Bilanz der Großen Koalition – Zahlen und Fakten

Tobi Hansen, Neue Internationale 222, September 2017

Die wenigen Reformen der Regierung wie die schrittweise, von vielen Ausnahmen begleitete Einführung des Mindestlohns haben weder die Profite des Kapitals in Deutschland gemindert noch zu einer „Jobkrise“ geführt. Die Gewinne der Großunternehmen sprudeln, genügend billige Arbeit gibt es weiterhin.

Der Arbeitsmarkt

2016 galten in Deutschland 42,5 Mill. Menschen als beschäftigt. Davon wurden 24 Mill. als Vollzeitbeschäftigte geführt, 18,5 Mill. gelten als „atypisch“ Beschäftigte. Unter ihnen ist vor allem der Anteil der Teilzeitbeschäftigten gestiegen, von 4,5 Mill. im Jahr 2000 auf 8,5 Mill 2016. Zu den atypischen Beschäftigen gehören außerdem 5,3 Mill. sog. geringfügig Beschäftigte (z. B. Mini-JobberInnen), eine Mill. LeiharbeiterInnen und 3,7 Mill. befristet Beschäftigte – für diese ist das „Normalarbeitsverhältnis“ passé. Dazu zählen auch die „Solo-Selbstständigen“, welche inzwischen 55 % aller Selbstständigen ausmachen.

Unter den Begriffen Prekarisierung oder „Flexikarität“ wird der deutsche Arbeitsmarkt aufgerollt und umgewandelt. Ausgangspunkt dieser Entwicklung bleibt weiterhin die Agenda 2010 und die Hartz-IV-„Reform“.

Während für die industriellen Stammbelegschaften, welche zu großen Teilen zu den Vollzeitbeschäftigten zählen, Verdichtung und Rationalisierung der Arbeit unter der Überschrift Industrie 4.0 ansteht, können immer größer werdende Teile der Klasse von ihren Jobs nicht überleben, wissen am Anfang des Monats nicht, was sie am Ende haben. Verträge wie „Zero-hour-contracts“, bei denen die Beschäftigten nicht wissen, für wie viele Stunden und Lohn sie monatlich eingesetzt werden, erhöhen den sozialen Druck gerade in den unteren Schichten der Klasse. Mehrfachjobs, flexible Ausbeutung auf Abruf – das ist zusammen mit der Einführung von Zeitarbeit inzwischen für Millionen, vor allem Frauen und Jugendliche, zum „Normalarbeitsverhältnis“ geworden.

Dies veranschaulicht die „Krisenlösung“ des deutschen Imperialismus seit 2007/08. Der zuvor gestartete Sozialangriff Agenda 2010 wurde mit der und durch die Krise weitergeführt. Der Niedriglohnsektor wuchs auf eine zweistellige Millionenzahl; die Armutsquote steigt, während die Arbeitslosigkeit sinkt. Durch eine Umschichtung und Neuordnung des Arbeitsmarktes konnte das deutsche Großkapital seine Profitabilität gegenüber der internationalen Konkurrenz beibehalten und teilweise sogar erhöhen.

Armutsgefährdet gilt jemand in Deutschland, wenn das Einkommen unter 942 Euro netto pro Monat liegt, das sind zur Zeit 15,7 % aller ArbeiterInnen und Angestellten. Aber auch für alle, die noch deutlich unter 2000 Euro netto pro Monat liegen, gilt es in erster Linie, über die Runden zu kommen.

Krisengewinner deutsches Großkapital

Die große Koalition „verwaltet“ die Interessen der wichtigsten Kapitalfraktionen verlässlich und sorgt dafür, dass dies nicht in Frage gestellt wird. Sowohl das Austeritätsprogramm für Europa wie die Sicherung der Kreditlinien der Börsen und Anleihemärkte sorgen weiterhin für einen relativ stabilen deutschen Krisengewinnerimperialismus.

Folgerichtig waren die Jahre der Großen Koalition von einer Hausse an den Börsen, einem deutlichen Kursanstieg begleitet. Allein die Top-30-DAX-Konzerne konnten 2016 einen Gewinn von 74 Mrd. Euro bekanntgeben, eine Steigerung von 49 % im Vergleich zum Vorjahr. Die Gewinne aller Kapitalgesellschaften wuchsen moderater mit 3,8 % auf 553 Mrd. Euro.

So ist auch die Dividendenausschüttung auf ein neues Rekordniveau gestiegen: Im Jahr 2015 belief sich diese bei den DAX-Konzernen auf 31,8 Mrd. Euro, was auch die Fusionswelle unter deutschen Konzernen befeuert. So wurde im Jahr 2016 bei den Fusionen der höchste Wert seit 2001 erreicht. 2104 Übernahmen mit einen Volumen von 225 Mrd. Euro standen zu Buche, davon 53 % (1.122) als grenzüberschreitende mit der Fusion Bayer/Monsanto als Spitzenwert mit ca. 60 Mrd. Euro. International backen die deutschen Großkonzerne damit aber eher kleine Brötchen: 2015 wurden ca. 5 Bill. US-Dollar bei Fusionen umgesetzt, davon 3 Bill. bei inner-US-amerikanischen Fusionen.

Zuletzt bekamen die deutschen Großkonzerne auch die gestiegene Konkurrenz der imperialistischen Blöcke zu spüren. Mit den Diesel-Verfahren gegen VW und jetzt sicher auch gegen die anderen „Kartellkonzerne“, Anzeigen und Bußgelder gegen die angeschlagene Deutsche Bank wurden Flagschiffe des deutschen Imperialismus unter „Beschuss“ genommen, wie auch die Protektionismus-Androhungen der Trump-Administration mindestens eine Herausforderung für das deutsche Exportkapital darstellen.

Die Dieselautokrise

Das „Dieselkartell“ verdeutlicht, was heute Monopolkapital heißt und wie sehr diese Konzerninteressen Wirtschaft und Politik prägen. „Dieselgipfel“, Prämien für Umtausch und Neukauf, die an die Abwrackprämie erinnern, und leere Versprechen der Branche werden von der jeweils amtierenden Bundesregierung politisch legitimiert, medial angepriesen und schließlich noch finanziell unterstützt. Die Gewerkschaften beschweren sich über den „Betrug“ der ManagerInnen, haben selbst keine Vorstellung, wie denn der Personenverkehr der Zukunft aussehen sollte. Angesichts der Dieselkrise und anstehenden Industrie 4.0 richten sie sich schon mal auf Entlassungen, Rationalisierung und Umstrukturierungen ein, die in Form von „Wettbewerbspakten“ für den Standort die Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse allenfalls „sozial abfedern“ sollen.

Die Exportabhängigkeit des deutschen Imperialismus hat sich seit der Krise 2007/08 verstärkt. Eine mögliche nächste Krise, ein Zusammenbruch der Märkte würden das deutsche Großkapital massiv treffen. Via EU versucht es, weiter neue Märkte zu integrieren wie z. B. die Ukraine, Georgien oder auch die Balkanstaaten des ehemaligen Jugoslawien. Auf der anderen Seite müssen die Marktbedingungen im Zuge des Brexit mit Großbritannien neu verhandelt werden, aber auch die Türkei als wichtiger Investitionsstandort ist politisch unsicher geworden. Neben den klassischen ADIs (Auslandsdirektinvestitionen), bei denen das deutsche Kapital mit 80-100 Mrd. Euro pro Jahr eher im Mittelfeld agiert, dient vor allem der Exporthandel als Mittel des deutschen Großkapitals zur Dominanz der beherrschten Märkte. Bei einem Einbruch der globalen Konjunktur ist dies direkt gefährdet.

