Ende der Pandemie?

Katharina Wagner, Neue Internationale 271, Februar 2023

„Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“. Diese lang ersehnten Worte stammen aus einem Ende Dezember dem „Tagesspiegel“ gegebenen Interview von Christian Drosten, dem Leiter der Virologie an der Berliner Charité. Aus dem Coronavirus sei mittlerweile ein endemisches geworden, wie Ende Oktober 2022 auch vom Vorsitzenden der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, mitgeteilt.

Unter Endemie versteht man einen Zustand, in dem Krankheitsfälle mit einem Erreger in einer bestimmten Population oder Region, wie etwa Deutschland, fortwährend gehäuft auftreten. Das Virus Sars-CoV-2 verschwindet demnach nicht mehr vollständig, sondern wird zukünftig mit relativ konstanten Erkrankungszahlen dauerhaft auftreten. Innerhalb deren herrscht eine breit vorhandene Immunität innerhalb der Bevölkerung. Möglich wird dies einerseits durch bereits überstandene Infektionen und andererseits durch verabreichte Impfungen. Das Immunsystem wird mit einem bereits bekannten Erreger konfrontiert und kann daher spezifischer und vor allem deutlich schneller reagieren. Dies sorgt generell für weniger Ansteckungen und mildere Krankheitsverläufe.

Reaktionen seitens der Politik

Die politischen Entscheidungsträger:innen reagierten prompt. Bereits kurz nach Veröffentlichung des Interviews forderte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) via Twitter zum wiederholten Male eine Abschaffung aller Coronaschutzmaßnahmen. Da aus Sicht mehrerer Wissenschaftler:innen das Risiko einer Infektion durch höhere Immunisierungsraten innerhalb der Bevölkerung gesunken sei und das Virus mittlerweile endemisch vorkomme, seien die noch geltenden Maßnahmen nicht verhältnismäßig und daher nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar. Auch dass Christian Drosten sich Mitte Januar noch einmal zu seinem Interview äußerte und von einem Missverständnis sprach, ein Ende der Pandemie könne gesichert nur rückblickend nach dem Winter definiert werden, führte bei den Politiker:innen zu keinem Umdenken.

Das Interview gab auch den Anstoß zu einer breit geführten Diskussion über eine generelle Abschaffung bekann-ter Schutzmaßnahmen wie beispielsweise der Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr bereits vor Ablauf des Infektionsschutzgesetzes am 7. April 2023. Während sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und sein Parteigenosse und Bundeskanzler Olaf Scholz zunächst zurückhaltend äußerten, kamen Zweifel von Seiten der Wirtschaft. Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, befürchtet bei einem früheren Wegfall der Schutzmaßnahmen eine Schwächung der heimischen Industrie aufgrund eines möglichen Anstiegs an Atemwegserkrankungen und Coronainfektionen. Befürworter:innen für die frühzeitige Abschaffung der Maskenpflicht finden sich aber auch außerhalb der Politik. So ist nach Ansicht des Vorstandsvorsitzenden der Deut-schen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, der Bevölkerung ein unverändertes Fortbestehen der Maßnahmen bis zum 7. April nicht mehr vermittelbar. Schlussendlich wurde dann Mitte Januar das vorzeitige Ende der Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr beschlossen. Ab dem 3. Februar 2023 entfällt sie auch im letzten Bundesland Thüringen. Darüber hinaus soll sie dann nur noch in  Pflegeheimen, Krankenhäusern sowie Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen gelten.

Weitere Möglichkeiten zur Aufhebung von Schutzmaßnahmen zwecks Eindämmung von Coronainfektionen wurden bereits vor dem Erscheinen des Interviews beschlossen. So wurde unter anderem die Isolations- und Quarantänepflicht in Bayern und Baden-Württemberg bereits Mitte November aufgehoben. Zahlreiche andere Bundesländer haben diese seither ebenfalls ausgesetzt. Nur in 7 Bundesländern besteht derzeit weiterhin eine Isolationspflicht.

Auch der Zugang zu kostenlosen Tests wurde bereits Ende November deutlich eingeschränkt. Das sogenannte „Freitesten“ nach einer Infektion wird seit dem 16.1.2023 zudem an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Zugang haben demnach nur noch medizinisches Personal vor Wiederaufnahme der Tätigkeit sowie bis Ende Februar weiterhin Besucher:innen von Pflegeeinrichtungen bzw. Kliniken. Alle anderen müssen die durchgeführten Tests aus eigener Tasche bezahlen. Begründet wird dies mit Lockerungen in Bezug auf die Isolationspflicht und der daraus resultierenden fehlenden Notwendigkeit, Tests zur Beendigung der Isolation aus Bundesmitteln zu finanzieren.

Rekordkrankenstand im Dezember

Die bereits angesprochene Diskussion kam allerdings zur Unzeit. Sie fand innerhalb einer europaweiten und recht frühen Welle von Influenza (Grippe) und Atemwegserkrankungen, hervorgerufen meist vom besonders für Säuglinge und Kleinkinder gefährlichen RSV (Respiratorisches Synzytial-Virus), statt. Hinzu kamen weiterhin Coronainfektionen. Um die Gefährdung für die nationalen Gesundheitssysteme und die Bevölkerung zu reduzieren, wurde europaweit für Impfungen gegen Influenza und COVID-19, vor allem für anfällige und gefährdete Gruppen, geworben. All dies zusammen führte zu einem Rekordkrankenstand von rund 10 % der Beschäftigten in nahezu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Medizinische Labore waren überlastet und konnten Proben nicht rechtzeitig auswerten. Viele Krankenhäuser mussten in den Notbetrieb gehen und sogar Operationen verschieben. Besonders hart betroffen waren demnach vor allem die Kinderstationen, hauptsächlich da hier der Fachkräftemangel wegen erforderlicher Zusatzausbildung noch deutlicher zu spüren ist. Daher konnte man auch nicht einfach Personal von Erwachsenenstationen abziehen, wie von Karl Lauterbach als Lösung des akuten Personalmangels vorgeschlagen. Seitens der DKG wurde auch der Ruf nach Aussetzung der Personaluntergrenzen sowie ein Abbau von Bürokratie und Dokumentationspflichten geäußert. Auch könnten coronapositive, aber symptomfreie Pflegekräfte dennoch auf den Stationen eingesetzt werden, um den fehlenden Personalmangel zu minimieren.

Bilanz der Pandemie

Betrachten wir rückblickend die Arbeit der Bundesregierung zur Bewältigung der Pandemie, fällt das Fazit eindeutig negativ aus.

Zu Beginn im Frühjahr 2020 wurde noch auf eine „Flatten-the-curve-Strategie“ gesetzt. Dabei wird versucht, die Infektionszahlen soweit zu reduzieren, dass ein Kollaps des Gesundheitswesens verhindert wird. Das Ziel ist eine Bewältigung der Krankheitsfälle mit den bestehenden Kapazitäten an Infrastruktur und Personal. Wir erinnern uns alle noch an den ersten Lockdown inklusive flächendeckender Schließungen von Kindertagesstätten und Schulen. Auch die Maskenpflicht und Abstandsregeln im öffentlichen Raum wurden damals eingeführt ebenso wie die Schließung von nicht zwingend notwendigen Einrichtungen wie Fitness- oder Nagelstudios. Besonders hart traf es dabei auch die Kultur- und Gastronomiebranche. Zahlreiche Arbeitsplätze wurden in dieser Zeit abgebaut, auch wenn die Bundesregierung durch Milliardenbeträge und Kurzarbeit mit Geld der Steuerzahler:innen gegenzusteuern versuchte. Zu diesem Zeitpunkt wurde dies noch von weiten Teilen der Industrie mitgetragen. Man erhoffte sich dadurch doch eine deutliche Reduzierung der Krankenstände, welche die heimische Wirtschaft extrem belastet und die globale Wettbewerbsfähigkeit enorm geschwächt hätten. Andere Länder wie etwa Schweden setzten dagegen zu Beginn auf eine sogenannte „Durchseuchungsstrategie“ – ohne Verbote oder gesetzliche Maßnahmen wie Maskenpflicht oder Abstandsregeln. Allerdings zeitigte diese für das Land verheerende Folgen. Schweden gehört innerhalb Europas zu den Ländern mit den höchsten Todeszahlen im Bezug auf COVID-19 und sah sich in weiterer Folge ebenfalls dazu gezwungen, auf die deutsche Strategie zur Eindämmung von Infektionen überzugehen.

Tatsächlich gelang es der Politik, die Infektionszahlen zu reduzieren und einen völligen Kollaps des Gesundheitswesen zu verhindern. Allerdings muss hierzu gesagt werden, dass die Pandemie die bestehenden Probleme im Gesundheitswesen, allen voran Personalmangel, aber auch fehlende Behandlungskapazitäten aufgrund unzureichender Investitionen, einer breiteren Öffentlichkeit deutlich vor Augen geführt hat.

Kapitalinteressen vs. Gesundheitsschutz

Die Hauptmotivation aller genannten Entscheidungen seitens der Politik im Zuge der Pandemiebekämpfung muss in der vorherrschenden kapitalistischen Produktionsweise und der globalen Wettbewerbsfähigkeit gesucht werden. Lockdowns mit flächendeckenden Schließungen ganzer Branchen und schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte werden daher nicht nur von Teilen der Bevölkerung, sondern auch von Seiten der Wirtschaft abgelehnt. Diese sorgt sich schließlich um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit und Produktivitätsvorteile gegenüber der internationalen Konkurrenz. Es geht wieder einmal um die Interessen des gesamten Kapitals, welche vor dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung rangieren.

Gesellschaftliche Bereiche wie Bildung oder Gesundheitswesen stehen zu einem nicht unbeträchtlichen Teil außerhalb der kapitalistischen Profitinteressen. Hier kann nicht flächendeckend ein sogenannter Mehrwert generiert werden. Aus diesem Grund findet in den genannten Bereichen häufig eine Umlage der Kosten auf alle Bürger:innen und Versicherten statt. Deutlich wurde dies beispielsweise an den staatlichen Hilfen für die Beschaffung zusätzlicher Intensivbetten zu Beginn der Pandemie. Eine weitere Folge dieses Umstandes sind auch fehlende Investitionen, welche dringend benötigt würden, um den bereits lange vor der Pandemie herrschenden Personal- und Fachkräftemangel zu beheben oder eine flächendeckende und gute Versorgung mit medizinischen und bildungstechnischen Einrichtungen sicherzustellen. Auch wenn Karl Lauterbach u. a. wegen der erst überstandenen Rekordwelle Ende 2022 zu einer dringenden Klinikreform aufgerufen und diese auf die Tagesordnung gesetzt hat, wird auch dies wohl keine Wende bringen. Eine gute Gesundheitsversorgung und ein ausreichender Schutz vor neuartigen Infektionskrankheiten kann nur unter Kontrolle der Patient:innen, der Beschäftigten im Gesundheitswesen und allgemein aller Lohnabhängigen sichergestellt werden.

Um Millionen Tote und Geschädigte (Long-Covid) zu vermeiden, hätten sich diese zu Beginn der Pandemie dafür einsetzen müssen, die Weltbevölkerung mit wirksamen Vakzinen zu schützen. Dazu mussten deren Patente und Herstellungsverfahren entschädigungslos enteignet werden. Eine weitere wichtige Maßnahme wäre eine bezahlte Quarantäne für alle Beschäftigten von genügend langer Dauer außer in lebensnotwendigen Bereichen wie z. B. dem Gesundheitswesen gewesen (Zero-Covid-Strategie). Auch die Finanzierung und Umsetzung dieser Maßnahmen erfordert jedoch eine Politik, die sich gegen die herrschenden Kapitalinteressen richtet.




Nicht nur Chinas Coronastrategie steht auf dem Spiel: Heiße Nächte in chinesischen Großstädten

Resa Ludivien, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

In weiten Teilen Chinas herrscht mal wieder ein strenger Lockdown. Ein Brand in einem Haus in Xinjiang hat das Fass zum Überlaufen gebracht. In der Viermillionenstadt Urumtschi mussten Anwohner:innen dabei zusehen, wie es in einem Mehrfamilienhaus brannte. Grund dafür war, dass wegen der im Zuge der Coronamaßnahmen errichteten Straßensperrungen für die Feuerwehr kein Durchkommen war. Auch an dem Haus angekommen, war eine reguläre Intervention „schwierig“. Bedenkt man, dass in vielen chinesischen Großstädten in jedem Viertel so viele Menschen wie in ganzen europäischen Großstädte leben, ist es kein Wunder, dass diese Bilder auch jene in Angst und Panik versetzt haben, die sich sonst wenig mit dem abgelegenen Westen des Landes beschäftigen. Noch wahnwitziger ist, dass die Ausgangssperre die Menschen am Verlassen des brennenden Hauses gehindert hat. Resultat: 10 Tote, die wahrscheinlich noch leben würden, wenn die Staatsdoktrin nicht so unflexibel wäre.

Doch der tragische Tod dieser Menschen führte auch dazu, dass sich die lange angesammelte Wut und Verzweiflung der Menschen Bahn brachen.

Seit dem 27. November gibt es landesweit Proteste. Sogar Rufe nach Xis Rücktritt sind zu vernehmen. So weit haben es die Forderungen in den letzten Jahrzehnten selten getrieben. Der Staat reagierte mit einer gestiegenen Polizeipräsenz und der undurchsichtigen Aussage: „Wir passen die Strategie an“. Nur wie und ob, steht im luftleeren Raum.

Bereits im Frühjahr hatten die Maßnahmen zu Protesten geführt (https://arbeiterinnenmacht.de/2022/04/20/china-vor-dem-scheitern-des-nationalen-projektes-0-covid/), doch die  Proteste der letzten Woche stellen wohl die größten öffentlichen politischen Proteste seit Jahrzehnten dar. Auch wenn sie massiv unterdrückt und infolgedessen auch kleiner wurden, so verweisen sie auf die tiefe soziale und politische Unzufriedenheit mit dem kapitalistischen China unter KP-Diktat. In Urumtschi (Xinjiang), Changsha (Hunan), Chengdu (Tschengdu; Sichuan), Zhengzhou (Tschengtschau Schi; Henan), Wuhan (Hubei; Zentralchina), Guangzhou (Kanton; Guangdong; Südchina), Shanghai (Schanghai; Ostchina), Beijing (Peking; Nordchina) sowie weiteren Städten gingen und gehen die Menschen auf die Straße.

