PDS, Linkspartei und die Wohnungsfrage: „Rebellisches“ Regieren in Berlin

Susanne Kühn, Neue Internationale 279, Dezember 2023 / Januar 2024

Gern präsentiert sich DIE LINKE als einzige Partei im Berliner Abgeordnetenhaus, die „konsequent“ für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. eingetreten wäre. Stolz verweist die Partei darauf, dass sie 2021 zehntausende Unterschriften gesammelt hat und viele ihrer Mitglieder aktiv an der Kampagne teilgenommen haben.

Dieser rosigen Seite der Mietenpolitik der Berliner Linkspartei und ihrer Vorläuferorganisation stehen jedoch zahlreiche dunkle Kapitel gegenüber, die die Grenzen „linker“ Reformpolitik deutlich machen.

Vom Saulus zum Paulus?

Über das unrühmlichste und wohnungspolitisch geradezu kriminelle Kapitel der eigenen Parteigeschichte hüllt DIE LINKE in Berlin gern den Mantel des Schweigens. Unter der rot-roten Landesregierung wurde massiv privatisiert. Von den knapp 400.000 landeseigenen Wohnungen bei Antritt des SPD-PDS-Senats blieben nur ca. 250.000 übrig.

Darüber hinaus wurden in Berlin in dieser Periode auch die Wasserwerke teilprivatisiert und Krankenhäuser an Vivantes, Helios und die Rhön-Kliniken verscherbelt.

Kurz gesagt, die Regierungsrebell:innen um Gregor Gysi und Harald Wolf rührten die Scheiße am Wohnungsmarkt mit an, die die Linkspartei seither beklagt. Gelernt hatte sie aber schon damals nichts aus der Enttäuschung ihrer Wähler:innen. Trotz Stimmenverlusten von beinahe 10 Prozent verblieb DIE LINKE als Juniorpartnerin im Senat unter Klaus Wowereit und werkelte von 2006 – 2011 weiter als treue Vasallin der SPD.

In der Opposition 2011 – 2016 reorganisierte sie sich ein wenig und erzielte 2016 15,6 % (ein Plus von 3,9 % gegenüber 2011). Von 2016 bis 2021 war sie, ebenso wie von 2021 bis zur Nachwahl 2023, Teil des Senats mit SPD und Grünen.

Anders als in den vorherigen Senatsperioden versuchte sich DIE LINKE darin, ihr tristes Regierungsdasein mit „oppositionellen“ Regungen zu verbinden, was noch 2021 dazu führte, dass sie relativ wenig Stimmen verlor. Doch gerade diese Zeit, die die Linkspartei am ehesten als „rebellisches Regieren“ verkaufen möchte, verdient eine genauere Betrachtung.

Gleich 2016 versuchte DIE LINKE mit der Ernennung des linken, antikapitalistischen Gentrifizierungskritikers Andrej Holm zum Staatssekretär unter der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher, einen Akzent zu setzen. Innerhalb weniger Monate wurde Holm jedoch durch eine reaktionäre Kampagne bürgerlicher Medien, von CDU und FDP sowie unter kräftiger Mithilfe des rechten Flügels von SPD und Grünen zum Rücktritt gezwungen – ein klares Signal, dass die Immobilienlobby und ihr politischer Anhang vor nichts zurückschrecken würden, um jede wohnungspolitische Wende zu verhindern, die sich auch nur im Ansatz gegen ihre Interessen richtet.

Zugleich musste der Senat und damit auch DIE LINKE versuchen, dem wachsenden Druck unzufriedener Mieter:innen und von Protestansätzen Rechnung zu tragen. Hierbei sollte der Mietendeckel helfen, den Lompscher 2019 auf den Weg brachte und der im Januar 2020 vom Abgeordnetenhaus beschlossen wurde. Der durchaus löchrige Deckel sollte die Mietpreissteigerungen für Hunderttausende Mieter:innen begrenzen. Die Bundestagsfraktionen von CDU und FPD klagten gegen diesen Anschlag auf den „freien Markt“. Das Bundesverfassungsgericht gab der Immobilienlobby Recht und kassierte das Berliner Gesetz – mit verheerenden Folgen für rund 1,5 Millionen Mieter:innen, denen  teilweise massive Nachzahlungen, vor allem aber weitere Mieterhöhungen ins Haus standen.

Die beiden Beispiele verdeutlichen das ganze Dilemma der Reformpolitik der Linkspartei, selbst wenn sie, anders als im rot-roten Senat, keine Verschlechterungen, sondern Verbesserungen in Angriff nahm. Unter dem Druck der bürgerlichen Öffentlichkeit knickte sie wie im Falle Holm ein. Kassierte ein Gericht die Reformen, war sie mit ihrem Latein am Ende. Einen Plan B, der über letztlich symbolische Demonstrationen und Proteste gegen die Urteile hinausging, hatte sie nie.

Deutsche Wohnen und Co. enteignen

Das Kassieren des Mietendeckels beflügelte auf seine Art die größte und auf ihrem Höhepunkt auch erfolgreichste von Linken und der Mieter:innenbewegung getragene Kampagne „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. DIE LINKE unterstützte die Kampagne von Beginn an, auch wenn sie deren massiven Erfolg bei der Volksabstimmung 2021 wie viele andere nicht voraussehen konnte. Am 26. September stimmten 59 % für die Enteignung der großen Immobilienkonzerne in Berlin.

Nicht nur die Wohnungswirtschaft, AfD, CDU und FDP waren wild entschlossen, die Entscheidung der Bevölkerung nicht umzusetzen. Auch die rechte SPD-Führung um Giffey und Geisel wollte den Volksentscheid politisch kippen. Natürlich konnte sie das nicht direkt tun. Daher zauberten Geisel und Giffey eine sog. Expert:innenkommission aus dem Hut, die überprüfen sollte, ob der Volksentscheid umsetzbar und in welches Gesetz er gegebenenfalls zu gießen wäre.

So sollte in einer im Geheimen tagenden Kommission zuerst einmal Zeit gewonnen werden, ohne offen den Mehrheitswillen zu ignorieren. Zweitens erklärten denn Giffey und Geisel auch deutlich, dass selbst ein positives Ergebnis der Kommission längst nicht bindend wäre, sondern der Senat darüber entscheiden müsse. Kurzum, die SPD-Führung machte klar, dass es sich nur um eine Verschleppung handelte und sie ohnedies immer den Volksentscheid blockieren würde.

Dieses Manöver war nicht nur ein Hohn auf jede Demokratie, sondern natürlich ganz im Interesse des Kapitals. Die Grünen spielten gern mit und die SPD machte die Expert:innenkommission zur Bedingung für eine Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition.

Und DIE LINKE? Die spielte das schäbige Spiel mit. Sie lief sehenden Auges in die offene Falle, die Giffey und Geisel gestellt hatten. Dass auch die Mehrheit der Kampagne von Deutsche Wohnen und Co. um die Interventionistische Linke das üble Spiel mitgstaltete, diente der Mehrheit der Linkspartei zwar als Entschuldigung für ihre Kapitulation vor der SPD, macht die Sache aber nicht besser.

Ein Mitgliederentscheid sprach sich für die Fortsetzung der Koalition aus. Insgesamt beteiligten sich 4.220 (53,64 %) der 8.016 Parteimitglieder am Entscheid über den Koalitionsvertrag, davon waren 3.926 Stimmen gültig. 2.941, also 74,91 %, votierten für Rot-Grün-Rot, 880 oder 22,4 % stimmten mit Nein, 105 (2,67 %) enthielten sich.

Die Landesparteivorsitzende Katina Schubert und mit ihr die gesamte Senatsriege konnten ihre Freude kaum verbergen. „Das ist ein klarer Auftrag für uns. Das gute Ergebnis ist Rückenwind für die aktuellen und kommenden Herausforderungen,“ erklärte sie und ließ weiter verlauten: „Wir haben angekündigt, den Berlinerinnen und Berlinern die Stadt zurückzugeben.“

In Wirklichkeit halfen sie der Immobilienlobby mit, ihre volle Verfügungsgewalt über ihr Privateigentum zu behalten. Die Expert:innenkommission werkelte über Monate vor sich hin, die Bewegung und die Strukturen von Deutsche Wohnen und Co. schrumpften und brachen mehr und mehr in sich zusammen. Mit der Neuwahl 2023 und der Bildung des CDU/SPD-Senats war der Volksentscheid endgültig erledigt.

Opportunismus und Blindheit

Das Beispiel verdeutlicht das Problem des „rebellischen Regierens“, selbst wenn DIE LINKE eine Bewegung aktiv unterstützt. Letztlich stößt eine solche Bewegung, gerade wenn sie das kapitalistische Privateigentum und seine rechtliche Absicherung, also ein gesellschaftlich wesentliches Verhältnis, berührt, an die Grenzen des bürgerlichen Systems. Das ist unvermeidbar.

Sowohl die Mehrheit der Kampagne Deutsche Wohnen und Co. enteignen als auch DIE LINKE weigerten sich jedoch bewusst, diese Problematik von Beginn an zu thematisieren. Der Opportunismus setzte auf politische Blindheit – und wunderte sich dann, dass er das Offensichtliche nicht vorausgesehen hatte.

Was die Führung der Linkspartei betrifft, so erfüllt diese jedoch auch einen Zweck. Sie sollte jede vorausschauende Diskussion, jede strategische Debatte darüber verhindern, wie die Kampagne erfolgreich weitergeführt werden könnte, auch wenn der Senat sabotiert und DIE LINKE nicht mehr in der Landregierung vertreten ist. Dazu hätten nämlich sowohl die Kampagne wie auch DIE LINKE auf eine Strategie der klassenkämpferischen Mobilisierung, auf den Aufbau von Mieter:innenkomitees, auf Verbindung mit betrieblichen und gewerkschaftlichen Organisationen, auf die Verbreiterung von Miet- und politischen Solidaritätsstreiks orientieren müssen. Genau das wollten aber die Vertreter:innen des „rebellischen Regierens“ nicht, weil sie selbst viel stärker unter den direkten und demokratischen Druck einer solchen Kampagne geraten wären, weil es viel schwerer geworden wäre, 2021 weiter im Senat zu hocken und dafür den Volksentscheid faktisch zu opfern.

Die Lehre aus diesen Kämpfen muss aber gezogen werden. Es ist natürlich grundsätzlich richtig, DIE LINKE wie auch andere reformistische Parteien oder Gewerkschaften zur Unterstützung solcher Kampagnen aufzufordern, ja, wenn möglich, dazu zu zwingen. Aber zugleich braucht sie demokratische Kampfstrukturen und eine offen geführte Diskussion und Entscheidung über die zentralen Fragen zur Umsetzung ihrer Ziele – in diesem Fall der Enteignung – und der dafür notwendigen Kampfmethoden und Strukturen. Natürlich können auch dann Reformist:innen und Opportunist:innen eine Kampagne in die Irre führen, aber bieten sich unter diesen Bedingungen viel günstigere Möglichkeiten für klassenkämpferische Kräfte, ihre Vorschläge, ihre Positionen zu vertreten und im günstigsten Fall die Mehrheit dafür zu gewinnen. Hinzu kommt, dass eine solche Methode erlaubt, dass wir nach einem politischen Ausverkauf durch Reformist:innen und deren Senatsambitionen nicht mit leeren Händen, sondern einer politisch aktiven Kampagne dastehen, die weiter kampffähig ist.




Schwarze Zeiten? Die Berliner Wahlen und ihr Ausgang

Wilhelm Schulz/Martin Suchanek, Infomail 1213, 15. Februar 2023

Die CDU geht als klare Siegerin aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl vom 12. Februar hervor. Erstmals seit 1999 wurde sie zur stärksten Partei in der Stadt und konnte ihren Stimmenanteil deutlich auf 28,2 % steigern, was ein Plus vom 10,2 % gegenüber 2021 bzw. von 10,6 % verglichen mit 2016 bedeutet. Die einzige andere Partei, die einen leichten Stimmengewinn verbuchen kann, ist die AfD mit 9,1 % und einer Steigerung um 1,1 % zu 2021.

Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und Linken hat geschlossen verloren und kommt auf 49 %, ein Verlust um 5,4 % zu 2021 (SPD bei 18,4 % und -3 %, Grüne ebenfalls bei 18,4 % und -0,5 %, LINKE bei 12,2 % und -1,9 % zu 2021). Die FDP fällt unter die undemokratische 5 %-Hürde, verliert 2,5 % und kommt nur noch auf 4,6 %. Sie muss somit das Abgeordnetenhaus verlassen – also wenigstens eine erfreuliche Nachricht.

Der Wahlgewinn der Union war zwar im Vorfeld abzusehen, ist aber dennoch deutlicher als von vielen erwartet. Vor allem aus zwei Parteien erhielt sie dabei Stimmengewinne (https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-berlin-113.html): 60.000 von der SPD und 37.000 von der FDP. Auch interessant sind die Zahlen von jeweils 21.000 Stimmenwanderungen von den sog. Kleinstparteien und Nichtwähler:innen. Daneben gewann sie 17.000 Stimmen von den Grünen, 12.000 von der AfD und 11.000 von der LINKEN. Bei den Erststimmen konnte die Union ihre gewonnenen Wahlkreise mehr als verdoppeln. Sie gewann 48 von 78, 2021 waren es 21. Die SPD stürzte von 25 auf 4 Wahlkreise ab. Daneben: Die Stimmendifferenz zwischen SPD und Grünen beläuft sich anscheinend auf 105, weshalb eine Neuauszählung wahrscheinlich ist.

Der Erfolg der CDU ist darauf zurückzuführen, dass sie gleich mehrere Stimmungen auf sich fokussieren konnte. Außerdem hat er auch sehr wichtige bundesweite Implikationen bzw. setzt Trends fort. Vergleichbar sieht es um die FDP aus, wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen. Die Wahlniederlage reiht sich in den Trend der vergangenen Landtagswahlen ein. Die Union konnte sich gegen die rot-grün-rote Landeskoalition als Alternative präsentieren und den Unmut gegen den Senat kanalisieren.

Der Löwenanteil der Berliner:innen ist jedoch nicht zur Wahl gegangen oder durfte es nicht. Die Wahlbeteiligung lag bei 63 %. Gegenüber 2021 ist das ein massiver Rückgang. Damals lag die Beteiligung aber mit 75,4 % überaus hoch, weil sie gemeinsam mit der Bundestagswahl durchgeführt wurde. Die 63 % entsprechen hingegen dem Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Knapp 22 % der Bevölkerung hat überhaupt kein Wahlrecht, weitere 13 % haben das Wahlalter noch nicht erreicht. Am Dienstag, dem 14.2, tauchten auch in Lichtenberg noch mehr als 400 Briefwahlumschläge auf. Das endgültige amtliche Wahlergebnis ist nicht vor dem 17. Februar zu erwarten.

Ein Schritt nach rechts

Das „Es kann kein Weiter so geben“, das aus allen Fanfaren der Parteien klingt, drückt die Stimmung der Wahl aus. Mit der CDU und den Grünen haben sich zwei bürgerliche Parteien in Berlin weiter etablieren bzw. ein sehr gutes Ergebnis von 2021 weitgehend stabilisieren können, während die bürgerlichen Arbeiter:innenparteien SPD und LINKE weiter an Stimmen und Prozenten verlieren.

Auch wenn die Wahl von keinem großen Rechtsruck begleitet wurde, so stabilisiert sie die Rechtsentwicklung im Abgeordnetenhaus. In diesem Licht muss das „Es kann kein Weiter so geben“ gewertet werden, egal ob es eine Fortsetzung von RGR, Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün wird.

Diese Verschiebung zeigt sich auch in den Wahlkampfthemen. So haben CDU, AfD und FDP einen thematisch vergleichbaren Wahlkampf geführt, wenn auch im Ton verschieden. Sie haben das Berliner Verwaltungsversagen auch über die gescheiterte Wahl von 2021 hinaus ins Zentrum gestellt und andererseits den Ruf nach Recht und Ordnung im Lichte der rassistischen Diffamierungen rund um die Silvesternacht oder um das „Chaos“ in den „linken“ Stadtteilen erklingen lassen. Alles klassisch rechte oder rechtspopulistische Themen.

