Der Parteitag der Linkspartei – Vorwärts dem Ende entgegen?

Martin Suchanek, Infomail 1191, 24. Juni 2022

„Gemeinwohl statt Profit. Klimagerechtigkeit statt Aufrüstung. DIE LINKE ist bereit für die neue Zeit“ – so der Titel des Leitantrages zum Parteitag, der vom 24. bis 26. Juni in Erfurt tagt. Angesichts der Existenzkrise der Partei, die auch von ihren Parteigänger:innen längst nicht mehr bestritten wird, setzt der Vorstand DER LINKEN auf eine weitere hoffnungsfrohe Beschwörungsformel. Dass DIE LINKE für die „neue Zeit“ bereit sei, glaubt schließlich kaum jemand, sodass dieser und ähnliche Titel fast schon wie eine unfreiwillige Parodie daherkommen.

Was das kommende Wochenende betrifft, scheint das Ziel der Parteiführung vor allem darin zu bestehen, dass der Laden ohne weiteren größeren öffentlichen Eklat die Tagung übersteht. Immerhin darin dürften sich im Großen und Ganzen die drei Hauptströmungen der Partei – Bewegungslinke, Regierungssozialist:innen und Linkspopulist:innen – einig sein. Nicht nur der Leitantrag, sondern auch die politischen Vorschläge der jeweiligen Strömungen sind so gehalten, dass sich tiefere Differenzen eher darin finden, was nicht offen ausgesprochen wird, was nicht drin steht, als was verkündet wird.

Natürlich wird es auch kontroverse Wortmeldungen und, sofern der Begriff angesichts der Parteitagschoreographie angebracht ist, „Debatten“ geben. Grund dafür gäbe es genug, schließlich unterscheiden sich die drei Hauptströmungen der Partei erheblich und drängen bei fast allen wichtigen Fragen in verschiedene Richtungen. Eine offene Debatte um die grundlegenden Probleme oder gar Differenzen will jedoch zu diesem Zeitpunkt keine dieser Kräfte – und sei es, weil keine weiß, was sie bei einem Zerfall der Partei tun sollte. Daher wird es in Erfurt allenfalls zu einem Kräftemessen, keinesfalls zu einer allzu offenen Konfrontation und schon gar nicht zu einer Entscheidung kommen. Die Fortsetzung der aktuellen Hauptform der Parteikrise, ihre Daueragonie, ist vorprogrammiert.

Die Strömungen

Die linkspopulistische Strömung um Sahra Wagenknecht versucht, sich als letzte Bastion der „Friedenspolitik“ der Linkspartei und als Anwältin der Lohnabhängigen und ihrer sozialen Nöte in Stellung zu bringen. In der Vergangenheit fielen dabei gerade Wagenknecht und Lafontaine mit chauvinistischen Ausfällen auf. Vor dem Parteitag wird in den Anträgen Zurückhaltung geübt, um Kräfte um den Aufruf „Für eine populäre Linke“ zu sammeln. Man behilft sich mit dem Gemeinplatz, dass sich DIE LINKE nicht auf „Milieus“ verengen dürfe. Das ist natürlich richtig und wird wohl in dieser Allgemeinheit von niemandem/r bestritten. Zur Klärung der Sache trägt es jedoch auch nichts bei. Darum geht es aber auch nicht, sondern vielmehr um die Sammlung der eigenen Strömung. Das Hantieren mit solchen Formeln ist freilich kein Alleinstellungsmerkmal dieses Flügels.

Auch wenn die Linkspopulist:innen seit dem letzten Parteitag die Führung in NRW verloren haben, so sind sie nach wie vor in einzelnen Landesverbänden wie Niedersachsen stark und stellen zentrale Führungspositionen in der Bundestagsfraktion, gemeinsam mit einem Teil der „Reformer:innen“ um Bartsch.

Die Bewegungslinke wiederum stellt seit dem letzten Parteitag einen bedeutenden Teil des bestehenden Vorstandes. Für sie geht es bei der Neuwahl der Führung also nicht nur um Janine Wissler als Vorsitzender, sondern auch um ihre relative Stärke auf Bundesebene. Sie reklamiert für sich gern eine grundlegende Kritik an der faktischen Schwerpunktsetzung auf parlamentarische Arbeit, inklusive der in regionalen und kommunalen Vertretungen. Dieser bürgerlichen Realpolitik möchte sie eine andere entgegenstellen, die auf Mobilisierungen und Arbeit in sozialen Bewegungen setzt. Mehr als andere Strömungen beschwört sie auch das sozialistische Ziel – freilich nicht im Sinn einer Übergangsprogrammatik, sondern vielmehr als ein von der realen Arbeit DER LINKEN als Abgeordnete, Gewerkschafter:innen, Aktive in sozialen Bewegungen losgelöstes in der Ferne.

Aber selbst die meisten Sprecher:innen der Bewegungslinken sehen darin kein Problem, weil auch für sie der „Sozialismus“ nur eine Vision darstellt, die erst in ferner Zukunft Realität werden kann. Derweil ist „Transformationsstrategie“ angesagt, also die mehr oder minder pragmatische Kombination von Regierungsbeteiligungen und Bewegungsaktivismus.

Wie fragwürdig ihr „linker Kurs“ jedoch ausfällt, zeigt schon, dass sie faktisch an einer Art friedlicher Koexistenz mit den Reformier:innen festhält. In den letzten Jahren teilten sie sich faktisch die Vorsitzendenposten – zunächst Riexinger/Kipping, dann Wissler/Hennig-Wellsow. Nun soll das Tandem Janine Wissler für die Bewegungslinke und Martin Schirdewan, der dem Reformerflügel zugerechnete Europa-Abgeordnete, übernehmen.

Die Regierungssozialist:innen und Reformer:innen bleiben, wie so oft, in den grundlegenden und programmatischen Fragen vage und formelhaft. Unter „Erneuerung“ verstehen sie Anpassung, vorzugsweise an die bürgerliche Mitte, um so alle Hindernisse für eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene zu beseitigen. Konkrete Programme oder gar verpflichtende Festlegungen brauchen sie allenfalls gegen andere Strömungen und vor allem linke Kräfte. Ansonsten ist ihr Programm vor allem das realpolitische Manöver in Parlamenten und noch mehr an Regierungen.

Personalfragen

Daher gilt auch als die eigentlich spannende Frage auf dem Parteitag nicht, welche Änderungen zu den Leitanträgen angenommen oder abgelehnt werden. Vielleicht können einige der wenigen linken Anträge, die aus der AKL oder aus Verbänden unter dem Einfluss linker Gruppierungen wie der SAV oder der Sol stammen, sogar Achtungserfolge erringen – sofern sie es überhaupt über die Hürden der Parteitagsregie schaffen. Letztlich ist das für die Veranstaltung nebensächlich.

Auch wenn die Partei nicht weiß, wohin es gehen soll, auch wenn es an einer klaren Linie fehlt und diese auch durch weitere Appelle an eine imaginierte Einheit nicht erreicht werden kann, so wissen wir am 26. Juni wenigstens, wer der Partei vorstehen wird.

Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Wissler/Schirdewan das Rennen machen werden. Aber das Ergebnis der wichtigsten Gegenkandidat:innen Sören Pellmann (Bundestagsabgeordneter aus Leipzig) und Heidi Reichinneck (Vorsitzende der LINKEN Niedersachsen), die beide dem Wagenknecht-Lager nahestehen, wird auch Aufschluss über das Kräfteverhältnis geben. Erst recht trifft das auf die Wahlen zum Parteivorstand zu, auch wenn sich alle klar darüber sein müssen, dass dieser keineswegs das alleinige, ja nicht einmal das entscheidende Machtzentrum der Organisation darstellt. Die Bundestagsfraktion und vor allem deren Spitze stellen in der Öffentlichkeit und für die Politik der Partei wohl ein bedeutenderes Gremium dar als die eigentliche Parteiführung. Die Landtagsfraktionen führen ein realpolitisches Eigenleben, das Vorstand und Parteitage nur marginal tangieren. Wo die Linkspartei in Landesregierungen vertreten ist oder gar wie in Thüringen den Ministerpräsidenten stellt, spielen Beschlüsse oder Programme, die dieser Praxis eigentlich widersprechen, keine Rolle.

Charakter der Partei

Das ist natürlich nicht erst seit jüngster Vergangenheit so, es war in der LINKEN (und in ihrer Vorgängerpartei PDS) immer der Fall. Das spiegelt letztlich den Charakter der Gesamtpartei als reformistischer, als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei wider. Zur Ehrenrettung DER LINKEN muss hier angeführt werden, dass sie selbst ihren bürgerlich-reformistischen Charakter nie bestritten hat. Dass es ihr bei aller Beschwörung eines letztlich mehr moralisch verstandenen „Sozialismus“ nie um eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft ging, gehört zu ihrem Gründungskonsens. Ganz wie die Sozialdemokratie oder der Labourismus verstand und versteht die Linkspartei ihre Aufgabe in der „Reform“ des Kapitalismus, die über zahlreiche Fortschritte und Rückschläge nach einem langwierigen, im Kern aber graduellen Transformationsprozess zum Sozialismus führen soll.

Dieses Konzept ist, wie die Geschichte und Degeneration der Sozialdemokratie verdeutlichen, historisch gescheitert und theoretisch vom Marxismus längst widerlegt. Das sozialistische Endziel der „Transformation“ dient natürlich auch nicht als reales, sondern vor allem als ideologische Beschwörungsformel, als utopische Begleitmusik zu den Niederungen der „Realpolitik“.

Wer jedoch ablehnt, die Herrschaft des Kapitalismus durch eine Revolution zu brechen, wer von der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates und seiner Ersetzung durch die Herrschaft der Arbeiter:innenräte nichts wissen will, der ist letztlich gezwungen, auf den bürgerlichen Staat als Instrument der Veränderung zu setzen. Unter dieser Voraussetzung sind Beteiligungen an bürgerlichen Regierungen notwendig, ja folgerichtig. Offen bleibt nur, ob der Kurs auf Rot-Grün-Rot aktuell oder erst zu einem „günstigeren“ Zeitpunkt opportun erscheint.

Wie gesagt, der großen Mehrheit der Linkspartei kann niemand vorwerfen, dass sie aus ihrem positiven Bezug auf die bürgerliche Demokratie und den bürgerlichen Staat ein Geheimnis gemacht hätte. Wohl aber muss die Linken in der Linkspartei – insbesondere all jene, die vorgeben, in der Tradition des revolutionären Marxismus zu stehen – der Vorwurf treffen, dass sie selbst vor dieser Erkenntnis nur allzu gern die Augen verschlossen und so getan haben, als wäre die Frage des Klassencharakters der Partei noch offen.

Jetzt, wo bei der Linkspartei die Lichter auszugehen drohen, wird zumindest in AKL, SAV und Sol die Frage aufgeworfen, ob es nicht Zeit ist, das lecke Schiff zu verlassen. Diese Gruppierungen machen sich immerhin keine oder relativ wenig Illusionen in die Bewegungslinke, während marx21 tapfer daran festhält, dass DIE LINKE mit gutem Willen und harter Arbeit zu einer Bewegungspartei transformiert werden könnte.

Ursachen für die Existenzkrise

Das die Linkspartei heute vor eine Existenzkrise steht, hat etwas mit ihren inneren politischen Differenzen zu tun. Aber das allein erklärt die Krise nicht. Widersprüche, Gegensätze, verschiedene reformistische Flügel gab es von Beginn an, zum Teil größere, zum Teil sogar heftigere.

Verändert haben sich aber die Haltung der Lohnabhängigen zur Partei und die politische Gesamtlage. Erstens konnte sich DIE LINKE in den ersten Jahren als Partei der Hoffnung gerade für untere Schichten der Arbeiter:innenklasse verkaufen. Unter den Arbeitslosen und schlechter bezahlten Lohnabhängigen verfüge sie über eine starke Wähler:innenbasis, auch weil sie als Anti-Hartz-IV-Partei einigermaßen glaubwürdig in Erscheinung trat. Ihre Gewinne bei den Wahlen gingen vor allem auf Kosten der SPD.

Doch diese Lage hat sich längst verändert – und zwar nicht, weil sich die LINKE anderen Milieus zugewandt hätte, sondern weil sie sich als Partei entpuppte, die an Regierungen das Elend der „Arbeitsmarktverwaltung“ eben auch nur mitgestaltete und nicht beseitigte. An den Regierungen war und ist sie von SPD und Grünen kaum zu unterschieden. Ihr oppositioneller Bonus verblasste und zwar nicht, weil er über Bord geworfen wurde, sondern weil sich die inneren Widersprüche DER LINKEN als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei vor den Augen der Arbeiter:innenklasse entfalteten. Sie entpuppte sich als das, was sie immer war: eine Partei, die sich sozial, historisch, organisch auf Teile der Lohnabhängigen stützt, deren Politik jedoch bürgerlich ist, also auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung und seines politischen Systems steht.

Die Mitverwaltung des Kapitalismus in Landesregierungen unterminierte nicht nur das Standing der Partei gerade unter den unteren Schichten der Klasse, sondern auch ihre Unterscheidbarkeit zur SPD. Immer weniger wurde sie Anziehungspunkt für Sozialdemokrat:innen, zumal, wenn diese einen kleinen „Linksschwenk“ unternahm. Die Verluste an traditioneller Gefolgschaft der Linkspartei konnten zwar durch eine Gewinnung neuer Aktivist:innen vor allem in Westdeutschland unter Jugendlichen, sozial unterdrückten Teilen der Klasse, aber auch unter Gewerkschafter:innen ausgeglichen werden. Insgesamt stagnierte DIE LINKE jedoch bestenfalls zahlenmäßig.

