Defender 2024: Nur wer übt, wird kriegstüchtig

Linda Loony, Infomail 1248, 15. März 2024

„Kriegstüchtig“ und zum „Rückgrat der Abschreckung“ müsse die Bundeswehr lt. Verteidigungsminister Pistorius wieder werden. Dafür legt sich die Truppe zur Zeit mächtig ins Zeug.

Das „Steadfast Defender“-Manöver der NATO (STDE24/SD24; deutsch: standhafte Verteidigung), aktuell im Gange, markiert die größte militärische Übung des Bündnisses seit dem Ende des Kalten Krieges vor 35 Jahren. Die Simulation eines Konfliktszenarios mit Russland als potenziellem Gegner an der Ostflanke ist keine bloße Übung, sondern eine ernsthafte Vorbereitung. Denn nach Einschätzungen der Bundeswehr könnte Russland in wenigen Jahren bereit sein, einen Krieg gegen die NATO zu führen – und darauf will sich das Bündnis vorbereiten, indem die eigene Angriffsfähigkeit demonstriert und geübt wird.

Doch der Aufschrei in Bevölkerung und Medien scheint im kollektiven Halse steckengeblieben zu sein. Auf der Straße gibt es keine Großdemonstrationen gegen Krieg und Aufrüstung, die Berichterstattung über das Manöver und seine Ziele ist begrenzt und im Betrieb oder Freund:innenkreis dürften die wenigsten bisher darüber in Diskussionen geraten sein. Laut einer Bevölkerungsumfrage mit rund 2.200 Personen sind 70 % überzeugt, dass Deutschland weiterhin der NATO angehören muss, 65 % befürworten die finanziellen Zusagen an sie. Die Bundeswehrmissionen an der NATO-Ostflanke werden ebenfalls überwiegend unterstützt.

Die Einstellung zur Bündnisverteidigung hängt jedoch stark von der Wahrnehmung Russlands als Bedrohung der „Freiheit“ ab, also wie sehr die NATO-Ideologie verfängt, dass es sich nicht um einen immer schärferen innerimperialistischen Gegensatz handeln würde, sondern um einen Konflikt zwischen „Demokratie“ und „Autokratie“. Zweifellos wirkt diese Darstellung besonders angesichts der imperialistischen Aggression und Besatzung Russlands gegenüber der Ukraine. Der Kenntnisstand über die Bundeswehrmissionen an der NATO-Ostflanke selbst ist jedoch eher gering (1). Dabei rasseln die Säbel in Europa so laut wie lange nicht mehr.

Dieser Artikel soll zunächst einen Überblick über das aktuell laufende Steadfast Defender- Manöver der NATO geben. Im Anschluss wird eine globale politische Einordnung vorgenommen. Abschließend beschäftigt sich der Artikel mit der Frage der Programmatik, für die die Arbeiter:innenklasse in diesen Zeiten gewonnen werden muss.

Alle machen mit

Die Teilnahme an diesem gigantischen Manöver erstreckt sich über alle 32 NATO-Mitgliedsstaaten. Ziel ist es, die Alarmierung nach dem Bündnisfall zu üben, sich auf den Einsatz vorzubereiten, Truppen in die Einsatzräume zu verlegen und letztlich „den Aggressor im Gefecht abzuwehren“ (2). Mit einer Stärke von 90.000 Soldat:innen soll die NATO ihre Schlagkraft demonstrieren und Russland zugleich vor Augen führen, welche Konsequenzen ein Angriff auf das Bündnisgebiet haben würde. Abschreckung ist das erklärte Ziel an der NATO-Ostflanke.

Das Manöver erstreckt sich über einen Zeitraum von drei Monaten und umfasst verschiedene Übungen: Grand North, Grand Center, Grand South und schließlich die Abschlussübung Grand Quadriga. Dabei operiert die Bundeswehr nicht nur in Deutschland, sondern auch in Norwegen, Polen, Ungarn, Rumänien und Litauen. Diese umfangreiche Präsenz verdeutlicht, dass es nicht nur um eine regionale Verteidigungsübung geht, sondern um eine Koordination auf internationaler Ebene.

Der Menschen- und Materialeinsatz ist beeindruckend: Rund 90.000 Soldat:innen, 50 Marineschiffe, 80 Flugzeuge und über 1.100 Kampffahrzeuge werden mobilisiert. Die Bundeswehr ist mit ihrem Manöver Quadriga 24 Teil der NATO-Operation. Generalinspekteur Breuer betont die Bedeutung Deutschlands als Dreh- und Angelpunkt für die Verteidigung Europas (3). Quadriga 24 beinhaltet die Verlegung von Militärkonvois in vier Teilmanövern zu unterschiedlichen Zeiten, und es handelt sich um die größte Übung deutscher Landstreitkräfte seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Mit 12.000 Soldat:innen, 3.000 Fahrzeugen und 30 Luftfahrzeugen ist dies ein beachtliches Aufgebot.

Der Gegner Russland

Seit zwei Jahren tobt nun ein heißer Krieg in der Ukraine. Dies hat die Konfrontation zwischen den westlichen Imperialismen und ihrem russischen Gegenspieler in einem Maß verschärft, das es seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat. Obwohl keine kämpfenden Einheiten der NATO direkt involviert sind, wurden und werden die ukrainischen Streitkräfte vor und während des Krieges massiv ausgerüstet. Die Unterstützung umfasst Waffen, Logistik, Informationsdienste und Ausbildung an modernen Waffensystemen. Die gelieferte Ausrüstung stammt aus westlichen Armeen, begleitet von einer Modernisierung der eigenen Rüstungsindustrie.

Der westliche Imperialismus hat sich dabei hierzulande die moralische Deutungshoheit über die Kriegssituation gesichert: Russland als undemokratischer, reaktionärer Staat greift die Ukraine an und bedroht damit den Frieden, die Freiheit und Demokratie in ganz Europa, während der Westen nur als selbstloser Helfer agiere. Auch wenn die Selbstverteidigung der Ukraine gegen die Invasion berechtigt ist und es zynisch wäre, den ukrainischen Massen vorzumachen, dass es egal wäre, ob ihr Land besetzt wird oder nicht, so geht es der NATO und der Bundesrepublik darum, selbst die Kontrolle über möglichst große Teile der Ukraine zu erlangen, diese als ihr Ausbeutungs- und Investitionsgebiet zu sichern und die NATO selbst nach Osten auszudehnen.

Dies soll demnach auch sämtliche Aufrüstungsprogramme der NATO legitimieren und dient den Herrschenden als Propagandamittel. Die Moral des westlichen Imperialismus bei der Verurteilung despotischer Regierungen wird aufmerksamen Beobachter:innen jedoch als recht dehnbar auffallen, denn sie hängt lediglich von der Nützlichkeit des betreffenden Staates für die Umsetzung eigener nationaler Interessen ab. So hat die EU weniger Probleme damit, den autoritären Staat Türkei im Krieg gegen die Kurd:innen gewähren zu lassen, denn schließlich hält dieser Massen geflüchteter Menschen zurück, die anderenfalls potenziell Zuflucht hinter der Mauer der Festung Europa suchen würden. Sie haben offenkundig auch kein Problem damit, die Bombardierung Gazas politisch und militärisch zu unterstützen – denn schließlich verteidigt das zionistische Regime westliche imperialistische Interessen.

Diese propagierte moralische Notwendigkeit der Verteidigung schmeckt jedenfalls deutlich besser, als würde offen propagiert werden, dass seit jeher der westliche wie auch der russische Imperialismus jeweils ihre eigenen geopolitischen und damit ökonomischen Interessen verfolgen, die nun in der Einflusssphäre Ukraine kollidieren. Das bedeutet, der Konflikt geht nicht nur darum, ob die Ukraine ein unabhängiger Staat ist, sondern er ist zugleich mit der Frage verwoben, ob sie eine Halbkolonie Russlands oder der NATO-Imperialist:innen sein soll. Kurzum, die Ukraine ist heute sowohl Schauplatz eines Kampfes gegen die russische Invasion wie zwischen den rivalisierenden imperialistischen Mächten um die Neuaufteilung der Welt.

Der Kampf um Einflusssphären

Die NATO verfolgt seit den 1990er Jahren das Projekt der Erweiterung ihrer Mitgliedsstaaten und Einflussgebiete nach Osten. Die Aufnahme Nordmazedoniens im Jahr 2020 bildet die vorläufig letzte Etappe der Integration ehemaliger „sozialistischer Länder“. Zu deren Integration in die NATO gehört auch die permanente Stationierung von NATO-Bataillonen in Osteuropa, die seit 2016 umgesetzt wird. Auf dem NATO-Gipfel 2022 wurde dann deren deutliche Aufstockung beschlossen. Deutschland sagte im Juni 2023 zu, für dieses Vorhaben 4.000 Soldat:innen samt Ausrüstung dauerhaft in Litauen zu stationieren. Zurzeit sind rund 40.000 NATO-Soldat:innen in Osteuropa stationiert.

Russland wiederum erlebt dadurch seit jeher eine Bedrohung seiner eigenen Einflusssphären und forderte darüber hinaus als Reaktionen auf bevorstehende oder mögliche Beitritte immer wieder die militärische Neutralität von Staaten in Ost- und Südosteuropa als „Pufferzonen“ zwischen sich und der NATO ein. Hier ist ersichtlich, dass Russland umgekehrt die NATO als Angreiferin auf seine Souveränität und Sicherheit propagiert und auf Nationalismus als ideologisches Bindeglied setzt. Russland reagiert außerdem auf diese Aktivitäten seinerseits mit provokanten Manövern.

Hieraus wird deutlich, dass die militärische Mobilmachung des westlichen Imperialismus keine unmittelbare Folge des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine darstellt, sondern vielmehr eine fortbestehende Notwendigkeit im Kampf um Einflusssphären ist. Es wird ebenso deutlich, dass selbst ein Ende des Krieges in der Ukraine nicht das der Aufrüstung bedeuten würde, denn ein kriegsfähiges Militär ist essenziell im Konkurrenzkampf imperialistischer Staaten um die Ausbeutungshoheit über ihre Halbkolonien (4).

Kriegsvorbereitung

Mit dem „Krieg für die Freiheit in Europa“ verfügt der westliche Imperialismus über einen ideologischen Vorteil, um alle Krisensymptome, die die Arbeiter:innenklasse zu spüren bekommt, Russland in die Schuhe zu schieben und damit auch wirtschaftliche Angriffe auf soziale Errungenschaften der Lohnabhängigen als „patriotische“ Notwendigkeiten zu tarnen. So stimmte beispielsweise die Führung der IG Metall als gewerkschaftliche Vertretung in der deutschen Rüstungsindustrie in ihrem Positionspapier zur Sicherheits- und Verteidigungsindustrie im Januar 2024 in den Tenor ein und unterstrich ihrerseits, dass sie die Aufrüstungsziele der Bundesregierung unterstütze. Die Gewerkschaft stellt die so gewonnenen bzw. erhaltenen Arbeitsplätze als Errungenschaft heraus und erklärt, Waffenexporte zu unterstützen. Die Gewerkschaftsbürokratie bewegt sich hier also vollständig auf Kurs der deutschen Bourgeoisie.

Auch die reformistische SPD stellt sich nicht gegen das Mantra der Aufrüstung, während DIE LINKE nicht so recht weiß, ob sie für oder gegen eine solche „Sicherheitspolitik“ sein soll. Während sie auf Parteitagen immer noch ein Bekenntnis zum „Frieden“ abgibt, verstoßen Parlamentarier:innen und Funktionär:innen vom rechten, „regierungssozialistischen“ Flügel immer wieder gegen diese Beschlüsse. In der Praxis fällt DIE LINKE vor allem dadurch auf, dass sie der Kriegsfrage möglichst aus dem Wege geht.

Jedoch ergaben sich auch kürzlich Konflikte innerhalb der Herrschenden darüber, welche der Zugeständnisse an die Lohnabhängigen für die Aufrüstungspläne gestrichen werden sollen. So hatte die SPD den Vorschlag des FDP-Vorsitzenden und Finanzministers Lindner kritisiert, bei denen das Sondervermögen für die Aufrüstung durch Einsparungen in den Sozialleistungen gedeckt werden sollte. Doch dieses kleinen Aufbegehren der Reformist:innen darf nicht als wahrer Einsatz für die Arbeiter:innenklasse verkannt werden, denn sowohl die SPD als auch die Grünen befürworten und gestalten die aktuelle Aufrüstungspolitik.

Welche Bewegung?

Laut der bereits zitierten Bevölkerungsumfrage sprach sich letztes Jahr über die Hälfte der Befragten weiterhin für eine Erhöhung des Verteidigungsetats, eine Aufstockung der Soldat:innen und eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. Nur 8 % plädieren für eine Reduzierung der Verteidigungsausgaben und des Personals.

Die ideologische Mobilmachung scheint zu fruchten: Bürgerliche Arbeiter:innenparteien wie die SPD und Gewerkschaftsführungen (und in Teilen auch die Linkspartei) tragen die Staatsraison mit und versuchen, die Lohnabhängigen durch kurzfristige ökonomische Argumente sowie durch den Kampf für das vermeintlich moralisch „richtige“ Ziel zu binden, also die Verteidigung westlicher Freiheit und Demokratie.

Für revolutionäre Kräfte gilt es, den Widerspruch zwischen den Zielen der Bourgeoisie und dem objektiven Interesse der Lohnabhängigen aufzuzeigen, und das nicht nur durch symbolische Aktionen auf der Straße. Es muss ein politischer und ideologischer Kampf in der Arbeiter:innenbewegung geführt werden. Es gilt, die ideologische Mobilmachung aufzubrechen.

Dies gilt für die Arbeiter:innenschaft in Russland wie auch in den westlichen imperialistischen Staaten. Dieser Kampf bedeutet auch, mit Antikriegsforderungen, die einer pazifistisch-kleinbürgerliche Grundlage entspringen, zu brechen. Es geht nicht darum, Phrasen wie „Nie wieder Krieg“ zu wiederholen oder gar die Hoffnung zu schüren, dass uns eine „europäische Verteidigungsarchitektur“ besser als die NATO beschütze oder die Bundesregierung unseren Forderungen nachkommen würde.

Eine Antikriegsbewegung, die über dies nicht hinauskommt oder sich auf die Seite einer imperialen Macht stellt, ignoriert den systemischen Charakter des Krieges und ist letztlich zum Scheitern verurteilt. Denn der Krieg ist im Rahmen der Klassengesellschaft und der imperialistischen Weltordnung ein politisches Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Bourgeoisie. Der (Irr-)Glaube, man müsse sich beim Kräftemessen der Großmächte und deren Kriegsvorbereitung nur auf die „moralisch“ richtige Seite des Friedens stellen oder die Regierung um Einhalt bitten, greift vielleicht die Auswirkung des Krieges kurzfristig an, doch verfehlt es, seiner Voraussetzung den Kampf zu liefern: dem kapitalistischen System.

Proletarischer Antimilitarismus

Das Programm für die Arbeiter:innenklasse muss daher ein konsequenter proletarischer Antimilitarismus sein, d. h. ein Bekenntnis zum Defaitismus im neuen Kalten Krieg.

