Wie bekämpfen wir die Inflation?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 268, Oktober 2022

Die Inflationsrate steigt und steigt. Betrug sie im August 2022 8,8 %, wird im Herbst schon ein zweistelliger Prozentsatz erwartet. Bürgerliche Ökonom:innen sprechen zwar gern davon, dass die Spitze der Inflation bald erreicht sein solle und es sich wieder „zu den normalen“ 2 % hin entwickeln würde. Eins ist aber sicher: Die Preise werden oben bleiben und mit ihnen wird der finanzielle Druck im Alltag der Bevölkerung zunehmen.

Dies wird deutlich, wenn man die hiesige Inflationsrate mit jener anderer Länder vergleicht. So weisen im August 2022 Österreich 9,2 %, Estland 25,2 % und der EU-Durchschnitt 10,1 % auf. Die Türkei verzeichnet gar satte 80,1 %. Die Antwort der Ampelregierung hierzulande? Zuerst die kapitalfreundliche Gasumlage sowie Einmalzahlungen im Entlastungspaket nach dem Gießkannenprinzip. Nun folgt die Verstaatlichung von Uniper und auch der Ampel kommen Zweifel an der Gasumlage. Gleichzeitig werden einzelne Konzerne mit Milliardensubventionen gerettet und die hiesige Energiewirtschaft macht unterm Strich Milliardengewinne. Auch wenn jetzt eine Deckelung der Preise vage in Aussicht gestellt wird, so wissen doch alle, dass diese nicht verspätet, sondern auch vollkommen unzureichend kommt. Dagegen formiert sich Widerstand – und er ist dringend nötig!

Somit ist es nicht verwunderlich, dass die stark ansteigenden Preise nicht nur Thema in Politshows und bürgerlichen Kolumnen sind, sondern auch täglich Gesprächsstoff an den Frühstückstischen, den Pausenräumen und in den Betrieben liefern. Die Lohnabhängigen bekommen die Auswirkungen täglich durch gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise zu spüren und der Unmut darüber wird immer lauter. Auch wenn es noch nicht überkocht, die Stimmung scheint zu brodeln und die Menschen suchen nach Aktivitätsmöglichkeiten, um ihren Unmut auf die Straße zu tragen. Ein Hinweis darauf stellen zum Beispiel die Teilnehmer:innenzahlen bei den ersten Montagsdemonstrationen wie z.B. 4.000 Teilnehmer:innen in Leipzig dar. Die sich formierenden Proteste werfen aber die Frage auf: Wofür sollten wir eigentlich auf die Straße gehen? Und wie können die Proteste erfolgreich sein?

Widerstand – und er ist dringend nötig!

Allein die Gasrechnung im Briefkasten sollte reichen, um uns auf die Straße zu treiben. Doch leider reicht purer Unmut über die Preiserhöhungen nicht aus, um das Problem zu lösen. Es bedarf Forderungen, die sich nicht nur gegen die hohen Preise richten, sondern dauerhaft Verbesserungen schaffen. Und es braucht eine Bewegung und Aktionsformen, mit denen wir unsere Ziele auch durchsetzen können. Ansonsten erreichen wir allenfalls nur Teilzugeständnisse mit der Gefahr, dass die Proteste mit der Zeit schwächer werden. Denn: Sollten die aktuellen Preissteigerungen dauerhaft durchgesetzt werden, werden Millionen nicht nur sehr viel ärmer, sondern auch deren Kampfkraft und Mobilisierungsbereitschaft geschwächt sein. Wir würden dann unter noch viel schlechteren Voraussetzungen in die nächsten Kämpfe gehen. Deswegen müssen wir rasch handeln.

In der entstehenden Bewegung und in den sich formierenden Bündnissen schlagen wir daher folgende Forderungen vor:

1. Automatische Anpassung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen an die Inflation!

Auch wenn viele vor einer „Lohn-Preis-Spirale“ warnen, so ist dies vielmehr ein Hirngespinst als Realität. Vor allem ist es ein Schreckgespenst, um die Lohnabhängigen zu Zurückhaltung und Verzicht, also zur Bezahlung von Kriegen, Sanktionen und Rezession zu treiben. Wir brauchen genau das Gegenteil: Eine automatische Anpassung der Löhne, Renten und Sozialleistungen  an die Preissteigerung hat mehrere Vorteile. Wir sind den Schwankungen des Marktes weniger stark ausgeliefert und alle Arbeiter:innen, ob beschäftigt oder nicht, ob alt oder jung erhalten eine solche Erhöhung ihrer Einkommen.

2. Kampf um höhere Löhne! Mindestlohn und Mindestrente von 1.600 Euro!

In den laufenden Tarifrunden wie in allen Betrieben ist es essenziell, dass wir Forderung nach vollem Inflationsausgleich und Wettmachen des Verzichts der letzten Jahre aufwerfen. So haben die Berliner BSR-Beschäftigten eine Entgelterhöhung von 16 % aufgestellt. In allen Betrieben sollten die Gewerkschaften, Betriebsräte und Vertrauensleute Versammlungen organisieren, um die Frage zu diskutieren, wie die Preissteigerungen wettgemacht werden können, und Sondertarifverträge einfordern oder bestehende kündigen, um streikfähig zu werden.

3. Bundesweite Deckelung der Preise für Mieten, Strom, Gas und Lebensmittel!

Der diskutierte Gaspreisdeckel, der selbst von der CDU ins Gespräch gebracht wurde, zeigt, dass theoretisch viel möglich ist. Praktisch darf es aber nicht dabei bleiben, sondern muss auf alle wichtigen Konsumgüter ausgeweitet werden. Zentral ist aber nicht nur der Deckel, sondern auch, wer dessen Umsetzung kontrolliert. Das können wir weder den Konzernen noch Behörden überlassen, das müssen vielmehr die Arbeiter:innen in Preiskontrollkomitees tun.

4. Massive Besteuerung der großen Unternehmen und Vermögen!

In Spanien ist eine einmalige Übergewinnabgabe schon Realität, in anderen Ländern geplant. Die Bundesregierung kriegt nicht einmal das hin. Unternehmen, die aus der Krise Gewinn ziehen, sollen sich nicht weiter die Taschen vollstopfen. Was schon während der Pandemie notwendig gewesen wäre, ist nun längst überfällig! Damit das klappt, müssen Unternehmen ihre Geschäftsbücher offenlegen. So können wir nachvollziehen, wer zu den Gewinner:innen der Krise gehört. Dabei sollten wir aber nicht stehenbleiben. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst, und statt dem weiter stumm zuzusehen, müssen wir dem entgegenwirken. Wir brauchen daher eine progressive Besteuerung von Kapital, Gewinnen und privaten Vermögen!

5. Die Verstaatlichung von Energiekonzernen unter Kontrolle der Lohnabhängigen

Der freie Markt regelt – nichts. Konzerne, die der Profitlogik sowie Konkurrenz unterworfen sind, wirtschaften eben im Interesse derjenigen, denen sie gehören, und nicht der Bevölkerung. Das ist nichts Neues. Selbst wenn sich der Staat wie beim Gasimporteur Uniper genötigt sieht, das Unternehmen und seine Milliardenverluste zu verstaatlichen, entschädigt er noch immer Aktienbesitzer:innen wie den finnischen Konzern Fortum mit 480 Millionen Euro.

Was wir brauchen, ist eine entschädigungslose Enteignung aller Unternehmen im Energiesektor, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, die Preissteigerungen für Lohnabhängige und Kleinunternehmen zu verhindern und die Energiewirtschaft im Sinne ökologischer Nachhaltigkeit umzustellen. Dazu braucht es einen Plan unter Kontrolle der Lohnabhängigen durch demokratisch gewählte Komitees, die jederzeit abwählbar und rechenschaftspflichtig sind.

Stilles Schweigen: Was sagen wir zum Krieg?

Darüber hinaus darf zur Frage des Ukrainekrieges nicht geschwiegen werden. Auch wenn eine einheitliche Positionierung gegen Putins Angriffskrieg keine Bedingung zur Teilnahme an Bündnissen sein kann, so ist es Aufgabe von Revolutionär:innen, dazu Stellung zu beziehen.

Schließlich treibt die Kriegspolitik die Preise mit in die Höhe und wird als Rechtfertigung seitens der deutschen Bourgeoisie genutzt, dass wir kollektiv „verzichten“ müssen.

Die Antwort von linker Seite muss darauf ganz klar sein: Wir frieren nicht für ihren Krieg! Das heißt praktisch, gegen die Sanktionen gegenüber Russland einzutreten. Große Teile der Gewerkschaften und der Umweltbewegung, die SPD und selbst Teile der Linkspartei unterstützen die Sanktionen, manche fordern gar Waffenlieferungen von der Regierung. Sie stellen sich damit nicht nur auf die Seite des deutschen Imperialismus, diese Position schwächt auch den Kampf gegen die Preissteigerungen und die Auswirkungen der kommenden Rezession, weil sie der Lüge nachgibt, dass wir ein gemeinsames Interesse mit den Herrschenden im geostrategischen Messen mit Russland hegten.

Linke, die Sanktionen, Aufrüstung und das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr ablehnen, werden demagogisch als „Putinversteher:innen“ gebrandmarkt – selbst wenn sie das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine verteidigen, die reaktionäre Invasion Russlands verurteilen und sich mit den dortigen Protesten gegen den Krieg solidarisieren.

In Wirklichkeit bilden solche Angriffe nur eine ideologische Flankendeckung für die Regierung und die NATO-Staaten. Die Unterstützer:innen der Sanktionspolitik müssen sich aber auch mit einem Widerspruch rumschlagen: Während sie zum Teil die Maßnahmen verteidigen, müssen ihre Mitglieder ganz praktisch die Konsequenzen ausbaden, wenn sie ihre Gas- und Stromrechnung zahlen. Diesen Widerspruch gilt es zuzuspitzen. Wir fordern vom DGB wie von allen reformistischen Parteien wie DER LINKEN oder auch der SPD bzw. ihren Gliederungen, gegen die Inflationskosten auf die Straße zu gehen.

Sollten sich diese Kräfte rausreden, dass man keine Aktion mit den „Putinfreund:innen“ machen sollte, gilt es, diesen zwei Argumente entgegenzuhalten: Es ist richtig, dass es Kräfte innerhalb der Bewegung gibt, die eine einseitige (oder direkt falsche) Analyse des Ukrainekonfliktes vorgelegt haben und Russland als reines Opfer betrachten, das dem US- und NATO-Imperialismus ausgeliefert ist. Statt aber die Sanktionen gutzuheißen und damit die Kriegsziele des deutschen Imperialismus zu unterstützen, muss der Slogan von allen fortschrittlichen und internationalistischen Kräften „Weder Putin noch NATO!“ heißen.

Zum anderen kann es nicht sein, dass Organisationen, die keine klare Kante gegen die Kriegspolitik zeigen, die Bewegung spalten und die Masse der Lohnabhängigen in Stich lassen. Wer tatsächlich gegen die Inflation und ihre Auswirkungen kämpfen will, muss eine schlagkräftige Bewegung aufbauen. Es ist dabei normal, dass nicht alle Kräfte zu allen Fragen einheitliche Positionen vertreten. Statt sich aber abzukapseln, bedarf es für die gemeinsamen Ziele einer Einheitsfront, also gemeinsamer Aktivität und gleichzeitiger Kritik- und Propagandafreiheit nach außen wie innen.

Revolutionär:innen müssen also innerhalb der Bewegung für eine klare Analyse des Krieges eintreten, also die Verteidiger:innen Russlands sowie jene Akteur:innen, die eine prowestliche Abgleitfläche aufweisen, politisch kritisieren. Aber wir machen eine einheitliche Position zum Krieg nicht zur Vorbedingung gemeinsamer Mobilisierungen und Kämpfe gegen die Preissteigerungen.

Zu den Massen?!

