Ampel auf Rot: Nachsitzen fürs Heizungsgesetz

Jürgen Roth, Infomail 1228, 23. Juli 2023

Am späten Mittwochabend des 5. Juli 2023 hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem Eilantrag des CDU-MdB Thomas Heilmann stattgegeben. So kann der Bundestag erst nach der Sommerpause mit der 2. und 3. Lesung beginnen. In der 1. Sitzungswoche ab 4. September, in der auch über den Bundeshaushalt beraten werden soll, ist die Gebäudeenergienovelle angesetzt. Die Schlussberatung im Bundesrat könnte am 29. September stattfinden.

Kritik am Hauruckverfahren

Heilmann erklärte, er wolle der Ampel einen „Gefallen“ erweisen. Wenn das Gesetzgebungsverfahren nicht ordentlich ablaufe, entstehe die Gefahr, ein formal verfassungswidriges Gesetz zu beschließen. Die Koalition wollte das umstrittene Gebäudeenergiegesetz (GEG) unbedingt vor der Sommerpause durch den Bundestag bringen. Trotz Zustimmung im Kabinett Mitte Mai war man sich über wichtige Gesetzesteile nicht einig, worauf es zu wochenlangen Verzögerungen kam. Nicht nur die parlamentarische Rechte begrüßte die einstweilige Anordnung des BVerfG. Für den Co-Vorsitzenden der Linksfraktion, Dietmar Bartsch, stellt der Karlsruher Richterspruch einen „Schuss vor den Bug“ der Regierung dar, ohne zu vergessen, darauf hinzuweisen, dass auch die Große Koalition regelmäßig im Hauruckverfahren Gesetze durch den Bundestag zu peitschen.

Auch der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, kritisierte, dass im Vorfeld trotz geplanter Mietrechtsänderung nicht einmal der Rechtsausschuss angehört wurde. Die Ampel hatte sich verzockt und steht nun einstweilen auf Rot.

Kommunale Wärmeplanung

Von den rund 41 Mio. Haushalten heizt jeder 2. mit Erdgas und ein weiteres Viertel mit Heizöl. Das Gesetz besagt im Kern, dass künftig nur noch Heizungen eingebaut werden dürfen, die auf Dauer zu mindestens 65 % mit erneuerbaren Energien (EE) betrieben werden können. Doch das soll ab 2024 unmittelbar erst einmal nur für Neubaugebiete gelten.

Für Bestandsbauten soll eine verpflichtende kommunale Wärmeplanung den Dreh- und Angelpunkt bilden: Für Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohner:innen soll diese ab 2026 und für die restlichen mit mehr als 10.000 Einwohner:innen ab 2028 vorliegen. Kommunen unter 10.000 Einwohner:innen brauchen das nicht zu tun. Ab August 2024 soll das GEG Anwendung finden. Diese Regelung soll also die Frage beantworten: Wo macht eine Wärmepumpe Sinn, wo der Anschluss an ein Nah- bzw. Fernwärmenetz, wo an ein Gas- oder Wasserstoffnetz?

Was kommt auf die Hausbesitzer:innen zu?

Wie lange dürfen sie ihre alte Gas- oder Ölheizung noch nutzen? Funktionierende müssen nicht ausgetauscht werden, auch wenn noch keine kommunale Wärmeplanung vorliegt. Unter bestimmten Bedingungen und mit zahlreichen Ausnahmen müssen nur Anlagen ausgetauscht werden, die älter als 30 Jahre sind.

Darf künftig überhaupt noch eine Gas- oder Ölheizung eingebaut werden? Grundsätzlich ja, aber wieder mit Ausnahmen. Wer seine nach dem 1. Januar 2024 auswechseln will, soll eine verpflichtende Beratung bekommen, um angesichts steigender CO2-Bepreisung auf eine mögliche Kostenfalle bei Nutzung fossiler Energieträger hinzuweisen. Bis zur Vorlage einer Wärmeplanung können auf Wasserstoff umrüstbare Gasheizungen eingebaut werden. Ist aber dann in der Kommune kein Wasserstoffnetz vorgesehen, gelten schrittweise Vorgaben zur Beimischung klimaneutraler Gase wie Biomethan (ab 2029 mind. 15 %, ab 2035 30 %, ab 2040 60 %. Biomasseheizungen (z. B. mit Holzpellets) sollen uneingeschränkt in Alt- wie Neubauten betrieben werden dürfen. In Neubaugebieten müssen unabhängig von der Wärmeplanung auf Wasserstoff umrüstbare und mit EE-Pflichtanteil betreibbare Gasheizungen installiert werden.

Ist die Heizung irreparabel kaputt, gibt es Übergangsfristen von 5 Jahren für neue Heizungen, die nicht die Anforderungen von 65 %-EE-Anteil erfüllen. Nach Fristablauf soll man sich auf Basis kommunaler Wärmeplanung für eine passende klimafreundliche Heizung entscheiden.

Entfallen ist aus verfassungsrechtlichen Gründen die Sonderregel für Eigentümer:innen von Gebäuden mit bis zu 6 Mietwohnungen, die älter als 80 Jahre sind, im Fall einer nicht mehr reparierbaren Heizung nicht eine solche mit 65 % Ökoanteil einbauen zu müssen. Härtefälle müssen gesondert geltend gemacht werden. Zinsverbilligte Darlehen soll es über ein KfW-Programm geben.

Einkommensunabhängig soll es einen einheitlichen Fördersatz von 30 % geben, für solche mit einem zu versteuernden Einkommen von unter 40.000 Euro zusätzlich 30 %. Zudem ist ein „Geschwindigkeitsbonus“ von 20 % geplant, der ab 2028 alle 2 Jahre um 3 Prozentpunkte sinken wird. Der Fördersatz wird aber bei 70 % gedeckelt. Unklar bleibt bisher noch, wo die Fördermittel beantragt werden können und ob sie auch für moderne Gas- und Ölheizungen fließen.

Was kommt auf die Mieter:innen zu?

Auf die Mieter:innen in solchen Gebäuden kommt also eine Modernisierungsumlage zu. Sie sollen vor stark steigenden Mieten geschützt werden, aber gleichzeitig die Vermieter:innen Anreize bekommen, in klimafreundliche Heizungen zu investieren. Die Modernisierungsumlage beträgt 8 %/Jahr und fällt „natürlich“ auch nach Amortisation der Anlage weiter an. Sie kann auf 10 %/Jahr steigen, wenn die Vermieter:innen staatliche Förderung in Anspruch nehmen und diese Summe von den umlegbaren Kosten abziehen.

Die maximale Mieterhöhung pro Quadratmeter und Monat soll bei 50 Cent gekappt werden. Doch gilt diese Deckelung nur für 6 Jahre, unabhängig von der Inanspruchnahme staatlicher Fördermittel. Steigt die Miete dadurch auf mehr als 30 % des verfügbaren Haushaltseinkommens, soll nur eine beschränkte Umlagefähigkeit gelten. Mieterhöhungen wegen Heizungsaustausches sollen bei Indexmieten ausgeschlossen sein.

Sebastian Bartels bemängelt, dass im Gegensatz zur früheren Vorlage Energiekosten auf die Mieter:innen abgewälzt werden, die einen bestimmten Durchschnittswert übersteigen, z. B. bei Heizungen mit Biogas oder Wasserstoff. Berechtigt ist ferner sein Ärger darüber, dass Vermieter:innen Fördermittel, die sie nicht beantragt haben, nicht von der Modernisierungsumlage abziehen müssen.

Viele werden die Gelegenheit des Heizungsaustauschs auch nutzen, um zusätzliche Modernisierungsmaßnahmen durchzuführen, was dann wieder zu Kostenbelastungen von bis zu 3 Euro pro qm und Monat führe, so Bartels – um nach 6 Jahren weiter zuzunehmen. Manch ein/e Vermieter:in würde die Heizung angesichts der unklaren Planungslage innerhalb weniger Jahre auch zweimal austauschen, wenn er/sie sich verkalkuliert hat. Die wenigsten Mieter:innen wissen darüber hinaus, dass ein Härtegrund spätestens einen Monat nach Erhalt einer Modernisierungsankündigung geltend gemacht werden muss, z. B. wenn dadurch bedingt die Miete auf mehr als 30 % des Monatseinkommens steigt.

Ampelkoalition schönt eigene Klimabilanz

Kein Wunder also, dass es bei derart intransparenten und komplizierten Regelungen und gleichzeitigem Mangel an kollektiven Umbauplänen (siehe dazu auch: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/07/10/gebaeudeenergiegesetz-zieht-euch-warm-an/) die rechte Opposition Wasser auf ihre Mühlen bekommt. Zudem stockt das, was hierzulande als Energiewende schöngeredet wird. Sie endet in der Steckdose und auch hier fließt v. a. Schwachstrom. Zur Halbzeit der Bundesregierungsperiode kommt die Stromwende zwar etwas schneller voran, der Ausbau von Wind- und Solarenergie genießt jetzt den rechtlichen Vorrang eines öffentlichen Interesses. In diesem Jahr werden 10.000 MW Photovoltaik ans Netz gebracht, doppelt so viel wie 2021. 4.000 MW Windkraft kommen hinzu, zwei Drittel mehr als im letzten Jahr. Doch die hier nötigen 10.000 MW liegen in weiter Ferne.

Noch schlimmer steht es um die Reform des Klimaschutzgesetzes. Die Koalition gibt de facto die Emissionsminderungsziele für die Sektoren Verkehr und Gebäude auf. Sehr zum berechtigten Verdruss von Fridays for Future und Umweltverbänden weigerten sich Verkehrs- und Bauressort, ein Programm vorzulegen, nachdem der von der Bundesregierung einberufene Klimaexpert:innenrat bereits im April moniert hatte, dass die Emissionsvorgaben dort für 2022 verfehlt wurden. Eigentlich sieht das geltende Klimaschutzgesetz vor, dass ein Plan zwecks Lückenschluss vorgelegt werden muss. Diese Frist lief am Montag, den 17. Juli 2023, ab. Mit der vom Bundeskabinett im Juni beschlossenen Novelle des Klimaschutzgesetzes und den Maßnahmen im Entwurf zum „Klimaschutzprogramm 2023“ sei diese Pflicht wegen Überschreitung in den Vorjahren entfallen, so die Minister:innen Geywitz und Wissing unisono.

Nicht einmal 70 % der Emissionsvorgaben sind durch beschlossene Maßnahmen einigermaßen gesichert. Im letzten Monat wurde das GEG fast neu geschrieben. So wurde die Lebensdauer fossiler Heizungen um Jahre verlängert. Ferner sind zu erwähnen: der LNG-Boom – klimatisch bedenklicher als Braunkohle –, Tausende MW geplanter Backupkraftwerke für das zukünftige Stromsystem (ohne vernünftige Netzstruktur und Speicherkapazitäten), der Trick mit den wasserstofffähigen Heizungen, die auf Jahre ebenso wie die Elektrizitätswerke mit Erdgas statt grünem Wasserstoff laufen dürften. Diese Marktanarchie wird von Rot-Grün-Gelb gefördert, nicht die ökologisch sinnvolle Überbrückbarkeit der Zeit, in der die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Der Unsinn des Handels mit Strom an der Leipziger Warenterminbörse wird darüber hinaus den enormen Zuwachs beim Solarstrom konterkarieren, wenn sonnige Tage den Strompreis auf null drücken.

Versagen fördert rechten Diskurs: Bundesregierung und DIE LINKE

Die Debatte ums sogenannte Heizungsgesetz bildet ein Muster dafür, wie ökologisch unzureichendes Tun auf rechts gedreht wird. Im dieses Frühjahr durchgesickerten Referent:innenentwurf war nicht geklärt, wie die Förderung der Eigenheimbesitzer:innen aussehen sollte, noch weniger die Entlastung der Mieter:innen. Es wurde der Eindruck erweckt, Heizen mit Öl und Gas werde ab 2024 verboten. Selbst führende Mitglieder der Linkspartei fielen in den Tenor der AfD, Union und Springerpresse vom „Heizungsdiktat“ ein. Diesen ging es im Grunde darum, eine Klimapolitik anzugreifen, die auf Verbote und Ordnungspolitik setzt. Mit Erfolg! Klima- und sozialpolitisch wurde das GEG entkernt bzw. bleibt weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Habecks Gesetz sah klimafreundlichere Heizungen vor, hätte aber via Modernisierungsumlagen die Mieten hochgetrieben. Eigentümer:innen sollten begrenzt bezuschusst werden. Neoliberaler Alltag mit grün-roter Sozialtünche. Den Klassenkampf von oben verschärfte die Rechte inkl. FDP. Ihre Empörungskampagne stand ganz im Zeichen der lukrativen Gasindustrie. Die Grünen geraten hier zur Zielscheibe, nicht weil sie eine offen bürgerliche Partei sind, sondern als Symbol für alles Progressive. Sämtliche Talkshows, in denen erhitzte Gemüter mehr oder weniger künstlichen Dampf ablassen konnten, laberten an Kernkonflikten wie Kostenverteilung und Industrieprofiten vorbei. Auch Mitglieder der LINKEN entblödeten sich nicht, sich unterm Deckmantel des Mieter:innenschutzes mit den fossilen Kräften gegen die Grünen zu verbünden.

DIE LINKE stand in dieser wichtigen Debatte mal wieder am Spielfeldrand. Dabei wäre, Sozial- und Klimapolitik miteinander zu verknüpfen, ein Leichtes gewesen.

Während das Motto der selbsternannten Fortschrittskoalition bestenfalls „Unser Kapitalismus muss grüner werden“ lautet, beschränkte sich die Linkspartei auf Kritteleien in puncto soziale Flankierung des Heizungsaustauschs und Mieter:innenschutz. Kollektive und erschwingliche Lösungen wie massiver Ausbau und Verstaatlichung der (Wärme-)Netze; Verbot, mit Wärme Profit zu machen, das sucht man bei ihr vergebens mit Ausnahme einiger Einzelpersonen. Demgegenüber treten wir ein:

Für eine sozialistische Wärmewende!

Statt über Marktanreize einen Übergang ungeplant und unkoordiniert vor sich hinlaufen zu lassen und die Verantwortung fast vollständig auf die Immobilienbesitzer:innen zu übertragen, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Plan für eine echte Wärmeverbrauchsreduktion als Teil einer integrierten Energiewende aller Sektoren. Statt Ausschüttung von Direktinvestitionen mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem bürokratischen Aufwand braucht es eine Finanzierung durch progressive Besteuerung aller Einkünfte.

In einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland drängt sich an erster Stelle der verpflichtende Ausbau von kommunalen Fernwärmenetzen auf. Wo dies sich gesamtgesellschaftlich nicht rechnet, bieten sich individuelle Lösungen an wie Wärmepumpen, aber auch Solarthermie (Erzeugung von Wärme im Unterschied zur Photovoltaik, die Strom aus Sonnenenergie erzeugt). Ausbau von Fernwärme im Verbund mit kommunalen Wasserspeichern (Brauch- und Trinkwasser getrennt!) genießt darüber hinaus den Vorteil, dass die Abwärme aller Sektoren genutzt werden (Anschlusszwang, Wärmetauschanlagen) sowie Wasserheizung mit überschüssigem erneuerbaren Strom erfolgen kann – jedenfalls vorrangig vor seinen anderen möglichen Speicherarten (chemisch, Druckluft).

Natürlich muss dieser Plan Hand in Hand gehen mit Ausbau der Stromnetze und -speicher, Kollektivierung des Verkehrs (ÖPNV, kommunale Taxis) und seiner Umstellung auf erneuerbare Energien (Stromleitung, Biomethan). Schließlich gelingt die Wärme- ebenso wie die Energiewende nur, wenn die Netzbetreiber:innen und Stromproduzent:innen sowie fossilen Großkonzerne entschädigungslos enteignet werden und auch wie jene Immobilienbesitzer:innen, die sich Anschlusszwang und Erneuerung widersetzen. Das gilt auch für Firmen der Bau- und Ausrüstungsindustrie, die die Umsetzung dieses Plans, aus nicht technisch bedingten Gründen, unnötig verzögern.




Gebäudeenergiegesetz: Zieht euch warm an!

Jürgen Roth, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Das vom Bundestag noch zu verabschiedende Gesetz bewegt die Republik wie selten ein zweites. In diesem Artikel wollen wir den Charakter dieser Debatten ebenso beleuchten wie die Konturen des Gesetzentwurfs. Schließlich skizzieren wir eine grundlegende Alternative, die sich sowohl über die Grenzen der bisherigen Diskussion als auch über den Dschungel aus Förderungen und Subventionen, Marktwirtschaft und Ordnungspolitik zu erheben versucht, der in breiten Kreisen der Bevölkerung durch seine Intransparenz Unverständnis, Ratlosigkeit, Angst und Wut auslöst.