Der Hauptfeind ist nicht in einem imperialistischen Konkurrenten zu sehen, sondern im eigenen Land, in der eigenen nationalen Bourgeoisie. Und ein unmittelbares Ziel besteht darin, zu verhindern, dass der Kampf um die Ukraine zu einem offenen globalen Krieg zwischen den imperialistischen Mächten eskaliert.

In Russland muss die Arbeiter:innenklasse gegen den Einmarsch in die Ukraine kämpfen und die sofortige Beendigung des Krieges sowie den Abzug aller russischen Truppen fordern. Angesichts des autokratischen Charakters des Putin-Regimes ist der Kampf für demokratische Rechte, Meinungsfreiheit und die Freilassung politischer Gefangener entscheidend. Dieser muss mit dem Ziel verbunden werden zu verhindern, dass die Arbeiter:innen die Kosten des durch Sanktionen verursachten Elends und der Kriegstreiberei tragen müssen. Die Auseinandersetzung muss in den Betrieben verwurzelt sein und den Kampf gegen den Krieg mit Massenstreiks und der Enteignung der Oligarch:innen verbinden. In der Ukraine ist der Kampf gegen die Besatzung zwar ein gerechtfertigter, aber er muss mit einem politischen Kampf gegen die reaktionäre Regierung Selenskyj, die falschen Hoffnungen in den westlichen Imperialismus und für den Aufbau einer unabhängigen Arbeiter:innenbewegung und revolutionären Partei verbunden werden.

In den NATO-Ländern muss dazu aufgerufen werden, sich als Arbeiter:innenschaft gegen Kriegstreiberei, Aufrüstung und Sanktionen zu stellen, die kein reaktionäres Regime stürzen, sondern in ihrer Konsequenz der russischen Arbeiter:innenklasse schaden, vor allem aber die imperialistische Konfrontation weiter zuspitzen. Die Parteien der Arbeiter:innenklasse, Gewerkschaften und linke Kräfte müssen jede „nationale“ Einheit mit den westlichen Regierungen ablehnen und gegen reaktionäre Gesetze kämpfen. Eine echte Antikriegsbewegung muss die imperialistischen Interessen der westlichen Unterstützung für die Ukraine aufdecken. Dabei müssen Revolutionär:innen gegen Sozialpazifismus und Sozialchauvinismus vorgehen und den wahren Charakter des Krieges den Massen verständlich machen.

Perspektivisch bedeutet das auch, dass revolutionäre Kräfte Arbeit in der Armee leisten müssen, gerade bei einer potenziellen Wiedereinführung der Wehrpflicht, die das Heer aus der breiten Masse der Arbeiter:innenklasse zusammensetzen würde, statt wie aktuell nur aus Freiwilligen. Antimilitaristische Arbeit unter den und Organisierung der einfachen Soldat:innen und Wehrpflichtigen sind Schritte auf dem Weg zum Kampf gegen die Militarisierung und Aufrüstung der eigenen Nation.

Die Enteignung der Rüstungskonzerne und damit verbundene Kontrolle über die Produktion muss eine weitere Kernforderung der proletarischen Antikriegsbewegung sein. Ein proletarisches Antikriegsprogramm muss aber gleichzeitig auch Lösungen für die Arbeiter:innenschaft dieser Konzerne vorschlagen, d. h. für die dort Beschäftigten müssen Umschulungsangebote geschaffen werden, die ihnen einen Branchenwechsel zu gleichem Einkommen ermöglichen.

Es braucht einen Kursumschwung in der Arbeiter:innenbewegung und die beschriebene programmatische Methode gilt es sinngemäß auf sämtliche kriegerische Auseinandersetzungen anzuwenden, die vom westlichen Imperialismus unterstützt werden wie bspw. der Krieg im Gazastreifen. Die Schaffung einer internationalistischen Antikriegsbewegung ist das unabdingbare Mittel, den Kampf gegen die Kriegsgefahr in einen Klassenkampf gegen die Kapitalist:innenklasse zu transformieren.

Endnoten

(1) Quelle: ZMSBw-Bevölkerungsbefragung: https://zms.bundeswehr.de/de/bevoelkerunsgbefragung-zeitenwende-in-den-koepfen-5730686

(2) Quelle: Quadriga 2024: NATO-Landstreitkräfte üben den Bündnisfall [bundeswehr.de]

(3) Ebenda

(4) Mehr zu dem Thema auch hier: https://arbeiterinnenmacht.de/2022/03/09/der-krieg-in-der-ukraine-und-der-kampf-um-die-neuaufteilung-der-welt/ bzw. hier https://arbeiterinnenmacht.de/2024/02/12/100-milliarden-sondervermoegen-fuer-die-bundeswehr-hochruestung-fuer-deutsche-kapitalinteressen/




100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr: Hochrüstung für deutsche Kapitalinteressen

Helga Müller, Neue Internationale 280, Februar 2024

Die Umorientierung der Bundeswehr von der Landesverteidigung zur Eingreiftruppe ist in vollem Gange. Schließlich gilt es, wirtschaftliche sowie geostrategische Interessen des deutschen Großkapitals im Kampf um die Neuverteilung der Welt zu verteidigen. Spätestens seit der Aussage des SPD-Verteidigungsministers Pistorius, die deutsche Bundeswehr müsse jetzt auch endlich mal kriegstüchtig werden, wird immer deutlicher, was Bundeskanzler Olaf Scholz unter der viel zitierten Zeitenwende versteht: Deutschland muss in der Lage sein, seine Interessen auch militärisch zu verteidigen.

Ganz nebenbei stellen Aufrüstung und Militarisierung auch noch ein willkommenes Konjunkturprogramm für die deutsche Rüstungsindustrie dar. Armin Papperger, Vorstandsvorsitzender der Rheinmetall AG, ist recht zufrieden. „Wir sind auf gutem Kurs, um unsere ehrgeizigen Jahresziele für nachhaltiges profitables Wachstum zu realisieren.“ Auch im dritten Quartal 2023 gingen die Geschäftszahlen des Konzerns insgesamt nach oben. Der Umsatz stieg in den ersten neun Monaten um 13 Prozent auf 4,6 Milliarden Euro.

Nicht an Waffen sparen

Trotz massiven Sparhaushalts, Beibehaltung der Schuldenbremse, wie es FDP-Finanzminister Lindner wünscht, trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts und des daraus resultierenden Haushaltslochs, das finanziert werden muss – am Etat der Bundeswehr wird nicht gerüttelt. Das Sondervermögen über 100 Milliarden Euro – oder auch Sonderschulden, die genauso finanziert werden müssen wie der auf 2 % des BIP erhöhte reguläre Wehretat – bleiben unangetastet. In der Debatte um den Wehretat im Bundestag Anfang September 2023 garantierte Bundeskanzler Scholz, dass die Nato-Quote – also die 2 % vom BIP – „auch in den Jahren 2028, 2029 und in den 2030er Jahren erreicht wird“. Um das zu stemmen, müssten „allerspätestens ab 2028 zusätzliche 25, vielleicht auch fast 30 Milliarden Euro für die Bundeswehr aus dem Bundeshaushalt direkt finanziert werden“ (nd-aktuell.de, 6.9.2023, Bundestag zum Wehretat: Aufrüstung über alles). Insgesamt summieren sich die Militärausgaben mit den für das kommende Jahr eingeplanten Mitteln aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von gut 19 Milliarden und mit den für Rüstung und Truppe vorgesehenen Mitteln aus anderen Ressorts in Höhe von 14 Milliarden Euro auf 85 Milliarden Euro! Eine Summe, die im Bereich der sozialen Daseinsvorsorge dringend benötigt würde!

Alle(s) für den Krieg?

Um dieses Ziel zu erreichen, schreckte Pistorius auch nicht davor zurück, sich direkt in die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen einzumischen und die Tarifparteien dazu aufzufordern, die Lohnerhöhung nicht zu hoch zu schrauben, um das Sondervermögen nicht in Frage zu stellen. Wie wir mittlerweile wissen, hat sich ver.di und nicht nur diese an diese Aufforderung gehalten, ganz im Interesse des deutschen Imperialismus, um seine neue Rolle in der Welt auch spielen zu können. Wie eng hier Gewerkschaftsspitzen, Regierung und Arbeit„geber“:innenverbände zusammenarbeiten, hat nicht zuletzt die von Bundeskanzler Olaf Scholz einberufene Konzertierte Aktion gezeigt, bei der sich diese auf das Instrument der steuerfreien Einmalzahlungen bis 3.000 Euro geeinigt haben, um die realen Lohnerhöhungen abzuflachen.

Um was es beim Begriff der Kriegstüchtigkeit geht, hat SPD-Verteidigungsminister Pistorius in seinen auf der im November stattgefundenen Bundeswehr-Tagung – ein jährliches Treffen der Regierung mit dem militärischen und zivilen Spitzenpersonal der Bundeswehr – vorgelegten „Verteidigungspolitischen Richtlinien für die Zeitenwende“, die die Grundlage für eine „leistungsfähige Bundeswehr der Zukunft“ liefern sollen, dargestellt:

Der Ukrainekrieg dient als Begründung dafür, die Truppe noch schneller aufzurüsten, sie „schlagkräftiger“ zu machen, damit sie für „neue Aufgaben“ bereit ist. Da heißt es: „Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte, in denen Einsätze zum internationalen Konfliktmanagement strukturbestimmend und Landes- und Bündnisverteidigung in den Hintergrund gerückt waren, lassen sich nicht in wenigen Jahren umkehren“ und „der Weg zu einer umfassend einsatzbereiten Bundeswehr, die unsere Bürgerinnen und Bürger ebenso wie unsere Bündnispartner zu Recht erwarten, erfordert einen langfristigen Anpassungsprozess“. Bei den „Reformen“, der Beschaffung von Ausrüstung und Material sowie Bauprojekten soll deshalb Tempo vorgelegt werden: „Unsere Wehrhaftigkeit erfordert eine kriegstüchtige Bundeswehr“. Maßstab hierfür sei „jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht“. Die BRD müsse „Rückgrat der Abschreckung und kollektiven Verteidigung in Europa sein“ (jw, 11.11.2023, Nur der erste Schritt).

SPD übernimmt Verantwortung …

Deutlicher wurde das Ziel ausgerechnet im außenpolitischen Leitantrag für den Parteitag der SPD in Berlin im Dezember 2023 formuliert. Dieser spricht sich für eine Führungsrolle Deutschlands in der Welt aus. Das Militär wird im Entwurf für den Leitantrag als Mittel der Friedenspolitik bezeichnet.

Schon ein dreiviertel Jahr vorher hatte Pistorius bei der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz 2023 genauer definiert, was er und die Bundesregierung unter der neuen Verantwortung der Bundeswehr und der deutschen Außenpolitik verstehen: Verantwortung in der Welt zu übernehmen. Es geht um die Bekämpfung des Islamismus, die Begrenzung der Migration und die Sicherung von Einflusszonen und Rohstoffen. Man kann davon ausgehen, dass die Bundesregierung stattdessen vom „Schutz der Menschenrechte“ oder auch von Notwendigkeiten, die sich aus der „feministischen Außenpolitik“ ergeben werden, sprechen wird, wenn sie sich erneut militärisch in Afrika engagiert, denn „die russischen Ambitionen in Afrika bedeuten nicht, dass sich das Militär der Bundesrepublik komplett aus dem Kontinent zurückziehen wird.“ Doch auch andere Regionen bleiben für Deutschland von Interesse.

So werde der Indopazifik weiterhin eine Rolle spielen, erklärte Pistorius. Es gehöre dazu, mit Partner:innen zu üben und: „Es ist notwendig, dass wir Flagge zeigen. Wir müssen klarmachen, dass uns die Region nicht egal ist.“ Dort wird erwartet, dass sich der Konflikt zwischen den USA und China verschärfen wird.“

Noch offener kann man die neuen Ambitionen des deutschen Imperialismus nicht mehr aussprechen und das aus dem Mund eines Sozialdemokraten, Mitglied einer Partei, die aus der Arbeiter:innenbewegung entstanden ist und sich jetzt offen für die Verteidigung deutscher Kapitalinteressen einsetzt!

… und Gewerkschaften geben sie ab

Der mit nichts zu rechtfertigende Krieg Russlands gegen die Ukraine hat der deutschen Bundesregierung alle Argumente in die Hand gegeben, um die Hochrüstung im Interesse der Verteidigung der Interessen des deutschen Kapitals ohne größeren Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen. Die Gewerkschaftsspitzen haben das Ihre dazu getan, um gewerkschaftspolitischen Widerstand dagegen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Proteste gegen das Sondervermögen der Bundeswehr gab es keine und die Tarifrunden im öffentlichen Dienst wurden befriedet, statt zu versuchen, die Ausgaben für die Ausrüstung zurückzunehmen und für die Lohnabhängigen zu nutzen.

Auch die neu aufgekommene Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Angestoßen wurde diese wiederum vom Verteidigungsminister, der dafür ausgerechnet vom bayerischen Ministerpräsidenten Söder Unterstützung erhält: Auch wenn dieser Vorstoß in der SPD umstritten ist – so ist die SPD-Parteichefin Esken dagegen –, verwies die Wehrbeauftragte des Bundestags Högl von der SPD in ihrem Jahresbericht 2022 darauf, dass sich die Zahl der Bewerber:innen im Jahr 2022 mit einem Minus von elf Prozent erheblich verringert habe. Die Personalstärke betrug demnach 183.051 Soldati:nnen, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr. „Bis zum Ziel, die Zahl der Soldatinnen und Soldaten auf 203.000 im Jahr 2031 zu erhöhen, ist es noch ein langer Weg“, konstatierte Högl. Neben dem weiter steigenden Altersdurchschnitt macht ihr auch der Anstieg der Abbrecherquote Sorgen.

Der Militarisierung entgegen!

Die militärischen Großmachtambitionen Deutschlands und der EU gehen einher mit massiven Angriffen auf unsere Lebensbedingungen in Form von Sozialraub, Bildungskürzungen und Zerschlagung von Tarifrechten. Und gerade dort, wo es besonders schwierig ist, einen Job, eine Lehrstelle oder einen gebührenfreien Studienplatz zu kriegen, umwirbt das Militär junge Leute mit dem Versprechen auf einen krisensicheren Arbeitsplatz.

Doch der Zusammenhang von neoliberalem Sozialabbau und Militarisierung geht tiefer: Die verstärkte kapitalistische Standortkonkurrenz zwingt zur neoliberalen „Mobilmachung“ der Gesellschaft, die in der militärischen Mobilmachung, im weltweiten Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte nur ihre logische Fortsetzung findet.

Die militärischen Ambitionen des deutschen Imperialismus richten sich gegen alle Lohnabhängigen und Unterdrückten – auch in Deutschland! Dieses Jahr findet die Sicherheitskonferenz vom 16. bis 18. Februar im Bayerischen Hof der bayerischen Landeshauptstadt statt. Die Proteste starten am Samstag, 17.2. um 13 Uhr am Karlsplatz. Wir begrüßen, dass auch der ver.di-Bezirk München zu den Protesten gegen die NATO-Sicherheitskonferenz aufgerufen hat. Auch die anderen Gewerkschaften und der DGB sind aufgefordert, ihre Politik des nationalen Konsenses mit der Regierung aufzugeben und zu den Protesten gegen die Konferenz aufzurufen und dafür in den Betrieben, im Stadtviertel, an Schulen und Universitäten zu mobilisieren! Diese Mobilisierung sollte mit Vollversammlungen in den jeweiligen Institutionen verbunden werden, wo die Auswirkungen der Aufrüstung zusammen mit den Einsparungen diskutiert werden – mit der Perspektive, Aktionskomitees zu bilden, die eine Bewegung gegen Krieg und Militarisierung vor Ort aufbauen.