Die erste Antwort auf die Frage liest sich einfacher, als sie in der Praxis durchzusetzen ist. Wer Erfolg haben will, muss Massen organisieren – und kämpfen. Denn alleiniges Demonstrieren reicht nicht aus. Das haben Fridays for Future und andere Proteste in der Vergangenheit gezeigt.

Um jene zu erreichen, die noch nicht überzeugt sind, sollten wir Vollversammlungen an den Orten organisieren, wo wir uns tagtäglich aufhalten müssen wie Schulen, Unis und Betriebe. So können wir unsere Forderungen mit Kolleg:innen und Bekannten diskutieren, die von den Protesten noch nichts gehört haben oder noch nicht überzeugt sind, auf die Straße zu gehen. Auch möglich ist es, Infoveranstaltungen und Mobiaktionen für die nächste Demo durchzuführen.

Dies sollte aber nicht nur von Einzelpersonen umgesetzt werden. Ziel muss es sein, bestehende Organisationen der Arbeiter:innenklasse für die Mobilisierung und Organisation in Bewegung zu zwingen. Auch wenn das schon teilweise stattfindet, muss dies noch bundesweit ausgeweitet werden. Praktisch heißt das: Gewerkschaften, Linke und selbst die SPD offen dazu aufzurufen, die Proteste zu unterstützen. Darüber hinaus muss man aber auch praktisch in diese Strukturen intervenieren und zusammen mit Mitgliedern Anträge stellen, dass sowohl lokale als auch Dachstrukturen die Bewegung unterstützen. Dabei heißt unterstützen, nicht nur den Namen der Organisation unter den Aufruf zu setzen, sondern aktiv die eigene Mitgliedschaft zu mobilisieren sowie diese dafür zu gewinnen, obige Aktionskomitees und Vollversammlungen zu organisieren. So kann gewährleistet werden, dass man nicht nur in einzelnen Städten existiert, sondern sich bundesweit ausbreitet, und es stehen mehr Ressourcen zur Verfügung, als wenn nur eine Ansammlung von Einzelpersonen aktiv wird. Ebenso geht es auch darum, den Führungsanspruch der Organisationen in Frage zu stellen – dies klappt am besten in der gemeinsamen Aktion. Im Idealfall gelingt es auch, sich auf internationaler Ebene zu koordinieren: beispielsweise gemeinsame Aktionstage mit der britischen Enough-is-enough-Kampagne oder aufkeimenden Protesten in Frankreich, aber auch der halbkolonialen Welt.

Dabei muss aber klar sein: Demonstrationen dürfen nicht das einzige Mittel sein. Wenn wir erfolgreich Druck aufbauen wollen, müssen Revolutionär:innen von Anfang darauf hinweisen und dafür kämpfen, dass politische Streiks nötig sein werden, um unsere Forderungen durchzusetzen. Nur wenn wir bereit sind, die Profite anzugreifen, können wir auch genügend Schlagkraft entwickeln, um erfolgreich zu sein. Das muss aber auch offen und transparent in der Bewegung diskutiert werden. Nötig sind dazu gemeinsame Aktions- und Strategiekonferenzen, an denen sich alle, die die Bewegung unterstützen bzw. dies wollen, beteiligen können. Diese Worte sind einfacher geschrieben als getan. Wer die deutsche Gewerkschaftsmaschinerie kennt, weiß das. Ein Blick auf die letzten Tarifabschlüsse reicht da. Damit dies also in der Praxis umgesetzt werden kann, müssen wir koordiniert Anträge in gewerkschaftliche und betriebliche Gremien einbringen und zugleich in den Gewerkschaften eine klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen. Nur so kann die Kontrolle der Bürokratie, die vermeiden wird, die Kämpfe aktiv zuzuspitzen, herausgefordert und ein Stück weit durchbrochen werden. Einen Ansatzpunkt dazu bietet die Vernetzung für kämpferische Gewerkschafter:innen.

Kurzum: Wenn der heiße Herbst erfolgreich werden soll, dann müssen wir in den aufkeimenden Bewegungen gemeinsam für eine klassenkämpferische Ausrichtung eintreten, statt mit drei Paar Socken im Herbstblues auf der Couch zu versacken!




Proteste gegen Inflation und Energiekrise: Klare Kante gegen rechts!

Christian Gebhardt, Neue Internationale 268, September 2022

Die Inflationsrate steigt und steigt. Betrug sie im August 2022 in Deutschland 8,8 %, wird im Herbst schon eine zweistellige Steigerungsrate erwartet. Bürgerliche Ökonom:innen sprechen zwar davon, dass die Spitze der Inflation bald erreicht sein solle und es sich wieder „zu den normalen“ 2 % hin entwickeln würde. Eins ist aber sicher: die Preise werden oben bleiben und mit ihnen der finanzielle Druck im Alltag etlicher Menschen. Vergleicht man die Inflationsraten mit denen anderer Länder, wird deutlich, wohin die Reise gehen könnte: Österreich 9,2 %, Estland 25,2 % sowie die Türkei mit satten 80,1 % im August 2022 weisen alle eine höhere Inflation auf.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass die stark ansteigenden Preise nicht nur Gesprächsthemen in Politshows und bürgerlichen Kolumnen einnehmen, sondern auch täglich für Gesprächsstoff an den Frühstückstischen, in den Pausenräumen und Betrieben sorgen. Die Arbeiter:innenklasse bekommt die Auswirkungen täglich durch gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise zu spüren und der Unmut darüber wird immer lauter. Auch wenn es noch nicht überkocht, die Stimmung scheint zu brodeln und die Menschen suchen nach Aktivitätsmöglichkeiten, um ihren Unmut auf die Straße zu tragen. Einen Hinweis darauf stellen zum Beispiel die Teilnehmer:innenzahlen bei den ersten Montagsdemonstrationen wie z. B. 4.000 Teilnehmer:innen in Leipzig dar.

Rechte Mobilisierungen

Neben den Mobilisierungen linker Kräfte versuchen auch rechte wie die AfD oder „Freie Sachsen“, das Thema für sich zu besetzen und mit ihren reaktionären Perspektiven zu verbinden. Auch wenn sich daraus noch keine regelmäßig mobilisierende Massenbewegung wie gegen Corona entwickelt hat, wird die bundesweit beworbene AfD-Kundgebung am 8. Oktober in Berlin ein Gradmesser dafür sein, wie stark rechte Organisationen oder Strukturen dieses Thema für sich nutzen können. Schon jetzt dominieren rechte und faschistische Kräfte in Sachsen viele lokale Demos.

Der Herbst wird also auch ein Kräftemessen zwischen rechts und links, zwischen reaktionärer kleinbürgerlicher Demagogie und der Arbeiter:innenklasse. Schon jetzt erfolgt dieses: Die jeweilige Größe von Demonstrationen wie jene des linken Bündnisses Brot Heizung Frieden am 3. Oktober, der Mobilisierung der Sozialverbände, Umweltorganisationen und Gewerkschaften am 22. Oktober wird für den Stand des Einflusses ebenso wesentlicher Indikator wie die AfD-Kundgebung am 8. Oktober werden.

Währenddessen werden die bürgerlichen Medien nicht müde, gemäß der Hufeisentheorie die linken wie rechten Proteste in einen Topf zu werfen und zu diffamieren. Alle Proteste gegen die Inflation und ihre Auswirkungen soll als putinfreundlich, rechtsradikal oder antisemitisch gebrandmarkt werden.

Wie umgehen mit rechten Gegenprotesten?

Diese rechten Mobilisierungen zeigen aber auch Auswirkung auf die Diskussionen innerhalb der (radikalen) Linken im Umgang damit. Hier unterscheiden sich drei Ansätze: 1) Entweder es wird der Kampf gegen rechts in den Vordergrund gestellt und Blockaden der rechten Demonstrationen als oberstes Ziel ausgerufen; 2) es wird sich in populistischer Natur rechts offen gegeben und darauf hingewiesen, dass auch reaktionäres Gedankengut zunächst innerhalb einer breiten, populären Massenbewegung gegen die Inflation ausgehalten werden müsse; und 3) die Notwendigkeit einer unabhängigen Massenbewegung der Arbeiter:innen aufzubauen betont, die aus ihrer Perspektive heraus nicht nur den proletarischen Kampf gegen die Inflation und Teuerung, sondern auch gegen rechts in einer Massenbewegung vereinen könne.

Diese Ansätze werfen direkt die Frage des Charakters einer solchen – dringend notwendigen – Massenbewegung auf. Soll sie einen populistischen Charakter tragen? Eine Bewegung, die vor klaren Klassenpositionen wie Internationalismus und Antirassismus zurückschreckt, um Teile „des Volkes“ nicht zu verprellen und für die Bewegung zu gewinnen? Oder soll sie einen internationalistischen, proletarischen Charakter besitzen? Eine Bewegung, die sich an den Kampforganen sowie -formen der Arbeiter:innenklasse orientiert? Die sich auf Basisstrukturen der Arbeiter:innenklasse in Betrieben, Nachbarschaften und an Schulen zur Mobilisierung, Diskussion und Verbreitung der Bewegung stützt und ihr dadurch einen basisdemokratischen, multiethnischen Charakter verleiht?

Wir argumentieren für den Aufbau einer internationalistischen, proletarischen Massenbewegung – die einen Attraktionspol für die Menschen darstellen und gleichzeitig einen Ausweg im Interesse der arbeitenden Bevölkerung aufzeigen kann. Nur durch eine klare Positionierung können breite Teile der Arbeiter:innenklasse für eine solche Bewegung gewonnen und Gegenmacht gegen die rassistische Demagogie der Rechten formiert werden.

Dies bedeutet, auch innerhalb der linken Mobilisierung einen offenen und solidarischen Kampf gegen politische Konzeptionen von Kräften wie „Aufstehen“ rund um Sahra Wagenknecht, gegen kleinbürgerliche Politiken von Umweltverbänden zu führen – und natürlich auch gegen Sozialpartnerschaft und Kompromisslerei auf Seiten der Gewerkschaftsbürokratie oder der Reformist:innen in der Linkspartei. Letztlich wird die entscheidende Frage im Kampf gegen rechts sein, ob es der Arbeiter:innenklasse gelingt, der Bewegung ihren Stempel aufzudrücken und eine Perspektive zu weisen. Daher ist es auch so zentral, die Gewerkschaften in die Aktion zu ziehen, denn die aktuellen Angriffe können letztlich nicht wegdemonstriert, sondern müssen weggestreikt werden.

Rechte Aktionen und Provokationen

Zweifellos ist es auch richtig, sich rechten Mobilisierungen entgegenzustellen wie am 5. September in Leipzig oder sich am 8. Oktober an den Gegenaktionen zum AfD-Aufmarsch zu beteiligen. Den Kampf um die Massen, die jetzt eine Perspektive und eine Bewegung gegen Inflation und Verarmung brauchen, können wir aber durch diese Aktionen alleine nicht führen. Mehr noch. Wenn sich die Linke auf die Verhinderung von rechten Aufmärschen fokussiert, wird sie selbst keine attraktive Kraft werden können, sondern überlässt letztlich den Rechten die Opposition zur Regierung.

Gänzlich verfehlt und problematisch wird die Sache, wenn beispielsweise der Demonstration am 5. September in Leipzig von der antideutschen Antifa vorgeworfen wird, dass diese eine „Querfront“ gewesen wäre, weil DIE LINKE und andere eine eigene Veranstaltung durchgeführt haben, statt sich auf die Blockade der Rechten und Nazis zu konzentrieren. In Wirklichkeit offenbart diese Anschuldigung nicht nur einen albern dümmlichen Gebrauch des Querfrontvorwurfs, sondern auch die politische Perspektivlosigkeit vieler Antifa. Selbst hat man keinen Plan, keine Vorschläge, keine Forderungen, wie gegen Preissteigerungen und die Kriegspolitik der Regierung vorzugehen wäre. Was als besonders „militant“ daherkommt, stellt im Grunde eine politische Bankrotterklärung dar.