Ausgangspunkt: Xinjiang

Urumtschi, der Ausgangspunkt der Proteste, ist die Hauptstadt der autonomen Region Xinjiang. Gerade durch Großereignisse wie die Olympischen Spiele wurde die Unterdrückung regelmäßig noch einmal verstärkt, um „Störungen“ zu vermeiden. Das trifft vor allem die autonomen Regionen. So ist es in diesen Zeiten noch viel schwieriger, nach Xinjiang oder Tibet zu reisen, als ohnehin schon. Auch wenn die Coronamaßnahmen das ganze Land treffen, ist es in Krisenzeiten zusätzlich einfacher, bereits unterdrückte nationale Minderheiten mit noch mehr Repressalien zu schikanieren.

Laut Staatsdoktrin gibt es 55 anerkannte ethnische Minderheiten in China. Doch spielen sie in der öffentlichen Darstellung nur in zwei Fällen eine Rolle: Wenn sie „stören“ und man sie kommerziell vermarkten kann. An einem Tag werden dann Tourist:innen durch singende und tanzende Menschen in Tracht geführt und am nächsten sind alle von der Han-Mehrheit abweichenden Traditionen, Sprachen und Kultur der Führung ein Dorn im Auge.

Dass aus dieser von Repressalien gequälten Region eine Bewegung ausgehen könnte, hätte wohl niemand gedacht. Zu abgeschottet, zu überwacht und zu weit weg von dem Gedächtnis der Han-chinesischen Mehrheit, die sonst nur wenig zur chinesischen Umerziehungspolitik verlauten lässt. Doch nun könnte Xinjiang insofern ein Zünglein an der Waage sein, als vor allem die dort lebende muslimische Minderheit nichts mehr zu verlieren hat. Was könnte schlimmer sein als Verfolgung, Personen, die verschwinden und in „Umerziehungslager“ gesteckt werden?

Bisher nehmen die unwillkürlichen Festnahmen im Land weiter zu. Dies trifft nicht nur die „üblichen Verdächtigen“ an Aktivist:innen oder Menschen, die sich ohne gültigen Aufenthaltsstatus (Hukuo) in Großstädten aufhalten. Sogar westliche Journalist:innen sind betroffen, wie ein Video zeigt, auf dem ein BBC-Vertreter festgenommen wird. Das Einzige, was er den Umherstehenden noch zurufen kann, war: „Informiert das Konsulat!“  Eine Exit-Strategie, die Chines:innen nicht haben. Kein Wunder also, dass gerade in dieser Zeit mehr und mehr sich nach einem politischen Umschwung sehnen.

Der Ruf nach Demokratie

Der Ruf nach Demokratie und Menschenrechten stellt nicht zufällig eine immer wiederkehrende Forderung von Protestbewegungen in China dar. Die Herrschaft der KP und die scheinbare Allmacht des obersten Führers, Xi Jinping, bedeuten auch, dass sich der Kampf um obige Forderungen direkt gegen diese Herrschaft richtet – und damit auch enorme Sprengkraft besitzt. Die Möglichkeiten chinesischer Bürger:innen und insbesondere von nationalen und ethnischen Minderheiten, aber auch der Arbeiter:innenklasse außerhalb der Großstädte, sind so begrenzt, dass unter der Oberfläche ein Vulkan brodelt. Es ist zugleich auch ein tiefer sozialer Widerspruch, denn schließlich profitierten der chinesische Kapitalismus, aber auch europäische und US-amerikanische Unternehmen von der Ausbeutung entrechteter Arbeitskraft.

Bewegungsfreiheit, ja selbst die Freiheit, sein Haus zu verlassen, gibt es in der chinesischen Variante des Lockdowns nicht. Die Straßen werden durch Polizei und Militär kontrolliert. Quarantäne bedeutet, in seinem Haus eingesperrt zu sein. Ganz zu schweigen von der dauerhaft fehlenden Versammlungs- und Pressefreiheit sowie Wahlen, bei denen nicht nur klar ist, dass sich nichts ändert, sondern auch welche immer gleichen Männer die Macht in ihren Händen halten werden.

Da wird schon ein weißes Blatt zum Politikum. Eben solch ein Blatt ist nun ein Zeichen des Protests, weswegen einige von der „white paper revolution“ sprechen. Es soll darauf aufmerksam machen, was alles nicht gesagt werden darf. Ob es tatsächlich eine Revolution wird, bleibt abzuwarten. Aber die von den Aktionen in Hongkong inspirierte kreative Protestform verdeutlicht, dass die Aktiven in verschiedenen Regionen voneinander lernen und verweisen auf entstehende, wenn auch noch schwache Verbindungen zwischen den Städten. Während der Proteste bleibt es nicht bei den unbeschriebenen Blättern. Wenn die Demonstrierenden diese in die Luft halten, skandieren sie: „Wir brauchen keine Diktatur, wir wollen Wahlen“.

Repression

Die Polizei reagiert mit Gewaltausbrüchen und Festnahmen. Insgesamt ist die Gewaltbereitschaft gestiegen, auch bei der Nichteinhaltung von Coronamaßnahmen. So gab es in Hongkong Angriffe der Polizei bei Maskenverweigerung. Allerdings sollte man nicht aus westlicher Arroganz heraus die chinesischen Proteste mit den reaktionären in Deutschland oder Österreich vermischen. Und auch das Nichttragen einer Maske in Zeiten eine Pandemie macht eine/n noch nicht zum/r Held:in.

Die Auswirkungen der Maßnahmen hierzulande sind auch nicht zu vergleichen mit denen in China. Denn trotz der immer mehr verarmenden Arbeiter:innenklasse in Europa gibt es zumindest in Ländern wie Deutschland formal einen Sozialstaat mit „Hilfsgeldern“ und Gewerkschaften als Interessenvertretung, die, auch wenn sie schlechte Abschlüsse in Tarifverhandlungen erzielen, zumindest einige Zugeständnisse erreichen können. Eben genau das, was es in China nicht gibt. Die soziale Lage ist untrennbar mit der wirtschaftlichen verbunden. Hier nur ein paar Beispiele:

Es wird auch in weiten Teilen Chinas langsam Winter. Wer kein Geld besitzt oder viel weniger als der Durchschnitt verdient, weil er oder sie nicht zur Arbeit kann, sondern zuhause eingesperrt ist, bekommt schlimmstenfalls gar nichts. Besonders diejenigen, die im großen Schattensektor der Großstädte ohne Arbeitserlaubnis arbeiten, betrifft dies. Kein Geld, kein Essen, keine Heizung.

Covid als Gefahr für die Wirtschaft

Chinas Nutzen aus der Pandemie ist nicht mehr so stark wie zu Beginn, als sich seine Politik als die überlegene zeigte. Mittlerweile ist die westliche Welt durchgeimpft, zumindest alle, die es wollten, und immer mehr halbkoloniale Länder erhalten Zugang. China hingegen setzt auf Sinovac und Sinopharm, deren Wirksamkeit bei um die 50 % der modernen Impfstoffe liegt. 69 % der älteren Bevölkerung erhielten bisher eine vollständige Impfung. Die Infektionszahlen steigen dennoch oder gerade deswegen und die Regierung versucht, sie in den Griff zu bekommen. Vergebens. Eine großangelegte Impfkampagne oder die Zulassung der M-RNA-Impfstoffe sind nicht in Sicht.

Die ständigen Lockdowns zeitigen mittlerweile Auswirkungen auf die Wirtschaft. Die Produktivität sinkt, die jährliche Wachstumsrate auch. Letztere wird 2022 nur noch ungefähr 3,9 % betragen. Schon jetzt zeigt sich, dass Chinas Aufschwung und somit auch seiner Durchsetzungskraft im imperialistischen Konkurrenzkampf die Lockdowns im Weg stehen. Bereits jetzt machen sich aber auch die Proteste an den Börsen bemerkbar.

Ein weiteres Problem für Staatsführer Xi. Über kurz oder lang wird die Führung von der Null-Covid-Strategie in einem Land abrücken müssen. Denn es sind derzeit vor allem Investor:innen, die fernbleiben. Aber irgendwann setzt China auch die eigene Versorgung aufs Spiel. Wenn weite Teile regelmäßig nicht arbeiten können, hat das auch Konsequenzen für die Nahrungsmittel- oder Energieversorgung. Inwiefern in diesem Fall auch einfache Mitglieder des Militärs genug vom Eingesperrtsein, Trennung von der Familie und wirtschaftlicher Schwäche des Landes haben oder gar selbst die Gefahr von Versorgungsengpässen sehen und nicht mehr bedingungslos hinter der Führung stehen, bleibt abzuwarten. Schaden würde es nicht.

Arbeiter:innenrevolte

Besondere, längerfristige Bedeutung spielt die Rolle der Lohnabhängigen in der aktuellen Protestwelle. In Zhengzhou wurden Arbeiter:innen von Foxconn sogar an ihrem Arbeitsplatz zu Tausenden in Quarantäne gepfercht, nachdem es ein paar positive Tests gab. Einziger Vorteil daran, mit den positiv getesteten Kolleg:innen eingesperrt zu sein: Zum Organisieren weiterer Aktionen sind schon mal alle an Ort und Stelle. Auch hier kam es zu Protesten. Bisher scheinen sich aber noch keine Führungspersonen über lokale Aktionen hinaus herauskristallisiert zu haben.

Die Proteste sprießen mehr wie Pilze aus dem Boden, als sie koordiniert sind. Sie umfassen Jugendliche, Arbeiter:innen, aber auch die sog. „Mittelschicht“, die es vor allem in den Großstädten gibt. Oft spielen Studierende eine zentrale Rolle. Das spricht dafür, dass trotz der starken Überwachung der sozialen Medien nicht alles eingedämmt werden kann, birgt aber auch die Gefahr, dass diese Schwäche ausgenutzt wird. Eine Bewegung entsteht zwar dynamisch und „spontan“, eine richtungsweisende, fortschrittliche Führung und somit eine Strategie und Programmatik aber nicht.

Dieser besondere Moment muss genutzt werden. Wenn die Proteste so weiter gehen wie bisher, ist es wahrscheinlich, dass sie trotz ihres Elans und ihres Heroismus unterdrückt werden von einem zentralisierten Staatsapparat. Aber schon die Tatsache, dass die Regierung Versprechen zu Veränderungen ihrer Politik abgeben muss, verdeutlicht, dass sie diese Bewegung nicht bloß zerschlagen kann, weil ihr sehr bewusst ist, dass Tausende Demonstrierende nur die Spitze eines viel größeren Eisbergs an Opposition zum herrschenden Regime darstellen.

Zugeständnisse durch die Regierung, eine Modifikation ihrer Coronapolitik wären schon ein Teilerfolg, der zeigt, dass auch in China Widerstand nicht zwecklos ist. Schafft es der scheinbar allmächtige Xi in dieser Krise nicht, das Land wieder zu befrieden und die Wirtschaft anzukurbeln, könnte sich auch seine eigene Partei gegen ihn wenden. Aber die Menschen brauchen mehr als eine etwaige Reform von oben oder den Austausch von Führer:innen.

Wie auch immer die Bewegung weiter verlaufen wird, so wird sie einen prägenden Einfluss auf viele Aktivist:innen ausüben, weil sie grundlegende Fragen von Strategie und Taktik, Programm und Organisierung unter den Bedingungen des chinesischen Kapitalismus aufwirft. Dabei gilt es, den Kampf um demokratische Rechte mit dem der Lohnabhängigen zu verbinden, die Frage nach Meinungs- und Organisationsfreiheit mit der zu verbinden, welche Klasse das zukünftige China lenken soll.

Dabei wird die Verbindung der fortschrittlichen Teile der Studierenden mit der Arbeiter:innenklasse von entscheidender Bedeutung sein, denn letztlich kann nur sie die notwendigen Veränderungen erzwingen und durchsetzen. Dafür braucht es koordinierte Aktionen, Streikkomitees in Betrieben sowie in Stadtteilen und eine landesweite Vernetzung. Die aktuellen Proteste zeigen, dass wahrscheinlich demokratische Forderungen am Beginn der nächsten Welle von Aktionen stehen und größere politische Bewegungen rasch mit der Frage des Regimes konfrontiert werden. Außerdem dürfen all die mutigen Demonstrierenden im Osten des Landes, die mehr in der medialen Berichterstattung erscheinen, die Minderheiten im Westen sowie die Landarbeiter:innen nicht vergessen lassen. Die gezielte Spaltungspolitik der letzten Jahre muss überwunden werden. Dazu zählen die Abschaffung der Lager für Muslim:innen sowie des Hukuos, der Klassenzugehörigkeit qua Geburt aufrechterhält und zusätzlich die Arbeiter:innen auch geografisch spaltet.

Es braucht also einen gezielten Aufbau und eine Vernetzung der Kampfstrukturen auch über die großen Städte hinaus auf dem Land. Da rein legale Arbeit in China so gut wie unmöglich ist, muss ihr Aufbau, vor allem aber der einer revolutionären Partei auch mit illegaler Untergrundtätigkeit verknüpft werden.




Schulen und Kitas: gewappnet für das beginnende Schuljahr?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 267, September 2022

Die Sommerferien sind in den meisten Bundesländern zu Ende. Die Schüler:innen und Lehrkräfte sind zurück in ihren Schulen, die Kinder und Erzieher:innen in ihren Kitaeinrichtungen. In einer perfekten Welt würden nun alle gestärkt und erholt in ein neues Jahr voller Wissenszuwachs und Entwicklungssprünge starten. Stattdessen stapeln sich die Probleme: die Angst vor einer neuen Coronawelle im Herbst und Winter, der hohe Personalmangel an Lehrkräften bzw. Erzieher:innen wie auch fehlende Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen, um die psychischen Belastungen der Coronapandemie – mit der noch viele Kinder und Jugendliche zu kämpfen haben – sowie die Lernrückstände aufholen zu können.