Wir rufen alle Antikriegsaktivist:innen, linken Gruppen, Mitglieder der Linkspartei, Gewerkschafter:innen dazu auf, sich an den Protesten zu beteiligen und so zu mobilisieren, denn: „Wie schon seit 60 Jahren treffen sich im Februar 2024 Staatsvertreter, Militärs und Rüstungskonzerne zur Münchner ,Sicherheitskonferenz’ (Siko) im Bayerischen Hof. Bei dieser Privatveranstaltung, die u. a. mit Steuergeldern finanziert wird, ging es nie um Sicherheit, sondern immer um die Machtinteressen der NATO und ihrer Mitgliedstaaten – besonders die der deutschen Bundesregierung, die eine militaristische ,Zeitenwende’ losgetreten hat und nun das ganze Land ,kriegstüchtig’ machen will. Heute organisiert die Bundesregierung die größte Aufrüstung seit dem Zweiten Weltkrieg und schickt Waffen in Kriegsgebiete. Das bedeutet: Wettrüsten, Konfrontation, Krieg – bis hin zum Atomkrieg.“ (Aus dem Aufruf des Anti-Siko-Bündnisses)




Air Defender 2023: dunkle Kriegswolken über Europa

Jürgen Roth, Infomail 1226, 14. Juni 2023

Vom 12. bis zum 23. Juni 2023 trainieren rund 10.000 Soldat:innen aus 25 Nationen mit ca. 250 Luftfahrzeugen v. a. über Deutschland im größten Luftkampfmanöver seit Bestehen der NATO. 2.000 Flüge sind an den 10 Manövertagen geplant. Die wollen nicht nur spielen!

Das Szenario

Dem Manöver liegt ein Szenario zugrunde, dem zufolge jahrelange Konfrontation zum Krieg geführt hat. Occasus, eine fiktive östliche Militärallianz, hat den unabhängigen Kleinstaat Otso überrannt und greift nun NATO-Gebiet an. Eine von Coronapandemie, Verknappung von Energielieferungen geschwächte, von bisher unbekannt hoher Inflation gebeutelte Bundesrepublik erscheint dem Aggressor als leichte Beute. Reguläre Truppen und die Spezialeinheit Organisation Brückner fallen daraufhin ins Land ein und besetzen im Blitzkrieg die Region Klebus. Ein Viertel der Republik ist besetzt. Aus der Luft wird Rostock angegriffen. Die Einnahme seines Hafens soll mehr Nachschub ins Kampfgebiet bringen. Die NATO ruft gemäß Beistandsartikel 5 den Verteidigungsfall aus. An diesem Punkt startet das Riesenmanöver.

Einschätzung und Ausmaß des Manövers

Die beteiligten Militärs werten die Luftkampfübung bereits jetzt als Erfolg, gelang doch in recht kurzer Zeit die Mobilmachung von 25 Ländern, v. a. NATO-Mitgliedern, und 250 Flugzeugen, v. a. Kampfjets. Rund 100 davon stellen die USA. Die Bundesluftwaffe beteiligt sich mit 64 Maschinen: Eurofighter, Tornados, A400M-Transporter, A330-Tanker und Hubschrauber. Learjets der Gesellschaft für Zieldarstellung und A-4 einer kanadischen Firma mimen das Aggressorluftpotential.

Ähnliche gewaltige Manöver wurden bereits zu Zeiten des Kalten Kriegs abgehalten, doch damals hatten die USA, Großbritannien und Kanada ihre Flugmaschinen direkt in Deutschland stationiert. Nun erfolgte deren Verlegung schnell über Tausende Kilometer.

Die Übung erfolgt dennoch nicht im Namen des westlichen Militärbündnisses. Es war von der BRD geplant und wird von ihr geleitet. Generalleutnant Ingo Gerhartz, seines Zeichens Bundesluftwaffenoberbefehlshaber, betont, sekundiert von US-Generalleutnant Michael Rose, Direktor der Air National Guard, die Übung sei keine direkte Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine. Nur wenige Einsätze würden über Estland, Polen und Rumänien geflogen. Es gehe darum, sich selbst die eigene Verteidigungsfähigkeit zu beweisen. Eine Provokation Russlands durch Flüge in Richtung Kaliningrad solle vermieden werden. US-Botschafterin Amy Gutmann verhielt sich weniger vorsichtig und bekräftigte, dass die Übung auch ein Signal der Stärke aussenden solle. Wohin wohl?

Das Szenario nimmt bis aufs i-Tüpfelchen den sehr realen russischen Überfall als Anlass zum Gegenschlag wahr. In ihrem Bemühen, das Feinbild Russland abzutun, vergessen die NATO-Militärs auch, dass bis zum 5. Juni ein ähnliches Manöver namens Arctic Challenge an der russischen Nordgrenze lief und sich derzeit rund 50 NATO-Schiffe und über 45 Flugzeuge im Rahmen der Übung Baltops in der Ostsee konzentrieren. Und schließlich muss man aus Zeiten des Kalten Kriegs wissen, wie schnell eine Übung als Bedrohung wahrgenommen wurde. Nun wütet ein heißer Krieg. Die Militärs betreiben also Desinformationspolitik.

Geschehen in den Flugzonen

Für Air Defender 2023 sind über Deutschland 3 Flugzonen eingerichtet, die zu gewissen Zeiten für jeglichen anderen Luftverkehr gesperrt sind. Das Militär beansprucht dann hier den Luftraum zwischen 2.500 und 15.000 Metern Höhe. Tiefflüge sollen über dem nördlichen Brandenburg, Teilen Mecklenburg-Vorpommerns, der Ostsee sowie den Truppenübungsplätzen Baumholder (Rheinland-Pfalz, südlicher Hunsrück) und Grafenwöhr (Bayern, Oberpfalz) erfolgen.

In den kommenden 2 Wochen wird also v. a. der zivile Luftverkehr leiden. Die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) redet von täglich 50.000 Minuten Verspätung und der Flughafenverband Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) rechnet mit ausfallenden Flügen, z. B. über Schleswig-Holstein. Dort wird zwischen 16 und 20 Uhr geübt. Hamburg-Fuhlsbüttel plant beispielsweise für den 13. Juni 30 Starts. Um Chaos zu vermeiden, hat man das Nachtflugverbot aufgehoben.

Ökologische Kosten

Zu den direkten Kosten gibt es keine und zu den Umweltauswirkungen nur vage Angaben. Laut Bundeswehr wird das Manöver 32.000 Tonnen CO2 erzeugen – so viel wie 3.500 Deutsche im Jahr 2020 produzierten. Täglich werden allein am Fliegerhorst Wunstorf (ca. 20 km westlich von Hannover) 400.000 – 500.000 Liter Kerosin bereitgestellt. Damit kann ein Airbus A 320 mit 77 Tonnen Gewicht und 170 Passagier:innen an Bord rund 190 Stunden lang um den Globus düsen. Laut wird es außerdem, obwohl nicht scharf geschossen wird. Bis zu 60 Maschinen werden im Nordosten gleichzeitig in der Luft sein.

Protest

Die NATO spielt also mit dem Feuer, präsentiert ihre Stärke und Hoheit, auf dass „dem Iwan“ angst und bange werden möge. Dagegen ist Protest allemal gerechtfertigt. So versammelten sich am Sonntag, den 11. Juni 2023, ca. 150 Friedensbewegte am Sielmann-Hügel in der Kyritz-Ruppiner Heide zur Friedenswanderung auf dem Wanderparkplatz Pfalzheim (Ostprignitz-Ruppin) und bildeten ein Friedenszeichen mit Stoffbahnen über ihren Köpfen.

An diesem historischen Ort sammelten sich ehemals bis zu 10.000 bei Ostermärschen gegen die Naturzerstörung durch einen Truppenübungsplatz der Bundeswehr, auf dem die Luftwaffe Tiefflüge und Bombenabwürfe trainieren wollte. Das Bombodrom konnte 2009 verhindert werden. Jetzt, wo sich die Lage immer drohender auf einen III. Weltkrieg zubewegt, verbleiben ganze 150 Aufrechte. Welche Schande! Doch nicht für sie, sondern für die Linke und Arbeiter:innenbewegung, die dieses Szenario nicht hinterm Ofen hervorlockt. So bleibt ihr Widerstand gegen die große NATO-Kriegsübung bisher aus.

Neue atomare Rüstungsspirale

Dabei gibt das neue atomare Wettrüsten zusätzlichen Anlass zum Protest. Der Jahresbericht 2023 des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts (Stockholm International Peace Research Institute; SIPRI) liefert nämlich nur auf den ersten Blick frohe Kunde: Die Anzahl der Atomsprengköpfe ist im vergangenen Jahr weltweit um 198 gesunken. Russland und die USA verfügen demnach über 90 % der 12.000 Waffen. Doch dieser Rückgang geht einher mit ihrer zielstrebigen Modernisierung. Die Sprengköpfe werden mobiler, dauerhaft einsatzfähig und sind schwerer abzuwehren.

Zudem legt sich seit Beginn des bewaffneten Ukrainekonflikts immer mehr der Schleier des Geheimnisses über diese Rüstungskategorie. Die Zahl der gefechtsbereiten Atomsprengköpfe hat im letzten Jahr um 86 auf vermutlich 9.576 zugenommen. Insbesondere China forciert die Aufrüstung, steigerte sein Arsenal von 350 auf 410. Vor 5 Jahren besaß es nur 280. Bis zum Ende des Jahrzehntes könnte es über mindestens ebenso viele Interkontinentalraketen verfügen wie die USA oder Russland. Die kleineren Atommächte ziehen nach: Pakistan (170), Indien (164), Nordkorea (30), Frankreich (290), Großbritannien (225), Israel (90).

2026 endet „New Start“, der letzte Atomwaffenkontrollvertrag zwischen Russland und den USA. Er begrenzt die Zahl der einsatzbereiten strategischen Atomsprengköpfe seit 2010 auf je 1.550 und der Trägersysteme zu Land, Wasser und in der Luft auf je 800. Kein Wunder, dass SIPRI-Direktor Dan Smith fürchtet: „Wir driften in eine der gefährlichsten Periode der Menschheitsgeschichte.“

Anfang Juni riefen die USA China und Russland zu Gesprächen über nukleare Rüstungskontrolle auf – ohne Vorbedingungen. Freilich bedeute das nicht, andere Atommächte nicht für ihr „rücksichtsloses Verhalten“ zur Rechenschaft zu ziehen, wie Jake Sullivan, nationaler Sicherheitsberater des Präsidenten, betonte. Dieser Vorschlag ist also alles andere als uneigennützig: Geht Chinas Aufrüstung ungebremst weiter, stehen die USA bald vor dem Dilemma, erstmals in ihrer Geschichte zwei annähernd gleich große Atommächte in Schach zu halten. Er hob die Bedeutung von NATO-Verbündeten wie der BRD hervor, die zwar keine Nuklearwaffen besitzen, aber Einsatzmittel fürs US-Arsenal zur Verfügung stellten.

Zu ähnlich düsteren Prognosen kommt auch das Friedensgutachten 2023 von 4 deutschen Instituten. Deutschland und die EU müssten die Ukraine dauerhaft militärisch, ökonomisch und politisch unterstützen. Friedensgespräche seien derzeit keine realistische Option, müssten aber vorbereitet werden. Zu einer solchen Verhandlungsrunde sollten auch China und Brasilien gehören. Somit gerieren sich diese Institute ganz als brave Stimme ihres Herrn. Pazifismus ja, aber zuerst muss die richtige Seite unterstützt werden. Dafür zahlen wir schließlich Steuern – insbesondere für die weitere Aufrüstung.

EU-Militärpolitik: unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Die Ankündigung des militärischen Sondervermögens über 100 Mrd. Euro durch „Zeitenwende“kanzler Scholz löst eine massive Verschiebung der Außen- und Sicherheitspolitik der EU aus: Der Trend zu wachsenden Verteidigungsausgaben ist europaweit zu verfolgen. Im Jahr 2019 lag das diesbezügliche Budget aller EU-Mitglieder bei 186 Mrd. Künftig wird allein Deutschland jährlich seines um 25 Mrd. aufstocken. Standen Ende 2021 die Zeichen im Koalitionsvertrag noch auf Rüstungskontrolle und Wiederbelebung der internationalen Abrüstung, setzte ab 2022 eine kontrollierte Rüstung ein. Die Ukraine erhielt Militärgerät, wobei östliche EU-Länder ihre noch aus Zeiten des Warschauer Paktes stammenden Waffensysteme abgaben und durch Nachkauf westlicher Ausrüstung sich dem NATO-Standard anpassten, ihn somit vereinheitlichten.

Die Antwort auf den Ukrainekrieg wird also vornehmlich in Aufrüstung gesucht, nicht in diplomatischen EU-Vermittlungs- und Verhandlungsmissionen. Dabei steht die europäische Verteidigungspolitik im Schatten der Öffentlichkeit. PESCO/SSZ, die ständige strukturierte Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten – wir berichteten in NI 226, Februar 2018: https://arbeiterinnenmacht.de/2018/02/03/muenchner-sicherheitskonferenz-2018-auf-dem-weg-zur-eu-armee/ – begann Ende 2017 und weist heute große Schnittmengen mit der NATO selbst auf. Beleg für den laufenden Ausbau dieser Politik liefern die Missionen auf dem Balkan, im Mittelmeer und Afrika (Mali, Niger).

In welche Richtungen EU-Gelder und -Budgets fließen, veranschaulicht das Projekt „Open Security Data EU“ (https://opensecuritydata.eu/). Man bedenke: Diese Gelder tragen zu einem Militärhaushalt ohne eigene EU-Armee bei! Der Europäische Verteidigungsfonds umfasst allein zwischen 2021 und 2027 8 Mrd. Euro für militärische Forschung und Entwicklung. Im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität stehen weiter 5 Mrd. für gemeinsame Missionen und Hilfe an Drittstaaten zur Verfügung. Weitere 500 Mio. liefert das Instrument zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie durch gemeinsame Beschaffung (Edirpa) für den Zeitraum Juli 2022 – 2024.

Dass es bei einer EU ohne Armee bleiben wird, erscheint zudem immer unsicherer. Im März 2022 wurde der Strategische Kompass vorgestellt. Eine neue Schnelleingreiftruppe aus 5.000 Soldat:innen soll für Rettungs- und Evakuierungsaufträge, aber auch den Ersteinsatz im Rahmen der Krisenintervention bis 2025 aufgestellt werden.

Diese Zahlen und Hinweise verdanken wir einer Expert:innenrunde des Brüsseler Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter dem Oberthema: „Der Militarisierung entgegenwirken: Bestandsaufnahme und gemeinsame Wege im Kampf gegen die Militarisierung der Europäischen Union“ von Anfang September 2022 (https://www.rosalux.eu/de/article/2154.der-militarisierung-der-eu-etwas-entgegensetzen.html).