Primärenergieverbrauch nach Sektoren

Zwischen 2010 und 2020 sanken in der BRD die Treibhausgasemissionen in Mio. t CO2-Äquivalenten von 932 auf 731, um zwischen 2020 und 2022 wieder auf 746 anzusteigen. Lt. Klimaschutzgesetz sollen sie bis 2030 auf 440 fallen.

Gliedern wir den Verbrauch und den Anteil erneuerbarer Energien im Jahr 2022 nach Sektoren auf, so ergeben sich für den Bruttostromverbrauch 550 Mrd. kWh, davon stammen 46,2 % aus erneuerbaren Energien. Der Endenergieverbrauch im Verkehrssektor beläuft sich auf 597 Mrd. kWh, der Anteil der Erneuerbaren beträgt 6,8 %, der für Wärme (und Kälte!) 1.155 Mrd. kWh, bei einem Anteil von 17,4 % aus Erneuerbaren. Somit verbraucht dieser Sektor mehr Primärenergie als die beiden anderen zusammen und ist der mit dem zweitniedrigsten Anteil an erneuerbaren Energien.

Es hört sich also gut an, dass die Bundesregierung den Anteil erneuerbarer Energien bei Gebäuden erhöhen will. Allerdings spart die Gesetzesvorlage klassenpolitisch selbstverständlich im letzten Sektor Industrie, Handel und Dienstleistungen aus und beschränkt sich auf Immobilien- und Wohnungseigentum.

Von den 41 Mio. deutschen Haushalten werden 80 % derzeit mit fossilen Energieträgern beheizt: fast die Hälfte mit Erdgas, 25 % mit Öl und 14 % mit Fernwärme. Richtig angepackte Umgestaltung vorausgesetzt, könnte das Stiefkind Wohnungssektor also durchaus einen merklichen Beitrag zur Klimaneutralität leisten. Doch dazu müsste das Gebäudeenergiegesetz vernünftig konzipiert sein.

Konturen

Ursprünglich sollte der Gebäudesektor erst 2025 gesetzlich erfasst werden. Dies wurde nun auf 2024 vorgezogen. Die „Wärmewende“ beinhaltet, dass ab diesem Jahr Heizungen, die bis 1991 installiert wurden, gegen neue ausgetauscht werden müssen, die zu mind. 65 % mit erneuerbarer Energie betrieben werden, also z. B. mit Wärmepumpen, die Zugang zur Erdwärme verschaffen (geothermisches Prinzip). Bis 2045 sollen dann alle Heizungen diese Auflagen erfüllen und ansonsten ausgetauscht werden.

Eigentlich müssten ab nächstem Jahr 4 Mio. neue Heizungen eingebaut werden, aufgrund zahlreicher Ausnahmen sind es aber „nur“ hunderttausende. Auch hybride Systeme dürfen benutzt werden wie neue Erdgasheizungen, die vielleicht irgendwann später auch mit Wasserstoff betrieben werden können. Ökologisch gesehen ist der Einsatz von Wasserstoff, selbst wenn er „grün“ erzeugt werden sollte, für Verbrennungszwecke jedoch ziemlicher Unsinn. Aber das stört ja nicht, wenn ein Teil der deutschen Energieindustrie und des Finanzkapitals Rieseninvestitionen in die „Wasserstoffstrategie“ plant und tätigt.

Heilige Kuh Privateigentum

Ende 2020 existierten in der Bundesrepublik 19 Mio. Wohngebäude, davon 2/3 Einfamilienhäuser. Nur 3 Mio. beherbergten 3 und mehr Wohnungen. In Einfamilienhäusern lebten durchschnittlich 3 Personen. Diese sind auch am weitesten von ökologischer Nachhaltigkeit entfernt. Studien zeigen, dass diese erst ab einer Wohnfläche von unter 45 m² pro Kopf erreicht werden kann. Die Zersiedelung vergrößert zudem den Gegensatz zwischen Stadt und Land, verlängert Wege und damit erhöht sie den Energieverbrauch unnötig. Gebäudesanierungen an Einfamilienhäusern drosselten zudem nicht den Energieverbrauch, sondern führten zu erhöhter Innentemperatur (durchschnittlich um 2° C). Das Eigenheim ist also die ökologisch schädlichste Form des Wohnens.

Eine zukünftige sozialistische Gesellschaft wäre aus all diesen Gründen gut beraten, seine Förderung gänzlich einzustellen, auf derartige Neubauten zu verzichten und zu einer Besiedlung nach dem Clusterprinzip überzugehen. Cluster meint hier die gleichmäßige Verteilung von Industrie, Dienstleistung, Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft und Forsten sowie Freizeiterholung und Wohnen etc. Dieses Prinzip verbindet genügend Fläche für rationale Betriebsweisen mit diversen, praktisch überall leicht verfügbaren Angeboten im nahen und mittleren Bereich.

Die ökologisch schädlichste Form des Wohnungsprivateigentums beizubehalten und an ihrem Energieverbrauch herumzudoktern, ist schon Klimafrevel genug, doch wenn schon heiliges Privateigentum, dann richtig. So denken jedenfalls Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck und sein Stab. Darum setzt das Gebäudeenergiegesetz ja auch auf die kleinteilige Einzellösung Heizungstausch und die ebenso individuelle „Verantwortung“ der Immobilienbesitzer:innen. Es grünt so grün, wenn Habecks Flausen blühen! Darum ist in seiner ganzen Anlage das Gesetz weder ökologisch noch sozial.

Koalitionsklima

Auch hier waren Hitzerekorde zu verzeichnen. Kurz nach Kabinettsbeschluss kritisierte die FDP, deren Verkehrsminister Wissing dafür sorgt, dass in seinem Sektor der Anteil erneuerbarer Energien am heftigsten gedeckelt ausfällt, an der Vorlage deren „planwirtschaftliche“ Regulierungswut zu Lasten der Privaten, mangelnde Technologieoffenheit und Überforderung der Haus- und Wohnungseigentümer:innen. Zudem seien Starttermine unklar.

Ende Mai beförderte die Entlassung von Wirtschaftsstaatssekretär Graichen – ein „Amigo“ Habecks – weitere Dissonanzen. In diesen kakophonen Chor fielen dann auch die Abgeordneten Göring-Eckardt (Grüne), Kruse (FDP), der Verband kommunaler Unternehmen und die Gewerkschaft IGBCE ein. Bundesbauministerin Geywitz machte am 2. Teil des Gebäudeenergiegesetzes ein neues Fass auf und kritisierte die zu hohen Auflagen bzgl. Wärmedämmung bei Neubauten (EH40). Nicht etwa, dass sie zu Recht bemängelt hätte, dass diese Regelung die besonders sanierungsbedürftigen Bestandsbauten gänzlich außer Acht ließ, nein, sie meinte, weniger Dämmung bei Neubauten täte es auch (EH 55).

Somit stand es lange Zeit auf der Kippe, ob das Gesetz überhaupt vor der Sommerpause durchs Parlament beschlossen werden konnte. Am 13.6. einigte man sich auf Leitplanken im Kabinett, so dass ab 15.6. die 1. Lesung im Bundestag beginnen konnte.

Geywitz und Habeck hatten dann zur Abwechslung mal eine gute Idee. Sie wollen das Gebäudeenergiegesetz mit kommunaler Wärmeplanung koppeln. Aber auch diese Absicht wird von der Realität konterkariert.

Die kommunale Wärmeplanung steht nämlich lt. Umfrage des Deutschen Städtetags vielerorts noch am Anfang. Lediglich 4 % von 119 befragten Kommunen befinden sich bereits in der Umsetzung. Sie soll ab 2026 für Großstädte und ab 2028 für die restlichen Gemeinden vorliegen. Allein die Planungs- und Beratungskosten pro Gemeinde werden auf bis zu 200.000 Euro geschätzt, notwendiges zusätzliches Personal nicht mit eingerechnet. Schuldenbremser Lindner wird’s nicht freuen, aber der ist ja vielleicht dann nicht mehr zuständig. Angesichts der Klimakrise erinnert das Agieren des Kabinetts Scholz an einen Komödienstadl. Andere Länder wie Dänemark sind da Jahrzehnte weiter.

Konservative Kritik

Diese Art Kritik am Gesetz spielt insofern einen Doppelpass mit der AfD, als die Überforderung mancher Kleineigentümer:innen etwas Richtiges anspricht, weil viele durchaus der Schuh drückt. Dabei geht es nicht nur um Finanzen, sondern um undurchsichtige und bürokratische Förderungsregelungen sowie Ratlosigkeit, welche Alternativen zur alten Heizung die besseren sind. Auf Wasserstoff aus Marokko oder vom Arabischen Golf warten oder doch die teurere Wärmepumpe bestellen, die möglicherweise – es hängt ja von der verfügbaren Erdwärme ab – nichts bringt? Und wann kann das Installations- und Heizungsgewerbe überhaupt liefern?

Die zweite Hauptkomponente dieses Rechtsdiskurses – mangelnde Technologieoffenheit – haben wir oben bereits widerlegt (Wasserstoffhype). Sie stimmt schlicht und einfach nicht. Außerdem verschweigt die Klimarechte, dass die Ampelkoalition ihre „Bedenken“ im Gesetz für Klimaschutz und Planungsbeschleunigung aufnimmt, dem zufolge die geplante „Wärmewende“ mit anderen Sektoren „verrechnet“ werden kann. So steht die Förderung von 147 Autobahnprojekten ganz oben auf dem Zettel.

Linke Bedenken

DIE LINKE hebt sich diesmal wohltuend von diesem Diskurs ab. Sie weist darauf hin, dass zentrale Ungerechtigkeiten im Gesetz erst gar nicht vorkommen. Schließlich lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung zur Miete. Die Kosten für eine neue Heizung können Vermieter:innen jährlich in Höhe von 8 % auf die Miete im Rechnungsposten Modernisierungsumlage draufsatteln – abzüglich der staatlichen Förderung. Doch diese ist nicht degressiv, also sozial gestaffelt. Zudem ist es für die Eigner:innen günstiger, keine zu beantragen und sich den unsäglichen Papierkram, der überdies ein ganzes Heer staatlich Bediensteter beschäftigen wird, zu ersparen. Während nämlich die staatlichen Zuschüsse zeitlich begrenzt laufen, werden die bis zu 8 % Mietzuschlag auf Immobilienlebenszeit eingesackt und erhöhen so die Wohnungsrente.

DIE LINKE fordert also zu Recht die Abschaffung der Modernisierungsumlage, eine sozial gerechte Finanzierung und planvolles Vorgehen in Gestalt einer ökologisch sinnvollen „Wärmewende“ unter Berücksichtigung von Fernwärme. Doch eine grundsätzliche Kritik an der Energiepolitik der Bundesregierung mit ihrem ebenso skurrilen wie ineffektiven Mischmasch aus Regulierungen, neoliberaler Umverteilung von unten nach oben und populistischem Festhalten an fossilen Energieträgern unterm Deckmantel Technologieoffenheit formuliert sie nicht. Grundsätzlich hegt sie keine Einwände am Regelwerk aus Förderhöhen, Einkommensgrenzen und Mieter:innenschutzklauseln, akzeptiert Subventionen und Marktmechanismen.

Für eine sozialistische Wärmewende!

Statt über Marktanreize einen Übergang ungeplant und unkoordiniert vor sich hinlaufen zu lassen und die Verantwortung fast vollständig auf die Immobilienbesitzer:innen zu übertragen, braucht es einen gesamtgesellschaftlichen Plan für eine echte Wärmeverbrauchsreduktion als Teil einer integrierten Energiewende aller Sektoren. Statt Ausschüttung von Direktinvestitionen mit ihren Ungerechtigkeiten und ihrem bürokratischen Aufwand braucht es eine Finanzierung durch progressive Besteuerung aller Einkünfte.

In einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland drängt sich an erster Stelle der verpflichtende Ausbau von kommunalen Fernwärmenetzen auf. Wo dies sich gesamtgesellschaftlich nicht rechnet, bieten sich individuelle Lösungen an wie Wärmepumpen, aber auch Solarthermie (Erzeugung von Wärme im Unterschied zur Photovoltaik, die Strom aus Sonnenenergie erzeugt). Ausbau von Fernwärme im Verbund mit kommunalen Wasserspeichern (Brauch- und Trinkwasser getrennt!) genießt darüber hinaus den Vorteil, dass die Abwärme aller Sektoren genutzt werden (Anschlusszwang, Wärmetauschanlagen) sowie Wasserheizung mit überschüssigem erneuerbaren Strom erfolgen kann – jedenfalls vorrangig vor seinen anderen möglichen Speicherarten (chemisch, Druckluft).

Natürlich muss dieser Plan Hand in Hand gehen mit Ausbau der Stromnetze und -speicher, Kollektivierung des Verkehrs (ÖPNV, kommunale Taxis) und seiner Umstellung auf erneuerbare Energien (Stromleitung, Biomethan). Schließlich gelingt die Wärme- ebenso wenig wie die Energiewende nur, wenn die Netzbetreiber:innen und Stromproduzent:innen sowie fossilen Großkonzerne entschädigungslos enteignet werden ebenso wie jene Immobilienbesitzer:innen, die sich Anschlusszwang und Erneuerung widersetzen. Das gilt auch für Firmen der Bau- und Ausrüstungsindustrie, die die Umsetzung dieses Plans, nicht technisch bedingt, unnötig verzögern.




Komödiant:innenstadl Ampelkoalition: das Gebäudeenergiegesetz

Gerald Falke, Infomail 1226, 28. Juni 2023

Nachdem die Grünen ein Markenzeichen – die Ablehnung militärischer Mittel zur Konfliktlösung – längst abgelegt haben, sie gewissermaßen mittlerweile olivgrün geworden sind, konzentrieren sie sich auf das Thema Klimawandel. Das Gebäudeenergiegesetz (GEG) sollte den ramponierten Ruf der Ökopartei aufpolieren. Raus kam ein Rohrkrepierer.

Kosten

Immerhin kann sich eine Klasse der Gesellschaft über die Maßnahmen der Ampel freuen. Begleitend zu den mit dem GEG verbundenen Kosten erfolgte eine deutliche Senkung der Energiepreise für die Industrie.

Nachdem die durch den initiierten Wirtschaftskrieg gegen Russland verstärkte Inflationswelle eine erhebliche Verarmung der Bevölkerung erzwang, wurde jetzt auch eine finanzielle Entlastung der Industriebetriebe durchgesetzt, für deren Ausgleich letztlich wieder die Bevölkerung wird zahlen müssen. Kam also erst der Angriff auf die Einkommen und Ersparnisse durch die erhöhten Energiepreise, so wurde jetzt mit Verweis auf die international gefallenen eine weitere finanzielle Belastung ermöglicht. Solche Geschenke fördern freilich neue Begehrlichkeiten, weshalb jetzt die Wirtschaftsministerien der Länder eine weitere Senkung des Industriestrompreises von 6 auf 4 Cent pro Kilowattstunde fordern.

Das GEG, das von Beginn an heftigst kritisiert und unter dem Druck verschiedener gegensätzlicher Interessen immer wieder modifiziert wurde, gilt offenbar als so bedenklich, dass es inzwischen sogenannte „Leitplanken“ mit „angemessenen Übergangsfristen“ erhielt. In diesen Auseinandersetzungen verdeutlichte sich für die Grünen die Schwierigkeit, aus einer scheinbar klassenunabhängigen Perspektive heraus eine gesamtbürgerliche Strategie umzusetzen. Angesichts dieser erlebten realen Machtverhältnisse räumte die Fraktionschefin Britta Haßelmann vorweg noch weitere Veränderungsmöglichkeiten in den Fachausschüssen ein. Die Regierungsvorlage, die diese Woche verabschiedet wurde, unterscheidet sich kaum noch vom Entwurf der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Dennoch bemühte sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andreas Audretsch um beruhigenden Optimismus und sieht die Koalition in „neuem Schwung“.

Der Druck aus der Basis kommt mittlerweile auch eher von außen und versuchte nur noch beim Thema der europäischen Asylpolitik ein Aufständchen. Die Kritik daran erfolgte auf einem kleinen Parteitag zunächst schriftlich, dann moderat mündlich und letztlich praktisch eher unerheblich.

FDP

Die FDP zeigt sich in ihrem typischen Pragmatismus, frei nach dem Motto: Wahr ist, was mir nützt. Dazu wurde zunächst die Koalitionsvereinbarung zum GEG schlichtweg ignoriert.