Von ihren rund 60.000 Mitgliedern sind fast 6.000, also rund 10 %, als gewählte Abgeordnete oder Vertreter:innen in Parlamenten, Landtagen und kommunalen Körperschaften aktiv. Bedenken wir weiter, dass eine Mehrheit der Partei passiv ist, also nicht regelmäßig am Parteileben teilnimmt, so ist schon auf dieser Ebene die Frage nach dem Schwerpunkt der Politik der Partei entschieden. Diese reale und auch angestrebte Einbindung der Partei in den bürgerlichen Staatsapparat und Politikbetrieb findet ihre Entsprechung und Ergänzung in einem vergleichsweise großen Apparat, der staatlich über Parteienförderungen und Stiftungen finanziert ist, und in der Einbindung eines Teils der Funktionär:innen in den Gewerkschaftsapparat.

Es gehört zum düsteren Sittenbild einer bürgerlich-reformistischen Apparatpartei, dass auch sexuelle Übergriffe systematisch auftreten. Im Artikel #LinkeMeToo: Aus den Fehlern lernen! haben wir uns ausführlicher mit dem Umgang damit in der Partei beschäftigt und eigene Vorschläge unterbreitet, wie sexistische und sexuelle Übergriffe und Formen der Gewalt in der Linken und Arbeiter:innenbewegung bekämpft werden sollten. Die Dominanz des Apparates stellt dabei ein zusätzliches Hindernis für die Bekämpfung von Sexismus und allen anderen Formen der Unterdrückung dar, weil Aufstieg und Auswahl von einer Bürokratie bestimmt werden (selbst wenn es formale Wahlen geben sollte).

Die Partei findet sich, wie wir oben gezeigt haben, fest in den Händen einer Bürokratie.

Die Gegensätze von Bewegungslinker, Regierungssozialismus und Linkspopulismus sind solche von Strömungen innerhalb des Reformismus wie auch Apparates. Ihr Kampf ist keinesfalls nur, ja nicht einmal in erster Linie einer um Ideen und Programm, sondern auch um den Anteil an den bürokratischen Posten und Wahlämtern, die die Partei noch zu bieten hat.

Es ist aber kein Zufall, dass sich die aktuellen Strömungen der Partei um die sog. „Flüchtlingskrise“ und mit dem Rechtsruck in der Gesellschaft formierten. Ein Teil der Linkspartei trat verbal für offene Grenzen und Solidarität mit den Geflüchteten ein. Die Regierungssozialist:innen gaben sich antirassistisch in Worten und ließen stillschweigend weiter abschieben. Der populistische Flügel trat auf den Plan und äußerte Verständnis für Chauvinismus und Rassismus und machte im Namen der „normalen“ Menschen gegen offene Grenzen Stimmung.

Seither lässt sich fast bei jeder wichtigen politischen Frage verorten, dass die verschiedenen Flügel der Linkspartei unterschiedliche Positionen und Standpunkt einnehmen, von einem relativ fortschrittlichen Linksreformismus bei der Bewegungslinken über einen liberal-aufgeklärten Sozialreformismus bei den Regierungssozialist:innen zu einem Linkspopulismus, der Verteidigung des „Sozialstaates“ und der „sozialen“ Marktwirtschaft mit Chauvinismus kombiniert.

Der Krieg um die Ukraine, der Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten und die globale ökonomische Krise spitzen die Frage weiter zu, auch weil die großen weltgeschichtlichen Fragen selbst wenig Spielraum für reformistische, gut gemeinte Beschwörungsformeln lassen. Angesichts von Krieg, wirtschaftlicher Krise und fortschreitender ökologischer Katastrophe wäre ein Aktionsprogramm notwendig, ein System von Übergangsforderungen, das den Kampf gegen den imperialistischen Krieg, gegen Militarisierung und Aufrüstung, gegen das Erstarken des deutschen Imperialismus mit dem gegen Inflation, Gesundheits- und Umweltkrise und andere Angriffe verbindet. Ein solches Programm müsste die Frage nach Enteignung der großen Kapitale unter Arbeiter:innenkontrolle, nach einer planwirtschaftlichen Reorganisation von Produktion und Reproduktion gemäß der Bedürfnisse der Massen und ökologischer Nachhaltigkeit ins Zentrum stellen. Es müsste ein Programm des Klassenkampfes entwickelt werden, das in den Gewerkschaften und Betrieben den Kampf für eine klassenkämpferische Opposition ins Zentrum stellt, zum Aufbau von Aktionskomitees gegen Krieg und Krise aufruft, um die Massenorganisationen der Klasse zum Handeln bis hin zum politischen Massenstreik zu treiben.

Die Linkspartei wird das nicht tun. Alle ihre dominierenden Flügel bewegen sich nicht in diese Richtung, egal wie die Wahlen zum Parteivorstand ausgehen werden. Statt eines Aufbruchs in eine „neue Zeit“ wird es für die Linkspartei mit Agonie weitergehen. Bei allem Beschwören von Einheit und eines „strategischen Zentrums“ werden die vielen Stimmen nicht verstummen, weil die verschiedenen Strömungen in unterschiedliche Richtungen drängen, weil die Partei ihre verbliebenen Positionen im Parlament und in den Landtagen, also gemeinsame Pfründe, noch zusammenhalten. Eine strategische Ausrichtung, geschweige denn ein tragfähiges Programm kann das nicht ergeben.

Für jene Linken in der Linkspartei, die sich der Todeskrise der Partei bewusst werden, stellt sich jedoch nicht erst mit dem Parteitag die Frage: wie weiter? Und das ist vor allem eine programmatische Frage. Ob die Linkspartei als reformistische Partei überlebt oder nicht, hängt sicher nicht nur von politischen Klärungen ab. Eine Krise der Ampel-Koalition und/oder der SPD, Risse zwischen Regierung und Gewerkschaften für den Fall, dass Inflation und Krise immer weniger abgedämpft werden können, könnten selbst einer Linkspartei im Siechtum eventuell einen gewissen Aufschwung bringen. Die Probleme löst das aber nicht nicht.

Für alle antikapitalistischen Kräfte, für alle, die in der AKL und anderen anderen linken Strömungen agieren, stellt sich die Frage nach einem Kampf gegen den Apparat auf einer klaren programmatischen Grundlage. Es ist aber deutlich, dass eine solche Auseinandersetzung vor allem darauf zielen müsste, Kräfte für den Bruch mit der Linkspartei zu sammeln und gemeinsam mit antikapitalistischen Kräften, die gegen Krieg und Krise kämpfen, in Diskussion um die Erarbeitung eines Aktionsprogramms und die Grundlagen einer revolutionären Alternative zur Linkspartei zu treten.




Neue DGB-Vorsitzende: Aufbruch in eine neue Zukunft?

Helga Müller, Infomail 1188, 17. Mai 2022

Yasmin Fahimi, SPD-Mitglied, Bundestagsabgeordnete und Partnerin des Vorsitzenden der sozialpartnerschaftlich orientierten IG BCE, Vassiliadis, wird auf dem DGB Kongress in Berlin mit überwältigender Mehrheit als Nachfolgerin von Rainer Hoffmann gewählt. Zum ersten Mal steht eine Frau an der Spitze des DGB. Schon wird das als Meilenstein in der Gewerkschafts-Historie bezeichnet, gar als Aufbruch zu einem moderneren Erscheinungsbildes gefeiert, auch, um dem zunehmenden Mitgliederschwund entgegenzuwirken.

In ihrer Rede nennt sie als einen ihrer Schwerpunkte die Gleichstellung von Frauen und anderen aufgrund ihrer sexuellen Identität oder Orientierung diskriminierten Menschen. Auch wolle sie die neue Ampelregierung unter Kanzler Olaf Scholz, ihrem Parteifreund, „kritisch“ begleiten. In ihrer Antrittsrede fordert sie neben der Frage der Gleichberechtigung, die Schuldenbremse, die Finanzminister Lindner spätestens 2023 wieder wirken lassen will, nicht wieder einzuführen und mehr soziale Rechte.

Doch ob sie eine wirkliche Opposition gegen die Ampelregierung anführen wird, darf man getrost in Frage stellen. Schon die Aufstellung der Kandidat:innen für die Wahl des neuen Vorsitz selbst – nachdem sowohl ver.di Chef Wernecke als auch IG BCE Chef Vassiliadis die Nominierung im Vorfeld ablehnten oder nicht mehr kandidieren sollten – spielte sich im Rahmen der alten Sozialpartnerschaftspolitik der Führung der DGB-Gewerkschaften ab.

Natürlich war Fahimi wie alle bisherigen DGB-Vorsitzenden eine „Kompromisskandidatin“. Das kann aber in einem DGB, dessen Politik, Linie und Führungspersonal selbst nur Ausdruck eines Übereinkommens zwischen den Bürokratien der großen Einzelgewerkschaften sind, auch gar nicht anders sein. Die Machtzentrale der deutschen Gewerkschaftsbewegung bilden schließlich nicht die DGB-Führung, sondern die Vorstände und Apparate von IG Metall, ver.di und IG BCE sowie der wichtigsten Betriebsräte in den Großkonzernen.

Dem entspricht auch eine „Demokratie“, die auf einen Formalismus reduziert ist, bei der die Masse der Gewerkschaftsmitglieder nicht mitzureden hat. Die Auswahl der Kandidat:innen findet statt, ohne dass die Gewerkschaftsmitglieder auch nur befragt würden. Die Delegierten zum DGB-Kongress, selbst schon von der Masse der einfachen Mitglieder weit entfernt, dürfen schließlich die Kandidatin formal bestätigen, damit auch alles sein statuarische Ordnung hat.

Reaktionen

Mit ihrer Wahl sind, wie zu erwarten war, nicht nur die Führungen der Einzelgewerkschaften hochzufrieden. Auch die Reaktionen einiger SPD-Politiker:innen verdeutlichen wie nahe sich SPD- und DGB-Spitze sind. So meinte die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, dass sie sich „auf die Fortsetzung der guten Zusammenarbeit“ freue (zitiert nach sueddeutsche.de, 9.5.2022). Ähnlich äußerte sich der SPD-Ministerpräsident vom VW-Land Niedersachsen, Stephan Weil.

Die Aussage, dem Aufrüstungsprogramm der neuen Bundesregierung „kritisch“ gegenüberzustehen, ist nicht mehr als ein unverbindliches Lippenbekenntnis, um den „linken“ Apparat zufriedenzustellen und zugleich der Regierung zu signalisieren, dass daraus nichts folgt. Die Zustimmung der neuen Vorsitzenden zu Waffenlieferungen – auch von schweren Waffen – in die Ukraine bezeugt hingegen, dass sich unter Fahimi kein Kurswechsel oer gar Kampf gegen die kommenden Angriffe auf die sozialen und Arbeitsbedingungen der Arbeiter:innenschaft, Rentner:innen, Jugendlichen und Geflüchteten anbahnt.

Das Gegenteil ist zu erwarten. Beschlüsse, die es im DGB und seinen Gewerkschaften gegen Waffenlieferungen in Krisenregionen und gegen die Aufrüstung der Bundeswehr gibt, werden von ihr kurzerhand über Bord geworfen, mit dem Argument, „dass diese Zeit neue Antworten braucht“ (zit. nach: sueddeutsche.de, 9.5.2022) und biedert sich gerade dem Paradigmenwechsel der SPD-geführten Ampelregierung in der Kriegs- und Aufrüstungsfrage an!

Natürlich dürfen einige Versprechungen und markige Wort nicht fehlen. So heißt es gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Wir wollen einen grundlegenden Umbau unserer Wirtschaft“(…) „Nötig seien Gemeinwohlorientierung und gute Daseinsvorsorge“ und „mehr soziale Rechte.“ „Ganze Familien säßen in Armutsfallen fest…“ „Ohne diese sozialen Rechte bleiben viel zu viele Menschen Bittsteller.“ Außerdem fordert sie eine „dynamische Investitionsstrategie der öffentlichen Haushalte“. Scholz wisse, dass er „keinen Schmusekurs“ kriege.

Diese und ähnliche Äußerungen gehören für DGB-Vorsitzende wie Fahimi zum üblichen sozialpartnerschaftlichen Gepräge. Sicher hat der Kanzler andere Sorgen als ein paar Sprüche einer Gewerkschaftsführung, die sich seit Jahren als verlässliche Stütze der SPD an der Regierung bewährt hat – und auf die sich die Sozialdemokratie weiter verlassen kann.

Solange der DGB und vor allem die DGB-Gewerkschaften nur die Lage allenfalls anders kommentieren, wird sich daran nichts ändern. Im Gegenteil, die Spitzen passen sich sogar immer enger dem Regierungskurs an.

Opposition

Doch dieser Kurs wird gerade in der aktuellen Periode, angesichts von Krieg, Preissteigerung und weiteren Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse immer prekärer. Der rapide zunehmende Mitgliederschwund und der damit verbundene politische Machtverlust werden so nicht gestoppt werden können. Eine notwendige Kursumkehr ist von Fahimi und von der gesamten sozialdemokratisch kontrollierten Bürokratie nicht zu erwarten.