Ein gänzlich anderes Problem wirft freilich die Frage auf, wie organisierte rechte Präsenz, Provokationen oder Infiltrationsversuche auf linken Demos effektiv gestoppt werden können. Natürlich spielen auch hier die Forderungen und klassenpolitische Ausrichtung selbst schon eine wichtige Rolle. Darüber hinaus braucht es klare Stellungnahmen, dass rechte Organisationen, Faschismus, Rassismus und Antisemitismus auf den linken Kundgebungen und Aktionen keinen Platz haben.

Bei Ankündigungen darf es dabei natürlich nicht bleiben. Es braucht einen organisierten Ordner:innendienst und Schutz der Aktionen, die organisierte rechte oder rechts offene Kräfte von den Demonstrationen und Kundgebungen auch entfernen können. Solche Ordner- und Selbstverteidigungsstrukturen müssen von den linken Aktionsbündnissen gebildet und diesen auch verantwortlich sein.

Dies ist vor allem notwendig, weil wir es nicht nur, in etlichen Städten wahrscheinlich nicht einmal in erster Linie, mit organisierten rechten, faschistischen oder rechtspopulistischen Strukturen zu tun haben. Diese haben bei den Aktionen nichts verloren und müssen rausgeschmissen werden.

Anders stellt sich das Problem bei bisher kaum mobilisierbaren Lohnabhängigen und Kleinbürger:innen mit politisch diffusem Bewusstsein dar, die die reale Existenzangst auf die Straße treibt. Wir wollen diese Menschen in die Bewegung ziehen und für unsere Aktionen gewinnen, denn auch im politischen Kampf um deren Herzen und Hirne wird entschieden, ob die Rechte oder die Linke zur hegemonialen Kraft im Kampf gegen Preissteigerungen, Energiekrise und Regierungspolitik wird.

Schließlich kann und darf eine „richtige“ Positionierung zum Ukrainekrieg keine Vorbedingung zur Teilnahme an einer Bewegung gegen die Teuerung darstellen. Das gilt natürlich noch mehr, wenn die vom DGB, den Sozialverbänden und Umweltorganisationen für den 22. Oktober geforderte Position die falsche ist. Versuche, eine Kritik an den reaktionären Sanktionen zu untersagen, haben mit einem Kampf gegen rechts nichts zu tun, sondern stellen bloß eine politische Flankendeckung für die Regierung und ihren imperialistischen Kurs dar. Sie schrecken Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende potentielle Unterstützer:innen ab, vor allem im Osten.

Die klare Kante gegen rechts, die klare Abgrenzung von AfD und Co. wird nur dann eine scharfe politische Waffe sein, wenn sie auch eine gegen Kapital und Regierung, gegen Krieg und Krise, gegen den deutschen Imperialismus beinhaltet.




Britannien: Demokratische lokale Versammlungen sind notwendig, um die Kampagnen gegen die Lebenshaltungskosten zu vereinen

R. Banks / Alex Rutherford, Workers Power Britannien, Neue Internationale 268, Oktober 2022

Die wachsende Krise der Lebenshaltungskosten und die zunehmende Beunruhigung der Öffentlichkeit darüber, was sie bedeuten wird, machen eine Einheitsfront aller von der Inflation Betroffenen dringend erforderlich.

Man muss Gewerkschaftsmitglieder und diejenigen, die einer kämpfenden Gewerkschaft beitreten wollen, Arbeitslose und Unterbeschäftigte, Rentner:innen, Student:innen und Sozialhilfeempfänger:innen zusammenbringen. Die Inflation schmälert unser aller Einkommen. Wir alle müssen uns gemeinsam dagegen wehren.

Doch während es an der Basis einen starken Drang nach dieser Einheit gibt, wie man an der großen Zahl von Solidaritätsbekundungen bei Streikpostenbesuchen und den von „Enough Is Enough“ organisierten Kundgebungen mit Tausenden von Teilnehmer:innen sehen kann, gibt es in einigen Gewerkschaftsspitzen weniger Anzeichen für Einigkeit. In der Tat scheint es so, als ob die schlechte alte Gewohnheit, getrennte Kampagnen verschiedener Parteien und Gewerkschaften unter eigenem Namen einzurichten, immer noch in Kraft ist.

„Enough Is Enough“ und „Don’t Pay“ sind die neuen Kampagnen, die für Schlagzeilen gesorgt haben. Darüber hinaus plant Unite die Gründung von „Unite For A Workers‘ Economy“, und es wurden kleinere Kampagnen wie „Cost Of Living Action“ gestartet. Die älteren „Fronten“, die „People’s Assembly“ und „People Before Profit“, konkurrieren ebenfalls auf einem überfüllten Markt. In diesem Fall halten wir Zusammenschlüsse und Rationalisierung für angebracht, aber die Initiative wird wahrscheinlich von unten kommen müssen.

„Enough Is Enough“

Die Gewerkschaft CWU hat die Initiative „Enough Is Enough“ mit Unterstützung von Persönlichkeiten der Labour-Linken und der Zeitschrift Tribune ins Leben gerufen, die ihr den politischen Ballast liefert. Die „Renters Union“, „Acorn“ und „Right To Food“ haben sich der Initiative angeschlossen. Mick Lynch von der RMT, die Abgeordnete Zarah Sultana und Andy Burnham, der Bürgermeister von Greater Manchester, haben auf den Plattformen der Kampagne gesprochen. Ihre Stärke liegt darin, dass sie den gewerkschaftlichen Kampf mit kommunalen Aktionen verbinden will. Diese Initiative ist sicherlich zu begrüßen.

In weniger als einem Monat hat die Kampagne mehr als 500.000 Unterschriften gesammelt und landauf, landab große Kundgebungen abgehalten, deren militante Reden von Tausenden von Teilnehmer:innen begeistert aufgenommen wurden.

Die Folgemaßnahmen sind jedoch bisher nur langsam in Gang gekommen. Und obwohl Enough Is Enough erklärt, dass sie lokale Organisationen wolle, blieben E-Mails, in denen sie um Hilfe bei der Gründung solcher Organisationen gebeten wurde, unbeantwortet.

Die Gruppen müssen auf der Grundlage von Großstadtbezirken, Städten und Gemeinden organisiert werden, die tief in den Betrieben und Stadtvierteln verwurzelt sind. In der Tat gründen Aktivist:innen bereits lokale Streiksolidaritätsgruppen. Wir sollten sie ermutigen, sich Enough Is Enough anzuschließen oder deren lokale Zweigstellen zu werden.

Die fünf Forderungen der Kampagne lauten: eine echte Lohnerhöhung; Senkung der Energiekosten; Beendigung der Lebensmittelarmut; menschenwürdige Wohnungen für alle; Besteuerung der Reichen. Was diese Forderungen in der Praxis bedeuten und wie wir für sie kämpfen werden, muss auf lokaler Ebene diskutiert werden. Sollten sie ergänzt werden – zum Beispiel durch die Verstaatlichung der Energieunternehmen? Welche Maßnahmen könnten wir ergreifen – Demos, Flashmob-Besetzungen, inoffizielle Arbeitsniederlegungen?

Aktivistennetzwerke, Gewerkschaftsräte, Mietervereinigungen, linke Labour-Parteien und Kampagnengruppen könnten zusammen mit Gewerkschaftsortsvereinen die Basiseinheiten von EIE bilden, die sich dann in die Siedlungen und Betriebe ausbreiten können. Sobald sie etabliert sind, könnte eine nationale Konferenz dieser Gruppen eine Strategie zur Verteidigung der gesamten Arbeiter:innenklasse gegen diese Krise ausarbeiten.

„Don’t Pay“

„Don’t Pay“ ist ein Versuch, die Anti-Poll-Tax-Kampagne nachzuahmen, als die Tory-Regierung durch massenhafte Nichtzahlung gezwungen wurde, die Steuer zurückzuziehen. Ähnliche Kampagnen, vor allem in Irland, haben gezeigt, dass sich diese Taktik auch auf Verbraucherrechnungen übertragen lässt.

Die Forderungen von „Don’t Pay“ sind jedoch minimal: Das Einfrieren der Energieobergrenze auf ihrem derzeitigen erpresserischen Niveau von 1.971 Pfund ist nicht besser als Keir Starmers unzureichende Politik. Die Obergrenze sollte auf das Vorkrisenniveau zurückgeführt werden. Das bildet auch eine sehr schmale Basis für eine Kampagne, wenn die Kosten für Lebensmittel, Transport und Mieten in die Höhe schnellen.

Darüber hinaus überlegen Truss und Kwarteng, wie sie die Wut entschärfen können, indem sie ein dreijähriges Paket zum Einfrieren der Energiepreise oder gezielte Leistungen für Rentner:innen oder Bezieher:innen von Sozialleistungen einführen. Dies könnte der Aufhebung der Obergrenze im Oktober den Stachel ziehen, aber die Preise für den Rest des Jahrzehnts oberhalb des Marktpreises halten an: kein „Almosen“, sondern ein Darlehen.

Wie bei EIE gibt es auch für „Don’t Pay“ kaum eine lokale Organisation – abgesehen von WhatsApp-Gruppen. In dieser Phase der Rebellion gegen die Kopfsteuer (Poll Tax) gab es bereits große lokale Gruppen, Demos in jeder Stadt und zwei nationale Konferenzen.

Etwa 150.000 Menschen haben sich verpflichtet, nicht zu zahlen, aber die Kampagne wird nur dann aktiv, wenn sie bis zum 1. Oktober 1.000.000 Unterschriften erhält. Die Zahlen passen nicht zusammen. Aber wenn die Führung nichts unternimmt, um diese 150.000 willigen Aktivist:innen zu mobilisieren, wäre das eine sträfliche Verschwendung von Potenzial.

Einheit

Im Moment haben beide Kampagnen eine zu begrenzte Perspektive, was ihre Forderungen und Lösungen angeht. Wir brauchen eine Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen in Höhe des Verbraucherpreisindexes, zusätzlich zur Senkung der Energiekosten. Wir müssen dafür kämpfen, den Energiesektor zu verstaatlichen und ihn unter die Kontrolle der Arbeiter:innenklasse zu stellen. Wenn sich ein Unternehmen auf gewerkschaftsfeindliche Gesetze beruft oder Truss dem Parlament neue vorlegt, dann brauchen wir politische Massenstreiks.

Keiner der Mängel der erwähnten Kampagnen sollte Sozialist:innen davon abhalten, sie aufzubauen. Die Tatsache, dass die Gewerkschaftsführer:innen und Labour-Abgeordneten es vermeiden, „Don’t Pay“ zu unterstützen, ist ein reformistisches Vorurteil gegen alles, was auch nur im Entferntesten „illegal“ oder „unverantwortlich“ klingt. Aber eine Form des massenhaften zivilen Ungehorsams, wie die massenhafte Nichtzahlung, kann dazu beitragen, die Regierung zu zwingen, unseren Forderungen nachzugeben.

Unsere Aufgabe ist es, demokratische Koordinierungsausschüsse zu schaffen, die industrielle und politische Kampagnen in einer gemeinsamen Aktion vereinen können. Die lokalen Solidaritätsgruppen, die in allen Londoner Stadtbezirken entstanden sind, könnten sich als der nützlichste Weg erweisen, die verschiedenen Kampagnen und Taktiken miteinander zu verbinden.

Im Zusammenhang mit einem echten Massenaufschwung an Streiks und direkten Aktionen sollte es unser Ziel sein, sie zu Aktionsräten auszubauen, die Delegierte aus Gewerkschaftszweigen und der Gemeinde einbeziehen, die Solidarität für alle ausweiten und mutige Maßnahmen ergreifen, um die Profiteur:innen und Behörden zu entlarven und ihr gesamtes Profitsystem in Frage zu stellen.

„Enough Is Enough“ hat für den 1. Oktober zu einem landesweiten Aktionstag aufgerufen. Lasst uns diesen Tag zum Mittelpunkt machen, um die Bewegung zu vereinen und den Kampf zu beginnen!




