es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum einen 47 %igen Anstieg der Anrufe bei der spanischen Hotline für häusliche Gewalt. Die Zahl der Frauen, die sich per E-Mail oder über soziale Medien an die von der Regierung als wesentlich eingestuften Unterstützungsdienste wandten, soll um bis zu 700 % gestiegen sein. Sichtbar wird das Ausmaß des Problems, wenn man die bestehende Infrastruktur für von Gewalt betroffene Frauen betrachtet.

So mangelt es in Deutschland seit Jahren an Plätzen in Frauenhäusern. Bis heute stehen rund 6.800 Plätze zur Verfügung, obwohl sich Deutschland schon 2017 verpflichtet hat, mindestens 21.400 zu schaffen. Kurzfristig hätte hier durch Nutzung leerstehenden Wohnraums, wegen der Pandemie nicht belegter Hotels und Ferienwohnungen etwas Abhilfe geschaffen werden können – doch Fehlanzeige. Hinzu erschweren die soziale Isolierung und Quarantäne die Lage der Frauen. Mit Tätern eingeschlossen, kannst du nicht einfach verschwinden und dich um die Kinder kümmern, die ebenfalls krasser Gewalt ausgesetzt sind.

Homeoffice und unbezahlte Hausarbeit

Grundsätzlich leisten Frauen nach wie vor weit mehr unbezahlte Hausarbeit als Männer. Im Zuge von Corona wurden Schulen und Kindergärten geschlossen, ist Pflegeunterstützung im Haus oft weggefallen oder reduziert.

Hinzu kommt, dass Homeoffice und Kinderbetreuung nur schwer vereinbar sind. Das zeigt sich in Deutschland daran, dass 40 % der Personen mit Kindern unter 14 Jahren die Tätigkeit im Homeoffice als äußerst oder stark belastend einschätzen gegenüber 28 Prozent der Befragten ohne Kinder. 1,5 Millionen Alleinerziehende – davon sind 90 % Frauen – sind noch mal stärker betroffen.

Ein Teufelskreis

Viele Frauen arbeiten im Caresektor und in sog. systemrelevanten Berufen. Sie sind oft einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt, gleichzeitig aber auch von Entlassungen am stärksten betroffen. Das bindet sie ökonomisch stärker an die Familie, macht sie schutzloser gegenüber häuslicher Gewalt. Zusätzlich steigt die reproduktive Arbeit, die im Haushalt getätigt werden muss, was die Doppelbelastung der Frauen erhöht. Sie werden also unter Bedingungen einer kapitalistischen Krise, die durch die Pandemie verstärkt wird, mehr in die klassische, reaktionäre Geschlechterrolle gedrängt. Auch wenn jetzt die Kontaktverbote gelockert werden, wird es keine Rückkehr zur ohnedies zweifelhaften „Normalität“ geben. Vielmehr drohen im Zuge der Wirtschaftskrise mehr Entlassungen und massive Sozialkürzungen.

Warum ist das so?

Um die aktuelle Situation zu verändern, ist es essentiell zu verstehen, warum Corona sowie die Wirtschaftskrise Frauenunterdrückung verstärken und woher diese überhaupt kommt. Dazu gibt es zahlreiche theoretische Ansätze und diverse Lösungen von verschieden feministischen Strömungen, auf die wir an dieser Stelle nicht eingehen können. Stattdessen beschäftigen wir uns mit der Position von Revolutionär_Innen.

Frauenunterdrückung existierte schon lange vor dem Kapitalismus und nahm in allen Klassengesellschaften eine systematische Form an. So war z. B. die bäuerliche Familie im Feudalismus Produktions- und Reproduktionseinheit. Für den Kapitalismus ist freilich typisch, dass sich die Funktion von Haushalt und Familie für die unterdrückte Klasse gegenüber früheren Klassengesellschaften ändert. Im Kapitalismus werden Produktion und Reproduktion getrennt und natürlich hat die Familie/PartnerInnenschaft für die ArbeiterInnenklasse und für die besitzenden Klassen auch eine unterschiedliche Funktion. Für Erstere dient sie in erster Linie zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft, während sie für KapitalistInnen essentiell für die Vererbung der Produktionsmittel ist.

Auch wenn dieses „Ideal“ der ArbeiterInnenfamilie global betrachtet oft gar nicht der Realität entspricht, so übernimmt der Kapitalismus eine schon vorher existierende geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die dadurch, dass der Lohn des Mannes als „Familienlohn“ gesetzt wird, während die Frau nur „dazuverdient“, selbst befestigt und reproduziert wird. Die bürgerliche Familie, die auch als Norm in der ArbeiterInnenklasse ideologisch und repressiv durchgesetzt wird gegenüber anderen Formen, reproduziert die geschlechtliche Arbeitsteilung und diese verfestigt wiederum die Familie als scheinbar „natürliche“ Form des Zusammenlebens.

Warum sind Frauen stärker betroffen?

Diese Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung bedeutet auch, dass Frauen oft von Krisen besonders stark betroffen sind. Gerade in solchen Perioden wird die Reproduktionsarbeit im Kapitalismus systematisch ins Private gedrängt. Kosten für v. a. öffentliche Kindererziehung, Kranken- und Altenpflege erscheinen als unnütze, unproduktive Arbeit, da sie oft keinen Mehrwert für ein Kapital schaffen. Das heißt nicht, dass es nicht nützliche Arbeiten sind. Aber da sie sich nicht im gleichen Maßstab wie andere, z. B. industrielle, verwerten lassen, erscheint z. B. Carearbeit im öffentlichen Krankenhaus oder die Arbeit der Erzieherin in einer Kita nur als Kostenfaktor, der gefälligst reduziert oder ganz eingespart werden soll.

Daher verbleibt auch die individuelle Kindererziehung, Pflege von Alten in der Familie – und es erziehen und pflegen dabei in erste Linie Frauen. Dabei kann diese Operation durchaus widersprüchlich sein, weil eigentlich auch das gesellschaftliche Gesamtkapital unter bestimmten Bedingungen mehr weibliche Arbeitskraft und damit auch eine teilweise Vergesellschaftung der Hausarbeit (z. B. durch mehr Kindergärten, bessere Kantinen …) braucht.

In Krisenzeiten müssen aber Kosten gespart werden durch Absenkung der Löhne, Verlängerung der Arbeitszeit, Kurzarbeit, Entlassungen, aber auch und vor allem durch Kürzungen im sozialen Bereich insgesamt. Frauen fungieren so als „flexible“ Aufstockerinnen, besonders leicht verschiebbarer Teil der industriellen Reservearmee, die zuerst ins Private gedrängt werden und sich eher um Familie kümmern, aber bei besserer Konjunktur auch wieder leicht und schlechter bezahlt einsetzbar sind.