Dabei wäre dieser im Kampf gegen Aufrüstung, Krieg und Sozialabbau dringend nötig. Eine Interessensvertretung der Arbeiter:innenschaft muss gerade in der heute zugespitzten Situation klar Stellung beziehen und benennen, was die Regierung tut. Sie betreibt ein gigantisches Aufrüstungsprogramm im Interessen der großen Konzerne und Banken im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, im Kampf um Ressourcen und neue Absatzmärkte. Diese immer stärkere Unterordnung unter Kapitalinteressen werden die Massen zahlen müssen mit Angriffen, die die Bundesrepublik noch nie gesehen hat.

Und dagegen helfen nicht gute ausgewählte, völlig leere Sprüche oder Schulterklopfen mit SPD-Verantwortlichen in der Regierung, sondern nur die Mittel des Klassenkampfes: Massendemonstrationen, Besetzungen, Blockaden Streiks bis hin zu politischen Massenstreiks. Doch dazu braucht es auch eine organisierte oppositionelle Kraft in den Gewerkschaften, die für einen solchen Kurs kämpft – eine antibürokratische, klassenkämpferische Basisbewegung.




China: Vor dem Scheitern des nationalen Projektes 0-Covid?

Resa Ludivien, Infomail 1185, 20. April

Jahrelang erschien Chinas 0-Covidstrategie eine erfolgreiche und lebensrettende Alternative zur vorherrschenden Pandemiepolitik im Westen. Bis heute sind dort nur wenige Tausend Menschen an Corona verstorben, während in den USA mittlerweile fast eine Million an Covid-19 verstorben sind (Stand 19.4.22: 989.331). In den Vereinigten Staaten verstarben bisher 300 Menschen je 100.000 Einwohner:innen, in Deutschland 160,1, in China eine Person.

Paradoxerweise erscheint jedoch die Politik Chinas, folgen wir dem Tenor der westlichen Öffentlichkeit, als die gescheiterte, während wir hier endlich wieder auf Freiheit und das „Leben mit der Pandemie“, also der stillschweigenden Inkaufnahme weiterer Wellen und Toter zu leben gelernt hätten.

Gründe dafür gibt es mehrere. Aber klar ist, dass die chinesische Strategie samt ihre drakonischen Maßnahmen vor dem Hintergrund der Lage auf dem Weltmarkt, ökonomischer Probleme im Inneren, aber auch des autoritären Charakters der Pandemiepolitik der Bürokratie an ihre Grenzen stößt.

Dabei war die chinesische Politik zu Beginn der Pandemie über Monate, ja Jahre erfolgreich. Die Zahl der Toten und Infizierten konnte auf einem vergleichsweise geringen Niveau gehalten werden. Während sich Länder wie Deutschland von Lockdown zu Lockdown hievten und nun Impfpflicht oder Masken als unter „ferner liefen“ gelten, schien in China schnell wieder „alles beim Alten“. Hätte das Land eine den USA oder auch nur Deutschland vergleichbare Politik eingeschlagen, wären heute nicht Tausende, sondern Millionen Chines:innen der Pandemie zum Opfer gefallen.

Jetzt bestätigt sich wieder einmal, dass man globale Probleme wie eine Pandemie auch nur weltweit lösen kann. Chinas Abschottungspolitik sowie das Beharren auf einem eigenen Impfstoff haben den Ausbruch nur verschleppt, der auch durch mangelnde Maßnahmen und Mutationen in anderen Ländern provoziert wurde. Der derzeitige Ausbruch der Omikronvariante trifft auf eine nur in Teilen immunisierte Gesellschaft und zwingt die KP zum Handeln, damit sie an ihrem Narrativ der überlegeneren Strategie festhalten kann.

Grenzen der Strategie

Die chinesische Coronastrategie war auch im Rahmen des Systemkampfes wichtig. Überlegenheit wurde dem In- und Ausland suggeriert. Doch jetzt befinden sich Millionenstädte wie Shanghai, Beijing oder Shenzhen im Lockdown – ein Lockdown, der im Wesen seinesgleichen sucht. Der chinesische Alltag in diesen Städten bedeutet nun leere Straßen, abgeriegelte Viertel, sogar versiegelte Wohnungen, Ausgang nur zu den staatlich vorgeschriebenen Coronatests und eine steigende Überwachung, die sogar die bisherige übertrifft.

Die Versorgung der Menschen ist in Gefahr. In den betroffenen Gebieten beschweren sich die Anwohner:innen über eine schlechte staatliche Versorgung bis hin zu Lebensmittelknappheit. Selbst einzukaufen, ist so gut wie unmöglich. Daneben trifft die Omikronwelle auch in China auf ein belastetes und wahrscheinlich bald überlastetes Gesundheitssystem. Neben chinesischer traditioneller Medizin ist ein weiteres seiner Merkmale das Fehlen von Hausärzt:innen. Bist du krank, gehst du ins Krankenhaus. Viele Kollateralschäden sind hier zu erwarten: Menschen, die nicht hätten sterben müssen, wenn es genügend Ärzt:innen, Kapazitäten geben würde oder sie genügend Geld für eine Sonderbehandlung hätten. In westlichen Medien liest man nun von dramatischen Szenen, in denen Menschen abgewiesen oder infizierte Kleinkinder von ihren Eltern getrennt werden. Die soziale Sprengkraft der Situation ist greifbar. Auf Shanghais Straßen wird bereits das Militär eingesetzt, um der Lage und des Unmuts Herr zu werden.

Gerade scheint es, als könnte das Virus einen der schwersten Angriffe auf den chinesischen Imperialismus verkörpern, den dieser bisher gesehen hat. Derweil läuft die Propaganda weiter. Der Kampf um die Neuaufteilung der Welt wird nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Handels, der Rüstung und Militarisierung, sondern auch als Kulturkampf ausgetragen – sowohl innerhalb Chinas als auch darüber hinaus. Die Propagandamaschinerie für das Militär und vor allem gegen die USA soll auch gegen den Trend arbeiten, dass seit Jahren chinesische Familien eine starke Westbindung entwickelt haben und bspw. in die USA gehen, um ihre Kinder auf die Welt zu bringen, oder sich für die Ausbildung an westlichen Universitäten entscheiden. Beides sollte den Kindern später bessere Lebensbedingungen garantieren.

Seit der Öffnungspolitik nach Maos Tod und spätestens nach der Machtübernahme Xi Jinpings inszenierte sich China als ein Land im Aufschwung. Tatsächlich gewann der Staat an Macht im internationalen Gefüge und auch die chinesische Wirtschaft holte massiv auf. Für die Mehrheit der chinesischen Bevölkerung, also die Masse der Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen galt das weitestgehend nicht. Außerhalb der schicken Innenstadtviertel von Großstädten zeigt sich ein ganz anderes Bild. Auch in Städten wie Beijing werden ärmere Menschen diskriminiert. Vor allem der Hukou (ein innerchinesischer Wohnsitzausweis), der besagt, wer sich wo aufhalten und ansiedeln darf, sorgt noch für ein weiteres Kontrollelement.

Illegale Arbeit im Untergrund stellt hier die einzige Möglichkeit dar. Nun steht die Wirtschaft vielerorts still und auch Pendler:innen von außerhalb kommen nicht in die Städte zur Arbeit. Das Essen wird rationiert und in die isolierten Viertel gebracht. Nur wie sollen Menschen überleben, die es eigentlich gar nicht geben darf? Auch ins Krankenhaus zu gehen, wird dadurch erschwert. Am meisten leiden arme Menschen, denn kein Ausgang bedeutet keine Arbeit, keine Arbeit bedeutet kein Gehalt und kein Gehalt bedeutet kein Essen.

Hinzu kommt, dass aufgrund der raschen Verbreitung von Omikron nicht nur die Zahl der Infizierten, sondern auch der Städte und Regionen und somit der Menschen, die von Lockdowns betroffen sind, weitaus höher ist als bei vorhergehenden Wellen. Greift die Regierung hier nicht ein, drohen nicht nur weitere Unruhen, sondern auch eine selbst verursachte Hungerkrise, sofern die Zahlen weiter steigen und die einzige noch vorhandene Maßnahme Lockdowns sind.

Wie China gegen Proteste und Abweichler:innen vorgeht, hat die Regierung in den letzten Jahren deutlich gemacht. Das Militär wurde gestärkt und die Überwachung ausgebaut. Deren Relevanz für einen vermeintlichen sozialen Frieden hat sich vor allem in Hongkong und Xinjiang gezeigt, wobei die Politik der Bürokratie auch an eine Ausrottungsmaßnahme grenzt, ob gewollt oder ungewollt. Überall wo Protest entsteht, verschwinden Menschen und landen in „Gefängnissen“, die eher an Folterlager erinnern. Dennoch gab es in den letzten Jahren immer wieder Einzelne und Gruppen, die das in Kauf genommen haben, bspw. im Rahmen der #MeToo-Proteste, und auch jetzt gibt es immer mehr Videos in den sog. sozialen Netzwerken, die Proteste zeigen. Auf diese folgen oft Verhaftung und Verurteilung. Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Sowohl in China als auch hierzulande haben die letzten Monate und Jahre sehr deutlich gezeigt, dass die kapitalistische Wirtschaftsweise und imperialistisches Machtstreben keinen gesellschaftlichen Frieden bringen, keinen Wohlstand für alle und globale Konflikte nicht lösen können. Im Gegenteil: Das Versagen im Kampf gegen die Coronapandemie hat einmal vor Augen geführt, dass die Unterordnung der Gesundheit der Bevölkerung unter kurzfristige Profitinteressen Millionen das Leben kostet.

Krise und Widerstand

Doch in Zeiten der Krise und wachsender ökonomischer Schwierigkeiten stößt die Coronapolitik der chinesischen Regierung selbst an Grenzen – und damit auch auf den Unmut von Millionen. Sie betrachten wahrscheinlich schon heute die Politik der KP aus einem anderen Blickwindel. Aus dieser Erkenntnis kann Handeln, einschließlich spontaner Protestaktionen verzweifelter Menschen, folgen. Zugleich ist mit massiver Repression zu rechnen.

Damit Unmut und etwaige Proteste jedoch nicht einfach Episoden bleiben oder brutal zerschlagen werden, brauchen sie erstens klare soziale und politische Forderungen. Diese müssen eine Sicherung der Versorgung aller – also auch der Menschen ohne gültige Papiere, der Armen und Wohnungslosen – beinhalten, also Nahrungsmittel, Zugang zu Gesundheitsvorsorge. Wo Knappheit an Ressourcen herrscht, müssen diese gemäß den Bedürfnissen, nicht den Privilegien in der Gesellschaft verteilt werden. Um überhaupt eine rationale Versorgung zu sichern, muss die Offenlegung aller bestehenden Ressourcen wie auch des wirklichen Stands der Pandemie eingefordert werden. Plattformen wie Weibo (ein chinesischer Mikrobloggingdienst ähnlich Facebook und Twitter) sollten dazu genutzt werden.

Solche Forderungen stellen faktisch die Kontrolle der Bürokratie in Frage. Um die Zuteilung von Gütern zu sichern, sollen in den Betrieben, Gesundheitseinrichtungen, in den Wohnblöcken und Stadtvierteln von der Bevölkerung Ausschüsse zur Organisation und Kontrolle dieser Arbeiten gewählt werden. Von entscheidender Bedeutung wird es dabei sein, dass diese Strukturen in den Betrieben verankert sind und ihre Forderungen mit Aktionen Nachdruck verleihen können. Regionen wie Shanghai bilden heute nicht nur Zentren der chinesischen, sondern der Weltwirtschaft. Angesichts der Pandemie wäre es auch essentiell, solche Strukturen nicht nur in den Regionen unter Lockdown aufzubauen, sondern auch die Arbeiter:innen in den anderen Landesteilen zur Unterstützung aufzufordern. Die Pandemie wird schließlich vor niemandem/r Halt machen und die Alternative zum bürokratisch-autoritären Lockdown lautet nicht Öffnung fürs Kapital, sondern Lockdown unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse und Bäuer:innen.

Eine Politik der Arbeiter:innenklasse wird sicherlich auf den Widerstand der chinesischen KP-Spitzen und erst recht der Kapitalist:innen im Land treffen. Daher muss nicht nur mit Repression gerechnet werden. Ihre politisch bewusstesten Teile müssen die Lage auch nutzen, um den politischen Bruch mit der KP voranzubringen, die das Wort kommunistisch im Namen nicht verdient hat und eher einer Politkaste gleicht, die die imperialistischen Interessen des chinesischen Kapitals vorantreibt. Daher braucht es in China eine neue, revolutionäre Arbeiter:innenpartei, die unter den Bedingungen der Diktatur und Unterdrückung aufgebaut werden kann. Die aktuelle Krise der Coronapolitik, die ökonomischen Probleme Chinas und mögliche Massenproteste und Aktionen können die Bedingungen für deren Entstehung extrem begünstigen.