Vorwärts für einen heißen Herbst heißt Kampf für die Einheitsfront!

Wilhelm Schulz, Infomail 1198, 13. September 2022

Die Verbraucher:innenpreise steigen, die Energiekosten erreichen ein Rekordhoch. Während einzelne Konzerne mit Milliardensubventionen gerettet werden, macht die hiesige Energiewirtschaft unterm Strich Milliardengewinne. Die Ampelkoalition verabschiedet eine kapitalfreundliche Gasumlage. Für die, die sich die Teuerungen nicht mehr leisten können, antwortet sie mit Einmalzahlungen aus der Gießkanne. Dagegen ist Widerstand zu erwarten – und er ist dringend nötig.

Doch schon bevor die ersten Aktionen gegen die Preissteigerungen des ausgerufenen „heißen Herbsts“ angelaufen waren, hagelte es Diffamierungen. Als hätten sich all die Geister des alten Europas versammelt, um eine Hexenjagd auszurufen. Eine Hexenjagd, die jedweden Versuch, den Teuerungen mit Methoden auf der Straße oder im Betrieb entgegenzutreten, als russlandfreundlich diffamiert. Ein Vorwurf, den wir als Kriegsrhetorik zurückweisen. Denn die aktuelle Not und ihre sich drohende Verschärfung sind Ausdruck des zugespitzten Kampfes um die Neuaufteilung der Welt und Vorbotinnen der kommenden Rezession. Über kurz oder lang steht die Frage im Raum, welches soziale Klasseninteresse sich durchsetzt, welche Klasse für Krieg und Krise zahlt: das Bürger:innentum oder die Lohnabhängigen.

Als Revolutionär:innen sagen wir daher, dass im Kampf gegen die Teuerungen die breiteste Einheit der Arbeiter:innenorganisationen nötig ist. In manchen Fällen können gemeinsame Absprachen der subjektiv revolutionären Linken dafür nützlich und notwendig sein, aber keinen Ersatz darstellen. Doch was bedeutet das und welche Stellung nehmen Revolutionär:innen in einem solchen Bündnis ein?

Bislang beobachten wir einen Formierungsprozess verschiedener Bündnisse gegen die Teuerungen. Die Partei DIE LINKE hat bereits Anfang August einen „heißen Herbst“ angekündigt. Die Industrie- und Handelskammer beteiligt sich vereinzelt bereits an Aktionen. Die Gewerkschaften diskutieren darüber, welche Forderungen in den Tarifrunden aufgestellt werden können, und planen vereinzelt die Beteiligung an politischen Protesten. Selbst unter SPD-Linken regt sich Kritik an der Regierungspolitik der Ampel. Die radikale Linke ist, wie gewöhnlich, uneinig. Uneinigkeit besteht darüber: Welche Bündnispartner:innen sollen gewonnen werden? Was soll angesichts der brennenden Fragen Inhalt des Bündnisses sein? Wie sollen sich die Bündnisse nach rechts abgrenzen?

Warum brauchen wir eine Einheitsfront?

Wir halten es für die zentrale Aufgabe der bestehenden widerspenstigen linken Bündnisse, Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse wie die Gewerkschaften, linke Parteien, Mieter:innenvereine und -bündnisse und migrantische Organisationen in Bewegung zu bringen. Nur wenn wir es schaffen, eine Massenbewegung aufzubauen, die einerseits politischen Protest auf die Straße bringt, aber auch proletarische Kampfmaßnahmen in den Betrieben ausübt, wie Streiks und Besetzungen, aber auch Preiskontrolle und Entscheidung über die Verteilung und Produktion der Waren, können wir die Angriffe real abwehren, auch wenn dies notwendig einen Bruch mit dem Programm des Klassenfriedens bedeuten muss. Und nur so können wir es schaffen, dass die Rechten die sozialen Fragen nicht nationalistisch, rassistisch, antisemitisch, verschwörungstheoretisch oder gar faschistisch besetzen.

Wir müssen daher versuchen, die Massenorganisationen der Klasse, wie die Gewerkschaften, die großen Vereine (Mieterverein, Naturfreunde, ASB, Volkssolidarität) und reformistischen Parteien oder wenigstens linke Gliederungen (DIE LINKE und Teile der SPD, die sich gegen den Kurs der Ampel stellen), aber auch NGOs wie Attac für den Protest zu gewinnen. Wie stehen diese verschiedenen Organisationen beispielsweise zum Krieg in der Ukraine? Die meisten stehen geschlossen hinter den Sanktionen, einige haben ihre rote Linie zu Waffenlieferungen bereits überschritten. Sie sind im Widerspruch befangen, zugleich Teile der Maßnahmen zu verteidigen, während ihre Mitgliedschaft die Konsequenzen ausbadet. Eine Fokussierung auf besagten Widerspruch birgt also das Potenzial, den Führungsanspruch dieser Massenorganisationen herauszufordern und zugleich für reale Verbesserungen zu kämpfen. Dieser Logik folgend, geht es nicht darum, einen möglichst weitreichenden, alles umfassenden Forderungskatalog zu finden. Debatten um programmatische Klarheit sind keine Vorbedingung zur Einheit in der Aktion. Vielmehr muss ein mögliches Bündnis, eine Einheitsfront darauf fokussieren, was es gemeinsam abzuwehren gilt. Es ist das Recht und die Pflicht der teilnehmenden Organisationen, darum zu streiten, wie dies möglichst erfolgreich geschehen kann. Um dies zu erreichen, brauchen wir jedoch keine Vielzahl von Bündnissen, sondern eines.

Anhand der gemeinsamen lebendigen Erfahrungen kann die Diskussion, welches Programm die Preissteigerungen bekämpfen kann, überzeugender geführt werden als an jedem Reißbrett dieser Welt. Dieses Ziel erfordert jedoch, dass die verschiedenen Organisationen auch ihre Mitgliedschaft in Bewegung bringen. Neben öffentlichen Demonstrationen können dies ebenfalls Versammlungen im Kiez oder Betrieb sein. Die Gefahr, dass die verschiedenen subjektiv revolutionären Kräfte hierbei in die Minderheitsposition geraten würden, ist real, aber eben auch den gesamtgesellschaftlichen wirklichen Verhältnissen entsprechend.

Zwei Gefahren – Sektierer:innentum und Opportunismus

Bereits jetzt beobachten wir zwei andere Orientierungen bezüglich des Aufbaus kampffähiger Bündnisse. Einen Ansatz bezeichnen wir als sektiererisch, den anderen als opportunistisch. Beide werde an dieser Stelle anhand erster Aktivitäten in Berlin nachgezeichnet.

In Berlin haben wir im Wesentlichen zwei zentrale Bündnisansätze momentan. Eines nennt sich „Umverteilen“, das andere „Brot, Heizen, Frieden“. Als Arbeiter:innenmacht sind wir aktuell in letzterem aktiv. Beide haben für linke Bündnisse eine ordentliche Größe und könnten sicherlich einige tausend Menschen mobilisieren, was aber gesamtgesellschaftlich kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein sein dürfte.

Das Umverteilen-Bündnis stellt eine Art Ansammlung aus Community-Organizing dar, gewissermaßen eine Einheitsfront von unten, die sich nicht zum Ziel setzt, Basis und Führung von Parteien wie DIE LINKE oder Gewerkschaftsverbände als solche in ein Bündnis zu ziehen. Statt auf regelmäßige Mobilisierungen zu setzen, orientieren sie sich auf handwerkliche Tätigkeiten drum herum (begrifflich: Organizing-Methoden). Den Mitgliedern von Parteien und Gewerkschaften wird zwar die Teilnahme gestattet, aber nur ohne organisatorische Zugehörigkeit. Sie sollen nur als Individuen, nicht als Vertreter:innen von Organisationen dabei sein.

Statt auf Kampfstrukturen wird hier auf Nachbar:innenschaftsvernetzung gesetzt, und statt die politischen Grenzen der abgelehnten Organisationen lebendig zu entlarven, wird hier auf das plumpe Angebot gesetzt, des „Macht doch einfach bei uns mit“, so als ob die Organisierung bei anderen politischen Kräften einfach nur eine Entscheidung mangels anderen Angebots sei und keine Überzeugungsfrage. Hier werden Ross und Reiter:in verwechselt, denn statt die ideologische Dominanz falschen Bewusstseins in der Klasse anzugreifen, wird deren Überwindung quasi zur Vorbedingung – na wenn‘s denn so einfach nur wäre. In diesem Sinne ist die Selbstwahrnehmung als das linkere Bündnis naheliegend. Jedoch ist dies kein Selbstzweck, sondern immer eine Frage des Zugangs zu aktiven und nach politischer Orientierung suchenden Massen relevant. Das bedeutet, jedoch nicht, dass das andere Bündnis seine Prinzipien für die Beteiligung anderer Kräfte über Bord wirft.

Das andere Bündnis „Brot, Heizen, Frieden“ umfasst bis dato größere Organisationen, wie die Naturfreunde Berlin, Aufstehen, aber auch bewegungslinke Teile der Linkspartei. Es verfügt über das Potenzial, Teile der Gewerkschaften zu integrieren, und steht vor der Herausforderung, auch den regierungssozialistischen Teil der LINKEN zur Aktion zu bewegen. Gleichzeitig befinden sich auch linkspopulistische Kräfte wie Aufstehen oder die populäre Linke (der sog. Wagenknechtflügel) im Bündnis. Hier tritt ein anderer, nicht minder wichtiger Konflikt offen zum Vorschein: Ausrichtung auf die Einheit von Linken und Arbeiter:innenorganisationen oder auf ein populistisches Bündnis, auf Volk oder Klasse?

Diese Frage ist vor allem entscheidend angesichts des Wettrennens zwischen den Versuchen, Bewegungen gegen die Teuerungen aufzubauen, einer von links, der andere von rechts. Der gesellschaftliche Rechtsruck der vergangenen Jahre nimmt selbst Einfluss auf das Bewusstsein der Demonstrierenden. Aufgabe einer linken Bewegung gegen die Teuerungen ist somit beides, sowohl eine Abwehr dieser Teuerungen zu erkämpfen als auch gegen die vorherrschenden Ressentiments und Vorurteile in der Bewegung einzustehen. Der linkspopulistische Flügel droht, letzteres für ersteres aufzugeben, und fokussiert sich auf die Worthülse, die Leute mit Gefühlen abzuholen. Es steht die Sorge im Raum, dass Verwässerungen des klassenpolitischen Programms vorgenommen werden, um noch die/den letzte/n möglichen Bündnispartner:in zu integrieren. Das Bündnis hat somit eine doppelte Aufgabe, ein Maßnahmenprogramm vorzulegen, dass das Potenzial aufweist, massenwirksam aus der Defensive herauszutreten, und andererseits, sich klar nach rechts abzugrenzen.

Vorbild Gelbwesten?

Der linkspopulistische Teil des Bündnisses strebt also eine Art Wiederholungsversuch der Gelbwestenbewegung aus Frankreich (2018/19) an. Eine Bewegung, die die soziale Sprengkraft unter Macron und die mögliche Stärke der Arbeiter:innenbewegung zeigte, aber zugleich ein gefährlicher Bodensatz für die rechtspopulistische Rassemblement National und auch faschistische Kräfte darstellte. Die Gelbwesten entstanden als eine Antisteuerbewegung der unteren Mittelschichten, die jedoch auch eine große Zahl von Arbeiter:innen mobilisierte. Sie stellte sich als unpolitisch dar und ein Verbot von politischen Organisationen auf, während rechte bis faschistische Kräfte einfachen Zugang zu den Reihen der Bewegung erlangten und Mélenchons France insoumise ihre Fahnen von roten in die Trikolore umtauschte.