Doch so dankbar wir auch für die wertvolle Recherche der Stiftung sind, ihr „Antimilitarismus“ bleibt ein zahnloser:

„In der Summe der Projekte, Budgets und strategischen Planungen sowie deren absehbaren Ausweitungen drohen die Idee des friedlichen Charakters der Europäischen Union sowie die Vorstellung von einer Mittlerrolle im Rahmen von Friedensverhandlungen, die bislang im Ukrainekrieg auch nicht eingenommen worden ist, weiter Schaden zu nehmen. […] Wenn künftig das Mittel zur konstruktiven Enthaltung auch bei Militärmissionen zum Einsatz kommen sollte, dürfte die Zahl der Missionen aus nationalen Interessen einzelner oder mehrerer europäischer Staaten heraus zunehmen. Damit läuft die EU Gefahr, dass sich abgekoppelte Kriege auf Betreiben einzelner Staaten hin entwickeln. Analog kann der US-Feldzug in Afghanistan gesehen werden, dessen Angriffe im Rahmen der Operation Enduring Freedom mit Verteidigung nicht begründbar waren. Das zur Verteidigung angerückte Bündnis aus NATO- und Nicht-NATO-Mitgliedern leistete dafür eine wesentliche Unterstützung.

Linke europäische Politik muss sich angesichts dieser und vieler weiterer Aspekte, beispielsweise der Einsätze von Frontex im Mittelmeer und der auf Abwehr angelegten Maßnahmen an den europäischen Außengrenzen, über die Rolle innerhalb der Europäischen Union klar werden, um den friedensfördernden Charakter des Bündnisses nicht an die Rüstungsindustrie und Wirtschaftslobbyisten zu verlieren.

Das verlangt linker europäischer Politik aber auch ab, bei der Ablehnung der etablierten konventionellen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eigene Lösungen aufzuzeigen. Dabei muss auch das Bedürfnis nach dem Schutz, den Sicherheits- und Verteidigungsbündnisse vorgeblich bieten, in linke Lösungsvorschläge einfließen. Die Fragen nach einer neuen europäischen Sicherheitsordnung und einer gemeinsamen europäischen Verteidigung müssen von links beantwortet werden.“

Die Märchenerzähler:innen der RLS wollen uns weismachen, die EU sei eigentlich ein friedlicher Zusammenschluss, wenn egoistische Nationalinteressen, Wirtschafts- und Rüstungslobby nicht die Oberhand gewinnen. Kautskys Idee vom Ultraimperialismus erlebt hier eine Renaissance. Sie ist zwar ein Staatenbund, aber kein Superstaat, indem sich die konkurrierenden Interessen nationaler Gesamtkapitale schiedlich-friedlich verflüchtigt haben. Sie bildet ein politisch-wirtschaftliches Kartell unter Ägide des deutschen und französischen Imperialismus als dessen Hauptprofiteuren. Sieht so die Transformationsstrategie aus, der EU ihren grundlegend militaristischen und imperialistischen Charakter abzusprechen? Im Transformatorenhäuschen der RLS fließt nur reformistischer Schwachstrom, der den EU-Militarismus höchstens ein bisschen kitzelt. Das Gesundbeten dieses Saulus zum Paulus wird niemals gelingen. Die Linkspartei und ihre Ableger betreiben „konstruktiven, kritischen“ Sozialpatriotismus.




Von Rüstungs- und Entlastungspaketen: 100 Milliarden Gründe gegen Scholz

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 263, April 2022

In stürmischen Zeiten des Krieges in der Ukraine und weltumspannender Sanktionsprogramme sitzt das Portemonnaie der Bundesregierung recht locker. Ende Februar brachte der Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100.000.000.000 Euro auf den Weg. Ende März einigte sich die Ampelkoalition auf ein Entlastungsprogramm, um die Preissteigerungen des Krieges abzufedern. Hier möchten wir einen Einblick in die beiden Milliardenprogramme der Bundesregierung geben und diese bewerten.

Mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen und einer geplanten Erhöhung des Jahresbudgets für Verteidigung auf das von der Nato vorgegebene 2 %-Ziel des Bruttoinlandsprodukts, somit auf mehr als 70 Milliarden Euro, nehmen die Rüstungsausgaben einen gigantischen Kostenfaktor im Bundeshaushalt ein. Olaf Scholz liegt richtig, wenn er diesen Schritt als Zeitenwende bezeichnet.

Größtes Rüstungsprogramm

Denn nicht nur vom Geldvolumen her, auch bezogen auf die Anschaffungen haben wir es hier mit einer Wende in der zukünftigen militärischen Stellung zu tun. Der neue deutsche Militarismus soll die „Truppe“ im Ausland interventionsfähiger machen. Auch Verteidigungssysteme wie das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome könnten angeschafft werden.

#DerAppell, eine Petition gegen die Aufrüstungspläne der Bundesregierung, macht klar, welche Dimension das Sondervermögen im Gesamthaushalt einnimmt. „Diese Summe (des Sondervermögens) entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Landwirtschaft (6,98 Mrd.).“ Der Jahresetat der Bundesregierung lag ursprünglich bei 443 Milliarden Euro, inklusive Corona-Hilfen. Finanzminister Lindner kündigte an, dass an anderer Stelle Kürzungen für dieses Sondervermögen erfolgen müssten.

Aktuell besteht ein Streit zwischen Finanzministerium und Unionsfraktion über das Gesamtvolumen der Rüstungsausgaben bis zum Ende der Legislaturperiode. Lindner will neben den 100 Milliarden Euro den jährlichen Verteidigungsetat auf der aktuellen Höhe deckeln (50 Milliarden Euro). Mit diesen Maßnahmen würde die Erhöhung selbst über das Zwei-Prozentziel hinaus durch die 100 Milliarden im Sondervermögen ermöglicht werden, jedoch weniger übererfüllt, als es sich die Union wünscht.

Welche Kriegsgeräte?

Die genauen Bestellscheine sind noch nicht fertig geschrieben, denn eines ist klar: Die 100 Milliarden Euro entsprechen weniger einem klaren Rüstungsprogramm, als dass sie ein politisches Statement darstellen. Diese Erhöhung als Abschreckung zu verstehen, wäre ein verkürztes Urteil. Es handelt sich um eine Umrüstung des deutschen Imperialismus hin zu einer kriegsfähigen Kraft auf dem Erdball. Das NATO-Jahresbudget (30 Mitgliedsstaaten) überstieg schon zuvor um ein Zwanzigfaches den russischen Rüstungsetat. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) dementierte, dass es sich um ein militaristisches Aufrüstungsprogramm handle und markiert es als notwendige Ausstattung für eine wehrhafte Demokratie. Wir aber sagen: Ein demokratischer Bomber bleibt ein Bomber.

Es ist eine Zeitenwende, die den deutschen Imperialismus wieder zu einer kriegsfähigen Nation gestalten soll. Dass der hochgerüstete deutsche Imperialismus Blockführer in zwei Weltkriegen war, muss dafür in den Hintergrund geraten.

Konkret steht die Anschaffung von atomwaffenfähigen F-35-Kampfflugzeugen, bewaffnete Kampfdrohnen und Schwertransporthubschraubern im Raum. Die Anschaffung eigener nuklearer Sprengköpfe wird vorerst umschifft. Im Kriegsfall sollen die in Deutschland gelagerten US-amerikanischen Atombomben genutzt werden – nukleare Teilhabe. Der FAZ ist das schon nicht mehr genug. Sie forderte bereits mehr oder weniger offen ein Atomwaffenprogramm Europas, in dem die BRD mit führend ist.

Das aktuell erfolgreichste Kampfmittel auf Weltebene seitens der USA und europäischer Staaten ist das Sanktionsprogramm, welchem das Ziel wirtschaftlichen Schadens für Russland in bislang ungeahntem Ausmaß innewohnt. Die Sanktionen und die weltweite Inflation sowie die stetige Gefahr, dass der Krieg zu einem weltweiten Flächenbrand auswächst, wirken sich global auf die Preise aus. Weltweit droht eine Hungerkatastrophe vor allem in den Ländern des Südens. Die Ukraine und Russland liefern rund 30 % des weltweiten Weizenexports. Eine erste Krise zeichnet sich bereits in Ägypten ab, dessen Währung einerseits in den letzten Wochen um 15 % im Vergleich zum Dollar abgefallen ist und das zu 80 % seinen Weizen aus Russland importiert. Die Regierung hat vorerst den Brotpreis gedeckelt.

Und das Entlastungspaket?

Um die Folgen dessen in der Bevölkerung der BRD abzufedern, hat die Bundesregierung ein Entlastungsprogramm auf den Weg gebracht. Es umfasst folgende Aspekte: Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und Reduktion der ÖPNV-Ticketpreise auf 9 Euro für 90 Tage, 300 Euro Energiepauschale für Erwerbstätige, 100 für Sozialleistungsempfänger:innen und 100 pro Kind als Familienzuschuss.

Das Maßnahmenpaket folgt einer Gießkannenlogik. Dieser zufolge sollen alle ein bisschen gefördert werden, unabhängig von eigenen finanziellen Rücklagen oder regelmäßigen Einnahmen. Natürlich halten wir es für einen Erfolg, wenn indirekte Massensteuern wie die auf Kraftstoffe zurückgenommen werden. Wir stellen dem eine direkte progressive Steuer entgegen, die Reiche und Konzerne be- und die ärmeren Lohnabhängigen entlastet, die schärfer von Massensteuern betroffen sind wie beispielsweise der Mehrwertsteuer. Faktisch wird hier ein höherer Verbrauch mehr subventioniert.

Unter dem Deckmantel der auf den Individualverkehr angewiesenen ländlichen Bevölkerung werden SUV-Fahrer:innen in der Stadt mit bezuschusst. Dass Sozialleistungsempfänger:innen mit einer Einmalzahlung von 100 Euro abgefrühstückt werden, zeigt, wie unsozial dieses Programm ist. Das ÖPNV-Ticket sollte kostenlos sein, es wäre ein sinnvolles verkehrspolitisches Werkzeug für eine Mobilitätswende, auch wenn eine solche nur durch den massiven, flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs erfolgreich sein kann. Darüber hinaus unterstützen wir die Initiative verschiedener Verkehrsminister:innen der Länder und aus einigen Kommunen, die für ein kostenfreies Ticket werben. Selbst für den Staat dürfte das günstiger sein, da Verfahrenskosten und Kosten für Verkehrskontrollen eingespart werden könnten.

Fazit

Das Rüstungsprogramm lehnen wir kategorisch ab. Es dient nicht nur der imperialistischen Blockkonfrontation, es bereitet diese Nation darauf vor, wieder kriegsfähig zu werden. Für imperialistische Nationen bleibt der Krieg das letzte Mittel im Kampf um das begrenzte Territorium, das im Widerspruch zu unbegrenzter Kapitalanhäufung steht.

Gegenüber dem Entlastungspaket ist unsere Haltung etwas komplexer. Schließlich ist es für die Masse der Bevölkerung eine wirkliche wirtschaftliche Hilfe. Wir lehnen die allgemeine Förderung ab. Auch wenn wir die Streichung von Massensteuern prinzipiell befürworten – vermögende Haushalte und Konzerne brauchen keinen Cent an Subventionen! Sie sollten viel eher durch Progressivsteuern und Sonderabgaben belastet werden. Denn an welcher Stelle gekürzt werden wird, um die Milliardenförderung (und die Aufrüstung!) zu ermöglichen, das bleibt unklar. Es zeichnet sich langsam ab, dass die Mittel u. a. bei der Pandemiebekämpfung eingespart werden.

Gleichzeitig offenbart die Fokussierung auf Kraftstoffe, welchen Blickwinkel diese Bundesregierung auf soziale Fragen hat. Drückt sich die Verteuerung doch bereits seit Pandemiebeginn in den Lebensmittelpreisen und weiter steigenden Mieten aus. Aber nein, die BILD schreit vor allem: Der Sprit ist zu teuer! Der arme deutsche Zweieinhalbtonnenstraßenpanzerfahrer! Real sind die Spritpreise auch Machwerk der Raffineriekartelle, die sie massiv, weit über die Verteuerung des Rohölpreises hinaus angehoben haben und nun Milliardengewinne erzielen. Die Preiskontrolle über diese Kartelle würde eine reale Entlastung mit sich bringen. Doch gegen das eigene Kapital wird es keinen Kampf durch die Ampel geben. Diese Aufgabe steht u. a. den Gewerkschaften zu, die angesichts von Pandemie und Krieg aus ihrer sozialpartnerschaftlichen Servilität überhaupt nicht mehr herauskommen.

Für Revolutionär:innen ergeben sich hier also zwei Ansatzpunkte in der sich verschärfenden Krise. Erstens der Kampf gegen die Aufrüstung, zweitens um die Frage der Preiskontrolle durch Organe der Arbeiter:innenbewegung:

  • Kein Cent, kein Mensch für die Bundeswehr!
  • Wir zahlen nicht! Weder für Pandemie, noch Krieg!



Aufrüstungskanzler Olaf – demokratisch-imperialistische Militarisierung schreitet voran

Martin Suchanek, Infomail 1179, 27. Februar 2022

Auf einmal ging es ganz schnell. Zusätzlich zum laufenden Budget wird die Bundeswehr in diesem Jahr mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro ausgestattet, mehr als das Doppelte des aktuellen Verteidigungshaushaltes von 46,9 Milliarden. Außerdem verpflichtet sich die Bundesrepublik für die kommenden Jahre, mindestens zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, also faktisch zu einer Aufrüstungsgarantie.

Diese „Zeitenwende“, wie sie die Regierung selbst nennt, wurde mit den Stimmen der Koalitionsparteien und von CDU/CSU in einer Sondersitzung am 27. Februar beschlossen. Nach Monaten der Schelte wegen angeblichen Verständnisses für Putin, Zauderei und zweifelhafter westlicher Bündnistreue feiert die bürgerliche Presse ausnahmsweise den Kanzler.

Bild-Zeitung feiert Super-Scholz

Die Bild-Zeitung feiert gar den „Super-Scholz“. Der Chefredakteur, Johannes Boie, kann es in seinem Kommentar gar nicht fassen:

„100 Milliarden Euro für die Bundeswehr als Sofortmaßnahme! Kampfjet- und Drohnen-Programme werden beschleunigt! Endlich Geld für die Verteidigung, wie von der Nato längst gefordert!

Zahlreiche Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, dass deutsche Bürger nicht unter den hohen Energiekosten leiden werden. Flüssiggasterminals für eine unabhängigere Energieversorgung!

Da setzt ein linker Kanzler Forderungen um, für die konservative und bürgerliche Journalisten und Politiker sehr, sehr viele Jahre belächelt worden sind.“

Endlich ein rechter Sozialdemokrat, der wie einst Rot-Grün mit der Agenda 2010 den deutschen Imperialismus voranbringt, linke Bedenkenträger:innen und pazifistischen Kram hinter sich lässt!