Fehlende Investitionen

Es ist nichts Neues, dass unser Bildungssystem mit seinen unterschiedlichen Bereichen nicht gut ausfinanziert ist. Die Fortbildungen lassen zu wünschen übrig und die Gebäude benötigen nicht nur mit Hinblick auf bessere Lüftungsanlagen eine Sanierung. Anstatt auf Investitionen dürfen wir uns mit auf kommende Kürzungen gefasst machen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann gibt in Baden-Württemberg rhetorisch denn Weg vor, in dem er größere Klassenteiler vorschlägt oder von Kolleg:innen in Teilzeit eine Stunde Mehrarbeit verlangt. Das grüne Außenministerium lässt schon Taten folgen und kürzt die Mittel des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) für rund 6.000 Stipendien. Darüber hinaus wurde in Verhandlungen rund um den Berliner Haushalt lange darüber gesprochen, an drei Posten im Bildungshaushalt zu sparen: 1) an der Schulbauoffensive sollten 136 Millionen Euro eingespart werden, 2) an der Lehrkräftefortbildung 16,5 Millionen Euro und 3)  sollten 5 – 10 Millionen Euro für sogenannte „multiprofessionelle Teams“ (z B. Zusammenarbeit zwischen Erzieher:innen und Lehrkräften mit Schulsozialarbeiter:innen und -psycholog:innen) gekürzt werden. Diese Kürzungen wurden trotz überraschenden Steuermehreinnahmen von 300 Millionen Euro diskutiert und vorgeschlagen. Argumentiert werden sie wie auch fehlende und notwendige Mehrinvestitionen mit allgemeinen Haushaltseinsparungen, die aufgrund des erneut ausgesprochenen Ziels der schwarzen Null durch die Ampelkoalition durchgeführt werden müssten.

Verhinderte Kürzungen in Berlin!?

In der Hauptstadt haben die angekündigten Kürzungen gepaart mit den Steuermehreinnahmen zu einem Aufschrei einiger Initiativen und Organisationen im Bildungsbereich geführt. Die Berliner Initiative „Schule muss anders“, die auch durch die GEW Berlin unterstützt wird, thematisierte die Kürzungen und organisierte eine Mahnwache dazu. Gleichzeitig sprachen sich auch die Bildungspolitiker:innen der drei Regierungsparteien in Berlin (darunter Philipp Dehne von der Linkspartei, der auch in „Schule muss anders“ aktiv ist) gegen die Kürzungen aus und wandten sich an ihre Fraktionsspitzen, um diese zum Einlenken zu bewegen. Schlussendlich könnten sich die Akteur:innen in Berlin über die Rücknahme der Mehrzahl der angekündigten Kürzungen freuen.

Einerseits muss aber die Frage gestellt werden, ob sie wirklich erfolgreich verhindert oder nur nach hinten geschoben wurden. Die schon angesprochene Rhetorik in anderen Bundesländern sowie Bereichen des Bildungssystems und der notwendigen Haushaltseinsparungen werden weitere Einsparungen sehr wahrscheinlich machen. Deshalb muss die Frage der Aktionsform in Berlin näher unter die Lupe genommen werden. Waren eine Mahnwache sowie ein Brief der Bildungspolitiker:innen an die Fraktionsspitzen genug, um die Kürzungen zu verhindern?

Vergegenwärtigen wir uns die allgemeine politische Situation, befindet sich die rot-grün-rote Landesregierung wie alle anderen und die Bundesregierung in einer Situation, in der sie inmitten hoher Kriegsausgaben, einer historischen Inflation und Energiepreissprüngen das kapitalistische System verwalten müssen. In einer Zeit, in der offen von möglichen sozialen Unruhen im Herbst gesprochen wird, die Koalitionsverhandlungen in Berlin alles andere als rund über die Bühne gingen und mit dem Volksentscheid „DeutscheWohnen & Co. enteignen“ schon eine wichtige, soziale Frage in der Hauptstadt von der Koalition mit Füßen getreten wird, kann sich diese mit einem weiteren Wortbruch im Bildungssystem nicht noch weiter gegen ihre Basis und Wähler:innen stellen.

Möglich war dieses Zugeständnis im Bildungsbereich aber nur, weil die Steuermehreinnahmen von 300 Millionen Euro als Verhandlungsbasis zur Verfügung standen. Wäre dieses Geld nicht vorhanden gewesen, hätten „wir alle“ in Berlin den Gürtel auch im Bildungsbereich noch enger schnallen müssen. Solche Zeiten drohen uns durch die massiven Militärausgaben in Zeiten des Ukrainekrieges, der u. a. für die imperialistischen Interessen des deutschen Kapitals geführt wird.

Um uns für kommende Angriffe im Bildungssystem zu wappnen, müssen wir unsere Kämpfe als solche gegen alle kommenden Kürzungen verstehen. Hierfür benötigen wir eine bundesweite Bewegung der Arbeiter:innenklasse gegen die Inflationsauswirkungen und bevorstehende Sparmaßnahmen, ob im Bildungs-, Gesundheits- oder anderen Bereichen des „Sozialstaates“. Die Organisation einer bundesweiten Aktionskonferenz, um vereinzelte Proteste und Initiativen zusammenzuführen, stellt die Aufgabe der Stunde für große Organisationen wie die DGB-Gewerkschaften und Arbeiter:innenparteien dar. Notwendig hierfür ist ein Bruch mit der Sozialpartner:innenschaft sowie den unterschiedlichen Koalitionen mit offen bürgerlichen Parteien.




China: Vor dem Scheitern des nationalen Projektes 0-Covid?

Resa Ludivien, Infomail 1185, 20. April

Jahrelang erschien Chinas 0-Covidstrategie eine erfolgreiche und lebensrettende Alternative zur vorherrschenden Pandemiepolitik im Westen. Bis heute sind dort nur wenige Tausend Menschen an Corona verstorben, während in den USA mittlerweile fast eine Million an Covid-19 verstorben sind (Stand 19.4.22: 989.331). In den Vereinigten Staaten verstarben bisher 300 Menschen je 100.000 Einwohner:innen, in Deutschland 160,1, in China eine Person.

Paradoxerweise erscheint jedoch die Politik Chinas, folgen wir dem Tenor der westlichen Öffentlichkeit, als die gescheiterte, während wir hier endlich wieder auf Freiheit und das „Leben mit der Pandemie“, also der stillschweigenden Inkaufnahme weiterer Wellen und Toter zu leben gelernt hätten.

Gründe dafür gibt es mehrere. Aber klar ist, dass die chinesische Strategie samt ihre drakonischen Maßnahmen vor dem Hintergrund der Lage auf dem Weltmarkt, ökonomischer Probleme im Inneren, aber auch des autoritären Charakters der Pandemiepolitik der Bürokratie an ihre Grenzen stößt.

Dabei war die chinesische Politik zu Beginn der Pandemie über Monate, ja Jahre erfolgreich. Die Zahl der Toten und Infizierten konnte auf einem vergleichsweise geringen Niveau gehalten werden. Während sich Länder wie Deutschland von Lockdown zu Lockdown hievten und nun Impfpflicht oder Masken als unter „ferner liefen“ gelten, schien in China schnell wieder „alles beim Alten“. Hätte das Land eine den USA oder auch nur Deutschland vergleichbare Politik eingeschlagen, wären heute nicht Tausende, sondern Millionen Chines:innen der Pandemie zum Opfer gefallen.

Jetzt bestätigt sich wieder einmal, dass man globale Probleme wie eine Pandemie auch nur weltweit lösen kann. Chinas Abschottungspolitik sowie das Beharren auf einem eigenen Impfstoff haben den Ausbruch nur verschleppt, der auch durch mangelnde Maßnahmen und Mutationen in anderen Ländern provoziert wurde. Der derzeitige Ausbruch der Omikronvariante trifft auf eine nur in Teilen immunisierte Gesellschaft und zwingt die KP zum Handeln, damit sie an ihrem Narrativ der überlegeneren Strategie festhalten kann.

Grenzen der Strategie

Die chinesische Coronastrategie war auch im Rahmen des Systemkampfes wichtig. Überlegenheit wurde dem In- und Ausland suggeriert. Doch jetzt befinden sich Millionenstädte wie Shanghai, Beijing oder Shenzhen im Lockdown – ein Lockdown, der im Wesen seinesgleichen sucht. Der chinesische Alltag in diesen Städten bedeutet nun leere Straßen, abgeriegelte Viertel, sogar versiegelte Wohnungen, Ausgang nur zu den staatlich vorgeschriebenen Coronatests und eine steigende Überwachung, die sogar die bisherige übertrifft.

Die Versorgung der Menschen ist in Gefahr. In den betroffenen Gebieten beschweren sich die Anwohner:innen über eine schlechte staatliche Versorgung bis hin zu Lebensmittelknappheit. Selbst einzukaufen, ist so gut wie unmöglich. Daneben trifft die Omikronwelle auch in China auf ein belastetes und wahrscheinlich bald überlastetes Gesundheitssystem. Neben chinesischer traditioneller Medizin ist ein weiteres seiner Merkmale das Fehlen von Hausärzt:innen. Bist du krank, gehst du ins Krankenhaus. Viele Kollateralschäden sind hier zu erwarten: Menschen, die nicht hätten sterben müssen, wenn es genügend Ärzt:innen, Kapazitäten geben würde oder sie genügend Geld für eine Sonderbehandlung hätten. In westlichen Medien liest man nun von dramatischen Szenen, in denen Menschen abgewiesen oder infizierte Kleinkinder von ihren Eltern getrennt werden. Die soziale Sprengkraft der Situation ist greifbar. Auf Shanghais Straßen wird bereits das Militär eingesetzt, um der Lage und des Unmuts Herr zu werden.

Gerade scheint es, als könnte das Virus einen der schwersten Angriffe auf den chinesischen Imperialismus verkörpern, den dieser bisher gesehen hat. Derweil läuft die Propaganda weiter. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt wird nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Handels, der Rüstung und Militarisierung, sondern auch als Kulturkampf ausgetragen – sowohl innerhalb Chinas als auch darüber hinaus. Die Propagandamaschinerie für das Militär und vor allem gegen die USA soll auch gegen den Trend arbeiten, dass seit Jahren chinesische Familien eine starke Westbindung entwickelt haben und bspw. in die USA gehen, um ihre Kinder auf die Welt zu bringen, oder sich für die Ausbildung an westlichen Universitäten entscheiden. Beides sollte den Kindern später bessere Lebensbedingungen garantieren.

Seit der Öffnungspolitik nach Maos Tod und spätestens nach der Machtübernahme Xi Jinpings inszenierte sich China als ein Land im Aufschwung. Tatsächlich gewann der Staat an Macht im internationalen Gefüge und auch die chinesische Wirtschaft holte massiv auf. Für die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung, also die Masse der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen galt das weitestgehend nicht. Außerhalb der schicken Innenstadtviertel von Großstädten zeigt sich ein ganz anderes Bild. Auch in Städten wie Beijing werden ärmere Menschen diskriminiert. Vor allem der Hukou (ein innerchinesischer Wohnsitzausweis), der besagt, wer sich wo aufhalten und ansiedeln darf, sorgt noch für ein weiteres Kontrollelement.

Illegale Arbeit im Untergrund stellt hier die einzige Möglichkeit dar. Nun steht die Wirtschaft vielerorts still und auch Pendler:innen von außerhalb kommen nicht in die Städte zur Arbeit. Das Essen wird rationiert und in die isolierten Viertel gebracht. Nur wie sollen Menschen überleben, die es eigentlich gar nicht geben darf? Auch ins Krankenhaus zu gehen, wird dadurch erschwert. Am meisten leiden arme Menschen, denn kein Ausgang bedeutet keine Arbeit, keine Arbeit bedeutet kein Gehalt und kein Gehalt bedeutet kein Essen.

Hinzu kommt, dass aufgrund der raschen Verbreitung von Omikron nicht nur die Zahl der Infizierten, sondern auch der Städte und Regionen und somit der Menschen, die von Lockdowns betroffen sind, weitaus höher ist als bei vorhergehenden Wellen. Greift die Regierung hier nicht ein, drohen nicht nur weitere Unruhen, sondern auch eine selbst verursachte Hungerkrise, sofern die Zahlen weiter steigen und die einzige noch vorhandene Maßnahme Lockdowns sind.

Wie China gegen Proteste und Abweichler:innen vorgeht, hat die Regierung in den letzten Jahren deutlich gemacht. Das Militär wurde gestärkt und die Überwachung ausgebaut. Deren Relevanz für einen vermeintlichen sozialen Frieden hat sich vor allem in Hongkong und Xinjiang gezeigt, wobei die Politik der Bürokratie auch an eine Ausrottungsmaßnahme grenzt, ob gewollt oder ungewollt. Überall wo Protest entsteht, verschwinden Menschen und landen in „Gefängnissen“, die eher an Folterlager erinnern. Dennoch gab es in den letzten Jahren immer wieder Einzelne und Gruppen, die das in Kauf genommen haben, bspw. im Rahmen der #MeToo-Proteste, und auch jetzt gibt es immer mehr Videos in den sog. sozialen Netzwerken, die Proteste zeigen. Auf diese folgen oft Verhaftung und Verurteilung. Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Sowohl in China als auch hierzulande haben die letzten Monate und Jahre sehr deutlich gezeigt, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und imperialistisches Machtstreben keinen gesellschaftlichen Frieden bringen, keinen Wohlstand für alle und globale Konflikte nicht lösen können. Im Gegenteil: Das Versagen im Kampf gegen die Coronapandemie hat einmal vor Augen geführt, dass die Unterordnung der Gesundheit der Bevölkerung unter kurzfristige Profitinteressen Millionen das Leben kostet.

Krise und Widerstand

Doch in Zeiten der Krise und wachsender ökonomischer Schwierigkeiten stößt die Coronapolitik der chinesischen Regierung selbst an Grenzen – und damit auch auf den Unmut von Millionen. Sie betrachten wahrscheinlich schon heute die Politik der KP aus einem anderen Blickwindel. Aus dieser Erkenntnis kann Handeln, einschließlich spontaner Protestaktionen verzweifelter Menschen, folgen. Zugleich ist mit massiver Repression zu rechnen.