Die Reduktion auf Preis- und Steuerfragen stellte hier einen scheinbaren Kompromiss antagonistischer Klassen dar mit der Illusion, dass jede/r Bürger:in davon profitiere. Für uns ist der Charakter einer Bewegung insgesamt keine sozialstrukturelle Frage, sondern eine politische. Demnach, und das gilt für die Gelbwesten wie für die aktuellen Ansätze gegen die Teuerungen, wenn der möglichst klassenübergreifende kleinste Nenner im Fokus steht, die Zusammenschlüsse mit Kämpfen der Arbeiter:innen vermieden werden, dann droht uns, keine Alternative zu den vorherrschenden Kräften oppositioneller Bewegungen darzustellen, somit die Führungskrise der Arbeiter:innenbewegung weiterhin unbeantwortet zu lassen.

Daher brauchen wir die möglichst breite Einheitsfront der Arbeiter:innenklasse – ein Aktionsprogramm, das das Verlangen nach Abwehr und ein Heraustreten aus der scheinbar machtlosen Defensive befriedigt, aber dabei klarmacht, dass diese Bewegung eine internationale, eine solidarische sein muss. Die umfassenden Forderungskataloge und Aktionsprogramme sind dabei Produkte der Perspektiven der einzelnen politischen Kräfte, jedoch keine Vorbedingung für den gemeinsamen Kampf. Für solch eine Widerstandsbewegung werden wir kämpfen und rufen alle Aktivist:innen auf, die sich dieser Perspektive anschließen, dies gemeinsam Wirklichkeit werden zu lassen.




Eckpunkte eines Programm gegen Preissteigerung und Energiekrise

Leo Drais/Martin Suchanek, Neue Internationale 267, September 2022

Die massiv steigenden Lebenshaltungskosten, die kommende Rezession, der Krieg und das Rollback bei der Energiepolitik stehen in einem inneren Zusammenhang. Doch an der gesellschaftlichen Oberfläche scheinen sie in Widerspruch zueinander zu stehen. So fragen sich Klimaaktivist:innen, ob die Forderungen nach Deckelung der Strom- und Gaspreise für die Lohnabhängigen nicht den Ausbau der Energieerzeugung aus fossilen Brennstoffen befördern. Andererseits denken viele Lohnabhängige an steigende Preise und unsichere Versorgung, wenn sie das Wort „Energiewende“ hören.

Dieser Gegensatz tritt nicht zufällig zu Tage. In der bürgerlichen Wirtschafts- und Umweltpolitik stellt er sich tatsächlich als solcher dar. In der kapitalistischen Marktwirtschaft geht es schließlich nicht darum, möglichst gute Produkte zu erzeugen, sondern Profit zu erwirtschaften. Und dabei sind Energie, Umwelt, Klima, aber auch die menschliche Arbeitskraft vor allem Kostenfaktoren. Die viel gepriesene Entlastung der Massen taucht daher immer als untergeordnetes Ziel auf, weil sie natürlich einen Abzug vom Gesamtprofit bedeutet – erst recht in Zeiten sinkender Profitraten, verschärfter Konkurrenz und angesichts der nächsten Rezession.

Analog wird auch der Kostenfaktor Klima- und Umweltschutz betrachtet. Der vollmundig versprochene Green Deal der EU-Kommission und der Bundesregierung versucht, wie alle bürgerlichen, also auf dem Boden des Kapitalismus verbleibenden Konzepte, die Quadratur des Kreises.

Der Gegensatz zwischen Sicherung der Lebensbedingungen der Massen und Energiewende ist jedoch durchaus aufhebbar – allerdings nur im Rahmen eines Kampfes für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen. An dieser Stelle können wir kein umfassendes, detailliertes Programm zu allen Fragen von Inflation und Klima präsentieren, wohl aber einige Eckpunkte skizzieren.

1. Sicherung der Lebensbedingungen der Ausgebeuteten

Angesichts eines sozialen Tsunamis, der Millionen in Deutschland und Milliarden auf der Welt zu überrollen droht, muss der Kampf um die Sicherung der Einkommen der lohnabhängigen und bäuerlichen Massen an erster Stelle stehen. Das inkludiert sowohl Forderungen zur Sicherung der Einkommen wie die gleitende Skala der Löhne, die nach existenzsichernden Mindestlöhnen, Renten und Arbeitslosengeld, als auch die nach Deckelung von Preisen. Letztere Maßnahmen würden z. B. ein Einfrieren der Preise für Energie, für Mieten und Lebensmittel beinhalten.

Maßnahmen zur Sicherung der Kaufkraft reichen jedoch nicht, wenn die Versorgung mit essentiellen Produkten nicht sichergestellt werden kann. Sogar in Ländern wie Deutschland findet ein makaber Disput darüber statt, ob der Staat bei Knappheit zuerst die Versorgung der privaten Haushalte sichern muss oder die Unternehmen vorgehen sollen. Noch viel extremer fällt das Problem in vielen halbkolonialen Ländern aus, die über weit weniger Ressourcen verfügen, bei steigenden Weltmarktpreisen die Versorgung zu sichern.

2. Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse und die Unterdrückten

Die Versorgungsproblematik verweist darauf, dass die Verteilung eines knappen Gutes eine globale Frage des Klassenkampfes aufwirft. Die Lohnabhängigen müssen im Bündnis mit anderen, von der Krise an den Rand gedrückten Schichten (Bauern, Bäuerinnen, Teile der Mittelschichten und des städtischen Kleinbürger:innentums) Kontrollorgane schaffen, die die Umsetzung von Maßnahmen (Preiskontrollen, automatische Lohnanpassung) wie auch die Versorgung der Massen sichern. Im Falle von Energieknappheit, die es in zahlreichen Ländern der sog. Dritten Welt nicht erst seit dem Ukrainekrieg gibt, müssen Kontrollorgane der Arbeiter:innenklasse und andere Unterdrückter die Prioritäten der Verteilung festlegen.

3. Die Reichen müssen zahlen! Enteignet die Profiteur:innen!

Dass wir als Konsument:innen die Preissteigerungen zahlen sollen, weiß mittlerweile fast jedes Kind. Gleichzeitig verkauft die Regierung die Verlängerung der Braunkohleverstromung, die eigentlich ohne die Sanktionspolitik gegen Russland gar nicht nötig wäre, als „demokratische“ Übergangslösung, die natürlich auch wir zahlen sollen. Und die Unternehmerverbände trommeln für den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomkraft.

Solche Scheinlösungen des Kapitals müssen wir entschieden zurückweisen. Die Reichen, die Profiteur:innen der Krise müssen für die steigenden Lebenshaltungskosten aufkommen. Sie müssen durch eine drastische Besteuerung von Unternehmensgewinnen und privaten Vermögen zur Kasse gebeten werden. Eine Übergewinnsteuer kann dazu ein erster Schritt sein.

Um die Energiekrise, die Preisexplosion zu bekämpfen und zugleich eine wirkliche Wende in der Energiepolitik einzuleiten, müssen die großen Konzerne enteignet werden. Das darf nicht nur Pleitegeier wie Uniper betreffen, wobei auch dort eine entschädigungslose Enteignung allemal günstiger wäre, als Milliarden für den Kauf von Aktien zu verballern. Um einen geplanten, von den Arbeiter:innen als Beschäftigten und Konsument:innen kontrollierten und forcierten Aus- und Umstieg der Energieerzeugung zu schaffen, müssen sämtliche Großbetriebe der Branche entschädigungslos enteignet werden.

4. Einheitsfront aller Organisationen der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten zur Durchsetzung der Forderungen

Schon um die Forderungen zur Existenzsicherung der Bevölkerung durchzusetzen, braucht es eine gewerkschaftliche, betriebliche sowie in den Wohnvierteln verankerte politische Massenbewegung. Sie muss von der Arbeiter:innenklasse getragen und geführt werden und das gesamte Arsenal des Klassenkampfes nutzen: Massendemonstrationen, Blockaden, Besetzungen, vor allem aber die Waffe des politischen Streiks bis hin zum Generalstreik.

Nur so werden sich unsere Ziel umsetzen lassen. Angesichts der drohenden Katastrophe sind alle Organisationen der Arbeiter:innenklasse, der Linken, der gesellschaftlich Unterdrückten in der Pflicht, mit ihrer Politik des Zaudern, des Stillhaltens, der sozialpartnerschaftlichen Kuschelrunden zu brechen. Diese „Strategie“ führt in den Abgrund – und zwar für Millionen.

Um erfolgreich zu sein, wird es aber auch nicht reichen, wenn die gemeinsame Aktion auf Abkommen zwischen den Führungen beschränkt bleibt. Dann besteht immer die Gefahr, dass kleinbürgerliche oder reformistische Kräfte und vor allem die Gewerkschaftsbürokratie die Mobilisierung nicht nur kontrollieren, sondern auch nach Gutdünken jederzeit abblasen können.

Um dies zu verhindern, die Mobilisierung zu verbreitern und bisher Unorganisierte einzubeziehen,

brauchen wir Aktionskomitees in den Betrieben und Wohnvierteln, also demokratische Kampforgane der Arbeiter:innenklasse und Unterdrückten.

5. Enteignung, Arbeiter:innenkontrolle und demokratische Planwirtschaft

Die aufgeworfenen Fragen verweisen auch in eine bestimmte, gesellschaftliche Richtung. Die Enteignung der Energiekonzerne und deren Zusammenlegung unter Arbeiter:innenkontrolle schafft eine wichtige Voraussetzung für die Neuorganisation des gesamten Sektors. Sie verweist zugleich auf die gesamte Gesellschaft. Schließlich wird der Bedarf an Energie durch die Organisation der Produktion und Reproduktion in ihrer Gesamtheit bestimmt. Die Enteignung kann daher nicht bei einem Wirtschaftszweig haltmachen, sondern muss die Kommandohöhen von Finanz, Industrie, im Handel und Transport umfassen – und zwar nicht nur in einem Land, sondern weltweit.

Dies erfordert den revolutionären Sturz des Kapitalismus und die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse. Die Kampforgane, die gegen Inflation, Krise und für die Sicherung der Lebenshaltungskosten notwendig sind, können bei einer Zuspitzung der Auseinandersetzung – z. B. bei einem Generalstreik oder bei Massenrevolten wie in Sri Lanka – zu Organen der zukünftigen Rätemacht und einer revolutionären Arbeiter:innenregierung werden.

Eine vollständige, in sich stimmige ökologische Wende kann schließlich nur durch die sozialistische Revolution herbeigeführt werden und im Rahmen einer rätedemokratisch organisierten Planwirtschaft vorangetrieben werden. Sie könnte die Produktion und Reproduktion im Interesse der Gesellschaft und der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit im Rahmen einer ökologischen Kreislaufwirtschaft reorganisieren. Den Kampf dafür können, ja müssen wir heute schon aufnehmen. Die Krise des Kapitalismus und die offenkundige Unfähigkeit der herrschenden Klasse, auch nur eines der großen Probleme der Menschheit zu lösen, erlauben dabei, die Verteidigung unserer unmittelbaren Interessen mit dem Kampf für eine Zukunft frei von Ausbeutung und Unterdrückung zu verbinden.




Auf die Straße gegen Gasumlage und Inflation! DGB und Einzelgewerkschaften müssen jetzt handeln

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 20. August 2022, Infomail 1197, 30. August 2022

Die kürzlich beschlossene Gasumlage ist ein weiterer Beweis dafür, dass die SPD-geführte Ampelregierung in dieser Krise neuen Ausmaßes keine Politik für die arbeitende Bevölkerung macht, sondern für die Konzerne und Banken. Denn über diese Umlage werden die arbeitenden Menschen, die ohnehin schon unter den explodierenden Energiepreisen und der galoppierenden Inflation leiden, erneut mit hunderten Euro belastet. Gerettet werden sollen darüber Energiekonzerne wie Uniper, die sich in den letzten Jahren über riesige Profite freuen durften. Auch die eilig hinterher geschobene Mehrwertsteuersenkung ändert nichts daran, dass Lohnabhängige, Studierende, Rentner*innen, Erwerbslose massiv durch Preissteigerungen getroffen werden, die sie nicht zu verantworten haben. Viele werden diese schlicht nicht bezahlen können.