Wir sehen hier also auch, woher der Gender Pay Gap (geschlechtsspezifischer Lohn- und Gehaltsunterschied) kommt. Der Lohn des Mannes wird historisch als Familienlohn gesetzt (der auch die Kosten zur Reproduktion der Familie einschließt). Die Arbeit der Frau erscheint dabei nur als „Zuschuss“, als „Aufstocken“. Das Ganze bildet einen Elendskreislauf, der sich in einem gewissen Maß selbst reproduziert: Basierend auf der geschlechtlichen Arbeitsteilung geht der Mann arbeiten, weil er mehr verdient – und weil der Mann mehr verdient, bleibt die Frau zu Hause. Somit reproduziert sich die geschlechtliche Arbeitsteilung gleich mit.

Kämpfe der ArbeiterInnen- und der Frauenbewegung haben zwar wichtige Verbesserungen errungen, aber eine wirkliche Gleichheit konnte nie erreicht werden, weil die unterschiedlichen Löhne in der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und im privaten Charakter der Hausarbeit wurzeln. Gerade in Krisen stehen wir immer wieder vor der Gefahr eines Rollbacks.

Forderungen

Auch wenn sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Frauen in den verschiedenen Ländern und Regionen sehr unterschiedlich darstellen, so gibt es doch einige gemeinsame Forderungspunkte, die für eine internationale Bewegung von großer Bedeutung sind:

Gesundheitsschutz für alle!

Kostenloser Zugang für alle, insbesondere auch Frauen aus dem „globalen Süden“, zu Gesundheitsversorgung sowie zu Corona-Impfstoffen und -Tests. Die Produktion und Verteilung der Impfstoffe muss der Kontrolle der privaten Konzerne entzogen werden. Nein zum Impfstoff-Nationalismus der imperialistischen Staaten, für die Aufhebung der Patente und einen internationalen Plan zu raschen Produktion und Verteilung. Streichung der Schulden der Länder der „Dritten Welt“ und Finanzierung der Gesundheitsversorgung und der Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung (inklusive der Versorgung bei Quarantänemaßnahmen) durch einen internationalen Plan, finanziert von den reichen Ländern und durch die Besteuerung von Vermögen und Kapital!

Gleiche Arbeit, gleicher Lohn!

Dies beinhaltet auch Forderungen wie jene nach einem Mindestlohn oder nach Abschaffung aller Formen informeller, prekärer Arbeit durch tarifliche Löhne und Gehälter, verknüpft mit der nach Kontrolle dieser Maßnahmen durch Komitees der ArbeiterInnenklasse, insbesondere der Lohnarbeiterinnen. Keine Entlassungen und volle Bezahlung aller Beschäftigen während der Lockdowns bei Schließung aller nicht-essentiellen Wirtschaftsbereiche, um eine Zero-Covid-Strategie durchzusetzen. Anhebung der Renten, Arbeitslosenunterstützung zumindest auf Höhe des Mindestlohns. Kontrolle der Gewerkschaften und von Ausschüssen der ArbeiterInnen über diese Maßnahmen.

Selbstbestimmung über den eigenen Körper!

Diese muss das Recht auf Empfängnisverhütung, die kostenlose, sichere und frei zugängliche Abtreibung beinhalten. Sie inkludiert auch den Schutz vor häuslicher Gewalt, Scheidungsrecht, rechtliche Gleichheit, den massiven Ausbau von Schutzräumen wie Frauenhäusern sowie den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees gegen Gewalt und Übergriffe, die von der ArbeiterInnenbewegung unterstützt werden.

Kampf gegen Entlassungen, Einbezug ins Berufsleben!

Der Kampf gegen Entlassungen muss sich auch gegen die von Frauen richten. Alle rechtlichen Benachteiligungen, alle Formen von Sexismus und Diskriminierung im Berufsleben müssen offensiv bekämpft werden. Der Kampf gegen Entlassungen muss mit dem für eine massive Verkürzung der Arbeitszeit verbunden werden, so dass die Arbeit unter alle, Männer wie Frauen, aufgeteilt werden kann.

Nein zu Sozialabbau und Privatisierung – Vergesellschaftung der Hausarbeit!

Statt weiterer Kürzungen müssen wir für den Ausbau von Schulen, Bildungseinrichtungen, öffentlichen Krankenhäusern, Kultureinrichtungen usw. unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse eintreten. Dies ist absolut notwendig, um dem weiteren Rollback und der Zunahme privater Hausarbeit entgegenzutreten. Letztlich besteht die Aufgabe darin, die gesamte Hausarbeit zu vergesellschaften, so dass lebenswichtige Aufgaben wie Kindererziehung und Sorge um Alte und Kranke nicht mehr individuelle Last von Frauen bleiben, sondern kollektiv angepackt werden.

Gegen Sexismus und Chauvinismus!

Beim Aufbau einer internationalen Bewegung gegen Pandemie und Krise müssen Frauen und ihre Forderungen eine Schlüsselrolle einnehmen. Doch ihre Unterdrückung in der Gesellschaft findet nur allzu oft ihre Fortsetzung in der reformistischen und bürokratisierten ArbeiterInnenbewegung. Daher ist es notwendig, dass sie sich gegen alle Formen des Sexismus und Chauvinismus in unserer Klasse auch organisiert zur Wehr setzen können und wie alle anderen sozial Unterdrückten in Parteien oder Gewerkschaften das Recht auf eigene Treffen (Caususes) haben. Mit den Frauen*streiks der letzten Jahre hat sich eine globale Kraft zu formieren begonnen, die das Potential besitzt, zu einer internationalen proletarischen Frauenbewegung zu werden. Diese stellt für den gemeinsamen Kampf von Männern und Frauen der ArbeiterInnenklasse kein Hindernis, sondern vielmehr eine Voraussetzung zu einem wirklichen, gemeinsamen Kampf gegen Frauenunterdrückung und Kapitalismus dar.