Scheinbar überrascht nannte der Abgeordnete Frank Schäffler, seinerzeit Kritiker des „Eurorettungsschirms“, dieses Gesetz eine „Atombombe für unser Land“ und forderte eine grundlegende Revision nach dem Motto: „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Und der bayerische FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen sprach auch auf einer Demo in Erding gegen (!) die Heizungspläne.

Hintergrund dafür war vermutlich ein befürchtetes Absinken der Liberalen in die Bedeutungslosigkeit. Während andere Parteien ihre Größe als Druckmittel verwenden, ist es bei der FDP ihre Kleinheit. Immerhin würde aus ihrem Untergang auch der der Regierung resultieren. Damit sieht sie sich offenbar in der Position, in der Ampel eine Oppositionsrolle einzunehmen – noch dazu eine mit der Finanzhoheit. Und weil ja ohne Geld alles nichts ist, wähnt sie sich auch in der Rolle einer Regierung in der Regierung.

Nachdem die Ignoranz nicht nachhaltig wirksam war, ist die bevorzugte Technik jetzt die der Verzögerung: Wie Finanzminister Lindner den Haushalt für das nächste Jahr blockiert und fordert, dass sich die Ministerien einmal zusammenreißen sollen, so wird auch der von den Koalitionspartner:innen angestrebte Zeitplan für unhaltbar erklärt.

Für diese Unhaltbarkeit bürgt freilich vor allem die eigene Rolle. Erst wenn die an Habeck gestellten 100 Fragen beantwortet wurden, können Beratungen beginnen.

SPD

Die SPD wiederum fällt in diesem Streit durch ihre verhältnismäßige Unsichtbarkeit und ihre zwangsläufige Vermittlungsrolle auf. Gegenüber den Ansprüchen seitens der Industrie machte sich beispielsweise Olaf Lies, Wirtschaftsminister aus Niedersachsen, stark für eine staatliche Hilfe bei den Stromkosten der Wirtschaft zur Standortsicherung.

Gegenüber den kritischen Stimmen aus der übrigen Bevölkerung bemüht sich die SPD vor allem um Beschwichtigung: So schlug sie vor, das Gesetz auf Neubauten und den Austausch defekter Heizungssysteme zu beschränken. Fraktionschef Rolf Mützenich räumte zusätzlich ein, dass die Wärmepumpe auch nicht überall funktionieren werde.

Mittlerweile wurde dank der reformistischen Weitsicht auch deutlich, dass damit die Misere im Bereich der Wohnungsmieten noch drastisch verstärkt zu werden droht. Da hatte die Bundesbauministerin Klara Geywitz wohl die Dimension einer vorprogrammierten Schwierigkeit übersehen: der Modernisierungsumlage von 8 % jährlich, die den Mieter:innen auch nach Amortisation der neuen Heizung erhalten bleibt. Jetzt ereifert sich das Führungspersonal umso mehr mit einer sozial akzentuierten Haltung. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plädiert für eine sozial darstellbare Lösung und Co-Vorsitzender Lars Klingbeil möchte, dass die Modernisierungsumlage nicht vollständig auf die Mieten umgelegt werden soll. Jetzt wird über zumutbare Eigenanteile und eine gestaffelte soziale Unterstützung diskutiert. Beispielsweise meint Daniel Keller, SPD-Landtagsfraktionsvorsitzender in Brandenburg, dass eine finanzielle Förderung durch den Bund nicht auf 30 bis 50 % begrenzt werden soll.

Solche Initiativen drücken aber insgesamt mehr den Druck der eigenen Basis aus als eine Bemühung um eine Gesamtkonzeption, in der sowohl die gesellschaftlichen Ursachen der ökologischen Krise verstanden als auch ein sozial angemessenes Programm ausgedrückt werden.

Außerhalb?

Die CDU wiederum hat ihre innere Führungskrise auch unter Merz nicht überwunden. So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass vor allem die AfD weitere Zugewinne verzeichnen kann. Während nämlich die Ampelkoalition den vernünftigen politischen Weg in den objektiven Tendenzen sieht, die das Kapital vorgibt, präsentiert sich die AfD als Sammelbecken aller bürgerlichen und kleinbürgerlichen wirklichen und vermeintlichen Opfer diese Politik – verbindet sie mit Populismus, Nationalismus und Rassismus.

DIE LINKE ist hingegen hilflos und paralysiert, nachdem sie große Teile des Gesetzentwurfs prinzipiell akzeptiert und lediglich eine „sozial gerechte“ Finanzierung als größtes Problem versteht. Im Übrigen ist sie am meisten mit ihrer Selbstzerfleischung beschäftigt.

Wer die AfD wirklich stoppen will, darf sich nicht wie die Gewerkschaften als bessere Sozialpartner:innen oder wie DIE LINKE opportunistisches Anhängsel im Bund der „Demokrat:innen“ betätigen, die gerade die Festung Europa dichtmachen und einen neuen Kalten Krieg forcieren. Nur wenn die Arbeiter:innenbewegung unabhängig von den Rechten und der Regierung agiert, kann sie Anziehungskraft für die gesamte Klasse der Lohnabhängigen entwickeln.




European Gas Conference

REVOLUTION Austria, Infomail 1220, 14. April 2023

5.000 Menschen, darunter Genoss:innen des Arbeiter*innenstandpunkt und von REVOLUTION Austria, demonstrierten am 28. März in der Wiener Innenstadt gegen die European Gas Conference. Aufgerufen hatte ein breites Spektrum von Organisationen der Umweltbewegung, antirassistischen Kräften, linken Gruppierungen und Parteien links von SPÖ und Grünen.

Die Demonstration war begleitet von einer Gegenkonferenz, kleineren Blockaden und Aktionen um den Kongress des „fossilen“ Kapitals. Arbeiter*innenstandpunkt und REVOLUTION organisierten außerdem am 31. März eine Podiumsdiskussion zur weiteren Strategie der Bewegung. Im Folgenden spiegeln wir einen Artikel von REVOLUTION Austria, der vor der Konferenz veröffentlicht wurde und auf ihre Bedeutung verweist.

European Gas  Conference

Seit Jahren sind Klimaaktivist*innen in den Medien und lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf das wichtigste Thema unserer Zeit: die Klimakrise. Auch am 28. März wird es wieder eine Großdemonstration gegen den fossilen Energiesektor geben. Es versammeln sich nämlich die relevantesten Energiekonzerne in Wien, um unter anderem die Perspektive von Gas zu diskutieren. Eine Eintrittskarte kostet 3.000 Euro und es werden hier Entscheidungen angekündigt und getroffen, die das Untergehen unserer Zukunft zementieren werden.

Die fossile Industrie und ihr Kongress

Für die European Gas Conference verschlägt es vom 27. bis zum 29. März Vertreter:innen aller wichtigen Energiekonzerne nach Wien, darunter Total Energy, Shell, BP, RWE und Eni sowie die OMV. Gesponsort wird der Gipfel von Finanzunternehmen wie BlackRock und der Raiffeisenbank.

Mit hundert privaten Meetings mit Konzernvertreter:innen und Politiker:innen sowie den Vorträgen von sogenannten Expert:innen, die allesamt leitende Personen innerhalb der Energiekonzerne sind, verspricht die Konferenz das wichtigste Lobbytreffen des Jahres dieser Industrie zu werden.

Die Botschaft der einzelnen Vorträge und des Gipfels als Ganzem ist dabei klar: Erdgas ist ein Rohstoff der Zukunft, der eine grünere Alternative zu Öl und Kohle aufgrund seiner saubereren Verbrennung mit einem niedrigeren Ausstoß an Treibhausemissionen darstellt. Es sei von der Politik also sicherzustellen, dass es auch in den kommenden Jahrzehnten einen fixen Platz im Energiemix einnimmt. Schon jetzt zeigen die Bemühungen der Industrie erste Erfolge, denn von der EU wurde Erdgas kürzlich bereits als umweltverträglicher Rohstoff eingestuft.

Außerdem seien neue Investitionen in die entsprechende Infrastruktur notwendig, um Europa für die nächsten Jahrzehnte politisch und wirtschaftlich abzusichern, nicht zuletzt wegen des Ukrainekrieges, aufgrund dessen kein Erdgas mehr von Russland gekauft werden kann. In diesem Sinne werden auf der Konferenz neben der Trans Adriatic Pipeline vor allem Projekte in Afrika und Asien beworben.

In den Broschüren der verschiedenen Zusammenschlüsse der Industrie wird damit geprahlt, dass gerade in verarmten Gebieten der Anschluss an das Gasnetz sehr positive Auswirkungen auf die Luftqualität und Gesundheit der lokalen Bevölkerung hat. Eine Investition in diesem Bereich sei also nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern ein regelrecht selbstloses Sozialprojekt.

Unverzichtbar sei der Rohstoff auch in der Produktion von Dünger und Wasserstoff.

Grünes Erdgas?

Die tatsächlichen ökologischen Konsequenzen der Erdgasindustrie werden während der ganzen Konferenz nicht behandelt. Die Förderung und Verwendung von Erdgas erzeugt rund 25 % der weltweiten Treibhausgase. Speziell die absichtliche wie unabsichtliche Freisetzung von Methan in die Atmosphäre bei Produktion und Transport wird von den Konzernen seit Jahrzehnten de facto ignoriert.

Jede neue Investition in Infrastruktur für die Unternehmen wie Total Energy oder BP, die heute getätigt wird, sorgt dafür, dass die weltweiten Emissionen der Industrie für die nächsten 50 Jahre nicht nur auf dem derzeitigen hohen Stand bleiben, sondern auch noch weiter anwachsen. Der Ausbau festigt weiter unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und der Ausbau bindet außerdem Ressourcen, die für eine schnelle Energiewende dringend gebraucht werden.

Was die Konferenz versteckt, ist, dass sämtliche vertretende Unternehmen nicht nur Produzenten von Erdgas sind, sondern auch von Kohle und Erdöl. Sie sind nicht nur die wichtigsten Verursacher des Klimawandels, sondern profitieren auch am meisten von der weltweiten Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Ihr objektives Interesse am Erhalt der derzeitigen Energieversorgung drückt sich unter anderem dadurch aus, dass die Energiekonzerne ihre enorme politische Macht dafür nutzen, staatliche Programme zur Umstellung von fossilen Energieträgern, für z. B. Heizen und Kochen, auf erneuerbare zu verhindern.

Aber warum wird das getan? Ist Erdgas wirklich die einzige Lösung in der Energie- und Umweltkrise? Was sind unsere Alternativen? Wir müssen die Frage von der anderen Seite beantworten: Wir können uns nicht mehr leisten, immer wieder auf umweltschädliche fossile Energien zurückzugreifen. Was können wir also tun? Dafür ist wichtig zu betonen: Wer trifft denn momentan die Entscheidung, wie viel Energie wofür zur Verfügung steht? Der mit Abstand höchste Energieverbrauch findet in Produktion und Verkehr statt, und zwar in faktisch jedem Land. Verkehr ist hierbei auch stark verknüpft mit Logistik. Die Entscheidung, wie diese stattfindet, liegt bei den Unternehmen und ist damit nicht demokratisch legitimiert. Ähnlich wie bei der Gaskonferenz kommen hier Leute zusammen, die kein Entscheidungsrecht haben, entscheiden für uns, wie, was und warum produziert wird, und behaupten dann, dass es leider nur mit fossilen Brennstoffen geht, damit „unsere“ Bedürfnisse nach Energie gedeckt werden.

Wir wollen stattdessen gemeinsam entscheiden, wo und warum Energie genutzt wird. Die umweltfeindlichsten Bereiche, die, wo es möglich ist, sowieso abgeschafft werden müssen, sind auch die, die häufig den höchsten Energieverbrauch haben. Statt riesigen Leuchtreklamen und Just-in-time-Autotransporten könnten wir uns demokratisch für einen Ausbau des Schienennetzes und erneuerbarer Energie einsetzen, wenn wir die demokratische Macht dazu hätten, dies zu entscheiden.

Deshalb kämpfen wir für eine bedingungslose Enteignung und politische Kontrolle über Entscheidungen des Energiesektors.

Fossile Energie und der europäische Imperialismus

Für Jahrzehnte war Russland für Europa ein wichtiger Lieferant für fossile Energieträger. Nach der erneuten Eskalation des Krieges in der Ukraine kam es zu einer verstärkten Blockbildung zwischen Russland auf der einen Seite und der EU sowie den USA auf der anderen, die zu einer Einstellung des Handels mit Erdgas führte. Der europäische Imperialismus ist daher auf der Suche nach einer anderen Bezugsquelle für Erdgas und Erdöl, die am besten möglichst kontrollierbar und billig ist.

Ein Beispiel für jene Entwicklung ist die bereits 2020 fertiggestellte Transadriatische Pipeline, die Erdgas aus Aserbaidschan, einem engen westlichen Verbündeten, über die Türkei nach Griechenland und Italien liefert. Ebenfalls in Planung ist die Transsahara Gaspipeline, die Erdgas aus Nigeria durch Niger bis an die algerische Mittelmeerküste bringen wird. Ob der Bau, wie von den drei beteiligten Ländern vorgesehen, wirklich ohne Beteiligung ausländischer Unternehmen erfolgen wird, bleibt abzuwarten.

Die Bemühungen der Energiekonzerne um die Erschließung neuer Quellen für fossile Brennstoffe beschränken sich nicht nur auf Erdgas, sondern inkludieren auch Erdöl. So wird derzeit eine neue Pipeline für Rohöl in Ostafrika vom französischen Unternehmen Total Energy gebaut, das ebenfalls auf der Konferenz in Wien vertreten ist. Sie soll die Ölfelder in Uganda mit dem Hafen von Tanga in Tansania verbinden. Das Projekt führte bereits zu mehreren rücksichtslosen Umsiedelungen von Gemeinschaften, durch deren landwirtschaftliche Flächen die Pipeline führen wird, und bedroht die wirtschaftliche Lebensgrundlage und Wasserversorgung der Bevölkerung. Es wird davon ausgegangen, dass das Victoriaseebecken besonders stark durch Wasserverschmutzung und Erosion geschädigt werden wird.

Die Gewinne aus der Anlage gehen größtenteils an den Konzern Total Energy und zu einem kleineren Anteil an staatliche Ölkonzerne von Tansania und Uganda. Man kann nicht erwarten, dass die geschädigte Bevölkerung vor Ort jemals etwas von den Milliarden an Gewinnen aus der Unternehmung sehen wird.

Wir müssen international kämpfen, weil wir in den imperialistischen Ländern Druck aufbauen müssen, damit die ökonomische Abhängigkeit in halbkolonialen Ländern geschwächt wird. Die Menschen dort, die am stärksten unter der Klimakrise leiden, können dadurch effektiver dafür kämpfen, dass sie selbst in der Lage sind, Energieprojekte in einer nachhaltigen Art und Weise zu managen.

Wir kämpfen deshalb unter anderem für die Streichung aller Schulden, die halbkoloniale Länder an imperialistische Länder zu zahlen hätten.

Gewinner der Energiekrise auf unsere Kosten

Die Konzerne im Öl- und Erdgassektor haben nicht nur ihre klimaschädlichen Geschäfte und politische Einflussnahme zu verantworten. Die Firmen konnten in der derzeitigen Gaskrise ihre Profite enorm steigern, vor allem auf Kosten von Lohnabhängigen, die sich die gestiegenen Heizkosten kaum noch leisten können. Keine einzige europäische Regierung ist gewillt, dem Wucher durch Preisobergrenzen oder Vergesellschaftungen ernsthaft Einhalt zu gebieten, denn man möchte ja nicht die Profitraten einer so wichtigen Klientel wie der Erdölindustrie einschränken. So beschränken sich staatliche Hilfen für die Arbeiter:innenklasse auf kleine Einmalzahlungen, die keine wahre Entlastung schaffen. Die jetzige Inflation, die von den Energiepreisen getrieben wird, trifft vor allem die Haushalte, die nicht in der Lage sind zu sparen und die Kosten, die jetzt auf sie zukommen, nicht wirklich abfangen können.

Auch die Menschen, die in nicht nachhaltigen Bereichen arbeiten, haben in diesen Branchen keine Zukunft. Wir brauchen ihre Expertise und ihr Können für eine nachhaltige Umstellung der Wirtschaft. Sie sind diejenigen, die ein tatsächliches Interesse daran haben, ihre Unternehmen und Konzerne umzugestalten und zu nutzen, was zu nutzen ist und aufzugeben und zu verhindern, was die Klimakrise weiter anheizt.

Wieder einmal sehen wir alle nur zu gut, warum sich Arbeiter:innen und Jugendliche nur auf sich selbst verlassen können. Hoffnungen auf Preisobergrenzen und finanzielle Hilfen werden vergebens sein, wenn sie nicht durch Streiks und Besetzungen erzwungen werden. Keine Profite mit Heizen und Miete! Vergesellschaftung der Energiekonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle ohne Entschädigungen!