Energieknappheit und Preisexplosionen sind Folgen der kapitalistischen Krisenentwicklung. Verstärkt werden sie durch die Sanktionspolitik gegen Russland, die den Krieg nicht stoppt, dafür aber die arbeitende Bevölkerung hier, in Russland und international massiv trifft. Die einzig sinnvolle Maßnahme der Regierung, nämlich die Einführung des 9€-Tickets, wird nicht fortgesetzt und nun drohen auch hier deutliche Fahrpreiserhöhungen. Die Bundesregierung hat Anfang des Jahres außerdem beschlossen, 100 Milliarden Euro in Rüstung zu investieren, während Krankenhäuser, Schulen, Kitas und viele andere wichtige Bereiche marode sind. Für die dringend nötigen Investitionen, sowie Geld für mehr Personal und bessere Bezahlung ist dann angeblich kein Geld da. Widerstand ist jetzt das Gebot der Stunde. Die VKG ruft alle Kolleg*innen dazu auf, sich mit uns gemeinsam dafür stark zu machen, dass der DGB und die Einzelgewerkschaften jetzt handeln, um Proteste, Kundgebungen und Demonstrationen zu organisieren. Außerdem müssen die Tarifrunden genutzt werden, um Reallohnsteigerungen durchzusetzen. Wir schlagen vor, dass die Gewerkschaften mit folgenden Forderungen gegen die Preissteigerungen mobil machen sollen:

  • Löhne, Renten, Sozialleistungen rauf! Automatische Anpassung an die Inflationsrate!
  • Reallohnsteigerung bei Tarifabschlüssen durchsetzen – Tariflaufzeiten maximal 12 Monate
  • Bezahlbare, staatliche Obergrenzen für Lebensmittel- und Energiepreise sowie Mieten! Überführung der großen Energie- und Immobilienkonzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle!
  • Sofortiger Mietenstopp! Verbot von Strom- und Gassperren! Keine Zwangsräumungen!
  • Statt 100 Milliarden für Rüstung – Milliarden für den Ausbau erneuerbarer Energien, für mehr Personal in den Krankenhäusern, für Sanierung von Schulen und Kindergärten etc.
  • 9-Euro-Ticket beibehalten! Investitionen und mehr Personal in den öffentlichen Verkehr!
  • Wiedererhebung der Vermögenssteuer! Höhere Steuern auf Unternehmensprofite! Einmalige Abgabe von 30 Prozent auf das Geldvermögen von Millionär*innen und Milliardär*innen!

Die VKG organisiert am 8. und 9. Oktober eine Konferenz, auf der sie diskutieren möchte, wie  eine gewerkschaftliche Kampagne gegen Preissteigerungen und Reallohnverluste aussehen könnte und dafür Druck von unten aufgebaut werden kann.

Flyer zum Herunterladen:

https://vernetzung.org/wp-content/uploads/2022/08/Auf-die-Strasse-gegen-Gasumlage-und-Inflation.pdf



Kampf gegen die Preissteigerungen! Den heißen Herbst heiß machen!

Gruppe Arbeiter:innenmacht, Neue Internationale 267, September 2022

1. Die Preissteigerungen stellen zur Zeit den schärfsten Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiter:innenklasse, aber auch bedeutender Teile der Mittelschichten und des Kleinbürger:innentums dar. Die Regierung setzt dem nur Unzureichendes entgegen, mehr will sie auch gar nicht. Es droht ein sozialer Tsunami mit enormen Einkommensverlusten, extrem hohen, weiter rasant steigenden Preisen für Energie, Lebensmittel, Wohnen, die durch die Krise immer weiter befeuert werden.

2. Die drohende soziale Katastrophe beginnt nun, Teile der Linken in Bewegung zu bringen. In mehreren Städten und aus verschiedenen Spektren bilden sich zur Zeit Initiativen oder Bündnisse im Kampf gegen Inflation, Krise, Krieg, rechte Gefahr. Auch DIE LINKE verspricht einen „heißen Herbst gegen die soziale Kälte der Regierung“. Es gibt zumindest insofern Druck aus den Betrieben, als dass sich die Bürokratien der Gewerkschaften gezwungen sehen, deutlich höhere Tarifforderungen zu stellen.

3. Wir können davon ausgehen, dass Wut, Frustration und auch Kampfbereitschaft in der Bevölkerung steigen werden, weil sich alle ausrechnen können, dass krasse Preissteigerungen auf sie zukommen. Deswegen besteht ein möglicherweise sehr großes Mobilisierungspotential, das allerdings aufgrund der Führungskrise der Arbeiter:innenklasse auch von rechtspopulistischen Kräften genutzt werden kann. Wir befinden uns in einem Wettlauf gegen die Zeit. Menschen erwarten rasche Antworten, damit ihnen die Kosten nicht über den Kopf wachsen. Die berechtigte Ungeduld kann auch zu spontanen Protesten führen.

4. Die Linke und die kämpferischen Teile der Arbeiter:innenbewegung haben die Möglichkeit und die Pflicht, in dieser Lage initiativ zu werden. Dazu müssen sie jedoch eine konsequente Bündnispolitik betreiben, eine Einheitsfrontpolitik, die auch die Massenkräfte der Klasse umfasst: DIE LINKE, Sozialverbände, Mieter:innenvereine, vor allem aber Gewerkschaften oder zumindest wichtige betriebliche und gewerkschaftliche Gliederungen. Eine solche Bewegung kann schließlich auch Teile der Umweltbewegung und einzelne sozialdemokratische Gliederungen (Ortsverbände, Jusos) auf die Straße bringen.

5. Um diese Bewegung in Gang zu setzen und zu einer Kraft zu vereinheitlichen, müssen sich die verschiedenen Initiativen und Bündnisansätze auf gemeinsame, konkrete Forderungen verständigen, die auf die unmittelbare Verbesserung der Lebensbedingungen zielen. Es ist unzureichend, sich auf allgemeine Forderungen gegen Krise und Kapitalismus zu beschränken. Stattdessen bleibt es Aufgabe der einzelnen in den Bündnissen agierenden politischen Gruppierungen und Strömungen, ihre jeweiligen strategischen, programmatischen Forderungen zu verbreiten, zu diskutieren und wechselseitig zu kritisieren.

6. Bündnisse sollten sich grundsätzlich auf Forderungen gegen die Preissteigerungen sowie zur Finanzierung beschränken oder fokussieren. Es macht keinen Sinn, sie um andere Themen zu vergrößern, so schön sich das auch lesen mag. Es geht um ein möglichst großes Aktionsbündnis, nicht um einen möglichst langen Forderungskatalog. Wir sollten daher alle Forderungen möglichst konkret halten.

7. Als zentrale Forderungen für eine bundesweite Mobilisierung gegen die Preissteigerungen schlagen wir vor:

  • Eine Übergewinnsteuer für Extraprofite, die sich aus den steigenden Preisen ergeben
  • Die Verstaatlichung von Energiekonzernen unter Kontrolle der Lohnabhängigen
  • Automatische Anpassung der Löhne, Renten, Mindestsicherung an die Inflation
  • Anhebung der unteren Lohngruppen, der Mindestrente und Mindestsicherung (Hartz IV) auf 1500 Euro
  • Bundesweite Deckelung der Preise für Mieten, Strom, Gas und Lebensmittel

8. Wir treten in allen Bündnissen dafür ein, dass es eine gemeinsame, bundesweite Aktionsstruktur braucht, nicht das Nebeneinander verschiedener Mikrobündnisse der „radikalen“ Linken. Wir brauchen ein Bündnis, das unsere Forderungen auch wirklich erkämpfen und nicht bloß propagieren oder wünschen kann. Daher ist der Kampf um die Einbeziehung von Massenorganisationen wie DIE LINKE oder Gewerkschaften unerlässlich, auch wenn das natürlich bedeutet, dass diese versuchen werden, eine dominierende Rolle einzunehmen und die Kampfaktionen einzuschränken.

9. Es ist Aufgabe der klassenkämpferischen und revolutionären Kräfte, alles zu unternehmen, um diese Strukturen zu wirklichen Aktionseinheiten zu machen und nicht bloß eigene „linke Bündnisse“ aufzubauen, die faktisch nur Propagandablöcke sind. Natürlich werden wir auch darin arbeiten oder arbeiten müssen, aber revolutionäre Kommunist:innen müssen immer betonen, dass es darum geht, die Kräfte zur Aktion zu zwingen, die Forderungen durch Massenmobilisierungen und Streiks durchsetzen können. Bündnisse und Gruppen, die sich dem verweigern, behindern den Aufbau einer echten Einheitsfront.

10. Wir schlagen in allen Bündnissen eine bundesweite Großdemonstration im Herbst als ersten Mobilisierungshöhepunkt vor bzw. unterstützen Initiativen in diese Richtung. Wir treten für die Bildung von örtlichen Mobilisierungs- und Aktionskomitees zu dieser Demo, für vorbereitende Demonstrationen und für den weiteren Kampf ein. Straßenaktionen werden wahrscheinlich nicht reichen, um einen Schutz vor Preissteigerungen für die Massen durchzusetzen. Politische Massenstreiks sind nötig, somit eine betrieblich und gewerkschaftlich verankerte Bewegung. Daher treten wir dafür ein, dass solche Aktionskomitees/Strukturen auch in den Betrieben aufgebaut bzw. aktive Gewerkschaftsgruppen oder Vertrauensleutestrukturen dazu gebracht werden. Für die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) und andere Gewerkschafter:innen ist das die zentrale praktische Herausforderung im kommenden Herbst.

11. Der Kampf gegen die dramatischen Preissteigerungen ist für das weitere politische Kräfteverhältnis von kaum zu unterschätzender Bedeutung. Eine Niederlage wird den Rechten in die Hände spielen. Eine erfolgreiche oder auch nur ansatzweise erfolgreiche Massenmobilisierung und Bewegung kann dagegen in Verbindung mit Kämpfen gegen den Krieg, die kommenden betrieblichen Angriffe, mit Tarifkämpfen und der Umweltbewegung zu einem Fanal für eine Wende zum Klassenkampf werden. Das gilt für die Entstehung neuer Kampforganisationen, der Wiederbelebung bestehender und der Herausbildung einer schlagkräftigen antibürokratischen Bewegung in den Gewerkschaften, aber vor allem für den Aufbau einer neuen revolutionären Partei auf Basis eines Programm von Übergangsforderungen gegen Krise und Krieg.




Gegen Krieg und Krise: Aber wie?

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 265, Juni 2022

Seit der Invasion des russischen Imperialismus in die Ukraine hört man öfter das Wort „Zeitenwende“. In der Tat hat der Krieg hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeläutet. Die imperialistische Konkurrenz spitzt sich zu, es formen sich, ähnlich wie vor den letzten beiden Weltkriegen, Machtblöcke, die um die Weltherrschaft kämpfen.

Das Ganze wird begleitet von Stagnation und Inflation. Die Preise im Energiebereich oder bei Lebensmitteln steigen in dramatische Höhen. Das trifft vor allem die Lohnabhängigen, die daneben auch mit weiteren Kürzungen im sozialen Bereich rechnen müssen, denn die Kosten für den Krieg werden auf sie abgewälzt.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht auch, warum eine vom Kampf gegen den Kapitalismus, gegen ökonomische und soziale Angriffe losgelöste, „reine“ Antikriegsbewegung, „reine“ Friedenspolitik letztlich eine bürgerliche Fiktion darstellen. Das trifft umgekehrt auch auf gewerkschaftliche und ökonomische Kämpfe zu. Die Angriffe auf Löhne und Lebensbedingungen, auf demokratische und soziale Errungenschaften werden nur schwer abzuwehren sein, wenn sie nicht im Kontext der globalen Ziele des deutschen Kapitals und der imperialistischen Weltordnung begriffen werden.