Selbstkritik als Rechtfertigung

Der Angriff Russlands auf die Ukraine habe, so Scholz in seiner Regierungserklärung, die Weltlage grundlegend verändert. Reihenweise üben sich Kabinettsmitglieder und Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP wie auch einige aus den Unionsparteien in „Selbstkritik“. Man habe jahrelang Russland unter Putin falsch eingeschätzt, wäre naiv gewesen, hätte sich betrügen lassen und darüber die eigenen Interessen und natürlich Demokratie und Humanität vergessen. Damit soll nun endgültig Schluss sein.

Frieden schaffen, so ehemalige Pazifist:innen aus den Reihen der Grünen und SPD, ginge doch nur mit Waffen. Die Bundeswehr, die Friedenstruppe, die sich bei imperialistischen Interventionen in Afghanistan und Mali für die „Demokratie“ aufopfernd gut gehalten hätte, müsse endlich modernisiert, vergrößert, aufgerüstet werden – und natürlich auch die öffentliche Anerkennung erhalten, die der demokratischen Truppe zustehe. Bewaffnete Drohnen? Modernste Kampfflugzeuge? Gestern noch umstritten, heute unerlässlich für die „wehrhafte Demokratie“! Waffenlieferungen in Kriegsgebiete? Liefen bis vor kurzem nur unter der Hand, seit dem 26. Februar ganz offen. Die ersten 1.000 Haubitzen in die Ukraine sind schon auf dem Weg. Sanktionen gegenüber Russland, gestern noch umstritten, kann es heute gar nicht genug geben – und zwar nicht nur für die Aufrüstungsparteien SPD, Grüne, FPD und CDU/CSU. Die rechte AfD kritisiert zwar als einzige Partei die Sanktionen, weil sie auch Deutschland schaden – Waffenlieferungen an die Ukraine und die von ihr selbst lange geforderte Aufrüstung begrüßt sie jedoch.

Linkspartei

Schließlich leistet auch DIE LINKE einen parlamentarischen Offenbarungseid. Sie lehnt zwar, wenn auch ohne stringente Begründung die Aufrüstung der Bundeswehr ab, zu den Sanktionen gegen Russland bekennt sie sich jedoch. Dumm nur, dass Imperialismus light im Kampf um die Neuaufteilung der Welt nur die Konfrontation zwischen den Großmächten weiter anheizen und verschärfen kann.

Die Linkspartei vermag nicht, die reaktionäre russische Invasion der Ukraine als Teil eines größeren innerimperialistischen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt zu begreifen und damit auch nicht als solchen zu benennen. Dabei spitzt sich dieser Konflikt um die Ukraine zur Zeit schier unaufhaltsam zu.

Die aktuelle Lage zwingt die deutsche Bourgeoisie (und nicht nur sie) in der Tat, ihre eigene Politik neu zu justieren. Die Zeiten, wo die zunehmende globale Konkurrenz noch hinter Phrasen von Diplomatie, Partner:innenschaft, Kooperation, Globalisierung schöngeredet werden konnte, sind vorbei. Dafür wird der Quantensprung der imperialistischen Aufrüstung Deutschlands wie überhaupt die Formierung des westlichen Blocks hinter den USA jetzt mit den Phrasen von „Demokratie, Humanität, Menschenrechten“ ideologisiert. Wo waren diese bei den NATO-Bombardements und beim Besatzungsregime in Afghanistan? Wo war die überlegene Humanität im Jugoslawienkrieg? Wo war sie, als die ukrainische Regierung einen Bürgerkrieg gegen die Bevölkerung im Osten des eigenes Landes organisierte, der geschätzten zehntausend Menschen das Leben kostete? Wo bleiben die Menschenrechte alle jener Geflüchteter, die an den Außengrenzen der Festung EU, in Nordafrika oder der Türkei in Lagern eingepfercht werden oder im Mittelmeer ertrinken?

Von dieser Realität deutscher und generell westlicher imperialistischer Demokratie und Ausbeutung will der Bundestag bei seiner Sondersitzung nichts hören und wissen. Und auch die Linkspartei versagt einmal mehr, wenigstens als linke Opposition im Parlament die eigene Regierung und deren imperialistische Politik anzuprangern. Sie versagt einmal mehr darin, deutlich zu machen, dass die Leiden der ukrainischen Bevölkerung nur Mittel zum Zweck für die USA, NATO, aber auch die EU und Deutschland sind –, um Russland und indirekt auch China zurückzudrängen. Dafür nimmt nicht nur Putin, sondern auch der Westen in Kauf, dass aus dem Konflikt um die Ukraine ein offener zwischenimperialistischer Krieg werden kann. Mit den Beschlüssen des Bundestages, mit einer ganzen Reihe von wechselseitigen Sanktionen steigt jene Kriegsgefahr, die man offiziell bannen will.

Atommacht Europa

Von einer „Zeitenwende“ spricht in der aktuellen Lage nicht nur die Regierung. Die bürgerliche Presse, ob nun Bild, FAZ oder Spiegel, verbreitet seit Tagen das Narrativ, dass die deutsche Russlandpolitik der letzten Jahre grandios gescheitert sei, dass sie sich von Putin vorführen hätte lassen, die eigenen Interessen und vor allem die Bundeswehr vernachlässigt habe und jetzt dafür die Rechnung präsentiert erhalte. Doch, so der Tenor, der Putinschock könne auch heilsam sein, wenn endlich ein klarer Kurswechsel erfolge. So schlussfolgert einer der FAZ-Herausgeber, Berthold Kohler, im Kommentar „Wieder Krieg“:

„Europa muss Atommacht werden

Die Europäer müssen daher nun mit aller Kraft die militärische Abschreckung stärken. Sie müssen in ihre konventionellen Streitkräfte investieren, in Quantität und Qualität. Das gilt in besonderer Weise für die Bundeswehr, wie es der so verzweifelt wie zornig klingende Offenbarungseid des Heeresinspekteurs unterstrichen hat. Die Bundeswehr ist nach Jahren der Schrumpfung und der einseitigen Ausrichtung auf strapaziöse Auslandseinsatze nur bedingt abwehrbereit.

Putins Kreuzzug gegen den Westen zwingt Deutschland aber auch, sich mit einer Frage zu befassen, die es, auch hier unter Verweis auf die eigene Vergangenheit, als für alle Zeiten beantwortet betrachtete: die nukleare. Die Erfahrung mit Donald Trump zeigte den Europäern jedoch, dass es keine Ewigkeitsgarantie für den atomaren Schutzschirm Amerikas gibt. Frankreichs Abschreckungsarsenal ist zu schwach, um Russland davon abhalten zu können, seinen Willen mit der Androhung von Nuklearschlägen durchzusetzen. Mit dieser Drohkulisse sicherte der Kreml schon die Eroberung der Krim ab und nun auch den Angriff auf die restliche Ukraine. Wenn die Europäer sich nicht dem – von Peking aufmerksam verfolgten – Versuch Moskaus beugen wollen, um Russland herum eine Zone reduzierter Souveränität zu schaffen, dann muss Europa zu einer Atommacht werden, die diesen Namen verdient. Ohne Deutschlands Beteiligung wird das nicht möglich sein.“

Einen Offenbarungseid im Sinne Kohlers haben Parlament und Regierung am 27. Februar geliefert. 100 Milliarden für neue Waffen und andere Ausrüstung werden, geht es nach dem Aufrüstungskabinett, nicht die letzten Sonderetats sein. Die Rüstungsindustrie wird’s freuen. Doch hinter all dem steht auch ein Programm, Deutschland und eine von ihm geführte EU doch noch zum echten Player im Kampf um die Weltherrschaft, zu einer imperialistischen Macht zu machen, die auch militärisch auf Augenhöhe mit den USA, China und Russland steht. Der FAZ kommt das zweifelhafte Verdienst zu, auch die nuklearen und militaristischen Konsequenzen zu benennen. Insofern sind die Organe der Bourgeoisie offener und ehrlicher als ihr geschäftsführender politischer Ausschuss in der Bundesregierung.

Das hängt sicher damit zusammen, dass Scholz und vor allem die SPD, aber selbst Teile der Grünen bei der aktuellen Aufrüstungspolitik oft mehr Getriebene als Treibende sind. Doch das hat für die Rechtfertigung einer solchen Politik auch ihre Vorteile. Der grünen Außenministerin Baerbock, dem „linken“ SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert oder selbst Olaf Scholz nimmt man Sorgen um Demokratie und Menschenrechte, inneres Hadern bei einem Milliardenprogramm zur Aufrüstung und generell „gute Absichten“ viel eher ab als einem neoliberalen Einpeitscher wie CDU-Chef Merz oder FDP-Finanzminister Lindner. Am Wesen der Sache ändert das jedoch nichts.

Klassenkampf gegen Militarismus

Die Arbeiter:innenklasse und die klassenkämpferische Linke darf sich von diesem demokratischen Phrasen nicht betrügen lassen. Aufrüstung bleibt Aufrüstung – und zwar für Kapital und Imperialismus! Und die Kosten für das Milliardenprogramm und für die Folgen der Sanktionen werden die Lohnabhängigen zahlen zahlen müssen – sei es durch Sozialkürzungen, fortgesetzten Notstand im Gesundheitswesen, Preissteigerungen oder Betriebsschließungen. Sie werden sie aber auch zahlen müssen durch eine zunehmende Militarisierung, vermehrte, natürlich ausschließlich „demokratische“ Auslandsinterventionen und durch eine steigende Kriegsgefahr.

Es gilt also, nicht nur gegen den reaktionären Krieg Putins auf die Straße zu gehen. Es muss zugleich klar sein, dass der Krieg in der Ukraine Teil eines größeren Kampfes um die Neuordnung Europas und der Welt zwischen den Großmächten ist. Das Milliardenprogramm der Regierung und ihr Sanktionskurs sind selbst Mittel, mit denen dieser neue Kalte Krieg ausgetragen wird. Und deshalb müssen wir eine Bewegung aufbauen, die unserer „eigenen“ herrschenden Klasse in den Arm fällt, gemäß Karl Liebknechts Motto: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“




Militarismus – Wettrüsten als Krisenlösung

Baltasar Luchs, Neue Internationale 248, Juli/August 2020

Am Ende des Kalten Krieges wurde eine Zeit andauernden Friedens und Wohlstands versprochen. Die Kriege in Syrien, Afghanistan, Jemen und Libyen – um nur einige zu nennen – sprechen freilich eine andere Sprache. Wie kann es sein, dass sich das militärische Potential in einer Periode „freien Wirtschaftens“ so nach oben entwickelt? Wie will man auf die akuten Probleme wie Umweltzerstörung, Hunger, Wasserknappheit, Armut und Seuchen reagieren?

Entwicklung seit 1990

Bei den Summen, die für Rüstung ausgegeben werden, kann man sich fragen, wieviel Geld oder gesellschaftliche Arbeit für die Bekämpfung dieser Probleme bereitstünde. Im April 2020 veröffentlichte das Friedensforschungsinstitut SIPRI seinen jährlichen Bericht zu den weltweiten Rüstungsentwicklungen. Die Zahlen beruhen auf offiziellen Angaben, demnach könnten versteckte Ausgaben hinzukommen. Die Auflistung ist unterteilt nach Regionen und zeigt eine Abnahme der Gesamtausgaben für Rüstung mit Ende des Kalten Krieges 1990 bis ca. zum Jahr 2000. Danach ist eine deutliche Tendenz nach oben zu sehen: Mit knapp 2 Billionen US-Dollar sind die Ausgaben höher als 1988.

Eine Übersicht nach Nationen unterteilt, zeichnet ein genaueres Bild dieser Entwicklung. Aufgeführt sind die 10 größten Militärhaushalte. Wie zu erwarten, führt die USA mit 732 Milliarden US-Dollar, an zweiter Stelle folgt China 261 Milliarden US-Dollar, dann Indien mit 71,1 Milliarden US-Dollar usw. Die Abstände der Ausgaben zueinander verringern sich dann deutlich. Die Ausgaben der 9 auf die USA folgenden Staaten liegen mit in der Summe 698,7 Milliarden US-Dollar noch unter den US-Ausgaben. Die Entwicklung zum Jahr 2018 wird in Prozent betrachtet, auch hier geht der Trend nach oben. Bezeichnenderweise steht Deutschland mit 10 % weltweit an erster Stelle. Ausreißer nach unten ist Saudi-Arabien mit -16 %: Dies lässt sich durch die aufgrund der Wirtschaftskrise gefallenen Öl- und Gaspreise erklären und den kostspieligen Bürgerkrieg im Jemen.

Weiter fällt auf, dass nur die führenden imperialistischen Nationen oder starke Regionalmächte (Indien, Südkorea, Saudi-Arabien) in den Top 10 vertreten sind. Gleiches gilt für die führenden RüstungsexporteurInnen. Das ist einerseits nicht verwunderlich, andererseits aber ein wichtiges Charakteristikum für die Bewertung ihrer politischen Interessen: Wirtschaftlicher Erfolg und militärische Stärke weisen einen Zusammenhang auf. Umgekehrt dominieren die wirtschaftlich schwächeren Länder die Auflistung der Waffenimporte, zumeist Länder aus dem sog. Nahen Osten. Nicht zuletzt ist der Rüstungssektor aber auch ein Wirtschaftsfaktor, an dessen Wachstum jede der Industrienationen ihren Anteil haben will.

Von der Verteidigungs- zur Einsatzarmee

Der steile Anstieg der deutschen Militärausgaben kommt nicht von ungefähr, sondern ist mit dem aktuell hohen Druck der USA verbunden, die NATO-Vorgabe von 2 % des BIP einzuhalten. Wurden 2019 noch 1,36 % des deutschen BIP ausgegeben, dürfte sich dies laut einer Schätzung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im laufenden Jahr auf 1,58 % erhöhen. Geplant ist, die Einhaltung der 2 %-Marke bereits 2024 zu erreichen. In Zahlen ausgedrückt sind für dieses Jahr Ausgaben in Höhe von 50,4 Milliarden Euro vorgesehen.

Diese Steigerung hängt jedoch nicht von NATO-Vorgaben allein ab, ja in gewisser Weise stellen diese eine ideologische Rechtfertigung dar, die von einer grundlegenderen Ursache ablenken sollen, der strategischen Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik und damit auch des Agierens des deutschen Imperialismus. Die Bundeswehr wurde 1955 ganz im Zeichen des Kalten Krieges als Verteidigungsarmee gegründet. Damals, wie auch heute, war die strategisch wichtige Lage im Herzen Europas von großer Bedeutung. Heute noch besitzt Deutschland hohe Attraktivität als Drehscheibe für die amerikanischen Lufttransporte von SoldatInnen und Kriegsgerät sowie die Koordinierung der Drohnenoperationen (Ramstein), das größte Lazarett außerhalb der USA (Ramstein) und, nicht zuletzt, die günstige Lage an der Westflanke Russlands.

Mit dem Einsatz im Kosovo 1999 nahm die Bundeswehr erstmals offen an einem Angriffskrieg teil. Logistisch, materiell und politisch-ideologisch unterstützt wurden westliche militärische Operationen natürlich schon seit Beginn des Kalten Krieges. Unter dem Deckmantel des Schutzes der Menschenrechte wurde das Grundgesetz aufgeweicht, welches der Armee reinen Verteidigungscharakter zuspricht. Natürlich war auch das im Kalten Krieg im Grunde eine Farce, da die „Verteidigung“ nichts anderes darstellte als die Aufrüstung gegen den Systemgegner Sowjetunion und den Warschauer Pakt im Rahmen der NATO-Strategie. Entscheidend ist jedoch, dass nun der Boden für die „Verteidigung“ Deutschlands bei Auslandseinsätzen rechtlich und ideologisch bereitet wurde.