Nichtsdestotrotz gehört der deutsche Imperialismus ökonomisch weiterhin zu den „Krisengewinnern“. Zur weiteren Ausdehnung als Machtzentrum hängt seine Perspektive jedoch von der kapitalistischen Einigung Europas ab, von der EU, wenn auch in modifizierter Form (z. B. durch Bildung eines „Kerneuropa“), sowie den dazu gehörigen militärischen Komponenten.

Daher sind auch alle bürgerlichen Parteien mit Ausnahme der AfD daran interessiert, die europäische Verteidigung zu vertiefen bzw. aufzubauen. Letztlich besteht das Ziel darin, die ökonomische Vormachtstellung des deutschen Imperialismus auch in der Hegemonie über die militärischen Verbände der EU herzustellen.

Das parlamentarische System und die politische Krise

Die zweite Große Koalition innerhalb von 12 Jahren hat zu Rissen innerhalb des bürgerlichen Lagers geführt. Dabei ist die Etablierung der AfD sicherlich eine Schwächung der CDU/CSU, bekommt sie doch erstmals seit dem zweiten Weltkrieg eine bedeutende parlamentarische Konkurrenz von rechts. Andererseits haben der Aufstieg der AfD wie auch die langsame, aber konstante „Wiederauferstehung“ der FDP auf Länderebene dazu geführt, dass nunmehr wahrscheinlich vier offen bürgerliche Parteien inklusive der Grünen vertreten sein werden – und somit die Koalitionsoptionen für die CDU/CSU gestiegen sind.

Die letzte Legislaturperiode war auch von einem deutlichen Rechtsruck in Deutschland gekennzeichnet. Hatten sich noch 2015 Hunderttausende solidarisch mit den Geflüchteten aus dem Nahen Osten und Afrika gezeigt und UnterstützerInnenstrukturen gebildet, so „kippte“ diese Stimmung zugunsten der Rechten. Die Große Koalition, die ohnedies nie vorhatte, den Millionen Geflüchteten eine Perspektive zu geben, setzte auf die Abschottung der EU-Außengrenzen durch Abkommen mit dem türkischen und anderen Regimen, mehr und raschere Abschiebungen sowie eine Verschärfung rassistischer Gesetze.

Trotzdem – ja auch deshalb – konnte sich die AfD, selbst Ausdruck dieses Rechtsrucks, bundesweit etablieren. Ebenso nahm die rassistische und nazistische Gewalt und Formierung zu. 2015/16 gab es tausende Anschläge auf Geflüchtete, auf Wohnunterkünfte, auf SupporterInnen und Linke.

Der staatliche Rassismus, das Elend der Geflüchteten in Europa wurde weder von der parlamentarischen noch der außerparlamentarischen Linken durch eine proletarische Klassenpolitik bekämpft, die die Forderung nach offenen Grenzen, gleichen StaatsbürgerInnenrechten für alle, die hier leben, mit sozialen Forderungen nach Bildung, gleichen Löhnen und bezahlbaren Wohnungen für alle verbunden hätte.

Auch hier zeigt sich das zentrale Problem der ArbeiterInnenklasse in Deutschland: Gewerkschaftsführungen, SPD, aber auch große Teile der Linkspartei betrachten Politik vom nationalen Standpunkt aus – nicht von einem internationalistischen. Das bedeutet einerseits Unterordnung unter Standortpolitik, Sozialpartnerschaft und schrittweises Zurückweichen, andererseits Sozialchauvinismus und Abschottung.

Dies sind Knackpunkte der Politik der letzten Periode und für alle zukünftigen Kämpfe. Ohne einen fundamentalen Bruch mit dieser Politik, mit Sozialchauvinismus und Unterordnung unter die Wettbewerbsziele des „eigenen“ Kapitals ist es unmöglich, den Rechten den Nährboden zu entziehen.

 

Zahlen aus der Broschüre „Bilanz der großen Koalition 2013-17“, herausgegeben vom isw, München




Die offen bürgerlichen Parteien – Größeres Angebot

 

Jürgen Roth, Neue Internatinale 222, September 2017

Die Krise der EU hat – trotz relativer Stabilität in Deutschland – in der letzten Legislaturperiode auch zu einem mehr oder minder offen ausgetragenen Richtungsstreit in der herrschenden Klasse geführt. Auch wenn heute Angela Merkel wieder als die einzig mögliche Kanzlerin erscheint, so war sie erstmals seit ihrem Amtsantritt politisch angeschlagen.

Die Konflikte in der Union, der „Wiederaufstieg“ der FDP, die AfD und auch die Grünen spiegeln dabei eben auch unterschiedliche Kapitalfraktionen und Konflikte um die zukünftige Strategie des deutschen Imperialismus wieder, die unvermeidlich auch in der kommenden Periode offen in Erscheinung treten müssen.

Die Union

Nach dem klaren Wahlerfolg 2013 hat die CDU/CSU zunächst Wahlniederlagen eingefahren. Ein Grund für diese wie auch für den Aufstieg der AfD war die kurzfristige, scheinbare Abkehr der CDU von ihrer traditionellen Asylpolitik während des Spätsommers 2015. Als Merkel drei Wochen lang „großzügig“ die Grenzen v. a. für syrische Geflüchtete öffnen ließ, entstanden Risse zwischen den „Schwesterparteien“, aber auch Unmut an der mittleren und unteren CDU-Basis. Während die Geflüchteten kamen, profilierte sich die CSU quasi als Rechtsopposition in der Großen Koalition.

Die CDU sonnte sich in dieser Zeit auf der breiten Unterstützung durch SPD, Grüne und „Zivilgesellschaft“ für ihre Politik der „offenen Grenzen“. Doch im Wahljahr 2017 präsentiert die Union sich wieder geeint. Das reichte, um der SPD zwei Landesregierungen abzunehmen.

Die Gründung der CDU war die Lehre, die das Großbürgertum aus der zersplitterten Parteienlandschaft der Weimarer Republik zog und der sie die Hauptschuld für den Aufstieg der NSDAP zuschob. Diese offen bürgerliche Partei neuen Typs vereinte zunächst das gesamte konservative und nationale Lager mit der christlichen ArbeiterInnenschaft der Zentrumspartei, später stieß der rechte nationalliberale Flügel aus der FDP dazu. Die sich sozialer, aber auch rechter gebärdende CSU konnte der Bayernpartei den Rang ablaufen, damit den eingefleischten regionalen Partikularismus überwinden. Die nachholende Industrialisierung dieses Bundeslands federte sie sozial geschickt ab. Das ist das Geheimnis hinter ihrer unangefochtenen Vorherrschaft seit Ende der 1950er Jahre.