Sekt und Sexismus zum Frauenkampftag in Leipzig

Leonie Schmidt, REVOLUTION Sachsen, Infomail 1096, 19. März 2020

Am Sonntag dem 8. März beteiligten sich insgesamt 3.000 Demonstrierende in Leipzig beim sogenannten feministischen Streik. Wenngleich eine Demo im Kampf um die Frauenbefreiung eigentlich lautstark und kämpferisch sein sollte – so war das in den meisten Blöcken nicht der Fall. Hier setzte man eher auf Technomusik, Schweigen und ein bisschen Sekt, um den Kampf für mehr Frauenrechte zu besiegeln. Desweiteren entschloss man sich dazu, kämpferischen, antiimperialistischen und revolutionären Frauen die Teilnahme an der Demo zu untersagen. So positionierte sich das Bündnis über den Lauti bei der ersten Zwischenkundgebung am Wilhelm-Leuschner-Platz gegen vermeintlichen Antisemitismus (aka Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf) und verbannte AktivistInnen von REVOLUTION, der MLPD und dem BDS aufgrund von Antisemitsmus- und Mackertum-Vorwürfen von der Demo.

Diese mündliche Durchsage wurde auch durch körperliche Auseinandersetzungen bestärkt, so wurde an Fahnen und Transpis gerissen, AktvistInnen von Revolution geschubst und auch Genossinnen durch eine männlich gelesene Person niedergeschrien. Ebenfalls wurden Genossinnen, welche sich vorher durch ein Megaphon mit antisexistischen Parolen Gehör verschaffen wollten, als Macker bezeichnet, da sie „zu laut und aggressiv“ gesprochen haben sollen. Das zeugt von einem sexistischen Frauenbild, wenn Frauen nur dann „gute“ Frauen sind, wenn sie sich auch leise und ruhig, wie eine Frau verhalten und das selbstbewusste Auftreten als männlich wahrgenommen wird. Selbstbewusstes Auftreten von Frauen ist wichtig und sollte unterstützt werden. Wir sind stolz als Organisation Frauen in unseren Reihen zu haben, die sich nicht scheuen, ihre Meinung zu sagen und sich in die erste Reihe zu stellen. Höhepunkt war dann, dass die Genossin von einer selbsternannten Queerfeministin als „Fotze“ beleidigt wurde (auf Nachfrage, wurde allerdings behauptet, es wäre nur „Halt die Fresse“ gewesen). Desweiteren wurde von Seiten der Sprecherin des Bündnisses behauptet, dieser Ausschluss sei Konsens des Bündnisses gewesen und vor der Demo auf dem Plenum so beschlossen worden, das scheint aber fraglich, da es dazu keine vorherigen Veröffentlichungen gab.

Wir als revolutionäre Jugendorganisation und InternationalistInnen weisen dieses Vorgehen und die Vorwürfe entschieden zurück. Wir empfinden es als absolut sexistisch, dass Frauen aus revolutionären Organisationen die Teilnahme an den Frauenstreiks/feministischen Streiks untersagt wird und sie zusätzlich ausgegrenzt, niedergeschrien und sexistisch beleidigt werden. So wird verbale Gewalt nicht nur gedeckt, sondern auch zusätzlich durch TeilnehmerInnen des feministischen Streiks ausgeführt. Dieser sexistische Angriff reiht sich ein in andere, teilweise auch rassistische, Angriffe gegen AktivistInnen unserer Organisation, insbesondere gegenüber Frauen und nicht-weißen GenossInnen. So wurden beispielsweise bereits Genossinnen von antideutschen Mackern angespuckt und eine kurdische Genossin aufgefordert, ihre Koufiya abzunehmen und sich wie eine „Deutsche“ zu kleiden.

Der Vorwurf des Antisemitismus gegenüber unserer
Organisation ist auch kein Neuer und wird regelmäßig wieder ausgegraben, aber
selten näher begründet. Er ist allerdings mehr als lächerlich. Wir als
Revolution setzen uns regelmäßig in unseren Artikeln und Publikationen mit dem
Kampf gegen Antisemitismus auseinander 
und haben uns auf Demonstrationen immer als verlässliche Kraft gegen
Antisemitismus, Rassismus und Faschismus erwiesen. Der Vorwurf, unser Eintreten
für einen multiethnischen sozialistischen Staat im Nahen Osten und unserer
Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf sei antisemitisch,
empfinden wir somit als haltlos. Viel mehr denken wir, dass der Kampf der
PalästinenserInnen gegen patriachale Unterdrückung und sexuelle Gewalt und der
Kampf israelischer Frauen gegen Sexismus ein gemeinsamer Teil im Kampf gegen
das Patriachat sein muss.

Die Bewegung des Frauenstreiks ist eine internationalistische
Bewegung. Für uns ist klar, dass keine Frau auf dieser Welt befreit ist,
solange eine andere weiterhin sexistisch unterdrückt wird. Das Patriarchat
macht nicht vor irgendwelchen Nationalstaatsgrenzen halt, kann also nur
international bekämpft werden. Wir verstehen uns als Teil des internationalen
Frauenstreiks, da er überall auf der Welt die Zusammenhänge zwischen
sexualisierter Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung im globalen Norden und
globalen Süden aufzeigt. Nicht so in Leipzig. Dort werden Frauen, die sich dem
Narrativ der deutschen Außenpolitik entgegenstellen, beleidigt, als
Antisemitinnen diffamiert und zum Schweigen gebracht. Wir betrachten diesen
sexistischen Angriff im Kontext weiterer Spaltungsversuche und rassistischer
Anfeindungen, wie im letzten Jahr durch den „offenen Brief aus Göttingen“
geschehen, mit dem Migrantinnen aus dem Berliner Streikbündnis ausgeschlossen
werden sollten. Auch die Rote Einheit Düsseldorf wurde auf dem diesjährigen
Streik beleidigt und angegriffen. Wir solidarisieren uns mit den Menschen und
Organisationen, die diesen Angriffen ausgesetzt sind und rufen dazu auf, die
internationalistische Grundausrichtung des Frauenstreiks hochzuhalten, sich
nicht den deutschen rassistischen Diskursen anzupassen und sich geschlossen
gegen diese Vorwürfe, verbalen und körperlichen Angriffe zu wehren.

Wir fordern eine Aufklärung dieser sexistischen Vorfälle,
wir erwarten eine Erklärung vom Bündnis dazu und sind auch bereit in einen
Diskussionsprozess zu gehen, aber werden es nicht dulden, dass wir diffamiert
werden.




Frauen und Krise – Great crisis rises up

Leonie Schmidt, Revolution Deutschland, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Die Welt ist in Aufruhr. In vielen Ländern wie zum Beispiel
in Chile, im Libanon oder im Irak existieren Volksbewegungen, die sich
Angriffen auf die Arbeiter_Innenklasse oder korrupten Regierungen widersetzen.
Das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt sich und die
Angst vor einer erneuten weltweiten Rezession steigt an. Des Weiteren steigen
die Spannungen zwischen großen imperialistischen Mächten wie, besonders
zwischen den USA und China, und drücken sich durch Schutzzölle auf Stahlteile
und Einzelteile für Smartphones etc. aus.