Die Senatsparteien hatten dem im Grunde nichts entgegenzusetzen. Die SPD versuchte sich sogar, wenn auch ohne großen Erfolg, selbst als Law-and-Order-Partei mit Augenmaß zu inszenieren. In jedem Fall können wir davon ausgehen, dass der nächste Senat – egal wie er zusammengesetzt sein wird – die Polizei, deren Mittel und Befugnisse unter dem Vorwand der Bekämpfung von „Clankriminalität“ und „linken Chaot:innen“ massiv stärken wird. Wir können annehmen, dass die ohnedies oft eher symbolischen und letztlich zweitrangigen Reformen unter RGR faktisch kassiert werden sollen.

Daneben stand Mobilität im Zentrum, wobei die drei Parteien sich für die Aufrechterhaltung Berlins als Autostadt mitsamt der Fortsetzung des Baus der A100 ausgesprochen haben. Insgesamt wurde die Koalition als handlungsunfähig beschrieben und das trotz einer LINKEN, die bei den Koalitionsverhandlungen ihre Beteiligung an der Regierung über ihr Programm stellte.

Im Jahr 2021 war die Wohnungsfrage noch das zentrale Thema der Wahl. Das aktuelle Ergebnis könnte vermutlich der letzte parlamentarische Todesstoß für den Volksentscheid von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ sein, solange dessen strategische Orientierung weiterhin auf parlamentarische Mehrheiten ausgerichtet ist statt des Aufbaus einer klassenkämpferischen Mieter:innenbewegung in den Häusern, auf den Straßen und in den Betrieben. Inwiefern die möglichen Handlungsempfehlungen der Verschleppungskommission (offiziell: Expert:innenkommission) noch im Senat Zustimmung finden werden, steht in selbigem fragwürdigen Licht. Und das obwohl Kai Wegner (CDU-Spitzenkandidat) deutlich als Feind der Mieter:innen hätte demaskiert werden können. Er war damals im Bundestag einer von denen, die gegen den Berliner Mietendeckel geklagt haben. Die Berliner CDU wurde in den vergangenen Jahren massiv durch Parteispenden von der Immobilienlobby unterstützt.

Doch, wie es in der Presse so oft heißt, bleibt unklar, ob Wegner nicht ein „König ohne Land“ bleibt, also keine/n Koalitionspartner:in finden könnte, da sowohl SPD als auch Grüne sich für die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot ausgesprochen haben. Außerdem fürchten diese zu Recht, dass sie unter CDU-Führung zum Anhängsel der Konservativen würden.

Die Sondierungsgespräche, die SPD und Grüne nun mit der Union führen werden, könnten beide zur Durchsetzung ihrer Ziele in einer Drei-Parteien-Koalition verwendet werden. Eine schwarz-grüne Koalition scheint zwar am unwahrscheinlichsten, wenn man sich die konträren Wahlkampfthemen und die beidseitige Rhetorik anschaut, hätte aber eine starke Wirkung auf die Bundespolitik und könnte ein etwaiges Scheitern der Ampel vorbereiten, in der sich die Grünen und nicht die FDP als verlässlichere Partnerinnen für eine etwaige CDU-geführte Regierung präsentieren.

Und die LINKE?

Auch sie hat verloren. Einerseits zwei von sechs Direktmandaten, die jeweils an die CDU verlorengingen. Generell hat die CDU bis auf zwei Wahlkreise der AfD alle Außenbezirke gewonnen, während die Innenstadt grün ist (Zweitstimmen). Vergleichbar ist es auch bei der Altersstruktur. Die Grünen sind die stärkste Kraft unter 35 Jahren und die CDU bei den über 45-Jährigen. Die Lützerath-Räumung, die die Grünen mitverantworten, hat hier also keinen signifikanten Einfluss auf das Wahlergebnis genommen. Die LINKE sieht sich somit einer Verringerung ihres Einflusses gegenüber. Auch wenn sie in allen Bezirken verloren hat, lässt sich ein deutlicherer Stimmrückgang in ihren alten Ostberliner Stimmbezirken verbuchen, während sie sich im Stadtzentrum relativ gefestigt hat. Am deutlichsten zeigt sich dies im sonst so roten Köpenick, das nun tiefschwarz überzogen ist. Im Verhältnis zum Bundestrend bleibt Berlin jedoch eine Hochburg der LINKEN. Dass die verschiedenen brennenden sozialen Fragen wenig im Zentrum standen und die LINKE dies nicht auffangen konnte, wird deutlich, wenn wir sehen, dass die Partei seit 2001 an der Landesregierung ist, mit einer Ausnahme von 2011 bis 2016.

Katja Kipping warb bereits wenige Minuten nach den ersten amtlichen Hochrechnungen für eine Fortführung von Rot-Grün-Rot und war damit vermutlich die erste öffentliche Fürsprecherin. Es bleibt abzuschätzen, wie stark das Lager gegen die Regierungsbeteiligung sein wird. Angesichts dessen, dass beispielsweise die oppositionelleren Bezirke wie Neukölln und Mitte verhältnismäßig gute Ergebnisse erzielten, sind die Möglichkeiten dafür verbessert, wie die Basis für die Nebelkerze des „rebellischen Regierens“ sichtbar geschwächt ist. Andererseits konnte dieses Doppelspiel, einerseits Teil der Regierung zu sein, sich andererseits auf die Seite des Sozialprotests zu stellen, in keiner gesteigerten Unterstützung münden – zwei Wege, die sich offensichtlich entgegenstehen.

Nach der Abgeordnetenhauswahl im Jahr 2021 war das größte Schreckgespenst in den Reihen der LINKEN die Möglichkeit einer Ampelkoalition auf Berliner Ebene. Mit diesem Argument wurden weite Teile des Programms in den Koalitionsverhandlungen aufgegeben. Es droht, dass mit selbigem erneut in Koalitionsverhandlungen eingestiegen werden soll.

Natürlich wäre es leichfertig, ja albern zu sagen, dass eine CDU-geführte Regierung überhaupt keinen Unterschied für die Bevölkerung ausmachen würde. Zweifellos würden Wegner und Co. eine solche Situation nutzen, um ihr Law-and-Order-Programm durchzuziehen, wenn auch vielleicht mit etwas grüner oder sozialer Tünche für eine jeweilige Koalitionspartnerin.

Doch das würde nur einen weiteren Zerfallsprozess befördern. DIE LINKE würde sich an einer solchen Regierung ebenso wie die Restbestände des linken SPD-Flügels einfach selbst überflüssig machen und eine CDU-Regierungsübernahme bloß hinauszögern.

Zudem zeigt die Erfahrung mit dem RGR-Senat (wie vordem mit den rot-roten Senaten), dass diese selbst zur Verschleppung und Sabotage demokratischer Entscheidungen wie der Enteignung der großen Immobilienhaie bereit sind. Nachdem DIE LINKE den Volksentscheid schon in der letzten Koalition nicht durchsetzen konnte, ist natürlich kindisch zu denken, dass eine geschwächte Partei und ein geschwächter Senat ausgerechnet jetzt die Konfrontation mit dem Kapital suchen werden.

Daher müssen aber auch die Gegner:innen eine Regierungsbeteiligung in der LINKEN jetzt aufstehen. Schließlich haben sie sich in der letzten Legislaturperiode auch nicht mit Ruhm  bekleckert, sondern nur so getan, als hätten sie mit dem Senat nichts zu tun – und haben doch umgekehrt „ihrer“ Partei keine Steine beim Regieren in den Weg gelegt.

Gerade die linken Bezirke wie Neukölln und Mitte sowie alle anderen Gegner:innen einer weiteren Regierungsbeteiligung müssen sich jetzt offen gegen die Regierungssozialist:innen, gegen die Giffey-Freund:innen um Schubert, Lederer und Kipping formieren. Ein erster Ausgangspunkt dessen könnte eine Einberufung einer öffentlichen Konferenz des linken Flügels der Partei sein. Bereits als Folge der letzten Sondierungen gab es erste Ansätze zum Aufbau einer solchen Opposition, jedoch verpuffte die Organisierung dieser Ansammlung von Parteimitgliedern, sobald die Abstimmung für die Beteiligung an der Koalition innerhalb der LINKEN vorüberging.

Die Linken in der LINKEN stehen vor der Aufgabe, den Widerstand gegen die Fortsetzung von Rot-Grün-Rot zu organisieren und um die Ausrichtung der Partei zu kämpfen. Angesichts ihrer bundesweiten Krise dürfen sie dabei vor einem organisierten Kampf nicht weiter zurückschrecken – und das heißt auch nicht vor einem kommenden, im Grunde unvermeidlichen organisierten Bruch mit ihr.




Wiederholte Qual der Wahl

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 271, Februar 2023

Berlin wählt noch einmal. Am 12. Februar steht die Wiederholung der Wahlen zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlungen an. Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Wiederholung des Urnengangs vom 26. September 2021 zur „Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung“ (Tagesschau 16.11.22) an.

Schließlich war die vergangene Wahl auch ein Desaster. Es wurden unvollständige Briefwahlzettel ausgeschickt. In 72 dokumentierten Fällen fehlten die Stimmzettel für den damaligen Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. In mindestens 424 Wahllokalen musste noch nach 18 Uhr abgestimmt werden, da nicht rechtzeitig ausreichend Stimmzettel vorlagen und 73 Wahllokale wurden aufgrund dessen zeitweise geschlossen. Teilweise wurden Stimmzettel vertauscht. Schlussendlich kam es in neun Prozent der Lokale zu Unregelmäßigkeiten.

Wiederholung und nicht Neuwahl

Politisch führte die Abgeordnetenhauswahl 2021 zu einer Fortsetzung der rot-grün-roten Koalition. Sechs Parteien zogen ins Abgeordnetenhaus ein (SPD: 21,4 %, Grüne: 18,9 %, CDU: 18,9 %, LINKE: 14,1 %, AfD: 8,0 % und FDP: 7,1 %). Die Wahlprognosen ähneln diesem Ergebnis mit leichten Verschiebungen. Es ist unklar, ob SPD, Grüne oder CDU die meisten Stimmen erhalten werden. Die FDP und die LINKE drohen, 2 bzw. 3 Prozent zu verlieren.

Dabei ist zu beachten: Das Prozedere am 12. Februar ist eine Wahlwiederholung, keine Neuwahl. Dementsprechend dürfen die Parteien keine Veränderungen bezüglich der aufgestellten Direktkandidat:innen sowie Landeslisten vornehmen – nur der Tod entschuldigt. Doch was bedeutet das für uns? Mehr als ein Jahr RGR2 liegt bereits hinter uns mit Auseinandersetzungen um die Krise der LINKEN, einer Konfrontation um die Frage „Regierungsbeteiligung oder Umsetzung des Mietenvolksentscheids?“, einem Krieg, einer Teuerungswelle und vielem mehr. Wir wollen dementsprechend in diesem Text auf die Politik der Koalition von SPD, Grünen und LINKEN, aber auch auf die Krise der LINKEN eingehen und unsere wahltaktischen Schlussfolgerungen darlegen.

Links blinken, rechts abbiegen?

Zahlreich sind die Versprechen für Verbesserungen, die Rot-Rot-Grün gegeben hat. Noch zahlreicher sind jedoch die, die über Bord geworfen oder so umgedreht wurden, dass man sie kaum als Verbesserungen verstehen kann. Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Schulbauoffensive, ein Private-Public-Partnership-Modell, mit dem Versprechen, notwendige Sanierungsarbeiten zu tätigen,  das mehr schlecht als recht läuft. Hinzu kommen massive Kürzungen bei den Verfügungsfonds der Berliner Schulen. Während früher pro Schule 28.000 Euro zur Verfügung standen, sind es nun 3.000 Euro.

Auch die von den Grünen geführte Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz (Senatorin: Jarasch) kann nicht besonders glänzen: Denn RGR2 setzt den Versuch der Teilprivatisierung der Berliner S-Bahn fort und schrieb am 17. Juni 2020 die sogenannte Stadtbahn (Ost-West-Verbindung) und den Nord-Süd-Tunnel aus. Die Netzausschreibung findet in Teilen statt und die Ausschreibung der Fahrzeuginstandhaltung ist ebenfalls davon getrennt.

Besonders präsent ist jedoch der Umgang mit dem Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der bereits während des letzten Wahlkampfes für einigen Aufruhr in der Parteienlandschaft sorgte. So machten die Regierende Bürgermeisterin, Franziska Giffey (SPD), und mit Abstrichen die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, schon vor der Wahl klar, dass es eine Enteignung großer Immobilienkonzerne mit ihnen nicht geben wird. Somit wurde bereits vor dem ersten möglichen Sondierungsgespräch deutlich, dass es keine Koalition geben konnte, die bereit war, den Volksentscheid umzusetzen.

Das hielt die LINKE nicht davon ab, sich bis heute als bedingungslose Unterstützerin des Volksentscheids zu inszenieren. Statt ihn aber konsequent umzusetzen, stimmte sie der Einrichtung  einer Expert:innenkommission zu, die die Enteignung objektiv verschleppt, die nicht nur das „Wie“ sondern auch und vor allem das „Ob“ diskutieren soll. Währenddessen plante DIE LINKE mit der Koalition hinterrücks die personelle Zusammensetzung der Kommission, gaukelte der Initiative DWe aber vor, selbiges mit ihr abzusprechen.

Das gibt natürlich ordentlich Raum für emotionale Empörung und ist einer der Gründe, warum sich viele Linksparteimitglieder enttäuscht von der eigenen Partei abwandten. Überraschend ist es jedoch auf der anderen Seite nicht. Schließlich besteht einer der Funktionen reformistischer Organisationen darin, soziale Proteste zu inkorporieren. Gleichzeitig hat genau dies dazu geführt, dass sich die Spaltungslinien innerhalb der Linkspartei verstärkt haben, da man auch seiner sozialen Basis gerecht werden muss.

Auch wenn die Linkspartei wahrscheinlich weiter Stimmen verlieren wird, so ist sie noch immer eine Partei mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Wähler:innen. Trotz Unterordnung unter die Vorgaben der Koalition und Enttäuschung vieler Anhänger:innen setzen bis heute viele Aktivist:innen sozialer Bewegungen (sogar von DWe!) und die politisch bewussteren Schichten der Arbeiter:innenklasse (z. B. Krankenhausbewegung) auf DIE LINKE – und sei es als kleineres Übel angesichts von Parteien, die ansonsten entweder für offen neoliberale, konservative und rassistische Politik stehen oder die imperialistische Aufrüstungspolitik und den Wirtschaftskrieg gegen Russland an der Bundesregierung mitverantworten.

Zerreißprobe für die Linkspartei: für eine linke Opposition!

Die Auseinandersetzung rund um das letzte Wahlergebnis zeigte auf, dass es in den unterschiedlichen Flügeln der LINKEN Differenzen gibt um die Frage, welche Politik die Partei angesichts ihrer generellen Krise anstoßen muss. Das regierungssozialistische Mehrheitslager in Berlin wie bundesweit warb für Rot-Grün-Rot und gab dafür weite Teile seiner Versprechen auf, während ein Minderheitsflügel die Beteiligung an einer Regierung mit SPD und Grünen nicht prinzipiell ablehnte, jedoch die Selbstaufgabe dafür.

Diese Orientierung der Mehrheit ist nachvollziehbar, da die LINKE seit ihrer Gründung länger an der Regierung in Berlin war als in der Opposition. Berlin ist quasi zu einem Vorzeigeprojekt der Regierungssozialist:innen geworden. Die Beteiligung an etwaigen Koalitionen wird von diesem Lager mit der Existenzberechtigung der Gesamtpartei in eins gesetzt – eine Orientierung, die ein Hindernis und keinen Zugewinn gegenüber den Angriffen auf Errungenschaften der Klasse darstellt.

Während der Minderheitsflügel in der Partei in Teilen zwar ausspricht, dass sich beide Ziele entgegenstehen, bleiben die praktischen Konsequenzen aus. In Teilen der Partei wird anerkannt, dass es sich um zwei mögliche Pfade handelt, die sie einschlagen kann: entweder Orientierung auf die Regierung oder Kampf für die Umsetzung ihrer Versprechen. Das Ausbleiben einer systematischen Opposition durch DWe selbst hängt direkt damit zusammen, dass die Initiative programmatisch auf selbige Sackgasse zusteuert: eine Umsetzung durch parlamentarische Mehrheiten.