Musste 2010 der damalige Bundespräsident Horst Köhler noch zurücktreten, als er den Einsatz deutscher SoldatInnen in Afghanistan mit wirtschaftlichen Interessen in Verbindung brachte, wird im Weißbuch der Bundeswehr 2016 ganz offen davon gesprochen:

Unsere sicherheitspolitischen Interessen werden zudem maßgeblich bestimmt durch unsere geographische Lage in der Mitte Europas und die Mitgliedschaft in der EU, unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Handelsabhängigkeit, unsere Bereitschaft zu verantwortungsbewusstem Engagement sowie das Friedensgebot nach Artikel 26 des Grundgesetzes […] Wohlstand unserer Bürgerinnen und Bürger durch Prosperität unserer Wirtschaft und freien sowie ungehinderten Welthandel.“

Diese Sätze fassen die Umstrukturierung in Worte: Die Bundeswehr wird von einer Verteidigungs- zu einer Einsatzarmee umgewandelt. Den Anforderungen des zunehmenden Umfangs der Auslandseinsätze begegnete man 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflicht, um länger verpflichtete und besser ausgebildete SoldatInnen zu unterhalten. Wurden 2011 noch ca. 163.000 Euro pro SoldatIn ausgegeben, waren es 2019 bereits rund 242.000 Euro, obwohl sich gleichzeitig die Truppenstärke um ca. 20.000 verringert hat. Um den Nachschub an RekrutInnen zu decken, wurde von 2012 bis 2019 der Werbeetat von 16 Mio. Euro auf 34,5 Mio. Euro erhöht.

Deutliche Präsenz auf Jobmessen sollen das Militär als sicheren Arbeit„geber“ darstellen. Mit dem Versprechen von Abenteuern werben zahlreiche Youtube-Serien wie „Mali“, oder „KSK“. Auf Stellwänden, in Printmedien und Online-Werbung wirkt man in die Öffentlichkeit mit dem „humanitären Charakter“ der Einsätze. Wie auch in der Industrie klagt man über die BewerberInnenzahlen, speziell von Fachkräften. Aber angesichts einer aufkommenden Weltwirtschaftskrise ist die Perspektive, überhaupt einen Job zu haben, durchaus verlockend. Bei der jüngeren Zielgruppe verfängt diese Werbung stark: 2011–2019 gab es mehr als 13.000 SoldatInnen unter 18 Jahren, 2018 sogar 10 % der RekrutInnen. Dabei handelt es sich sogar nach UN-Einschätzung um KindersoldatInnen.

Mehrere Skandale um rechte Netzwerke zeigen dabei, wie es in der Truppe bestellt ist. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) spielt jeden neuen Vorfall als Einzelvorkommnis runter. Nach dem offenen Brief eines Mitglieds des Kommandos Spezialkräfte (KSK) war dies jedoch nicht mehr möglich und man beteuerte vordergründig, Konsequenzen zu ziehen. Dass sich innerhalb der Armee, speziell ihrer Eliteeinheiten, der Reservetruppen und Teilen der Polizei solche Fälle häufen, ist nicht nur für die linke als Bewegung ein Problem. Dass neben Todeslisten politischer GegnerInnen (Linkspartei, AntifaschistInnen, GewerkschafterInnen) auch die Grünen, SPD und Teile der CDU/CSU als Feindinnen angesehen werden, stellt die Führungsebene und die Bundesregierung vor ein größeres Problem, als sie lange nach außen zuzugeben bereit war. Mehrere dieser Gruppen bereiten sich auf einen Bürgerkrieg vor.

Die Enthüllungen über die tief sitzenden rassistischen und faschistoiden Tendenzen bei Spezialkräften konnten schließlich nicht mehr als „Einzelfälle“ einer ansonsten sauberen Truppe abgetan werden. Das KSK könne, so Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, „nicht in seiner jetzigen Verfassung bestehen“ bleiben. Eine Kompanie wurde aufgelöst, das KSK selbst soll grundlegend „umstrukturiert“ werden. Das hat mehrere Gründe. Erstens will auch die deutsche Bourgeoisie heute keine Armee, in der sich mehr und mehr wild gewordene KleinbürgerInnen tummeln. Der Faschismus stellt eben nur eine letzte Reserve für sie dar, aktuell setzt sie aber auf eine „demokratische“ und „humanitäre“ Rechtfertigung erhöhter militärischer Interventionsfähigkeit – und kann solche „Skandale nicht gebrauchen. Daher auch der Eifer der Regierung bei der „Säuberung“ des Kommandos – ein Eifer freilich, der vor allem dazu dienen soll, das KSK zu retten und damit auch den Aufrüstungskurs der Bundeswehr.

Die höheren Militärausgaben fließen natürlich nicht nur in bessere Ausbildung der Truppe. Die Geschwindigkeit, mit der man veraltete Waffentechnik ersetzt oder gänzlich neue Systeme anschafft, sollte einen bereits in Alarmbereitschaft versetzen. Die bekanntesten Projekte sind Eurofighter und Tiger-Helikopter, aber auch aktuellere wie das Transportflugzeug A400M, der Schützenpanzer Puma, Radpanzer Boxer, der neue Fregattentyp F125 oder das TLVS-Luftabwehrsystem. Die Erneuerungen betreffen Marine, Luftwaffe und Heer.

Mit dem Wunsch nach einer bewaffneten Drohne für „Verteidigungszwecke“ fließen die Erfahrungen, welche die USA in Afghanistan und Syrien gemacht haben, in das neue Waffenkonzept ein. Diese Technologie verdeutlicht den Willen nach taktischer und damit auch strategischer Neuausrichtung: Zu jeder Zeit an jedem Ort kann ein Angriff durchgeführt werden. Dass der Drohnenkrieg jegliche Hemmungen und Kontrolle über Bord wirft, beweisen zahlreiche Beispiele von Angriffen auf Familienfeiern oder der völkerrechtswidrige Mord am iranischen Kommandeur Soleimani in Bagdad. Die Spitze dieser Rüstungsspirale drückte sich jedoch in der Debatte um die F-18-Kampfflugzeuge aus: Deren Fähigkeit, mit Atomwaffen ausgerüstet zu werden, soll das Potential taktischer Atomwaffen in greifbare Nähe rücken. Dies wird mit „nuklearer Teilhabe“ beschönigt.

Das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr haben sich dabei auch zum Gespött gemacht: Flugzeuge, die nicht abheben können, Eurofighter, die nur als Ersatzteillager herhalten, und Panzer, die wie eine einzige Pannenserie erscheinen. Davon darf man sich jedoch nicht täuschen lassen. Einerseits vermitteln solche Schlagzeilen der Öffentlichkeit, man bräuchte mehr finanzielle Mittel. Und andererseits baut der militärische Bereich gerade Expertise auf, die jahrelang brachlag. Dass dies mit Fehlern einhergeht, gehört dazu. Dass der militärische Bereich aus jedem dieser Fehler lernt, sollte einem klar sein. Wer dies außer Acht lässt, verkennt die Entschlossenheit des deutschen Kaptals, wieder auf Weltebene mitzuspielen.

Im Namen der Demokratie: Die ganze Welt als Einsatzgebiet

Die unter dem humanitären Deckmantel stattfindenden Einsätze dienen den politischen Zielen. Zurzeit ist man mit 4.000 SoldatInnen auf 12 verschiedene Missionen verteilt (Stand Nov. 2019). In Afghanistan findet seit 2001 der „Krieg gegen den Terror“ statt. Bereits 2010 sprach der damalige Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte dieser Weltregion (ISAF), General David Petraeus, von vermuteten Bodenschätzen im Wert von geschätzt 1 Billionen US-Dollar dort: Seltene Erden, Kupfer und Edelmetalle. Mittlerweile geht man von bis zu 3 Billionen US-Dollar aus. Verteidigungsminister Peter Struck sagte 2002: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“ Es sind also die zukünftigen Rohstoffquellen, deren „Sicherheit“ mit 1.250 SoldatInnen unterstützt wird.

In Syrien, Jordanien und im Irak ist man mit 700 SoldatInnen vertreten. Auch hier winken Rohstoffe wie etwa Öl und Gas, aber es geht auch um die Stabilisierung einer Region, aus der Millionen von Menschen in die Flucht getrieben wurden. Gleiches gilt für Mali (1.550) und die Westsahara (109). Die Bundesregierung macht aber kein Hehl daraus, eher die Flüchtlinge zu stoppen, als die Ursachen ihrer Flucht zu bekämpfen. Auf einer Grafik des Verteidigungsministeriums liegen die Einsatzgebiete auf den gängigen Fluchtrouten durch Afrika. Wer es durch die Sahara schafft, die/der soll durch die libysche Küstenwache oder die Einsätze im Mittelmeer abgefangen werden. Man spricht es sogar in aller Deutlichkeit aus: Wirtschaftliche Stabilität und Schutz der EU-Außengrenzen beschönigen nichts.

Die Einsatzgebiete der Bundeswehr verdeutlichen die politische Bedeutung für den Kapitalismus: Handelsrouten, Zugang zu Rohstoffen und Präsenz in Regionen der Welt begünstigen die Bedingungen für die wirtschaftliche Leistung eines Landes. Dieses Vorgehen kann man bei allen imperialistischen Mächten sehen, seien es nun Deutschland, die USA, Frankreich, China oder Russland. Jedes Land hat dabei seine eigenen Interessen und agiert, wenn es ihm zuträglich ist, in Bündnissen.

Die NATO als Machtfaktor

Gegründet wurde die NATO 1949 als „Verteidigungsbündnis“ gegen den Warschauer Pakt und im Zuge der Wiederbewaffnung Deutschlands. 1955 erfolgte auch dessen Integration in das Bündnis. Bis zum Ende des Kalten Krieges 1990 wuchs die NATO beständig, mit steter Ausrichtung nach Osten. Dies Entwicklung setzte sich auch mit dem Zusammenbruch des Warschauer Paktes fort. 1999 traten mit Polen, Tschechien und Ungarn ehemalige Mitgliedsstaaten bei. Die Spannungen, die in diesem Zusammenhang aufkamen, lassen sich auch an der Entwicklung der Rüstungsausgaben ablesen. Mit der Annäherung an die Ukraine als möglicher Beitrittskandidatin und der darauf folgenden russischen Kontrolle der Krim (wichtigster russischer Schwarzmeerstützpunkt) erreichte dieser Konflikt einen temporären Höhepunkt mit massiven Manövern sowohl auf NATO- wie russischer Seite sowie einem Anstieg der Rüstungsausgaben.

Damit einhergehend wurde 2014 die Schnelle Eingreiftruppe der NATO von 13.000 auf 40.000 SoldatInnen erhöht und zusätzlich um eine Ultraschnelle Eingreiftruppe von 5.000 ergänzt. 2016 wurden mit der „Enhanced Forward Presence“ 4 NATO-Bataillone (à 1.000) dauerhaft in unmittelbarer Nähe zu Russland stationiert. 2018 kamen mit „4X30“ noch 30 größere Kampfschiffe, 30 schwere oder mittlere Infanteriebataillone, 30 Kampfflugzeugstaffeln inkl. Unterstützungskräften, alles mit 30 Tage Reaktionsfähigkeit, hinzu. Russlands Rüstungsanstrengungen sind ebenfalls gewachsen. Seine Manöver übertreffen die NATO in Zahlen deutlich, aber allein ein Blick auf die zur Verfügung stehenden Geldmittel dürfte deutlich machen, wie die Kräfte verteilt sind: Die NATO strotzt vor finanziellem Potential und baut es mit Einhaltung der 2 %-Marke noch aus. Rüstungsabkommen wie der INF- oder Open Skies-Vertrag wurden beendet. Mit dem New-START-Vertrag läuft 2021 der letzte atomare Abrüstungsvertrag aus. Gleichzeitig rückt die aufstrebende imperialistische Großmacht China, mit ihrer wachsenden Macht im Pazifik und Ausrichtung nach Afrika und Europa (Neue Seidenstraße), in den Fokus.

Aber das Blockbündnis NATO lässt die Konkurrenz ihrer Mitgliedsstaaten untereinander nicht verschwinden. Die steigenden Kosten und die zunehmenden Spannungen mit dem NATO-Partner USA zwingen das deutsche Kapital, andere Bündnisse auszubauen. Mit Frankreich und Italien arbeitet man bereits in Rüstungskooperationen, um die horrenden Kosten der Projekte aufzuteilen (Eurofighter, Tiger, TLVS, Drohnen). Mit dem Aufbau einer europäischen Armee soll auch die Schlagkraft gebündelt werden. Die führenden imperialistischen Länder Europas treiben diese Entwicklung voran, besonders Frankreich und Deutschland.

Der Handelskrieg, welcher mit den USA schwelt, ist nur ein Ausdruck dessen, in welchem Konkurrenzverhältnis sich Teile der NATO befinden. Diese Konflikte äußern sich in der Energiefrage (Nordstream 2), der Ukraine-Politik (aus der die USA als lachende Dritte hervorgingen, während die EU und Russland sich mit Strafzöllen belegten) oder den unterschiedlichen Interessenlagen in Afrika und Südwestasien. Die EU möchte nicht mehr gänzlich abhängig sein von dem großen Partner USA. Die Unberechenbarkeit Donald Trumps ist nur ein weiterer Grund, dass Frankreichs Präsident Macron das Bündnis als hirntot bezeichnet. Allen Streitigkeiten zum Trotz hat das militärische Potential in naher Zukunft keineswegs gänzlich an Attraktivität verloren inAnbetracht der zunehmenden Stärke Chinas.

Dem Militarismus die Stirn bieten

Der weltweite Aufrüstungstrend zeugt nicht nur von einem rauer werdenden politischen Klima, sondern ist auch Ausdruck zugespitzter Gegensätze in der Welt: Der Wettstreit um Rohstoffe, die Sicherung von Handelsrouten, der Zugang zu Trinkwasser und Ackerland sind Ursache eines großen Teils der Konflikte. Die kontinuierlich wachsende Weltbevölkerung und die Bedrohung ganzer Regionen durch den Klimawandel befeuert diesen Wettstreit zusätzlich. Mit den gestiegenen Militärausgaben zeigt sich, dass man es eher auf Konfrontation anlegt, auch in Form eines möglichen Weltkrieges, statt die Probleme anzugehen. Darin verdeutlicht sich der perfide Zwang des Kapitalismus, nicht nur keine Sicherheit und Stabilität zu schaffen, sondern ihr Gegenteil herbeizuführen.

Im imperialistischen Kampf um die Neuaufteilung der Welt gibt es dabei keine gute oder böse Seite, auf die es sich zu schlagen gilt. Wendet man dieses Bewertungsmuster an, macht man sich zum Spielball. Jedes imperialistische Land ist gezwungen, auch auf militärische Mittel zurückzugreifen, will es seine Interessen gewahrt sehen und sich gegen seine KonkurrentInnen behaupten.