Für uns in Europa oder den USA muss die internationale Solidarität im Vordergrund stehen, die Unterstützung jeden Schrittes zur Bildung einer von der Bürokratie unabhängigen Arbeiter:innenbewegung einerseits sowie des Kampfs gegen die imperialistische Propaganda auf allen Seiten andererseits. Das bedeutet für uns auch, sich von der chauvinistischen und rassistischen Rhetorik über Chines:innen zu lösen wie auch von dem westlich-imperialistischen Narrativ, dass China in der Pandemie auf eine Politik der Öffnung und Durchseuchung hätte setzen sollen, damit seine Produktion für den Weltmarkt nicht ins Stocken gerät. Das Problem der chinesischen Coronapolitik besteht nicht darin, dass das Land „zu viel“ getan hat, sondern dass sie bürokratisch und repressiv erfolgt ist und die Pandemie nicht international koordiniert bekämpft wurde.




60 Jahre Bau der Berliner Mauer – Ein Monument der Bürokratie

Bruno Tesch, Infomail 1158, 13. August 2021

28 Jahre lang stand die Berliner Mauer – geschichtsträchtig wie nur wenige Bauwerke. Sie war eine Manifestation der besonderen Art, wie der Stalinismus Probleme zu lösen pflegte und dabei die Interessen der ArbeiterInnenklasse – in beiden Teilen Deutschlands – verriet. Der Mauerbau war ein Glied in der Kette bürokratischer Maßnahmen, die letztlich auch die Grundlagen des ArbeiterInnenstaats DDR und desssen Entwicklung untergruben, auch wenn die Errichtung der Mauer am 13. August 1961 ihn zunächst zu retten schien.

Die Politik der SED folgte von Anfang an den Interessen der UdSSR-Bürokratie. Deren Blockade Berlins 1948 als Reaktion auf den Bruch des Vier-Mächte-Abkommens der Alliierten durch die Einführung einer westlichen Separatwährung erwies sich nicht nur als Desaster, sondern führte auch dazu, dass die Westmächte als Garanten für die Versorgung der Berliner Bevölkerung aufgewertet wurden. Mit der US-Luftbrücke wurde Stalins Berlin-Blockade zur Luftnummer.

Der „real existierende Sozialismus“ und die Gründung der DDR 1949 waren nicht auf die demokratische Diskussion, Organisierung und Aktion der Lohnabhängigen gegründet, sondern Abwehrreaktionen der stalinistischen Bürokratie auf die von den USA vorangetriebene Westintegration. Die (verspätete) bürokratische Enteignung der Kapitalisten als Klasse sowie die politische Entmündigung bewirkten, dass die ArbeiterInnenklasse die DDR nicht oder kaum als „ihren Staat“ begriff. Dieses Dilemma zeigte sich dann 1989 besonders deutlich, als Millionen ArbeiterInnen schließlich die Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft begrüßten – wenngleich sie damit verschiedene soziale Illusionen verbanden.

Die DDR litt – wie ganz Osteuropa – immer daran, dass die ArbeiterInnenklasse von der direkten Machtausübung ausgeschlossen war, dass sie keine Rätestrukturen hatte und der Staatsapparat daher der Form nach ein bürgerlicher war, obwohl er zugleich der Verteidigung der Planwirtschaft – allerdings mit bürokratischen Methoden – diente.

Der Aufstand vom Juni 1953

Der ArbeiterInnenaufstand in der DDR 1953 war eine Chance, die bürokratische Herrschaft zu zerbrechen. Doch er wurde von den StalinistInnen unterdrückt und von den westdeutschen ReformistInnen in SPD und Gewerkschaften bewusst hintertrieben. Beide opferten auf unterschiedliche Weise die revolutionäre Dynamik zugunsten ihrer Einfluss- und Machtinteressen.

Auslöser für den Aufstand waren wirtschaftliche Pressionen, u.a. Normerhöhungen. Doch die Bewegung der ArbeiterInnen stellte auch rasch politische Forderungen gegen die SED- Bürokratie auf und sandte Appelle an ihre Klassengeschwister im Westen, dort die KapitalistInnen zu stürzen. Die deutsche Teilung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht so stark im Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse verankert. Aber die Schere zwischen BRD- und DDR-Wirtschaftsentwicklung begann sich schon zu öffnen. Das resultierte 1. aus der Unterbrechung innerdeutscher wirtschaftlicher Beziehungen (von westlicher Seite!), 2. aus der kontraproduktiven Demontagepolitik der UdSSR in ihrem Hoheitsgebiet und 3. aus der wachsenden Demotivierung der ArbeiterInnen aufgrund der bürokratischen Bevormundung.

Doch als ab Mitte der 50er Jahre die DDR ökonomisch immer weiter der BRD hinterher hinkte, brach sich die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen in der DDR schon nicht mehr in politischen Kämpfen gegen das Regime Bahn, sondern als „Abstimmung mit den Füßen“: eine gewaltige Fluchtwelle in die Bundesrepublik setzte ein. Die Reaktionen des Regimes darauf waren zunächst ebenso politisch hilflos wie typisch bürokratisch. Mit den geänderten Passgesetzen von 1956 wurde der Straftatbestand der „Republikflucht“ eingeführt und in der Folge verschärft angewendet. Westreisen mussten genehmigt werden, ihre Zahl sank von 2,5 Millionen (1956) auf 700.000 (1958).

Eine „Aufklärungskampagne“ gegen die Westflucht wurde im selben Jahr von Regime-Chef Ulbricht folgendermaßen begründet: „Vor allem ist es notwendig, den Menschen zu erklären, warum das System des militaristischen Obrigkeitsstaats (gemeint ist die BRD, B.T.) keine Zukunft hat und warum die Erhaltung des Friedens die Stärkung der DDR erfordert und deshalb kein Arbeiter, kein Angehöriger der Intelligenz, kein Bauer aus kleinlichen wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen in den Westen ziehen darf.“

Dass den meisten ihre „kleinlichen wirtschaftlichen Gründe“, zumal im Westen relativ problemlos greifbar, näher waren als die „Erhaltung des Weltfriedens“, d.h. die Stabilisierung des stalinistischen Regimes, musste bald auch die DDR-Führung einsehen.

Im Sommer 1961 schwoll der Flüchtlingsstrom rasant an. Allein 150.000 Neuaufnahmen meldeten sich in den Auffanglagern in Westberlin. Nach dem Aderlass vornehmlich an Fachkräften gehobener Qualifikation wie ÄrztInnen, LehrerInnen oder IngenieurInnen verließen nun auch viele BäuerInnen, nachdem sie bis 1960 zwangskollektiviert worden waren, das Land. Alle Wirtschaftszweige waren gefährdet. Die BRD-Politik und die westlichen Medien ließen natürlich keine Gelegenheit aus, die ökonomische Überlegenheit des Kapitalismus heraus zu stellen und alle vergesellschafteten Errungenschaften des ArbeiterInnenstaats, z.B. Betriebskinderkrippen, Polikliniken usw. als wider die menschliche Natur zu diffamieren.

Die einzige Antwort, die den stalinistischen Bürokraten einfiel, waren Maßnahmen, die weniger den Klassenfeind trafen, sondern sich gegen die eigene Bevölkerung richteten: Einschüchterung, Verschärfung des Strafrechts und Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Es kam sogar zu Zwangsumsiedlungen in grenznahen Gebieten zur BRD. Die Grenzanlagen wurden immer weiter ausgebaut.

Die Schwachstelle aber blieb Berlin, das dem Alliiertenrecht unterstand und deren Mächte den Grenzverkehr regelten. Die Berliner Westsektoren diente dem Imperialismus als kapitalistisches Hochglanz-Schaufenster und propagandistischer Brückenkopf mit dem Rundfunksender RIAS und der Springerpresse, von dessen Hochhaus Tag und Nacht Nachrichtenbänder in Leuchtschrift liefen.

Die DDR-Staatsführung stand mit dem Rücken zur Wand; sie handelte am frühen Sonntagmorgen des 13. August 1961, als die Geheimaktion „Operation Rose“ anlief. Bautrupps, gesichert von Einheiten der Nationalen Volksarmee, sperrten zunächst die wichtigsten Verbindungswege an den Sektorengrenzen Berlins, später wurden Häuser- und Fensterfronten zugemauert. Anders als 8 Jahre zuvor war das politische Widerstandspotenzial in der DDR-Bevölkerung jetzt nur noch vereinzelt vorhanden oder hatte resigniert. Die reale Teilung und die Erfahrungen des gescheiterten Aufstands 1953 hatten tiefe Spuren hinterlassen.

Der Mauerbau verschaffte dem Regime eine Erholungspause, um sich wieder festigen zu können. Zugleich markierte er auch eine Abkehr der DDR-Spitze von einer gesamtdeutschen Konzeption, ließ die nationale Frage aber gleichwohl ungelöst. Die Mauer war das Sinnbild für eine erzwungene Teilung Deutschlands. Im Bewusstsein der Massen war es immer mit dem Makel behaftet, das hässliche Antlitz eines „Unrechtsstaats“ zu repräsentieren, der seine Bevölkerung einkerkert und diejenigen inhaftiert oder tötet, die ihm entfliehen wollen.

Wie hätten sich RevolutionärInnen zum Mauerbau verhalten?

Die Frage wird heute innerhalb der Linken kaum gestellt. Die ParteigängerInnen des Stalinismus u.a. Strömungen verteidigen den Mauerbau als notwendig, auch wenn ihnen die Form vielleicht Missbehagen bereitet. Sie entblöden sich dabei oft nicht, die Ulbrichtsche offizielle Lesart vom „antifaschistischen Schutzwall“ und der „friedenserhaltenden Maßnahme“ gegen „permanente Wühltätigkeit feindlicher Agenten und unmittelbar bevorstehendem Einmarsch von NATO-Truppen“ zu übernehmen.

Natürlich war der Mauerbau v.a. Ergebnis der Unvereinbarkeit zweier Gesellschaftsformationen in einem Land. Dass es aber überhaupt zu dieser Situation kam, war der antirevolutionären Politik der StalinistInnen wie der SPD geschuldet, die die Enteignung der Bourgeoisie und die Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates in ganz Deutschland verhindert haben. Jede selbstbestimmte Form von Organisierung bzw. Übernahme von Macht durch die ArbeiterInnenklasse wurde blockiert oder bürokratisch „entschärft“. Das Ergebnis war ein de facto schon zweigeteiltes Deutschland lange vor dem Mauerbau: ein kapitalistischer Westen und ein degenerierter ArbeiterInnenstaat im Osten.

RevolutionärInnen mussten natürlich die DDR als historisch „höher“ stehende Gesellschaftsstruktur verteidigen – nicht deren bürokratische Übel, sondern deren soziale Tugenden, v.a. aber die von der Bürokratie blockierten sozialen Entwicklungspotentiale. Nachdem die StalinistInnen sich selbst in das Dilemma manövriert hatten, dass die DDR gegenüber der BRD in der Entwicklung nachhinkte und die Leute massenhaft weg wollten, war der Mauerbau nach ihrer Logik als „letzte“ Maßnahme notwendig.

Die SED argumentierte nach dem Mauerbau u.a., dass diese auch den ökonomischen Zweck hatte, die Ausnutzung subventionierter Waren und sozialer Leistungen durch die vielen Ost-West-Pendler zu verhindern. Zweifellos war das ein Problem, das jedoch hätte auch anders behoben werden können, z.B. durch den Abbau der Subventionen und die Erhöhung der Löhne und Sozialleistungen im selben Maße.

RevolutionärInnen hätten – mit dem Fakt der Mauer konfrontiert – natürlich nicht einfach für deren Abriss plädiert. Sie hätten aber sehr wohl gegen das Grenzregime u.a. represssive bürokratische Regelungen polemisieren müssen. V.a. aber hätten sie auf die tieferen Ursachen für deren Entstehen verweisen und für die Revolution in ganz Deutschland eintreten müssen – für die soziale Revolution in der BRD und die politische Revolution in der DDR. Die Mauer wäre letztlich nur dann überflüssig geworden, wenn die DDR bzw. der „Sozialismus“  attraktiver geworden wäre. Dazu wäre es aber notwendig gewesen, die Bürokratie mittels einer politischen Revolution zu stürzen.

Der Bau der Mauer war, obwohl sie kurzfristig eine Stabilisierung der DDR bewirkte, kein Sieg, sondern eine Niederlage der ArbeiterInnenbewegung in Ost und West. Es hätte eine öffentliche Kampagne geführt werden müssen mit Aufrufen an alle ArbeiterInnenorganisationen in Ost und West, diese Maßnahme zu diskutieren und die Frage zu stellen, wie die Grundlagen eines wirklich demokratischen ArbeiterInnenstaats geschaffen und gesichert werden können.

Im Herbst 1989 haben sich historisch zwei Dinge bestätigt: 1. ist eine grundlegende Änderung der Verhältnisse ohne Revolution – und die „Wende“ im Herbst 1989 war der Beginn einer politischen Revolution, die jedoch auf halbem Weg stehenblieb – unmöglich; 2. konnte auch die Mauer die DDR nicht davor bewahren, an ihren stalinistischen Geburtsfehlern zu Grunde zu gehen.

Ein halber Sozialismus in einem halben Land im Schatten der Mauer konnte auf Dauer nicht überleben. Der Sozialismus ist international oder gar nicht!




Wir zahlen nicht für Corona und Krise! Volle Mobilisierung in den Tarifrunden!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinto der Gruppe ArbeiterInnenmacht, September 2020

Corona wurde zum Anlass genommen, alle Tarifrunden zu verschieben. Dringend nötige Lohnerhöhungen wurden vertagt.