 Politisch-ökonomische Weltlage

2019 befand sich die Weltwirtschaft kurz vor einer Phase der
Rezession. Rückgang bzw. Stagnation des Profits im Vergleich zu vorherigen
Jahren waren allgegenwärtig. Nur wenige Branchen schafften es, eine
Profitsteigerung zu erzielen. 11 Jahre seit Ende des letzten globalen
Wirtschaftsabschwungs 2008 deutet eine Kombination von Faktoren wie
stagnierende oder sinkende Profite, schwache oder rückläufige
Investitionstätigkeit in Kapitalausrüstung, zunehmende Firmenverschuldung,
Protektionismus und Handelskriege darauf hin, dass ein erneuter
Konjunktureinbruch nicht mehr fern ist.

Besonders hart traf es das verarbeitende Gewerbe
(Baugewerbe, Industrie und Handwerk) deren Geschäftsmanagerindex (PMI) weltweit
unter 50 fiel. Dieser gilt als Schwellenwert zwischen Expansion und
Kontraktion. In Deutschland lag dieser bei 40, in den USA und China knapp über
50. Der Dienstleistungssektor hingegen schaffte es, weiterhin seinen Profit zu
steigern. So verhalf dieser Griechenland, das BIP immerhin um 2 % zu
steigern. Laut Analyst_Innen von JP Morgan verlangsamte sich das gesamte
Wachstum der Weltwirtschaft in 2019 aber stark, alle 10 Wirtschaftssektoren waren
davon betroffen. Des Weiteren sank die Mehrwertrate, da die Lohnkosten nicht
durch Gewinne kompensiert werden konnten.

Das Wachstum der Industrieländer als Gruppe dürfte bis 2020
auf 1,4 % sinken, was auch auf die anhaltende Schwäche des verarbeitenden
Gewerbes zurückzuführen ist. Das Wachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern
dürfte sich in diesem Jahr auf 4,1 % beschleunigen. Es wird aber nur von
einer verbesserten Leistung einer kleinen Gruppe großer Volkswirtschaften
ausgegangen, von denen einige aus einer Phase erheblicher Schwäche hervorgehen.

Etwa ein Drittel der Schwellen- und Entwicklungsländer (wir
bezeichnen diese als Halbkolonien) wird in diesem Jahr voraussichtlich
zurückfallen, da sich Exporte und Investitionen schwächer entwickeln. Es wird
erwartet, dass sich das US-Wachstum in diesem Jahr auf 1,8 % verlangsamt,
was die negativen Auswirkungen früherer Zollerhöhungen und der erhöhten
Unsicherheit widerspiegelt. Das Wachstum des Euroraums dürfte im Jahr 2020
aufgrund der schwachen industriellen Produktivität auf 1 % nach unten
fallen. Die Erwerbslosenzahlen 2019 in der EU liegen bei 16 Millionen
(6,3 %) und haben damit erst gerade das Vorkrisenniveau 2007 (7,1 %)
unterschritten Die BRD weist zwar das höchste Erwerbstätigkeitsniveau seit der
Wiedervereinigung auf), doch diese Jobs werden immer unsicherer und prekärer.

Allerdings beruhen diese Zahlen auf ungewissen Faktoren und
können sich auch noch verschlechtern, besonders relevant sind hier
Wirtschaftskriege und Spannungen oder ein stärkerer Einbruch des Profits in den
bedeutenden Volkswirtschaften, der auf andere überschwappt.

Vorhersagen

Die Vorhersagen der großen Wirtschaftsanalyst_Innen für 2020
fallen aber allesamt recht positiv aus. Zumindest soll sich die Weltwirtschaft
stabilisieren und etwas erholen, Risiken bleiben aber weiterhin vorhanden. Es
wird vom IMF mit einem Weltwirtschaftswachstum von 3,5 % gerechnet, also
einem leichten Anstieg im Gegensatz zu 2019, welcher mit 3,2 %
vorhergesagt wurde. Die Weltbank hingegen geht nur von einem Wachstum bis 2,5
 % aus.

Die mild optimistischen Vorhersagen der Analyseinstitute für
2020 berufen sich auf der negativen Entwicklungskurve der Weltwirtschaft
entgegenwirkende Faktoren. So konnte ein rezessiver Einbruch der größten
Volkswirtschaften bei Produktion und Investitionen 2019 vermieden werden – zum
Preis niedrigen BIP- und Produktivitätswachstums. Die globalen
Finanzierungskosten befinden sich auf historischem Tiefstand teils aufgrund der
Zentralbankpolitik des „billigen Geldes“ (Nullzins, Quantitative Easing), aber
auch aufgrund geringer Kreditnachfrage durch Staat und Kapital als Folge
ausbleibenden Investments. Aktien- und Wertpapiermärkte erreichen dagegen ein
ungeahntes Hoch. Die Arbeitslosenzahlen bleiben im Gegensatz zur Großen Depression
der 1930er Jahre niedrig.

Der zugrunde liegende tendenzielle Fall der Profitrate muss
über kurz oder lang die entgegenwirkenden Ursachen übertrumpfen. Der Ausbruch
einer neuen Krise wird umso sicherer erfolgen, weil die Geldpolitik darin
versagt hat, die Wachstumsraten von vor 2007 wiederherzustellen. Die letzte
Dekade sah die längste Zeit ohne Rezession, aber auch die mit dem schwächsten
Wirtschaftsaufschwung nach einer solchen. Keynesianisches Gegensteuern durch
gesteigerte Staatsinvestitionen (und –schulden) hatte bereits in den
Konjunkturkrisen zuvor versagt und wird diesmal auf die Barriere der
schwindelerregend gestiegenen Budgetverschuldung stoßen.

Handelskrieg USA-China

Die größten Sorgen bereitet den Analyst_Innen der
Handelskrieg zwischen den USA und China. Dieser war 2019 stark eskaliert und
führte zu Abstürzen auf beiden Seiten. China haben die Sanktionen und
Strafzölle auf Importwaren in die USA bereits 35 Milliarden US-Dollar gekostet.
Für die USA erhöhten sich die Produktionskosten massiv und es wurden zwar neue
Jobs in der Stahlindustrie erschaffen, wie von Trump versprochen, allerdings zu
viel schlechteren Bedingungen und für viel weniger Lohn.