Deshalb wollen wir im folgenden einige Kernforderungen beleuchten, die die Basis für eine erfolgreiche Antikriegs- und Krisenbewegung legen und diskutieren wie wir so eine Bewegung aufbauen können.

1. Der Hauptfeind steht im eignen Land: Klassenkampf statt nationaler Einheit!

Deutschland und der Westen verteidigen nicht das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, sondern verfolgen vielmehr das Ziel, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und die Ukraine dauerhaft zu ihrer Halbkolonie zu machen. Die Behauptung, dass es den herrschenden Klassen Deutschlands oder seiner NATO-Verbündeten um einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Willkür und Menschenrechten ginge, ist eine Lüge. Deswegen ist es wichtig, dass wir hierzulande nicht zu den deutschen Interessen schweigen, sondern klar sagen:

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

Dementsprechend müssen wir uns auch gegen die Aufrüstung des deutschen Imperialismus stellen. Für den neuen militärischen Kurs und der „Zeitenwende“ eines Olaf Scholz sollen riesige Geld in den Rüstungsetat fließe. Das heißt praktisch:

  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampel-Koalition!

2. Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und der Antikriegsbewegung in Russland!

Eine Antikriegsbewegung, die diesen Namen verdient, muss die Invasion in der Ukraine verurteilen, den sofortigen Abzug der Truppen und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine fordern. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch seitens der Ukraine das Selbstbestimmungsrecht der Krim und des Donbass verlangen.

  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Gefangenen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger_innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

3. Wir zahlen Krieg und Krise nicht!

Wie oben bereits geschrieben, können wir Krieg und Krise nicht separat betrachten. Dabei ist es zentral, dass wir uns gegen Sozialabbau, Kürzungen und Steuererhöhungen für die Massen stellen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren oder die Krisenkosten zu finanzieren. Das heißt, dass die Kosten der Preissteigerung die Herrschenden zahlen sollen. Wir wollen weder hungern, noch frieren für ihren Krieg, ihre Sanktionen und ihre Krise!

  • Koordinierter branchenübergreifender Kampf, um die Lohnverluste auszugleichen! Automatische Angleichung der Löhne und Sozialleistungen an die Inflation!
  • Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle!
  • Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals!
  • Keine Profite mit dem Morden: Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Umwandlung der die Produktion, z. B. in Beatmungsgeräte unter Arbeiter:innenkontrolle!

4. Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Sollten die NATO-Länder zu einer direkten militärischen Intervention z. B. durch die Errichtung von Flugverbotszonen schreiten, muss die Arbeiter:innenklasse unmittelbar gegen diese Eskalation mobilisiert werden, um mit einem politischen Streik bis hin zum Generalstreik die gefährliche Katastrophe zu verhindern und die Kriegstreiberei zu stoppen! Wie sinnvoll solche Aktionen sind, zeigen schon jetzt Arbeiter:innen in Belarus, Italien oder Griechenland, die die Lieferung von Waffen verhindert haben, indem sie sich weigerten, diese zu liefern. Die Ablehnung jeder Klassenzusammenarbeit, jeder Unterstützung der Regierung und ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht nur unerlässlich. Sie schafft zugleich auch die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung – insbesondere auch in Russland und in der Ukraine.

Antikriegsbündnis aufbauen, aber wie?

Berechtigterweise sollte nun die Frage aufkommen, wie wir das in die Praxis umsetzen. Unsere Aufgabe muss es sein, innerhalb der breiten Proteste, die in Solidarität mit der Ukraine stattfinden, Menschen für eine klare Klassenanalyse und unsere Forderungen zu gewinnen. Ebenso müssen wir in aktuellen Streiks intervenieren, um die Ursache für die aktuellen Preissteigerungen hereinzutragen. Dies kann im Kleinen natürlich durch Diskussionen auf Demonstrationen und Veranstaltungen stattfinden.

Auf der anderen Seite muss dies aber auch im größeren Rahmen geschaffen werden. Dazu braucht es ein Bündnis linker Kräfte, die eine internationalistische Position (also gegen die Imperialist:nnen in Ost und West) vertreten.

Das heißt natürlich nicht, dass eine antikapitalistische Ausrichtung eine Vorbedingung für jede gemeinsame Aktivität oder Aktionseinheit gegen Krieg oder Aufrüstung darstellt oder umgekehrt eine Antikriegsposition Voraussetzung für gemeinsame betriebliche oder gewerkschaftliche Abwehrkämpfe wäre. Eine solche Politik wäre ein sektiererischer Ultimatismus, der Revolutionär:innen zur Passivität verurteilen würde – sei es zum bloßen Kommentieren oder durch die Beschränkung auf Pseudoeinheitsfronten kleiner linker Gruppen. Letztere lehnen wir zwar nicht kategorisch ab, sie haben aber nur dann einen Wert, wenn sie versuchen, Massenorganisationen und -kräfte in die Bewegung zu ziehen, und nicht bloß die politische Selbstbefriedigung einer linken Szene darstellen. Ein Beispiel dafür ist die Kampagne gegen Aufrüstung und Krieg in Berlin an der wir uns auch beteiligen, die am 29. Mai eine Demonstration gegen das 100-Milliarden-Programm organisierte.

Wie gewinnen wir mehr Menschen für unsere Ideen?

Um Menschen für eine konsequente Antikriegs- und Krisenpolitik zu gewinnen, ist es notwendig die scheinbar „politisch-neutralen Bereiche“ des Lebens politisieren. Konkret heißt das, Politik an die Orte zu tragen, wo sich die Menschen tagtäglich bewegen müssen, wie Schule, Unis und Betriebe. Schon jetzt unterhalten sich die Leute viel an ihrer Arbeit oder Bildungseinrichtung über den Krieg in der Ukraine oder die Preissteigerungen.

Aktive Gewerkschafter:innen und politische Aktivist:innen sollten die Fragen, wo vorhanden, in Vertrauensleutekörpern, in Betriebsgruppen oder einfach mit Kolleg:innen aufwerfen. Wo es möglich ist, sollten dort Aktionskomitees gegründet werden. Im Zuge von Mobilisierungen ist dies einfacher, da dort Voll- und Betriebsversammlungen einberufen werden können, um gemeinsam zu diskutieren, sowie mit Flugblättern, Veranstaltungen oder Kundgebungen versucht werden kann, die Debatte zu starten. Dies sollte insbesondere für die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung gelten, denn „Mobilisierung“ bedeutet nicht nur seinen Namen unter einen Aufruf zu schreiben, sondern aktiv die eigene Mitgliedschaft dazu zu bringen für die Aktion zu werben.

Bereits in reformistischen Parteien Organisierte müssen in ihren eigenen Strukturen für eine Antikriegs- und Antikrisenpolitik kämpfen. So sollten z. B. Mitglieder von solid und der Linkspartei die Partei öffentlich aufrufen sich konsequent und geschlossen gegen die Nato und Sanktionen zu positionieren, wie es beispielsweise Teile von Solid tun. Die Initiator:innen von #appell müssen in ihren eigenen Parteien den Kampf gegen die Politik der Ampel-Koalition aufnehmen.

In den Gewerkschaften muss angestrebt werden, eine klassenkämpferische Bewegung aufzubauen, die für ihre Forderungen mit Streiks kämpft – gegen die Bürokratie. Die VKG (Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften) stellt zur Zeit den wichtigsten Ansatz für eine solche Strömung in den Betrieben und Gewerkschaften dar. Das heißt, dass wir die Gewerkschaften auch klar auffordern, mit ihrer Politik der Klassenzusammenarbeit und Unterstützung der Regierung zu brechen und sich zu beteiligen und aktiv zu mobilisieren. Denn das Ziel muss es letztlich sein, eine Massenbewegung gegen Krieg und Kriegs aufzubauen, die auch wirklich in der Lage ist die Kriegspolitik der Regierung und die Angriffe des Kapitals zu stoppen.




24 Monate nach den Morden in Hanau: Kein Vergessen!

Martin Suchanek, Neue Internationale 262, Februar 2022

Die rassistischen Morde von Hanau jähren sich am 19. Februar. Vor zwei Jahren wurden Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Paun, Said Nesar Hashemi, Fatih Saraçoglu bei Anschlägen durch einen Akt faschistischer Barbarei brutal aus dem Leben gerissen.

Faschistischer Anschlag

Der Todesschütze von Hanau war darauf aus, möglichst viele migrantische Menschen zu töten. Über seine Motive besteht kein Zweifel. Seine Bekennerschreiben und Videos lesen sich wie Manifeste neofaschistischer und völkischer Barbarei, sind Aufrufe zum Pogrom, zur Vernichtung „bestimmter Völker“! War sein Hass auch mit obskuren Verschwörungstheorien verbunden, so richtete er sich vor allem gegen MigrantInnen. Tobias R., der Killer von Hanau, erinnert unmittelbar an den Attentäter von Christchurch oder an den norwegischen Massenmörder Breivik.

Der Anschlag reiht sich in eine ganze Serie erschreckender rassistischer Morde und Anschläge der letzten 30 Jahre ein. Seit 1990 sind über 200 Menschen Opfer rechter, rassistischer und faschistischer Gewalt geworden, einschließlich immer offener antisemitischer Anschläge wie in Halle.

Die Zunahme rechter Anschläge wie die Bildung terroristischer Gruppierungen, Zellen und Netzwerke stellen den zugespitzten Ausdruck eines Rechtsrucks dar, dessen Erscheinungsformen den Aufstieg der AfD, aber auch faschistischer Organisationen wie der „Identitären Bewegung“, klandestiner Terroreinheiten sowie irrationalistischer Bewegungen wie der QuerdenkerInnen umfassen.

Wut, Trauer, Widerstand

Wie viele andere AntirassistInnen und AntifaschistInnen rufen wir zur Teilnahme an den Demonstrationen und Aktionen zum Gedenken den Mord von Hanau auf. Wir wollen damit den Familien, den Angehörigen und FreundInnen der Getöteten unsere Anteilnahme zeigen, sie in ihrem Schmerz, ihrer Wut, ihrer Verzweiflung nicht alleine lassen. Wir wollen ein Zeichen der Solidarität mit allen Opfern rassistischer und faschistischer Anschläge, Angriffe und Morde setzen, ein Zeichen der Solidarität mit allen Abgeschobenen, mit den Opfern der mörderischen EU-Grenzpolitik sowie allen Formen staatlicher und institutioneller rassistischer Gewalt, Diskriminierung und Unterdrückung.

Damit aus Wut und Trauer, Zorn und Angst Widerstand gegen den rassistischen Terror und Rechtsextremismus wird, müssen wir uns bemühen, die Ursachen, die sozialen Wurzeln der barbarischen Morde zu verstehen.

Rassistischer Wahn

Die faschistischen, neofaschistischen, aber auch zahlreiche rechtspopulistische Organisationen stellen ein irrationales völkisches Wahngebilde zunehmend ins Zentrum  ihrer Ideologie, eine Mischung aus Verschwörungstheorie, Rassismus, Antisemitismus und allen möglichen Formen reaktionären Gedankenguts wie z. B. des Antifeminismus, Leugnung des Klimawandels oder der Gefahr durch das Corona-Virus. So bizarr und wirklichkeitsfremd, ja die Realität auf den Kopf stellend diese Ergüsse auch wirken (und sind), knüpfen sie doch an die Vorstellungswelt eines viel breiteren rechten Spektrums an, das bis tief in bürgerliche und kleinbürgerlich-reaktionäre Schichten  reicht (und auch unter politisch rückständigen ArbeiterInnen Gehör findet).

Der individuelle Terrorismus auf Seiten der Rechten signalisiert daher auch einen grundsätzlichen Stimmungsumschwung unter weiten Teilen des KleinbürgerInnentums und der Mittelschichten. Das drückt sich auch in der Herkunft etlicher AttentäterInnen aus.