Die große Mehrheit von uns hat Einkommensverluste hinnehmen müssen: Durch Kurzarbeit, Verlust von Jobs oder auch durch Stundenkürzungen und Lohnsenkungen. Zugleich sind Preise und Mieten weiter gestiegen. Wir brauchen also mehr Geld und das ziemlich dringend!

Wie immer erklären die Unternehmen und die öffentlichen Arbeit„geber“Innen, dass jede Forderung unsererseits unangebracht und überzogen ist. Alle schönen Worte von den „HeldInnen“, von Aufopferung und Arbeit unter erschwerten und gefährlichen Bedingungen verfliegen, sobald es ums Geld geht. Sehr deutlich wird das im Gesundheitswesen, wo z. B. den Beschäftigten von CFM an der Charité ein Tarifvertrag verweigert und ihr Streik mit Kündigungsdrohungen und Streikbruch beantwortet wird. Und diese Belegschaft ist nicht die einzige.

Drei Dinge folgen daraus für alle Tarifrunden, die jetzt anstehen:

  • Wir werden kämpfen müssen! Streiks und Urabstimmungen müssen schon jetzt vorbereitet werden. Weil wir überall mit der gleichen Propaganda und der gleichen Politik konfrontiert werden, müssen alle Mobilisierungen von allen Gewerkschaften und Branchen koordiniert und die Kraft gebündelt werden! Aktionen, Demonstrationen und Streiks müssen koordiniert werden! Dafür müssen wir in unseren Gewerkschaften kämpfen. Mit den üblichen Ritualen können wir nichts reißen und verlieren alle!
  • Wir brauchen eine Antwort auf die Krise. Denn auch, wenn die Unternehmen, die Politik und die Medien immer die gleiche Melodie in der Tarifrunde singen, es gibt eine Krise. Viele Firmen haben entlassen oder haben das vor, viele stehen vor der Insolvenz. Wir müssen also sagen, wo das Geld herkommen soll. Aber vor allem müssen wir sagen, wie Entlassungen, Personalabbau und Arbeitslosigkeit bekämpft werden können. Wir brauchen eine Bewegung von allen, die nicht wollen, dass wieder die Beschäftigten und darüber hinaus die ganze arbeitende Bevölkerung und die sozial Schwachen für die Krise bezahlen, während das Kapital und die Reichen noch mehr an sich reißen. Wir zahlen nicht für eure Krise!
  • Wir brauchen eine Bewegung in unseren Gewerkschaften, die Schluss macht mit dem Kuschelkurs mit der Regierung und dem Betteln bei den Unternehmensleitungen. Wir müssen uns auf unsere eigene Kraft besinnen! Wir brauchen Initiativen von unten, wir müssen selbst aktiv werden!

Wir brauchen also ein gemeinsames Aktionsprogramm, das alle notwendigen Forderungen vereint und aufeinander abstimmt und das Vorschläge macht, wie die Kraft der Gewerkschaften und darüber hinaus aller Beschäftigten mobilisiert werden kann. Dabei dürfen wir uns auf den Apparat nicht verlassen. Wir müssen selbst den Aufbau einer klassenkämpferischen Basisbewegung, einer organisierten Opposition und politischen Alternative zum Apparat in Betrieb und Gewerkschaft angehen.




Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften aufbauen!

Gegenwehr! Betriebs- und Gewerkschaftsinto der Gruppe ArbeiterInnenmacht, September 2020

Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) wurde im Januar in Frankfurt auf einer Konferenz von über 150 KollegInnen gegründet. Ziel ist es, über Branchen und regionale Grenzen hinweg Kämpfe zu unterstützen und zögerliches Vorgehen und Blockaden seitens der Gewerkschaftsführungen zu bekämpfen.

Die Krise hat sich seither verschärft und zugleich sind die Führungen noch näher an Unternehmen und Regierungen herangerückt. Eine Vernetzung aller, die verstehen, dass dieser Kurs neue und verheerende Niederlagen bringen wird, ist noch wichtiger!

Im Antikrisenprogramm der VKG heißt es: „Die Angriffe auf Kolleg*innen häufen sich, aber zunächst sind es vereinzelte Angriffe – auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen, Einkommen. Damit die Kolleg*innen sehen, dass sie nicht allein sind, ist es auch schon jetzt nötig, gemeinsame Mobilisierungen zu organisieren. Dafür bieten die anstehenden Tarifrunden eine wichtige Chance. Sie dürfen nicht als wiederkehrendes Ritual verstanden werden – angesichts der historischen Krise, sollten sie genutzt werden, um eine gesellschaftspolitische Bewegung zu entfachen, die deutlich macht: die Gewerkschaften werden nicht hinnehmen, dass die Masse der arbeitenden Bevölkerung für die Lasten der Krise zur Kasse gebeten wird und ihr Lebensstandard gesenkt wird, während das obere Prozent weiter Milliarden scheffelt. Eine bundesweite Demonstration oder ein bundesweiter Protest- und Aktionstag der DGB-Gewerkschaften und sozialer Bewegungen und Organisationen sollte schon jetzt im Herbst geplant werden. Das gemeinsame Motto sollte lauten: Wir zahlen nicht für diese Krise.

Vernetzung in Gewerkschaften

Es stimmt, dass das nicht von alleine passieren wird. Doch auch, wenn es nach einer schwierigen Aufgabe klingt, ist doch eines klar: wenn ein solcher Kurswechsel nicht passiert, wenn keine konsequente Gegenwehr gegen die drohenden Angriffe organisiert wird, dann sind die Aussichten für die Masse der Beschäftigten mehr als düster.

Deshalb müssen alle, die heute von den Angriffen der Unternehmen betroffen sind, beginnen, sich mit ihren Kolleg*innen zusammenzutun und zu wehren. Wir müssen gemeinsam eine Wende in den Gewerkschaften einfordern. Alle, die unsere Ansicht teilen, können mit uns gemeinsam aktiv werden – in den Gewerkschaften und in konkreten betrieblichen Auseinandersetzungen!“

https://www.vernetzung.org/antikrisenprogramm-der-vkg/




Untiefen der SozialpartnerInnenschaft – die Tarifpolitik der IG Metall

Mathis Molde, Infomail 1118, 21. September 2020

Wie stellt sich die IG Metall in der nächsten Tarifrunde auf? Die einzige Meinung, die bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist, ist die von Jörg Hofmann. Er schlägt die 4-Tage-Woche vor mit einem „gewissen“ Lohnausgleich.

Die Idee, dass die Arbeitszeit verkürzt wird, um mehr Arbeitsplätze zu halten, hat ihren Reiz. Die Frage der Arbeitsplätze bestimmt derzeit zu Recht alles in der IG Metall. Zehntausende davon sind schon verschwunden, Hunderttausende sind bedroht: durch die Konjunkturkrise und zunehmende Handelskriege, den Ausstieg aus der Verbrennungsmotorentechnologie, die Digitalisierung und all dies begleitet von massiven Verlagerungen der Produktion, vor allem in der Auto- und Zulieferindustrie, aber auch im Maschinenbau.

Auf diese massive Attacke der Metallunternehmen ist die Arbeitszeitverkürzung die richtige Antwort: Wenn die KapitalistInnen Arbeit einsparen und wegrationalisieren, dann muss die vorhandene auf alle verteilt werden – natürlich in der ganzen Branche, am besten im ganzen Land. Nur: das, was Jörg Hofmann vorschlägt, ist etwas anderes.

Er will die 4-Tage-Woche nicht für alle, sondern als Wahlmöglichkeit für Betriebe. Es werden also keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, weil in Betrieben, die nicht abbauen, Unternehmen und Betriebsräte keinen Anlass haben, die Arbeitszeit zu verkürzen. Vor allem nicht, wenn damit auch die Löhne gekürzt werden – bis auf einen „gewissen“ Rest.

Es werden auch keine Arbeitsplätze dauerhaft gesichert, die von Rationalisierung und Verlagerung bedroht sind. In solchen Fällen würde nur der Personalabbau gestreckt. Der einzige Fall, in dem Hofmanns 4-Tage-Woche Sinn machen könnte, wäre bei einem vorübergehenden Arbeitsrückgang – also als eine andere Form der Kurzarbeit. Kurzarbeit gibt es aber schon auf gesetzlicher Grundlage und verschiedenen tariflichen Formen (TVBesch, T-ZUG,..). Immer bezahlen die Beschäftigten mit Lohnverlust oder durch ihre Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und immer gibt es einen „gewissen Ausgleich“.

Hofmanns Idee ist also nichts Neues. Und sie ist völlig ungeeignet, um der Vernichtung von geschätzten 400.000 Arbeitsplätzen in der Metall- und Elektroindustrie zu begegnen. Vor allem weil ihm nichts anderes einfällt, als den Unternehmen „Angebote“ zu machen, wenn diese voll angreifen.

Streik statt Angebote und Betteln!

Die Tarifrunde bietet die Chance, alle Belegschaften zu vereinen in einem gemeinsamen Widerstand bis hin zum Streik:

  • Gegen alle Entlassungen und Abbaupläne! Keine Verlagerungen!
  • Keine Ausweitung prekärer Beschäftigung! Schluss mit der Spaltung! Feste Arbeitsplätze für alle!
  • Enteignung aller Betriebe, die abbauen oder geschlossen werden sollen, gemäß § 2 unserer Satzung und Überführung in Gemeineigentum! Konversion der Produktion im Interesse der Bevölkerung und ökologischer Nachhaltigkeit unter Kontrolle durch Betriebsräte und Vertrauensleute und Einbeziehung von WissenschafterInnen und UmweltexpertInnen, die das Vertrauen der ArbeiterInnen genießen! Finanzierung dieser Maßnahmen durch massive Besteuerung von großen Vermögen und Profiten!
  • Schaffung neuer Arbeitsplätze Hand in Hand mit Investitionen in Gesundheit, Umwelt , ÖPNV, Bahn und Zukunftstechnologien!
  • Umverteilung der Arbeit auf alle statt Entlassungen! 4-Tage-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!



Krise und Klassenkampf: Warum wir eine Antikrisenbewegung brauchen

Martin Suchanek, Neue Internationale 249, September 2020

2020 ist von Pandemie und Krise geprägt. Vor unseren Augen entfaltet sich der tiefste ökonomische Einbruch seit den 1930er Jahren, wenn nicht in der Geschichte des Kapitalismus. Fast alle Länder der Welt befinden sich in einer Rezession, deren Dauer noch immer unabsehbar ist. In diesem Jahr soll die Weltwirtschaft (gerechnet als Summe aller Bruttoinlandsprodukte) nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds um durchschnittlich 4,9 % schrumpfen. So die Einschätzung vom Juni 2020 – und diese unter der optimistischen Annahme, dass es zu keiner 2. Welle des Corona-Virus im Herbst kommt.

Die Pandemie hat die Krise zwar nicht verursacht, wirkt dabei aber wie ein Katalysator – und wird das auch weiter tun, insbesondere was den Einbruch des Welthandels betrifft.

Die Folgen für die Lohnabhängigen, die Bauern-/Bäuerinnenschaft, große Teile des KleinbürgerInnentums und die Mittelschichten sind verheerend. Die Krise wird eine massive Vernichtung von Kapital erfordern, von Bereinigung der Konkurrenz und damit den Kampf um die Neuaufteilung von Märkten und geostrategischen Einflussgebieten zwischen den imperialistischen Kapitalien und Mächten – USA, China, aber auch Deutschland, Russland, Frankreich, Britannien, Japan – wie auch wichtigen eigentlich halb-kolonialen Regionalmächten – Indien, Türkei, Brasilien, … – massiv verschärfen.

Selbst in den USA, dem nach wie vor reichsten und mächtigsten kapitalistischen Land, verloren über 40 Millionen ihre Jobs. In den vom Imperialismus beherrschten, halb-kolonialen Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Osteuropas werden die Folgen noch weitaus verheerender ausfallen.

Lage in Deutschland

Allein aus diesen Gründen sollte die Schaffung einer Anti-Krisenbewegung auf der Hand liegen. Doch die letzten Monate zeigen, dass dies auf beachtliche Schwierigkeiten stößt.

Dabei hat die Krise natürlich auch Deutschland und die EU erfasst. Das BIP von deren Mitgliedsstaaten soll allein 2020 um über 10 % schrumpfen. Für Deutschland ist ein Einbruch von nur 7,8 % prognostiziert.

Zweifellos verfügt der hiesige Imperialismus aufgrund der Weltmarktstellung des deutschen Kapitals, aber auch der extremen Arbeitsproduktivität, eines riesigen Billiglohnsektors und damit einer hohen Ausbeutungsrate über vergleichsweise große Konkurrenzfähigkeit und größere Reserven als viele andere Staaten. Jedenfalls konnte die Bundesregierung ein milliardenschweres Konjunkturprogramm auflegen, Milliarden zur Rettung strategisch wichtiger Unternehmen wie der Lufthansa bereitstellen und die Kurzarbeit bis Ende 2021 verlängern. Im Vergleich zu anderen Ländern erwies sich auch das Gesundheitssystem als weniger kaputtgespart.