Damit Unmut und etwaige Proteste jedoch nicht einfach Episoden bleiben oder brutal zerschlagen werden, brauchen sie erstens klare soziale und politische Forderungen. Diese müssen eine Sicherung der Versorgung aller – also auch der Menschen ohne gültige Papiere, der Armen und Wohnungslosen – beinhalten, also Nahrungsmittel, Zugang zu Gesundheitsvorsorge. Wo Knappheit an Ressourcen herrscht, müssen diese gemäß den Bedürfnissen, nicht den Privilegien in der Gesellschaft verteilt werden. Um überhaupt eine rationale Versorgung zu sichern, muss die Offenlegung aller bestehenden Ressourcen wie auch des wirklichen Stands der Pandemie eingefordert werden. Plattformen wie Weibo (ein chinesischer Mikrobloggingdienst ähnlich Facebook und Twitter) sollten dazu genutzt werden.

Solche Forderungen stellen faktisch die Kontrolle der Bürokratie in Frage. Um die Zuteilung von Gütern zu sichern, sollen in den Betrieben, Gesundheitseinrichtungen, in den Wohnblöcken und Stadtvierteln von der Bevölkerung Ausschüsse zur Organisation und Kontrolle dieser Arbeiten gewählt werden. Von entscheidender Bedeutung wird es dabei sein, dass diese Strukturen in den Betrieben verankert sind und ihre Forderungen mit Aktionen Nachdruck verleihen können. Regionen wie Shanghai bilden heute nicht nur Zentren der chinesischen, sondern der Weltwirtschaft. Angesichts der Pandemie wäre es auch essentiell, solche Strukturen nicht nur in den Regionen unter Lockdown aufzubauen, sondern auch die Arbeiter:innen in den anderen Landesteilen zur Unterstützung aufzufordern. Die Pandemie wird schließlich vor niemandem/r Halt machen und die Alternative zum bürokratisch-autoritären Lockdown lautet nicht Öffnung fürs Kapital, sondern Lockdown unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innen.

Eine Politik der Arbeiter:innenklasse wird sicherlich auf den Widerstand der chinesischen KP-Spitzen und erst recht der Kapitalist:innen im Land treffen. Daher muss nicht nur mit Repression gerechnet werden. Ihre politisch bewusstesten Teile müssen die Lage auch nutzen, um den politischen Bruch mit der KP voranzubringen, die das Wort kommunistisch im Namen nicht verdient hat und eher einer Politkaste gleicht, die die imperialistischen Interessen des chinesischen Kapitals vorantreibt. Daher braucht es in China eine neue, revolutionäre Arbeiter:innenpartei, die unter den Bedingungen der Diktatur und Unterdrückung aufgebaut werden kann. Die aktuelle Krise der Coronapolitik, die ökonomischen Probleme Chinas und mögliche Massenproteste und Aktionen können die Bedingungen für deren Entstehung extrem begünstigen.

Für uns in Europa oder den USA muss die internationale Solidarität im Vordergrund stehen, die Unterstützung jeden Schrittes zur Bildung einer von der Bürokratie unabhängigen Arbeiter:innenbewegung einerseits sowie des Kampfs gegen die imperialistische Propaganda auf allen Seiten andererseits. Das bedeutet für uns auch, sich von der chauvinistischen und rassistischen Rhetorik über Chines:innen zu lösen wie auch von dem westlich-imperialistischen Narrativ, dass China in der Pandemie auf eine Politik der Öffnung und Durchseuchung hätte setzen sollen, damit seine Produktion für den Weltmarkt nicht ins Stocken gerät. Das Problem der chinesischen Coronapolitik besteht nicht darin, dass das Land „zu viel“ getan hat, sondern dass sie bürokratisch und repressiv erfolgt ist und die Pandemie nicht international koordiniert bekämpft wurde.




Zwei Jahre Corona und das Fiasko der Regierungspolitik

Katharina Wagner, Neue Internationale 263, April 2022

Endlich ist er da, der lang ersehnte „Freedom-Day“. Bundesweit sollte bereits am 20.03., spätestens aber nach Ablauf einer Übergangszeit am 02.04.2022 ein Großteil der Corona-Schutzmaßnahmen wegfallen, auch mit einer nach wie vor sehr hohen Inzidenz von 1758,4 (Stand 26.03.2022).

Dazu gehören beispielsweise 3G-Regelungen, die Homeoffice- sowie die Maskenpflicht in Innenräumen. Den Bundesländern stehen damit nur noch recht wenige Schutzmaßnahmen wie etwa die Masken- oder Testpflicht für besonders gefährdete Einrichtungen wie etwa Pflegeheime oder Kliniken zur Verfügung. Auch sind weitergehende Beschränkungen für sogenannte „Hotspots“ möglich, sobald die jeweiligen Länderparlamente eine besonders kritische Corona-Situation ausrufen.

Scharfe Kritik seitens der Bundesländer kam prompt. Diese werfen dem Bund verantwortungslose Politik vor. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach dagegen von einem großen Schritt in die Normalität und einem Rückgang zur Eigenverantwortung der einzelnen Bürger:innen. Eine Studie der Uni Erfurt zeigt, dass das Vertrauen der Bürger:innen in die Politik vor allem in den letzten zwei Jahren kontinuierlich gesunken ist, wohingegen das Vertrauen in die Wissenschaft relativ stabil auf hohem Niveau liegt (Quelle: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/topic/vertrauen-ablehnung-demos/10-vertrauen/). Um dies besser zu ver-stehen, sollten wir uns an dieser Stelle die bisherige Corona-Politik in Deutschland genauer ansehen und bilanzieren.

Corona-Politik in Deutschland: Note ungenügend

Zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland vor etwas mehr als zwei Jahren gab es in vielen Teilen der Bevölkerung noch großes Vertrauen in die staatlichen Institutionen, sie mögen diese Pandemie schnell und erfolgreich in den Griff bekommen. Die Realität sah leider völlig anders aus.  Setzte die Politik noch zu Beginn auf eine „Flatten the curve“-Strategie in Verbindung mit kurz-zeitigen Lockdowns, wird bei Omikron nun eine „Durchseuchungsstrategie“ unter Vermeidung einer zu starken Belastung im Gesundheitswesen verfolgt. Weiterhin baut man zusätzlich auf eine möglichst hohe Impfquote, auch in Hinblick auf den kommenden „Corona-Herbst“.

Wir erinnern uns alle noch an die lang anhaltende Diskussion über Maskenpflicht und ob Mund- und Nasenschutz im Allgemeinen überhaupt sinnvoll zur Eindämmung einer Pandemie wäre. Als sich das Robert-Koch-Institut (RKI) dann endlich für Masken und eine daraus resultierende Tragep-flicht aussprach, bestand das Problem vor allem in der Bereitstellung und Beschaffung von aus-reichenden Mengen an Schutzausrüstung seitens der Bundesregierung. Hier zeigten sich wieder einmal die starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Lieferketten aus Ländern wie beispielsweise China und fehlende Produktionsmöglichkeiten innerhalb Europas.

Das schlechte Krisenmanage-ment des Bundes offenbarte sich auch in Bezug auf das Impfen. Zentren wurden deutlich zu lang-sam aufgebaut. Eine wirkliche Impfkampagne mit ausführlicher Aufklärung gab es nicht und in sogenannten „Problembezirken“ beispielsweise in Köln oder Berlin fehlte es häufig komplett an Angeboten für die größtenteils migrantische Bevölkerung. Zusätzlich wurde das Impftempo dann auch noch durch fehlende Mengen an Impfstoffen stark gedrosselt, was dazu führte, dass die Bundesregierung das angestrebte Impfziel von 80 % immer wieder nach hinten verschieben musste und tatsächlich bis heute nicht erreicht hat.

Dies liegt auch an mangelnder Impfbereitschaft von Teilen der Bevölkerung. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Frankreich oder Österreich hat sich die deutsche Bundesregierung relativ schnell und vehement gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Vor allem im Sommer 2021 wollte man im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahl dieses Thema am liebsten komplett von der Tagesordnung streichen, um die Anhänger:innen der Querdenkenbewegung, welche nach wie vor tausende Menschen auf die Straßen mobilisiert, nicht noch stärker gegen das eigene politische Programm aufzubringen und sie in die Arme der AfD zu treiben. Vor allem aufgrund einer politischen Schwäche aller Parteien, allen voran der Linken, in Bezug auf Fragen rund um die Pandemiebekämpfung wird diese Bewegung nach wie vor von vielen als politische Alternative angesehen. Daher sah man sich gezwungen, immer stärkere Zugeständnisse in ihre Richtung zu machen. Aus dem anfänglichen klaren „Nein“ wurde mittlerweile aber ein „Vielleicht“. Nach wie vor wird im Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert.

Wer kontrolliert?

Allerdings ist die Frage, wie und durch wen man diese kontrollieren könnte, bis jetzt nicht geklärt. Zudem gelang es bisher nicht, die tatsächlichen Impfzahlen richtig zu erfassen oder die Gesund-heitsämter untereinander digital zu vernetzen. Auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, welche zum 16. März eingeführt wurde, scheint kein wirksames Instrument im Kampf gegen die herrschende Impflücke zu sein. Derzeit läuft noch die Meldezeit für ungeimpfte Beschäftigte durch betroffene Einrichtungen. Allein in Baden-Württemberg sollen es mehr als 17.000 sein. Eine Freistellung aller Ungeimpfter nach Einzelfallprüfung durch die Gesundheitsämter ist personell kaum durchzuführen. Um die Impflücke doch noch zu schließen, wurde Ende Dezember 2021 der proteinbasierte Impfstoff Novavax in Europa zugelassen. Allerdings liegt dieser wie Blei in den Regalen, sodass ein Großteil der eingekauften Dosen höchstwahrscheinlich nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums vernichtet werden muss.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sich weiter zuspitzende Situation im Gesundheitsbereich. Viele Pflegekräfte haben während der Pandemie aufgrund sich stetig verschlechternder Arbeitsbedingun-gen ihren Beruf aufgegeben. Eine Änderung dieser Rahmenbedingungen wird derzeit von der Bundesregierung nicht wirklich ernsthaft erwogen. Auch wurde seitens der Politik wenig unternommen, um Kindern und Jugendlichen eine sichere Bildung zu ermöglichen. Ob Homeschooling, Distanz- und Wechselunterricht, Testmöglichkeiten oder die Anschaffung geeigneter Lüftungsanlagen – nichts wurde zufriedenstellend umgesetzt und man redete sich die teilweise gravierend hohen Infektionszahlen unter dieser Bevölkerungsgruppe einfach schön.

Aufgrund von Fehlentscheidungen und mangelhaftem Krisenmanagement der bestehenden und früheren Bundesregierung sind dadurch allein in Deutschland bisher über 20 Mio. Infektionen dokumentiert, wobei die Dunkelziffer wohl das Zwei- bis Dreifache deren beträgt  und bereits mehr als 128.000 Menschen in Verbindung mit einer Corona-Infektion verstarben. Auch verzeichnet Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern eine deutlich höhere Übersterblichkeit. Einiges davon hätte wohl durch ein besseres Krisenmanagement im Interesse aller Lohnabhängigen, Kinder und Jugendlichen verhindert werden können.

Hauptursache: kurzfristige Kapitalinteressen!

Doch warum wurden diese Entscheidungen seitens der Politik so getroffen? Dies muss mit der vorherrschenden kapitalistischen Produktionsweise und einer globalen Wettbewerbsfähigkeit erklärt werden. Bieten Lockdowns in Verbindung mit starken Einschränkungen zwar die Möglichkeit einer raschen Senkung der Infektionszahlen, werden sie jedoch nicht nur von Teilen der Bevölkerung, sondern auch seitens der Wirtschaft abgelehnt. Schlussendlich geht es hierbei vor allem um den Wettbewerbsvorteil der eigenen Nationalökonomie gegenüber einer sich verschärfenden internationalen Konkurrenz und somit um Kapitalinteressen.

Gesellschaftliche Bereiche wie Bildung oder Gesundheitswesen stehen dagegen zu nicht geringem Teil außerhalb der kapitalistischen Profitinteressen, da hier eben nicht überall ein Mehrwert generi-ert werden kann. Daher wurden diese Kosten schon früh quasi vergesellschaftet und auf alle Bürger:innen bzw. Versicherten umgelegt. Aus diesem Grund fehlt es in diesen Bereichen an ausreichenden Investitionen, um den bestehenden Personal- und Geldmangel im Gesundheitssystem zu lindern oder fehlende Schutzeinrichtungen für Schulen und Kitas zu beschaffen.

Alternative

Für eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung und ein Krisenmanagement im Interesse aller Lohnabhängigen, Kinder und Jugendlichen benötigen wir eine bundesweite Bewegung, welche sich auf die Arbeiter:innenklasse und ihre Organisationen stützt. Diese sollte den Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben, Schulen, Universitäten und Stadtteilen organisieren.

Nur so kann es gelingen, die Mobilisierung breit zu streuen und direkt an der Basis eine politische Alternative zu der bestehenden Querdenkenbewegung aufzubauen. Zudem sollte sich diese Bewegung kritisch zur bisherigen und ungenügenden Politik der Bundesregierung äußern und sich für eine klare Perspektive im Sinne einer internationalen Pandemiebekämpfung (Abschaffung der Patente, ausreichende Versorgung mit Vakzinen zu erschwinglichen Preisen) unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse einsetzen.




Frauen – Verliererinnen der Pandemie

Lucretia Ramunkel (REVOLUTION, Österreich)/Katharina Wagner (Gruppe Arbeiter:innenmacht, Deutschland), Fight! Revolutionäre Frauenzeitung No. 10, März 2022

Seit Beginn der Pandemie hat sich einiges geändert, vor allem für Frauen und zwar nicht zum Besseren.

Die globale Wirtschaftskrise, die sich auch schon vor der Pandemie abzeichnete, wurde durch sie deutlich verstärkt und synchronisiert. Auch wenn in den imperialistischen Nationen deren Auswirkungen teilweise mithilfe von Konjunkturpaketen, Kurzarbeiter:innengeld oder Corona-Hilfen abgefedert werden konnten, so sieht es in halbkolonialen Ländern deutlich anders aus. In allen Ländern führten die Maßnahmen zur massiven Zunahme der Verschuldung. Gleichzeitig ging die Entwicklung mit einer Zuspitzung der innerimperialistischen Konflikte einher.

Die Pandemie hat in vielerlei Hinsicht das Leben für geschlechtlich unterdrückte Personen verschlechtert, etwa durch den Verlust von Verdienstmöglichkeiten, den Anstieg an sexueller Gewalt und die erhöhte Belastung durch die Sorgearbeit, um nur einige zu nennen.