Trumps Ziel war also nie, die US-amerikanische
Stahlproduktion zu stärken, sondern von Anfang an, der Konkurrenz eine Warnung
zu verpassen. Denn Chinas Wirtschaft ist in den letzten Jahren massiv gewachsen
und stellt die größte Gefahr dar. Gerade im Bereich von IT und Hochtechnologien
ist es Vorreiter und mit vielen anderen Wirtschaften vernetzt. So lag Chinas
Wirtschaftswachstum 2018 bei 6, 57 %, das der USA nur bei 2,93 %. Berichten
zufolge hatte China zugestimmt, landwirtschaftliche Waren der USA im Wert von
50 Mrd. USD zu kaufen, während die USA anboten, die bestehenden Zölle für
chinesische Waren um bis zu 50 % zu senken. Der Konflikt ist somit also
keinesfalls beigelegt, allerhöchstens kurzzeitig entschärft. Eine erneute
Verschärfung kann aber zu massiven Einstürzen im Welthandel führen.

Kampf um die Neuaufteilung der Welt

Der Handelskrieg zwischen den USA und China trägt allerdings
auch noch ein geopolitisches, militärisches Markenzeichen, denn als neu
wachsender Imperialist muss China natürlich die Vormachtstellung des
US-Imperialismus global angreifen. Die chinesische Armee hat sich in einen
Rüstungswettlauf mit den USA gestürzt. Die Eskalation im Konflikt zwischen den
USA und dem Iran, einer zunehmend selbstsicheren Regionalmacht, verkörpert eine
weitere drohende Gefahr.

Beide hängen miteinander zusammen, denn der Iran und China
führen eine gute Handelsbeziehung. So gingen 27,4 % der Exporte des Irans
nach China, 27,8 % der Einfuhren kommen daher. Öl, Gas und auch die
Relevanz des Irans in Chinas „Seidenstraßenprojekt“ spielen dabei eine
entscheidende Rolle.

Der Rückgang des Welthandels und der Investitionstätigkeit
hat besonders die sog. aufstrebenden Ökonomien getroffen. Deren Wachstum war in
den letzten 6 Jahren fast überall niedriger als in den 6 Jahren vor Ausbruch
der letzten Rezession. In Brasilien, Russland, Argentinien, Südafrika und der
Ukraine gab es gar keines.

Von 2010–2018 nahm das Verhältnis von Auslandsverschuldung
zum BIP der Entwicklungsländer um mehr als die Hälfte auf 168 % zu – ein
schnellerer jährlicher Anstieg als während der Schuldenkrise Lateinamerikas.
Laut Schuldenreport der Weltbank 2020 befinden sich 124 von 154 erfassten
Ländern im kritischen Bereich kurz vor der Staatspleite, 2 mehr als im Vorjahr.
60 % dieser Länder stehen vor einer schlimmeren Situation als 2014.

Entscheidend für die Weltordnung wird also die Konkurrenz
zwischen der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China und den USA um die
Weltherrschaft werden. Ihr Ringen wird den regionalen Auseinandersetzungen
immer mehr ihren Stempel aufdrücken. Die Gefahr des Ausbruchs eines III.
Weltkriegs wächst.

Wen trifft es besonders hart?

Es ist „natürliche“ kapitalistische Logik, dass in Zeiten
der Rezession die sinkenden Profite durch Entlassungen, Kürzungen von
Arbeitszeit und Lohn und andere Angriffe auf die Arbeiter_Innenklasse wie
beispielsweise Rentenreformen aufgefangen werden sollen. So zum Beispiel
aktuell in Frankreich, wo Macron mit seinen neoliberalen Reformen das
Renteneintrittsalter auf 64 anheben möchte oder in Chile, wo die Regierung eine
Erhöhung der Preise für öffentliche Verkehrsmittel durchsetzen wollte, aber
daraufhin mit Massenprotesten konfrontiert wurde.

Die Krise wird auf dem Rücken der Arbeiter_Innenklasse
ausgetragen. Jedoch trifft es hier besonders Frauen. Mit der Krise 2007/08
wurden Teilzeitjobs und Leiharbeit stark ausgebaut, damit die Kapitalist_Innen
ihren Profit dennoch weiter vermehren können und zur Not ohne viel Aufwand die
Arbeiter_Innen entlassen können, wenn die nächste Rezession einsetzt.

In den imperialistischen Ländern sind sie häufig von
Arbeitslosigkeit und unsicheren, prekären Beschäftigungsverhältnissen geplagt.
So arbeiten in Deutschland 2019 30,5 % Frauen in solchen „atypischen“
Verhältnissen, aber nur 12,2 % der Männer. Das wird als freiwillige
Entscheidung für mehr Familien- oder Freizeit beispielsweise vom Bundesamt für
politische Bildung gewertet, ist aber reine Ideologie, denn die unentgeltliche
Reproduktionsarbeit fällt überwiegend den Frauen zu. So wird auch
ausschließlich von Frauen erwartet, Job und Familie zu verbinden, und sie sind
gezwungen, Teilzeit oder unsichere Jobs zu akzeptieren, wenn sie Kinder
großziehen.

Auch Frauen in Halbkolonien (wie bspw. Indien oder Pakistan)
sind oft im prekären Bereich beschäftigt. Hier variieren die Zahlen je nach
Land zwischen 45 %-76 %. Die Beschäftigung findet hier auch oft im
informellen Bereich statt, wo angemessene Bezahlung, Schwangerschaftsurlaub,
eine sichere Arbeitsumgebung oder gar gewerkschaftliche Organisierung zurzeit
undenkbar sind. Viele dieser Frauen arbeiten in Textilfabriken (in welchen für
H&M, Primark und Co produziert wird), in sogenannten
Sonderwirtschaftszonen, in denen sie für einen Hungerlohn ausgebeutet,
teilweise eingesperrt und zur Arbeit gezwungen werden. Auf Sicherheit wird kaum
geachtet. Oftmals kommt es zu Gebäudeeinstürzen oder Fabrikbränden neben dem
Umgang mit gefährlichen Chemikalien ohne wirkliche Schutzkleidung.

Weltweit sind Frauen besonders von Armut betroffen. Demnach
leben 5 Millionen mehr Frauen als Männer in extremer Armut. Des Weiteren sind
mehr Frauen von Altersarmut betroffen. In Deutschland sind es 20 % der
Frauen, aber nur 15 % der Männer. Das erklärt sich durch geringeren Lohn
während der Arbeitszeit und Unterbrechungen zum Großziehen der Kinder.