Zwischen der Wahl und der Koalitionsbildung bildete sich innerhalb der LINKEN Widerstand. Mit der Initiative für eine linke Opposition und Anträgen gegen die Regierungsbeteiligung wurde dies greifbar, doch erstickte dies schlussendlich im Keim. Anstatt über die Urabstimmung hinaus gegen die Regierungsbeteiligung zu kämpfen, endete der organisatorische Prozess zu Beginn des Jahres 2022. Zwar gibt es weiterhin eine Reihe von Direktkandidat:innen der LINKEN, die sich gegen eine erneute Beteiligung an RGR aussprechen, doch ändert diese nichts an ihrer Zersplitterung. Unter den Parlamentarier:innen findet sich keine Person, die offen ausspricht, gegen Giffey gestimmt zu haben.

Keine offenen Treffen der Gegner:innen der Regierungsbeteiligung wurden organisiert. Der Konflikt hat sich verlagert – hin zur Frage der Umsetzung des Volksentscheids. Diese Verlagerung ist ein Ausdruck dessen, in welche Sackgasse sich die LINKE manövriert hat, jedoch zugleich ein falscher Konsens. Denn es zögert den Konflikt hinaus, da zugleich passiv auf das Ergebnis einer Expert:innenkommission gewartet werden kann, deren Urteil nicht bindend ist, und das als eine Perspektive gegen die Verhinderungstaktik von SPD und Grünen dargestellt wird.

Die Verlagerung steht also aktiv dem politischen Konflikt im Wege. In diesem Sinne muss auch die bedingungslose Unterstützung des Volksentscheides, die die LINKE kürzlich erst erneut bekräftigte, als Lippenbekenntnis gewertet werden. Für Parteilinke bedeutet das, ihre Aufgaben in der LINKEN zu erkennen, wenn sie nicht Flankendeckung zur Verteidigung der Regierungsbeteiligung bleiben möchten.

Wie verhalten wir uns dazu?

Die Aufgabe für Revolutionär:innen lautet nun aufzuzeigen, wie der linke Flügel den Kampf um seine Inhalte führen muss. Dazu muss an dieser Stelle Druck aufgebaut werden, da eine bisher systematische Organisierung des Widerstands gegen die Regierungssozialist:innen ausgeblieben ist. Zugleich sind dessen Kandidat:innen durchaus Repräsentant:innen einer bedeutenden Minderheit in der Partei und kontrollieren faktisch Bezirke wie das mitgliederstarke Neukölln.

Deswegen rufen wir zur kritischen Unterstützung der Kandidat:innen des linken Flügels der LINKEN bei den Erststimmen auf. Wir wollen damit jene Kräfte in ihr stärken, die sich gegen eine prinzipienlose Regierungsbeteiligung ausgesprochen und, wenn auch inkonsequenten, Protest gegen den Koalitionsvertrag unterstützt und organisiert haben. Das Ziel ist es, sie in die Verantwortung zu bringen und unter Druck zu setzen, den kämpferischen Worten auch ebensolche Taten folgen zu lassen.

Wir rufen daher bei den Erststimmen nur zur Wahl jener Kandidat:innen auf, um unsere Stimme gegen die Regierungsbeteiligung sichtbar zu machen. Diese Sichtbarkeit machen wir fest an drei Punkten; Erstens unterstützen wir jene Kandidat:innen direkt, die auf dem Landesparteitag der LINKEN den Antrag gegen die Regierungsbeteiligung aufgestellt haben. Zweitens rufen wir zur Stimmabgabe für jene Kandidat:innen auf, die öffentlich die Initiative „Für eine linke Opposition“ unterstützten, sowie drittens jene, die öffentlich für einen Bruch mit der Regierungspolitik der LINKEN eintreten wie beispielsweise Jorinde Schulz und Ferat Koçak, beides Direktkandidat:innen in Neukölln.

Die Unterstützung verbinden wir mit der Forderung, dem Nein-Lager einen organisatorischen Ausdruck zu geben. Zugleich rufen wir zur Zweitstimmenabgabe für DIE LINKE auf. Schlussendlich soll die eingeschlagene Taktik dem linken Flügel im Kampf zur Klarheit verhelfen und nicht durch reine Stimmabwesenheit zum Bedeutungsverlust ohne politische Alternative führen. Wäre dies der Fall, so würde unsere Wahltaktik gegenüber den Wähler:innen nichts aussagen, außer zuhause zu bleiben.  Mit dieser Taktik hingegen rufen wir dazu auf, auch über die Wahl hinaus Druck aufs Abgeordnetenhaus und die bremsende Mehrheit der LINKEN aufzubauen. Der essentielle Punkt ist nämlich nicht einfach nur, dazu aufzurufen, ein Kreuz zu machen, sondern die Stimmabgabe mit der Aufforderung zur gemeinsamen Aktion zu verbinden.

Warum schlagen wir diesen Weg ein?

Als revolutionäre Marxist:innen betrachten wir die Überwindung des Kapitalismus und damit einhergehend des bürgerlichen Staates als die zentrale Aufgabe unseres politischen Wirkens. In Konsequenz dessen spielt für uns die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiter:innenbewegung eine zentralere Rolle als die Arbeit im Parlament, die strategisch überhaupt unfähig ist, den Kapitalismus zu überwinden. Für uns ist das Abgeordnetenhaus in diesem Sinne eine Tribüne im Klassenkampf. Der Reformismus hingegen steht dieser Aufgabenbeschreibung diametral entgegen. Während er zugleich am gewerkschaftlichen Bewusstsein kämpfender Teile der Klasse ansetzend die politische Vertretung als Partei der organisierten Arbeiter:innenschaft zu repräsentieren vorgibt, hängt er zugleich der Utopie der schrittweisen Überwindung gesellschaftlichen Elends an. Das Ziel muss also sein, das vorherrschende reformistische Bewusstsein innerhalb der Arbeiter:innenklasse – noch bürgerlich, aber von der Notwendigkeit einer Klassenpartei überzeugt – zu brechen. Das passiert nicht allein durch Denunziation oder moralische Empörung über den Verrat der bürgerlichen Arbeiter:innenparteien. Ansonsten wäre es schwer erklärbar, warum nach mehr als 100 Jahren der stetigen Enttäuschung Olaf Scholz Kanzler ist oder Giffey in Berlin regieren kann.

Das heißt: Wir rufen zur kritischen Wahlunterstützung für DIE LINKE nicht auf, weil wir denken, dass ihr Wahlprogramm, ihre Politik die dringlichsten Ziele von Arbeiter:innen, Migrant:innen, Jugendlichen, Renter:innen, Arbeitslosen oder anderen Ausgebeuteten und Unterdrückten einlösen, sondern weil sie gewählt wird von Hunderttausenden, die sie für eine soziale Kraft angesichts massiver Preissteigerungen und inmitten eines gesellschaftlichen Rechtsrucks halten. Entscheidend ist daher nicht das Programm, sondern das Verhältnis der Kandidat:innen und/oder ihrer Partei zur Klasse und den Unterdrückten. Die Taktik der kritischen Wahlunterstützung setzt an diesem Punkt an, weil wir als revolutionäre Marxist:innen nicht imstande sind, aus eigenen Kräften anzutreten. Folglich geben wir eine kritische Wahlempfehlung für nicht-revolutionäre Kandidat:innen der organisierten Klasse mit dem Ziel, auf sie Druck auszuüben und somit Teile vom Reformismus aktiv leichter wegbrechen zu können, anstatt zu warten, bis diese von selbst desillusioniert werden. Denn ob man es will oder nicht: Mit rund 8.000 Mitgliedern und rund 250.000 Stimmen bei der letzten Wahl ist DIE LINKE keine Kraft, die einfach ignoriert werden kann.

Die Illusionen i sie zerfallen nicht durch die reine Kritik an ihrer Ausrichtung, sondern dadurch, dass die Partei in die Lage versetzt wird, ihre Politik umsetzen zu müssen. Gerade angesichts der Wahlwiederholung muss deutlich gesagt werden, dass DIE LINKE bereits anschaulich bewiesen hat, dass die Regierungsbeteiligung für sie mehr bedeutet als ihrer Wähler:innenbasis. Doch der linke Flügel der Partei läuft Gefahr, dies durch seine Passivität zu legitimieren, anstatt in der Partei und Wähler:innenschaft Widerstand zu organisieren.

Daher sagen wir: Schluss damit! Wir fordern die sofortige Umsetzung des Volksentscheides, ansonsten kommt keine Koalition zu Stande. Wählt die Kandidat:innen, die diese Position vertreten haben und lasst uns gemeinsam für die Umsetzung dieser kämpfen!




Deutsche Wohnen und Co enteignen: ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid

Wilhelm Schulz, Arbeiter:innenmacht Berlin und aktiv im DWE-Kiezteam Reinickendorf-Wedding, Neue Internationale 267, September 2022

Vor knapp einem Jahr wurde im politischen Berlin stark an den Verhältnissen gerüttelt. 59,1 % der abstimmenden Berliner:innen votierten für die Enteignung und Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne. Doch liegt die Macht über das „Wie weiter?“ in den Händen des Berliner Senats. Die Initiative belässt es mehrheitlich dabei, dass die Unterstützer:innen des Volksentscheids eigenständig daraus schlussfolgern, dass Senat und Staat kein Interesse an der Umsetzung der Enteignung großer Akteur:innen des Immobilienkapitals hegen. Sie weigert sich, diesen Klassenstaat als Hüter des Privateigentums zu entlarven. Dies ist ein Spiel mit dem Feuer, ist doch die Gefahr der Demoralisierung und des Rückzugs ins Private groß und tritt eine Radikalisierung nicht automatisch ein, wie die Geschichte mehrfach bewiesen hat.

Der Weg zum Status quo

Die Sammelphasen des Volksentscheids zeigten dessen Massenpotenzial. Mindestens 1.500 Aktivist:innen waren regelmäßig auf den Straßen und in den Mietskasernen unterwegs, um für die Enteignung großer Immobilienkonzerne zu werben. Hunderttausende Flugblätter, Zeitungen, Unterschriften und Gespräche wurden ausgetauscht. Doch die praktische Perspektive, die wir an den Haustüren den Mieter:innen mitgaben, war auf eine Unterschrift und Stimmabgabe begrenzt. Bestenfalls konnten sie in diesem oder jenem Kiezteam aktiv werden. Zu keinem Zeitpunkt war die DWE-Mehrheitsposition darauf ausgelegt, kampffähige Massenorganisationen der Mieter:innen aufzubauen. Solche Maßnahmen böten die Chance, auch gegen den Willen des Senats die Enteignung unter Kontrolle der Mieter:innen durch militantere Aktionsformen zu erreichen wie massenhafte Besetzungen und Zurückhaltung der Miete (kollektiver Mietboykott).

Kurzum hat die Initiative diese Möglichkeit einstweilen verpasst. Doch hätte dies eine andere Haltung gegenüber ihren Bündnispartner:innen erfordert. So hätten Parteien wie DIE LINKE, Gewerkschaften, Berliner Mieterverein und Berliner Mietergemeinschaft aufgefordert werden müssen, gemeinsame Versammlungen ihrer Mitglieder im Sinne des Aufbaus einer gemeinsamen kampffähigen Struktur mit uns zu organisieren. Das wiederum hätte praktische Herausforderungen für diese und inhaltliche Konfrontationen mit ihnen bedeutet. Andererseits hätte den Mieter:innen deutlich gemacht werden müssen, dass die Enteignung harte Überzeugungsarbeit voraussetzt, um ihrerseits Massenaktionen zu initiieren, die die versprochenen Ziele zu erreichen fördern.

Mit dem erfolgreichen Votum am 26. September 2022 lag der Spielball der Enteignung im Spielfeld des neuen Senats aus SPD, Grünen und Linken, in dem nur DIE LINKE den Volksentscheid voll unterstützte. In den Sondierungs- und anschließenden Koalitionsverhandlungen verriet sie aber ihre Prinzipien aus Angst, durch die FDP als Juniorpartnerin aus der Koalition gedrängt zu werden. Der Mitgliederentscheid der LINKEN Berlin fiel eindeutig für eine Regierungsbeteiligung aus, auch wenn das Nein-Lager anwuchs (Initiative Zusammen für eine linke Opposition). Es verpasste bislang, offen sichtbar zu werden und um die Führung der Partei zu fechten.

Die Expert:innenkommission

Ergebnis war eine Kommission, die binnen der ersten hundert Tage der Koalition einberufen wurde und anschließend binnen eines Jahres dem Senat einen Vorschlag zur Abstimmung vorlegen soll. In langen anschließenden Strategiedebatten beugte sich DWE zähneknirschend, aber mit deutlicher Mehrheit der Perspektive des Senats, da ein „voreiliger“ Bruch nicht vermittelbar sei. Als Arbeiter:innenmacht argumentierten wir gegen eine Beteiligung am Gremium, das keine Enteignungs-, sondern eine Verschleppungskommission sei. DWE stellte auf unser Drängen hin Forderungen an diese auf, die jedoch durch bürokratische Manöver abgeschwächt wurden. Diese waren (1) öffentliche Sitzungen, (2) Diskussion des „Wie“ und nicht des „Ob“ der Enteignung und (3) keine Beteiligung der Immobilienlobby. Daneben stand die im Raum, dass DWE 59,1 % der Sitze in der Expert:innenkommission einnehmen solle. Faktisch wurde nichts davon umgesetzt.

Parallel dazu begann die Initiative, mit LINKEN und Grünen in Verhandlungen zu treten. Das Ziel war eine gemeinsame Liste von Expert:innen. Doch letztere spielten ein gefährliches Doppelspiel und vereinbarten hinter dem Rücken der Initiative mit der SPD eine gemeinsame Liste, die das Nein-Lager in der Expert:innenkommission vergrößerte. So bestellte die SPD beispielsweise drei CDU-nahe Professor:innen und Richter:innen ein. Auch die angeblich neutrale Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD, Bundesjustizministerin a. D.) erstritt ein Stimmrecht in der Kommission, setzte neben der Frage der Sozialisierung noch „Alternativen“ auf die Tagesordnung und ist nun die 13. Expertin in einem eigentlich 12-köpfigen Gremium, das paritätisch zusammengesetzt ist[1].

Zudem finden die Treffen in der Regel im geschlossenen Rahmen statt. Abgeordneter Buchner (SPD) fasst das inoffizielle Ziel der SPD-Abgeordnetenhausfraktion trefflich zusammen: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr“. Trotz einer Schelte für diese Linie auf dem Berliner SPD-Landesparteitag, bei dem Geisel, Giffey und Saleh abgemahnt wurden, ist es wahrscheinlich, dass sich die Senatsfraktion gegen die eigene Partei durchsetzen wird, solange diese keinen internen Kampf organisiert.

Historische Beispiele des Scheiterns

In DWE wird nicht davon ausgegangen, dass es ein einheitliches Votum für Vergesellschaftung und Enteignung gibt, sondern der Senat weiterhin eine Entscheidung gegen die Umsetzung forcieren kann. Sein und der Kommission Ziel ist also, dem Volksentscheid den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dabei gibt es bereits historische Vorbilder. Aufgrund der revolutionären Stimmung beschloss der Rat der Volksbeauftragten am 18. 11.1918, alle reifen Industrien sofort zu sozialisieren. Die MSPD setzte sich jedoch damit durch, zuerst eine Sozialisierungskommission mit namhaften Politiker:innen und Ökonom:innen einzusetzen.

Im ersten Anlauf wurden Eckpunkte zur Vorbereitung der Sozialisierung der reichsweiten Industrie und Gesetzentwürfe zur Verstaatlichung der Fischerei und des Versicherungswesens erarbeitet und im Februar 1919 ein Gesetz zur Sozialisierung des Kohlebergbaus beschlossen. Die sozialdemokratisch geführte Regierung und der bürgerliche Staatsapparat behinderten die Arbeit der Kommission und verweigerten die Umsetzung der Sozialisierung, weshalb diese ihre Arbeit im April 1919 aus Protest niederlegte.