Arbeitslosigkeit und Einkommen

Schon ein Blick auf die Entwicklung von Arbeitslosigkeit und Einkommen verdeutlicht, wie viel stärker Frauen von Krise und Pandemie betroffen sind. Einem UN-Bericht aus dem Jahr 2021 (https://www.un.org/depts/german/millennium/SDG%20Bericht%202021.pdf) zufolge stiegen 2020 die Arbeitslosenzahlen um 33 Millionen auf 220 Millionen. Weitere 81 Millionen schieden aus dem Arbeitsmarkt aus. 5 % aller beschäftigten Frauen verloren ihren Arbeitsplatz (gegenüber 3,9 % der Männer).

Die Einbußen konnten teils in imperialistischen Nationen durch Kurzarbeiter:innengeld abgemildert und somit einige Entlassungen auch verhindert werden. Jedoch sieht das für den globalen Süden anders aus. So verloren in Indien 47 % aller Frauen während des ersten Lockdowns im Jahr 2020 ihre Jobs (während nur 7 % der männlichen Arbeitskräfte dasselbe Schicksal teilen) (Quelle: https://www.thehindu.com/news/national/tamil-nadu/more-women-lost-jobs-in-the-pandemic-in-india-compared-to-men-says-expert/article38417389.ece).

In vielen Ländern haben die Menschen keinen Zugang zu staatlichen Hilfen. Frauen sind auch überdurchschnittlich häufig von Entlassungen betroffen, da ein großer Teil im sogenannten informellen Sektor tätig ist. Das bedeutet, sie haben keinerlei Anspruch auf Entlohnung im Falle von Krankheit oder dem Verlust ihres Jobs. So arbeiten z. B. im südlichen Afrika rund 92 % aller weiblichen Erwerbstätigen ohne jegliche Absicherungsmaßnahmen wie Kündigungsschutz oder Lohnfortzahlung bei Krankheit.

Ökonomische Folgen

Ungleiche Bezahlung der Geschlechter ist kein Symptom der Pandemie. Jedoch wird der Einkommensunterschied durch diese vergrößert und damit die ökonomische Abhängigkeit in Partnerschaften. Frauen sind vor allem in Sektoren überrepräsentiert, die besonders hart von der Pandemie getroffen wurden und traditionell schlechter bezahlt werden: Gastgewerbe, Einzelhandel, Tourismusbranche. Außerdem sind sie im sogenannten informellen Sektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen tätig. So haben sie in informellen Beschäftigungsverhältnissen während des ersten Monats der Pandemie 70 % ihres Einkommens verloren. Zudem kommt, dass viele Frauen teilzeit- oder in Mini-Jobs beschäftigt sind, da sie sich um den Haushalt und die Kinder kümmern müssen. Selbst wenn man das Glück hat, in einem Land zu leben, das die Einkommensausfälle abmildert, so haben viele Frauen keinen Anspruch auf Gelder oder bekommen sehr viel weniger als Männer. So hat in Deutschland beispielsweise nur jemand Anrecht auf Kurzarbeiter:innengeld, der/die in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, was bei Leuten nicht zutrifft, die im informellen Sektor arbeiten. In Europa sind mehr als 30 % der Frauen teilzeitbeschäftigt, was bedeutet, dass sie weniger Arbeit„nehmer“:innenrechte, Gesundheitsschutz und Zugang zu grundlegenden Leistungen genießen.

Auch Schließungen von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen wirken sich negativ auf das Einkommen von Frauen aus. Die Gesellschaft, die auf einer traditionellen Rollenverteilung beruht und Politik für die klassische Kernfamilie macht, bringt eine massive Mehrbelastung für die Frau während der Pandemie mit sich. So sind es Frauen, die vor allem die Kinderbetreuung, das Homeschooling und die Haushaltstätigkeiten während der Ausgangsbeschränkungen übernommen haben. Die Mehrbelastung durch die Sorgearbeit führte in vielen Fällen dazu, dass es ihnen nicht mehr möglich war, ihrer Lohnarbeit in vollem Umfang nachzugehen. Auf Grund der geringeren Lohnarbeitszeit und Sozialleistungen, die auf das Kernfamilienmodell ausgelegt sind, sind überdurchschnittlich häufig Frauen von Altersarmut bedroht.

Kein Wunder also, dass die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern während der Pandemie weiter massiv zugenommen haben. Laut WEF (Weltwirtschaftsforum) verdienen Frauen weltweit durchschnittlich nur 68 % dessen, was Männer für dieselbe Arbeit erhalten würden. In Ländern mit der geringsten Kaufkraftparität sind es sogar nur 40 %. Und auch hier hat die Pandemie die Situation für Frauen deutlich verschlechtert. Erste Untersuchungen deuten bereits darauf hin, dass das Lohn- und Gehaltsgefälle sich im Zuge der Pandemie um 5 % vergrößert hat.

Gesundheitsbereich und Care-Arbeit

Auch wenn Frauen ihre Erwerbsarbeit nicht verlieren, ist das ein zweifelhaftes Glück. Bekanntlich stellt der Sozial- und Pflegebereich einen wichtigen Beschäftigungssektor für Frauen dar. Weltweit stellen sie etwa 70 % des Personals in diesen Bereichen. Da sie es meistens sind, die sich bezahlt oder unbezahlt um Kranke und Pflegebedürftige kümmern, sind sie dem Virus stärker ausgesetzt. Die Mängel, die schon vor der Pandemie im Pflegebereich sichtbar waren, haben sich durch ihr Andauern und die unzureichende Zuwendung seitens der Politik massiv verschärft. Die schlechte Bezahlung im Pflegebereich und die fehlende Anerkennung hatte auch schon vor der Pandemie einen Fachkräftemangel nach sich gezogen. Durch die psychische und physische Belastung, der ständigen Angst vor einer Ansteckung und der schwierigen Vereinbarkeit von Beruf und Familie haben viele Pflegekräfte in den letzten Pandemiejahren gekündigt. Hinzu kommt die Anfeindung durch Coronaleugner:innen und Impfgegner:innen. So denkt in Deutschland mittlerweile jede 3. Person von den 1,8 Millionen Menschen, die in der Pflege beschäftigt sind, über einen Berufswechsel nach.

Da ein großer Teil der Kapazitäten im Gesundheitsbereich mit der Bekämpfung von Covid-19 ausgelastet ist, ist in vielen Teilen der Welt der Zugang zu reproduktiver medizinischer Versorgung für Frauen noch weiter eingeschränkt. Ein Anstieg der Mütter- und Kindersterblichkeit ist klar zu erkennen. Dies sieht man vor allem in halbkolonialen Ländern. In Bangladesch, Nigeria und Südafrika wurde 2021 ein Anstieg von 30 % bei der Sterblichkeit von Müttern und Neugeborenen verzeichnet. Auch die Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen haben sich vielerorts aufgrund mangelnder Ausstattung und personeller Kapazitäten verringert. Durch Lockdowns sind Angebote dafür wie für Familienplanung deutlich eingeschränkt. Seit Beginn der Pandemie und damit einhergehenden Schließungen von Schulen und Anlaufstellen ist der Zugang zu Aufklärung, Verhütungsmitteln und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen deutlich eingeschränkt. In Gauteng beispielsweise, Südafrikas bevölkerungsreichster Provinz, ist seit Beginn der Pandemie die Anzahl der Kinder, die von jugendlichen Müttern geboren wurden, um 60 % gestiegen.

Gewalt gegen Frauen

Verdienstausfälle und dadurch geschaffene existenzielle Sorgen sowie Quarantäne und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit haben einen massiven Anstieg an häuslicher Gewalt mit sich gebracht. Allein in der EU wurde in den ersten Monaten der Pandemie eine Zunahme von Notrufen wegen häuslicher Gewalt um 60 % registriert. Die ökonomische Abhängigkeit und eingeschränkte Bewegungsfreiheit erschwert es davon Betroffenen, dem zu entkommen. Auch die Angebote von Schutzräumen, welche trotz der Istanbul-Konvention schon vor der Pandemie unzureichend waren, wurden in vielen Ländern eingeschränkt oder ganz gestrichen.

Mit dem Anstieg häuslicher und sexistischer Gewalt geht auch einer an Femiziden einher. In Mexiko beispielsweise wurden 2021 922 Morde an Frauen als Femizid eingestuft. 2020 waren es 893 Frauen. Auch Schulschließungen ziehen drastische Folgen mit sich. Denn das Risiko, dadurch geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt zu , steigt dramatisch. In Somalia beispielsweise nahm durch die Pandemie die Zahl der weiblichen Genitalverstümmelungen um 31 % zu(Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen) erlitten haben.

Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung

Die Ursachen für all diese Verschlechterungen müssen im Kontext der kapitalistischen Produktionsweise und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung betrachtet werden, bei der die Frau auf die Tätigkeit in der sogenannten Reproduktionsarbeit fixiert ist, auf Aufgaben zur Erhaltung des unmittelbaren Lebens wie Kindererziehung, Pflege von Familienangehörigen oder Hausarbeit im privaten Umfeld. In den allermeisten Fällen handelt es sich hierbei um unbezahlte und aus Sicht des Kapitals unproduktive Arbeit, da sie keinen Mehrwert generiert. Demgegenüber übernimmt der Mann die produktiven Arbeiten. Mit Entstehung der bürgerlichen Familie als Norm, welche sowohl ideologisch als auch repressiv gegenüber anderen modernen Formen durchgesetzt und verteidigt wird, reproduziert sich die eben angesprochene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung bis heute weiter.

Der Kapitalismus hat sich diese lange vorher existierende zunutze gemacht, indem der Mann einen sogenannten „Familienlohn“ erhält und die Frau quasi als „Zuverdienerin“ das familiäre Haushaltsvermögen aufstockt. Dies erklärt den weiterhin herrschenden Lohnunterschied (Gender Pay Gap) zwischen Männern und Frauen. Global betrachtet stimmt dieses Modell schon lange nicht mehr mit der Realität überein. In vielen Fällen ist nämlich die Frau mittlerweile Hauptverdienerin und ein Lohn oft nicht ausreichend, um das Überleben der Familie zu sichern. Dennoch trägt auch dieser Umstand weiterhin zur Festigung der bürgerlichen Familie und der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung bei.

Reserve

Denn Frauen werden von Kapitalist:innen als sogenannte Reservearmee gesehen, was auch ihre stärkere Betroffenheit in Krisenzeiten erklärt. Sie besteht aus Menschen, die in konjunkturell starken Phasen eingestellt und in Krisenzeiten wieder schnell entlassen werden können. Dann wird auch gerne die Reproduktionsarbeit aus Kostengründen zurück ins private Umfeld und somit unentgeltlich verlagert. Dadurch entsteht wiederum eine stärkere Doppelbelastung aus Erwerbs- und Sorgearbeit für Frauen. Einher geht auch eine zunehmende Abhängigkeit vom Partner, was es oftmals unmöglich macht, diesen Rollen zu entkommen. Auch in der Pandemie ist dieser Rollback deutlich zu sehen.

Diese veralteten Rollenbilder reproduzieren und verstärken eine Spaltung zwischen Mann und Frau zugunsten des Kapitals. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Frauen härter von den Folgen der Pandemie betroffen sind. Deshalb darf ihre Lage nicht losgelöst vom kapitalistischen System betrachtet werden, in dem wir uns befinden. Ein System, das von der Ausbeutung profitiert, kann niemals die Lösung für eben jene Problematik liefern. Denn für Marxist:innen handelt es sich beim Kapitalismus nicht nur um ein Produktions-, sondern ein Gesellschaftssystem, welches alle Lebensbereiche durchdringt und unser Denken und Handeln bestimmt. Das ist klar erkennbar in den Geschlechterrollen, die uns zugeschrieben, uns anerzogen werden und sich dadurch weiter reproduzieren.

Wofür kämpfen?

Da in einem System, das auf Ausbeutung beruht, keine Geschlechtergerechtigkeit möglich ist muss der Kampf um Verbesserungen als Teil eines umfassenderen um vollständige Befreiung verstanden werden. Er muss international organisiert sein und mit dem gegen den Kapitalismus verknüpft werden. Selbst wenn sich die Lage der Frau von Land zu Land deutlich unterscheidet, müssen einige Forderungen international aufgestellt werden.

Wir fordern gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit und einen Mindestlohn, der zum Überleben reicht. Die Abschaffung des informellen Sektors muss auf die Tagesordnung gesetzt werden. Solche und andere prekäre Arbeitsverhältnisse müssen durch Einführung von Tariflöhnen und Kollektivverträgen verschwinden, die Beschäftigten voll in solche „Normalarbeitsverhältnisse“ integriert werden. Die Kontrolle über die Umsetzung dieser Maßnahmen und die Sicherung der Gehälter muss in der Hand der Arbeiter:innenklasse und der Gewerkschaften liegen. In einer Pandemie wie dieser ist es auch wichtig, einen Entlassungsstopp und bei Schließungen ganzer Branchen die Auszahlung voller Löhne zu fordern. Außerdem brauchen wir einen weitläufigen Ausbau des Gesundheitssystems, der Altersvorsorge, von Kitas und Schulen als Teil eines Programms gesellschaftlich nützlicher Arbeiten unter Kontrolle der Lohnabhängigen, bezahlt aus den Profiten der Unternehmen.

Um Frauen vor psychischer und physischer Gewalt zu schützen, bedarf es dringend des Ausbaus von Schutzräumen und von Selbstverteidigungsstrukturen. Wir fordern ebenso eine rechtliche Gleichheit und ein Recht auf Scheidung sowie auf sichere, durch Krankenkassen bzw. den Staat bezahlte Abtreibung und körperliche Selbstbestimmung. Auch der kostenlose Zugang zu Verhütungsmitteln, Aufklärung und medizinischer Versorgung muss gewährleistet sein.

Der Kampf gegen die Folgen von Pandemie und Krise, von denen lohnabhängige Frauen besonders hart getroffen werden, hat aber auch zu vielen Abwehrkämpfen und Bewegungen geführt, wo Arbeiterinnen an vorderster Front standen. Diese zeigen, dass Frauen nicht in erster Linie Opfer und Betroffene, sondern vor allem Kämpferinnen sind. Die Frauen*streiks der letzten Jahre, die Bewegungen im Gesundheitssektor und Frauen, die in Afghanistan unter extremen Bedingungen ihre Rechte verteidigen – sie alle zeigen, dass vor unseren Augen auch die Basis für eine neue internationale proletarische Frauenbewegung entsteht.