Noch immer ist es Frauen laut UNO in 104 Ländern nicht
erlaubt, bestimmte Berufe auszuüben. In 18 Ländern können Männer ihren
Ehefrauen grundsätzlich verbieten zu arbeiten. So müssen Frauen in
Saudi-Arabien beispielsweise für die Ausübung bezahlter Arbeit generell die
Erlaubnis eines männlichen Vormunds einholen. So spiegelt sich auch die
finanzielle Abhängigkeit der Frauen wider, da sie sowohl in imperialistischen
als auch in halbkolonialen Ländern nach wie vor weniger Lohn erhalten als
Männer. In Deutschland sind es beispielsweise 21 %, 17,3 % in
Großbritannien, in Pakistan hingegen 34 %.

Der Kampf um finanzielle Gleichstellung ist also weltweit
keineswegs abgeschlossen. Aber selbstverständlich gibt es auch andere Bereiche,
in denen Frauen strukturell benachteiligt werden. So kam es mit der Krise
2007/08 auch zu einem Anstieg nationalistischer Gefühle, da die Mittelschichten
der imperialistischen Länder sich vor einem sozialen Absturz und dem Verlust
ihrer Privilegien fürchteten. Um reaktionäre Angriffe und die Stärkung der
nationalen Wirtschaft zu fördern, wurden fremdenfeindliche und chauvinistische
Ideologien geschürt.

Diese sorgten auch für ein Rollback bei Frauen- und
LGTBIA-Rechten. So beispielsweise der Versuch der weiteren Illegalisierung von
Abtreibungen, aber auch das Aufbegehren der Rechten gegen das
„Gendermainstreaming“ (die Integration der Gendergleichstellungsperspektive in
politische Prozesse, wie von der Weltfrauenkonferenz in Nairobi 1985
festgelegt).

Dadurch kam es auch zu vermehrten gewalttätigen und
sexualisierten Angriffen auf Frauen sowie auch auf die körperliche und sexuelle
Selbstbestimmung. So erleben auch mehr Frauen Gewalt in Beziehungen als Männer
und werden auch häufiger von ihrem (Ex-)Partner ermordet. Voruntersuchungen zu
einer Studie der WHO zeigen, dass 35 % der weltweiten Morde an
Frauen von Intimpartnern begangen werden, aber nur 5 % aller Morde an
Männern von ihren Partnerinnen. Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für
Frauenbefreiung

Gemeinsamer Kampf gegen Ausbeutung und für Frauenbefreiung

Die Auswirkung der Krise, die Ausbeutung der Arbeiter_Innenklasse
und die Unterdrückung der Frau stehen also in einem engen Verhältnis zueinander
und bedingen sich teils gegenseitig. Um genug Widerstand aufbauen zu können,
ist es daher wichtig, auch die männlichen Proletarier für den Kampf zur
vollständigen Frauenbefreiung zu gewinnen. Gegen die kommende Krise muss sich
die Gesamtklasse in Stellung bringen, ein revolutionäres Antikrisenprogramm
annehmen. Um unsere Stärke und Fähigkeit zu steigern, müssen wir in alle
ökonomischen und sozialen Kämpfe intervenieren, um ihre Vorhut für unsere
Reihen zu gewinnen. Dieses Aktionsprogramm muss auch Antworten auf das Rollback
gegen die Rechte der arbeitenden Frauen geben.

Gleichzeitig muss es aber eigene Strukturen (sog. Caucuses)
innerhalb der Arbeiter_Innenbewegung (z. B. in Gewerkschaften) für Frauen
geben, da sie einer doppelten Unterdrückung und spezifischen Formen
sexistischer Diskriminierung unterliegen Das Gleiche trifft auf ebenso auf
andere Unterdrückte (Jugendliche, MigrantInnen usw.) zu. Denn so revolutionär
eine Bewegung oder eine Partei auch sein mag, niemand ist frei von im
Kapitalismus erlernten Unterdrückungsmechanismen und auch in den eigenen
Strukturen müssen diese diskutiert und bekämpft werden.

 Dennoch kann
aber nur ein gemeinsamer internationaler Kampf der gesamten
Arbeiter_Innenklasse für eine Befreiung aller Unterdrückten sorgen, der sich
gegen den Kapitalismus stellt und für eine sozialistische Revolution eintritt,
da die Abschaffung der unbezahlten Reproduktionsarbeit, welche unüberwindbar
mit dem Kapitalismus vereint ist, ihre vollständige Sozialisierung und
Aufteilung auf alle Geschlechter im Interesse der gesamten ArbeiterInnenschaft
liegt, auch wenn unterm Kapitalismus ihr weiblicher Teil jene weit überwiegend
verrichtet.

Wir als Marxist_Innen treten daher für eine internationale
multi-ethnische, proletarische Frauenbewegung ein mit dem Recht auf gesonderte
Treffen in Arbeiter_Innenorganisationen wie Gewerkschaften. Deshalb müssen
diese auch massiv unter den prekär Beschäftigten rekrutieren und dürfen sich
nicht auf die Verteidigung der relativ privilegierten, ausgebildeten und
sicherer beschäftigten (arbeiter_innenaristokratischen) Schichten beschränken.

Daher fordern wir:

  • Gleiche Rechte für Frauen bei Wahlen, auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungswesen, an allen öffentlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten teilzunehmen!
  • Für ein Programm gemeinnütziger öffentlicher Arbeiten mit Vollzeitstellen und auskömmlichen Tariflöhnen für Frauen, bezahlt aus Unternehmerprofiten und Vermögensbesitz!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Mindestlohn für alle Frauen, um ein Mindesteinkommen zu sichern, das die Reproduktionskosten deckt und ein Leben ohne Abhängigkeit vom (männlichen) Partner erlaubt!
  • Arbeitsschutz in allen Produktionsstätten! Für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, wo es bisher verboten ist!
  • My Body, my Choice: Für das vollständige Recht auf Abtreibung ohne Fristen und Mindestalter, sexuelle Selbstbestimmung und das Prinzip des sexuellen Konsenses! Zugang zu kostenlosen Verhütungsmitteln!
  • Kostenloser Zugang zu Gesundheitsversorgung, Pflegeeinrichtungen, Krankenversorgung und gesicherte Renten für alle Frauen! Wir fordern kostenlose und bedarfsorientierte Kinderbetreuung, öffentliche Kantinen und Wäschereien – um eine gesellschaftliche Gleichverteilung der Reproduktionsarbeiten auf alle Geschlechter sicherzustellen!
  • Um Frauen aufgrund ihrer Doppelbelastung durch Erwerbstätigkeit und Reproduktionsarbeit eine politische Teilnahme zu erleichtern, treten wir zudem für eine Vergesellschaftung sämtlicher Haushalts-, Sorge- und Reproduktionsarbeiten ein!
  • Recht auf Scheidung auf Wunsch! Ausbau und Sicherstellung von Schutzräumen für Frauen (wie z. B. Frauenhäuser)!
  • Kostenlose, kollektive Selbstverteidigungsstrukturen, um es Frauen zu ermöglichen, sich selbst vor Übergriffen zu schützen, unterstützt von Frauen- und Arbeiter_Innenbewegung!