Die Regierung beglückwünscht sich dazu, dass sie das Land bisher „gut“ durch die Krise geführt hätte. Selbst die parlamentarische Opposition – mit Ausnahme der AfD, die im Moment jedoch mit eigenen Machtkämpfen zu tun hat – weiß nicht recht, ob sie der Einschätzung der Regierung zustimmen oder diese kritisieren soll. Furchterregend sind die „Kritiken“ von Grünen, Linkspartei und FDP für die Große Koalition jedenfalls nicht. Die Unternehmerverbände sind mit der Regierung Merkel weitgehend zufrieden. Auch die massive Neuverschuldung betrachten sie als alternativlos – erhalten doch die Unternehmen den Löwenanteil der Gelder.

Auch der EU-Haushalt und die noch vor einem Jahr undenkbare gemeinsame Verschuldung erfreuen sich nicht nur großkoalitionärer Unterstützung, sondern stoßen im Bundestag, bei Kapital und Gewerkschaften auf wenig Einwände.

Auch wenn die Oppositionsparteien offiziell die Politik der nationalen Einheit unter Corona für beendet erklärt haben, so wirkt diese nach. CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne bringen sich für den Wahlkampf 2021 in Stellung und schließen verschiedenste Koalitionen nicht aus. Die SPD bringt zwar auch eine „linke“ Regierung mit Grünen und Linkspartei ins Spiel – und ernennt zugleich das Gesicht des rechten Flügels zum Kanzlerkandidaten. Doch so kann sie sich zumindest an einer etwaigen „Transformationskoalition“ abarbeiten und noch ein Stück weiter zur „Mitte“ rücken.

Gewerkschaften

Entscheidend ist freilich, dass die Gewerkschaften einen zentralen Teil des nationalen Schulterschlusses in der Krise mit zu verantworten haben. Gegen die drohenden Massenentlassungen, Kürzungen, Flexibilisierung usw. setzen sie verbissen auf SozialpartnerInnenschaft, „gerechte Verteilung der Lasten“, Kurzarbeit und „europäische Zusammenarbeit“ – nicht der ArbeiterInnen und Unterdrückten, sondern der bürgerlichen Regierungen und der EU-Kommission.

Die sozialdemokratisch kontrollierten und geführten Gewerkschaften und die Betriebsräte in den Großunternehmen erweisen sich als entscheidende soziale Stütze der kapitalistischen Krisenpolitik der Großen Koalition.

Natürlich bedeutet das nicht, dass es nicht auch bedeutende Konflikte zwischen den einzelnen Kräften des nationalen Schulterschluss gäbe. So preschen diverse Unternehmerverbände mit massiven Forderungen nach Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen, einer „Aussetzung“ des Mindestlohns für besonders „arme“ Betriebe, … vor. Es ist kein Zufall, dass diese Forderungen insbesondere von kleineren Kapitalen und aus dem KleinbürgerInnentum  kommen, weil sie in diesen Formen der Verschärfung der Ausbeutung (Erhöhung des absoluten Mehrwerts) die einzige unmittelbar greifbare Form sehen, ihre Unternehmen am Leben zu halten.

Umgekehrt wissen auch die Großkapitale, dass zuverlässige, also partnerschaftliche Gewerkschaften und Betriebsräte in Krisenzeiten viel wert sein können, um den Betriebsfrieden zu sichern, um Strukturanpassung und Umstellung der Produktion zu gewährleisten. Sie kennen außerdem ihre „PartnerInnen“ als Menschen, die sich für „ihr“ Unternehmen ins Zeug legen und gern zu Kompromissen bereit sind.

Allein, die kommende Krise wird diese Kompromissfähigkeit auf die Probe stellen, nicht weil die Bürokratie diese aufkündigen wollte, sondern weil die kapitalistische Konkurrenz ein historisches Maß an Personalabbau, Umstrukturierung, Veränderung der Produktion verlangen wird und damit auch die sozialpartnerschaftliche Regulierung an den Rand ihrer Möglichkeiten bringt.

Sozialdemokratie und Gewerkschaftsführungen sind sich dieser Spannung bewusst. Die Führungen von ver.di und IG Metall wissen, dass sie ihren Mitgliedern nicht nur sozial gestalteten Verzicht bieten können, sondern zumindest auch so tun müssen, dass sie etwas im Interesse der Lohnabhängigen bewegen wollen. Das betrifft einerseits das scheinbare Zaubermittel Kurzarbeit. Andererseits spiegeln das auch Tarifforderungen wie 4,8 % in der Tarifrunde öffentlicher Dienst wider wie die nach einem bundesweiten Manteltarifvertrag im öffentlichen Personennahverkehr oder nach einer 4-Tage-Woche in der Metall- und Elektroindustrie. Wenn die IG Metall-Führung dabei im Voraus auf vollen Lohnausgleich und erst recht auf Personalausgleich verzichten will, so belegt dies, wie sehr diese Form von Arbeitszeitverkürzung im Rahmen der sozialpartnerschaftlichen Logik bleibt.

Hoffnung auf das Kapital

Letztlich hofft nicht nur Olaf Scholz, sondern hoffen auch alle Gewerkschaftsapparate und die gesamte SPD, dass die Wirtschaft durch die Regierungsmaßnahmen mit einem „Wumms“ aus der Krise kommt. Im Klartext heißt das: Sie setzen auf die überlegene Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals, so dass mit dem „Wumms“ Unternehmen anderer Länder plattgemacht oder Extraprofite durch die Ausbeutung von Arbeitskräften in anderen Regionen erzielt werden.

Das ist jedoch ungewiss. Erstens verfolgt nicht nur der deutsche Imperialismus diese „Idee“. Auch Länder wie China, Japan, die USA und viele mehr werden das versuchen – und das heimische Kapital hat dabei keineswegs die besten Karten. Zweitens schrumpfte der Weltmarkt in der Krise dramatisch und wird angesichts der Pandemie, aber auch der Tendenz zum Protektionismus und zur ökonomischen Blockbildung weiter viel volatiler bleiben als vor der Krise. Das macht auch verständlich, warum die Regierung einen neuen Anlauf zur kapitalistischen Einigung der EU macht, weil diese als ökonomischer Raum, als erweiterter „Heimathafen“ für das deutsche Kapital fungieren kann.

Daraus können wir in jedem Fall ersehen, dass sich die Partnerschaft zwischen Gewerkschaften, SPD einerseits, CDU/CSU und Unternehmerverbänden (und in gewisser Weise auch mit Grünen und FPD) andererseits keineswegs nur auf betriebliche und gewerkschaftliche Belange erstreckt, sondern auch auf die Sicherung der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Imperialismus.

Im Grunde würde auch die Linkspartei gerne als linker Flügel dabei mitspielen. Die anderen  trauen ihr aber nicht so recht, weil es ihnen zu riskant erscheint, der Linkspartei ein Mitsprachrecht in außenpolitischen, geo-strategischen und EU-politischen Fragen einzuräumen. Sie gilt noch zu sehr als Friedenspartei. Wie die SPD vor über 100 Jahren und die Grünen im Jugoslawienkrieg gezeigt haben, kann das sehr schnell ins Gegenteil umschlagen. Doch selbst wenn die Linkspartei sich weiter verrenkt, so wird sie kurzfristig für eine Regierung auch nicht gebraucht. Umso blamabler ist es, dass sie selbst in dieser Lage einer imaginären Reformkoalition nachläuft, statt sich wenigstens als kämpferische, links-reformistische Partei zu präsentieren.

Bremsen

All diese Faktoren erklären, warum die Führungen der Gewerkschaften und die reformistischen Parteien jede Bewegung blockieren und, wo diese unvermeidlich ist, diese von oben kontrollieren und beschränken oder ins Leere laufen lassen wollen. Dieses Problem wird sich sicherlich hinsichtlich der kommenden Tarifrunden stellen. Andererseits müssen linke GewerkschafterInnen und linke Organisationen in diese eingreifen, um der Gewerkschaftsführung die Kontrolle des Kampfes zu erschweren. Eine andere Methode konnten wir bei Voith in Sonthofen beobachten. Die IG Metall konnte dort einen monatelangen Streik nicht verhindern. Aber sie unterstützte ihn nicht, ließ ihn so langsam an seine Grenzen stoßen, so dass er in einer Niederlage endete. Diese Taktik, Streiks formell zu unterstützen, aber auf den Einzelbetrieb beschränkt stattfinden zu lassen, kommt in der aktuellen Situation einem Sterben auf Raten gleich, weil Schließungen einzelner Betriebe eines Konzerns auf lokaler Ebene besonders schwer zu verhindern sind, weil das Kräfteverhältnis und auch die Möglichkeit, ökonomischen Druck aufzubauen, in einer Krise schlechter sind als in Phasen der Expansion des Kapitals.

Das Problem der Kontrolle und Verhinderung von Bewegungen und Kämpfen beschränkt sich natürlich nicht auf die Gewerkschaften. Bei Fridays for Future (FFF) spielt die Grüne Partei eine vergleichbare, in gewisser Weise noch beschämendere Rolle. Die Spitzen der Gewerkschaften und Betriebsräte sind wenigstens formal gewählt, die Führung von FFF hat sich einfach selbst qua „Geburtsrecht“ fest etabliert, eine Konferenz, eine Wahl oder demokratische Kontrolle gab es nie. In den Gewerkschaften ist es auch kein Geheimnis, dass der Apparat und der gesamte Laden letztlich sozialdemokratisch kontrolliert wird. Die Parteibücher und Verbindungen zur SPD sind durchaus bekannt. Bei FFF wurde lange behauptet, dass die Bewegung „überparteilich“ sei, um dann zu erfahren, dass diese „überparteilichen Menschen“ wie Luisa Neubauer für die Grünen zum Bundestag kandidieren.

Wo bleibt die „radikale“ Linke?

All das erklärt auch, warum sich die rechten Hygiene-Demos von wirren QuerdenkerInnen bis zu Nazis als Pseudo-Opposition präsentieren konnten, die vor allem unter kleinbürgerlichen Schichten zu fischen versuchen.

Die antirassistischen Massendemonstrationen im Juni in Solidarität mit Black Lives Matter, aber auch gegen das Rassismusproblem in Deutschland selbst verdeutlichten, dass auch in Corona-Zeiten große Mobilisierungen und Aktionen möglich sind. Das Anwachsen der neu-rechten Demos im August macht aber auch klar, dass diese entstehende kleinbürgerliche, reaktionäre Bewegung nicht einfach verschwinden wird oder wegdemonstriert werden kann. Letztlich muss ihr der soziale Nährboden entzogen, eine Massenbewegung gegen die Verarmung, Verelendung, Arbeitslosigkeit … in den Betrieben, im öffentlichen Dienst, an den Unis und Schulen, in den Wohnvierteln aufgebaut werden.

Von den Apparaten der ArbeiterInnenbewegung können wir die Initiative dazu nicht erwarten, so wichtig es auch ist, ihre Mitglieder, ihre Basis zu gewinnen und zu mobilisieren. Dazu muss die „radikale“ Linke, ob nun klassenkämpferische GewerkschafterInnen, MieterInnenbewegung, AntirassistInnen, Umweltbewegung, … jedoch selbst eine politische Initiative ergreifen.

An Einzelkämpfen, Mobilisierungen für bestimmte Themen, gegen Räumungen, gegen Braunkohlekraftwerke oder auch rassistische und faschistische Angriffe, selbst an Warnstreiks oder einzelnen betrieblichen Abwehrkämpfen wird es nicht mangeln. Alle diese verdienen und brauchen Solidarität und Unterstützung.

Für sich allein werden sie jedoch das gesellschaftliche Kräfteverhältnis nicht verändern. Das ist angesichts der geringen Größe der Kräfte links von der Linkspartei, der „radikalen Linken“ und linker GewerkschafterInnen auch nicht von diesen zu verlangen.

Aber sie können die Initiative für ein Aktionsbündnis ergreifen, das alle wichtigen politischen, gesellschaftlichen und betrieblichen Aspekte des Kampfes gegen die Krise bündelt und zusammenfasst. Eine solche Kraft wäre natürlich noch immer zu schwach, die Angriffe von Kapital und Regierung zu stoppen, ein Antikrisenprogramm im Interesse der Masse der Bevölkerung durchzusetzen, den Kampf gegen alle Entlassungen zu führen, Betriebsschließungen zu verhindern, gleiche Rechte für alle, die hier leben, durchzusetzen usw. usf.

Aber eine solche Kraft könnte als Hebel fungieren, um den Einfluss des Reformismus und der Gewerkschaftsapparate über die Klasse in Frage zu stellen und die Gewerkschaften, die Linkspartei, ja selbst Teile der SPD und damit ihre AnhängerInnen zur Aktion zu zwingen.

Wo beginnen?

Angesichts dieser Situation müssen wir die Frage ins Zentrum rücken, wie wir den notwendigen Klassenwiderstand entfalten. Wenn wir nicht anfangen, Widerstand aufzubauen, werden seitens des Kapitals Fakten geschaffen. Dabei ist es jetzt unsere Aufgabe, Antworten auf die aktuellsten Fragen zu geben: Wer verhindert die Zwangsräumung, wenn man aufgrund von Kurzarbeit die Miete nicht zahlen kann? Wie retten wir die Geflüchteten, die aktuell an der EU-Außengrenze zum Tode verurteilt werden? Wie wehren wir uns gegen Entlassungen und Sparmaßnahmen?

Wir müssen jetzt anfangen, Antworten auf diese Fragen zu geben – auch als kämpferische Minderheit. So können wir für größere Teile der Lohnabhängigen und Aktive sozialer Bewegungen sichtbar werden, Orientierung vermitteln und zu einem Sammelpunkt des gemeinsamen Handelns geraten.