Lasst uns gemeinsam für die Abschaffung des Kapitalismus und für eine vollständige Frauenbefreiung kämpfen! Für den Aufbau einer internationalen, proletarischen Frauenbewegung!




Kanada: „Freiheitskonvois“ als rechtsradikales Straßentheater

Andy Yorke, Infomail 1182, 16. März 2022

Die „Antiimpfbewegung“ nahm Anfang des Jahres mit dem Start des „Freiheitskonvois“ in Kanada eine neue Wendung, ausgelöst durch eine neue gesetzliche Verpflichtung, die ungeimpfte Frächter:innen (weniger als 15 Prozent) ab dem 15. Januar für zwei Wochen in Quarantäne stellte.

Die liberale Regierung von Justin Trudeau sah sich zum Handeln gezwungen, da in den ersten 40 Tagen von Omikron mehr Fälle auftraten als im gesamten Jahr 2020, eine Rekordzahl von Krankenhausaufenthalten zu verzeichnen war und die Zahl der Todesfälle stark anstieg.

Weniger als eine Woche später machte sich ein „Freiheitskonvoi“ von Antiimpf-Trucker:innen von Vancouver an der Westküste Kanadas aus auf den Weg in die Hauptstadt Ottawa, um das Parlament zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben war. Als der Konvoi nach Osten fuhr, kamen Unterstützung und Geld herein, mit 5,5 Millionen Dollar an Solispenden. Die Bewegung entwickelte sich zu einem Protest gegen alle Beschränkungen wegen Covid oder, für einige, zum Sturz der Regierung Trudeau.

Bis zu 3.000 Schwerlaster und andere Fahrzeuge sowie 15.000 Demonstrant:innen legten Ottawa ab dem 28. Januar lahm, bevor sich Hunderte von Lastwagen und ihre Anhänger:innen niederließen, um das Parlament für die nächsten drei Wochen zu umzingeln.

Die Bewegung blockierte auch mehrere Grenzübergänge, wobei sich zu den Lastwagenfahrer:innen ebenfalls die Traktoren, Kleinlastwagen und Autos der UnterstützerInnen gesellten. Sechs Tage lang war die Ambassadorbrücke zwischen Kanada und Detroit (USA) blockiert, über die ein Viertel des gesamten Güterverkehrs zwischen den beiden Ländern im Wert von bis zu 400 Millionen Dollar pro Tag abgewickelt wird.

Unter dem massiven Druck der Wirtschaft berief sich Trudeau am 14. Februar auf das Notstandsgesetz, das es der Polizei erlaubt, Protestler:innen zu verhaften, Geld- und Haftstrafen zu verhängen, LKW-Fahrerlizenzen auszusetzen und Fahrzeuge zu beschlagnahmen sowie Bankkonten von Einzelpersonen und Einlagen aus Finanzierungskampagnen einzufrieren. Am 18. Februar fand in Ottawa eine groß angelegte Polizeiaktion statt, bei der mindestens 191 Personen verhaftet und zahlreiche Fahrzeuge abgeschleppt und beschlagnahmt wurden.

Sozialist:innen sollten repressive Gesetze oder deren Anwendung durch den kapitalistischen Staat nicht unterstützen, da diese immer mit zehnmal mehr Gewalt gegen die Linke eingesetzt werden. Aber in Wirklichkeit ermutigte das sanfte Vorgehen der örtlichen Polizei gegen die Trucker:innen, wobei einige Polizist:innen offen mit ihrer Sache sympathisierten, den Protest, während die Regierung wochenlang nichts unternahm.

Und das, obwohl Umfragen zeigten, dass eine solide Mehrheit der Kanadier:innen gegen die Proteste war, auch wenn viele angesichts der schlechten Arbeitsbedingungen und schlechten Bezahlung der meisten Fahrer:innen anfangs mit einigen ihrer Ziele sympathisierten.

Am 13. Februar gingen die Einwohner:innen von Ottawa gegen die Schließung ihrer Stadt und ihrer Lebensgrundlage vor und schüchterten Gruppen von Blockierer:innen ein. Bis zu 1.000 Anwohner:innen umzingelten stundenlang einen Konvoi, der in Richtung Parliament Hill unterwegs war, bevor sie die Autos und Kleintransporter in die Flucht schlugen, denen sie ihre Flaggen und Aufkleber des Freiheitskonvois abnahmen.

Ein Aktivist der Gemeindesolidarität Ottawa (CSO), der auch lokale Gewerkschaften angehören, erklärte: „Wir sind ernsthaft besorgt darüber, wie die Regierungen mit der Pandemie umgegangen sind, aber wir lehnen es ab, wie die extreme Rechte diese Unzufriedenheit mobilisiert. Wir bauen eine Bewegung der Arbeiter:innenklasse auf, die unsere Gemeinschaften und unsere Rechte verteidigen kann.“

Zweifellos war die Bedrohung durch eine Arbeiter:innenbewegung, die sich der extremen Rechten entgegenstellt und arbeiter:innenfreundliche Maßnahmen gegen Covid-19 fordert, mitverantwortlich für Trudeaus Entscheidung, endlich zu handeln.

Jetzt machen sich Freiheitskonvois in anderen Ländern auf den Weg, da die in den „sozialen Medien“ vernetzte Antiimpfbewegung diese Taktik in Frankreich, Neuseeland und nun auch in den USA kopiert hat. Ein Konvoi verlässt Kalifornien, um Washington DC rechtzeitig zu Bidens Rede zur Lage der Nation am 1. März zu erreichen. Aktivist:innen sollten dem Beispiel der CSO und der Gegendemonstrant:innen in Ottawa folgen.

Kleinbürgerliche Reaktion

Zu dem Konvoi gehörten einige Lastwagen mit Konföderierten- oder sogar Naziflaggen (die Protestierenden behaupteten, letztere seien gegen die Regierung gerichtet). Die kanadische antirassistische Gruppe AntiHate hat dokumentiert, dass die Rechtsextremen den Kern des Konvois bilden, nicht seine Ränder. James Bauder, der Gründer von Canada Unity, dem Dachverband rechtsextremer Organisationen, der den Konvoi ins Leben gerufen hat, unterstützt die QAnon-Verschwörungstheorie und behauptet, Covid-19 sei „der größte Betrug der Geschichte“.

Sprecher Benjamin J. Dichter kandidierte für die Konservative Partei gegen die „zunehmende Islamisierung Kanadas“. Bei der Blockade des Grenzübergangs nach Montana (USA), Coutts in Alberta, nahm die Polizei 13 Personen im Zusammenhang mit einem großen Waffenlager mit dem faschistischen „Diagonalsymbol“ fest. Es überrascht nicht, dass Donald Trump, Tucker Carlson von Fox News und viele Politiker:innen der republikanischen Partei in den USA den Konvoi unterstützt haben. Die rechten Unterstützer:innen aus der Mittelschicht sind ihre Zielwähler:innen.

Die „Freiheitskonvois“ gehören weder zur Arbeiter:innenklasse noch sind sie fortschrittlich. Bei den großen Lastwagen handelt es sich meist um Eigentümer:innen und Kleinunternehmer:innen, während die Traktoren Landwirt:innen repräsentieren. Einige Arbeiter:innen mögen zwar in den Kleintransportern, Geländewagen und anderen Fahrzeugen gekommen sein, aber als Einzelpersonen, die für eine rechtsextreme Kampagne mobilisiert wurden. Zwar sollte niemand entlassen werden, weil er nicht geimpft ist, doch ist es reaktionär, mitten in einer weltweiten Pandemie die Covid-Kontrollen abschaffen zu wollen.

Populistische Bewegungen, ob links oder rechts, werden immer legitime Themen aufwerfen (wie die Entlassung von Ungeimpften), die einige Arbeiter:innen anziehen. Anstatt sich auf diese Bewegungen zu konzentrieren, sollten die Sozialist:innen darauf drängen, dass die Gewerkschaftsbewegung, die in der Pandemie zu passiv war, wenn es um proletarische Klassenfragen ging, aktiv wird.

Das wird sich als wesentlich erweisen, wenn wir von einer Pandemie zu einer Spar- und Lebenshaltungskostenkrise übergehen, was der Linken die Möglichkeit gibt, der extremen Rechten die Initiative zu entreißen und die Arbeiter:innenklasse in einem Kampf zur Verteidigung unseres Lebensstandards zu vereinen.




Corona-Demos in Österreich: Neue alte Rechte in der Pandemie

Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1178, 15. Februar 2022

Seit einigen Wochen gibt es wieder regelmäßige Massendemonstrationen auf den Straßen Wiens. Demonstriert wird gegen allerlei Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Die Impf- wird ebenso abgelehnt wie die Maskenpflicht, vorgeschriebene Testungen im Zuge der 3G-Regel am Arbeitsplatz oder aber auch unterschiedliche Ausformungen des Lockdowns. Die Stimmung der Teilnehmer:innen schwankt zwischen einem Leugnen der Pandemie und der Sorge über die Einschränkung der persönlichen Freiheit. Auf dem Höhepunkt erreichten die Mobilisierungen eine Stärke von an die 50.000 Menschen.

Im Wesentlichen werden die Demonstrationen von einigen „prominenten“ Persönlichkeiten der „corona-kritischen“ Szene organisiert. Die Hauptstützen haben sich seit den Demonstrationen im letzten Winter – als eine gesetzliche Impfpflicht noch bei weitem nicht ins Haus stand – nicht wesentlich geändert. Zu nennen sind beispielsweise der weit rechts stehende Martin Rutter oder auch Hannes Brejcha. Der entscheidende Unterschied zu letztem Winter ist aber, dass sich die FPÖ – jetzt geführt von Herbert Kickl – aktiv in die Mobilisierungen einbringt und organisatorisch führend auftritt. Sorgte damals seine Unterstützung für die Demonstrationen noch für Unmut in der FPÖ, steht die Partei nun zumindest nach außen nahezu geschlossen hinter der neuen Linie. Organisatorisch steht hinter den corona-skeptischen Demonstrationen also ein rechtes Spektrum, das von der FPÖ über einzelne weit rechts stehende Einzelpersonen und die faschistischen Identitären bis hin zu Neonazis (Gottfried Küssel und Co.) und Nazi-Hooligans aus der Fußballszene reicht. Daneben gibt es auch eine sehr große Anzahl an nicht-ideologischen Menschen auf der Straße, aber diese sind entweder politisch nach rechts offen oder legen bewusste Ignoranz der Tatsachen an den Tag.

Was die soziale Zusammensetzung der Demonstrationen betrifft, ist vor allem eines sehr auffällig. In Wien kommt die große Mehrheit der Menschen immer aus den Bundesländern (teilweise auch aus dem Ausland) angereist. Es liegen dazu zwar keine wissenschaftlich erfassten Zahlen vor, aber diese Tatsache ist aus den vielen Bundesländerfahnen auf den Demos ersichtlich, den Reaktionen der Demonstrationsteilnehmer:innen auf Redner:innen („Wo sind die Wiener?“) sowie insbesondere aus den Erfahrungen regionaler Mobilisierungen. So riefen etwa am 1.12.2021 diverse Vertreter:innen der Bewegung zum „Warnstreik“ gegen die Maßnahmen auf. Dabei gab es Mobilisierungen in den diversen Landeshauptstädten. Die größten davon waren in Linz (1.500 – 2.000), Graz (bis zu 1.500) und Innsbruck (1.500). In Wien waren es hingegen nur „einige Hundert“ (orf.at).

Die politische Richtung, in die sich die Demonstrationen seit mehr als einem Jahr entwickeln, ist ganz eindeutig nach rechts. Die Impfpflicht wird abgelehnt, aber nicht weil die Umsetzung der Bundesregierung sozial ungerecht ist, sondern aus einer individualistischen, chauvinistischen und wissenschaftsfeindlichen Haltung heraus. Die mehr als zehntausend Todesopfer der Pandemie alleine in Österreich werden entweder relativiert bzw. geleugnet oder damit gerechtfertigt, dass es „eh nur“ alte bzw. schon vorher kranke Leute betroffen hätte. International reiht sich die Bewegung in Österreich ganz klar in Mobilisierungen der Rechten in Deutschland oder den USA mit den dazugehörigen Verschwörungsmythen ein.

Als Linke muss man dieser Bewegung zweierlei entgegensetzen. Einerseits braucht es klare Gegenmobilisierungen auf der Straße, damit Faschist:innen nicht ungehindert dort die Oberhoheit  übernehmen und zur physischen Bedrohung werden. Andererseits ist der Regierungspolitik eine brauchbare linke Alternative entgegenzustellen und sichtbar zu machen. Anstatt rechtzeitig wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Pandemie zu treffen und die Menschen dabei sozial und gesundheitlich abzusichern, wird nämlich leider lieber der Profit für den Wintertourismus gesichert und die Durchseuchung der Gesellschaft forciert.




Corona: Sicher die Welle zu Ende reiten?

Christian Gebhardt, Neue Internationale 262, Februar 2022

Die Omikronwelle ist angekommen. Eine Rekordzahl jagt die nächste! Ende Januar wurden über 200.000 Neuinfektionen an einem Tag registriert und die Kurve zeigt immer noch steil nach oben. Laut ExpertInnen und Gesundheitsminister Lauterbach können wir noch von einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen auf 400.000 + ausgehen.

Diese Zahlen sind beängstigend, vor allem wenn sie mit den bisherigen verglichen werden. Gleichzeitig versuchen die Sprachrohre der Regierung – namentlich der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI), Wieler, und Lauterbach -, den Eindruck zu erwecken, die Infektionslage sei unter Kontrolle: Ende Februar sei davon auszugehen, dass mit den ersten Lockerungen begonnen werden könne.

Alles unter Kontrolle?