Im zweiten Anlauf der Sozialisierungskommission wurde ein Bericht 1920 vorgelegt. Darin schlug  eine Fraktion eine Transparenz zur Festlegung der Preise, das Selbstkostenprinzip und eine schrittweise Verstaatlichung vor. Die zweite Fraktion forderte die sofortige Verstaatlichung und Kautsky sah „[…] die Ausgestaltung des Trägers der zukünftigen Kohleorganisation als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vor, in der alle an der Kohlewirtschaft Beteiligten anteilmäßig vertreten sein sollten.“. Die Arbeit der Kommission wurde von der Industrie maßgeblich behindert. Die zweite Kommission wurde 1923 ohne konkrete Ergebnisse aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass das Motto „Kooperation statt Konfrontation“ gegenüber den Unternehmen mit einer Verstaatlichung nicht vereinbar ist, aber auch die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) auf Grund ihres klassenübergreifenden staatsnahen Charakters zumindest große Risiken beinhaltet.

Ähnlich das Schiedsverfahren um die Frage des Ausbaus des Bahnhofs in Stuttgart. 2006 beschloss der Landtag in Baden-Württemberg einen entsprechenden Plan mit dem Projektnamen „Stuttgart 21. 2010 entstand eine Massenbewegung gegen die Bauarbeiten. Es lagen viele Indizien vor, dass den Kosten von 9 Milliarden Euro und Umweltschäden keine ausreichende Verbesserung der Infrastruktur gegenüberstand. Ende 2010 wurde ein Schiedsverfahren unter dem Vorsitz von Heiner Geißler begonnen. Hier frisierten die Unternehmen systematisch die Ergebnisse, um Kosten und Schäden niedrig zu rechnen und gleichzeitig den Nutzen des Projekts zu übertreiben. Auf Grund dessen wurde ein Kompromiss für einen Teilausbau vorgeschlagen. Die Protestbewegung selbst hielt später fest, dass es sich um einen strategischen Fehler gehandelt hatte, dieses Schlichtungsverfahren zu akzeptieren. Es schwächte einerseits die Protestbewegung und Kampfkraft erheblich und anderseits legitimierte es die Regierungspolitik. Selbst der Kompromissvorschlag wurde nicht umgesetzt und das Projekt S21 wurde wie geplant durchgeführt.

Das beweist: Bürgerliche Institutionen (selbst bzw. gerade unter SPD-Führung) sind weder willens noch imstande, eine Sozialisierung durchzuführen. Das strategische Augenmerk von DWE auf diese Institutionen statt auf den Aufbau unabhängiger Gegenmacht gerät zur Sackgasse.

DWE: aus der Geschichte gelernt?

All das ist in der Initiative nicht unbekannt, aber ihre Öffentlichkeitsarbeit schweigt dazu. Sie nimmt also die Demoralisierung der Volksentscheidsbefürworter:innen in Kauf, hofft lediglich auf einen Funken, der quasi aus dieser Niederlage im Zorn entspringen soll. Jedoch setzt die dominante Perspektive nach wie vor auf Verschiebung der staatlichen Möglichkeitsspielräume statt Organisation von unten – Gegenmacht. DWE entwickelt sich zu einer Art Enteignungslobby. Für diese Perspektive bedarf es einiger Strateg:innen und gut platzierter Interventionen. Mobilisierungen und Organisierungen sind günstigenfalls Beiwerk. Somit verpufft die Schlagkraft, die den Volksentscheid erst möglich machte. Diese langsame Agonie scheint eine strategische Neuorientierung auf Gegenmacht gegen Staat und Kapital, auf Selbstorganisierung und Kontrolle des Wohnraums durch Mieter:innenorganisationen immer schwerer zu machen.

Auch wenn wir denken, dass es unmöglich ist, Wohnen aus der kapitalistischen Verwertungslogik herauszulösen, ohne den Kampf gegen die gesellschaftliche Totalität zu führen, bietet diese Perspektive doch die einzige realistische Möglichkeit der erfolgreichen Enteignung, Wohnraumkontrolle und des Übergangs zum Sturz für den Kapitalismus.

Für uns stellt als nächster Zwischenschritt die Orientierung auf einen Gesetzesvolksentscheid als Mittel und Plattform für die Propagierung des Aufbaus von Gegenmacht- und Kontrollorganen eine bessere Antwort aufs strukturelle Problem der Initiative dar. Die Chance für sein Zustandekommen erscheint gering, jedoch sind objektive Situation der Mieter:innen und Aussichtslosigkeit anderer lindernden Maßnahmen gute Voraussetzungen für den Meinungsumschwung!


[1]
Unter diesem Link findet ihr Informationen seitens der Expert:innenkommission: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/




Buchbesprechung: Wohnen im Kapitalismus als Objekt der Rendite

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 267, September 2022

Im Folgenden wollen wir eine kurze Zusammenfassung des Buchs von Andrej Holm: Objekt der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte, Dietz Verlag, Berlin 2021, präsentieren. Wir beschränken uns auf die Geschichte des kapitalistischen Wohnungsbaus und seine sich verändernde Ökonomie.

Kapitalistischer Wohnungsbau im 19. Jahrhundert

Die einschneidendsten Änderungen verursachte die industrielle Revolution. Massen von Bauern/Bäuerinnen wurden in die Kohleabbauregionen, Stahlproduktionszentren und die verarbeitende Industrie gezogen. Große Anlagen und neue Städte entstanden und manch alte erlebten eine nie gekannte Bevölkerungsexplosion. Mitte und Ende des 19. Jh. wurden in den europäischen Zentren Wohnraum massenweise (vor allem armer Schichten) vernichtet, Straßen verbreitert und neue Gebäude für bürgerliche oder adlige Schichten gebaut.

Diese vernichtende bourgeoise Wohnraumpolitik nennt Andrej Holm „revanchistisch“. Dagegen gab es mit Proudhon und mittelständischen Wohnvereinen eine kleinbürgerliche Wohnraumpolitik, die den Kleinbesitz eines Reihen- oder Einzelhauses mit Gärten für alle als Lösung propagierte. Der Sozialreformer Gustav Schmoller wies 1890 die deutsche Bourgeoisie darauf hin, dass zwangsweise soziale Revolutionen ausbrechen werden und schlug bessere Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vor. Engels wies jedoch darauf hin, dass unter kapitalistischen Umständen die Bourgeoisie selten oder gar nicht angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellt, da dieser als Spekulationsobjekt weit attraktiver ist.

Interessanterweise kann man konstatieren, dass je stärker die Arbeiter:innenbewegung war, sich die katastrophale Wohnsituation leicht abmilderte und die Infrastruktur (Wasserversorgung, Kanalisation) durch Staatsinvestitionen verbesserte, was sich durch die Zahl der Obdachlosen und Schlafgänger zwischen 1850 – 1920 erhärten lässt.

Das 20. Jahrhundert

Die Novemberrevolution belebte die Debatte neu. Es wurde über die Sozialisierung auch von Wohnraum nachgedacht und es gab Mietstreiks 1919. Zwar wurde das nicht erreicht, aber es gab Impulse zur Finanzierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen auf Basis der Besteuerung Privater, die zu ersten massenhaften Wohnungsbauprogrammen führten, die heute den Kernbestand der städtischen Wohnungen ausmachen.

1945 – 1990 wurde die massenhafte Versorgung der Bevölkerung in den Zentren ebenfalls durch kommunale Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften durchgeführt. Im Rahmen von privatem Wohnungsneubau unter dem Label des Sozialbaus erfolgte hauptsächlich eine doppelte Subventionierung des privaten Sektors: erstens, da die Sozialbindung nach einer gewissen Frist entfiel (damals: 30 Jahre, heute in Berlin: 10 Jahre) und die Mieten zu einem Zeitpunkt, wo die Baukosten der Gebäude bereits refinanziert waren, nicht mehr preisgebunden waren und zweitens, weil die Zuschüsse und Steuererleichterungen einen erheblichen Anteil einnahmen und teilweise größer als die Gesamtkosten waren.

Nach der deutschen Einheit: Berliner Mietenmonopoly

Nach Wegfall der Systemkonkurrenz im Osten wurde die Privatisierung der kommunalen Gesellschaften 1990 durch dem Wegfall der Wohnraumgemeinnützigkeit vorbereitet. Kommunale Träger und Genossenschaften verloren ihre Steuervorteile. Die steuerlichen Mehrkosten wurden auf die Mieter:innen umgelegt. Eine Welle der Mietpreiserhöhung folgte. Bis dahin war der Mietpreisanstieg sehr schwach, halbwegs linear und entsprang aus den leicht steigenden Realkosten inkl. Inflation.

In den 2000er Jahren wurden in Berlin die Wohnraumförderung eingestellt, etwa 250.000 kommunale Wohnungen durch den „rot-roten“ Senat privatisiert und für sehr geringe Beträge an Private verkauft.

2007 platzte eine Immobilienblase auf dem US-Finanzmarkt. Aus dieser nationalen Immobilien-entwickelte sich die globale Finanzkrise. Da die normale Warenproduktion auf Grund des tendenziellen Falls der Profitrate nicht mehr ausreichend Gewinne realisierte, drängte anlagesuchendes Kapital auf andere Märkte. Im Gegensatz zu Investitionen in hochriskante Finanzprodukte wurden langfristige mit gesicherten Gewinnen attraktiver. Die größten Gewinne versprach man sich, wo der Rent-Gap am größten war: zum Kauf stehende ehemalige Werks- und kommunale Wohnungen. Niedrigzinspolitik so wie Deregulierung unter Schröder verstärkten den Trend.

Holm spricht hier ebenfalls von einer revanchistischen Raumvorstellung, die nicht nur in Privatisierung, Auswertung und Gentrifizierung mündete, sondern Zerstörung sozialer Leben, brutale Vertreibung, die marginalisierte Gruppen wie prekäre Arbeiter:innen, Migrant:innen, Wohnungslose am härteten trafen und mit Polizeigewalt durchgesetzt worden sind. Der Prozess, der London in den 1980er und New York in den 1980er und 1990er Jahren heimsuchte, erreichte ab 2000 Berlin und intensivierte sich in der Folgezeit.

In den letzten Jahren gab es ganze Wellen von Zwangsräumungen von Arbeiter:innen, Migrant:innen, linken Hausprojekten und Kneipen, wo ganze Straßenabschnitte unter polizeilichen Belagerungszustand gestellt, Anwohner:innen systematisch schikaniert worden sind.

Finanzorientierte und industrielle Wohnkonzerne

Bis in die 2000er Jahre war der Wohnungs- vom Finanzsektor relativ abgeschlossen. Natürlich wurden Kredite von Banken aufgenommen, um Wohnungen zu kaufen oder zu bauen, und diese mit der Zeit durch die Mieter:innen abgezahlt. Aber weitere Verflechtungen waren selten.

Anfang dieses Jahrtausends begannen Banken und Finanzdienstleister in Deutschland damit, nicht nur Geld für Wohnungsunternehmen zur Verfügung zu stellen, sondern mit diesem Kapital selbst Firmen zu gründen und in eigener Regie zu investieren (z. B. die Gründung von Deutsche Wohnen durch die Deutsche Bank 1998). Diese finanzmarktorientierten Wohnungskonzerne begannen, Kapital in Form von Private Equity Fonds zu sammeln, Wohnungen zu erwerben und diese wie ihre Unternehmensanteile wie moderne Finanzprodukte zu handeln. Diese absorbierten auch, begünstigt durch die Liberalisierung unter Schröder, Kapitale aus Rentenfonds, Versicherungen, mittelgroße Anleger:innen. Vor allem zogen Wohnungen mit einem hohen Rent-Gap dieses private Kapital an.

In den 2000er Jahren kauften diese Unternehmen etwa 230.000 ehemals kommunale Wohnungen auf. Damit wurden sie, die bis dahin einer zumindest geringen öffentlichen Kontrolle unterlagen und ein Gut mit öffentlich-sozialer Zweckbestimmung darstellten und nur geringe Renditen erzielten, systematisch in Finanzprodukte umgewandelt, wo größte Renditen durch große Mietsteigerungen möglich waren und der Finanzmarkt herrschte.

Nach der Finanzkrise 2007 strömte verstärkt auch internationales Kapital auf den deutschen Wohnungsmarkt. Ab 2010 haben finanzorientierte Wohnungskonzerne ihre Interaktion mit Banken und Investor:innen geändert. Wo anfangs Kapital für Unternehmungen zur Verfügung gestellt worden ist und diese Schulden mit den Mieten sukzessive abbezahlt worden sind und in Folge dessen ebenso wie Zinsen sanken, werden diese nicht mehr abbezahlt, sondern stattdessen Geschäftsanteile des Unternehmens an Investor:innen ausgegeben. Dadurch, dass die Schulden nicht bedient werden, steigen diese zusammen mit den Zinsen. Zinsen sind umlagefähig. So steigen die Mieten zusätzlich. Gleichzeitig wird die Bauindustrie für Projekte finanziert, um durch Wertsteigerungen der unmittelbaren Umgebung dortige Mieten anzukurbeln. Diese Bauindustrie verkaufte die Gebäude, erwarb aber gleichzeitig Anteile am kaufenden Unternehmen. Dadurch verschmolzen das in den Gebäuden gebundene Kapital der Wohnungsunternehmen, das Finanzkapital und die Bauindustrie zu dem, was Holm und Unger finanzindustrielles Kapital nennen.

Diese finanzindustriellen Wohnkonzerne zeichnet neben den o. g. Merkmalen weiter aus: Hoher Grad der Automatisierung bei ihren Geschäftsabläufen, aktuelle Werte und Mietsteigerungspotenziale werden ermittelt, damit potenzielle Investitionen, Abrechnungen oft absichtlich fehlerhaft erstellt.

Gleichzeitig werden die Strukturen dezentralisiert und verschachtelt. Wo damals dem/r Mieter:in ein/e Vermieter:in oder eine Firma gegenüberstanden, existiert ein Geflecht von Firmen. Der Vorteil dieser Struktur liegt darin, dass diese Firmen sich für ihre Dienstleistungen hohe Rechnungen ausstellen, diese einerseits auf die Mieter:innen umgelegt werden können und andererseits als hohe Betriebsausgaben in geringere Steuern münden. So ist das sog. „Insourcing“ eine übliche Praxis, die Betriebskosten künstlich in die Höhe zu treiben. Es beschreibt das Ausgliedern ehemals firmeneigener Handwerker:innen und Reinigungskräfte bzw. Gründen von Handwerks- und Reinigungsunternehmen, Beauftragung dieser durch die Hausverwaltung, Ausstellen hoher Rechnungen und deren Umlage auf die Mieter:innen.

Eine Firma tritt auf der untersten vertikalen Ebene als Eigentümerin auf. Auf der mittleren Ebene fallen diese Firmen mit Geschäftsanteilen anderer Eigentümer- oder Holdinggesellschaften zusammen und auf höheren Ebenen ist der Konzern international und branchenübergreifend aufgestellt. Die Gewinne zentralisieren sich früher oder später nach oben in der Eigentümervertikalen und laufen bei Aktionär:innen, Banken oder internationalen Investmentgruppen wie BlackRock zusammen.

Die Mieter:innen zahlen alle Ausgaben inkl. Instandhaltung. Ein weiterer Trick ist hier, nicht instand zu halten und Beschwerden wie erforderliche Mietsenkungen schlicht und ergreifend zu ignorieren, sie stattdessen mit Forderungen, Inkasso- und Gerichtsverfahren zu überziehen. Es wird dadurch gleichzeitig auch versucht, das Gebäude so in der Bausubstanz verkommen zu lassen, bis eine Sanierung notwendig wird. Deren Kosten sind umlagefähig. Sind sie amortisiert, also durch die Miete abbezahlt, wird sie jedoch nicht auf den vorherigen Zustand gesenkt.




DWE-Enteignungskonferenz: Mieter:innenbewegung bundesweit koordinieren!

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 265, Juni 2022

Der Kampf von Mieter:innen hat in den letzten Jahren eine neue Qualität angenommen. Angesichts der Verschärfungen, denen sie sich v. a. in den Großstädten gegenübersehen, bricht dieser Trend vermutlich nicht so schnell ein. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) verfolgt dabei eine politische Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage im Sinne der einfachen Mieter:innen, die Enteignung großer Immobilienkonzerne und die Verstaatlichung des enteigneten Bestandes unter ihrer (Mit-)Kontrolle. Doch die Orientierung darauf, die tagtäglichen Probleme der Mieter:innen durch den Druck auf staatliche Institutionen zu lösen ohne den Aufbau kampffähiger Mieter:innenstrukturen, bringt das Vorhaben ins Stocken. Die Frage, wie wir gegen den Senat und die Gerichte den Mehrheitswillen der Mieter:innen umsetzen können, bleibt unbeantwortet.