Deutschland kommt dabei eine besondere Rolle zugute: Als Drehscheibe für militärische Aktionen in und um Europa hat es sowohl für die EU als auch die NATO eine besondere Bedeutung – nicht zuletzt für die US-Einsätze in Afrika und Asien. Das Rückgrat der Defender-Übung 2020 beruhte auf den Transportwegen. Die koordinierte Blockade von Häfen, Schienen oder Autobahnen kann solche Manöver zum Scheitern bringen. In Genua, Santander und Le Havre gelang es den HafenarbeiterInnen 2019/2020, durch vereinte Blockaden die Lieferung von Waffen nach Saudi-Arabien zu stoppen. Als viertgrößte Waffenexporteurin ist die deutsche Rüstungsindustrie nicht zu unterschätzen. Jede Schwächung für sie bedeutet gleichzeitig einen Rückschlag für das deutsche Kapital. Dabei sollte das Engagement gegen Militarismus SoldatInnen immer die Möglichkeit geben, sich mit den Auswirkungen imperialistischer Politik auseinandersetzen zu können und sie in die Kritik miteinzubeziehen: Auch sie sind oft Opfer militärischer Auseinandersetzungen und leiden an den Folgen dieser Einsätze.

Ein pazifistischer Ansatz, das Militär per Reform abzuschaffen, scheitert an der kapitalistischen Realität. Ein Kampf gegen den Militarismus ist demnach unweigerlich mit dem gegen den Kapitalismus verbunden. Nur in einer revolutionären Krise kann der repressive bürgerliche Staatsapparat zerbrochen und durch ArbeiterInnenmilizen und demokratische SoldatInnenräte ersetzen werden. Heute geht es darum, den Kampf gegen den Militarismus zu befeuern und damit die Möglichkeiten einer Zersetzung und Ersetzung des Repressionsapparates vorzubereiten. Daher treten wir für folgende Forderungen ein:

  • Enteignung der Rüstungsunternehmen und Umstellung ihrer Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle
  • Für das Recht voller politischer Betätigung in der Bundeswehr, die Bildung von demokratischen Vereinigungen und Komitees einfacher SoldatInnen!
  • Ersatzlose Auflösung der Sondereinheit KSK! Auflösung der militärischen Geheimdienste! Veröffentlichung aller Unterlagen über faschistische, rassistische und rechte Struktur! Öffentliche Untersuchung durch die ArbeiterInnenbewegung, proletarische, migrantische und antifaschistische Jugendorganisationen unter Einbeziehung demokratischer SoldatInnen!
  • Sofortige Beendigung aller Auslandseinsätze! Offenlegung aller Beschaffungspläne, Geheimverträge, Rüstungsvorhaben! Untersuchung durch die ArbeiterInnenbewegung!
  • Sofortiger NATO-Austritt und Auflösung des Bündnisses! Nein zum Aufbau einer EU-Armee, von Eingreiftruppen, zu militärischer Sicherung der EU-Außengrenzen! Offene Grenzen statt Festung Europa!
  • Keinen Cent, keinen Euro für die Bundeswehr!
  • Nein zur jeder militärischen und politischen Intervention des deutschen Imperialismus – ob im Rahmen von NATO, EU, UN oder auf eigene Rechnung! Auch heute gilt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land!



Aufrüstung der Bundeswehr Krachen lassen, nicht nur Staub aufwirbeln!

Robert Teller, Neue Internationale 235, Februar 2019

Verteidigungsministerin
von der Leyen sieht sich auf der Erfolgsspur: „Wir haben vor 5 Jahren die
Trendwende eingeleitet, wir kamen aus einer Zeit von 25 Jahren des Schrumpfens
und Kürzens“. Dabei hat doch die Bundeswehr von 1991 bis 2017 trotz allem
insgesamt 410.000 SoldatInnen in insgesamt 52 Auslandseinsätze geschickt und
dafür 21 Mrd. Euro ausgegeben.

Tatsächlich
steigt der Bundeswehretat für 2019 mit 43,2 Mrd. Euro im Vergleich zu 2014 um
ein Drittel. Die geplanten Rüstungsinvestitionen steigen 2019 allein im
Vergleich zum Vorjahr 2018 um 36 % auf 8,3 Mrd. Aber dabei kann es laut
von der Leyen nicht bleiben: „Das ist auch ein gutes Signal für die anstehenden
Jahre mit vielen weiteren wichtigen Investitionsvorhaben für eine moderne
einsatzfähige Bundeswehr.“ Zu den unmittelbar geplanten Neuanschaffungen
gehören der neue „Schwere Transporthubschrauber“ (5,6 Mrd. Euro), das
Mehrzweckkampfschiff 180 (5 Mrd.), die U-Boot-Klasse 212 CD (1,56 Mrd.), neue
Eurofighter (2,5 Mrd.) und ein taktisches Luftverteidigungssystem als Ersatz
für das aktuelle PATRIOT.

Rückbesinnung
auf „Kernaufgabe“

Die
mittelfristigen Planungen gehen aber noch weit darüber hinaus, wie aus dem
(nicht öffentlichen) „Fähigkeitsprofil der Bundeswehr“ vom 3. September 2018
verlautet. Es stellt einen Planungsentwurf für die „Modernisierung der
Bundeswehr“ bis 2031 dar. Kernpunkt des im Verteidigungsministerium
beschlossenen Papiers ist die „Rückbesinnung“ auf die „Kernaufgabe“ der
Bundeswehr, die „Landes- und Bündnisverteidigung“, weg von der Konzentration
auf Auslandseinsätze. Das heißt natürlich nicht, dass die Bundeswehr von
bewaffneten Kriegseinsätzen wie aktuell in Mali Abstand nehmen wird. Es bedeutet
vielmehr zusätzlichen massiven Wiederaufbau von Kapazitäten „konventioneller
Kriegsführung“, die seit der Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der UdSSR
abgebaut wurden.

Vier „Air Task
Forces“sollen gemeinsam mit Verbündeten die Luftüberlegenheit in Deutschland
oder anderen Einsatzgebieten erzwingen können, d. h. zur Ausschaltung
gegnerischer Luftabwehr und Luftwaffe fähig sein. Die Marine soll jederzeit
mindestens 15 hochseefähige Schiffe zur U-Boot-Abwehr, für eigene
U-Boot-Einsätze, Überwasserseekriegsführung und Abwehr ballistischer Raketen
einsetzen können. Außerdem wird der weitere Ausbau der elektronischen und
Cyberkriegsführung gefordert. Zusätzlich zu den bislang geplanten
Rüstungsprojekten sollen weitere neue leichte Kampfhubschrauber angeschafft
werden.

Der lange
Forderungskatalog soll für die kommenden Jahre den Takt vorgeben, die
Bundeswehr zu Kriegseinsätzen jeglicher Art befähigen, alleine oder in
multinationalen Bündnissen. Sie soll damit aufhören, immer „nur“
Juniorpartnerin in Militärkoalitionen zu bleiben. Das zeigen auch die Vorhaben,
Führungsstäbe in verschiedenen multinationalen Verbänden zu stellen. Die
Bundeswehr will eben nicht nur Staub aufwirbeln, sondern es auch mal selber
richtig krachen lassen. Laut Verteidigungsministerium muss deshalb bis 2024 der
Wehretat auf 58 Mrd. steigen, was der „versprochenen“ Erhöhung auf 1,5 %
des BIP entspräche.

Perspektive
EU-Armee

Elementarer Teil
der Planungen sind die stärkere Einbindung in europäische Bündnisstrukturen und
in stärkerem Maß eine führende Rolle Deutschlands darin. Dabei geht es
natürlich nicht nur um „Synergieeffekte“ bei der Beschaffung, wenn sich mehrere
Länder auf einheitliche Systeme verständigen, sondern sehr wohl auch darum,
Europa als militärischen Block zu etablieren, der innerhalb der NATO, aber auch
eigenständig handlungsfähig ist.

Das Ende 2017
beschlossene PESCO-Projekt, dem alle EU-Staaten mit Ausnahme von Dänemark,
Malta und Britannien angehören, soll in erster Linie im Bereich gemeinsamer
Rüstungs- und Militärprojekte das Konsensprinzip bei Entscheidungen
durchbrechen, das bislang auf EU-Ebene jedem einzelnen Land ermöglicht,
Entscheidungen zur gemeinsamen „Außen- und Sicherheitspolitik“ zu verhindern.
Jedes Mitgliedsland verpflichtet sich, Kontingente zu EU-Verbänden zu stellen
und gemeinsame Operationen zu unterstützen. Zudem wird explizit die regelmäßige
Erhöhung des Verteidigungshaushalts festgeschrieben, was jährlich überprüft
werden soll.

Im März 2018
wurden 17 gemeinsame Militärprojekte beschlossen. Darunter befinden sich solche
zur Verbesserung der Zusammenarbeit der nationalen Armeen oder von
Truppenverlegungen innerhalb der EU („Military Schengen“). Dazu gehört aber
auch die Entwicklung der bewaffneten Eurodrohne MALE RPAS, die von Deutschland
geleitet wird. Die Kosten für gemeinsame Rüstungsprojekte werden zu 30 %
über den „Europäischen Verteidigungsfonds“ gedeckt, d. h. auf alle
Mitgliedsstaaten umgelegt. Von 2021 bis 2027 sollen so 38,5 Mrd. Euro
ausgegeben werden. Nicht zuletzt soll die gemeinsame Rüstungs- und
Kriegspolitik auch den Rüstungsexport stärken.

Widersprüche

Zumindest in
einem scheint sich die EU mal einig zu sein: Sie braucht mehr Mittel zur
Kriegsführung. Darüber werden sich manche freuen können angesichts der
Verwerfungen, an denen die EU aktuell zu zerbrechen droht.

Die zunehmende
Militarisierung entspringt den gleichen Ursachen wie Formierung und Krise der
EU. Die verschärfte globale Konkurrenz und der Kampf um die Neuaufteilung der
Welt zwischen den imperialistischen Mächten zwingen die EU zur militärischen
Aufrüstung.

Zugleich konnte
das Projekt der kapitalistischen Einigung Europas die nationalen Gegensätze
nicht überwinden. Es hat die ökonomischen Ungleichgewichte zementiert und
verstärkt, weil sie nur auf Grundlage einer Unterordnung unter die
Führungsmächte – also v. a. Deutschland – erfolgen konnte. Daher mussten
die wirtschaftliche Krise seit 2008, die Rezession und der faktische
Staatsbankrott schwächerer Länder die EU auch politisch in ihren Grundfesten
erschüttern, während gleichzeitig imperialistische Konflikte zwischen Russland,
China, USA und Europa in Form von Handelskrieg und militärischer Aufrüstung
bedrohlich zunehmen. Auch wenn die Aufrüstung den vom Imperialismus dominierten
Ländern der EU durch Rassismus, Nationalismus, Grenzsicherung gegen Geflüchtete
und gemeinsame äußere Feinde schmackhaft gemacht werden soll, so durchziehen
sie auch nationale und strategische Gegensätze unter den NATO-Mächten
(z. B. hinsichtlich der Ostpolitik). Auch die militärische Vereinheitlichung
wird nicht ohne Unterordnung der Schwächeren möglich sein. Der deutsche
Imperialismus verfolgt daher verstärkte Aufrüstungsanstrengungen, weil er so
besser eine Führungsrolle gegenüber anderen Mächten für sich reklamieren kann.

Wenn die
„Friedensunion EU“ zerbricht, dann würde aber auch die Kriegsunion
„erschüttert“ und müsste dann – vom deutschen Standpunkt aus – durch eigene
nationale Anstrengungen kompensiert werden. In jedem Fall stellt auch die
militärische Formierung Europas kein Projekt unter „Gleichen“ dar, sondern
eines zur Einbindung der „Peripherie“ für die militärischen und
wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und Frankreichs. Dies zeigt auch das
am 22. Januar 2019 unterzeichnete „Aachener Abkommen“, in dem nicht nur die
Absicht zur verstärkten Zusammenarbeit der Armeen Deutschlands und Frankreichs
vereinbart wird, sondern auch die „engstmögliche“ ihrer Rüstungsindustrien zur
Förderung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und eines „ Ansatzes für gemeinsame
Rüstungsexporte“.

SPD?

In der SPD gibt
es zwar gelegentliche Diskussionen, aber keinen ernsthaften Widerstand gegen
die Militarisierungspläne Deutschlands und der EU. Im Gegenteil, sie werden von
Abgeordneten wie Achim Post als Mittel zur Friedenssicherung und „Abrüstung“
verklärt:

„Zu begrüßen
ist, dass [Angela Merkel] die Idee einer europäischen Armee aufgreift, die wir
als Sozialdemokraten bereits seit längerem unterstützen. Klar muss dabei aber
sein: Eine solche europäische Armee dürfte nicht der militärischen Aufrüstung
Europas dienen, sondern muss auf Abrüstung durch bessere Vernetzung und mehr
Effizienz in Europa abzielen.“

Wie der Aufbau
neuer Kampfverbände irgendetwas anderem dienen kann als der Aufrüstung, bleibt
sein Geheimnis. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist die „bestmögliche
Ausrüstung, Ausbildung und Betreuung“ für die Bundeswehr, die „Trendwende bei
Personal, Material und Finanzen“ und die Fokussierung auf „Landes- und
Bündnisverteidigung“ vereinbart worden.

Antimilitarismus

RevolutionärInnen
sollten die Aufrüstungspläne der Bundeswehr rundweg ablehnen und sie als das
benennen, was sie sind: der Griff des deutschen Imperialismus nach
militärischer Gewalt. Dabei lehnen wir nicht nur die Methoden dieser Politik
ab, sondern schon ihr Ziel, die Sicherung seiner wirtschaftlichen und
geo-strategischen „Interessenssphären“. Aus diesem Grund lehnen wir auch den
reaktionären Ansatz ab, der West-Orientierung und der NATO-Mitgliedschaft ein
„Friedensbündnis“ unter Einbeziehung Russlands entgegenzusetzen – auch wenn wir
die aktuelle Aufrüstungspolitik gegen Russland an der NATO-Ostgrenze
entschieden verurteilen. Für ein „Haus Europa“ mit Russland zu argumentieren,
bedeutet nichts anderes, als dem deutschen Imperialismus eine alternative
strategische Orientierung im kapitalistischen Weltsystem schmackhaft machen zu
wollen.

Wir treten nicht
nur gegen die Aufrüstung der Bundeswehr und ihre zunehmende Einbindung in die
verschiedenen Kriegsallianzen ein, sondern lehnen jegliche Gewaltorgane
bürgerlicher Staaten grundsätzlich ab. Getreu der Losung „Keinen Cent, keinen
Menschen für die Bundeswehr“ sollten ArbeiterInnenparteien daher im Parlament
gegen den Militäretat und alle Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen stimmen. Ebenso
opponieren wir gegen jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr, mit welchen ehrenwerten
Zielen („Humanitärer Einsatz“, „Friedensmission“, „Kampf gegen
Terror“) er auch begründet sein mag. Zugleich treten wir für
gewerkschaftliche und politische Arbeit in der Bundeswehr ein, für das Recht
von SoldatInnen, sich zu organisieren, um die Konflikte mit ihren
KommandeurInnen politisch zuzuspitzen und das System von Befehl und Gehorsam
infrage zu stellen.