Viele entpuppten sich als Menschen mit klassischen kleinbürgerlichen Karrieren, häufig auch im Polizei- und Sicherheitsapparat. Über alle biographischen Besonderheiten hinweg verdeutlicht die Gemeinsamkeit der sozialen Herkunft, dass sich die gegenwärtige Krise im KleinbürgerInnentum, in den Mittelschichten ideologisch nicht nur als Angst vor Deklassierung, sondern auch als zunehmendes Misstrauen und Ablehnung gegenüber der traditionellen bürgerlichen Führung und dem Staat manifestiert. Es bedarf eines rechten Aufstandes, einer Pseudorevolution, der angelichen Entlarvung von „Verschwörungen”, eines Pogroms an den „fremden Rassen“ und „VolksverräterInnen“, was im terroristischen Akt an möglichst vielen schon exemplarisch vorgeführt wird.

Wie bekämpfen?

Wie der Mord am Regierungspräsidenten Lübcke gezeigt hat, kann sich der rechte Terrorismus auch gegen RepräsentantInnen des bürgerlichen Staates richten. Die Masse seiner Opfer findet er jedoch – und darin gleicht er dem Terror faschistischer Massenbewegungen – unter MigrantInnen, rassistisch Unterdrückten, linken AktivistInnen oder dem Subproletariat (z. B. Obdachlose), also den Lohnabhängigen und Menschen, die Rassismus und Faschismus entgegentreten wollen.

Die Erfahrung zeigt jedoch auch, dass wir uns dabei – wie im Kampf gegen den Faschismus insgesamt – nicht auf den bürgerlichen Staat und seine Polizei verlassen können. Die Forderung nach verschärfter Repression und Überwachung geht daher nicht nur ins Leere, sondern letztlich in eine falsche Richtung, weil sie einem bürgerlichen, repressiven, rassistischen Staatsapparat mehr Machtmittel in die Hand gibt, die in der Regel gegen uns eingesetzt werden.

Zweitens können aber auch der Selbstschutz, der Aufbau von Selbstverteidigungseinheiten, antifaschistische Recherche – so wichtig sie im Einzelnen wohl sind – gegen klandestine Terrorzellen oder Individuen nur begrenzt Schutz bieten.

Schwerpunkt

Das Hauptgewicht des Kampfes muss daher auf dem gegen die gesellschaftlichen Wurzeln liegen, und zwar nicht nur, indem der Kapitalismus als Ursache von Faschismus, zunehmender Reaktion, Rechtsruck, Krise identifiziert und benannt wird. Es kommt vor allem darauf an, dass die ArbeiterInnenklasse als jene soziale Kraft in Erscheinung tritt, die einen fortschrittlichen Ausweg aus der aktuellen gesellschaftlichen Krise zu weisen vermag. Der Zustrom zur AfD, die Mobilisierungskraft von Corona-LeugnerInnen und VerschwörungstheoretikerInnen, also der gesellschaftliche Rechtsruck und Irrationalismus, stellen keine unvermeidliche, automatische Reaktion auf eine Krisensituation dar.

Dass der Rechtspopulismus zu einer Massenkraft geworden ist und in seinem Schlepptau auch faschistische Organisationen und Terrorismus verstärkt ihr Unwesen treiben, resultiert auch, ja vor allem daher, dass sich die reformistische ArbeiterInnenbewegung nicht als antikapitalistische Kraft, sondern als bessere Systemverwalterin zu profilieren versucht. SPD und DGB-Gewerkschaften tragen auf Bundesebene die Ampel-Koalition und üben den Schulterschluss mit dem Kapital. Die Linkspartei, wie immer hoffnungsfroh, setzt auf die „Einheit der DemokratInnen“ (bis hin zu CDU und FDP, wenn es gegen die AfD geht).

Faschismus, Rassismus und Rechtspopulismus können geschlagen werden. Aber dazu braucht es einen politischen Kurswechsel, ein Programm, eine Strategie, die die Mobilisierung gegen diese Kräfte als Teil des Klassenkampfes versteht. Nur so kann dem Rechtsruck sein Nährboden entzogen werden. Nicht Einheit über alle Klassengrenzen hinweg, sondern Einheit der ArbeiterInnenbewegung, der Linken, der MigrantInnen gegen rechten Terror, Populismus und Rechtsruck ist das Gebot der Stunde.




Italien: FaschistInnen lassen ihren Corona-Ärger an den Gewerkschaften aus

KD Tait, Infomail 1168, 4. November 2021

Am Samstag, dem 16. Oktober, nahmen Zehntausende an einer antifaschistischen Demonstration in Rom teil, zu der der Gewerkschaftsbund CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro; Italienischer Allgemeiner Bund der Arbeit) aufgerufen hatte, um auf einen faschistischen Angriff gegen den Sitz der Gewerkschaft in der vorangegangenen Woche zu reagieren.

Am 9. Oktober hatten Tausende Menschen an einer Demonstration gegen den sogenannten Grünen Pass teilgenommen, der als Nachweis einer Corona-Impfung, eines negativen Tests oder einer kürzlich erfolgten Genesung dient.

Giuliano Castellino, der Stellvertretende Vorsitzende der rechtsextremen Partei Forza Nuova (Neue Kraft) und ihr Anführer in Rom, hatte diesen Angriff von der Bühne einer Kundgebung auf der römischen Piazza del Popolo (Platz des Volkes) aus angezettelt:

„Wisst ihr, wer zugelassen hat, dass der Grüne Pass Gesetz wurde und dass Millionen unserer Landsleute damit erpresst werden und von Arbeitslosigkeit bedroht sind? Sie haben bestimmte Namen: CGIL, CISL (Confederazione italiana sindacati lavoratori; Italienischer Gewerkschaftsbund) und UIL (Unione Italiana del Lavoro; Italienische Arbeitsunion). Wisst ihr, was freie BürgerInnen tun? Sie belagern die CGIL … Lasst uns gehen und alles holen, was uns gehört.“

In einer absichtlichen Nachahmung des Aufstands am Kapitol in Washington marschierten die DemonstrantInnen zum italienischen Parlament. Nachdem die Polizei ihren Versuch einzudringen zurückgeschlagen hatte, griff der von FaschistInnen angeführte Mob die Büros der CGIL an. Obwohl ein führender Politiker den Angriff im Zentrum Roms angekündigt hatte, erlaubte die Polizei den RandaliererInnen, das Gebäude zu zerstören.

PolitikerInnen der italienischen Regierungsparteien verurteilten den Angriff. Die FührerInnen der Demokratischen Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung forderten sogar die Auflösung der Forza Nuova. Die ArbeiterInnen können jedoch nicht auf die kapitalistischen Parteien vertrauen, die in einer Koalition mit der Lega (Nord) von Matteo Salvini regieren.

Senator Salvini, der die Koalition unterstützt hat, aber nicht Teil der Regierung ist, hat seine AnhängerInnen gegen eben jene Corona-Maßnahmen aufgehetzt, für die die Abgeordneten seiner Partei gestimmt haben.

Der Grüne Pass

Hintergrund dieser Demonstrationen ist die Entscheidung der Regierung, den Grünen Pass, der bereits für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und einigen Arbeitsplätzen erforderlich war, am 15. Oktober für alle Arbeitenden verbindlich zu machen. Diejenigen, die sich weigern, müssen Tests in Höhe von insgesamt 180 Euro pro Monat zahlen – weit über 10 Prozent des Durchschnittslohns. Wer gegen die Vorschriften verstößt, muss mit einer unbezahlten Freistellung und Geldstrafen von bis zu 1.500 Euro rechnen.

Die meisten ItalienerInnen unterstützen das Corona-Zertifikat, und bisher wurde die Antiimpfbewegung von populistischen und rechtsextremen Organisationen dominiert, die  die Bosse von kleinen und mittleren Unternehmen mobilisierten, deren Profite durch die Kosten der Corona-Beschränkungen bedroht sind. Die antifaschistische Demonstration, zu der die CGIL aufgerufen hatte, die das verpflichtende Corona-Zertifikat befürwortet, war zahlenmäßig zehnmal größer als die Antiimpfkundgebung.

Die Ausweitung des Passes auf alle ArbeiterInnen löste jedoch Streiks und Blockaden an Häfen im ganzen Land aus, organisiert von Basisgewerkschaften wie Cobas (Comitato di Base Scuola) oder USB (Unitaria di Base; Basiseinheit) und anderen syndikalistischen „Basiskomitees“, die von der Regierung kostenlose Tests für alle ArbeiterInnen fordern.

Die Regierung sagt, die Einführung des Passes würde „die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen und die Impfkampagne stärken“. Dieselbe Regierung weigerte sich aber, einen Lockdown zu verhängen, bis Streiks zu einer Schließung der Betriebe führten, nachdem Tausende gestorben waren. Sie beendete den ersten Lockdown zu früh, wodurch eine zweite tödliche Welle ausgelöst wurde. Ihr neu entdecktes Engagement für die Sicherheit am Arbeitsplatz ist sowohl zynisch als auch willkürlich.

Der eigentliche Grund ist eher prosaisch. Da die Erntezeit bevorsteht und die Weihnachtsvorbereitungen in vollem Gange sind, wollen Italiens Bosse unbedingt einen weiteren Lockdown vermeiden.

Italien hat eine der höchsten Impfraten der Welt: 80 Prozent der über 12-Jährigen sind vollständig geimpft, aber es gibt immer noch fast 2,5 Millionen ungeimpfte ArbeiterInnen. Die Impfablehnung ist bei älteren Lohnabhängigen und MigrantInnen am höchsten. Außerdem verweigert die EU bisher dem russischen Sputnik-Impfstoff die Zulassung bzw. Anerkennung.

Eine möglichst hohe Impfquote in der ganzen Welt ist wünschenswert, aber SozialistInnen sollten sich in dieser Situation gegen eine Impfpflicht aussprechen, die kontraproduktiv und potenziell diskriminierend ist. Die Gewerkschaften sollten sich für eine massive Ausweitung der öffentlichen Gesundheits- und Informationskampagne unter Kontrolle durch die ArbeiterInnen einsetzen, die ihre Sicherheit über den Profit stellt. Dies wäre weitaus wirksamer.

Kapitalistisches Krisenmanagement

Die Reaktion der KapitalistInnen auf die Pandemie war in allen Ländern von der Sicherung ihrer Profite geleitet. Statt rascher und massiver Investitionen in die Gesundheitsfürsorge, die Sicherheit am Arbeitsplatz, die Aufklärung über Impfstoffe und die öffentliche Beschaffung und Verteilung der Vakzine nach einem internationalen Plan zur Ausrottung des Virus haben sich die Bosse und ihre Regierungen für eine Rückkehr zur „Normalität“ eingesetzt, d. h. für die ununterbrochene Anhäufung privater Profite.

Der Grüne Pass wird die Impfkampagne durch einfache kapitalistische Logik „verstärken“: Lass’ dich impfen (und arbeite) oder verhungere! Die Pandemie ist also eine Klassenfrage.

Wir sagen: Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind. Dem Kampf für „Zero Covid“ liegt eine politische Frage zugrunde. Es geht darum, ob die gesellschaftlichen Ressourcen für die Produktion von Profiten oder für die Rettung von Leben durch eine weltweite Kampagne zur Eliminierung des Virus eingesetzt werden sollen.

Deshalb fordern wir:

  • Abschaffung von Patenten der Impfstoffe und von Geschäftsgeheimnissen  – Enteignung von Big Pharma und privater Gesundheitsversorgung.
  • Massive Ausweitung der Impfstoffproduktion und kostenlose Verteilung an den globalen Süden.
  • Gegen verpflichtende Impfungen – für kostenlose Tests, die durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden – für ein Vetorecht der ArbeiterInnen gegen unsichere Arbeitsbedingungen.
  • Volle Entlohnung und Arbeitsplatzgarantie für alle ArbeiterInnen, die krank oder in Quarantäne sind – oder diejenigen, die den Grünen Pass ablehnen.