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern steht die Union als politisches Flaggschiff des Monopolkapitals stabil da. In Frankreich und Italien sind die großen offen bürgerlichen Parteien untergegangen. Doch auch in Deutschland ist es schwierig geworden, eine Regierung aus zwei Parteien sogar mit dieser Union zu bilden. Ende der 1960er Jahre deutete dagegen alles auf ein Zweiparteienparlament hin, heute sind schon 5, demnächst 6 vertreten. Im Gefolge der nächsten Krise, der zunehmenden Konzentrationsprozesse, die den Untergang schwächerer Kapitale nach sich ziehen werden, wird aber auch die Union unter Druck geraten und ihre Existenz auf den Prüfstand gestellt werden. Ihr Zerfall würde eine Krise ersten Ranges für die Monopolbourgeoisie bedeuten.

Auch das erklärt, warum die verschiedenen Flügel der CDU/CSU ihre Konflikte begrenzen. Der deutsche Imperialismus setzt zur Zeit auf eine klar dominierende bürgerliche Partei, um die herum jedoch zunehmen mehr „Optionen“ gruppiert werden können, die sowohl die SPD als bürgerliche ArbeiterInnenpartei wie kleinere offen bürgerliche Parteien einschließen. Kurzfristig jedenfalls ist daher die Aufsplitterung der Parteienlandschaft für die herrschende Klasse kein allzu großes Problem, ja eröffnet auch Optionen. Entscheidend wird dabei freilich, ob und wie sehr die nächste, wahrscheinlich von der CDU-geführte Regierung in der Lage sein wird, die Gesamtinteressen des deutschen Kapitals international substantiell voranzubringen.

Die AfD

2015 rückte die AfD deutlich nach rechts, der islamophobe, rassistische und nationalistische Flügel trat geeint gegen den „nur“ neoliberalen Lucke-Flügel an und übernahm danach die Partei. In der Phase der Krise von CDU/CSU konnte die AfD enorme Wahlerfolge erreichen und sich trotz schwerer innerer Führungskämpfe im Parteienspektrum etablieren. Ähnlich der FPÖ mobilisiert sie die kleinen und mittleren Selbstständigen und FreiberuflerInnen, aber auch diejenigen Teile der ArbeiterInnenklasse, welche sozialen Abstieg erlebt haben oder sich vor diesem fürchten. Das betrifft diejenigen im Hartz-IV- und Niedriglohnbereich, aber auch die gutverdienenden Schichten.

Während Petry und Pretzell eher für gesichtslosen, rassistisch geprägten Rechtspopulismus stehen, wollen Poggenburg und Höcke die AfD als nationalistische Kraft etablieren, völkische Ideologie weiter verbreiten und nach rechts öffnen. Dahinter stehen letztlich unterschiedliche Auffassungen über die Funktion der AfD. Soll sie als zukünftige Koalitionspartnerin der CDU diese auf einen „echten“ konservativen Kurs bringen, muss sie eine gewisse bürgerliche „Respektabilität“ vorweisen. Die andere Option besteht darin, die AfD als rechts-radikale, nationalistische Massenpartei zu etablieren – eine Option, die bei einer Verschärfung sozialer Gegensätze und Klassenkämpfe auch für das Kapital interessant werden könnte.

Im Gegensatz zu ihrer Propaganda, die „den deutschen Arbeiter“ beschwört, ist rassistische und neoliberale Sozialpolitik das Programm, worauf sich die gesamte Partei einigen kann.

Die FDP

Die zeitweilige Schwäche der Union, aber auch der rechtsnationale Trend in der AfD haben der FDP geholfen, sich wieder als „Alternative“ für Kleinbürgertum, Mittelstand und Großkapital anzubieten – sei es durch Zweitstimmen von der Union oder, dass die AfD eben die neoliberalen, kleinbürgerlichen Schichten/Eliten nun weniger vertritt.

Die FDP ist aktuell wieder in 9 Landesparlamenten vertreten. Zunächst hatte sie ihr „linksliberales“ Profil bei Bürgerrechten und Datenschutz schärfen wollen. Damit gebärdet sich die FDP zusätzlich auch offen für Ampelkoalitionen bzw. solche mit der SPD und Schwarz-Grün („Jamaika“variante).

In Zeiten einer schleichenden Weimarisierung der Parteienlandschaft braucht das Großkapital die kleinen Parteien (FDP, Grüne) ohne einen ständisch organisierten Massenanhang wie die Union umso dringender. Sie können z. B. ein flexibles Scharnier zwischen offen bürgerlichem Lager und den reformistischen ArbeiterInnenparteien bilden wie unter den sozialliberalen bzw. rot/grünen Koalitionen, wo sie leichter und schneller Reformen im Bildungssektor und Arbeitsrecht durchsetzen konnten, als es die Unionsparteien vermochten. Die Kanzlerschaft Kohls wurde im Gegenzug durch das rasche Umschwenken der FDP ermöglicht.

Der wahrscheinliche Wiedereinzug der FDP in den Bundestag ist daher keineswegs nur als eine konjunkturelle Entwicklung zu verstehen. Diese Partei muss wenig bis keine Rücksicht auf schlechter verdienende Bevölkerungsgruppen nehmen – sie ist somit „freier“ als jede andere Partei, offen und ungeschminkt Kapitalinteressen und neo-liberale Politik zu vertreten: ein nützliches „Korrektiv“ für die herrschende Klasse gegenüber den „Volksparteien“.

Die Grünen

Nach den gescheiterten Sondierungen 2013 mit der Union haben die Grünen auf Landesebene ihre Verwendbarkeit für Koalitionen mit der Union erneut nachgewiesen, auch mit „rechten“ CDU-Landesverbänden (Baden-Württemberg, Hessen). Sicherlich ist eine von den Grünen geführte Koalition wie in Baden-Württemberg eine Ausnahmeerscheinung, aber auch Beweis ihrer extremen Flexibilität. Kretschmann war im Bundesrat eine verlässliche Stütze der Regierungspolitik Merkels, zeitweise mehr als die CSU. Somit haben sich die Grünen in Stellung für eine unionsgeführte Bundesregierung gebracht.

Nicht viel übrig geblieben ist vom Image der Partei, die die meisten „radikalen“ Linken jahrzehntelang „links“ von der SPD verorteten. An der Bundesregierung (1998-2005) wurden der Jugoslawienkrieg in der Partei durchgesetzt und die Agenda 2010 mitgetragen. Seitdem gehen die Grünen immer klarer in die bürgerliche Mitte, sind in Fragen der Steuer- und Wirtschaftspolitik ein Pendant zur FDP geworden, wenn auch mit Fokus auf andere (klein-)bürgerliche Schichten („alternative Energien“ z. B.). In Fragen der Austeritätspolitik haben die Grünen sich auf die Seite der EU gestellt, Abschiebungen afghanischer Geflüchteter sind zumindest in Baden-Württemberg an der Tagesordnung.

In gewisser Weise konkurrieren die Grünen mit der FDP um die Position als Mehrheitsbeschafferin. Rechtsausleger wie der Tübinger Bürgermeister Palmer vertreten offen AfD-Positionen zur Flüchtlingsfrage. Auch das Zerplatzen der Koalition in Niedersachsen zeigt, wie sehr diese Partei sich dem bürgerlichen konservativen Milieus angenähert hat.

Zu den entscheidenden Themen aktuell wie Rechtsruck, Zukunft der EU, sozialer Frage hat diese Partei keine Alternative zum Programm der CDU/CSU oder SPD anzubieten. Die letzten 35 Jahre zeigten, wie schnell eine „radikale“ Partei der kritischen Intelligenz in den offen bürgerlichen Mainstream integriert werden konnte.