Wenn wir diese Aussage analysieren, müssen wir die derzeitige Situation unter dem Blickwinkel der bisher angewandten Methode der Pandemiebekämpfung betrachten: die „Flatten the curve“-Strategie. Bei dieser wird versucht, die Infektionszahlen so gering wie möglich zu halten, so dass es im Gesundheitssystem nicht zu einer Überlastung und damit einhergehend zu erhöhten Todesfällen oder gar zur Situation der Triage kommt. Infektionen sind somit per se eingerechnet. Es ist nur wichtig, den aktuell passenden Mittelweg zu finden, um die Krankenhäuser nicht überlaufen zu lassen, das wirtschaftliche Leben am Laufen und gleichzeitig die Todeszahlen unter Kontrolle zu halten.

Dies scheint den Verantwortlichen bisher in der Omikronwelle zu gelingen. Die Zahlen sind zwar um ein Vielfaches höher als die der vorherigen Höhepunkte, steigen auf den Intensivstationen jedoch noch nicht an. Ob dies so bleibt, muss abgewartet werden, aber auf dem Papier hat sich die Strategie bisher bewahrheitet. Dies liegt aber nicht an einem angeblich vorausschauenden Handeln der Regierenden, sondern schlicht und allein daran, dass wir derzeit das Glück haben, es mit einer vermeintlich milderen Virusvariante zu tun zu haben. Omikron ist zwar leichter übertragbar und besitzt auch eine erhöhte Fähigkeit, den Impfschutz zu umgehen, führt aber in den meisten Fällen zu einem leichten Infekt. Hier ist aber wichtig festzuhalten, dass dies meist nur auf geimpfte Personen zutrifft und bei ungeimpften weiterhin mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einen schweren Krankheitsverlauf annehmen kann.

Ein weiterer Punkt, den die Verantwortlichen für die eingeschlagene Strategie gerne vernachlässigen, ist Häufigkeit und Umgang mit den Langzeitfolgen nach einer Coronainfektion. Studien zufolge leiden rund 10 % aller Menschen danach an Long Covid. Hier ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es sich um 10 % aller Infizierten handelt und nicht nur der schwer Erkrankten. Somit kommen derzeit täglich 18.000 – 20.000 Long-Covid-PatientInnen pro Tag hinzu. Wie schwerwiegend und langwierig deren Symptome ausfallen werden, ist derzeit noch nicht genau abzusehen. Dennoch ist es unverantwortlich, dies in der Bewertung der „Flatten the curve“-Strategie außer Acht zu lassen – und das lässt dann die Bewertung des bisherigen Vorgehens in einem weniger guten Licht erscheinen.

Nimmt man noch zusätzlich die derzeit mehr oder wenig offene Durchseuchung der Schul- und Kitakinder mit dazu, dann scheint es, weniger ein Erfolgskonzept für die Allgemeinheit als für die Wirtschaft darzustellen. Diese kann durch die derzeitigen Regeln nicht nur ihre Produktion offener gestalten als in den bisherigen Wellen, sondern auch die Pandemiesituation dahingehend nutzen, um nicht nur Hilfsleistungen zu erbitten bzw. zu verlangen, sondern auch die wirtschaftlichen Krisenerscheinungen auf die Coronapandemie zu schieben.

Strategien

Der „Flatten the curve“ sowie der „Durchseuchungsstrategie“ wird weiterhin die von No oder Zero Covid entgegengehalten. Auch wenn diese hier in Europa zur Zeit als eine einer kleinen, linken Minderheit oder verschreckter Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, angesehen wird, gibt es auch große Volkswirtschaften, die sie anwenden. Daher findet diese Debatte nicht nur in Europa statt, sondern auch auf internationaler Ebene.

Stellten in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande lange Länder wie Australien und Neuseeland die Gesichter der „No Covid“-Strategie dar, ist es nach deren Abkehr von dieser weiterhin China, das sie am deutlichsten verfolgt, um im Kampf gegen Omikron erfolgreich zu bestehen. Millionenstädte werden nur wegen einiger weniger positiv getesteter Personen in den Volllockdown geschickt, dort Massentests durchgeführt. Auch wenn gerne die bald startende Winterolympiade 2022 in Peking als Grund des harten Durchgreifens vorgeschoben wird, dient dies doch nur der Ablenkung von der eigentlich stattfindenden Strategiedebatte. China beweist in der Omikronwelle – wie auch in denen davor -, dass es in einem stark bevölkerten Land möglich ist, nicht nur die Infektionsfälle, sondern auch die Todeszahlen niedrig zu halten. Während in den westlichen imperialistischen Zentren oder in Russland jeweils Hunderttausende verstarben, konnte es seine Todeszahlen auf wenige Tausend eingrenzen. Auch wenn einzelne Angaben der chinesischen Regierung zweifelhaft und ein Teil ihrer Maßnahmen durchaus kritikwürdig sind, so liefern diese Zahlen bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden auch einen starken Beweis dafür, wie effektiv eine No-Covid-Strategie sein kann und Millionen Tote hätten weltweit verhindert werden können.

Traut man den chinesischen Zahlen jedoch nicht, kann man sich auch die der Übersterblichkeit in Deutschland im Vergleich zu Australien und Neuseeland anschauen. Die BRD weist eine stärkere als diese beiden Länder auf.

Kurzfristige Profitinteressen

Auch wenn die Zahlen für sich sprechen, galt und gilt eine Strategie, die Ausbreitung des Virus an sich zu bekämpfen, in Deutschland immer als rein utopisch. Das liegt aber nicht nur daran, dass sie mit starken Einschränkungen, Lockdowns und autoritären Methoden verbunden wird. Sie wird auch vor allem von der Wirtschaft gefürchtet. Im internationalen Wettkampf möchte diese keine weiteren starken Lockdowns riskieren, besitzt eine Nationalökonomie im internationalen Wettbewerb doch deutliche Vorteile gegenüber Volkswirtschaften, die in einen stärkeren und lang anhaltenden Lockdown gehen. Die  verschärfte Weltmarktkonkurrenz hat nun auch in den letzten Monaten dazu geführt, dass einige Länder von ihrer bisherigen Strategie abgerückt sind.

China scheint hier eines der wenigen verbliebenen zu sein. Aufgrund seiner enormen Bedeutung für Weltwirtschaft und globale Lieferketten beunruhigt dies auch die hiesigen Kapitale und Regierungen. Ein harter Lockdown gemäß dieser Strategie führt nicht nur zu einem Herunterfahren der Wirtschaftsleistung Chinas, sondern auch zu einer Behinderung der wirtschaftlichen Prozesse in Europa. Eine offensive Stimmungsmache gegen eine No-Covid-Strategie ist somit nicht nur dadurch zu erklären, dass die hiesige Bourgeoisie einen neuen Lockdown fürchtet, sondern auch dahingehend, dass sie China zu einem Strategiewechsel bringen möchte. Somit will sie ihm auch gleich die Schuld dafür in die Schuhe schieben, dass die deutsche und andere Ökonomien nicht mit dem von Olaf Scholz einst versprochenen „Wums“ aus der Krise kommen.

Nullpunkt

Im Grunde befindet sich jedoch die Coronapolitik der Bundesregierung auf dem Nullpunkt. Sie setzt auf eine Mischung aus Impfung und rascher Durchseuchung durch Omikron, damit die Pandemie so „mild“ verläuft, dass nicht zu viele gleichzeitig krank, die Intensivstationen nicht überlastet werden und das kaputtgesparte Gesundheitssystem über die Runden kommt.

Alle bereits vor zwei Jahren offenbar gewordenen Probleme – Personal- und Geldmangel im Gesundheitssystem, fehlende Schutzeinrichtungen für Schulen und Kitas usw. usf. – wurden faktisch nicht behoben. Mit der raschen Entwicklung von Vakzinen erschien die Seuche nur noch als Impfproblem.

Dabei war und ist absehbar, dass sie auch mit Omikron nicht vorüber sein wird, weil weitere Mutationen folgen werden. Ob diese weniger tödlich bleiben, ist fraglich. Die langfristigen Folgen von Long Covid werden gänzlich ausgeblendet. Vor allem aber fällt einmal mehr die globale Dimension der Pandemie unter den Tisch. Für zahlreiche Länder, deren Gesundheitssysteme keine Unterstützung finden, stehen bis heute keine oder viel zu wenige Impfstoffe zur Verfügung stehen, während Konzerne wie Pfizer-   BioNtech Milliarden scheffeln, stellt anscheinend kein Problem dar.

Genau dieser Aberwitz ist ein entscheidender Grund, warum die QuerdenkerInnenbewegung als politische Alternative zur Regierung erscheinen kann. Natürlich repräsentiert diese zur Zeit nur eine Minderheit, bringt aber wöchentlich Zehntausende bundesweit auf die Straße.

Die deutsche wie auch die radikale Linke hingegen hat dem Thema entweder den Rücken zugekehrt und hofft darauf, dass die Pandemie bald vorbei ist, um sich endlich wieder mit „richtigen“ Themen beschäftigen zu können. Dies war von Beginn an und ist auch heute noch leider ein folgenreicher Trugschluss. Sie wie auch ihre Auswirkungen werden uns nicht einfach von heute auf morgen verlassen. Vielmehr wirken sie als Katalysatoren der stärker werdenden Krisentendenzen des kapitalistischen Systems.

Zugleich kann und muss jedoch in dieser Situation sehr eindrucksvoll und effektiv für die Vorzüge einer Plan- gegenüber der Anarchie einer Marktwirtschaft argumentiert werden. All diese Vorteile wie auch Möglichkeiten gibt jedoch die Linke aus der Hand, da sie sich des Themas nicht annehmen möchte.

Bundesweite Bewegung notwendig

Notwendig wäre der Aufbau einer Bewegung, die sich auf Mobilisierungen auf der Straße, in Betrieben, an Schulen und Universitäten stützt. Hier sollten die Organisationen der ArbeiterInnenbewegung vorangehen und Aktionskomitees in Betrieben, Ausbildungsplätzen, Bezirken und Stadtteilen aufbauen, um die Mobilisierung nicht nur in die Breite zu streuen, sondern auch effektiv an der Basis die Argumente der QuerdenkerInnen zu kontern.

Einen Ansatz für eine solche Bewegung können die vereinzelten Gegenproteste gegen die „Spaziergänge“ bilden wie auch die Maßnahmen von SchülerInnen und Elternvertretungen, die sich gegen die Pandemiepolitik in den Bildungseinrichtungen zur Wehr setzen möchten. Einer solchen Bewegung würden wir auch vorschlagen, sich eindeutig kritisch gegenüber der derzeitigen Politik der Bundesregierung zu äußern und für eine klare Perspektive im Sinne einer internationalen Zero-Covid-Strategie wie die der Kampagne #ZeroCovid zu positionieren.

  • Koordinierte, internationale Impfkampagne, Freigabe der Patente und weiterer Forschungsergebnisse, Offenlegung und Kontrolle der Impfstoffforschung und -produktionsabläufe!
  • Enteignung der ImpfstoffproduzentInnen und Pharmaindustrie unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine breit angelegte Impfkampagne, kontrolliert durch die Lohnabhängigen in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln! Sicherstellung flächendeckender, kostenloser Tests (auch PCR-Tests)! Aufklärungskampagne zu Impfrisiken und -vorteilen durch Gewerkschaften und Organisationen der ArbeiterInnenklasse in den Betrieben!
  • Milliarden für das Gesundheitssystem, Einstellung von 100.000 fehlenden Beschäftigten!
  • Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und Kontrolle der Arbeitsbedingungen durch Ausschüsse der Beschäftigten!
  • Vollständige Lohnfortzahlung und Sicherung der Einkommen für alle, die in Quarantäne gehen müssen!
  • Festlegung, ob und welche Schulen, Kitas, Betriebe geschlossen werden müssen, durch Gewerkschaften und Beschäftigte!



ImpfgegnerInnen: Von wegen körperliches Selbstbestimmungsrecht!

Leo Drais, Neue Internationale 2022, Februar 2022

Ende Januar 2022 liegt die Impfquote der gegen Corona durchgeimpften Menschen in Deutschland bei ungefähr 73 %. Mehr als 25 % der impftauglichen Bevölkerung und über 3 Millionen der über Sechzigjährigen – Menschen mit erhöhtem Risiko, schwer an Covid zu erkranken – sind ungeimpft. Ein bedeutender Teil der nicht geimpften Erwachsenen sind bewusst Ungeimpfte – nach rund einem Jahr Impfkampagne fehlt es zwar noch immer an Information für Teile der Bevölkerung, aber das trifft auf die Mehrzahl der ImpfgnerInnen nicht zu. Sie haben sich entschieden, obwohl die Gesundheitsrisiken bei einer Impfung nachweislich gering sind.

Das drückt sich auch in Zahlen aus. Laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) sind bis November 2021 in der Bundesrepublik 123.347.849 Corona-Impfungen verabreicht worden. In 0,16 Prozent der Fälle wurden relevante Nebenwirkungen gemeldet, in gerade mal 0,02 Prozent (26.196) der Fälle schwerwiegende. In 78 Einzelfällen spricht das PEI davon, dass Menschen wahrscheinlich ursächlich an einer Impfreaktion verstorben sind. Natürlich ist das tragisch, für Einzelne gilt Statistik nicht. Vom Standpunkt der gesamten Gesellschaft aus betrachtet, wo definitiv Tausenden das Leben durch eine Impfung gerettet wurde, gleicht sich das Risiko jedoch mehr als aus. Schließlich war der Großteil der IntensivpatientInnen in den letzten Monaten ungeimpft. Abertausende Impftote sind also ein hysterisch erlogener Fake.

Im Folgenden wollen wir uns nicht mit einer möglichen Impfpflicht, wohl aber mit dem Argument auseinandersetzen, dass diese gegen das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper verstoße und daher ganz grundsätzlich abzulehnen sei.

Kollektiver Schutz oder individuelle Entscheidung?

Impfungen werden dabei zwar als ein Mittel des individuellen Gesundheitsschutzes, der „freien Entscheidung“ anerkannt, dass sie jedoch ein gesellschaftlich-allgemeines Ziel verfolgen, nämlich den Gesundheitsschutz insgesamt zu erhöhen, fällt bei dem „grundsätzlichen“ Beharren auf das Selbstbestimmungsrecht unter den Tisch.

Dabei ist die Sache recht einfach. Eine Bevölkerung impft sich gegen ein gefährliches (tödliches) Virus. Sie nimmt dabei unvermeidlich auch das Risiko in Kauf, dass Einzelne einen Impfschaden erleiden. Im Kapitalismus, einer Gesellschaft, die sich in der verallgemeinerten Konkurrenz verwirklicht, beginnen hier aber auch schon die Probleme.