Eine neue Klimabewegung

Im deutschsprachigen Raum haben die Proteste gegen die Räumung von Lützerath in Deutschland sowie die Besetzung der Baustellen für die Stadtautobahn in Wien zu einer klaren Radikalisierung der Klimabewegung geführt. Gerade die Erfahrungen mit Polizeigewalt und die absolute Unwilligkeit der Grünen in beiden Ländern, bei ihren Versprechen für mehr Klimaschutz zu bleiben, hat viele junge Aktivist:innen zum Umdenken bewegt. Doch dieses beschränkt sich oft nur auf eine höhere Stufe an „Radikalität“ bei den eigenen Aktionen wie den Unibesetzungen von End Fossil: Occupy! oder dem Festkleben an Straßen durch die Gruppe Letzte Generation. Nicht geändert hat sich aber, an wen diese Forderungen gerichtet werden und wer die Klimakrise lösen soll: bürgerliche Regierungen und deren Staatsapparat.

REVOLUTION sieht sich als Teil der Klimabewegung und wir stehen solidarisch zu allen Gruppen, die sich an diesem entscheidenden Kampf beteiligen. Jedoch sehen wir, dass das Unterfangen, die Klimakrise durch Appelle an ein Parlament oder besonders radikale Einzelaktionen zu bekämpfen, nicht zu verwirklichen ist. Daher schlagen wir einen neuen, klassenkämpferische und internationalistischen Weg vor.

Klasseninteressen in Zeiten der Klimakrise

In der Klimakrise sitzen nicht alle im gleichen Boot. Wie auch die Erzeugnisse des kapitalistischen Wirtschaftssystems national und international sehr ungleich verteilt werden, so werden auch die Lasten des Kapitalismus von manchen Menschen stärker getragen als von anderen. Besonders betroffen sind Jugendliche und Arbeiter:innen sowie Menschen außerhalb der imperialistischen Zentren. Sie profitieren kaum von der erhöhten Produktivität durch die rücksichtslose Ausbeutung der Umwelt und haben meist nicht die Möglichkeit, vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels wie Überflutungen, Luftverschmutzung und Dürre zu fliehen. So ist es Menschen mit großen finanziellen Mitteln möglich, ihre Häuser zu klimatisieren oder einfach in weniger stark betroffene Gebiete umzusiedeln.

Für Kapitalist:innen, also Menschen, die Kontrolle über Produktionsmittel wie z. B. Fabriken ausüben, verspricht jedoch jedes Jahr ohne Klimaschutz höhere Gewinne. Auch verfügen sie über die notwendigen Ressourcen, um gegebenenfalls den Folgen ihres eigenen zerstörerischen Handelns aus dem Weg gehen zu können.

Sogar wenn sich einzelne Unternehmer:innen gegen ihr eigenes objektives Interesse für härtere Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Betrieb entscheiden, würden sie aufgrund der dadurch stärkeren Konkurrenz schnell an Bedeutung verlieren.

Das Kapital als Klasse stellt sich also nicht aufgrund von Unwissenheit gegen stärkeren Umweltschutz, sondern aufgrund des eigenen materiellen Interesses und des ökonomischen Zwangs, auf dem Weltmarkt profitabel und wettbewerbsfähig zu bleiben. Da die Kapitalist:innenklasse als Ganze die meisten Mittel für Lobbying und Propaganda zur Verfügung hat, werden die Interessen des Kapitals auch in Fragen des Klimaschutzes von den bürgerlichen Regierungen jeder Art rücksichtslos durchgesetzt. Daran ändert auch eine Regierungsbeteiligung der Grünen nichts.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist immer einer gegen das Kapital. In der Klimakrise teilen sich die Interessen von Menschen also nicht nach Bildungsgrad oder dem persönlichen Wissen über den Klimawandel, sondern nach der Klassenzugehörigkeit. Als Klimabewegung ist es unsere Aufgabe, stets den Kontakt zu den Massen an Jugendlichen und Arbeiter:innen zu suchen, die das größte objektive Interesse (weil es um ihr Überleben geht) an einer konsequenten Klimapolitik hegen. Diese Gruppen müssen wir für den gemeinsamen Kampf für unsere Zukunft mobilisieren. Genauso wie wir es nicht schaffen, die Klimakrise durch unser persönliches Konsumverhalten abzuwenden, reicht es auch nicht aus, mit isolierten Aktionen und Aktivismus einer kleinen Szene Aufmerksamkeit zu generieren. Wir wollen eine Bewegung werden und dafür müssen wir den Kampf für einen Systemwechsel in die Schulen und Unternehmen tragen.

Als Aktivist:innen innerhalb des imperialistischen Kerns sollten wir die Kämpfe von Arbeiter:innen und Jugendlichen gegen Ausbeutung und Klimawandel in den Halbkolonien als unsere eigenen sehen. Nur eine breite, internationale, antikapitalistische Bewegung wird in der Lage sein, die Produktionsverhältnisse weltweit ökologisch und sozial zu gestalten. Diese Aufgabe ist weder den eigenen Parlamenten noch irgendeiner parlamentarischen Partei anzuvertrauen, da jene Institutionen in der Vergangenheit schon zu oft gezeigt haben, dass sie sich stets dem Willen der Kapitalist:innen beugen werden.

Unsere Forderungen sollen nicht den Anschein erwecken, dass kapitalistische Staaten diese tatsächlich eines Tages umsetzen könnten. Aber sie geben uns einen klaren Weg vor, um erfolgreich zu sein, und zeigen auf, welche Schritte notwendig sind, um die jetzige Krise zu überwinden. Forderungen sollten aber auch immer versuchen, eine Brücke zwischen dem derzeitigen Bewusstsein der Menschen und diesen notwendigen Maßnahmen zu spannen.

Daher sagen wir: Nein zu neuer Infrastruktur von Erdgas! Nein zur Ausbeutung von Rohstoffen in den Halbkolonien durch imperialistische Staaten! Nein zu Treffen zwischen Industrie und Politik, die immer nur der Maximierung des eigenen Profits dienen! Ausstieg aus allen fossilen Energieträgern, auch Erdgas! Keine Profite mit Heizen und Miete, die Lasten der Wirtschaftskrise sollen nicht von Arbeiter:innen und Jugendlichen getragen werden. Enteignung der Energiekonzerne unter Arbeiter:Innenkontrolle!

Klimaschutz heißt Klassenkampf: Vernetzung von Klimabewegung und Gewerkschaften! Es gibt keinen grünen Kapitalismus, Klimaschutz muss antikapitalistisch und internationalistisch sein! Kein Vertrauen in bürgerliche Staaten und Parteien!




„Erfahrungen, die mich prägen und bleiben werden“

Interview mit Aktivist:in der Lützerath-Besetzung, Infomail 1213, 12. Februar 2023

Vor rund drei Wochen wurde Lützerath geräumt. Welche Eindrücke und Gedanken haben Aktivist:innen von dort mitgenommen? Eines unserer Mitglieder war selbst im Dorf und hat sich nach der Räumung und den Aktionen nochmal mit einem Menschen aus seiner Bezugsgruppe getroffen und unterhalten.

GAM: Es ist jetzt ein bisschen her, dass Lützerath geräumt wurde. Aber alle, die da waren, haben viele und intensive Erinnerungen mitgenommen. Du warst sowohl im Dorf, wurdest geräumt und bist am Samstag auf der Großdemo gewesen. Was bleibt da für dich persönlich von Lützerath?

S: Also im Großen und Ganzen habe ich eine positive Erinnerung an die Zeit in Lützerath selber. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und hatte sehr gute Gespräche dort. Auch den Kampf habe ich als empowernd wahrgenommen. Wir haben gemeinsam an Barrikaden gebaut und uns zusammen in einem Haus verschanzt, um die Räumung zu verzögern. Mir gibt das generell Energie, dort diese Gemeinschaft gespürt zu haben und in ihr etwas zu erreichen. Wir sind in der ganzen Welt in die Medien gekommen, haben es geschafft, auf Lützerath und das Thema aufmerksam zu machen. Das war auch von Anfang an das Ziel. Ich denke, den meisten Aktivistis war klar, dass es nicht möglich sein wird, die Räumung zu verhindern. Aber wir haben es versucht und alle, die da waren, hatten das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Auch für mich, den Widerstand zu spüren, in dem Haus gewesen zu sein, zusammen zu kochen, zu essen, zu singen, sich auf die Räumung vorzubereiten, sich um einander zu kümmern und dann auch die Räumung gemeinsam durchzustehen. Das sind auf jeden Fall Erfahrungen, die mich weiter prägen und bleiben werden.

GAM: Ja, so ein Gefühl ein bisschen jenseits des Kapitalismus. Auf der anderen Seite der Barrikade passierte das Gegenteil, die Polizei hat RWEs Interessen mit krasser Gewalt durchgesetzt. Wie hast du das wahrgenommen?

S: Ich musste leider auch selbst Polizeigewalt erleben. Am Anfang der Räumung stand ich mit anderen in einer Menschenkette, wo dann ein Polizist auf mich zugerannt ist und mir seine Faust ins Gesicht gehauen hat, wovon ich dann eine blutige Lippe davongetragen habe. Das war unangenehm und im Endeffekt hätte er mich auch einfach zurückdrängen können. Das hätte genau die gleiche Wirkung gehabt. Ich hatte aber den Eindruck, dass er das so machen wollte. Und auch generell hatte ich den Eindruck, dass die Polizei in Lützerath Gewalt angewendet hat, wo es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, es überstürzt um Einschüchterung ging und scheinbar auch einfach darum, Gewalt auszuleben. Für die Räumung selbst war das nicht notwendig.

Auch nach meiner Räumung wurde ich zwei Stunden im kalten Regen festgehalten, was sich auch als Gewalt bezeichnen lässt.

Im späteren Verlauf der Großdemo, nach der Räumung, wurde ich dann mit einem Schlagstock am Kopf getroffen, wovon ich eine sechs Zentimeter lange Platzwunde davongetragen habe, was für mich dann im Krankenhaus endete. Im Großen und Ganzen empfand ich das Auftreten der Polizei also sehr unangenehm und gewaltvoll.

GAM: Mhm. Wirklich vielen Aktivist:innen geht es ja so, eine wahrscheinlich dreistellige Zahl an Verletzten und Herbert Reul sagt dann noch „Zeigt euch doch!“, nur um dann noch eine Strafverfolgung hinterherzuschicken. Im Endeffekt sind dann alle mit Verletzungen dem Staat gegenüber alleine und haben nichts gegen die Polizei in der Hand.

Jetzt ist der Kampf ja auch noch nicht vorbei. Die Kohle ist noch im Boden, auch wenn Lützerath zerstört ist. Was denkst du, braucht der Protest noch, damit er erfolgreich werden kann?

S: Also ich verbuche Lützerath schon als Erfolg, einfach weil es medial weltweit und in Deutschland so stark präsent war. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Räumung durch RWE und Polizei innerhalb kürzester Zeit durchgezogen wurde und auch ohne größere Schwierigkeiten, abgesehen vom Tunnel. Und da kann man sich natürlich die Frage stellen, was hätte helfen können, damit die Räumung hätte verhindert werden können. Einerseits ist da natürlich die Vorstellung, was wäre, wenn Hunderttausende nach Lützerath gekommen wären. Das hätte sicherlich einen Unterschied ausgemacht. Zum andern denke ich aber, dass es einen großen Unterschied machen würde, die Arbeiter:innen von RWE auf unsere Seite zu ziehen und dann gemeinsam mit ihnen diesen Kampf zu führen. Denn sie sind letztlich diejenigen, die im Konzern RWE wirklich was erreichen können. Das  wäre natürlich ein Ziel für die Zukunft, mithilfe von Streiks und der Solidarisierung unter Aktivistis und Mitarbeitenden gegen RWE zu kämpfen.

GAM: Ja, das ist sicher eine wichtige – und große – Aufgabe für die Klimabewegung, auch weil dafür im Betrieb der Einfluss der IG-BCE-Führung gebrochen werden muss, um eine Auseinandersetzung rund um wirklichen Klimaschutz zu erreichen. Zum Schluss nochmal die Frage: Was war der positivste Moment für dich in Lützi?

S: Die Nacht vor der Räumung, sich zusammen vorzubereiten und nochmal eine gute Zeit zu haben. Das war natürlich eine aufregende Zeit, eine Achterbahn der Gefühle. Aber es war auch schön und diese Gemeinschaft wünsche ich mir natürlich manchmal zurück.

GAM: Das wünschen sich sicher viele zurück. Danke schön für das Interview und gute Besserung wegen der Kopfverletzung!

S: Danke schön!




Lützerath ist zerstört – wir sind es nicht

Leo Drais, Infomail 1211, 19. Januar 2023

Mir brutaler Gewalt haben Staat und RWE Fakten geschaffen, Lützerath innerhalb einer Woche gestürmt, geräumt und abgerissen. Hunderte Aktivist:innen wurden aus Baum- und besetzten Häusern vertrieben – Orte, die sie als Zuhause empfanden. 35.000 Klimaschützer:innen kamen am Wochenende und riefen laut: „Lützi bleibt!“ Viele rangen in Schlamm und Sturm mit der Polizei, einige mussten wegen hemmungslos prügelnder Cops ins Krankenhaus. Die Proteste gingen bis zum 18. Januar weiter, einige hundert beteiligten sich an einem dezentralen Aktionstag von Ende Gelände.

Trotzdem, und es tut weh, das zu schreiben – haben wir trotz eines großen Mobilisierungserfolgs und eines riesigen Rückhalts im ganzen Land und weltweit Lützerath an RWE verloren.

Wer noch da ist, sind wir. Wir werden Lützi nicht vergessen, und daraus lernen:

1. Besetzungen sind richtig, aber das Mittel hat Grenzen

Hambi, Danni, Lützi: drei Orte, die wie keine anderen in Deutschland für Kämpfe gegen den fossilen Kapitalismus stehen, gegen Braunkohleabbau und ein aberwitziges Verkehrssystem.

Weitgehend unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit gab und gibt es daneben eine Reihe weiterer, kleinerer Waldbesetzungen. Am 19. Januar räumte die schwarz-grüne Landesregierung Hessens den Fechenheimer Wald in Frankfurt für den Ausbau der A66. Man bleibt sich eben treu.

In Lützerath dauerte der Einsatz anstatt erwarteter bis zu vier Wochen dann doch nur einige Tage. Im Vergleich zum Danni und Hambi eine kurze Zeit (dort knapp 70 bzw. 35 Tage), obwohl die Anzahl der Besetzer:innen ähnlich hoch war. Klarer Weise liegt dieser Unterschied darin, dass ein kleines Dorf leichter zu räumen ist und die Polizei den Ort mit RWE abgesperrt hatte, während im nicht absperrbaren Dannenröder Wald viele Aktivist:innen, die heute geräumt wurden, morgen wieder vor Ort waren.

Dass die Polizei in Lützerath von einer Räumungsdauer von bis zu vier Wochen ausging, liegt sicher auch daran, dass sie mehr militante Gegenwehr erwartet hatte. Doch die Gewalt blieb auf Seiten der Aktivist:innen fast komplett aus, ging wesentlich nur von den Bullen aus, die dabei wiederholt Menschenleben gefährdeten.

Auch wenn es nur wenige Tage dauerte – Lützerath zu besetzen und zu verteidigen, war richtig. Jeder Kampf braucht wirkmächtige Symbole, und Lützi ist so eins. Viele Menschen wurden um diesen Kampf mobilisiert, entwickelten sich politisch weiter, brachen mit den Grünen und hinterfragen einen Staat, der ihnen auf die Fresse gab. Für viele, die durch FFF politisiert wurden, war das die erste größere Konfrontation mit organisierter Polizeigewalt.

Auch wenn die Räumung gelang, so ging das Ziel, die Bewegung zu spalten, nicht auf. Im Gegenteil: Die Repression führte zu einer massiven Solidarisierung mit der Besetzung, einem Gefühl der Gemeinsamkeit aller Demonstrant:innen, ob nun radikaler Linker, entschlossener Aktivist:innen, Gewerkschafter:innen, Mitgliedern von Umweltverbänden, der Linkspartei oder enttäuschten Basismitgliedern von Grünen und SPD. Aus Sicht antikapitalistischer Klimapolitik bedeutet Lützerath einen moralischen, inhaltlichen Sieg, weil eine breite, sich radikalisierende Massenbewegung sichtbar wurde, die nach der Räumung sicher nicht verschwinden wird.