Der Volksentscheid DWE gilt über die Berliner Landesgrenze hinaus als nachahmenswertes Beispiel. Für den Mietprotest, der oftmals lokal und vereinzelt abläuft, wird die Perspektive eines überregionalen Protests immer dringlicher und deutlicher, doch wie?

Als Gruppe Arbeiter:innenmacht sind wir aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Hiermit möchten wir unsere Einschätzung zur Lage der einfachen Mieter:innen und ein paar Vorschläge für die Perspektive der Bewegung äußern. Wir hoffen, dass die Enteignungskonferenz nicht nur den Charakter eines Wissens- und Erfahrungsaustausches annimmt, sondern Ausgangspunkt für eine bundesweit koordinierte und schlagkräftige Mieter:innenbewegung wird. Dieser Text soll ein Vorschlag dafür sein.

Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland

Laut statistischem Bundesamt sind die durchschnittlichen Immobilienpreise in Deutschland zwischen Oktober und Dezember 2021 um 12,2 % im Vorjahresvergleich gestiegen. Der durchschnittliche Kaufpreis für Ein- und Zweifamilienhäuser stieg zwischen 2010 und 2020 um etwa 65 %. Das Preisniveau in den deutschen Städten wird als überbewertet eingeschätzt, zwischen 15 und 40 %. Der EU-Risikorat kalkuliert das Blasenrisiko auf „mittel“. Ein Platzen einer solchen Blase könnte einen hohen Anteil an ausfallenden Renditen mit sich bringen, den Marktwert der Unternehmen senken, die Zinsen auf Kredite erhöhen und auf andere Sektoren der Wirtschaft aufgrund zunehmender Verwobenheit zurückwirken. Und das nicht nur für Deutschland, sondern auch Österreich, Bulgarien, Kroatien und Ungarn. In Deutschland trifft das Problem in besonderer Form zu, da es unter den OECD-Staaten einen hohen Anteil an Mieter:innen hat (ca. 57,9 % im Jahr 2018). Währenddessen verharren die Eigenkapitalanteile beim Ankauf von Immobilien weiterhin im Keller und viele Kredite sind an variable Zinssätze gebunden.

Die systematische Veränderung in der Immobilienwirtschaft wird als Finanzialisierung bezeichnet. Der Begriff beschreibt einerseits den Trend zunehmender privater Finanzanlagen im Immobiliensektor, andererseits auch den verstärkten Einfluss des Finanzsektors und seiner Erwartungen auf die Wohnungswirtschaft. Seit der Finanzkrise von 2007/08 erleben wir eine massive Niedrigzinspolitik der Zentralbanken (Quantitative Easing) – eine Ausgangssituation, die Tür und Tor für ein Jahrzehnt des Renditenbooms u. a. in deutschen Großstädten folgen ließ. Nicht primär, weil Kapitalanlagen in Wohnraum grundlegend hohe Erträge versprechen, sondern mangels besserer Alternativen im produzierenden Gewerbe. Die Renditen in sogenannten Spitzenstandorten wie Berlin und Hamburg liegen auf einem Tief (2,5 und 2,6 %). Das vergangene Jahrzehnt war durch geringe Reinvestitionsraten des Kapitals in den Sektor, in welchem die Profite erzeugt wurden, geprägt. Die großen Akteur:innen des Immobiliensektors sind dementsprechend immer deutlicher mit dem Finanzkapital verwoben.

Immer mehr einfache Mieter:innen müssen einen größer werdenden Teil ihres monatlich zur Verfügung stehenden Geldes somit für Mietzahlungen ausgeben. Die durchschnittliche Mietbelastungsquote privater Haushalte in Deutschland betrug 2018 27,2 . Die Tendenz ist dabei steigend. Diese Kennzahl erscheint geringer, da die Ausprägung der Mietbelastungsquote regional sehr ungleichzeitig ist. In Berlin ist sie bei Neuvermietungen im Bundesdurchschnitt mittlerweile am höchsten. Im August 2021 wird sie auf 37,3 % datiert, bei einer 65 m²-Wohnung (durchschnittlich 930 Euro Warmmiete) und einem durchschnittlichen Einkommen von 2.491 Euro. Die Mietbelastungsquote sagt aus, wie hoch der Anteil der Miete am monatlichen Nettolohn ist.

Gleichzeitig lassen sich angesichts der Coronapandemie und des Krieges in der Ukraine bereits deutlich die Konturen und heftigen Ausmaße der Krise erkennen, die sich kaum noch beziffern lassen. Die Inflation ist dabei bereits jetzt ein relevanter Faktor. Seit Jahresbeginn sind ebenfalls die Bauzinsen massiv angestiegen: für einen Baukredit über 15 Jahre Laufzeit durchschnittlich von 1,2 auf 2,87 %. Parallel dazu erleben wir eine voranschreitende Zentralisation des Immobilienmarktes. Vergangenes Jahr versuchten Vonovia und Deutsche Wohnen zu fusionieren. Akelius hat seine 14.000 Wohnungen im deutschsprachigen Raum an Heimstaden verkauft.

DWE

Gegen die Herrschaft dieses Elends hat die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen einen Vorschlag entwickelt: die Enteignung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten im Land Berlin. Dafür hat die Initiative über Sammelphasen, Volksentscheid und Vorstufen hinaus mit Mieter:innen diskutiert, verschiedenste Aktionsformen organisiert und gezeigt, welche Dynamik eine Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage entfalten kann. Doch die Initiative setzt ihre Kraft auf die Umsetzung dieser Enteignung durch die Ausnützung des rechtlichen Rahmens des Staates und durch dessen Institutionen. Als taktische Forderung stellt dies eine klare Perspektive zur Vereinheitlichung des Widerstandes dar, als strategische Orientierung führt dies dazu, die Frage offenzuhalten, was folgt, wenn der Staat mitsamt dessen Verfassung, Gewaltorganen und Gerichten nicht willens und fähig ist, dies umzusetzen. Ein Staat, der ansonsten die Verhältnisse erst ermöglicht hat, indem die Erfüllung der Renditeerwartungen mehr Gewicht hat als das Bedürfnis zu wohnen. Kurz gesagt: ein Staat, dem die Vermietungs„verzinsung“ so sehr am Herzen liegt, dass etliche Mieter:innen zwangsgeräumt werden.

Die Perspektive der Enteignung greift viele Schwächen der Mieter:innenbewegung auf, bricht mit dem Anschein des Mietverhältnisses als individuellem Problem. Der Grund für diesen Anschein liegt darin, dass die Wohnungsfrage keine direkte, sondern nur eine indirekte Klassenfrage ist. Arbeiter:innen leiden unter der Anmietung von Wohnraum in Privatbesitz am meisten. Der Mietkampf leidet aber darunter, kein klares Klassensubjekt zu kennen. Ziel sollte daher sein, die Verbindung zu lohnabhängigen Mieter:innen zu schaffen. In diesem Sinne fassen wir die Eigentumsfrage auf, die DWE stellt. Eigentum und Kontrolle über die gesellschaftlich geschaffenen Werte (hier Wohnraum) sind klassische Fragen der Arbeiter:innenbewegung. Folglich ist eine kollektive Widerstandsperspektive notwendig. Das erfolgversprechend und greifbar zu machen, ist der bislang größte Achtungserfolg, den DWE errungen hat.

Doch seit dem Wahlerfolg am 26. September kehrt sich die bislang so vielversprechende Perspektive, das Mittel Volksentscheid, in einen Selbstzweck und eine Fessel um. Bislang war es eine greifbare Möglichkeit für die Mieter:innen und die Mietaktivist:innen. Doch nach dem Achtungserfolg von 59,1 % der Stimmen liegt der Ball nun im Feld des Senats und der spielt auf Verschleppung. Nun folgen wir dem Fahrplan des Senats und seiner Expert:innenkommission in Richtung Sackgasse. Diese Fallstricke waren bereits im Vorfeld erkennbar, doch jetzt ernten wir die Konsequenzen. Eine erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens der Initiative erscheint nämlich von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, wenn es keine Neuorientierung gibt.

Wie enteignen?

Durch den Volksentscheid haben wir erreicht, dass sich die verschiedenen Mietinitiativen und Massenorganisationen der Mieter:innen an uns orientiert haben. Doch haben wir es bislang nicht genügend geschafft, die Enteignungsinitiative zum Aktionsschwerpunkt aller politischen Kräfte in der Mieter:innenbewegung oder zu einer lebendigen Diskussion in den Gewerkschaften zu machen. Zwar haben uns der Berliner Mieter:innenverein, die Berliner Mieter:innengemeinschaft oder Gewerkschaften wie ver.di, IG Metall oder GEW aus Berlin unterstützt, doch waren sie nie wirklich Teile der Initiative. Ein ähnliches und damit verbundenes Problem besteht gegenüber den Mieter:innen, mit denen wir tagtäglich in Gesprächen sind und waren.

Wir brauchen eine Kampforganisation, die in der ganzen Stadt einen großen Teil der Mieter:innen umfasst, jedoch gleichzeitig kein Organ des verknöcherten sozialdemokratischen Vereinswesens ist und zu einer Art Mietschutzversicherung verkommt, sondern Mietprotest organisiert und den Kampf gegen Immobilienwirtschaft und Verschleppung des Volksentscheidergebnisses führt – bis zu kollektiven Mietboykotten und Besetzungen der Firmenzentralen. Solche Massenorganisationen wären fähig, die Enteignung und „Vergesellschaftung“ (Kommunalisierung) umzusetzen und zu verteidigen. Die Gewerkschaften stellen mit ihren Mitgliedschaften eine weitere Grundlage für solche Organisationen dar, ist jede Mieterhöhung doch letztendlich ein indirekter Lohnraub und sind die meisten Mieter:innen doch schlussendlich lohnabhängig – weshalb die Wohnungsfrage auch v. a. eine Klassenfrage ist.

Der Protest gegen den Umgang mit dem Volksentscheid, aber auch die tagtägliche Organisierungsarbeit auf der Straße und in den Häusern sollten sich nicht nur auf die Werbung für die Idee der Enteignung fokussieren, sondern müssten die Frage „Wie enteignen?“ ehrlich beantworten. Diese Organisationen existieren bisher nicht, das stimmt, doch vor vier Jahren hielt es kaum jemand für wahrscheinlich, dass wir einen Volksentscheid zur Enteignung mehrheitsfähig machen könnten. Die Gunst der Stunde gilt es, nicht zu verpassen. Und selbst wenn uns der Senat jemals die Enteignung schenken sollte, so lassen wir hierdurch lebendige Organe entstehen, die fähig sind, den Wohnraum in ihrem Interesse zu kontrollieren. Der Vorschlag eines Gesetzesvolksentscheids (GVE) geistert seit Monaten durch die Reihen von DWE. Ein solcher böte einen Rahmen, um gemeinsam eine solche Struktur aufzubauen. Ein inhaltsleeres, zielloses Kiezorganisationsprojekt würde sicherlich eine widerspenstige Mieter:innenschaft erreichen können, jedoch einen Schritt weg vom Ziel der Enteignung und Überführung in städtisches Eigentum darstellen.

Wie bundesweit schlagkräftig werden?

Mieten müssen wir ja nicht nur in Berlin zahlen, auch in anderen Städten regiert der Mietwahnsinn. Die Enteignungskonferenz ist ein richtiger Schritt in Richtung einer Zusammenführung des Mietkampfes aus allen Ecken und Enden Deutschlands. Lasst uns gemeinsam aus der Konferenz heraus konkrete Aktionsperspektiven entwickeln! Regelmäßige Konferenzen, der gemeinsame Plan, kampfkräftige Mieter:innenorganisationen aufzubauen, zentrale Forderungen und damit verbundene Proteste sollten ihr Ergebnis bilden. Initiativen wie Hamburg enteignet, die kollektiven Klageversuche gegen die Nebenkostenabzocke von Vonovia oder die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel sind Ansätze dafür. Eine reine Fokussierung auf lokale Themen lässt den Mietprotest ein saisonales Phänomen bleiben.

Mieter:innen sind, wie weiter oben bereits benannt, keine soziale Klasse. Für Linke ist daher unerlässlich, in diese Bewegung selbst einen klaren Klassenstandpunkt hineinzutragen. Nur wenn sich die Mieter:innenbewegung als Teil der Arbeiter:innenbewegung versteht, kann sie dauerhaft die Lage der Mietenden verbessern, denn in letzter Instanz bestimmen auch auf dem Wohnungsmarkt Klassenverhältnisse.

Zur Zeit macht sich dies gerade für proletarische Mieter:innen schlagend bemerkbar. Aktuell erleben wir angesichts des Krieges in der Ukraine und der anhaltenden Coronapandemie eine massive Inflation. Nicht nur die Miete stellt eine Belastung für Lohnabhängige und Arme dar. Das Kapital versucht überall, seine Mehrkosten auf uns abzuwälzen. Die Mieter:innenbewegung und allen voran DWE dürfen hier nicht passiv bleiben, sondern wir brauchen eine Diskussion über den Mieter:innenprotest hinaus, wie wir unsere Ziele erreichen können und wollen.

Forderungskatalog und kleines Aktionsprogramm

Die Mieter:innenbewegung braucht ein Programm zur Enteignung und Kontrolle von Wohnraum, für das sie kämpft – ein Aktionsprogramm das unserer Meinung nach folgende Aspekte umfassen sollte:

1. Sofortmaßnahmen gegen Mietpreiserhöhungen und für Begrenzung der Miethöhe.

2. Kampf gegen rassistische, geschlechtliche und soziale Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.

3. Programm für den Neubau von Sozialwohnungen und günstigem Wohnraum für die Masse der Lohnabhängigen.

4. Kampf gegen Armut: für Mindestlohn und Anpassung der Löhne an die Steigerung der Mietpreise und anderer Lebenshaltungskosten.

5. Enteignung von Grund und Boden, der privaten Immobilienkonzerne und des Wohnungsbaukapitals.

6. Kontrolle durch Mieter:innen und lohnabhängige Bevölkerung.




DWE beteiligt sich an der Expert:innenkommission – aber um welchen Preis?

Kommentar von Wilhelm Schulz, KiezTeam Reinickendorf-Wedding, Infomail 1187, 6. Mai 2022

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ beteiligt sich an der Expert:innenkommission des Senats. Am 12. April fand ein Sonderplenum der Initiative statt, an dem mehr als 200 Personen teilnahmen. Beachtliche 82 % der Abstimmenden sprachen sich für eine Beteiligung aus und lediglich 15 % votierten dagegen – in Zahlen: 29 Personen. Am Folgetag wurden auf einer Pressekonferenz der Initiative die Expert:innen, die für DWE in die Kommission gehen, vorgestellt: zwei Jurist:innen und eine Sozialwissenschaftlerin, allesamt (Vertretungs-)Professor:innen, öffentlich anerkannte Wissenschaftler:innen ihrer Disziplinen. Aber auch allesamt ohne Verbindung zur Berliner Mieter:innenbewegung, ohne besonderes Wissen über die Situation in Berlin oder Anbindung an die Initiative DWE. Konkret handelt es sich um Susanne Heeg, Professorin für Humangeografie an der Universität Frankfurt am Main, Anna Katharina Mangold, Professorin für Europarecht an der Universität Flensburg und Tim Wihl, Professor für öffentliches Recht der Universität Erfurt. Wir haben als DWE keine wirkliche Kontrolle über diese Expert:innen und können sie nicht mal abziehen.

Der Weg zur Expert:innenkommission war geprägt von einem sehr undemokratischen und intransparenten Vorgehen der Verhandlungsgruppe. In DWE macht sich damit eine fortschreitende Trennung von Hand- und Kopfarbeit breit und die Kampagne läuft ernsthaft Gefahr, dass eine DWE-Bürokratie an ihrer Spitze entsteht: Menschen, die von DWE leben oder die Kampagne als etwas begreifen, das ihren Lebenslauf schreiben soll. Aber es geht bei DWE um etwas anderes: die Berliner Mieter:innen.