Aufruf: Wählt Linkspartei, aber organisiert den Kampf!

Tobi Hansen, Neue Internationale 222, September 2017

Die SPD als größere, reformistische Partei steht treu zum deutschen Imperialismus. Sie steht für eine Fortsetzung der Politik der Großen Koalition, wenn auch vorzugsweise in einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen, FDP.

Die Linkspartei ihrerseits hat seit Jahren bewiesen, dass sie eine bürgerliche Partei ist, also auf dem Boden von Parlamentarismus und Privateigentum steht. Den Kapitalismus will sie – abseits eines diffusen Sozialismusverständnisses – nicht abschaffen, sondern reformieren. Im Unterschied zur SPD verspricht sie aber „echten“ Reformismus, einen Bruch mit dem Neo-Liberalismus und schrittweise Verbesserungen, die durch eine „Linksregierung“ umsetzbar wären.

Ziel?!

Offizielles Ziel bleibt daher die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene: Egal wie viele Knüppel und Minen die SPD in den Weg legt, die Linksparteispitze bietet sich an. Das tut sie auf verschiedene Weise, sei es offiziös mit Kipping/Riexinger und den gemeinsamen Versammlungen mit SPD-ParlamentarierInnen oder tendenziös mit Wagenknecht, welche zwar nach außen die „härtesten“ Bedingungen stellt (Hartz IV, Kriegseinsätze), aber im „Inneren“ (Abschiebung, Grenzregime) Bereitschaft signalisiert. Sie leistet dies außerdem durch die Landesregierungen in Thüringen, Berlin und Brandenburg

Auch in den Gewerkschaften, wo die Linkspartei durchaus einen gewissen Einfluss hat, lehnt sie es ab, den sozialdemokratisch organisierten Apparat als Opposition herauszufordern und eine organisierte Gegenkraft aufzubauen. Im Gegenteil, sie stützt die Bürokratie und verhält sich in den Gewerkschaften als Junior-Partner der Sozialdemokratie, auch wenn viele Mitglieder und GewerkschafterInnen der Partei eine linkere Linie vertreten oder von ihrer Partei wünschen würden.

Zugleich präsentiert sie sich als „einzige Oppositionskraft“, wohl wissend, dass es 2017 wieder nicht für einen Sitz in der Bundesregierung reichen wird.

Ungewollt erscheint sie in der Öffentlichkeit somit als einzige Partei, die für keine Koalition zur Verfügung stünde. Dieser Schein wird noch dadurch genährt, dass die Linkspartei selbst zum Teil aus einer Abspaltung aus der SPD hervorging (WASG). Sie repräsentiert jene Teile der Klasse, die gegen die Agenda 2010 aufstanden, Auslandsinterventionen der Bundeswehr und Sozialabbau ablehnen, ja bekämpfen wollen. Anders als die SPD sind die Linkspartei und ihr Umfeld ein Teil der außerparlamentarischen Mobilisierungen.

Kräfteverhältnis

In der aktuellen Konstellation repräsentiert eine Stimme für die Linkspartei – trotz ihrer halbherzigen reformistischen Politik – eine Ablehnung der aktuellen Angriffe, der Festung Europa (jedenfalls in ihrer schlimmsten Form) sowie des europäischen Imperialismus.

Darüber hinaus sind die Wahlen zum Bundestag auch ein Gradmesser für das politische Kräfteverhältnis in Deutschland, also auch in der ArbeiterInnenbewegung. Eine Stimme für die Linkspartei ist eine Stimme für die einzig relevante Kraft, die sichtbar und zählbar auch eine Ablehnung der Politik der Großen Koalition wie auch aller bürgerlichen Oppositionsparteien, von AfD, Grünen bis zur FDP, zum Ausdruck bringt.

Daher rufen wir zur Wahl der Linkspartei auf. Für KommunistInnen ist eine solche Empfehlung ebenso wenig Selbstzweck wie Anbiederung an die linkere reformistische Partei.

Die Millionen von WählerInnen der Linkspartei wollen ein anti-neoliberales, teilweise auch ein antikapitalistisches Zeichen setzen, gegen Hartz IV, NATO, Kriegseinsätze, Rassismus und Faschismus.

Mehr noch: Ein Wahlaufruf für die Linkspartei versucht, an diesen Hoffnungen anzuknüpfen, diese aufzugreifen. Wir verbinden diesen aber damit, dass wir von der Linkspartei insgesamt fordern, für ihre Versprechen nicht nur im Wahlkampf zu werben, sondern diesen zur Vorbereitung der Mobilisierung im Kampf gegen die nächste Bundesregierung zu nutzen. So schlagen wir vor, dass die Linkspartei möglichst rasch nach den Wahlen gemeinsam mit anderen Linken, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen eine Aktionskonferenz mitorganisiert, auf der die Politik der nächsten Regierung analysiert und ein Forderungs- und Mobilisierungsplan verabschiedet wird. Dazu sollten vorbereitende Treffen in allen Großstädten, an Schulen, Unis und in den Betrieben und Gewerkschaftsgruppen stattfinden.

Auch für das Selbstvertrauen vieler ArbeiterInnen und AktivistInnen, die wir für eine solche Perspektive gewinnen wollen, macht es einen Unterschied, ob z. B. die Linkspartei stärker als die AfD wird oder ob durch die Stärke der Linkspartei eine schwarz-gelbe Traumregierung des Kapitals verhindert werden kann. Beides ist im Interesse der ArbeiterInnenklasse in Deutschland. Das darf auch der hiesigen „radikalen“ Linken nicht egal sein. Der/die, dem/der es das ist, stärkt dadurch indirekt die offen bürgerlichen Parteien. Das ist vielleicht politisch nicht gewollt, ist aber die wahltechnische und vor allem reale politische Konsequenz.




Perspektive: Für ein Programm des Klassenkampfes!

Tobi Hansen, Neue Internationale 222, September 2017

Die kommende Bundesregierung wird – unabhängig von ihrer Farbkombination – eine bürgerliche Regierung sein, die die imperialistische Formierung der EU vorantreibt, deren Außengrenzen weiter abschottet und „überzählige“ Geflüchtete abschieben will. Sie soll nicht nur im Inneren, sondern vor allem auch nach außen durch Aufrüstung und neo-liberale Freihandelspolitik die politischen und ökonomischen Interessen des Kapitals absichern. Innenpolitisch werden weitere Angriffe auf die ArbeiterInnenklasse wie Umstrukturierungen, Privatisierungen, aber auch Mieterhöhungen und Tariflöhne anstehen, die kaum den Inflationsverlust wettmachen und für immer weniger Beschäftigte gelten. Vor allem den von Armut und Unsicherheit betroffenen Schichten der Lohnabhängigen – Frauen, Jugendlichen, RentnerInnen, MigrantInnen – droht eine weitere Verschlechterung ihrer Situation.