Entscheidend werden dabei Forderungen sein, um eine gemeinsame Bewegung aufzubauen. Die drängendsten Fragen für Millionen Lohnabhängige müssen dabei im Zentrum stehen. Wir schlagen folgende Punkte für die Neuformierung einer Antikrisenbewegung vor:

Wir zahlen nicht für Pandemie und Krise!

  • Kostenlose Gesundheitsversorgung für alle – von Tests bis zur Unterbringung in Krankenhäusern und Intensivmedizin! 500 Euro/Monat mehr für alle Beschäftigten in den Pflegeberufen!
  • Öffnung der Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und Schulen, Umsetzung von Schutz- und Hygieneplänen unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Gegen alle Entlassungen! 100 % Lohnfortzahlung für alle, die in Kurzarbeit stehen! Keine Aushebelung von Arbeitszeitbeschränkungen und Arbeitsrecht!
  • Keine Milliarden-Geschenke für die Konzerne – massive Besteuerung von Vermögen und Gewinnen! Entschädigungslose Enteignung der Banken und des Großkapitals unter Kontrolle der Beschäftigten!
  • Keine Rendite mit der Miete! Für die Aussetzung aller Miet- und Kreditzahlungen für die arbeitende Bevölkerung! Enteignung der großen Immobilienkonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia und Co.! Nutzung von Leerstand, um Bedürftigen wie Geflüchteten und Obdachlosen Räume zur Verfügung zu stellen!
  • Abschaffung von Lagersystemen und rassistischen Asylgesetzen: Offene Grenzen und StaatsbürgerInnenrechte für alle! Selbstverteidigung gegen rassistische und faschistische Angriffe!

Dafür müssen wir aktiv werden. So können wir unsere Forderungen und die Verteidigung demokratischer Rechte, einschließlich des Streikrechts, miteinander verbinden. Unmittelbar geht es darum, all jene zu vereinen, die beim nationalen Schulterschluss von Kapital und Kabinett nicht weiter mitmachen wollen, all jene, die im Betrieb, an Schule, Uni und im Stadtteil eine neue Antikrisenbewegung aufbauen wollen. Es hilft nichts, darauf zu warten, dass reformistische und gewerkschaftliche Führungen die Initiative ergreifen. Das müssen wir vielmehr selbst tun.




Abwrackprämie: Sozis beißen sich

Mattis Molde, Neue Internationale 248, Juli/August 2020

Wenn SozialdemokratInnen sich gegenseitig vorwerfen, die AfD zu fördern, politische GeisterfahrerInnen zu sein und die Interessen der Beschäftigten zu verraten, lässt das aufhorchen. Die SPD, diese Verkörperung von Zahnlosigkeit, hat schon lange niemand mehr richtig wehgetan. Woher als plötzlich diese Bissigkeit?

Es geht um die Kaufprämie für Pkws. Die Auto-Bosse hatten diese auch für „schadstoffarme“ Verbrenner gefordert und in ihrem Schlepptau hatte die IG Metall sich mit breiter Brust dahinter gestellt. Die Bundesregierung mit der daran beteiligten SPD verfügte wenigstens über so viel politisches Gespür, dass die Einführung einer solchen Prämie ein PR-Desaster bedeutet hätte.

Gespür?

Die ganzen Versprechen für eine CO2-Reduktion, die nirgendwo so unverwirklicht sind wie im Verkehrssektor, wären noch schneller noch unglaubwürdiger geworden. Diese Prämie zur fortgesetzten Luftverschmutzung hätte alle anderen Branchen auf den Plan gerufen, die ähnliches gefordert hätten – Kohle, Luftverkehr, Energie, Landwirtschaft vorneweg.

Nicht dass die Autokanzlerin und ihr Gefolge dem Auto abgeschworen hätten. Es gibt keinen Anlass zur Freude für UmweltschützerInnen. Die Mehrwertsteuersenkung von 3 % bringt den KäuferInnen von Oberklassenschlitten etwa so viel wie die Abwrackprämie von 2009, die 2500 Euro betrug. Die Kaufanreize für E-Autos wurden erhöht. Die Autoindustrie bekommt ohnedies jede Menge an Subventionen und sackt auch den Löwenanteil an Forschungsförderung ein.

All das stärkt nicht nur die Konkurrenzfähigkeit des deutschen Kapitals auf dem Weltmarkt, es bietet auch die Basis für die Integration bedeutender Teile der ArbeiterInnenklasse und die „Sozialpartnerschaft“, also die Unterordnung der Gesamtinteressen der ArbeiterInnenklasse unter jene des Kapitals. Die Löhne der Stammbelegschaften der Autoindustrie betragen mit allen Zulagen und Prämien im Durchschnitt satt das Doppelte anderer Lohnabhängiger. Es wäre für die Millionen Menschen, insbesondere für diejenigen, die in Krankenhäusern, Kindertagesstätten, im Handel oder öffentlichen Verkehr mit zusätzlichen Belastungen und Risiken gearbeitet haben, völlig unverständlich gewesen, warum NeuwagenkäuferInnen, zu denen die wenigsten dieser Menschen im Moment gehören, mehr Geld für einen Autokauf bekommen sollen, als sie als Corona-Prämie für 3 Monate Zusatzbelastung vage in Aussicht gestellt bekommen haben.

Wenn diese Gelder, die letztlich Geschenke für die großen Exportkapitale sind, im Namen der Sicherung von Arbeitsplätzen fließen würden, zu einer Zeit, wo auch zehntausende Arbeitsplätze in anderen Branchen gestrichen werden oder heftig gefährdet sind, was hätten da die VerkäuferInnen von Kaufhof-Karstadt gesagt?

Geisterfahrt?

Selbst dieses politische Gespür, das die SPD-Vorsitzenden Esken und Walter-Borjans wenigstens vorweisen können, geht Hofmann und dem ganzen IG-Metall-Vorstand ab.

„Man darf die für Deutschland so wichtige Branche mit direkt und indirekt über zwei Millionen Beschäftigten nicht in einer industriepolitischen Geisterfahrt gegen die Wand fahren“, erklärt Hofmann.

Das verkündet der Chef der stärksten Industriegewerkschaft der Welt, der zulässt, dass in dieser so wichtigen Branche bereits zehntausende Arbeitsplätze gestrichen, verlagert wurden oder noch werden und zehntausende LeiharbeiterInnen und befristet Beschäftigte schon arbeitslos geworden sind. Das alles ohne jegliche soziale Abfederung, derer sich die Gewerkschaftsspitze und die BetriebsratsfürstInnen so gerne rühmen, wenn sie damit die Abbaupläne „begleiten“. Gerade die Entlassung der prekär Beschäftigten ist Hofmann nicht mal ein Zucken im Mundwinkel wert gewesen.

Es gab auch keinen Widerstand in den betroffenen Betrieben, der über Aktionstage oder Proteste hinausgegangen wäre. Solche Aktionen verstehen Hofmann und die ganze Metall-Bürokratie als „Verhandlungsbegleitung“, was nichts anders bedeutet, als dass die Konfrontation mit dem Kapital und seinen Plänen erst gar nicht gesucht wird. Allenfalls sollen die KonzernchefInnen und Unternehmerverbände daran erinnert werden, dass sie die IG Metall und die Betriebsräte weiter als „PartnerInnen“ brauchen.
Am besten zeigt dies auch für Branchenfremde der Streik beim Getriebebauer Voith in Sonthofen. Während die Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb geschlossen in diesen Kampf gingen, organisierte die IG Metall nicht eine Solidaritätsaktion in den anderen Konzernniederlassungen. Die GewerkschaftsvertreterInnen im Aufsichtsrat stimmten der Schließung zu und der Streik wurde mit etwas besseren Abfindungen beendet.

Industriepolitik

„Industriepolitik“ fordert Hofmann ein. Ein sehr sozialdemokratischer Begriff, mit dem man die Unterordnung unter die Wünsche des Kapitals im Namen der Beschäftigten, des „Standortes“, der Region oder „Deutschlands“ gerne begründet. Diese Industriepolitik machen SozialdemokratInnen bis zur Selbstaufgabe: von der Umwidmung von Naturschutzgebieten, der Übernahme von Erschließungskosten auf lokaler Ebene bis zur Agenda 2010 und der damit erzielten Einrichtung eines riesigen Niedriglohnsektors und der generellen Senkung der Reallöhne.

Solange Porsche im Naturschutzgebiet ein Parkhaus bauen darf und Daimler in den Rheinauen ein Autowerk, solange die niedrigen Löhne vor allem den Dienstleistungsbereich betreffen, solange die Jugend nie etwas anderes gesehen hat und sehen soll und die „Ossis“ und die MigrantInnen froh sein sollen, dass sie überhaupt was kriegen, solange haben SozialdemokratInnen keine großen Konflikte über „Industriepolitik“.

Aber die „Industriepolitik“ wird immer mehr zur Klientel-Politik, zur Vertretung eines bestimmten Teils des Kapitals, und zwar je mehr die Krise zu nimmt, je weniger es zu verteilen gibt und je erbärmlicher die Hoffnung wird, dass durch das Anschieben eines Teils der Wirtschaft das Ganze wieder wundersam in Bewegung gerät. Im Kern geht es beim Konflikt zwischen der IG-Metall-Führung und der SPD-Spitze und ihren Kabinettsmitgliedern genau darum. Die „Industriepolitik“ der Gewerkschaftsbürokratie und der Betriebsräte geht vom Standpunkt des Einzelkapitals, allenfalls noch der Branche aus. Die SPD versucht sich als Anwältin des gesellschaftlichen Gesamtkapitals und längerfristiger Interessen, was auch Konflikte mit den unmittelbaren Profitinteressen des Einzelkapitals inkludieren kann.

Während die SPD daher für die gesamte Klasse einzelne Reformversprechungen ausgibt (Rente, Mindestlohn, Einschränkung von Subunternehmen, …) und diese in ein ökologisches und soziales Modernisierungsprojekt des Gesamtkapitals einzubetten verspricht, beschränken sich die Gewerkschaftsapparate und Konzernbetriebsräte immer offener auf das unmittelbare Interesse ihrer „Kernklientel“ und der Branchen, in denen sie beschäftigt sind. Politisch laufen beide nicht nur auf die Quadratur des Kreises hinaus. Sie verschärfen auch die Entsolidarisierung zwischen verschiedenen Teilen der ArbeiterInnenklasse, den Beschäftigtengruppen unterschiedlicher Branchen, ja letztlich auch konkurrierender Unternehmen oder gar Standorte. Mit der Unterstützung der Auto-Bosse durch die IG Metall bei der Frage Kaufprämie für Verbrennungsmotoren hat es die Gewerkschaft nicht nur geschafft, die SPD rechts zu überholen. Der Konflikt offenbart auch die innere, reaktionäre Logik der Sozialpartnerschaft und Standortpolitik – einer Politik, der kämpferische GewerkschafterInnen den Kampf ansagen müssen. Ohne Wenn und Aber.




Strategiekonferenz klassenkämpferischer GewerkschafterInnen: Aufgaben und Ziele

Frederik Haber, Neue Internationale 243, Dezember 2019/Januar 2020

Die Gewerkschaften in Deutschland haben angesichts von
Neoliberalismus und Globalisierung und den damit verbundenen Angriffen des
Kapitals alle Chancen verpasst, aus der Defensive herauszukommen – und sie
hatten auch keinen Plan dafür.

Das sieht man daran, dass praktisch alle Maßnahmen und
Vereinbarungen, die „das Schlimmste verhindern“ sollten, die nächsten Angriffe
erlaubt und erleichtert oder den Widerstand dagegen erschwert haben.

In den letzten Jahrzehnten führte das zu mehreren politisch
verheerenden Resultaten:

  1. Die Gewerkschaften organisieren einen immer kleiner werdenden Teil der Lohnabhängigen. Sie konzentrieren sich immer mehr auf Organisierte in der Großindustrie oder in schon organisierten Bereichen des öffentlichen Dienstes und des Dienstleistungssektors.
  2. Trotz wichtiger einzelner Gegenspiele wie z. B. im Gesundheitssektor blieben größere Abwehrkämpfe aus. Die Vorherrschaft der Bürokratie, die Dominanz des Apparates und der Betriebsräte der Großbetriebe nahmen eher zu.
  3. Ein monströses System der Klassenzusammenarbeit und die Ideologie der „Sozialpartnerschaft“ bestimmen die Gewerkschaftspolitik und jene der meisten Betriebsräte. Die DGB-Gewerkschaften stellen eine soziale Hauptstütze der Großen Koalition dar – und agieren dementsprechend in allen Politikfeldern.

Die Bürokratie hofft, die nächste kapitalistische Krise
durch noch mehr Zusammenarbeit mit dem Kapital, noch mehr „Partnerschaft“ bei der
Sicherung der Interessen des deutschen Exports und des Großkapitals insgesamt
zu überstehen. Kein Wunder, dass immer größere Teile der ArbeiterInnenklasse
von diesen „Interessenvertretungen“ entfremdet, dass ganze Sektoren der
Ökonomie wenig oder gar nicht organisiert sind.