Zudem war Lützi viel mehr als nur die Besetzung. Es gab und gibt eine breite Verankerung in der Region. Über die Grenzen Deutschlands hinweg wurden Menschen mobilisiert – weil es einen Ort, ein Symbol gab, um das sie sich sammeln konnten. Selten hat der Staat auf so einfach verständliche Weise Kapitalinteressen verteidigt, und immer mehr gerade jungen Aktivist:innen wird klar, dass es keine andere Wahl gibt, als sich dem zu widersetzen.

Lützi bedeutet aber auch die Erkenntnis, dass eine Besetzung alleine, selbst mit der Unterstützung von 35.000 Demonstrierenden, die fossile Profitimaschine nicht ausschalten kann.

2. Es knirscht in den Grünen

Lützerath bedeutet auch eine gewisse Zerreißprobe der Grünen. Die Wirkung dessen, dass schon wieder sie daran beteiligt sind, den Braunkohleabbau durchzusetzen, sollte nicht überschätzt werden. Gerade ihre Wähler:innenschaft zeichnet sich durch hohe opportune Elastizität aus, zumal es keine wirklich taugliche Wahlalternative für sie gibt. Sie sollte aber auch nicht unterschätzt werden.

Die Grüne Jugend alleine mobilisierte wahrscheinlich weit über tausend Menschen zur Großdemo und allen ist klar, dass dieser riesige Lochfraß wegen der Grünen passiert, auch wenn ihre Führer:innen noch so oft sagen, dass sie darüber nicht glücklich seien.

So was muss Spuren im Bewusstsein hinterlassen haben. Vor vier Jahren wuchsen die Grünen und besonders die Grüne Jugend auf der Welle von FFF an, auch ohne offen aufzutreten (im Hintergrund dafür umso mehr). Jetzt kommen Zweifel auf und das ist aus antikapitalistischer Sicht gut so. Denn letztlich sind die Grünen dem Kapitalismus verpflichtet, die Welt ist mit ihnen nicht zu retten. Der Bruch mit ihnen ist für alle, die ihnen Lützerath übelnehmen, notwendig und richtig.

Ob es jetzt zu größeren Brüchen mit den Grünen kommt, wird sich zeigen. Es hängt davon ab, ob die Linke eine Alternative formulieren kann und liegt auch an Figuren wie Luisa Neubauer, die dadurch, dass sie sich einerseits als Aktivist:innen verkaufen können, andererseits aber den Bruch mit den Grünen nicht vollziehen, diese Partei von links decken.

Nicht nur die Partei, auch die Ideologie vom grünen Kapitalismus, die Hoffnungen in den „Green New Deal“ der Bundesregierung wurden in Lützerath erschüttert.

So oder so. Wir bieten allen, die nach einer Alternative suchen, die offene Diskussion darüber an, wie wir gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage kämpfen und gewinnen können.

3. Gewalt, die so nicht heißen darf

Alle, die in und um Lützerath unterwegs waren, nehmen auch eine gewaltvolle Erfahrung mit, die in der bürgerlichen Presse entweder sehr stark relativiert oder uns gleich ganz in die Schuhe geschoben wird.

Dabei belegen unzählige Videos, wie brutal die Polizei gegen uns vorgegangen ist. Viele tragen Platzwunden, Prellungen oder Knochenbrüche davon.

Es ist zynisch, dass wir in der Schule lernen mussten, der Staat verfüge über das Gewaltmonopol, aber wenn er es in aller Schärfe anwendet, soll die Gewalt nur von den anderen ausgegangen sein. Die Gewalt der Bullen wird nicht beim Namen genannt.

Zudem wird unser Protest auf die Frage der Rechtmäßigkeit gelenkt – und damit weg von unseren eigentlichen Forderungen und Zielen, einem effektiven Klimaschutz. Es heißt, die Bullen haben das Recht, Gewalt anzuwenden, RWE habe das Recht, die Kohle abzubaggern, wir hätten kein Recht, uns dem entgegenzustellen. Aber alles, was damit gesagt wird, ist, dass das bürgerliche Recht eben eines ist, das die Zerstörung von Dörfern und Wäldern für Profite zulässt. Es ist das Recht der Kapitalist:innen, ihre Macht zu behalten.

Dagegen zu protestieren, ist legitim, genauso wie, dagegen organisiert Widerstand zu leisten, solange wir untereinander Rücksicht nehmen und Gewalt kein Selbstzweck ist. Dann kann dieser auch der Arbeiter:innenklasse vermittelt, von dieser mitgetragen werden.

4. Antikapitalismus rocks, aber er braucht Klimaklassenkampf!

Womit wir wieder bei der Frage sind: Was sind eigentlich die Mittel, die uns das nächste Lützerath erfolgreich verteidigen lassen?

Eine Besetzung alleine ist es nicht, auch wenn, wie oben beschrieben, es verkürzt wäre, Lützi nur auf die Besetzung zu reduzieren. Wie auch im Danni hätte es sie nie ohne die breite Unterstützung insbesondere vor Ort gegeben.

Es gibt eine gewisse Geschichte von Protesten gegen Umweltzerstörung, die sogar als Massenbewegung auftraten, die – teilweise auch dank roher Polizeigewalt – sogar eine breite moralische Unterstützung genossen und die Umweltschäden trotzdem nicht verhindern konnten. Dazu zählen die Proteste gegen die Startbahn West Frankfurt, Stuttgart 21, die A49 (Danni) oder eben Lützerath. Gorleben und Wackersdorf waren demgegenüber zumindest halb erfolgreich, wobei keineswegs ein schnellstmöglicher Ausstieg aus Atomstrom erreicht wurde und auch nicht, dass die Energiekonzerne die Kosten für Endlagerung und Rückbau der Meiler zahlten.

Alle diese Proteste hatten zumindest zeitweise tausende, teilweise sogar über 100.000e Menschen mobilisiert. Aber warum wurden sie nicht von Erfolg gekrönt trotz aller Entschlossenheit, die Aktivist:innen vor Ort an den Tag legten? Der Kampfgeist vieler anarchistischer Klimaaktivist:innen oder Ende-Gelände-Teilnehmer:innen ist etwas, wovon sich große Teile der sozialistischen Linken eine Scheibe abschneiden könnten.

Aber auch das allein reicht noch nicht. Wir müssen uns klarmachen, dass ohne die Beschäftigten von RWE und anderen Energieunternehmen sowie generell aus der Großindustrie der Kampf gegen diese Kapitale kaum gewonnen werden kann. Auch wenn diese oft jene Schichten der Arbeiter:innenklasse verkörpern, die nicht als erste gegen die Umweltzerstörung aktiv werden, auch wenn sich etliche aus Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz an die Seite „ihres“ Unternehmens stellen, so ist dies kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Viele Arbeiter:innen fragen sich selbst, was in Zukunft überhaupt für wen produziert werden soll. Vielen dämmert es längst, dass die ökokapitalistische Transformation der Ampelregierung und EU ein Schwindel ist, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird.

Hinzu kommt, dass diese Beschäftigten eine Schlüsselrolle nicht nur bei der Enteignung dieser Konzerne spielen müssen, sondern vor allem bei der Reorganisation der gesamten Energieproduktion unerlässlich sind. Schließlich reicht es nicht, wenn nach einer etwaigen Verstaatlichung von RWE und Co. Staatsbeamt:innen anstelle kapitalistischer Manager:innen den Laden kontrollieren.

Entscheidend ist vielmehr, welche Klasse die Energieproduktion lenkt. Eine Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse – die Beschäftigten wie Vertreter:innen aller Lohnabhängigen, also im Grunde die gesamte Gesellschaft – lässt sich nur mit den Arbeiter:innen von RWE, Vattenfall, LEAG, eon usw. ausüben. Sie sind es, die wir gewinnen, davon überzeugen müssen, dass nicht sie die Energiewende durch Jobverlust bezahlen sollen, sondern sie diese selbst gestalten und vollziehen können.

Die Hürden dafür sind hoch, insbesondere weil mit den Führer:innen der größten Gewerkschaft des Sektors, der IG BCE, große Verfechter:innen fossiler Energien in die Arbeiter:innenklasse wirken. Aber vielleicht müssen wir auch gar nicht dort anfangen, die Verbindung zur Arbeiter:innenklasse zu suchen. Der Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, der eine große Interessenüberschneidung mit der Klimabewegung aufweist, bietet sich vielleicht eher als Anknüpfung.

Nächstes Jahr steht dort eine Tarifrunde an. Wir sollten nicht einfach nur eine arbeitsteilige Unterstützung anbieten, sondern mit den Kolleg:innen diskutieren – zum Beispiel darüber, wie ein kostenloser Nahverkehr erreicht werden kann. Hier liegt vielleicht ein Ansatz für Klimaklassenkampf: Arbeitskämpfe nicht nur für höhere Löhne, sondern auch für Streckenausbau und kostenlosen Nahverkehr.

Aber – das wäre ja ein politischer Streik?! Stimmt! Denn Lützi lehrt uns, dass es nicht darauf ankommt, was erlaubt ist und was nicht, sondern auf das, was richtig und wirksam ist.




Lützerath, die Umweltbewegung und die Grünen

Leo Drais, Neue Internationale 269, November 2022

Es gibt Orte, von denen kaum wer wüsste, wären sie nicht zum Schnittpunkt von Umweltzerstörung und Kampf dagegen geworden. Der Hambacher und Dannenröder Wald sind solche Orte. Oder – Lützerath.

Die Hälfte des kleinen Weilers ist bereits geschliffen, der letzter offizielle Einwohner, der Landwirt Eckardt Heukamp, zog Anfang Oktober aus, nachdem er vor Gericht gegen RWE verloren hatte. Gerade mal 50 Meter trennen den Ort noch vom Abgrund des Energieriesen, des Tagebaus Garzweiler II. Und doch ist Lützerath nicht ausgestorben. Mehr als 200 Klimaaktivist:innen halten es besetzt – 10 mal mehr, als der Ort offizielle Bewohner:innen hatte.

Der Artikel könnte also auch heißen: Solidarität mit „Lützi“! Oder: Wie kann Lützerath gehalten werden?

Warum Lützerath?

Die besondere Brisanz Lützeraths ergibt sich aus einer Studie, der zufolge die 1,5-Grad-Grenze  sinnbildlich zwischen der jetzigen Abbruchkante und dem Ort verläuft. Wenn RWE die unter Lützerath liegende Braunkohle verstromt, ist allein dadurch das CO2-Budget, das Deutschland zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens noch zusteht, verbraucht.

Natürlich steht und fällt das nicht allein hier. Selbst wenn das braunschwarze Nichts nicht weiter gefräst wird, wird der deutsche Kapitalismus jedes noch so weit gesteckte Klimaziel verfehlen. Allein die Autoindustrie sorgt schon dafür, früher oder später.

Trotzdem ergibt sich aus der Lage Lützeraths nicht nur eine hohe Symbolwirkung des Protests gegen Umweltzerstörung, sondern auch tatsächlich eine reale ökologische Notwendigkeit, dass der Ort nicht fällt.

Dabei schien es immer wieder so, dass er quasi fast und im Grunde eigentlich schon beabsichtigt werde, gerettet zu werden. In etwa so klangen die Landesregierung von NRW, die Ampel vor gut einem Jahr, der Bundestag noch diesen Sommer. So unverbindlich wie geheuchelt.

Und dann, am 4. Oktober, hauen RWE, NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur (Grüne) zusammen mit Robert Habeck raus, dass Lützerath abgebaggert werde. Seitdem kann jeden Tag der Räumungsbefehl ergehen. Dafür bestrebe man, also sei man dafür, solle auf jeden Fall schon 2030 aus der Braunkohleverstromung ausgestiegen werden. Ja, ja. Der Physik des Klimas ist das egal, nachfolgende Generationen werden‘s danken.

Heuchelei und Lüge – Bündnis ’90/Die Grünen

Wie schon im Hambi und Danni wird der Marschbefehl auf Lützi unter Mitwirkung der Grünen erteilt, als Teil der Landesregierung und der Ampel sowieso. Im Grunde sind sie zur Zeit die konsequenteste, zugleich auch die verlogenste Partei im Interesse des deutschen Kapitalismus.

Denn um diesen geht es den Grünen als bürgerlicher Partei eigentlich. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine trieb sie dazu, konsequenter und offener ihren Klassenstandpunkt zu beziehen. Der rechte Flügel um Habeck, Baerbock, Hofreiter usw. nutzt die Lage, um die Grünen von ökologisch sowieso völlig unzureichenden Prinzipien zu befreien. Der Kampf um die Ukraine, bei dem die Grünen auch gleich mal den letzten pazifistischen Rest ausmisten, erfordere eben „Realpolitik“.

Und das bedeutet, an der Spitze einer Macht wie Deutschland, einem imperialistischen Land eben, auch einen Wirtschaftskrieg gegen den russischen Konkurrenten zu führen. Die Unabhängigkeit vom Menschenrecht verachtenden russischen Gas soll mit Menschenrecht verachtendem saudischen und katarischen erkauft werden (auch wenn der Katar-Deal erstmal platzte), garniert mit Frackinggas aus den USA und eben rheinischer Braunkohle. Auch am AKW-Strom hält man noch etwas länger fest.

Wir stellen hier auch gar nicht in Abrede, dass die Versorgungssicherheit der Bevölkerung mit Strom und Wärme sichergestellt werden muss. Aber die Politik der Grünen ist diesbezüglich verlogen und geheuchelt.

Solange ein Großteil der Kosten auf die Bevölkerung abgewälzt wird, ohne die Überprofite der Energieriesen anzurühren, solange VW in seinen werkseigenen Kraftwerken Gas verfeuern darf, um eine völlig unökologische und ineffiziente Verkehrsweise zu produzieren, solange der schleifende Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Ausbau des Autobahnnetzes gepaart wird und Koalitionsfrieden und kapitalistische „Realpolitik“ das Agieren bestimmen, kann diese Politik nicht anders bezeichnet werden.

Es geht den Grünen um die Konkurrenzfähigkeit der energieintensiven deutschen Industrie und nur zweitrangig um Versorgungssicherheit. Für letztere ist die Kohle unter Lützerath wie überhaupt von Garzweiler, Hambach und Inden kaum erforderlich, schon gar nicht bis 2030.

Und, wir wollen hier auch keine Illusionen erzeugen, dass es irgendwann anders sein könnte. Die Grünen werden auch in Zukunft Wälder roden, E-Auto-Fabriken bauen und Kriege führen lassen und sagen „Wir haben das nie gewollt, wir können nur nicht anders.“ Wenigstens ist der zweite Halbsatz für eine Partei, die glaubt, man könne Kapitalismus entgegen jeder Logik auch auf ökologisch trimmen, tatsächlich ein bisschen ehrlich. Als bürgerliche Partei können sie tatsächlich nicht anders, und alle, die vielleicht motiviert durch Fridays for Future mit ernsthaften Ambitionen in die Partei eintraten und sich jetzt enttäuscht sehen, sind gut beraten, sie zu verlassen.

Luisa Neubauer und das angeblich Radikale

Eine besondere Rolle im geschäftigen Heucheln kommt dabei Aktivist:innen wie Luisa Neubauer zu. Einerseits steht sie mit beiden Beinen fest in den Grünen, ihr Kopf ist aber einer der bekanntesten von Fridays for Future und damit der Klimabewegung in Deutschland. Was hier an Widerspruch erscheint, ist aber eigentlich keiner, nur der (Selbst-)Betrug ist größer.

Denn wenn sie einerseits auf dem Parteitag der Grünen eine noch so vehement vorgetragene Abrechnung über verfehlte Klimapolitik präsentiert (nicht ohne Anerkennung, dass der Krieg kurzfristig mehr andere fossile Energie erfordert, nicht ohne lobende Worte gegenüber jenen in Parlamenten und Regierungen) und dann nach Lützi fährt und für dessen Verteidigung eintritt, versucht sie, eine Schnittstelle zwischen der Praxis einer kapitalistischen Partei und einer radikaleren Protestform der Umweltbewegung zu bilden.

De facto bedeutet das aber nicht, die Grünen zu einer Klimapolitik zu treiben, die ihren Namen verdient. Es bedeutet im Gegenteil, Flankenschutz für Habeck und Neubaur durch alle sich selbst „radikal“ gerierenden Teile der Grünen. Deren angebliche und von manchen bewunderte geringere Korrumpierbarkeit ist schlicht Pseudoradikalität, hinter der Grünen und NGOs bisher letztlich die Treue gehalten wird.

Es ist nicht von ungefähr, dass die mit den Grünen eng verbundene Fridays-for-Future-Spitze schon wenige Monate nach Geburt der Bewegung von deren linkesten Teilen, diplomatisch gesagt, viel Kritik einfing.