Der folgende Abschnitt skizziert daher zu Schlüsselfragen der nächsten Jahre zentrale Forderungen, für die die Linkspartei (wie die gesamte ArbeiterInnenbewegung) mobilisieren muss, um sie überhaupt durchsetzen zu können. Von Seiten der Linkspartei würde das einen Bruch mit ihrer auf Parlamentarismus und Koalitionssuche ausgerichteten Politik erfordern. Wir richten sie daher an die Führung, Mitgliedschaft und alle WählerInnen der Partei. Wenn die Partei und selbst ihre Führung eine Politik im Interesse der Lohnabhängigen versprechen, so mögen sie auch Taten folgen lassen. Zugleich sollten die Mitglieder und WählerInnen der Partei für die folgenden Forderungen oder auch nur einzelne Punkte daraus mobilisieren, den Kampf aufnehmen.

Kampf dem Rassismus!

Eine klassenkämpferische Linke muss die Kämpfe von Geflüchteten und MigrantInnen ohne Wenn und Aber unterstützen und direkt mit den Forderungen der gesamten ArbeiterInnenklasse verbinden. Nur so ist es möglich, rassistische Spaltungen zu bekämpfen. Fragen von Löhnen, Wohnungen, medizinischer Betreuung und Zugang zu Qualifizierungsmaßnahmen dürfen nicht abgekoppelt werden von existierenden Bewegungen und Forderungen:

  • Nein zur Festung Europa, offene Grenzen für alle, die hier leben wollen! Nein zu allen Abschiebungen! Volle StaatsbürgerInnenrechte, Recht auf Arbeit und freie Wahl des Wohnorts!
  • Bezahlbarer Wohnraum für alle inklusive der Geflüchteten! Enteignung leerstehenden Wohnraums im Besitz von SpekulantInnen und Superreichen! Für ein öffentliches Wohnungsbauprogramm, finanziert aus der Besteuerung des Kapitals und unter Kontrolle von Gewerkschaften und MieterInnenkomitees!
  • Nein zur Zwangsarbeit und erzwungenen Lohndrückerei durch 80-Cent-Jobs! Mindestlohn und tarifliche Bezahlung für alle!
  • Öffnung der Gewerkschaften für Geflüchtete und deren Aufnahme mit allen Mitgliedsrechten!

Gegen Leiharbeit, Prekarität, Ausgrenzung!

Um aktuellen und zukünftigen Spaltungen entgegenzuwirken, braucht es eine komplette Umkehr der Politik der ArbeiterInnenbewegung und vor allem der Gewerkschaften. Hier sollte die Linke für die Organisierung der Prekären, des Niedriglohnbereichs, der Geflüchteten eintreten. Das kann Spaltungen innerhalb der Klasse verringern und ihr trotz zunehmender sozialer Unterschiede in ihren eigenen Reihen (Lohnspreizung, Prekarität…) die Vorzüge kollektiven Handelns darstellen. Dazu gehört auch der Kampf gegen jegliche tarifliche Anerkennung der Leiharbeit: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist kein Sonntagsmotto, sondern ein historischer Grundsatz der Gewerkschaftsbewegung.

  • Mindestlohn von 12,- Euro netto für alle! Abschaffung der Hartz- und Agenda-Gesetze! Arbeitslosengeld und Rente auf Höhe des Mindestlohns!
  • Offensive Lohn- und Gehaltspolitik der Gewerkschaften, um die Einkommensverluste der letzten Jahre wettzumachen!
  • Abschaffung von Leiharbeit, Verbot von Überstunden! Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Vetorecht für Gewerkschaften und Betriebsräte gegen jedes Outsourcing!
  • Entschädigungslose Enteignung aller privatisierten Unternehmen, vor allem der öffentlichen Versorgung (Wasser, Energie, Bildung, Verkehr, Gesundheitswesen, …).
  • Das Recht auf politischen Streik erkämpfen! Abschaffung aller Gesetze, die das Recht auf Streik, gewerkschaftliche und politische Organisierung einschränken, darunter auch die sog. „Tarifeinheit“!
  • Kontrolle der Gewerkschaftsmitglieder über ihre Organisation! Streiks und Besetzungen bei angedrohten Entlassungen und/oder Betriebsschließungen! Wahl von Streikkomitees, die den Beschäftigten gegenüber rechenschaftspflichtig und von diesen abwählbar sind!

Kampf jeder gesellschaftlichen Unterdrückung!

Wie die Lage der MigrantInnen und Geflüchteten hat sich auch die Lage von Frauen, Jugendlichen, sexuell Unterdrückten, Menschen mit Behinderung oder Alten in den letzten Jahren mehr und mehr verschlechtert.

  • Sicherung der materiellen Unabhängigkeit von Jugendlichen und RentnerInnen! Gleiche Rechte (einschließlich des Wahlrechts) für Jugendliche ab dem 16. Lebensjahr!
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für alle! Nein zu allen Angriffen auf die Rechte von Frauen und sexuell Unterdrückten!
  • Recht aller Unterdrückten auf Selbstorganisation und eigene Treffen in den Gewerkschaften!

Gegen Militarismus und Krieg!

  • Nein zu jedem Auslandseinsatz der Bundeswehr, sei es unter NATO- oder UNO-Flagge! Sofortiger Abzug aller in Auslandseinsätzen stehenden Truppen! Austritt aus der NATO, nein zu jeder europäischen Armee und Allianz!
  • Nein zu Wirtschafts- und Handelsboykotten (wie z. B. den Sanktionen gegen Russland) – diese dienen letztlich immer nur imperialistischen Interessen! Nein zu Rüstungsexporten an reaktionäre Regime wie Saudi-Arabien und die Türkei!
  • Keine Bundeswehr an Schulen und Unis! Für das Recht auf offene politische Betätigung in der Armee!

Die Reichen müssen zahlen – Enteignung der Großkonzerne und Banken

Jede soziale, fortschrittliche Maßnahme wie beispielsweise der ökologische „Umbau“ der Gesellschaft wie auch Abwehrmaßnahmen gegen drohende Massenentlassungen oder Umstrukturierungen in Großkonzernen oder Zulieferindustrie müssen schöne Worte bleiben, wenn wir nicht an die Profite und das Eigentum der Reichen, an das Großkapital herangehen!

  • Abschaffung der indirekten Massensteuern (Mehrwertsteuer), für die progressive Besteuerung von Vermögen, Besitz und Gewinnen!
  • Entschädigungslose Enteignung der großen Konzerne, Banken, Finanzinstitute unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Umstrukturierung der Produktion gemäß der Interessen der Lohnabhängigen und ökologischer Nachhaltigkeit!

Gegen europäische Austerität – für ein sozialistisches Europa!

Wir brauchen eine Antwort auf die falsche Alternative zwischen dem Europa des Kapitals und dem „Exit“, dem reaktionären Zerfall der EU mit Rückzug auf Nationalstaaten und Nationalismus.

Wir brauchen grenzübergreifende Initiativen, welche den Klassenkampf auf europäisches Niveau heben und koordinieren. Unsere Alternative zum Europa des Kapitals besteht nicht in einer „sozialen EU“, wo Marktwirtschaft, Militarismus und Rassismus nur sozial(chauvinistisch) ausgestaltet werden.

Gegen das Europa des Kapitals und die EU treten wir für die Einheit im Klassenkampf und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ein!