Die klassenkämpferischen und linken Kräfte in den
Gewerkschaften wurden in den letzten Jahren schwächer, nicht stärker. Dafür
gibt es mehrere Ursachen: Erstens die Niederlagen durch Hartz- und
Agenda-Gesetze sowie die sozialpartnerschaftliche Politik in der Rezession, die
die Bürokratie (v. a. in IG Metall und IG BCE) stärkte. Zweitens die Übernahme
und Zähmung von Ansätzen einer größeren Gewerkschaftslinken durch die
Linkspartei. Drittens die weitgehende Ausblendung des politischen und
ökonomischen Gesamtzusammenhangs aus der Aktivität der gewerkschaftlichen und
betrieblichen Oppositionsansätze.

Gerade die aktuelle Krisenperiode erfordert aber eine
politische, nicht bloß eine gewerkschaftliche Strategie, wenn wir eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine echte Opposition gegen die Bürokratie
bundesweit aufbauen wollen.

Zur Strategiekonferenz in Frankfurt am 25./26. Januar treffen sich all jene, die, wenn auch mit unterschiedlichen politischen Ansätzen und Analysen, erkannt haben, dass es einer Neuformierung der Gewerkschaftslinken bedarf, dass dazu nicht nur praktische, sondern auch strategische und programmatische Fragen diskutiert werden müssen.

Fundamentale Krise

Wir denken, dass es angesichts der fundamentalen Krise der
Gewerkschaften nicht nur darum gehen kann, einzelne Forderungen zu einzelnen
Missständen zu bündeln, sondern dass es um eine zusammenhängende Strategie,
Konzeption und letztlich ein Aktionsprogramm geht mit dem Ziel, eine
klassenkämpferische Basisbewegung, eine organisierte Opposition nicht nur gegen
rechte BürokratInnen, sondern das gesamte System der Bürokratie aufzubauen.

Die (Irre-)Führung der Gewerkschaften hat ihre Ursache in
der politischen Unterordnung unter die Anforderungen der KapitalistInnen und
ihrer Regierung, ja der allgemeinen Fesselung an das kapitalistische System
mitsamt seinen Krisen. Auch wenn GewerkschaftsführerInnen heute nicht mehr so
offen mit ihren SPD-Parteibüchern wedeln, sind sie auf das Engste mit dieser
Partei und ihrer Politik verbunden.

Wie in allen Landesregierungen ordnen sich auch die
Mitglieder der Linkspartei in den Gewerkschaftsapparaten den kapitalistischen
„Sachzwängen“ unter. Erst recht gilt das für gesellschaftliche Fragen und für
die internationale Politik. So treten auch die Gewerkschaften für staatliche
kontrollierte, also beschränkte Migration, für die Abriegelung der
EU-Außergrenzen, für ein, wenn auch „menschlicheres“ Sanktionssystem für
Erwerbslose usw. ein, ohne dass es nennenswerten Widerstand von Seiten der
Linkspartei dagegen gibt.

Das Verhindern und Abwürgen von Kämpfen und Aktionen durch
nicht nachvollziehbare „politische“ Argumente und die Anpassung an die
„weltwirtschaftlichen Gegebenkeiten“ durch die Bürokratie, also die
Unterordnung unter sozialpartnerschaftliche Dogmen, führt dazu, dass etliche
kämpferische KollegInnen dazu neigen, sich auf „reine Interessenvertretung“ zu
konzentrieren. Auch AktivistInnen aus antikapitalistischen Gruppierungen
beschreiten zu oft diesen Weg – auch wenn sie selbst politische Standpunkte zu
Einzelfragen einnehmen mögen. Wir halten das für falsch: Im Gegenteil, die
Kämpferinnen und Kämpfer der Zukunft müssen politisch bewaffnet werden, wenn
sie gegen die Unterordnung der Gewerkschaften unter das Kapital und gegen die
Herrschaft der Bürokratie erfolgreich sein wollen.

Wofür kämpfen?

Weiter oben haben wir schon auf die Rolle der
Gewerkschaftsführungen – und unter ihrer Regie der Gewerkschaften selbst – beim
Krisenmanagement des deutschen Kapitals verwiesen. Um die Gewerkschaften
wiederzubeleben und zu Kampfinstrumenten zu machen, braucht es nicht nur ein
Verständnis der aktuellen Krise des Kapitalismus und der dramatischen Angriffe,
die uns bevorstehen.

Wenn die „Gewerkschaftslinke“ zu einer Alternative zur
Bürokratie werden will, braucht sie auch ein alternatives Aktionsprogramm, ein
Programm des Klassenkampfes, das sie der Sozialpartnerschaft gegenüberstellt.

Die Strategiekonferenz wird sicher noch nicht in der Lage
sein, ein solches Programm zu beschließen – sie sollte aber erstens eine
systematische Diskussion in Gang setzen und bundesweit organisieren. Zweitens
kann und sollte sie sich um zentrale Forderungen verständigen, die sie zu den
wichtigsten gewerkschaftlichen und politischen Fragen erhebt, die in der
nächsten Periode auf uns zukommen werden. Die verschiedenen Arbeitsgruppen
können und sollten dazu konkrete Vorschläge erarbeiten, die in eine
Abschlusserklärung der Konferenz einfließen.

In jedem Fall sollte die Konferenz folgende Fragen
diskutieren:

  • Kampf gegen alle Entlassungen! Für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich! Für ein Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeiten zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs, zum Wohnungsbau, im Gesundheits- und Bildungswesen unter Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften!
  • Abschaffung von Hartz IV! Für ein Existenz sicherndes Mindesteinkommen von 1100,- Euro plus Warmmiete und Mindestrenten in dieser Höhe! Für einen Mindestlohn von 12,- Euro netto/Stunde!
  • Für die enge Verbindung mit der Umweltbewegung! Bezahlung des ökologischen Umbaus durch die Besteuerung der Reichen und die Enteignung der gesamten Energiewirtschaft unter Kontrolle der ArbeiterInnenklasse!
  • Organisierung der Unorganisierten! Dies erfordert, einen zentralen Fokus auf die Gewinnung von prekär Beschäftigten zu richten, verbunden mit Kampagnen zur Arbeitszeitverkürzung und zum gesetzlichen Mindestlohn!
  • Faschismus und Rassismus bekämpfen! Offene Grenzen, keine Abschiebungen! Volle StaatsbürgerInnenrechte für alle Geflüchteten und MigrantInnen, Aufnahme der Geflüchteten in die Gewerkschaften!
  • Verbindung der Tarifkämpfe mit den Kämpfen gegen Entlassungen! Abschaffung aller Einschränkungen des Streikrechts, insbesondere politischer Streiks!
  • Internationale Koordinierung der gewerkschaftlichen und sozialen Kämpfe – für eine europaweite Aktionskonferenz gegen die Krise zur Diskussion und Koordinierung des gemeinsamen Abwehrkampfes!

Andere Methoden, um zu kämpfen!

Solche Forderungen müssen von aktiven und oppositionellen
GewerkschafterInnen in Betriebsgruppen, Vertrauensleutekörpern oder auf
Delegiertenkonferenzen eingebracht werden, um die Bürokratie unter Druck zu
setzen und kämpferische Kräfte zu gruppieren.

Um die Allmacht der Apparate zu brechen, braucht es auch
einen systematischen Kampf. Dieser muss mit der Demokratisierung der
Gewerkschaften beginnen. Wir müssen uns vor allem dafür einsetzen, dass die
Mitglieder, ja die Belegschaften allgemein über Forderungen und Kampfmethoden
entscheiden. Nur wenn sie ins Spiel kommen, können Kräfteverhältnisse so geändert
werden, dass andere Entscheidungen möglich werden. Eine Handvoll Leute mit
Resolutionen erreichen das nicht.

Verbunden muss das mit dem Kampf gegen die Einschränkung der
politischen Tätigkeit in den Gewerkschaften selbst werden. Das gegenwärtige
System der „Einheitsgewerkschaft“ DGB kommt einem politischen Maulkorb für jede
oppositionelle, nicht-sozialdemokratische Strömung gleich. Wir treten daher für
das Recht auf Bildung politischer Fraktionen in den Gewerkschaften und
Betrieben ein.

Basisbewegung

Das erfordert, dass programmatische Diskussionen, wie sie
eine zukünftige Gewerkschaftslinke braucht, helfen müssen, die bestehenden
Differenzen demokratisch zu bearbeiten und zugleich neuen AktivistInnen einen
Zugriff auf die Probleme zu erlauben. Also die besten Traditionen der
gewerkschaftlichen Bildung wieder aufzugreifen bei gleichzeitiger Erarbeitung
eines Aktionsprogramms für eine klassenkämpferische Basisbewegung, eine
organisierte anti-bürokratische Opposition.

Am Aufbau einer Opposition können auch FunktionärInnen und
selbst Hauptamtliche teilnehmen. Das Ziel kann und darf jedoch nicht darin
bestehen, im Rahmen der bestehenden bürokratischen Struktur einfach nur mehr
Posten zu gewinnen oder Linke besser zu vernetzen – es geht darum, das
existierende bürokratische System zu zerbrechen und durch ein
arbeiterInnendemokratisches zu ersetzen. Alle FunktionsträgerInnen  auf gewerkschaftlicher und
betrieblicher Ebene müssen ihrer Basis rechenschaftspflichtig, von ihr gewählt
und abwählbar sein. Kein/e FunktionärIn darf mehr als ein durchschnittliches
FacharbeiterInnengehalt verdienen.

Heute haben Hauptamtliche noch weniger Spielraum als früher
und vielen, die als Linke einen solchen Job haben, fehlt das politische
Rüstzeug, um dem Druck des Reformismus und der Sozialpartnerschaft
standzuhalten. Das heißt nicht, dass die Krise der Gewerkschaften nicht Risse
im Apparat produzieren kann, die eine unabhängig strukturierte Opposition
auszunutzen vermag.

Vor allem aber darf sich eine oppositionelle,
klassenkämpferische Bewegung in Betrieb und Gewerkschaften nicht von „linken“
Teilen des Apparates abhängig machen oder zu deren ZuträgerInnen verkommen.

Strukturen

Der Weg zum Aufbau einer Basisbewegung geht vor allem über
die Sammlung und Organisierung von BasisaktivistInnen, die trotz der
Verweigerung durch die Apparate den Kampf suchen, die die Herausforderung durch
die Angriffe der UnternehmerInnen annehmen und den Widerstand suchen. Sie muss
außerdem auch der Tatsache Rechnung tragen, dass sogar viele kämpferische ArbeiterInnen
heute den Gewerkschaften mit berechtigter Skepsis gegenüberstehen oder in
weitgehend unorganisierten Sektoren arbeiten. Ein Schritt beim Aufbau eine
klassenkämpferischen Basisbewegung müsste auch darin bestehen, diese für diese
KollegInnen zu öffnen und auch gemeinsame Kämpfe zu organisieren.

Mit anderen Worten, eine zukünftige Opposition muss da
eingreifen, wo Kolleginnen und Kollegen sie brauchen: beim Kampf gegen
Entlassungen und Werksschließungen, beim Aufbau betrieblicher Gruppen und
alternativer Betriebsratslisten, beim Kampf gegen Arbeitslosigkeit und
Prekarisierung.

Dazu brauchen wir handlungsfähige Strukturen, also örtliche
Gruppen. Viele der bestehenden nennen sich „Foren“, aber es muss klar sein,
dass die Aufgaben solcher Gruppen weit über den Austausch von Infos und
Meinungen hinausgehen müssen.

Eine bundesweite Koordinierung muss nicht nur Material für
die lokale Arbeit produzieren und Treffen, z. B. auch von Arbeitsgruppen,
organisieren, sondern auch beim Aufbau lokaler Gruppen helfen. Eine
provisorische Koordinierung sollte in Frankfurt gewählt werden, aber sie sollte
flexibel genug sein, VertreterInnen neuer Lokalgruppen und weiterer
Organisationen zu kooptieren.

Handlungsfähigkeit setzt auch demokratische Willensbildung
und Legitimation voraus. Wir müssen damit verantwortungsvoll umgehen.
Einerseits müssen Konflikte demokratisch, also durch Abstimmung entscheiden
werden genauso wie eine zukünftige Koordinierung gewählt werden sollte.
Zugleich macht es keinen Sinn, durch Majorisierung an einzelnen Terminen
Kurswechsel durchzustimmen, die nicht tragfähig sind. Deshalb schlagen wir vor,
dass alle so weit wie möglich ihre politische Orientierung offenlegen und
zweitens sichergestellt wird, dass für die anstehende Aufbauphase jede Organisation
darauf verzichtet, eine absolute Mehrheit in Leitungsgremien zu besetzen.

Vorbereiten

Wir brauchen uns keine Illusionen zu machen: Die
reformistischen BürokratInnen werden die Strategiekonferenz als Kampfansage
begreifen und bekämpfen. Da hilft es nicht, wenn wir uns in Unverbindlichkeit
oder Harmlosigkeit hüllen. Wir müssen unser Recht auf Debatte über die Zukunft
der ArbeiterInnenbewegung erkämpfen und zwar gerade gegen diejenigen, die sie
in den Sand gefahren haben.

Das Ziel dieser Konferenz ist eine neue Strategie, eine
andere Strategie und wir wollen sie nicht nur entwickeln, sondern durch- und
umsetzen und das heißt auch mit Leuten, die das wollen und können, und in
Strukturen, die von den Mitgliedern kontrolliert werden und nicht vom Apparat.

Ergreifen wir unsere Chance!