Es ist ja der Verdienst von Luisa Neubauer, Jakob Blasel, Carla Reemtsma und Co., dass die Bewegung, die sich so sehr davor fürchtete, von anderen politischen Kräften vereinnahmt zu werden, von Anfang an von bürgerlich-grüner Politik dominiert und undemokratisch diszipliniert wurde. Wenn diese Köpfe jetzt davon sprechen, dass man das System radikaler in Frage stellen müsse und so weiter, dann leiern sie damit nur einen Begriff von Radikalität runter, ähnlich radikal wie ein Klimastreik, der so wirklich nie einer war, wenn dabei die gesamte Arbeiter:innenklasse weiterarbeitet.

Ein radikaler, das Problem an der Wurzel packender Kampf ist das aber nicht.

Tatsächlich Radikales

Viel näher kommen dem die Besetzer:innen von Lützerath. Sie verbinden den Kampf gegen die Klimakatastrophe tatsächlich mit Antikapitalismus, stellen der dystopischen, toten Grube des Konzerns eine kleine Utopie entgegen.

Dabei ist nicht das Mittel Gradmesser der Radikalität. Wenn sich der „Aufstand der letzten Generation“ an der Straße festklebt, aber in seinen Zielen nicht viel mehr als ein Tempolimit auf Autobahnen und ein 9-Euro-Ticket fordert, ist das nicht radikal. Radikal wäre, den Kapitalismus infrage zu stellen. In diesem Sinn ist die Besetzung von Lützi tatsächlich radikal.

Aber sie ist auch Ausdruck zweier Schwächen. Erstens gibt es in Deutschland dreieinhalb Jahre nach FFF keine Millionen Schüler:innen mehr auf den Straßen, ist die Umweltbewegung gespalten in den unvermeidlichen Glauben an die Grünen, denn Glauben wird ja wichtig, wenn man nicht mehr weiter weiß, und in einen kleineren, sich selbst als radikal verstehenden Teil, welcher besetzt und zivilen Ungehorsam leistet. Wobei, wie gesagt, das mit der Radikalität ja so eine Sache ist.

Die zweite, entscheidendere Schwäche ist, dass selbst diese radikaleren Teile der Umweltbewegung außerhalb einer definitiv richtigen Besetzung auch nicht so ganz weiß, wie RWE, ja der ganze Kapitalismus in die Knie gezwungen werden können, was gerade auch der anarchistischen Prägung dieses Teils der Bewegung entspricht.

Aber die direkte Aktion ersetzt keine Analyse, kein konkretes Programm. Diskussion darum gibt es natürlich (darum ja auch dieser Artikel). Wir denken, dass ohne eine Verbindung von Arbeiter:innen- und Umweltbewegung beide zum Scheitern, in gewisser Weise mit der Menschenwelt zum Untergehen verdammt sind. Leider ist diese Verbindung, die im Endeffekt nur ein revolutionäres Programm gegen den Kapitalismus entzünden kann, weit weg, auch wenn die Mehrheit der Beschäftigten bei VW oder RWE sicher nicht den Klimawandel leugnet und es Ansätze von Diskussionen darüber gibt, wie die Industrie umgestellt werden muss, schnellstmöglich.

Das nimmt ihr aber nicht die Notwendigkeit. Ohne Enteignung der gesamten Industrie unter demokratischer Kontrolle, ohne demokratischen Plan zur schnellstmöglichen Umstellung der Produktion sind wir auf das Hoffen und Warten und Druck Machen auf (grüne) Regierungen beschränkt.

Nicht nur kann eine schnellstmögliche Umstellung auf Erneuerbare und die Lösung ihrer Verfügbarkeitsprobleme nur mit dem Know-how der Arbeiter:innenklasse passieren, es kann auch nur durch sie mit Streiks und Betriebsbesetzungen erkämpft werden. Weil aber natürlich weder SPD, LINKE oder Gewerkschaftsführungen für sowas eintreten, braucht es die radikalen Teile der Umweltbewegung, um wenigstens die Debatte darum zu suchen. Es braucht – Klimaklassenkampf!

In diesem Sinne: Solidarität mit Lützi! Gegen jede Räumung und Repression der Besetzung! Für eine Radikalisierung, die die fossile Welt tatsächlich begräbt!




Alles Krise! – Krieg, Klima, Energie

Martin Suchanek, Neue Internationale 267, September 2022

Sommerliche Hitzewelle hin oder her. Im kommenden Winter werden wir uns warm anziehen müssen, sollte die Bundesregierung ihre Pläne durchziehen. Die versprochenen sozialen Abfederungen erwiesen sich regelmäßig als völlig ungenügende Improvisationen. „Nachbesserung“ am schlechten Konzept lautet das Gebot der Stunde. Wenig verwunderlich setzen SPD und Grüne auf „sozialen Ausgleich“ – und verschweigen geflissentlich, dass dies wenig mehr als ein Nachjustieren an der sozialen Schieflage bedeutet, die sie selbst gerade befeuert haben.

Vom lukrativen Geschäftsmodell zum Milliardengrab

So die berüchtigte Gasumlage. Diese soll bekanntlich systemrelevante Großgashändler wie Uniper oder die kleinere VNG vor der Pleite bewahren. Dabei bescherte die Monopolstellung einiger weniger Konzerne, die exklusive Verträge mit Lieferanten wie z. B. Gazprom abschlossen und das importierte Gas an lokale Versorger verkauften, die ihrerseits private Kund:innen beliefern, über Jahre Milliardenprofite.

Das lukrative Geschäft wurde vor kurzem tendenziell noch attraktiver und schien geradezu narrensicher. Schließlich ist Deutschland weltweit der größte Gasimporteur, noch vor China. Knapp 160 Milliarden Kubikmeter wurden allein im Jahr 2020 eingeführt – und die Aussichten schienen prima, da Erdgas in der deutschen Energiewende zur führenden „Brückentechnologie“ erklärt (und verklärt) wurde, also dessen Anteil am Energiemix nach dem Atomaus und Kohleausstieg größer wurde.

Doch das ganze Kalkül platzte 2022 mit dem Ukrainekrieg, genauer mit der Sanktionspolitik des Westens und der Bundesregierung und dem damit verbundenen Ausstieg aus russischem Gas. Im Frühjahr konnte es so manchem, neugeborenen Kalten Krieger oder so mancher Ex-Pafizistin nicht schnell genug mit dem Kappen russischer Importe gehen. Im Kampf um die Ukraine verhängten die G7-Staaten, die EU und darunter natürlich auch die Bundesregierung, historisch einzigartige Sanktionen gegen Russland, die das Land effektiv von den internationalen Finanzmärkten abschneiden und die Wirtschaft in die Knie zwingen sollten.

Sanktionen

Keine Frage: Die Wirkungen auf die russische Ökonomie sind verheerend. Wichtige Industrien, die eng mit den globalen Lieferketten verzahnt und auf westliche Technologie und Zwischenprodukte angewiesen sind (z. B. Autoindustrie oder Luftfahrt), mussten ihre Produktion einstellen oder zumindest drastisch herunterfahren. Um den eigenen Betrieb aufrechtzuerhalten, gingen russische Fluggesellschaften zum Ausschlachten einzelner Maschinen über. Auch wenn die westlichen Sanktionen das Land nicht die Knie gezwungen haben, so richten sie verheerenden wirtschaftlichen Schaden an, von den Lebensbedingungen der Arbeiter:innenklasse ganz zu schweigen.

Allerdings gelang es dem Westen nicht, der russischen Ökonomie einen raschen, vernichtenden Schlag zu versetzen. Dazu hätte man letztlich die wichtigsten Gewinn und Devisen bringenden Exportgüter, Öl und Gas, vom Weltmarkt nehmen müssen. Doch das vermochten USA, EU, Deutschland und ihre Verbündeten nicht. Erstens erwies sich der komplette Embargoplan für Europa sowieso immer als schwierig, wenn nicht utopisch. In ihrer Euphorie versprachen neugeborene Kalte Krieger:innen wie Baerbock und Habeck, FPD-Einpeitscher:innen wie die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages, Strack-Zimmermann, Transatlaniker:innen aus der CDU/CSU im Frühjahr 2022 das Blaue vom energiepolitischen Himmel. Offen wurden immer radikalere und entschlossenere Schritte und „Signale“ gefordert. Als Ersatz für den russischen Rohstoff sollten LNG-Terminals her. Habeck versuchte in Katar, „sauberes“, also nicht-russisches Gas zu akquirieren. Der Kohleausstieg musste verschoben werden. Mittlerweile sind auch ganze 12 LNG-Terminals in Planung, das energiepolitische Rollback ist in vollem Gang.

Zugleich wurden dieselben Leute nicht müde, Russland an seine Lieferverpflichtungen zu ermahnen. Während der Westen offen den Vertragsbruch mit Gazprom und anderen russischen Unternehmen diskutierte und organisierte, sollte Putin weiter liefern, bis seine Rohstoffe nicht mehr gebraucht würden. Dass Russland dies nicht einfach hinnimmt und seinerseits Öl und Gas als Waffen einsetzt, darf natürlich niemanden verwundern, der die Sache einigermaßen nüchtern-rational betrachtet. Doch in der westlichen bürgerlichen Öffentlichkeit galten die zu erwartenden Gegenaktionen als weiterer Beweis für das perfide, geradezu dämonische Wesen Putins und seiner Gefolgschaft. Die innere Widersprüchlichkeit der eigenen Argumentation kümmert dabei Regierung und bürgerliche Opposition samt demokratischer Medienöffentlichkeit nicht weiter. Während Putin und seinem Regime so ziemlich alles zugetraut wird, gibt man sich verwundert darüber, dass Sanktionen mit Sanktionen, Embargos mit Embargos beantwortet werden.

Damit soll letztlich vor allem eines suggeriert werden: Jede mögliche Verknappung von Energie im Winter, jede Verteuerung gehen letztlich auf Putins Kappe. Die westliche, imperialistische Sanktionspolitik, die ökonomischen und geostrategischen Kriegsziele, die NATO und der Westen gegenüber Russland und in der Ukraine verfolgen, werden entweder ausgeblendet oder zu einem selbstlosen, geradezu schmerzlichen Akt der „Selbstverteidigung“ und des Kampfes für „Demokratie und Menschenrechte“ verklärt. Mit dieser Darstellung werden die realen Zusammenhänge geradezu auf den Kopf gestellt. Die Kosten des Krieges um die Ukraine und des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt mit Russland (und China) werden so im Namen des staatsbürgerlichen Interesses gerechtfertigt. Ob nun das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr, immer neue Kredite und Waffensysteme für die Ukraine, die Ausweitung und weitere Aufrüstung der NATO wie auch eine Energie- und Sanktionspolitik, die Russland in die Knie zwingen soll – alle diese Ausgaben werden als Mittel zur Verteidigung von Demokratie, Menschenrechten und Freiheit verkauft, hinter denen das eigentliche ökonomische und geostrategische Interesse des deutschen Imperialismus verschwindet.

Dass Russland seinerseits mit Gegensanktionen und einer Drosselung der Gas- und Öllieferungen an Deutschland und die EU antwortet, war vorhersehbar – und die meisten außenpolitischen Strateg:innen und auch die Ampelkoalition wussten das natürlich. In der bürgerlichen Politik gehört es jedoch manchmal zur Taktik (und Täuschung der eigenen Bevölkerung), sich dümmer und naiver darzustellen, als man ist. So kommt es allemal besser, sich als Opfer eines Putins zu inszenieren, der willkürlich die ach so demokratische Nachkriegsordnung in Schutt und Asche legen will. Die eigenen Weltmachtinteressen treten dabei nicht nur in den Hintergrund, die eigene Aufrüstung und ökonomische Sanktionen erscheinen so noch als Akt, der „uns“ vom Gegner aufgezwungen worden ist. Auch das ist nichts Neues, sondern gehört vielmehr zum ABC bürgerlicher Politik – den auf bloße Machtpolitik verkürzten Imperialismus ideologisch nur bei der Konkurrenz ausmachen.

Grenzen westlicher Hegemonie

Dummerweise beschränkt sich der Kampf um die Neuaufteilung der Welt jedoch nicht auf solche Winkelzüge. Dass das Kalkül, Russland mehr und mehr mit Sanktionen und Embargos in die Knie zu zwingen (und gleichzeitig die Gasversorgung einigermaßen aufrechtzuhalten), nicht aufging, hat aber einen weiteren, für die westlichen Staaten jedoch durchaus besorgniserregenden Grund: Die Sanktionspolitik konnte bis heute nicht global durchgesetzt werden. Natürlich stellen die meisten Staaten diese in Rechnung, zumal wenn Unternehmen fürchten müssen, dass eine (offene) Fortsetzung ihres Russlandgeschäftes ihren Zugang zu westlichen Märkten einschränkt oder Sanktionen v. a. durch die USA nach sich zieht. Niemand sollte sich darüber hinwegtäuschen, dass diese Drohungen reale Konsequenzen nach sich ziehen und die Sanktionen gegen Russland durchaus auch über den engeren Kreis der westlichen Staatengemeinschaft und ihrer Verbündeten hinaus schmerzhafte und nachhaltige Wirkung entfalten, was sich am Rückgang der Produktion, des BIP und der massiven Verschlechterung der Lage der Bevölkerung zeigt.

Aber die führenden westlichen Mächte scheiterten nicht nur und durchaus vorhersehbar darin, ihrem wichtigsten imperialistischen Konkurrenten China eine solche Politik aufzuzwingen. Auch ökonomisch und politisch bedeutsame Halbkolonien wie Indien oder Brasilien verweigerten sich einem Boykott russischen Öls und Gases oder überhaupt der wirtschaftlichen Beziehungen. So könnte Russland, wenn auch keineswegs ohne Probleme und Preisabschläge, in China und Indien wichtige alternative Abnehmer fossiler Rohstoffe finden und so Lieferausfälle in die EU kompensieren.

Dies wurde auch dadurch erleichtert, dass sich die OPEC unter Führung Saudi-Arabiens weigerte, die Öl- und Gasproduktion massiv zu steigern. Dies hat natürlich nichts mit Solidarität oder Sympathie für Putin zu tun. Doch die OPEC war bislang nicht bereit, Teile der Kosten westlicher Kriegspolitik durch Erhöhung der Fördermenge zu übernehmen und mitzuhelfen, die Energiepreise zu senken. Im Gegenteil, viele der wichtigsten Exporteure befinden sich selbst in durchaus prekärer wirtschaftlicher Lage. Selbst die Golfstaaten stehen vor massiven und kostspieligen Umstrukturierungen, deren Gelingen längst nicht feststeht. In jedem Fall können sie einen massiven Schub an Öl- und Gaseinnahmen auf dem Weltmarkt dringend gebrauchen.

Entscheidend für das Verständnis der aktuellen Weltlage ist dabei auch, dass die hegemoniale Weltmacht USA und ihre Verbündeten, also jene Staaten, die über Jahrzehnte die imperialistische Weltordnung bestimmten, nicht in der Lage sind, wichtige Halbkolonien, darunter über Jahrzehnte beherrschte Länder zur vollen Umsetzung ihrer Politik gegen Russland zu zwingen. Dies ist ein unverkennbarer Ausdruck des Niedergangs der US-Vorherrschaft und der mit ihnen verbündeten westlichen Mächte. Natürlich inkludiert imperialistische Hegemonie auch, eigenen Alliierten oder Vasall:innen Kosten entgegen ihren eigenen unmittelbaren Interessen aufzuzwingen.

Doch je schwächer die Vorherrschaft einer bestimmten Macht wird, je mehr ein/e neue/r Rival:in oder eine konkurrierende Mächtegruppe auf den Plan tritt, umso eher geraten auch Widersprüche zwischen der dominierenden imperialistischen Großmacht oder Allianz und ihren halbkolonialen Verbündeten offen ans Tageslicht. Diese Konstellation erlaubt letzteren gerade in Krisen zeitweilig einen größeren Manöverspielraum, zumal wenn sie selbst über eigene ökonomische oder geostrategische Machtmittel verfügen. Das trifft auf Länder wie Indien oder Saudi-Arabien zu, aber auch auf die Türkei, die im Gegenzug für ihre Zustimmung zur NATO-Aufnahme Schwedens und Finnlands weitgehend freie Hand gegen die Kurd:innen erhält und auch ansonsten ihren Einfluss zu erweitern versucht.