Entscheidend bei
all dem ist aber, die ArbeiterInnenklasse zum Kampf gegen den Militarismus zu
mobilisieren. Proletarischer Antimilitarismus ist kein Ratschlag an die
herrschende Klasse, ihre Konflikte friedlich auszutragen. Die tiefe
kapitalistische Krise seit 2008 trägt die Kriegsgefahr in sich und hat bereits
zu vielen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt. Um Kriege zu verhindern,
muss die ArbeiterInnenklasse ihre eigenen Kampfmittel – politische
Massendemonstrationen, Streiks bis hin zum politischen Generalstreik –
einsetzen, also den Klassenkampf vorantreiben.

Wenn die
europäischen Regierungen sich auf imperialistische Interventionen und Krieg
vorbereiten, ist es für uns dringend erforderlich, eine europaweite Allianz der
ArbeiterInnenbewegung gegen Militarisierung und Kriegsgefahr aufzubauen. Im
Unterschied zur entstehenden europäischen Militärallianz, die letztlich ein
Projekt des deutschen und französischen Imperialismus ist, hat die
ArbeiterInnenklasse in Europa wirklich ein gemeinsames Interesse – nicht als
Kanonenfutter zu enden und stattdessen eine progressive Lösung der EU-Krise zu
erkämpfen – die Einigung Europas auf sozialistischer Grundlage. Deshalb bildet
Antimilitarismus auch einen Teil des Klassenkampfes und keinen Versuch zur
Rettung der kapitalistischen EU oder eines nationalen „Sonderweges“ mit
„unabhängigem“ Militarismus. Hierfür schlagen wir eine europäische antimilitaristische
Konferenz vor, die sich an alle linken Parteien und Organisationen,
Gewerkschaften und soziale Bewegungen richtet!

  • Nein zur Aufrüstung  und Bildung einer EU-Armee – sei es im Namen der NATO, der EU oder der „nationalen Unabhängigkeit“!
  • Auflösung von NATO, PESCO und Stopp aller Auslandseinsätze! Sofortiger Abzug der Bundeswehr und aller europäischer Streitkräfte aus dem Ausland!
  • Kampf gegen die Militarisierung der EU-Außengrenzen! Offene Grenzen für alle!
  • Nein zu allen anderen Formen der „Sicherheitszusammenarbeit“ zwischen Militär, Polizei oder Geheimdiensten und zum europäischen Einreiseregister!
  • Europaweite Aktionseinheit bis hin zum Generalstreik, falls Krieg droht!
  • Entschädigungslose Enteignung der Rüstungsindustrie und Reorganisation der Produktion unter ArbeiterInnenkontrolle! Gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten im Rüstungssektor!



Die Bundeswehr rüstet auf – SPD knickt ein

Susanne Kühn, Neue Internationale 228, Mai 2018

18 Rüstungseinkäufe mit einem Mindestwert von jeweils 25 Millionen Euro plant das Verteidigungsministerium für 2018. Darunter fallen waffenfähige Drohnen des Typs Heron TP. Diese wurden schon „erfolgreich“ von der israelischen Armee gegen PalästinenserInnen eingesetzt und sollen nun als Übergangslösung bis 2025 geleast werden – sofern bis dahin die sog. Eurodrohne einsatztauglich ist.

Andere Anschaffungsmaßnahmen betreffen Transportflugzeuge vom Typ Hercules, die Entwicklung eines neuen Radarsystems für den Eurofighter, Raketenwerfer und verbesserte Container für Landungskapazitäten.

Die SPD ist bei den Drohnen schon eingekickt, hatte sie doch ursprünglich die Anschaffung waffenfähiger Geräte verhindern wollen. Nun soll der Bundestag über die ethischen Voraussetzungen für die Bewaffnung entscheiden. Das Gewissen von Union, AfD und FDP dürfte der Verteidigungsministerin sicher sein. Theoretisch könnten die Vorhaben auch noch am Finanzminister scheitern. Das ist aber angesichts der Bedeutung militärischer Aufrüstung für die Bundesregierung praktisch auszuschließen. Einwände werden allenfalls kosmetischer Natur sein.

Der „Bundeswehrverband“ baut inzwischen weiteren Druck auf. Die Vorhaben blieben hinter den Anforderungen zurück und könnten längst nicht die Lücken in der Ausstattung der Armee schließen. Vom längerfristigen Interesse des deutschen Kapitalismus aus gesehen, die militärische Lücke gegenüber seinen Konkurrenten zu schließen, ist das zweifellos richtig. Daher muss das Beschaffungsprogramm auch als das verstanden werden, was es ist: ein Schritt zur Aufrüstung der Bundeswehr und zum Ausbau militärischer Kooperation mit den „EU-Partnern“, d. h. vor allem mit Frankreich.

Verbrämt wird diese imperialistische Politik als „Übernahme globaler Verantwortung“, als rührige Sorge um „unsere Soldaten und Soldatinnen“ und „unsere Friedensmissionen“.

Auf parlamentarischer Ebene werden die Rüstungsprojekte nicht verhindert werden. Dazu braucht es vielmehr Massenmobilisierungen – auf der Straße, in den Gewerkschaften, in den Betrieben. Vor allem aber braucht es Klarheit: Die Bundeswehr ist nicht „unsere“ Armee, sie ist die Armee des deutschen Imperialismus. Beim Militärhaushalt ist die schwarze Null angebracht. Keinen Cent für diese Truppe!




Bundeswehr Ausmisten und Aufrüsten

Robert Teller, Neue Internationale 220, Juni 2017

In deutschen Kasernen sieht es bisweilen heute noch genauso aus wie 1945. Der Inspekteur des Heeres Jörg Vollmer meint: „Es passiert uns immer wieder, dass wir Menschen haben, die unreflektiert Dinge in Kasernen bringen, das wollen wir nicht haben.“ Darum muss nun auf Anweisung von Ursula von der Leyen kräftig aufgeräumt und manch verstaubter Nazi-Klimbim aussortiert werden.

Das sehen manche in der militärischen Hierarchie aber durchaus kritisch und betrachten den Versuch, die Bundeswehr zu „entnazifizieren“, als Brandmarkung und Angriff auf ihre Autorität. Letztlich ist es ja auch folgerichtig, dass in Kasernen, die noch heute die Namen von Wehrmachtsgrößen tragen, auch Stahlhelm, Wehrmachtswaffen und Fotos von anno dazumal an der Wand hängen.

Der Offizier Franco A., dem die Planung von Terroranschlägen vorgeworfen wird, hat offenbar jahrelang in der Bundeswehr seine rechte Gesinnung offen vertreten können, ohne auf Widerspruch oder gar disziplinarische Maßnahmen zu stoßen. In seiner Masterarbeit, die er an einer französischen Militärakademie abgelegt hatte, vertritt er originär völkische Positionen. Auch an anderen Bundeswehrstützpunkten wird von rechten Netzwerken berichtet. Ursula von der Leyen meint: „Wir müssen uns darauf einstellen, das ist meine tiefe Überzeugung, dass das, was wir bisher wissen, nicht alles ist, sondern dass sich dort noch mehr zeigen wird.“ Manchmal weiß man erst hinterher, was sowieso jeder wusste.

Der zweite Aufhänger für die aktuelle Debatte sind entwürdigende Aufnahmerituale an mehreren Stützpunkten, einschließlich sexueller Übergriffe an RekrutInnen und sadistischer Praktiken. Dass solche Gepflogenheiten zu jeder bürgerlichen Armee dazugehören wie die Eiterbeule zur Pest, ändert nichts daran, dass sie dem politischen Ziel der „Modernisierung“ und Aufrüstung der Bundeswehr einiges an Legitimation entziehen werden und, schlimmer noch, potentiell auf „qualifiziertes Personal“, an dem es bekanntlich in der Bundeswehr mangelt, abstoßend wirken. Insbesondere bei Frauen und sexuell Unterdrückten dürften die bekannt gewordenen Fälle das mit viel Werbeaufwand gefütterte Bild der Bundeswehr als „moderner, attraktiver Arbeitgeber“ in ein anderes Licht rücken.

Offiziell vertritt die Bundeswehr das Leitbild, dass SoldatInnen die ihnen erteilten Befehle hinterfragen und rechtswidrige oder mit ihrem Gewissen unvereinbare verweigern sollen. Selbst wenn jemand daran glauben mag – dieses Leitbild erhält sicher keine größere Glaubwürdigkeit, wenn bekannt wird, dass es in der Bundeswehr rechte Netzwerke gibt, die von Vorgesetzten toleriert werden, dass offen Traditionspflege des Dritten Reiches betrieben wird oder dass RekrutInnen erniedrigenden Einführungsritualen unterzogen werden mit dem einzigen Ziel, diese gefügig zu machen. Das Bild einer „demokratischen“ und „mündigen“ Armee wird aber insbesondere im Zusammenhang mit aktuellen und geplanten Rüstungsprojekten und mit der mittelfristig geplanten Steigerung des Wehretats auf 2 % des BIP genannt, um ZweiflerInnen am Aufrüstungskurs zu besänftigen.

Zielsetzungen des deutschen Imperialismus

Im Zusammenhang mit der Diskussion des „nicht treffsicheren“ G36-Gewehrs, des Transportflugzeugs A400M und anderen großen Beschaffungsprojekten wird oft der Eindruck erweckt, die Bundeswehr sei nur mit schrottreifer Ausrüstung unterwegs und werde von anderen Ländern belächelt. Natürlich ist aber die Bundeswehr seit Jahren weltumspannend im Dienste des deutschen Imperialismus im Einsatz, aktuell in 19 Auslandseinsätzen. Richtig ist aber wohl, dass zur Umsetzung der Zielsetzungen des deutschen Imperialismus die Bundeswehr aufgerüstet werden muss, nachdem seit Anfang der 1990er Jahre vor allem das Volumen an Ausrüstung und SoldatInnen reduziert worden war.

Diese Zielsetzungen beinhalten einerseits, in Zukunft weiterhin und verstärkt weltweite „multinationale“ Einsätze durchführen zu können, dabei aber auch unabhängiger zu werden von der Unterstützung durch Verbündete, beispielsweise bei der schnellen Verlegung von Truppen und Material. Andererseits gibt die Bundesregierung im „Sicherheitspolitischen Weißbuch“ von 2016 unumwunden auch die Erhöhung der Abschreckungsfähigkeit gegenüber Russland als zentrales Ziel aus. Der Verteidigungsetat soll von 1,19% im Jahr 2016 bis 2024 auf 2 % des BIP gesteigert werden – bei unverändertem BIP also um 68 %.

Die Bundesregierung spricht gerne von den „gestiegenen Erwartungen“ an die Rolle Deutschlands. Natürlich ist es einfacher, sich bitten zu lassen, als zuzugeben, worum es geht: darum, in einem maroden, von zunehmenden Konflikten zerrütteten Weltsystem neue Einflusssphären auf Kosten von Halbkolonien oder anderen imperialistischen Mächten zu erlangen. Die stärkste Waffe dabei ist zwar aktuell nicht die Bundeswehr, sondern der inner- und außereuropäische Export, aber gerade dieser hängt existenziell vom ungehinderten Zugang zu Märkten und Handelswegen sowie von „stabilen politischen Verhältnissen“ ab. Und dafür braucht der deutsche Imperialismus eine Armee, die interventionsfähig ist. Er braucht aber auch eine Legitimation für derartige Einsätze. Nach etwa 25 Jahren scheibchenweisen politischen Wegführens der Öffentlichkeit von der Richtschnur „von Deutschland geht kein Krieg aus“ und hin zu einer weltweit angriffslustigen Bundeswehr sind Skandale um Nazi-Nostalgiker natürlich kontraproduktiv.

Aus diesem Grund – und nicht aus vorgeblich antifaschistischen Überzeugungen heraus – geht von der Leyen den Konflikt mit Teilen des Offizierskorps ein. Natürlich wird sie auf diese Weise höchstens erreichen, dass die schlimmsten Auswüchse faschistischer oder rassistischer Umtriebe künftig in Hinterzimmer oder Privaträume verbannt werden, nicht aber die reaktionäre Seuche aus den Köpfen zu vertreiben.

Aufgaben der ArbeiterInnenbewegung

Natürlich ist und bleibt auch eine „gesäuberte“ Bundeswehr eine bürgerliche, imperialistische Armee – und RevolutionärInnen haben nicht das Ziel, diese durch Reformen zu „verbessern“. Aber wir sollten sehr wohl gegen die bekannt gewordenen Auswüchse wie Schikanen gegenüber RekrutInnen kämpfen. Wir fordern, dass Gewerkschaften und andere Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in der Bundeswehr ungehindert agieren dürfen, dass SoldatInnen sich frei politisch betätigen und gewerkschaftlich organisieren dürfen, dass die militärische Ausbildung der Kontrolle der Gewerkschaften und gewählter und abwählbarer SoldatInnenkomitees unterworfen wird, auch um gegen Übergriffe vorgehen zu können. Die einfachen SoldatInnen sollten das Recht besitzen, die militärischen Vorgesetzten demokratisch zu bestimmen und bei Verfehlungen abzuwählen.

Die ArbeiterInnenbewegung muss dafür kämpfen, dass Rechte und FaschistInnen keinerlei Agitationsplattform in der Armee erhalten. Dies wird nicht durch Verbotsappell an den Staat erreichbar sein, der seit Jahrzehnten Wehrmachtssymbole duldet, sondern dazu braucht es eine anti-militaristische Arbeit, die nicht erst in der Armee beginnt. Der Aufbau einer proletarischen, revolutionären Jugendbewegung, die schon an den Schulen gegen reaktionäre Lerninhalte, die Verklärung auch des „demokratischen“ Imperialismus, Bundeswehrpropaganda und Rassismus vorgeht, spielt dabei eine Schlüsselrolle.

Um die Gefahr, die bürgerliche Armeen für die ArbeiterInnenbewegung darstellen, zu verringern, sollten RevolutionärInnen versuchen, politische Strukturen in der Armee aufzubauen und dort unter den einfachen SoldatInnen Propaganda betreiben mit dem Ziel, die Autorität der militärischen Führung zu untergraben und gemeinsam gegen Kadavergehorsam und imperialistische Kriegseinsätze auch in der Armee vorgehen zu können.

Revolutionärer Defätismus

Zugleich sind wir in jedem bewaffneten Konflikt mit Halbkolonien oder ArbeiterInnenstaaten, in dem sich die Bundeswehr – und damit der deutsche Imperialismus – befindet, für die Niederlage des deutschen Imperialismus oder nehmen sie in einer innerimperialistischen Auseinandersetzung zumindest in Kauf – wie auch immer ein Einsatz politisch und rechtlich begründet sein mag, und unabhängig davon, ob es ein UNO-Mandat dafür gibt.

Wir sind für die militärische Unterstützung eines anti-imperialistischen Kampfes gegen die Bundeswehr im Rahmen einer anti-imperialistischen Einheitsfront, ohne dabei die politische Kritik an reaktionären Kräften in diesem Bündnis aufzugeben. Zugleich müssen wir in den Gewerkschaften dafür kämpfen, dass diese im Kriegsfall durch Streiks und Sabotage der Kriegsmaschinerie in den Rücken fallen, um den deutschen Imperialismus zur Niederlage zu zwingen.