Signal

Die Intention der Verhandlungsgruppe im Prozess hin zur Expert:innenkommission mag vielleicht gewesen sein, sich von Staat und Presse nicht in die Karten schauen zu lassen. Wir müssen aber eingestehen, dass wir schlicht keine Geheimabsprachen führen können, und sollten daher unsere Debatten selbst für die Öffentlichkeit nachvollziehbar machen, bevor es der „Tagesspitzel“ tut. Am Beginn der Plena einfach nur darauf hinzuweisen, dass die Presse nicht willkommen ist, schreckt sie nicht ab. Wir sollten uns eingestehen, dass wir zu groß sind, um Geheimhaltung und Basisdemokratie unter einen Hut zu bekommen. Eines muss zum Wohle des anderen tendenziell geopfert werden.

Als Arbeiter:innenmacht haben wir gegen eine Beteiligung an der Expert:innenkommission gesprochen und gestimmt. Weiterhin halten wir die Beteiligung für einen politischen Fehler (siehe den Artikel Keine Beiteiligung an der Expert:innenkommission auf unserer Websteite), denn die Expert:innenkommission macht schlussendlich aus der großen politischen Frage der Enteignung und Verstaatlichung eine kleine juristische der Vereinbarkeit mit der herrschenden Ordnung. Dabei ist es doch  Fakt: Überhaupt nur als Ausdruck eines politischen Kräfteverhältnisses hat es die Enteignungsfrage auf die Agenda des Senats geschafft.

Sich auf die Expert:innenkommission – die nicht mal ein Gesetzgebungsverfahren einleitet –  zu orientieren, gibt ein klares Signal an die Berliner Mieter:innen, nämlich, dass wir der Umsetzung durch Giffey und Geisel vertrauen. Dabei geht die Initiative mehrheitlich davon aus, dass die Expert:innenkommission nichts umsetzen wird, sondern vielmehr es sich bei ihr um eine Verschleppungstaktik handelt. Dieses gemeinsame Lippenbekenntnis nützt jedoch reichlich wenig, solange wir keine gemeinsamen Konsequenzen daraus ziehen. Als Arbeiter:innenmacht haben wir dafür argumentiert, dass wir den Mieter:innen mit all unseren Schritten klarmachen müssen, dass sie selbst sich für ihre Ziele zusammenschließen, den Senat und die Gerichte unter Druck setzen sowie Kampfmaßnahmen wie kollektive Mietboykotte und Besetzungen umsetzen müssen. Sie müssen über den Rahmen des Volksentscheids hinausgehen, damit dieser umgesetzt wird. Indem wir uns an der Kommission beteiligen, legitimieren wir schlussendlich die Verschleppung, provozieren wir die drohende Demoralisierung tausender Unterstützer:innen und möglicherweise hunderter Aktivist:innen.

Schwächen der Initiative

Die Beteiligung ist Ausdruck einer Schwäche der Initiative. Die große Zustimmung zur Mitarbeit in der Kommission drückt dies teilweise mit aus. Schlussendlich hat DWE keinen Plan B. Die gesamte Initiative steht und fällt mit der (Nicht-)Umsetzung des Volksentscheides. In der Sammelphase und im Wahlkampf, wo wir mit zehntausenden Mieter:innen in Kontakt kamen, konnten wir kein weiteres Angebot vorstellen, als bei DWE mitzuarbeiten, zu unterschreiben und – falls es das rassistische und altersdiskriminierende Wahlrecht zulässt – für uns abzustimmen. Statt ein Mobilisierungs- und Organisierungsmoment zu werden, ist der Volksentscheid ein Versuch, sozialreformerisch die Möglichkeitsspielräume des Staates auszuweiten – ohne eine systematische Diskussion über seinen Klassencharakter führen zu wollen.

Die Möglichkeit, einen Gesetzesvolksentscheid als neues Mobilisierungsmoment und Organisationsrahmen der Mieter:innenbewegung (nicht als juristische/n Heilsbringer:in) vor einem Ende der Kommission einzuleiten, gar vor dem Ende des finalen Scheiterns des Volksentscheides, wird immer schwerer vermittelbar. Faktisch geraten wir jeden Tag mehr und mehr in Vergessenheit. Die politischen Aktivitäten der Initiative in den kommenden Monaten verkommen notwendig zum Schatten des Staates, angesichts der Perspektive, dass die Umsetzung durch die Expert:innenkommission, anschließend durch den Senat und abschließend durch die Gerichte bestimmt wird. Wenn dieser Weg zum Einkassieren des Ziels führen sollte, dann kriegt es die Initiative sicherlich hin, die Wut auf die Straße zu bringen, doch mehr als ein affektorientierter Protest wird dies nicht sein. Denn die Initiative setzt nicht auf den Aufbau einer systematischen Gegenmacht, sondern auf Mitverwaltung und Diskurs(ohn)macht. Das wird die Gesellschaft aber nicht transformieren, denn schlussendlich handelt es sich beim Staat und der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur um eine Idee, sondern um materielle Gewalt. Gewalt, die tagtäglich Menschen zwangsräumt, die ihr Gesetz wehrhaft verteidigt und deren Enteignungsoptionen (Gemeinwohlorientierung im Grundgesetz § 15) Ausdruck eines Kräfteverhältnisses nach dem 2. Weltkrieg waren und zur Integration der Sozialdemokratie und Arbeiter:innenbewegung in den Staat dienten.

Natürlich ist es prinzipiell möglich, kleine Zugeständnisse durch den Grundgesetzparagraphen zu erhalten. Jedoch kann nur die generelle Aufhebung der Eigentumsordnung langfristig die Lage der Mieter:innen verbessern, alles andere sind kosmetische Verbesserungen. Und darin drückt sich die zentrale Differenz aus, denn wir sehen auch die Initiative als sozialreformerisch an. Die Frage ist für uns die: Nutzen wir den Kampf um Sozialreform zum Aufbau einer Gegenmacht, die in der Lage ist, die herrschenden Verhältnisse aus den Angeln zu heben, oder um die sozialen Verhältnisse wieder ein wenig zu befrieden? Natürlich zeigt die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung, dass ersteres keine Aufgabe von Monaten oder wenigen Jahren ist. Doch verabschieden sich DWE bzw. die dominierenden Ideologien innerhalb der Initiative gänzlich von dieser Perspektive und lassen eine darüber hinausgehende auf scheinbar kämpferische Sonntagsreden beschränkt!

Wir werden uns als Arbeiter:innenmacht trotzdem weiterhin an DWE beteiligen. Wir tun dies, weil wir ihre Errungenschaften verteidigen und voranbringen wollen. Wir schlagen deshalb allen Menschen, die gegen die Expert:innenkommssion sind oder trotz krampfhafter Bauchschmerzen zähneknirschend für sie gestimmt haben und es bereuen, ein Zusammenkommen vor, wo wir darüber diskutieren können, wie der Kampf um Enteignung in Berlin gewonnen werden kann – ohne unkontrollierbare Expert:innenkommission, ohne naives Staatsvertrauen, dafür mit den Mieter:innen dieser Stadt!

Die Debatte um Beteiligung an der Expert:innenkommission zeigte deutlich, dass wir einerseits eine politische Perspektive auch gegen diese formulieren und greifbar machen müssen. Ebenso offenbarte sie, dass das Lager der Nichtbeteiligung klein und nicht formiert ist. Wir stehen daher vor einer doppelten Aufgabe: Wir müssen solidarisch an der nach innen und außen gekehrten Arbeit konstruktiv mitarbeiten, während wir zugleich Diskussionsformate für einen Plan B kampagnenintern schaffen sollten. Bisher scheint die Initiative für einen Gesetzesvolksentscheid eine solche Klammer darzustellen. Wenn diese auch bisher kaum die Frage des Aufbaus einer Gegenmacht aufwirft, so leistet sie zumindest eine Rückbesinnung auf die aktivistischen und nach außen gerichteten Momente der Initiative.




DWe: Keine Beteiligung an der Expert:innenkommission!

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Kokreis DWe), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Bündnispartner:innen, Kokreis DWe), Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf), Infomail 1182, 28. März 2022

Nachdem ein halbes Jahr in Sachen Enteignung sich nichts Richtung Umsetzung bewegt hat, wird es in Berlin nun langsam ernst: Der neue Senat bildet eine Expert:innenkommission, die darüber entscheiden soll, ob und wie der Volksentscheid vom 26. September umsetzbar ist, in dem sich über eine Million Berliner:innen dafür entschieden, große private Wohnungskonzerne zu enteignen und zu vergesellschaften. Dieses Statement soll unsere Meinung zur Debatte von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWe)“ darlegen, warum wir denken, dass eine Beteiligung an der Expert:innenkommission weder der Initiative des Volksentscheides noch den Berliner Mieter:innen etwas bringt. Wir sind allesamt aktiv in DWe und denken, dass wir als Initiative mit Hinterzimmerdebatten nichts gewinnen können. Unsere Kontroversen müssen offen und ehrlich sein. So können wir u. a. für Berliner Mieter:innen unsere Entscheidungen nachvollziehbar machen.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die folgenden zwei Artikel:

Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Senatsspiele

Es gibt viele sehr unterschiedliche Argumente, die für oder gegen eine Teilnahme von DWe an der Expert:innenkommission des Senats sprechen. Die Kampagne hat bereits Zugeständnisse gemacht wie die prozentuale Beteiligung von DWe entsprechend dem Abstimmungsergebnis des Volksentscheids. Die letzten Monate haben wir in aller Deutlichkeit sehen müssen, dass wir nach dem erfolgreichen Entscheid am 26.9. keine eigenständige Perspektive hatten. Wir haben unsere Initiative von Geisel und Giffey treiben lassen. Jetzt haben wir die Chance, damit zu brechen und wieder an Schlagkraft zu gewinnen.

Denn den Charakter der Kommission bestimmt der Senat. Hier sieht das Kräfteverhältnis so aus, dass die SPD mitsamt Bürgermeisterin Umbridge-Giffey und Bausenator Geisel-Nehmer (zwei Freund:innen der Immolobby) von Anfang an betont hat, dass es mit ihr keine Vergesellschaftung geben wird. Für die Grünen war diese als Wahlkampfvehikel ganz geil. Bettina Jarasch hat sogar mit Ja gestimmt, aber nur, weil „die Enteignung das letzte Mittel ist“ – eine Floskel, auf der es sich bequem liegt, denn wann alle anderen Mittel versucht wurden, hat sie nicht gesagt. Jarasch nutzt ihr opportunistisches Stimmverhalten, um den Auftrag des Volksentscheids umzuinterpretieren. Nicht die Enteignung und Vergesellschaftung seien das Ziel, sondern eine Möglichkeit unter vielen. Die LINKEN sind einfach mal umgefallen. Anstatt die Enteignung zur Bedingung für ihren Koalitionseintritt zu machen, wurden DWe und der Volksentscheid geopfert und die Koalition ohne Bedingungen gebildet.

Aus der versprochenen gemeinsamen Besetzungsliste von DWe, den Grünen und den LINKEN für die Expert:innenkommission wurde auch nichts – weil lieber im Hinterzimmer eine Liste mit der SPD ausgekungelt wurde, an uns vorbei! Die LINKE wird zugunsten des Koalitionsfriedens jede Kröte schlucken. Eine Partei, die ihre Absprachen mit den engsten Bündnispartner:innen wie DWe und ihre Versprechungen ihren Wähler:innen gegenüber nicht einhält, hilft uns nicht weiter. Parteilinke, die gegen diesen Kurs und diese Koalition gestimmt haben, müssen in und über die Partei hinaus sichtbar werden und für einen Kurswechsel fraktionell um die Parteiführung kämpfen. DWe würde in dieser Kommission ihre Kraft nicht nutzen können, politisch isoliert sein. Wir sollten uns nicht von dieser Augenwischerei ablenken lassen, dass DIE LINKE es versucht, als Erfolg zu verkaufen, dass es keine direkte Beteiligung von Eigentümer:innen von Wohnungskonzernen oder ihren Bediensteten gibt. Nur weil DIE LINKE das verhindert hat. Es ist zweitrangig, wer ihre Gehälter bezahlt, wenn sie auch kostenlos für das Immobilienkapital lobbyieren.

Und an dieser Expert:innenkommission sollen wir uns beteiligen?

Wir müssen Verantwortung übernehmen, die Vergesellschaftung umzusetzen, bspw. im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheides, und uns nicht an deren Verschleppung beteiligen. Die Tücken und Fallstricke eines Vergesellschaftungsgesetzes werden mit oder ohne unsere Beteiligung in der Kommission diskutiert. Eine Bewegung auf der Straße, in den Häusern und Betrieben kann viel mehr Einfluss darauf nehmen als das Verhandlungsgeschick von drei Expert:innen. Im Übrigen Expert:innen, die DWe nur sehr begrenzt kontrollieren kann. Jede Hoffnung auf vorzeitige Exitstrategien muss dieses Problem ausklammern: Es ist keine basisdemokratische Kommission, sondern ein Organ der repräsentativen Demokratie.

Nutzen kann die Beteiligung an der Kommission nur, wenn sie entweder eine definitive Umsetzungskommission für den Volksentscheid wäre oder wenn wir sie durch Beteiligung von DWe wenigstens als Verschleppungskommission vor den Augen der Berliner:innen entlarven können. Möglichkeiten, die Kommission als solches zu entlarven, gab es bereits einige. Doch solange DWe keine klare Position zur Expert:innenkommission einnimmt, weiß die Initiative auch nicht, zu welchem Zweck und in welchem Ton diese angegriffen werden soll. Unsere aktuelle Praxis führt nicht dazu, dass die Berliner:innen sehen, dass die Kommission nicht für, sondern gegen die Enteignung und Vergesellschaftung arbeiten soll, geht es nach dem Berliner Senat.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission einen Impuls zur erfolgreichen Umsetzung liefern wird. Bausenator Geisel hat deutlich gemacht, was die Expert:innenkommission ist – sie überprüft erst mal, OB Vergesellschaftung möglich ist und OB es wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das OB wird das WIE vorwegnehmen. Aus der zweiten Reihe der SPD legte der Abgeordnete Buchner die Karten noch offener auf den Tisch: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr.“ Das ist dann die unverhohlene Ankündigung der Verschleppung – und an der sollte sich DWe niemals beteiligen. Der Charakter der Kommission zeichnet sich immer klarer ab. Unsere Aufgaben müssen sein, diesen den Mieter:innen klarzumachen und diese Kommission wie den Senat politisch zu delegitimieren.

Für die Umsetzung braucht man die richtige Strategie!

Die SPD benannte CDU-nahe Jurist:innen. Denen ist privates Eigentum das Allerheiligste. Eine Umsetzung ist wenig wahrscheinlich. Und selbst wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass unter Umständen die Vergesellschaftung nach bürgerlichem Recht und durch horrende Entschädigungen möglich ist – was dann?  Dann ist das zunächst nur eine Empfehlung und der Senat hat die Entscheidungsgewalt. Eine Bürgermeisterin, die eine Gegnerin des Volksentscheids ist, und Koalitionsparteien, die mit der Namensliste gezeigt haben, wem sie politisch folgen werden: nicht uns, sondern der SPD und den Wohnungskonzernen. Am Ende landet das Ganze wahrscheinlich trotzdem wieder in Karlsruhe. Wenn wir dann keine schlagkräftige Mieter:innenbewegung aufgebaut haben, dann ist der Erfolg, aus diesem Angriff gestärkt hervorzutreten, ein Münzwurf und dem Zufall sollten wir unsere Strategie nicht überlassen! Wir dürfen nicht vergessen, wie einseitig das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Miethaie in der Mietendeckelfrage entschieden hat. Und da galt es nur, privates Eigentum zu regulieren.

Auch wenn es in der Debatte um die Expert:innenkommision oft so wirkt – aber der Volksentscheid und seine Fortsetzung im juristischen Ringen mit dem Senat sind nicht das Ende des Vergesellschaftungskampfes. Von allen Mitteln, die eine Enteignung bewirken können, ist es ein eher schwaches. Denn der Kampf ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, und das drückte sich bisher leider nur auf einigen Demos und eben am 26. September 2021 aus. Auch dass die Möglichkeit der Vergesellschaftung im Grundgesetz stand, war Ausdruck eines solchen Kräfteverhältnisses und hatte das Ziel, Teile der Arbeiter:innenbewegung in den Staat zu integrieren, mit Erfolg!