Taktik und Orientierung: “Radikale Linke” und die Wahlen

Jürgen Roth, Neue Internationale 222, September 2017

Im Grunde zerfallen die Positionen der „radikalen“ Linken zur Bundestagswahl in vier Kategorien. Ein Teil enthält sich jeder eigenen Stellungnahme. „Begründet“ wird diese Haltung damit, dass Wahlen schließlich nicht so wichtig wären, der Kampf auf der Straße oder im Betrieb ausgefochten werden müsse. Politisch ist diese pseudoradikale Antwort eigentlich ein Armutszeugnis, bei dem sich angebliche „RevolutionärInnen“ zur wichtigsten politischen Auseinandersetzung im Herbst 2017 erst gar nicht äußern!

Ein weiterer Teil, besonders das anarchistische und autonome Spektrum, ruft zur Wahlenthaltung oder zum ungültig Wählen auf, wobei letzteres oft auch noch mit einem Boykott verwechselt wird.

Dieser ist aber genau genommen eine aktive Klassenkampfmethode zur Verhinderung einer Wahl, wenn bereits Organe existieren, die über das bürgerliche System hinausweisen (Generalstreikausschüsse, Räte…). Ansonsten bleibt er allenfalls eine leere Geste, wo eine Vielzahl von Motiven für eine Wahlenthaltung, ein Fernbleiben oder eine ungültige Stimme zu einer gemeinsamen politischen Haltung umgedichtet werden.

Ungültig, Boykott, …?

Ein Teil der Gruppierungen, die zur ungültigen Stimmabgabe aufrufen, lehnt die Beteiligung an Wahlen nicht grundsätzlich ab – für sie gibt es nur nichts „Vernünftiges“ im Angebot. Die linken Kleinstparteien würden nichts repräsentieren und hätten außerdem kein revolutionäres Programm. Beide Vorwürfe stimmen.

Die Linkspartei könne auch nicht unterstützt werden, weil sie nur bürgerlich wäre und außerdem nicht kämpfen würde. Würde sie letzteres tun, wäre ein Wahlaufruf unter Umständen gerechtfertigt. Das Problem mit dieser Position ist eigentlich, dass sie den Aufruf für eine reformistische (also bürgerliche) Partei, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützt, von deren Programm und dem Handeln ihrer Führung abhängig macht.

Wir rufen zur Wahl einer solchen Partei jedoch nicht wegen ihres Programms auf. Auch der linke Reformismus ist letztlich eine bürgerliche Ideologie. Aber Parteien wie die Linkspartei sind nicht nur bürgerlich, sie haben auch die Besonderheit, dass sie sich auf die organisierte ArbeiterInnenklasse stützen – also jene Kraft, die wir gewinnen müssen, wenn der Klassenkampf erfolgreich geführt und vor allem der Kapitalismus gestürzt werden soll.

Jene ArbeiterInnen und Jugendliche, die mithilfe der Linkspartei die offen bürgerlichen Parteien schlagen wollen, führen daher – wenn auch auf dem Boden des Parlamentarismus – eine Form der Klassenauseinandersetzung mit den bürgerlichen Kräften. Hier neutral zu bleiben, sich zu enthalten, ist nicht revolutionär, sondern passiv. Anders wäre es, wenn wir selbst stark genug für eine revolutionäre Eigenkandidatur wären.

Eigenkandidaturen

Die vorgeblich trotzkistische „Sozialistische Gleichheitspartei“ SGP tritt mit 2 Landeslisten (Berlin, NRW) sowie mehreren DirektkandidatInnen an. Im Mittelpunkt ihres Wahlkampfs steht die Opposition gegen Krieg und Militarismus sowie das Eintreten für eine revolutionäre, sozialistische Perspektive – so ihre Selbstaussage. Diese hehren Ziele werden jedoch zur Makulatur angesichts der anti-revolutionären Positionen, die diese Pseudo-Partei vertritt. So lehnt sie das nationale Selbstbestimmungsrecht ab, die Gewerkschaften gelten ihr als reaktionär, Bündnisse mit anderen Linken schließt diese Sekte erst gar nicht.

Die MLPD kandidiert als Internationalistische Liste/MLPD zu den Bundestagswahlen. Ihre gemeinsamen Forderungen im Wahlmanifest sind allesamt verwaschen („Der Jugend eine Zukunft!“), wenn auch richtig – mit Ausnahme der Bezeichnung des türkischen Staats als faschistisch und des sofortigen Verbots aller faschistischen Organisationen. Gekrönt wird das Programm mit der schwammigen Losung „Für eine befreite Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung…“. Nur für die Mehrheit der Liste ist das aber nach eigenem Bekunden mit Sozialismus identisch!

Die DKP, wohl eher als beide vorgenannten Organisationen noch als Partei zu bezeichnen, legt ein Sofortprogramm für Frieden, Arbeit, Solidarität, Bildung und bezahlbares Wohnen vor, verzichtet aber auf jeden Bezug zum Maximalziel.

Von der Methode eines revolutionären Übergangsprogramms, das in konkreten Schritten taktisch wie strategisch den Weg von heute bis zur Machtergreifung darlegt, sind alle drei meilenweit entfernt. Revolutionäre KommunistInnen unterstützen solche Kandidaturen nicht. Ihre Programme sind nicht revolutionär, an manchen Punkten nicht einmal linker als jenes der Linkspartei. Allenfalls versprechen sie mehr. Im Gegensatz zu dieser verfügen sie über keine bedeutende Verankerung . Während die Linkspartei über eine wirkliche, wenn auch zumeist eher passive Massenbasis verfügt, die aktiviert und vom Reformismus gebrochen werden kann, gibt es diese bei den Mini-Kandidaturen praktisch nicht – damit entfällt aber eine zentrale Voraussetzung für eine etwaige kritische Unterstützung.

Die „Linken“ in der Linkspartei

Die sich auf den Trotzkismus berufenden Gruppen marx21 und SAV – letztere ist Mitglied in der Antikapitalistischen Linken (AKL) der Linkspartei – krebsen seit über 10 Jahren dort herum. Für Trotzki war ein möglicher Entrismus (Eintritt) in größere zentristische oder reformistische Gebilde nur als kurzfristiges Manöver von wenigen Jahren, eventuell auch nur wenigen Monaten gedacht. Er hatte zur Bedingung eine Linksentwicklung und eine dort sich abspielende Auseinandersetzung mit der Parteiführung.

Die DauerentristInnen kaschieren das Fehlen dieser Bedingungen mit dem Verweis darauf, dass der Aufbau einer unabhängigen Organisation hintangestellt gehört, weil die Entwicklung zum revolutionären Klassenbewusstsein zwangsläufig über den Mitgliederzustrom in solche Parteien erfolge und/oder diese irgendwie einen unbestimmten Klassencharakter trügen, ihre Politik also keine bürgerlich-konterrevolutionäre der ArbeiterInnenbürokratie sei. Ähnlich wie bei der SPD vor 1914 und der KPD vor 1933 halten sie diese Formationen für reformierbar, wozu man nur abwarten müsse, bis besagte ArbeiterInnenmassen einträten.

Das heißt nicht, dass AKL, SAV oder auch marx21 die Politik der Führung der Linkspartei oder wenigstens des rechten Flügels in Berlin, Brandenburg, Thüringen nicht auch kritisieren würden. Aber diese Kritik verbleibt immer zwiespältig – und zwar nicht nur oder in erster Linie wegen opportunistischer Anpassungen, sondern vor allem, weil so getan wird, als wären die Regierungsbeteiligungen nicht logische Konsequenz eines reformistischen Programms, sondern nur ein „Ausrutscher“. Damit wird letztlich unterstellt, dass es eine bürgerliche ArbeiterInnenpolitik, eine Politik, die auf den revolutionären Sturz des Kapitalismus verzichten will, ja diesen bekämpft, geben könne, die ihre Ziele ohne Anstreben von Regierungsverantwortung überhaupt umsetzen könne.