China

Der Niedergang der US-Hegemonie fällt natürlich nicht vom Himmel. Seit Jahren erwächst mit China ein imperialistischer Rivale, der auf zahlreichen Gebieten den USA Paroli bietet. Auch wenn letztere nach wie vor die größte Finanzmacht und kapitalistische Ökonomie darstellen, mit dem US-Dollar faktisch das Weltgeld kontrollieren und über die schlagkräftigste Militärmacht verfügen, so sind die Zeichen des Niedergangs unverkennbar. Russland und die EU-Mächte stellen eigentlich die schwächsten Glieder in der Kette imperialer Weltbeherrschung dar. Ersteres prägt der extreme Widerspruch zwischen militärischem und geostrategischem Potential einerseits und – rein ökonomisch betrachtet – einem immer mehr schwächelnden Imperialismus andererseits. Die EU verfügt zwar über großes wirtschaftliches Potential und ihr aggregiertes BIP ist (noch) größer als jenes der USA und Chinas, aber sie verfolgt keine gemeinsame globale Strategie, agiert nicht als einheitliche Größe. Sie stellt nach wie vor einen von Deutschland und Frankreich beherrschten Staatenbund dar, aber ihre inneren nationalstaatlichen Gegensätze konnte sie bis heute nicht überwinden. Das wäre aber die Voraussetzung dafür, den USA und China im Kampf um die Neuaufteilung der Welt auf Augenhöhe zu begegnen. Ob es dem deutschen und französischen Imperialismus gelingt, diese Neuordnung Europas hinzukriegen, ist fraglich. Im Moment jedenfalls haben die USA ihre hegemoniale Rolle im westlichen Bündnis verstärkt.

Während der globale Hauptkonflikt seit Jahren zwischen China und den USA ausgetragen wird, spitzt sich der Kampf um die Neuaufteilung der Welt 2022 im Krieg um die Ukraine zu, also in Europa. Auch wenn wohl beide Seiten den Krieg weiter auf einen Stellvertreter:innenkonflikt begrenzen mögen, so wird er mit einer solcher Härte geführt, dass ein Übergang zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland keineswegs ausgeschlossen werden kann.

Auf ökonomischer Ebene hat der Konflikt freilich längst globale Dimensionen angenommen. Gerade weil die Durchsetzung der jeweils eigenen Kriegsziele für das globale Kräfteverhältnis weitreichende Bedeutung hat, ist Deeskalation hier auch nicht angesagt. Die in Gang gesetzten Sanktionen haben sich zu einem veritablen „Energiekrieg“ ausgewachsen, der auch die EU-Staaten massiv in Mitleidenschaft zieht. Die Preissteigerungen, ja selbst drohende Versorgungsengpässe werden faktisch als Kollateralschäden betrachtet.

Daher ist auch ein Ausgleich mit Russland auf dem Feld der Energielieferungen so unwahrscheinlich. Im geostrategischen Kräftemessen und im Stellvertreter:innenkrieg um die Ukraine kämen eine Lockerung der Sanktionen und ein neuverhandelter Öl- und Gasdeal einer Bresche in der westlichen Kriegsfront gleich. Daher lehnen auch alle führenden Kräfte in der herrschenden Klasse, alle führenden Parteien in der EU und im deutschen Imperialismus jedes Einlenken ab. Von den USA ist erst recht in dieser Frage kein Zurück zu erwarten, da sie kaum auf russisches Gas oder Öl angewiesen sind.

Energiewende – fällt aus, Preise – steigen weiter

Doch auch die EU und Deutschland nehmen eine Vertiefung der beginnenden globalen Rezession, mögliche Lieferengpässe und die massive Inflation – und zwar nicht nur der Konsumgüter, sondern noch viel mehr der Produktionsgüter – in Kauf. Und zwar durchaus bewusst. Die Kosten für die im Rahmen des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt durchaus folgerichtige imperialistische Strategie sollen „natürlich“ die Massen zahlen und zwar auf verschiedenen kurz- und langfristigen Ebenen.

1. Mit der ökologischen „Erneuerung“ ist erstmal Schluss. Oder anders gesagt, der Green Deal der EU, der Grünen, aber generell des bürgerlichen Mainstreams offenbart sein reales Gesicht. Um die ökologische Wende geht es sowieso nicht, sondern lediglich um den Ausstieg aus russischen Öl- und Gaslieferungen. Dafür werden kurzfristig nicht nur Rohstoffe aus anderen Regionen mobilisiert, LNG-Terminals gebaut, wird auch schon mal Fracking in Deutschland ins Gespräch gebracht. Die Verlängerung der Kohleverstromung und die Diskussion um die AKW-Laufzeiten sind in diesem Zusammenhang nur konsequent. Natürlich werden auch erneuerbare Energien massiv ausgebaut werden – sei es in Wind- und Solarparks in Deutschland und der EU, sei es in Nordafrika, um so der EU günstige und „grüne“ Energie zu verschaffen und ihre Rohstoffabhängigkeit zu verringern. Die mögliche Rückkehr zu AKWs als „sauberer“ Energie zur Sicherung der „Souveränität“ passt in dieses Bild und es ist kein Zufall, dass immer größere Teile des Kapitals und der bürgerlichen Politik darauf drängen. Grüne und SPD lehnen das zwar noch ab, aber ein Umfallen – und sei es vorerst nur „befristet“ – ist durchaus wahrscheinlich.

2. Gerade die Frage von Windparks in Afrika und die AKW-Debatte verdeutlichen, dass die zukünftige Energiepolitik eng mit der imperialistischen Strategie von EU und BRD verbunden ist. Die Atomkraft hat auch noch den Vorzug, waffenfähige atomare Spaltprodukte (Plutonium) zu liefern, die für den deutschen Imperialismus nötig sind, will man ernsthaft um eine weltweite Führungsrolle kämpfen. Die „ökologische“ Wende wird nicht nur auf energiepolitischem Gebiet begraben. Die globale ökonomische, geopolitische und imperialistische Konkurrenz erfordert natürlich auch ein Mehr an Ressourcen. Die Sicherung industrieller Gewinne und imperialistischer Extraprofite erfordert Investitionen in erneuerte Anlagen, eine Umstellung und auch eine Erweiterung der Produktion in für den Weltmarkt zentralen Branchen. Ob die dafür nötige Leistung aus Kohle-, Gas und Atomkraftwerken oder aus erneuerbaren Energien kommt, ändert nichts daran, dass das deutsche Kapital weiter um den Titel des Exportweltmeisters konkurrieren will. Die Aufrüstung erfordert natürlich ebenso mehr Produktion wie den Ausbau strategisch wichtiger Hochtechnologie am Standort Deutschland. Unter diesen Bedingungen wird der gesamte Energieverbrauch, selbst wenn die Effizienz erhöht werden sollte, keineswegs zurückgehen – und ganz sicher nicht in dem Maße, das notwendig wäre, um eine ökologische Wende hinzulegen. Nachdem aber alle imperialistischen Staaten, alle, die auf dem Weltmarkt obsiegen wollen, vor ähnlichen Anforderungen stehen, bedarf es keiner großen Voraussicht, um eine Verschärfung der gesamten ökologischen Katastrophe zu prognostizieren. Unter diesen Bedingungen müssen wir damit rechnen, dass sich die Entwicklung der Periode von 1990 – 2019 fortsetzt. In diesem Zeitraum erhöhte sich der Energieverbrauch global um etwa 60 %.

3. Der Krieg, die steigenden Rohstoffpreise und die kapitalistische Umstellung des Energiesektors verdeutlichen den Aberwitz des Systems aber auch auf einer anderen Ebene. Die Öl- und Gaskrise hat einige Großimporteure wie Uniper an den Rand des Ruins gebracht. Da dieser Konzern – quasi als energiepolitische Version der Lehman-Brothers – als „too big to fail“ gilt, übernahm der deutsche Staat für 12 Milliarden Euro 30 % der Aktien. Weitere Rettungsaktionen könnten folgen. Ein weiteres Mal werden die Verluste vergesellschaftet. Uniper und Co. erwischten die aktuelle Energiekrise und die Bewegung der Weltmarktpreise offenkundig auf dem falschen Fuß. Für die gesamte Branche hingegen spült eben diese Entwicklung satte Extraprofite, neuerdings „Übergewinne“ genannt, in die Kasse. So erwartet RWE aufgrund der gestiegenen Preise und des Braunkohleausbaus für 2022 einen Gewinnzuwachs auf 5 bis 5,5 Mrd. Euro statt der ursprünglich veranschlagten 3,6 – 4 Mrd. Es steht dabei nur für eine gesamte Branche. Auch andere Energieriesen wie E.ON und Shell – aber nicht nur diese! – machen Milliardengewinne, während Millionen nicht wissen, wie sie ihre Strom- und Heizkosten begleichen sollen. Großzügig erklären sie, auf die Gasumlage bei ihren Kund:innen verzichten zu wollen. Ganz so großzügig ist das natürlich nicht. Die Vorstände der Übergewinnler:innen haben auch mitgekriegt, dass ihre Profitmacherei Empörung und – noch viel schlimmer – die Forderung nach Besteuerung ihrer zusätzlichen Rendite hervorbringen. Der „großzügige“ Verzicht gilt somit als Signal an „die Politik“ – wir verzichten auf die Gasumlage und ihr lasst das mit höheren Steuern bleiben.

4. Die Gasumlage illustriert aber ebenso wie die Milliarden für die Rettung von Uniper: An die Reichen und erst recht an das kapitalistische Privateigentum will man nicht ran. Dabei wird die sog. Gasumlage in jedem Fall weiter Löcher in die ohnedies schon schwer gebeutelten Taschen der Konsument:innen, also vor allem der Arbeiter:innenklasse reißen. Und wie so oft trifft es dabei vor allem die ohnedies schon ärmsten Schichten der Bevölkerung. Die Ratschläge der Bundesregierung erweisen sich dabei entweder als zynische Albernheit, wenn beispielsweise Minister:innen wie Habeck alle, die ihre Rechnungen schon jetzt nicht mehr begleichen können, zu „Verzicht“ und „Sparsamkeit“ ermahnen. Zum Ausgleich verspricht die Regierung ansonsten Flickschusterei statt klarer Entlastung. Statt die Kosten für die Masse der Bevölkerung für Energie, Strom, Lebensmittel zu deckeln, soll die asoziale Gasumlage bleiben. Allerdings sollen die Massen zeitweilig mit einer Mehrwertsteuer auf Gas von 19 auf 7 % versöhnt werden. Lt. Kanzler Olaf Scholz würde damit die Gasumlage nicht nur kompensiert, sondern sogar ein Plus bei den Haushalten bleiben. Wer’s glaubt, wird selig. Wahrscheinlich findet sich trotz Olafs Rechenkünsten ein Minus am Ende des Jahres wieder.

5. In Wirklichkeit handelt es sich bei den sozialdemokratischen (und auch den grünen) Versprechen sozialen Ausgleichs und Nachbesserns vor allem darum, die Massen zu beschwichtigen. Dabei frisst die Inflation schon jetzt ihre bescheidenen Einkommen. In den letzten Jahren fielen die Lohnrunden bekanntlich bescheiden aus, die Erhöhungen der Renten ebenfalls. Jene der Hartz-IV-Regelsätze kommen einer Verhöhnung der Ärmsten der Armen gleich. Und auch vom Mindestlohn wird die Preissteigerung wenig reale Kaufkraft übrig lassen. Kein Wunder also, dass SPD und Grüne ein weiteres „Entlastungspaket“ versprechen, das, wie seine Vorgänger, die Belastung allenfalls etwas abmildern wird. Während sich dieser Flügel der Regierung, vorzugsweise in einer Allianz mit den Gewerkschaftsapparaten, um den Schein „sozialen Ausgleichs“ bemüht, spielt die FPD die neoliberale Kassenwartin. Von einer „Übergewinnsteuer“, wie sie Sozis und Grüne ins Spiel gebracht haben, will Finanzminister Lindner natürlich nichts wissen. Für die Verlängerung des Neun-Euro-Tickets, immerhin einer der wenigen realen Verbesserungen für Millionen, gibt es keinen Cent. Dafür verspricht er Milliardenentlastungen über eine Steuerreform für die Besserverdienenden, während die mittleren und unteren Einkommensgruppen wenig bis gar nichts davon haben. Der Rückenwind von der bürgerlichen, auch der rechtspopulistischen Opposition ist ihm sicher. SPD und Grüne werden ihm – und damit Kapital und den gehobenen Mittelschichten – wohl entgegenkommen.

All das zeigt, wie eng der Krieg, die aktuelle Energiekrise, steigende Verbraucher:innenpreise mit der imperialistischen und klassenpolitischen Neuausrichtung in Deutschland verbunden sind. Von SPD und Grünen sind allenfalls eine paar sozialpolitische und grüne Placebos, Trostpflaster ohne Wirkung, zu erwarten. Der drohende soziale Kahlschlag wird damit ebensowenig aufzuhalten sein wie imperialistische Aufrüstung und kapitalistische Umstrukturierung.

Doch die sozialen Beschwichtigungsmaßnahmen und Versprechen von SPD und Grünen zeigen auch – in der Bevölkerung brodelt es gewaltig!




Embargo russischen Erdöls: PCK Schwedt als Kollateralschaden?

Jürgen Roth, Neue Internationale 255, Juli/August 2022

Seit den 1960er Jahren fließt russisches Erdöl vom Südural über 5.000 km nach Ostdeutschland, aber u. a. auch Tschechien, Ungarn, Bulgarien und in die Slowakei. Am Ende des Nordastes der „Drushba“ (Freundschaft) genannten Pipeline befindet sich das PCK Schwedt in Nordostbrandenburg, zu DDR-Zeiten Petrolchemisches Kombinat. Doch auch Leuna in Sachsen-Anhalt wurde aus ihr versorgt.

Ölembargo

Von ehemals 8.000 Arbeitsplätzen im Jahr 1990 sind noch 1.200 übriggeblieben. Weitere 2.000 Arbeitsplätze in der Region hängen von der Schwedter Raffinerie ab, die Berlin und Brandenburg zu 90 % und Westpolen zu 50 % mit Kraftstoffen versorgt, daneben aber auch Grundstoffe z. B. für Kunststoffverarbeitung erzeugt. Der Süden der ehemaligen DDR hängt in ähnlicher Weise am Tropf der Leunaer Raffinerie. Während diese dem französischen Ölkonzern Total gehört, befindet sich das PCK als GmbH mehrheitlich in der Hand des russischen Staatsölkonzerns Rosneft.

Zwar musste die EU nach heftigem Einspruch v. a. Ungarns just ihre Embargopläne herunterschrauben, doch die Bundesregierung hält weiterhin stur am Auslaufen der Importe bis zum Jahresende fest. Die EU hatte ursprünglich nur einige osteuropäische Länder vom Lieferstopp ab Anfang 2023 ausgenommen, lässt nun aber den Transport über Pipelines ausdrücklich länger zu und schränkt „nur“ den auf dem Seeweg ein, was aber auch auf erbitterten Widerstand z. B. Griechenlands stößt. Selbst hochrangige US-Diplomat:innen gaben ihre Bedenken gegen das ursprünglich geplante Embargo bei der EU-Kommission zu Protokoll. Biden fürchtet wohl höhere Kraftstoffpreise im eigenen Land so kurz vor den Zwischenwahlen im November. Saudi-Arabien, weltweit größter Erdölexporteur und einer der engsten US-Verbündeten nach dem Zweiten Weltkrieg, hat sich nämlich gegen ein Ölembargo Russlands ausgesprochen und weigert sich, seine Fördermenge zu erhöhen.

Doch Bundeswirtschaftsminister Habeck ficht das nicht an. Auf einer PCK-Betriebsversammlung am 9. Mai mimte er den Weichspüler: Er versprach den Beschäftigten eine Zukunft mit Öl aus anderen Ländern auf dem Seeweg über Rostock und Gdansk. Expert:innen gehen davon aus, dass angesichts der dortigen Umschlagskapazitäten nur höchstens 60 % des „schwarzen Flüssiggolds“ für Schwedt kompensiert werden könnten – bei höheren Transportpreisen. Eine Verarbeitung anderer als der sibirischen Rohölqualität ginge zudem mit Umstellungsmaßnahmen in den Cracktürmen der Raffinerie einher. Rosneft gesteht zwar auch die Möglichkeit der Verarbeitung anderer Sorten zu, doch zu welchem Preis für die Allgemeinheit der Steuerzahler:innen? Leuna z. B. scheint bereits ein größeres Volumen norwegischen Rohöls akquiriert zu haben. Unklar bleibt ferner, ob der Ausstieg aus russischen Lieferungen ohne Weiteres erfolgen kann, ohne die langfristig vertraglich georderten Abnahmequoten zu bezahlen.

Für den Superminister stellt sich auch die Frage der Enteignung des Rosneftanteils in Form einer Treuhandanstalt.