Politisch streiken – aber wie?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

In den letzten zwei Jahren haben millionenstarke
Frauenstreiks ein großes Potential für den Kampf um Frauenbefreiung aufgezeigt.
Die Arbeitsniederlegungen im produktiven und reproduktiven Bereich richten den
politischen Fokus auf die Ungleichheit der geschlechtlichen Arbeitsteilung,
welche die materiellen Grundlage für sexistische Ungerechtigkeit und
Unterdrückung darstellt. Gleichzeitig kann der ökonomische Stillstand, der bei
einem Streik angerichtet wird, den nötigen Druck erzeugen, damit die
frauenpolitischen Forderungen auch ernst genommen und letztlich durchgesetzt
werden. Doch die internationale Frauenbewegung hat diese proletarische
Strategie noch nicht bewusst angenommen und verallgemeinert. Dazu braucht es
nicht nur positive Bezugspunkte wie die Mobilisierungen in Spanien oder der
Schweiz, sondern Organisation, Know-how und einen Kampf gegen andere, falsche
Strategien.

Bündnispolitik

Ein Streik ist im Normalfall kein spontanes Ereignis. Obwohl
der Unmut über Missstände schon hoch sein mag, braucht es Strukturen, die ihn
organisieren. Jene Kräfte, die bereit sind, einen Frauenstreik zu organisieren,
müssen gesammelt werden. In der Regel sind das schon bestehende Organisationen
der radikalen Linken oder der Frauenbewegung, aber auch eine Hand voll Einzelpersonen
kann ein Komitee für die Organisierung des Streiks gründen und den Stein ins
Rollen bringen. Kanäle wie soziale Medien müssen genutzt werden, um die
Organisation auf eine kräftigere Grundlage zu stellen. Für die Mobilisierung
braucht es klare und radikale Forderungen wie etwa eine Arbeitszeitverkürzung,
die demokratisch bestimmt werden sollten und für die die beteiligten Kräfte
frei nach innen und außen werben können. Dabei muss auch sehr gut abgewogen
werden, welche in den Vordergrund gestellt und wie sie formuliert werden
können, damit sie die bestmögliche Wirkung auf das politische Bewusstsein der
Zielgruppen haben werden.

Basisorganisierung

Zentral ist es lohnabhängige, aber auch erwerbslose Frauen und
Männer für den Streik zu gewinnen. Dazu eignet sich der Aufbau von
Aktionskomitees auf regionaler sowie betrieblicher Ebene bzw. in der
Ausbildungsstätte. In diesen Komitees organisieren sich Aktivist*innen, um
gemeinsame Aktivitäten für die Mobilisierung zu planen. Darüber hinaus sollten
eigene Forderungen diskutiert und in die Bewegung getragen werden. Sie müssen als
politische im Interesse der gesamten Arbeiter*innenklasse formuliert werden,
die also nicht auf einzelne Branchen beschränkt bleiben. Als Ausgangspunkt zum
politischen Ziel der Aufhebung der geschlechtlichen gesellschaftlichen Arbeitsteilung,
der Sozialisierung der Haus- und Sorgearbeit kann z. B. die nach einer gesetzlichen
Mindeststellenbesetzung in der Pflege dienen, wie in Deutschland aufgestellt. Die
überregionale Vernetzung mittels wähl- und abwählbarer Delegierter ermöglicht
den Aufbau von demokratischer Kontrolle über die Bewegung selbst und in
weiterer Folge von Gegenmacht gegenüber den bürokratischen staatlichen
Institutionen, über welche die herrschende Klasse ihre Interessen sichert. Das
ist auch kein Widerspruch zu einer Bündnispolitik von politischen
Organisationen. Aktionskomitees können solche Bündnisse ergänzen oder im besten
Fall der Ausdruck einer demokratisch organisierten Bewegung sein.

Rolle der Gewerkschaften

Ein wesentlicher Erfolg von bisherigen Frauenstreiks war die
Unterstützung durch Gewerkschaften in der Schweiz und in Spanien. Wenn diese
Organisationen, die oft einen großen Anteil der lohnabhängigen Bevölkerung
organisieren, für kämpferische Massenaktionen gewonnen werden können und die
Mobilisierungen dafür ernst nehmen, dann hat das eine sehr große Wirkung. Viele
Gewerkschaften haben auch frauenpolitische Abteilungen, die natürlich eine
Anlaufstelle für die Mobilisierung sein können und wo sich womöglich auch
schneller Unterstützer*innen finden lassen. Das Problem ist aber, dass die
großen, reformistischen Gewerkschaften von einer konservativen Bürokratie
geführt werden, die radikale Aktionen und die Einbeziehung der Massen mehr
fürchten als fördern. Dies gilt für alle Gewerkschaften, die nicht von einer
revolutionären Arbeiter*innenpartei geführt werden. Die reformistischen
Parteien, die oft über großen Einfluss in den Gewerkschaften verfügen, haben
längst ihren Frieden mit dem kapitalistischen System gemacht und verteidigen es
letzten Endes gegen einen Ansturm durch die Lohnabhängigen. Dies gilt auch für
reine Gewerkschaftspolitik, die sich nicht den Sturz des Kapitalismus auf die
Fahnen geschrieben hat. Wir können uns also weder auf sie verlassen noch auf
den Erfolg vehementer Aufforderungen hoffen, sondern müssen mit
Basisorganisationen ein Gegengewicht zur abgehobenen Stellvertretungspolitik
schaffen. Diesen Zweck können die schon angesprochenen Aktionskomitees zum Teil
erfüllen, sie müssen sich dafür aber bewusst auch auf die Gewerkschaften
ausrichten. Letztlich muss eine antibürokratische Gewerkschaftsopposition aber
eigenständige Strukturen aufbauen, denn der Kampf gegen die reformistische
Bürokratie ist allgemeiner als der für eine bestimmte politische Mobilisierung.