Regierungsfrage

Die AKL als größte linke Kraft in der Linkspartei beantwortet dieses Problem auf ihrer Bundesmitgliederversammlung vom 16. März 2017 in Hannover folgendermaßen: „…eine rot-grüne Minderheitsregierung ins Amt zu bringen und allen möglichen Verbesserungen der sozialen Lage der Beschäftigten und Erwerbslosen, Jugendlichen und Rentner*innen einer Regierung unter Schulz im Einzelfall zuzustimmen und alle Verschlechterungen abzulehnen.“ Gäbe es gegen eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei keine Mehrheit, sollten die sogenannten Roten Haltelinien geschärft werden (z. B. keine Auslandseinsätze statt keine Kampfeinsätze).

Auch wir würden natürlich progressive Maßnahmen von Rot-Grün unterstützen, aber im Gegensatz zur AKL keine Koalition mit offen bürgerlichen Parteien ins Amt wählen – und sei es noch so kritisch. Für den Fall einer Beteiligung der eigenen Partei an einer solchen Regierung zieht sich die AKL dann auf „Rote Haltelinien“ zurück – eine Linie, die auch von marx21 vertreten wird.

Koalitionen mit den Grünen sind grundsätzlich abzulehnen, auch wenn sie sich auf den ersten Blick politisch von SPD und selbst der Linkspartei wenig zu unterscheiden scheinen. Aber die Grünen hatten nie organische Bindeglieder zur ArbeiterInnenklasse. Während Alleinregierungen von bürgerlichen ArbeiterInnenparteien ein Mittel sein können, den Gegensatz zwischen der proletarischen Basis und ihrer Führung zuzuspitzen und somit die Polarisierung in der Partei deutlichere Züge annehmen kann, so entfällt bei den Grünen diese Möglichkeit. Sie würden sich vielmehr als zusätzliches Gewicht der herrschenden Klasse erweisen.

Aber eigentlich möchten AKL und marx21 vorläufig gar keine Regierungsbeteiligung der Linkspartei, weil die „unbefleckte“ Parteiweste damit nur besudelt werden würde. Hinter diesem Radikalismus offenbart sich deren Opportunismus. Im Falle einer Regierungsbeteiligung fürchten sie nämlich, dass sich der bürgerliche Charakter der Linkspartei für die Massen „zu früh“ offenbart und damit die eigene illusorische Hoffung entlarvt, dass die Partei sich unter dem Druck der Ereignisse zu einer „echten“ sozialistischen weiterentwickeln könne.

Die opportunistische und in sich inkonsequente Politik der Linken in der Linkspartei spielt letztlich nicht nur Bartsch, Gysi, Wagenknecht, Riexinger und Kipping in die Hände – sie nährt auch den Pseudoradikalismus jener, die auf jede Haltung zur Wahl verzichten, sich in Enthaltungs- und Boykottaufrufen ergehen oder ihr Heil in zentristischen oder stalinistischen Kleinparteien suchen.




SPD-Rentenkonzept: Soziale Gerechtigkeit statt sozialer Rechte

Paul Neumann, Neue Internationale 221, Juli/August 2017

Sozial gerecht ist, was Arbeit schafft“, war die durchschlagende Parole von Kanzler Schröder und seinem Wirtschaftsminister Clement 2005 bei der Durchsetzung der Arbeitsmarktreformen im Rahmen der Agenda 2010. Das war eine mehrfache Lüge.

Lügen

Erstens hatte Schröder „vergessen“, seinen Wählern mitzuteilen, dass von den „neuen Jobs“ kaum einer noch wird leben können. Mini-Jobs, Leiharbeit, Mindestlohn, Zeit- und Werkverträge, EU-Freizügigkeit, Rentenreform und die weitgehende „Deregulierung“ des Arbeitsmarktes zur Schaffung einer umfassenden „Flexibilität“ der Produktion haben einen Niedriglohnsektor geschaffen, in dem heute fast 2 Millionen Beschäftigte trotz „neuen Jobs“ nur noch als AufstockerInnen, d. h. auf Kosten der SteuerzahlerInnen, über die Runden kommen können.

Zweitens hat die Agenda 2010 keine neuen Jobs geschaffen. Tatsächlich sind die Arbeitsstunden in Deutschland seit 2005 weiter gesunken. Vor allem im Einzelhandel und Gaststättengewerbe sind allerdings ca. 1,2 Millionen Vollzeitstellen in sozialabgabenfreie Mini-Jobs umgewandelt worden. So wurden aus einer Vollzeitstelle 4 „neue“ Minijobs. Eine wundersame Vermehrung. Das ist das Ergebnis 16-jähriger sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung. Wer NutznießerIn dieser Politik ist, wurde 2015, zum 10-jährigen Jubiläum der Hartz-Reformen, groß gefeiert. Kein/e SozialdemokratIn ließ es sich auf den unzähligen Jubelfeiern nehmen, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, dass dank ihrer Hartz-Reformen, also der radikalen Verbilligung der Arbeitskosten, Deutschland wieder an der Spitze in der ökonomischen Staatenkonkurrenz steht. Der neue Reichtum des deutschen Kapitals wurde auf Kosten der Lohnabhängigen erwirtschaftet.

Als dritte Lüge ließe sich noch die behauptete Senkung der Arbeitslosenzahlen anführen. Geändert haben sich vor allem die Kriterien der statistischen Erfassung, denn heute ist nicht mehr jede/r arbeitslos, der/die keine Arbeit hat und eine sucht. Wer einen Mini-Job hat, gilt nicht mehr als erwerbslos, auch wenn er/sie weiter eine Vollzeitstelle sucht, um unabhängig von Transferleistungen leben zu können. Ebenso die Person, die während des Bezuges von ALG I oder II krank wird, an einer „Maßnahme“ (Aus- und Weiterbildung, Motivationskurs, Bewerbungstraining, Coaching oder einer anderen Warteschleife…) der BAA oder des Jobcenters teilnimmt oder mit einer Sperrfrist sanktioniert wird, erscheint nicht mehr in der Statistik. Das war vor allem die „Leistung“ der sozialdemokratischen Arbeitsministerin Nahles.

Wahlprogramm

Wenn die SPD in ihrem aktuellen Wahlprogramm „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken“, großspurig ausgegeben als „Regierungsprogramm 2017-2021“, eine gewaltige „Gerechtigkeitslücke“ entdeckt haben will, ist dies nichts anderes als das Ergebnis fast 20-jähriger sozialdemokratischer Bewirtschaftung der deutschen Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, mit dem Ergebnis, dass die glorreiche ArbeiterInnenpartei für ihre Verdienste am deutschen Imperialismus fast die Hälfte ihrer WählerInnenbasis verloren hat. Hatte die SPD 1995 noch 40,9 % der Stimmen erhalten, so dümpelt sie nach aktuellen Meinungsumfragen zwischen 22 und 24 % umher.