Es ist eine Illusion zu glauben, dass juristische Argumente oder Sachfragen eine entscheidende Rolle spielen: Der bürgerliche Staat ist eine politische Organisation zum Schutz des Privateigentums. Zugeständnisse werden durch Kämpfe erzielt, nicht durch Integration in den Staat und seine Unterorgane. Daher muss es unsere Hauptaufgabe sein, Kämpfe zu führen, Mieter:innen zu organisieren und damit das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zugunsten der einfachen Mieter:innen zu verschieben. Dadurch schafft man eine Grundlage für die Umsetzung der Vergesellschaftung durch einen zweiten Volksentscheid oder – unter ganz spezifischen Umständen – unter diesem Senat. Nur wenn Enteignung und Vergesellschaftung dem Senat als kleineres Übel erscheinen, wird er sie selbst anpacken, dann jedoch mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern.

Erstens sind die Umstände, dass wir in dieser Kommission die Vergesellschaftung umsetzen können, mit diesen Parteiführungen, diesem Senat und dieser Besetzung jedoch nicht gegeben. Zweitens ist der Fokus auf die Expert:innenkommission eine strategische Sackgasse. Diese schließt organisch die Breite der Aktiven von der Partizipation aus, erschwert Mobilisierung und Organisierung der einfachen Mieter:innen an der Basis und ist daher ein Hindernis, das Kräfteverhältnis zu verschieben. Ohne politischen Druck gibt es bei Gerichtsentscheidungen keine Zugeständnisse und die Entscheidung wird, wie zuvor, im Interesse der Immolobby und Miethaie getroffen. Unsere Arbeit würde schlussendlich den Anschein erwecken, dass Senat und Expert:innenkommission das Subjekt der Vergesellschaftung und Enteignung seien. In Wirklichkeit sind das jedoch Mittel zur Verschleppung. Unser Eintreten in diese Sackgasse würde die Illusion unter Berliner Mieter:innen in diese Gremien weiter schüren und unseren parallelen Aufbau von Gegenmachtorganen über eine Organizing-Kampagne schwächen. Unsere Praxis muss den Mieter:innen zeigen, dass sie selbst für die Vergesellschaftung und Enteignung aktiv werden müssen und eben nicht abwarten dürfen!

Organizing mit dem Ziel einer längerfristigen Mieter:innenorganisation (bspw. einer Mietgewerkschaft), Gesetzesvolksentscheid, Mieter:innenräte, Massendemonstrationen und politische Streiks, Mietboykotte – das sind die schweren und vielversprechenden Waffen für Enteignung und Vergesellschaftung, auch wenn, das ist uns klar(!), sie viel Arbeit und Ausdauer bedeuten. Aber einfacher werden die Bedingungen, dies zu ermöglichen, nicht von selbst und erst recht nicht nach weiteren Monaten der Perspektivlosigkeit, Zermürbung und Versanden in der Kommission. Die Zeit arbeitet nicht für, sondern gegen uns! Eine strategische Orientierung auf außerparlamentarische Bewegung und vom Staat unabhängige Organisierung ist alternativlos. Unser zentrales Ziel bleibt der Kampf um Vergesellschaftung und Enteignung. Dies können wir nur durch eine Massenbewegung der einfachen Mieter:innen und Lohnabhängigen erreichen.

Die Teilnahme an einer Kommission fördert dagegen die Illusion, dass die Kommission ein alleiniges Umsetzungsinstrument sein könnte, steigert die politische Autorität des Senats, schürt Hoffnungen, die enttäuscht werden müssen und schwächt die Politisierung und Kampfkraft der Mieter:innen. Auch das Argument, dass wir beides tun können, stimmt vielleicht für die Arbeitsressourcen, die wir aktuell haben. Jedoch ist es für Mieter:innen, die nicht regelmäßig mit uns diskutieren, schwer nachvollziehbar. Dieser falsche Pluralismus fördert schlussendlich die Expert:innenkommission und unser Organizing wäre nur eine Begleiterscheinung. Ohne die strategische Orientierung auf den außerparlamentarischen Kampf bleibt die Expertinnenkommission im Fokus der Medien und der Kampagne. Die Kiezteamarbeit und das Organizing gerät zu einer davon abgetrennten reinen Beschäftigungstherapie für die Kampagnenbasis. Unsere Teilnahme wird zu unserer Niederlage in der Kommission, im AGH und bei Gerichten führen. Die Teilnahme hat also mehr Nach- als Vorteile. Bis jetzt hat sich die SPD in ganzer Linie durchgesetzt. Geisel rief daher nicht zu Unrecht: „Wir haben gewonnen“. Allerhöchste Zeit, ihm nicht mehr weiter zuzuarbeiten!

Daher rufen wir alle Aktivist:innen in DWe dazu auf, für eine neue Strategie und gegen eine Teilnahme an der Expert:innenkommission einzutreten. Gleichzeitig ist das eine Diskussion, die nicht mit einer einzigen Abstimmung abgeschlossen sein wird und kann!




Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Strategiekonferenz, Taskforce Argumente), Infomail 1177, 3. Februar 2022

Am 26. September hat „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen (DWE)“ im Volksentscheid mit 59,1 % der gültigen Stimmen einen großen Sieg errungen. Nach Jahrzehnten unternehmensfreundlicher Politik in Richtung Privatisierung, Mietsteigerung und Profitmaximierung wurde mit der Losung der Enteignung und Vergesellschaftung ein großes Statement dagegengesetzt. Die BerlinerInnen machten eine klare Ansage und sprachen sich für die Enteignung der Deutschen Wohnen, Vonovias und Co. aus. Die Eigentumsfrage und damit verbunden die Frage der demokratischen Kontrolle sind die zentralen Fragen der derzeitigen Situation.

In den letzten 3 Jahren wurde viel erreicht:

  • Ein Beschlusstext wurde erarbeitet, der die programmatische Basis der Kampagne bildet. Dieser wurde immer wieder überarbeitet.
  • Ein Treffen verschiedener AktivistInnen hat sich Anfang 2019 zum offenen Plenum als zentrales Organ der Kampagne entwickelt.
  • Zum Tragen der Kampagne wurde ein weitverzweigtes Netz von Strukturen aufgebaut:  Sieben AGen, diverse Taskforces und Unter-AGen, ein Koordinierungskreis und Kiezteams, die sich von einer Struktur zum Sammeln der Unterschriften zur lokalen Basis der Kampagne weiterentwickelten.
  • Hunderte AktivistInnen und noch mehr GelegenheitsaktivistInnen arbeiteten in den heißen Phasen im Sommer und Herbst 2021 für die Kampagne.
  • Viele kleine Initiativen wie auch größere und Massenorganisationen (z.B. Linkspartei, Berliner MieterInnenverein, Gewerkschaften) wurden als UnterstützerInnen gewonnen.

DWE konnte die Debatte in der Stadt auf diese Weise prägen und die Wohnraumfrage als eine zentrale Frage im Wahlkampf zur Berliner Abgeordnetenhauswahl aufwerfen. Die Stärke der Kampagne ist dabei vor allem, dass sie an den Kernproblemen der breiten Bevölkerung ansetzt und objektiv ein Massenpotenzial anspricht. Sie greift politische Elemente und Ziele aus der ArbeiterInnenbewegung auf, und bringt sie in eine Form, die dem aktuellen Bewusstsein und der aktuellen Diskussionskultur entsprechen und macht sie somit einer Vielzahl von Menschen zugänglich. Erreicht wurde dies auch durch die Verwendung von leicht zugänglichen Kommunikationsstrukturen und einer populären Sprache.

Institutionen des bürgerlichen Rechts (§15 GG Vergesellschaftungsparagraph, Volksbegehren) wurden taktisch geschickt verwendet. Aber hier zeigt sich die Problematik, die Grenzen dieser Mittel nicht ausreichend zu reflektieren. Es ist zwar vollkommen richtig im ‚Gegebenen‘ anzusetzen. Wenn es jedoch keine Strategie gibt, aus diesen gegebenen Institutionen herauszufinden und durch eine demokratische Mobilisierung eine außerparlamentarische Gegenmacht aufzubauen, bleibt die Umsetzung in den engen Grenzen der Institutionen stecken und verbleibt bei den politischen Entscheidungsträgern, die seit Jahrzehnten Politik im Interesse der privaten Immobilienkonzerne betrieben haben.

Taktik = Strategie?

Um langfristig bestehen und weiterhin nachhaltig Einfluss nehmen zu können, ist es zentral, dass DWE eine einheitliche strategische Ausrichtung entwickelt. Die Diskussion dazu wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, weshalb der Kampagne nach dem Sieg im Volksentscheid ein weiteres zielgerichtetes Handeln fehlt. Dies führt dazu, dass der politische Gegner faktisch über den weiteren Verlauf entscheiden kann und der neue Senat mit der Verschleppungstaktik „ExpertInnenkommission“ initiativ werden konnte.

Ebenso wurde die Frage des Klassenstandpunkts in der Kampagne vernachlässigt. Die hohen Zustimmungsraten unter den Lohnabhängigen zeigen deutlich, dass sich die Kampagne hauptsächlich auf die ArbeiterInnenklasse stützt. Auf der anderen Seite befinden sich die großen Konzerne und Lobbys, deren Interessen von bürgerlichen Parteien (AfD, CDU, FDP, Grüne), der SPD-Spitze sowie staatlichen Institutionen in Gestalt des Senates oder des Verfassungsgerichtes vertreten werden. Das zeigt relativ klar die Klassenlinien in der Mietdebatte. Diese Klassenlinien wurden leider durch Begriffe wie die der „Stadtgesellschaft“ (was ähnlich zum Volksbegriff die Gesamtheit aller Klassen meint) aus taktischen Gründen bewusst vernebelt, um Attraktivität beim linken KleinbürgerInnentum zu erzeugen. Das ging aber auf Kosten einer strategischen Orientierung auf die Schichten, mit denen die Vergesellschaftung langfristig steht oder fällt: einfache MieterInnen und Lohnabhängige. Die Folgen davon waren bzw. sind, dass es keine oder keine ausreichende Debatte in der gesamten Linken, MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung, aber auch in der Kampagne gibt, wie die Vergesellschaftung mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft umgesetzt werden könnte.

Stattdessen wurde die Debatte hauptsächlich auf taktische Fragen des unmittelbaren Wahlkampfs konzentriert. Zwar wurde teilweise und wird versucht MieterInnen und ArbeiterInnen zu erreichen. Aber im Rahmen einer rein-parlamentarischen Strategie muss sich deren Rolle letztlich auf die des passiven, das Kreuzchen setzenden Objekts reduzieren. Das Potenzial dieser sozialen Milieus, als Subjekt die Enteignung selbst durchzusetzen, wird mit dieser Strategie verschenkt.

Natürlich war die Wahlkampforga notwendig. Aber ohne den gemeinsamen Rahmen (Strategie) und ein Ziel, aus dem sich konkrete Werkzeuge (Taktik) ableiten, bedeutet das nun, dass DWE vom Senat übertölpelt wird. Denn wenn man auf der oberflächlichen Ebene der Taktik und technischen Orga verbleibt, wird die Frage der Strategie von außen beantwortet. Dies geschieht jedoch ohne bewussten, demokratischen und selbstbestimmten Prozess innerhalb der Kampagne mit Wirkung auf die gesamte Linke, sondern unbewusst im Rahmen des Gegebenen, also der bürgerlichen Institutionen, ohne Diskussion und Reflexion bezüglich möglicher Alternativen. Ohne Diskussion und ohne Perspektive außerhalb der bürgerlichen Institutionen wird es dem politischen Gegner wie Giffey-Geisel einfach gemacht, DWE die Ebene der politischen Auseinandersetzung und letztlich unsere Strategie zu diktieren.

Verschärft wurde diese strategische Schwäche der Kampagne dadurch, dass systematisch taktische und organisatorische Fragen als Strategie bezeichnet wurden. Planungen waren meist nur kurz- und mittelfristiger Natur und bedeuteten nach dem 26. September: Planlosigkeit. Die Kampagne beschränkt sich seitdem darauf, die Politik des Senates zu kommentieren und im Rahmen einer „Eskalationsstrategie“ Druck auf den Senat aufzubauen. Giffey und Geisel wurde die politische Initiative für die Frage der Umsetzung überlassen. Somit ist der aktuell einzige skizzierte Weg zur Umsetzung des Volksbegehrens an die „ExpertInnenkommission“ gekoppelt, einem Organ was vom SPD-geführten Senat eingesetzt wird. Die Entscheidung zur Besetzung der Kommission und Umsetzung liegt rechtlich und faktisch beim Senat. Die Umsetzung der Vergesellschaftung in diesem Rahmen ist sehr unwahrscheinlich.

Auseinanderdriften

Darüber hinaus führt die strategische Unschärfe zum Auseinanderdriften der Kampagne. Persönliche, politische Konflikte und Polarisierungen zwischen verschiedenen Strukturen innerhalb der Kampagne entwickelten sich daraus (z.B. Kokreisstrukturreform). Das ist unvermeidlich, wo unterschiedliche politische Kräfte aufeinandertreffen. Problematisch ist jedoch, wenn das nur auf einer oberflächlichen, persönlichen oder rein organisationstechnischen Ebene gesehen wird und entsprechend nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben wird. Die Frage, ob die Kampagne eine gemeinsame Strategie hat, die in verschiedenen Arbeitsbereichen umgesetzt wird, oder ob die Kampagne einfach eine Summe völlig unterschiedlicher Unterkampagnen ist, ist weder geklärt noch der Kampagne ausreichend bewusst. Einerseits gibt es die Teile, die mit dem Senat verhandeln wollen, sich in der Kontakt- und Verhandlungsgruppe engagieren und die ExpertInnenkommission bespielen wollen. Andererseits gibt es diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf die Kiezteamarbeit legen wollen. Das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung bedeutet das Fehlen eines zielgerichteten und wirksamen Handelns der Kampagne. Verschiedene Teile ziehen nicht mehr am gleichen Strang, sondern steuern in unterschiedliche Richtungen.

Der Fokus auf die vom Senat zur Verschleppung des Volksentscheids eingesetzte ExpertInnenkommission befördert den oben erläuterten Zersetzungsprozess. Es besteht die Gefahr, dass sich die politische Führung in der Verhandlungsgruppe konzentriert und verselbstständigt, während die Basis ohne essentielle Bedeutung im Rahmen einer gemeinsamen Strategie zur bloßen „Handarbeit“ herangezogen wird. Diese politisch-strategische Abkoppelung der Kampagnenbasis kann zur Lähmung führen (wie beim Volksbegehren 2015) – trotz einer rein strukturellen Aufwertung im Kokreis. Ohne eine aktivistische Basis gibt es allerdings keine Verankerung der Kampagne bei den MieterInnen vor Ort. Es können weniger AktivistInnen und MieterInnen mobilisiert werden und somit kein Druck auf den Senat ausgeübt werden. Ohne eine aktive Basis verliert die Kampagne an Stärke und die Waffen gegen den Senat und die Immobilienhaie werden noch stumpfer. DWE befindet sich mit dem aktuellen Debattenstand in einer strategischen und strukturellen Sackgasse, die aufgebrochen werden muss, wenn wir den Sieg vom 26. September fortführen wollen. Die Strategiekonferenz am kommenden Wochenende muss hier die notwendigen Weichenstellungen liefern.

Bruch mit ExpertInnenkommission

Unmittelbar notwendig ist es, mit der ExpertInnenkommission des Senats zu brechen. Mit Geisels Klarstellung, dass die Kommission ausschließlich ein Gremium des Senats ist und es keine dem Volksentscheid entsprechende Mehrheitsbeteiligung von DWE in der Kommission geben wird, hat der Bau- und Wohnsenator die Fronten mehr als klar gemacht. Er wird mit der Immobilienlobby reden, es wird nicht öffentlich das „Wie enteignen“, sondern hinter verschlossener Tür das „Ob“ rechtlich und wirtschaftlich geprüft. Das ist die Geisel-Haft für den Volksentscheid! Wir tun uns keinen Gefallen mit dem Geisel-Nehmer zu verhandeln, schon gar nicht zu diesen Bedingungen. Es wäre sogar direkt schädlich. Erhebliche Ressourcen DWEs würden im Rahmen der ExpertInnenkommission gebunden, ohne dass dies zur Vergesellschaftung führen würde. Dafür kann sich der Senat mit unserer Teilnahme profilieren und seine Entscheidungen legitimieren. Ungewollt würden wir zum Teil einer Politik, welche die Vergesellschaftung verhindert und massive Subventionen des privaten Sektors auf Kosten der MieterInnen verfolgt.