Proletarische Strategie

Wenn alle für einen starken Frauenstreik eintreten und eine
proletarische Frauenbewegung aufbauen wollen würden, dann müssten wir die Frage
nach der Umsetzung eines Streiks gar nicht so genau diskutieren. Aber so ist es
leider nicht. Gerade auch im Feminismus gibt es bürgerliche und
kleinbürgerliche Kräfte, die ganz andere Strategien als Sozialist*innen
verfolgen und die die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse
für die politischen Anliegen der Frauen sogar ablehnen. Oft beschränken sich
diese Kräfte auf Forderungen wie Quoten in politischen Ämtern oder in
Unternehmen, den ideologischen Kampf gegen Alltagssexismus oder eine
gendergerechte Sprache, die dann von sozialliberalen Parteien umgesetzt werden
sollen. Eine solche Politik hemmt natürlich die eigenständige Aktion der
Ausgebeuteten und Unterdrückten und muss daher natürlich auch bekämpft werden. So
wurde z. B. in den verschiedenen feministischen Bündnissen für den
letztjährigen Frauenstreik in Deutschland zwar eine Liste unterstützenswerter
Forderungen aufgestellt, aber über die Frage, wie ein Streik der gesamten
Klasse gegen die Paragraphen zustande kommen kann, der auch den Namen verdient,
kaum diskutiert. Debatten um Einbezug der Gewerkschaften und der Männer waren also
von untergeordneter Bedeutung.

Es geht also nicht nur um einzelne Forderungen, sondern um
eine zusammenhängende proletarische Strategie, die ihren klarsten Ausdruck in
einem kommunistischen Übergangsprogramm findet. Darin stellt sich der Kampf für
Frauenbefreiung und gegen Sexismus als integraler Teil des allgemeinen
Klassenkampfs der gesamten Arbeiter*innenklasse dar, unabhängig von Geschlecht,
Identität oder Herkunft. Deswegen halten wir es zum Beispiel auch für einen
Fehler, wenn von feministischen Organisationen bei frauenpolitischen Aktionen
der Ausschluss von Männern gefordert wird. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung
und die ganze sexistische Ideologie geht unsere männlichen Genossen genau so
etwas an. Aber unsere Genossinnen sollten ganz klar im Vordergrund eines
Frauenstreiks stehen.




Frauenkämpfe 2019

Nahid, Revolution Österreich, Fight, Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, März 2020

Der internationale Frauenstreik zog zuerst im Jahr 2018 Aufmerksamkeit
auf sich, als sich in Spanien mehr als 5,3 Millionen Menschen daran beteiligten
unter dem Motto: „Wenn die Frauen streiken, dann steht die Welt still“. Seit
2017 ist der Internationale Frauentag zu einem bedeutenden Tag weltweiter
Mobilisierungen geworden, der Hunderttausende auf die Straßen bringt, um gegen
Frauenunterdrückung und die Auswüchse des kapitalistischen Systems zu
protestieren.

Frauenbewegungen in verschiedenen Ländern nehmen
verschiedene Formen in Reaktion auf besondere politische Zustände an. In den
USA richtet sich der jährliche stattfindende Women’s March insbesondere gegen
die frauenfeindliche und nationalistische Politik von Donald Trump. Die
Kampagne für ein Referendum gegen das Abtreibungsgesetz in der Republik Irland mündete
in einer teilweisen Entkriminalisierung des Gesetzes und mobilisierte auch
zahlreiche Frauen. In Indien protestierten muslimische Frauen gegen den
antimuslimischen Rassismus der Modi-Regierung und begannen so auch mit dem
Aufbau einer Frauenbewegung.

Der letztjährige Internationale Frauentag in der Schweiz
erlebte die größte nationale Mobilisierung mit über einer halben Million
Menschen, die sich beteiligten (in einem Land mit weniger als 9 Millionen
EinwohnerInnen). Die größte Demonstration fand in Zürich mit 160.000 Menschen
statt. Der Schweizer Frauenstreik wurde vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund
(SGB) ausgerufen, aber auch in den ländlicheren, gewerkschaftlich schlechter
organisierten Teilen des Landes, war die Beteiligung gut wie v. a. unter Bäuerinnen.

Die Forderungen trugen den Titel „Lohn. Zeit. Respekt.“ und richteten
den Fokus auf Gleichberechtigung der Geschlechter am Arbeitsplatz mit Betonung
auf der doppelten Bürde für Lohnarbeiterinnen, die überdurchschnittlich für
unbezahlte Care-Arbeit verantwortlich sind. Die Streiks kombinierten politische
mit wirtschaftlichen Forderungen, verlangten ein Ende mit Sexismus, sexueller
Belästigung und Lohnungleichheit (z. Zt. durchschnittlich 19,6 %).

Die Frauenstreikbewegung war besonders in Lateinamerika erfolgreich
mit Beteiligung von hunderttausenden Frauen. Gewalt an Frauen und Femizide sind
in Lateinamerika ein großes gesellschaftliches Problem. Laut UN befinden sich
dort 14 der 24 Staaten mit der höchsten Mordrate an Frauen. Die ursprünglich in
Argentinien begründete Bewegung „Ni Una Menos“ (Nicht Eine Weniger) feierte 2019
ihren fünften Jahrestag. Längst hat sie Landesgrenzen überwunden und
mobilisiert weiterhin Frauen in ganz Lateinamerika zu Streiks und Aktionen
gegen geschlechtsspezifische Gewalt.

Auch abseits von Bewegungen auf der Straße wird kreativ und mit
Erfolg versucht, auf die katastrophale Situation von Frauen aufmerksam zu
machen. Z. B. führte die Performance „Der Vergewaltiger bist du“, die von
der chilenischen Gruppe „Las Tesis” entwickelt wurde, zu einer internationalen
Bewegung. Mit Tanz und Sprache stellt sich das Prokekt gegen Vergewaltigung,
Mord, Missbrauch und Täter-Opfer-Umkehr. Die Choreografie kritisierte auch die
repressive Politik der Regierung von Präsident Sebastián Piñera und warf ein Schlaglicht auf die
Auswirkungen staatlicher Gewalt und Kontrolle gegen Frauen. Nachdem das Video
dieser Performance viral gegangen war, führten KampagnenaktivistInnen sie
weltweit erneut auf, darunter in London, Paris, Mexiko-Stadt, Berlin, Wien und sogar
in Istanbul.

Das Jahr 2019 erlebte Frauen, die sich gegen die
herrschenden Zustände von Unterdrückung und Gewalt auf der ganzen Welt auflehnen.
Im Jahr 2020 drohen eine lauernde Rezession und sich verschärfende nationale
Polarisierung, weitere politische und ökonomische Angriffe auf Frauen mit sich
zu führen. Frauenbewegungen werden sicherlich gute Chancen auf Wachstum haben.