Reaktionen: SPD …

Für Brandenburgs SPD-Ministerpräsidenten Woidke stellte Habecks Auftritt ein „gelungenes Signal“ dar. Schwedts Bürgermeisterin und Parteigenossin, Annekathrin Hoppe, macht sich dagegen Sorgen angesichts der geringen Menge, die aus Rostock kommen soll. Belieferung aus Gdansk, so die polnische Regierung, solle erst erfolgen, wenn die BRD ganz auf russische Importe verzichtet habe. Beim besten Willen ist nicht zu erkennen, wie das PCK mit einer Auslastung unter 70 % marktwirtschaftlich überleben kann. Da nützen auch Finanzhilfeversprechen des grünen Bundesministers nicht, zumal sie einerseits für den Übergang zur neuen, angedachten Eigentumsstruktur verwendet werden und die kritische Auslastungsgrenze nicht überwinden helfen können.

… DIE LINKE

Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter warnt deutlicher. Er hält das Ölembargo für eine Entscheidung gegen den Osten Deutschlands und fordert die Landesregierung auf, für eine Beschäftigungsgarantie der 3.200 Arbeitsplätze und beim Bund dafür einzutreten, dass es nicht zu höheren Preisen für Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl in Ostdeutschland führe. Und für Westpolen? Dem Fraktionsvorsitzenden kann man zwar bezüglich seiner Befürchtungen zustimmen, doch ist seine Haltung weder sozialistisch noch sozial, sondern provinziell beschränkt.

Im Landtag forderte DIE LINKE darüber hinaus, per Beschluss festzustellen, Habecks Auffassung nicht zu teilen, die Bundesregierung aufzufordern, ihre Haltung zu überdenken und sich bei der EU für eine Verlängerung der Fristen wie im Falle Ungarns und der Slowakei einzusetzen – zumindest für die ostdeutschen Bundesländer. Die Landtagssitzung erfolgte vor dem oben erwähnten EU-Kompromiss. Schnellstmöglich solle PCK in staatliche Treuhandschaft überführt und fit gemacht werden für den Ausstieg aus fossilen Brenn- und Rohstoffen.

Kritik

Auch die Landtagsfraktion verrennt sich also in den ostdeutschen Provinzialismus ihres Vorsitzenden, statt das Ganze wenigstens in einen zumindest bundesweiten Kampf gegen Teuerung und Energiekrise einzubetten. Dagegen müssen wir ihr beipflichten, was Verstaatlichung und ökologischen Umbau betrifft. Doch warum eine Treuhandanstalt? Hat nicht diese Eigentumsform die DDR-Industrie zugrunde gerichtet und stellte eine Art Staatsbesitz im Übergang zur Privatisierung bzw. Abwicklung dar? Wird sich nicht die neue Betriebstreuhandmehrheitsanteilseignerin schnellstmöglich nach einer „anständigen“ Firma umschauen, die PCK aufkauft und zum Zweck seines rentablen Betriebes auf Beschäftigungsgarantien pfeift?

Wir brauchen stattdessen Zweierlei: erstens Kontrolle der Beschäftigten und ihrer Klassenorganisationen über PCK und ausnahmslos alle großen Unternehmen im Energiesektor: Gas, Öl, Kohle, Strom, Netzbetrieb und Erneuerbare; zweitens deren sofortige Verstaatlichung zum Nulltarif – entschädigungslos! Das wäre sowohl sozial wie Vorstufe für eine wirkliche Transformation. DIE LINKE in Brandenburg unterscheidet sich kaum von „Garantieversprechen“ in Sozialplänen, wie sie SPD und Gewerkschaftsbürokratie seit Jahr und Tag abgeben.

Deutlicher, aber letztlich auf ähnlicher Linie, geht Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch im Bundestag gegen die Embargopläne der Bundesregierung zu Werke. Er fordert einen „Schutzschirm für Ostdeutschland“, damit „die Strategie von Putin, den Westen zu spalten, eben nicht aufgeht.“ In der Tat könne die Bereitschaft der Bevölkerung, außenpolitische Maßnahmen mitzutragen, langfristig durchaus abhängig sein von innen- und sozialpolitischer Stabilität, gerade wenn sich der Krieg wahrscheinlich länger hinziehe.

Wir haben bereits an anderer Stelle deutlich gemacht, warum wir grundsätzlich gegen ein Embargo seitens imperialistischer Staaten sind, sogar wenn es sich gegen einen Aggressor richtet, der ein Land überfällt. Und das Embargo trifft auch nicht Waffen, sondern grundlegende Güter des unmittelbaren Lebens. Wir treten im Übrigen nicht deshalb gegen den Boykott ein, weil er die BRD und EU womöglich härter trifft als Russland, sondern weil er ein Mittel des Kampfes um Einflusssphären zwischen imperialistischen Mächten ist, in dem Fall der BRD und ihrer Alliierten,  und diesen Kampf notwendigerweise weiter verschärft.

Aus gänzlich anderen Motiven wandte sich dagegen die Brandenburger AfD-Landtagsfraktion gegen das Embargo. Alles soll beim Alten bleiben, damit es sich Deutschland nicht für alle Zukunft mit Putins Großreich verscherze.

Bartsch vertritt indes eine lupenreine sozialchauvinistische Position, die der Arbeiter:innenklasse mit ein paar Brosamen, die ihre Verelendung „sozialer“ gestalten sollen, seinen Hurrapatriotismus schmackhaft machen will.

Embargo im grünen Rock

Auch aus ökologischer Sicht ist der Ausstieg aus dem russischen Erdgas aberwitzig. Schließlich soll es durch ökologisch schädlichere „Alternativen“ ersetzt werden: Kohle und möglicherweise Weiterbetrieb der AKWs. Grundsätzlich richtig bleibt deshalb der Verweis der Brandenburger Landtagslinksfraktion auf den Ausstieg aus fossiler Energieerzeugung. Doch über diese vage Weisheit kommt sie nicht hinaus. Sie hätte stattdessen auf die an den Standorten ehemaliger DDR-Kombinate wie Leuna, Schwarze Pumpe und Schwedt entwickelten Patente und ihre weiteren Ergänzungen verweisen können, die z. B. in Gestalt der Wasserstoffstrategie für den ökologischen Umbau eine bedeutende Rolle spielen könnten.

Das Know-how der Beschäftigten hier, aber auch in den Braunkohlekraftwerken wie Jänschwalde wird eine unverzichtbare Rolle für einen organisierten Ausstieg spielen (Power to Gas, Wärmespeicherung, CO2-Abscheidung CCS usw.), vorausgesetzt diese legen die Patente offen, um die besten und miteinander kompatiblen technischen Lösungen für den Übergang herauszufinden und mittels Arbeiter:innenkontrolle in einer verstaatlichten Branche in Kraft zu setzen.

Ein solcher Ausstieg mag „radikalen“ Umweltschützer:innen wie denen vom „Aufstand der letzten Generation“ nicht schnell genug gehen. Jüngst unterbrachen zwei von ihnen den Ölfluss der Drushba-Pipeline an der Pumpstation Glantzhof im uckermärkischen Strasburg. Sie wollten „in den Notfallmodus umschalten“, eine „Lebenserklärung“ von Habeck erhalten, dass in Deutschland keine neue fossile Infrastruktur geschaffen wird. „Wenn wir jetzt auf erneuerbare Energien umsteigen, machen wie uns unabhängig von Diktaturen wie Russland oder Katar.“

Radikal sind nur solche Stunts. Lammfromm ist ihr Vertrauen in „unsere“ Demokratie. Für einen echten Ausstieg, eine wirkliche, organisierte Energiewende mit allem Drum und Dran braucht es eine Planwirtschaft, nicht eine EEG-Umlage aus den Taschen der Masse der Stromkund:innen unter Verschonung der Großkonzerne. Die vage Hoffnung, damit das Kapital zum Ausstieg aus kostengünstigen Energieträgern zu locken, hat dazu geführt, dass 100 Mrd. kWh zeitweilig überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien nicht ins Netz eingespeist wird, genug, um die Gasspeicher sofort zu füllen, wenn man daraus Methan herstellte. Träger eines solchen rationalen, umfassenden und integrierten Planes kann aber nur die Arbeiter:innenklasse sein. Insbesondere ihre Fachkräfte in der Energiewirtschaft müssen dafür sorgen, dass wir im Winter nicht frieren, im Dunkeln sitzen und uns nur noch zu Fuß und auf dem Fahrrad fortbewegen können. Kosten? Für Krieg und neue, fossile, aber schlechtere Infrastruktur ist natürlich genug Geld da, Habeck sei Dank. Wir sollten diesen Bock nicht wie unsere beiden „aufständischen“ Aktivist:innen mittels leerer Appelle zum Gärtner machen.




Habeck und der Gas-Notfallplan: Nein zur Preiserhöhung! 

Leo Drais, Infomail 1191, 24. Juni 2022

Wirtschafts- und angeblich auch Klimaminister Habeck hat die zweite Stufe des sogenannten Gas-Notfallplans ausgerufen, der Arbeiter:innenklasse drohen massive Gaspreisanstiege. Sie wird sie zahlen müssen, wenn wir keine Gegenwehr aufbauen.

Es sind die Kosten des Krieges, die auf die Arbeiter:innenklasse abgewälzt werden. Während Kanzler Scholz rätselt, ab wann man eigentlich Kriegspartei ist, bekommen wir die Kosten von Waffenlieferungen und einem nie dagewesenen Sanktionsprogramm sehr konkret zu spüren. Die grüne Partei des deutschen Imperialismus ist da ein bisschen ehrlicher. Robert Habeck hat die jüngste Drosselung der russischen Gaslieferungen um etwa die Hälfte als „Waffe gegen Deutschland“ bezeichnet. Und wo kommen Waffen zum Einsatz? Im Krieg, natürlich, im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, den die Ukraine stellvertretend für Deutschland und die NATO gegen Russland ausfechtet – und deren Bevölkerung weit mehr als horrende Gaspreise dafür zahlt. 

Kalt und teuer

Unmittelbar verantwortlich für die Gasdrosselung, wie für den Überfall auf die Ukraine auch, ist natürlich der russische Imperialismus. Aber deshalb schlagen wir uns nicht auf die Seite des deutschen Imperialismus mit seinen Werten, die er schon im Kosovo und in Afghanistan so glänzend verteidigt hat, und seiner Demokratie, die über Nacht 100 Milliarden an der Bevölkerung vorbei ins Militär steckt.

Das ist nicht unser Krieg. Von einem Schulterschluss mit den Herrschenden profitieren nur westliche Kapitale wie Shell und Rheinmetall sowie ihre politischen Vertreter:innen – von Biden bis Macron, von Baerbock bis Selenskyj. Wir werden auch nicht für sie frieren. Wir werden frieren, weil wir uns das Heizen und Duschen und Kochen mit blauer Flamme bald vielleicht nicht mehr leisten können. 

Eine Preiswelle rolle auf Deutschland zu, die faktisch nicht mehr abzuwenden sei, so Habeck. Das klingt wie eine Naturkatastrophe, Schulterzucken, da kann man nichts machen. Die jetzt ausgerufene Stufe zwei des Gas-Notfallplans beschreibt Erdgas nun als knappes Gut in Deutschland. Die Folgen zeigen die kommenden Wochen. Schon vor diesem Schritt wurde für einen Haushalt mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden pro Jahr errechnet, dass 1000 – 2000 Euro Zusatzkosten auf ihn zukommen. Eine drohende drei- bis vierfache (400 %!) Gaspreiserhöhung ist für viele – der Zusammenbruch. Der Markt befiehlt, diese vom Kapitalismus erschaffene Pseudonatur. Preisgarantien sind nichts mehr wert. Auf den Markt wird gehofft. Habeck will der Industrie Anreize zum Energiesparen geben, bei Auktionen sollen Firmen eingespartes Gas versteigern dürfen. Wer dieses Spekulationsspiel wohl am Ende bezahlt? 

Die Gaskonzerne werden wahrscheinlich die Kosten an die Verbraucher:innen und die Industrie direkt weitergeben dürfen, die Industrie wird die Kosten an die Verbraucher:innen weitergeben, die Verbraucher:innen sind im wesentlichen die Arbeiter:innenklasse, die lohnabhängigen Mittelschichten und das Kleinbürger:innentum. In Habecks Geldbeutel wird die Gaspreisexplosion genauso wenig Kratzer hinterlassen wie in den Taschen der deutschen Kapitalist:innen. Bei uns entstehen klaffende Spalten. Es ist ideologischer Bullshit, dass wir jetzt alle den Gürtel enger schnallen. Wir kriegen den Gürtel von denen enger geschnallt, bei denen er weiter im weitesten Loch sitzt.

Wenigstens für‘s Klima gut?

Viele werden mit dem Gas sparen – sparen müssen, Rechnungen und Kontostände sprechen eine eindeutige Sprache. Manchen hilft es dann, sich unter der kalten Dusche mantraartig „Es ist gut für‘s Klima, es ist gut für‘s Klima,…“ vorzubeten. Aber, davon wird vielleicht die Gänsehaut verschwinden, der Klimawandel wird damit nicht gestoppt, nicht mal im kleinsten Ansatz. 

Denn die Konsequenzen der Ampelregierungen aus dem Krieg und der Abhängigkeit vom russischen Gas sind ja nicht, einen schnellstmöglichen Ausstieg aus fossiler Energie zu forcieren. Nein. Es geht um den Ausstieg aus russischerfossiler Energie, und selbst der dauert. An die Stelle des sibirischen Gas tritt die rheinische RWE-Braunkohle, das den Krieg im Jemen finanzierende saudische Öl und das vollkommen zerstörerische, abgefrackte Schiefergas aus den USA, von rußkotzenden Flüssiggastankern einmal um die halbe Welt geschippert. Unterm Stich – eine Katastrophe für‘s Klima. 

Dabei gebe es Möglichkeiten jetzt und sofort viel mehr fossile Energie und auch Gas einzusparen. Zum Beispiel indem der größte deutsche Industriesektor schnellstmöglich restrukturiert wird. Die Autoindustrie produziert sowieso im Minutentakt eine Verkehrsweise, die weder ökologisch, noch sonst in irgendeiner Weise sinnvoll ist.

Wir zahlen nicht!

Die Gaspreisexplosion ist eben nicht das, was Habeck uns weiß machen will. Sie ist keine unabwendbare Katastrophe, schon gar nicht eine natürliche. Ein angeblicher Klimaminister sollte die Unterschiede zwischen Natur und Gesellschaft besser kennen. Aber gut, Habeck ist ja auch das glatte Gegenteil eines Klimaministers. Die aktuelle Gaspreisexplosion hilft der Absicherung deutscher Konzerne im Ringen mit Russland auf unsere Kosten und die unserer Lebensgrundlage. Nichts anders.

Dafür zahlen wir nicht! Der Kampf gegen den Krieg, Waldbrände in Brandenburg und das völlige Abgebrannt-sein unserer Ersparnisse hat gemeinsame Nenner: 

  • Für die sofortige, entschädigungslose Enteignung der gesamten Energieindustrie unter demokratischer Arbeiter:innenkontrolle!

  • Sofortiger Preisstopp! Keine Gassperre für Privathaushalte! Für Preiskontrollkomitees der Gewerkschaften und der Konsument:innen aus Arbeiter:innenklasse und Kleinbürger:innentum! Keine Subventionierung der Energiekonzerne, sie sollen für Mehrkosten zahlen! 

  • Gegen die Weitergabe der Kosten an uns! Wir zahlen nicht für Krieg und Klimakrise! Für einen demokratischen Sofortnotfallplan der Arbeiter:innenklasse zum schnellstmöglichen Ausstieg aus fossiler Energie, bezahlt durch die Profite und Kapitale von Rheinmetall, Shell, RWE, Vattenfall und Co! Energie sparen durch eine ökologische, demokratische Kreislaufplanwirtschaft!

  • Bei etwaiger Knappheit an Erergie: Geplantes Herunterfahren nicht lebensnotwendiger Bereiche unter Arbeiter:innenkontrolle anstatt Hoffen und Bangen auf den Markt!

  • Umbau unnötiger Industrien wie der Autobranche hin zu einer sinnvollen Produktion! Umschulung statt Entlassung, keine einziger Job darf gestrichen werden, Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn und Personalausgleich! Sofortige Anhebung des Mindestlohns! Automatische Anpassung der Löhne, Renten und des Arbeitslosengeldes an die Inflation!

  • Verbindung der laufenden Tarifrunden mit dem Kampf gegen die Preissteigerung! Die DGB-Gewerkschaften müssen mit ihrer Unterordnung unter die Regierungspolitik brechen! Für eine bundesweite Massendemonstration und politische Massenstreiks gegen die steigenden Lebenshaltungskosten!