Ideeller Gesamtkapitalist

Erstens, weil es in der Politik der BRD von Beginn an darum ging, nicht für den bestmöglichen Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu sorgen, sondern darum, das Infektionsgeschehen irgendwie in eine Bahn zu  bugsieren, die dem deutschen Finanzkapital möglichst erträglich ist und gewissem politischen Kalkül folgt. Die bürgerliche Politik richtet sich nach dem individuellen Interesse einer Klasse. Das setzt sich auch beim Impfschutz fort.

Die Motivation jedes kapitalistischen Staates ist dabei nicht zuerst, bald wieder ein kulturelles Leben zu ermöglichen (das steht vielleicht an zweiter Stelle), sondern den Unternehmen arbeitsfähige Arbeitskräfte bereitzustellen. Impfungen bilden dabei für das Kapital im Vergleich zu hohen Zahlen schwerer Erkrankungen und des Ausfalls von Arbeitskräften sogar relativ kostengünstige Formen der Gesundheitsvorsorge, z. B. verglichen mit dem Ausbau von Krankenhäusern.

Die Tatsache, dass auch der Staat als ideeller Gesamtkapitalist und das Gesamtkapital an einer verfügbaren, also auch arbeitsfähigen ArbeiterInnenklasse interessiert sind, heißt freilich keineswegs, dass die einzelnen Kapitale oder selbst der Staat immer konkret in der Lage oder willig sind, das zu organisieren. Schließlich ist jede Form der Gesundheitsvorsorge vom Standpunkt einzelner Kapitale auch ein Abzug vom (möglichen) Profit, erscheint als überschüssige Kosten, die am besten einzusparen sind – wie man ja auch am Kaputtsparen der Krankenhäuser oder am Impfnationalismus sehen kann.

Die Tatsache, dass das Kapital gesunde Arbeitskräfte, also solche die auch einen Gebrauchswert haben, benötigt, heißt freilich nicht, dass der ArbeiterInnenklasse selbst die eigene Gesundheit egal sein kann oder ist. Genauso wie die Lohnabhängigen ein Interesse am Arbeitsschutz haben, obwohl dieser auch bedeutet, dass der Produktionsprozess reibungsloser ablaufen kann und die Arbeitskraft als Ware erhalten bleibt, hat die ArbeiterInnenklasse ein kollektives Interesse an möglichst wirksamen Maßnahmen. Auf die Bekämpfung einer Pandemie bezogen, schließt das einen Ausbau der medizinischen Versorgung, massive Neueinstellungen ebenso ein wie einen effektiven Impfschutz. Obwohl dieser (wie jede Form der Gesundheitsvorsorge) unter wirtschaftsorientierten Prämisse stattfindet, heißt das daher nicht, dass Impfungen an sich abzulehnen sind.

KleinbürgerInnentum

Zweitens stößt der Kollektivgedanke im Kapitalismus sowieso schnell an Grenzen, weil sich im Wettbewerb erst mal jede/r selbst am nächsten ist und somit zum Individualismus getrieben wird.  Besonders betroffen ist davon das KleinbürgerInnentum, das mit seiner kleinen eigenständigen Existenz zwischen ArbeiterInnenklasse und Kapital glaubt, es wäre seines eigenen Glückes Schmied. Pandemie und Krise sind diesem Glück nun in die Quere gekommen, eben auch, weil sowohl Merkel als auch Scholz darum bemüht waren, Lufthansa und Co. die Lasten der Krise zu nehmen und sie der breiten Bevölkerung aufzuladen. FriseurInnen und Restaurants mussten zurückstecken und schließen, als VW und die anderen Großkapitale in der Krise gestützt und geschützt wurden.

Dementsprechend war und ist das KleinbürgerInnentum die Speerspitze nicht nur der Coronaleugnung, sondern auch ihrer logischen Fortsetzung – der ImpfgegnerInnenschaft -, welche zudem bis ins tiefste rechte Lager reichen. Blind wäre es natürlich, das nur so zu sehen. Jahrzehntelange Niederlagen im Klassenkampf, reformistische Vormachtstellung und serviles, eigennütziges Nachlaufen der Gewerkschaftsführungen, LINKEN und SPD hinter den Bossen (gerade in der Pandemie) haben das Klassenbewusstsein von bedeutenden Teilen der ArbeiterInnenklasse erodiert, zersetzt und diese für Wirrwarr und Geschwurbel empfänglicher gemacht.

Wissenschaft, Irrationalismus und Psyche

Natürlich ist nicht jede/r ImpfgegnerIn ein/e CoronaleugnerIn. Das Spektrum ist fließend und ein sehr breites – von schulterzuckender Gleichgültigkeit („Wird schon nicht so schlimm sein“) über chronischen Wissenschaftsskeptizismus („Ob der Impfstoff wirklich sicher ist und was bringt?“) bis hin zu bizarren, panischen Verschwörungstheorien („Impfen bewirkt Massensterben!“), wobei insbesondere jene antisemitischen VerkleistererInnen gefährlich und überaus ekelhaft sind, die sich einen Judenstern mit der Aufschrift „ungeimpft“ ans Revers heften, was nichts anderes als eine Verharmlosung der Shoah ist.

Während der Bundestagsdebatte am 26. Januar demonstrierten etwa 2.000 gegen die Impfpflicht, jede Woche finden Dutzende solcher Demos im gesamten Land statt. Vereint werden die „SpaziergängerInnen“ durch einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Irrationalismus, was stets wissenschaftsfeindlich und auf bestimmte Weise realitätsverneinend geraten muss.

Denn grob gesagt hat das vereinzelte Individuum zwei Möglichkeiten, mit der Pandemie und der Krise psychisch fertig zu werden: Entweder es erkennt die Realität mit ihren Widersprüchen an und hält diese aus, z. B. indem es einsieht, dass Impfungen schützen, obwohl sie von der verfluchten Regierung und dem Robert-Koch-Institut, die einem den Laden mehrmals dichtgemacht haben, empfohlen werden. Zur Anerkennung der Realität gehört dabei auch festzustellen, dass Wissenschaft und Medizin sich zwar ebenfalls den kapitalistischen Erfordernissen der Herrschenden unterordnen (oder wie bei BioNtech selbst zu Profiteurinnen der Pandemie werden), sie aber trotzdem wirksame Impfstoffe hervorgebracht haben.

Die andere Möglichkeit ist, dass das Individuum vor dieser schlechten, widersprüchlichen Realität zu entfliehen trachtet.

Im Kopf findet eine Realitätsanpassung statt, die sich offener ImpfgegnerInnenschaft ausdrückt. Das Problem ist, dass gerade die aktive ImpfgegnerInnenschaft wie auch die sich in Verschwörungstheorien und Leugnung ergehende Realitätsverzerrung mit unbewussten Affekten gefüttert wird. Sie ist kein Ergebnis aus logisch-rationalem, bewusstem Denken. Das psychische Ich wehrt sich gegen eine Wirklichkeit, die es nicht aushält, indem die Welt so gemalt wird, dass sie gefällt. Das kann auch zur Folge haben, sie im Unbewussten so weit zu verwandeln, bis die Impfung nichts mehr bringe, extrem gefährlich oder einfach zum Werkzeug verborgener Mächte und der Herrschenden geworden sei, um angeblich  die Bevölkerung zu dezimieren. Bloße Aufklärung hilft hier kaum. Im Psychischen übersetzt sich die natürliche und gesellschaftliche Totalität, die dem einzelnen Menschen selbst nur verschleiert gegenübertritt, in Gedanken und Handeln.

Verknüpfung

Die kapitalistische Realität selbst bringt den Irrationalismus ständig hervor. Einerseits verfolgt das Kapital seine Zwecke auf sehr berechnende, rationale Art, indem die Produktivität immer mehr gesteigert wird. Doch diese Steigerung im einzelnen Produktionsorganismus oder der bürokratischen Rationalität des Staatsapparates entspricht, dass diese Art Vermehrung des Reichtums keinem allgemeinen, gesellschaftlich vernünftigen Zweck, sondern dem bornierten Heißhunger nach Mehrwert, dem Kampf um maximalen Profit folgt. Der Irrationalismus wird also nicht von CoronaleugnerInnen in eine ansonsten vernünftige Mitte der Gesellschaft getragen, vielmehr trägt ihn schon der kapitalistische Normalzustand, der normale Fortgang der Akkumulation in sich.

In Krisen verbindet sich offen rechte, aggressive Ideologie z. B. mit einer Leugnung der Klimakrise oder einer Kritik an einer völlig inkonsequenten, kaum überschaubaren und direkt irrwitzigen Coronapolitik (die behauptet, mit der Impfpflicht alleine wäre der Pandemie ein Ende zu machen). Die irrationale Wirklichkeit, sie muss sich auch in einem falschen Bewusstsein fortsetzen, wo die Welt scheinbar wieder erklärbar wird: Wenn es Corona erst gar nicht gibt, was braucht es dann die Impfung? Oder umgekehrt: Wenn die Impfung so gefährlich ist, ist sie abzulehnen dann nicht ein rationaler Schutz der Allgemeinheit?

Absolutes Recht und Freiheit?

Es ist wichtig, auf den Unterschied zwischen ImpfgegnerInnen und ImpfpflichtgegnerInnen hinzuweisen. Während die Ersteren auch stets die Letzteren sind, gilt das umgekehrt nicht. Viele lehnen die Impfung nicht ab, argumentieren aber, dass die Impfpflicht einen diktatorischen Eingriff in das körperliche Selbstbestimmungsrecht ausübe.

Dabei ist das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper nicht erst seit der Impfpflichtdebatte gefährdet, sondern für die allermeisten sowieso schon eine Fiktion und das nicht einfach, da nie gefragt werden konnte, ob wir geboren werden wollen oder nicht.

Wie war das denn nochmal mit dem Recht, das eigene Leben beenden zu lassen? Strafbar! Da ist der Mensch hierzulande zum Leben verdammt. Er wird Jahre und Tage durchs Leben geschleift, er soll arbeiten (auf dem gelben Zettel heißt es ja auch „arbeitsunfähig“ und nicht „krank“) oder Kliniken und Pflegeheimen die Kasse füllen. Aber Achtung! Wenn er doch mal kommt, der dritte Weltenbrand, dreht sich das Spiel um. Das sonst so heilige Leben muss wieder geopfert werden für die Nation und den deutschen Imperialismus.

Darüber hinaus: Für die ArbeiterInnenklasse ist es im Kapitalismus das tägliche Spiel, erzwungen die eigene Arbeitskraft zu verkaufen und dem Kapital zur Verfügung zu stellen, ergo für eine bestimmte Zeit nicht über den eigenen Körper und das, was er leisten kann (denken und werken), zu bestimmen.

Und schließlich ist, von der anderen Seite her angeschaut, das Recht und die Freiheit, sich nicht impfen lassen zu dürfen, das Recht und die Freiheit, andere gefährden zu dürfen. Denn obwohl keine Impfung vor einer Infektion mit Corona schützen kann – was auch nie behauptet wurde! –  (der einzige, 100-prozentige Schutz davor, Viren einzuatmen, ist, nicht mehr zu atmen, oder die absolute Isolation), ist ein Mensch mit Impfung weniger lange und stark für andere gefährlich, einfach weil dieser selbst in der Regel nur einen Bruchteil der Viren Ungeimpfter reproduziert.

Ein absolutes Recht auf individuelle Selbstbestimmung führt, wenn es bis zur letzten Konsequenz weitergedacht wird, stets zu reaktionären Ergebnissen, denn es muss das Recht auf Unversehrtheit und Selbstbestimmung aller anderen negieren – nur ich zähle! So wie AbtreibungsgegnerInnen das ungeborene Leben für absolut setzen, und koste es der Mutter das Leben, setzen viele aktive ImpfgegnerInnen das Recht auf ihre eigene körperliche Unversehrtheit für absolut, wobei sie nicht nur andere, sondern ironischer Weise auch sich selbst potentiell gefährden.

Die besseren Ergebnisse

Solange eine kapitalistisch bedingte Pandemierealität herrscht, wird es beides geben – den offiziellen, demokratischen Irrationalismus im Parlament und seinen wilder werdenden, übersteigerten Konterpart auf der Straße. Wie ein alternativer, rationaler Umgang mit Corona und dessen Auswirkungen aussehen kann, haben wir in anderen Ausgaben und auf unserer Homepage schon mehrfach erläutert. Wir erwähnen bloß nochmal, dass die Impfung alleine nicht das Allheilmittel der Pandemiebekämpfung ist, aber ein integraler Teil deren.

Gegen Verschwörungstheorien, Wissenschaftsfeindlichkeit oder Realitätsverneinung in den Köpfen wird keine Impfpflicht ankommen, auch wenn sie vielleicht dem Körper unterhalb dieser Köpfe zu besserem Schutz verhilft. Dem Irrationalismus den weitgehendsten Garaus zu machen, wird nur möglich sein, wenn es eine Kraft gibt, die eine rationale Antwort auf die Krise und Krisenpolitik der Regierungen gibt. Mittels Kampfs um ein Programm, das nicht die Masse der Bevölkerung – die ArbeiterInnenklasse, Unterdrückte und niedriges KleinbürgerInnentum – für die Kosten der Coronamisere knechtet, sondern glaubwürdig die besseren Ergebnisse in ihrem Interesse liefert, kann der Einfluss des Irrationalen gebrochen werden.

Eigenständige Klassenpolitik

Die Voraussetzung dafür, dass es so eine alternative Kraft überhaupt geben kann, ist, dass linke AktivistInnen, kämpferische GewerkschafterInnen, unzufriedene LINKE und SPDlerInnen mit dem Reformismus und einer Regierung, die selbst nur die irrationale Wirklichkeit des Kapitalismus verteidigen, brechen muss. Sie selbst müssen sich zu einer solchen Kraft aufbauen oder mindestens den Startschuss dazu abfeuern. Das Treiben mancher Linker, den spazierenden Irrungen und Wirrungen nachzulaufen und sie für den Keim einer fortschrittlichen, alternativen Antikrisenkraft zu halten, ist demgegenüber – brandgefährlich.