Damit droht die SPD als bürgerliche Partei, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützt, ihren wesentlichen Wert für das Kapital einzubüßen, nämlich über die Gewerkschaftsbürokratie und ihre historische und organische Verankerung die organisierte ArbeiterInnenklasse besser als jede andere Partei an das bürgerliche System binden und kontrollieren zu können.

Die Aufgabe der SPD besteht dabei weiter darin, Reformen im Interesse des deutschen Kapitals in der ArbeiterInnenklasse durchzusetzen. Weil sie das mit den Hartz-Reformen so gründlich erledigt hat, steht sie jetzt vor dem Abgrund und muss ums Überleben wieder punkten bei ihrer desillusionierten sozialen Basis.

Aufgabe der SPD

Ausdruck dieses widersprüchlichen Charakters der SPD ist ihr aktuelles Wahlprogramm. Der herrschenden nationalen Bourgeoise gefällig sein, mutig in die Zukunft blicken und gleichzeitig der proletarischen Basis, für deren soziale Nöte die SPD die politische Verantwortung trägt, Gutes tun wollen, wenn es denn der Wirtschaft nicht schadet – dieses wackere Unterfangen hat nun ein Programm: „Zeit für mehr Gerechtigkeit“. Dort werden erst einmal alle bekannten Nöte und Missstände der Nation beliebig aufgeführt: Schule, Bildung, Pflege, Arbeit, Rente, Wirtschaft, Mieten, Innovation, Steuern, Migration, Europa usw….

Irgendeinen Grund für die vielen sozialen Verwerfungen im „reichen Deutschland“ nennt das Programm an keiner Stelle. Dass es vermehrt arme Kinder hier gibt, die nicht einmal ein Mittagessen bekommen, darf einfach nicht sein. So glänzt das Programm von Seite 1 bis 85 in einem widerwärtigen Sozialpathos und man fragt sich unweigerlich: „Wer liest so etwas und wer glaubt diese Harmoniemärchen“?

Rentenreform von 2003

Aktuell steht die Rentenreform von 2003 wieder im Fokus der Öffentlichkeit. Altersarmut wird allerorts von Sozialverbänden und anderen Kritikern prophezeit.

Dabei war die Rentenreform von 2003 eine zentrale Säule der Agenda 2010-Strategie, um die Lohnnebenkosten des Kapitals zu senken. Für die öffentliche Durchsetzung wurde zentral mit dem „demographischen Faktor“ argumentiert und damit die nächste Lüge in die Welt gesetzt. Immer weniger Beschäftige müssen angeblich immer mehr RentnerInnen, die auch noch länger leben, durchfüttern. Ein Naturgesetz also, weil wir ja immer älter werden. Wer kann diese Entwicklung leugnen? Sie ist aber nicht neu, sondern hat schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den ersten großen Fortschritten der Medizin und Hygiene eingesetzt. Legt man alleine diese Faktoren zugrunde, wäre die Bismarcksche Rente von 1883 schon vor dem Ersten Weltkrieg bankrott gewesen.

Der zentrale Faktor, der der Deutschen Rentenversicherung Lebensgeist eingehaucht hat, war die gewaltige Steigerung der Arbeitsproduktivität in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und die grobe Orientierung der Löhne an diesen Produktivitätssteigerungen. Die Regierung Schröder/Fischer und ihre bestellten ProfessorInnen haben die Rentenentwicklung von der Produktivitätsentwicklung entkoppelt und plötzlich tat sich eine „Finanzierungslücke“ auf. Daneben sanken die Beiträge durch den Niedriglohnsektor, Mini-Jobs usw., so dass, wenn die Absenkung auf 43 % abgeschlossen sein wird, tatsächlich auf die Hungerlöhne Hungerrenten folgen werden und auch FacharbeiterInnen und viele Angestellte ihren Lebensstandard nicht werden halten können.

Die SPD kennt natürlich ihre Verbrechen. Gabriel war Minister unter Schröder und daher war eine linke „Wende“ mit ihm als Vorsitzenden nicht mehr möglich. Mit Schulz an der Spitze versucht die SPD, wieder Glaubwürdigkeit in der ArbeiterInnenklasse zurückzugewinnen. Gleichzeitig darf sie auch die Bourgeoisie nicht verschrecken.

Mit ihrem Wahl- und Regierungsprogramm 2017-2021 versucht die SPD nun den Spagat zwischen den Fronten, fordert eine „gerechte, verlässliche“ Rente, die den „Wert der Arbeit und die Würde im Alter sichert“. Selbstverständlich „müssen wir das Rentenniveau stabilisieren“, aber ebenso selbstverständlich, „ohne die Entwicklungschancen der Jüngeren durch zu hohe Beiträge zu beschränken“.

Es geht auch nicht um Menschen, die im Alter noch ihre Wohnung bezahlen müssen, Essen und Kleidung brauchen, nein, es geht um die „wichtigsten Werte in unserer sozialen Marktwirtschaft: den Wert der Arbeit“. Selbstverständlich braucht eine „gerechte Rente“ auch eine „gerechte Finanzierung der Rente. Die Beitragszahlenden dürfen nicht überfordert werden.“ Aber die SPD setzt auch eine fette, rote „doppelte Haltelinie: Gesetzlich festgelegtes Rentenniveau von mindestens 48 Prozent und Beitragssatz von 22 Prozent“ und „Keine Anhebung der jetzigen Regelaltersgrenze“. Die VertreterInnen des Kapitals beharren auf der 2003 gesetzlich festgelegten Absenkung der gesetzlichen Altersrente auf 43 %, diskutieren die Rente mit 70 Lebensjahren, bevor noch die Rente mit 67 vollständig umgesetzt ist.

Nichts Klares

Die SPD hat nicht einmal den Mut, für eine BürgerInnenrente einzutreten, wie sie in der Schweiz seit Jahrzehnten existiert, wo das Rentenniveau gerade bei den unteren Einkommen ca. 50 % höher liegt als in Deutschland und das Gespenst der Altersarmut weitgehend unbekannt ist, weil alle bis zum Millionär in eine einheitliche gesetzliche Rentenversicherung einzahlen. Wahrlich keine revolutionäre Änderung. Nicht einmal zu so einem Reförmchen hat die SPD die Kraft. Weil sie keine Position beziehen will und nur um die Probleme herumredet, lesen wir das Geschwurbel vom „Neuen Generationsvertrag“, einer gewaltigen „nationalen Anstrengung“, die zu einem „gesamtgesellschaftlichen Konsens“ führen muss. Und es wundert nicht, dass, „damit wir diese Ziele erreichen, (…) in den kommenden vier Jahren umfassende Reformen und Investitionen in Angriff genommen werden (müssen)“.

Fazit: von der SPD ist in der Rentenfrage, der Bekämpfung der Altersarmut und der beschworenen Menschenwürde im Alter nichts zu erwarten als leere Worte. Nicht einmal zu klaren, nachvollziehbaren – und damit auch leichter überprüfbaren – Reformversprechen lässt sie sich hinreißen. Dabei müsste gegen die permanente Kürzung der Renten der Kampf für ein staatliches Rentensystem für alle aufgenommen werden – finanziert aus der Besteuerung der Reichen, kontrolliert von den Lohnabhängigen.

 

Alle Zitate aus: SPD-Wahlprogramm: „Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit: Zukunft sichern, Europa stärken. Das Regierungsprogramm 2017 bis 2021“, Berlin, Juni 2017