Unter diesen Bedingungen ist es eine Illusion, dass wir eine Mitarbeit taktisch ausnutzen könnten. Unsere Teilnahme wären vielmehr ein politisches Feigenblatt für die Politik von Geisel/Giffey. Daher müssen wir unsere Forderungen an die Kommission als rote Haltelinien begreifen und so formulieren, dass wir den Bruch öffentlich vermitteln. Es muss also öffentlich klar gemacht werden, was der Zweck der Kommission ist: Das Scheitern der Umsetzung des Volksentscheids. Wir sollten die wahrscheinlich dennoch stattfindenden Treffen der ExpertInnenkommission dazu nutzen, die UnterstützerInnen des Volksentscheides – über eine Million Berliner MieterInnen! – zu einer Großdemo zu mobilisieren und somit die Wiederbelebung der Kampagne zu starten! Motto: „Umsetzung statt ExpertInnenkommission“.

Auch in Hinblick auf die Gewinnung rechtlicher Expertise wird die ExpertInnenkommission keinen Beitrag leisten. Für die Weiterentwicklung unseres Gesetzesentwurfes müssen wir zusammen mit unseren Verbündeten aus SPD, Linkspartei, Gewerkschaften, Mietverein usw. auf eigene Formate setzen, wie der Vergesellschaftungskonferenz und Vergesellschaftungskommission. Nur so kann mit unseren Verbündeten und vergesellschaftungsfreundlichen ExpertInnen rechtlich substanziell über die Umsetzung diskutiert und unserer Entwurf so weiterentwickelt werden, dass er einer formalen und verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könnte.

Weg vom Senat – hin zum Stadtteil, Straße und Betrieb!

Der Senat wird die Vergesellschaftung nicht umsetzen. Eine Strategie, die über das Kommentieren der Senatspolitik hinausgeht, ist daher dringend notwendig. Die einzige soziale Größe, die ein Interesse an der Umsetzung hat, sind mind. 1,6 Millionen MieterInnen in Berlin und die einfachen Lohnabhängigen. Anstatt sich auf seine Spielchen und Tricks einzulassen, brauchen wir einen Plan darüber, wie die UnterstützerInnen der Vergesellschaftung politisch zusammengefasst, unterstützende Organisationen gebündelt und ein Weg zur Umsetzung aufgezeichnet werden kann, wo nicht Giffey-Geisel entscheiden, sondern die MieterInnen. Entsprechend muss der Fokus auf Organisierung von MieterInnen und Lohnabhängigen liegen und auf die Einbindung der vorhandenen Massenorganisationen in die außerparlamentarischen Kämpfe. Nur so kann sich die Kampagne zur Erreichung des Ziels sinnvoll einsetzen: die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne unter demokratischer Kontrolle der MieterInnen zur Schaffung einer Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen. Dafür schlagen wir folgende Werkzeuge vor:

  • Organizing! Zunächst brauchen wir eine Organizing-Kampagne in den Kiezteams, wo MieterInnen für die Kampagne gewonnen werden. Dabei dürfen MieterInnen und Lohnabhängige nicht als bloßes Mittel zum Zweck (Objekt) begriffen werden, mit denen Druck auf die Regierung geübt werden soll, sondern als das eigentliche, handelnde Subjekt zur Umsetzung der Vergesellschaftung. Nicht der Senat soll über die Vergesellschaftung entscheiden, sondern die MieterInnen selbst!
  • Gemeinschaftlicher Mietboykott! Wir müssen ernsthaft eine Debatte darüber beginnen, mit welchen direkten Mitteln wir die Vergesellschaftung erzwingen können. Zur Umsetzung der Vergesellschaftung sind kollektive Mietboykotte und der Aufbau einer MieterInnengewerkschaft als Massenorganisation notwendig. Dafür müssen existierende Massenorganisationen der MieterInnen und ihre Mitglieder für dieses Vorhaben gewonnen werden. Dafür braucht es die gesamte MieterInnenbewegung und Linke.
  • Kämpfe der ArbeiterInnenklasse! Jeder Erfolg bei Tarifkämpfen wird durch steigende Mieten mehr als aufgefressen. Von daher stellt sich die Frage einer politischen Verzahnung des Kampfes für bessere Lebensbedingungen, gegen Mietwucher und für die Vergesellschaftung der großen privaten Wohnkonzern mit dem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, gleitende Lohnerhöhungen der Inflation entsprechend und für Vergesellschaftung auch anderer, großer privater Konzerne. Politische Proteste entfalten nur einen beschränkten Druck. Wir müssen daher mit den Gewerkschaften in eine Diskussion treten, wie die Frage der Umsetzung der Vergesellschaftung und Preiskontrolle in die Tarifkämpfe integriert werden kann, wie also aus ökonomischen Kämpfen politische Streiks für die Enteignung werden können. Auch hierbei gilt es: Direkt in den Betrieben, mit der Basis sprechen und sie gewinnen! Die Gewerkschaftsführungen sind aufgrund ihrer privilegierten Position oft genug das, was die SPD-Spitze für die Immobilienkonzerne ist – ein Handlanger der Bosse, die Schiss vor politischen Streiks haben und zu dem sich höchstens auf dem Papier bekannt wird. Wir dürfen daher unsere Bündnispolitik nicht auf Absprachen mit den Führungen beschränken, sondern müssen uns mit den Forderungen, gemeinsam in Aktion zu treten, direkt an die Vorstände und Mitglieder der Gewerkschaften wenden.
  • MieterInnenkontrolle von unten! Eine wirkliche MieterInnenkontrolle würde nicht mal dann entstehen, wenn ein Gesetz zur Einrichtung der AöR beschlossen würde, in die die Wohnungen der privaten Konzerne überführt werden sollen. Diese Struktur wäre „von oben“ installiert. Was das bedeutet? Die BVG ist ebenfalls eine AöR, trotzdem haben weder Beschäftigte noch die NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel irgendeine Entscheidungsgewalt bei Fahrpreisen oder Fahrplänen. Deshalb müssen wir Strukturen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung „von unten“ aufbauen – und zwar unverzüglich! MieterInnenräte können Kämpfe koordinieren und folgende politische Forderungen eigenständig in einem zielgerichteten Kampf artikulieren und überwachen: Umsetzung der Vergesellschaftung, Kontrolle des Gemeineigentums, der Geschäftsbücher und der Mietpreise, einen bundesweiten Mietenstopp, öffentlich geförderten, sozial gebundenen und unbefristeten Neubau und die Legalisierung von Mietstreiks.
  • Gesetzesvolksentscheid! Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Beschlussvolksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides aktuell in den Händen von Staat und Senat. In der Frage der Gesetzgebung müssen wir auch auf eigene Formate setzen: einen neuen, diesmal verbindlicheren Gesetzesvolksentscheid! Aber auch einem Gesetzesvolksentscheid alleine sind Grenzen gesetzt: Falls ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird. Daher ist der Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht zur Regierung notwendig, die die Umsetzung des Gesetzes erzwingen kann.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann helfen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die die Umsetzung der Enteignung erzwingen kann. Für den Gesetzesvolksentscheid als taktisches Mittel in der aktuellen Legislaturperiode im Aufbau einer MieterInnenbewegung spricht, dass

  • er einen Weg darstellt, den wir stärker selbst beeinflussen können, da sein Inhalt für den Senat rechtlich bindend wäre. Die Wahrscheinlichkeit des Inkrafttretens eines Gesetzes im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheids ist größer als im Rahmen einer ExpertInnenkommission. Damit wäre die Vergesellschaftung nicht automatisch umgesetzt, würde aber die Bewegung in eine günstigere Lage bringen und gleichzeitig den Spielraum für Sabotage durch die Regierung verringern.
  • wir im Rahmen eines Volksentscheides UnterstützerInnen, verbündete Initiativen und Organisationen integrieren können und die gesamte Kampagne gefragt ist (im Gegensatz zu Verhandlungen mit dem Senat);
  • ein Volksentscheid Menschen massenhaft in die Bewegung bringen und organisieren kann (auch das können Verhandlungen und ExpertInnenkommission nicht).

Die Schaffung einer sozialen Gegenmacht zur Regierung durch die Organisierung der MieterInnen sollte immer im Zentrum der Strategie stehen. Der Aufbau von MieterInnenräten, die mit Hilfe von Massenprotesten und Mietboykotts dem Unwillen der Immobilienkonzerne und der Regierung etwas entgegensetzen können, in Kombination mit einem Gesetzesvolksentscheid, stellt eine Möglichkeit dar, wie die Vergesellschaftung unabhängig vom Willen des Senats umgesetzt werden kann.

Die Organisierung von MieterInnen bietet einen sinnvollen Rahmen für die gesamte Kampagne und bindet alle AktivistInnen mit ein. Alle Arbeitsbereiche der Kampagne sollen sich aus dieser Strategie ableiten. Beispielsweise sollte die Ressourcenverteilung und technische Organisation streng dieser Strategie folgen. Denkbar wäre, dass ein größerer Fokus auf Arbeitsbereiche wie Kiezteams, der Starthilfe, Aktionen und Bündnisarbeit gelegt wird.

Die Kiezteams müssen anstreben, tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert zu sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenräten zusammenführen.  Vertrauen auf die eigene Kraft und Misstrauen in den Staatsapparat, Justiz und Parlament sind angebracht.

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine gut vernetzte, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf der Vergesellschaftungskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 262, Februar 2022

Seit dem durchschlagenden Erfolg am 26. September 2021 ist es in der Berliner Öffentlichkeit einigermaßen still geworden um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWe). Wie kommt das? Was ist los mit der Speerspitze der Berliner MieterInnenbewegung? Kurz gesagt hat der neue Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei der Enteignungskampagne die Initiative aus der Hand reißen können.

Falle …

Im Herbst haben 59 % der BerlinerInnen eine klare Ansage getätigt, nämlich: Enteignen! Damit hatte der Volksentscheid mehr Stimmen als alle Koalitionsparteien des Senats zusammen bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bekommen. Die Entwicklung seitdem beweist, dass die Monate des Unterschriften Sammelns und Wahlkampfes der leichtere Teil im Enteignungskampf waren. Seitdem besteht die Gefahr, dass sich die Kampagne festfahren lässt. Zuerst knickte die Linkspartei ein und ließ die Umsetzung des Volksentscheides als Bedingung ihrer Regierungsbeiteilung fallen – damit ließ sie nicht nur die Kampagne im Stich, sondern vor allem Millionen MieterInnen, die sich mit dem Ja zur Enteignung eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erhofften. Schließlich wählte das Abgeordnetenhaus den neuen Senat und nun steht mit Andreas Geisel ein bürgerlicher Hardliner im Amt des Stadtentwicklungs-, Bau-, und Wohnungssenators.

Nun heißt es: Volksentscheid in Geisel-Haft!

Wir können nun viel lernen. Es war schon vor dem Volksentscheid klar, dass die Giffey-Geisel-Immobilienlobby-SPD eine Enteignung niemals umsetzen würde. Was kratzt die Sozialdemokratie ein WählerInnenwille denn noch nach der Wahl? Nun sehen wir, wie genau der Senat versucht, den Volksentscheid zu lähmen. Völlig ignorieren kann Geisel den Druck nicht, und so sagt er sich: „Habe ich meine eigene Mission, gründe ich eine ExpertInnenkommission.“ Sie soll nicht etwa schnellstmöglich zur Enteignung der Immobilienhaie voranschreiten, sondern ein Jahr (!) lang prüfen, ob das Ganze rechtlich und wirtschaftlich machbar ist.

DWe hat sich unterdessen mehrheitlich darauf eingelassen und will sich daran beteiligen. Auf gewisse Weise musste es das sogar tun, andernfalls hätte der Senat bequem auf die Kampagne zeigen und sagen können: „Die wollen nicht reden – so gibt das mit der Enteignung nichts.“

Das Ganze ist natürlich nichts anderes als eine geschickt gestellte Falle, die die Umsetzung des Volksentscheids verschleppen und sabotieren und die DWe-Kampagne – den radikaleren und bestorganisierten Teil der MieterInnenbewegung Berlins – durch Einbindung schwächen soll. Nun gilt, es dem Geisel-Nehmer nicht auf den Leim zu gehen.

 … nicht reintappen, DWe!

Wir sollten nichts, gar nichts von einer solchen ExpertInnenkommission erwarten. Es kann nur darum gehen, sie als Verschleppungstaktik des Senats zu entlarven und zu Fall zu bringen, anstatt selbst darauf hereinzufallen.

Geisel selbst hat mehr als deutlich gemacht, dass die ExpertenInnenkommission dem Senat unterstellt ist – und sonst niemand. DWe hatte gefordert, dass dem Abstimmungsergebnis entsprechend 59 % der Kommissionsplätze aus der Kampagne kommen sollen. Abgelehnt! Geisel verhandelt nicht darüber. DWe wird zwar eingeladen werden, aber die Konditionen bestimmt der Senat, der selbstverständlich die Wohnungskonzerne mit an den Tisch holen wird.

Es gilt, die ExpertInnenkommission vor den Augen der BerlinerInnen zu enttarnen: Am 26.9. ist das „Ob Enteignen“ entschieden worden und über das „Wie Enteignen“ liegt ein Gesetzesentwurf vor. Das Votum der BerlinerInnen respektieren heißt nicht nur, es umzusetzen, sondern DWe mindestens auch die Mehrheit der Sitze in der ExpertInnenkommission anzubieten. Die Immobilienlobby hat dort gar nichts verloren!

Die zentralen Bruchpunkte gegenüber der Kommission sollten sein: Definitive und sofortige Umsetzung, öffentliche Tagungen und Transparenz sowie Mehrheit für die MieterInnenbewegung in ihr. Sollten diese Forderungen nicht eingehalten werden, ist die Teilnahme an dem Format schädlich, da sich der Senat mit DWe in der Kommission profilieren kann, aber wir auf der anderen Seite weder ein konstruktives Ergebnis erhalten noch unsere Teilnahme politisch zum Bruch mit ihm und für Alternativen nutzen können. DWe macht sich dann zum linken Feigenblatt einer Politik, die die Enteignung verschleppt und verhindert!

Mit Geisels Absage an eine DWe-Mehrheit in der Kommission ist eigentlich schon Grund genug gegeben, mit dem Senat und seinen Spielchen zu brechen. So oder so sollten wir den ersten Tag der Kommission mit einer Großdemo begleiten.

Klassenkampf statt Geisel-Haft!

Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Volksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides in den Händen von Staat und Senat!

Trotzdem unterstützen wir den Vorstoß von vielen in DWe, unmittelbar einen Gesetzesvolksentscheid (GVE; für den Senat wäre dieser bindend) vorzubereiten. Wir sollten uns aber auch im Klaren sein, dass die staatlichen Grenzen dafür fast genauso eng sind wie jetzt. Wenn ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann nur dazu dienen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die aus sich heraus die Enteignung erzwingen kann. Sie muss weit über das hinauskommen, was heute die Kiezteams repräsentieren. Sie muss tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenkomitees zusammenführen, die Ernst machen können – mit kollektivem Mietboykott und politischem Streik für die Enteignung. Im Unterschied zum bisherigen Volksentscheid darf DWe seine Blauäugigkeit diesmal nicht wiederholen: Es muss davor warnen, das Schicksal seiner Umsetzung (im Erfolgsfall) wieder letztendlich dem bürgerlichen Staat und seiner Justiz zu überlassen. Vielmehr müssen wir betonen, dass eine erneute Volksentscheidskampagne den Schwerpunkt auf Mobilisierung und Organisierung der MieterInnen und ArbeiterInnenbewegung mittels o. a. Klassenkampfmethoden hin zu ihrer Transformation in eine wirksame Gegen- und Kontrollmacht über den Wohnungssektor legen muss. Vertrauen auf die eigene Kraft, Misstrauen in Staatsapparat, Justiz und Parlament sind diesmal angesagt!

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine vereinheitliche, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf einer Aktionskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!