Britannien: Brexit – letzter Akt?

Dave Stockton, Infomail 1048, 27. März 2019

Am Samstag, den 23. März,
füllten über eine Million Menschen die Straßen und Plätze im Zentrum Londons in
der wohl größten Demonstration der britischen Geschichte. Sie forderten eine
Volksabstimmung über den Tory-Brexit-Deal, einschließlich der Alternative,
Artikel 50 zu widerrufen und den Brexit zu verhindern. Sie bildeten eine
Menschenmenge von der Park Lane zum Trafalgar Square durch Whitehall bis
zu  einem Rednerpodium vor dem
Parlament. Einige Leute mussten 3 oder sogar 4 Stunden warten, bis sie
losmarschieren konnten.

Unterdessen hatte eine
Online-Petition für eine Volksabstimmung über vier Millionen Unterschriften
erreicht. Am 25. März stieg die Zahl der UnterzeichnerInnen auf 5,3 Millionen.
Wird das Parlament auf die Menschen hören? Bislang gibt es kein Anzeichen
dafür. Sich an ihr „Mandat“ für 2016 festklammernd, bestehen die
Brexit-BefürworterInnen darauf, dass eine erneute Konsultation der Bevölkerung
ein Verstoß gegen die Demokratie wäre!

TeilnehmerInnen

Der Marsch wurde von
einer Koalition aus Liberalen, dem rechten Labourflügel, schottischen
NationalistInnen und verschiedenen Prominenten organisiert und geleitet und
wurde von einem Wald aus blauen EU-Flaggen dominiert. Dennoch war der Geist der
DemonstrantInnen eine klare Ablehnung des nationalistischen und rassistischen
Charakters des Brexit-Projekts und die TeilnehmerInnen sprachen sich für ein
Willkommen der Flüchtlinge und MigrantInnen aus. Wie jede/r weiß, ist das
zentrale Motiv der Brexit-BefürworterInnen, die Einwanderung zu stoppen („die
Kontrolle über unsere Grenzen wiederzuerlangen“), so dass jede/r an den
Schildern sehen konnte, dass der Geist des Marsches antirassistisch war.

Eine Gruppe linker
Abgeordneter, darunter Kate Osamor und Clive Lewis, und von Gewerkschafts- und
WahlkreisaktivistInnen versammelte sich, um auf dem Marsch einen vereinigten
linken Block zu bilden. Er wurde von „Another Europe is Possible“ and „Labour
for a Socialist Europe“ organisiert und von der Transport- und
Verkehrs-Gewerkschaft und ihrem Generalsekretär Manuel Cortes unterstützt.
Sowohl Cortes als auch Clive Lewis sprachen bei einer Kundgebung, als die
DemonstrantInnen darauf warteten, loszugehen.

Lewis sagte: „Brexit ist
ein Tory-Projekt. Es ist ein rassistisches Projekt. Es geht um die
Deregulierung der Wirtschaft und den Angriff auf die Rechte der hier geborenen
ArbeiterInnen und der ArbeitsmigrantInnen. (…) Also marschieren wir als
linker Block zusammen, weil wir uns weigern, die Idee zu akzeptieren, dass die
Anti-Brexit-Bewegung Eigentum nur von PolitikerInnen offen bürgerlicher
Parteien der Mitte ist.“

Die Demonstration war
durch die große Beteiligung junger Menschen, von denen die meisten beim
Referendum nicht stimmberechtigt waren, und BürgerInnen der anderen 27
EU-Länder, die im Vereinigten Königreich arbeiten oder studieren,
gekennzeichnet, die jetzt in einem Klima der Fremdenfeindlichkeit und Gewalt
mit einer Registrierungspflicht und möglicherweise Abschiebung konfrontiert
sind, falls Brexit nicht gestoppt wird.

Bemerkenswerterweise
fehlten der Labour-Chef Jeremy Corbyn und auch die große Mehrheit der linken
Parteiführung. Ebenfalls fehlte Momentum, die „basisdemokratische Bewegung“ zur
Unterstützung von Corbyn, deren eigentliche Wurzeln in den letzten zwei Jahren
verwelkt sind. Auch die Plakatwälder von Socialist Worker und der Socialist
Party , die normalerweise britische Demos schmücken, um den Eindruck von
Masseneinfluss für ihre schrumpfenden Sekten zu erwecken, waren nicht zu sehen.

Die Hauptkräfte der britischen Linken, die sich in die Illusion eines linken Brexit oder „Lexit“ verliebt haben, waren während der tiefen Krise, die Großbritannien seit Monaten heimsucht, nicht in der Lage, etwas Bedeutendes zu sagen oder zu tun. Ihre einzige Errungenschaft bestand darin, diese aufstrebende progressive Bewegung unter der Führung der rechten Seite der Labour Party und kleinerer Parteien wie der Grünen zu belassen. Sie fürchten, ihre völlige Bedeutungslosigkeit auf den Straßen selbst zu demonstrieren, und sie können sie sich den echten Brexit-BefürworterInnen mit ihren Union Jacks (britische Nationalflaggen) und Anti-ImmigrantInnen-Parolen anschließen.

Parlamentarische Farce und Labour

Während der gesamten
parlamentarischen Farce wurde die große Mehrheit der Mitglieder der Labour
Party und der WählerInnen, die, wie man sich erinnern sollte, auch in Gegenden,
die mehrheitlich für den Austritt stimmten, für den Verbleib in der EU votiert
haben, von der linken Führung getäuscht und demobilisiert. Mit der Behauptung,
dass die Freizügigkeit der ArbeiterInnen „beendet werden“ und die Entscheidung
des Volkes im Jahr 2016 „respektiert werden muss“, haben sie jede echte
Forderung nach einer „Volksabstimmung“ auch bis zuletzt blockiert und verzögert.
Dies hat deutlich gemacht, dass die Entschließung der Liverpooler
Labour-Konferenz, die eine solche Abstimmung „auf den Tisch legte“, eine
grausame Täuschung war.

Unterdessen haben die
Corbyn-Führung und Momentum jede ernsthafte Diskussion darüber, wie die
Europapolitik der Labour Party aussehen sollte, blockiert. Sie haben die
Notwendigkeit, ihren Parteivorsitzenden gegen die Rechte in der
Labour-Parlamentsfraktion zu „unterstützen“, als Vorwand benutzt. Diese
unehrliche Politik zeigt, wie oberflächlich und vorübergehend sich die
Demokratisierung der Partei erwiesen hat.

Jetzt steht Theresa Mays
Erpressungsstrategie, die Uhr bis zum 29. März herunterlaufen zu lassen – die
Frist wurde jetzt bis zum 13. April verlängert -, um die Abgeordneten von Tory
und Labour zu zwingen, ihren Deal zu unterstützen, ohne Haltelinien da. Das
Land blickt nun in den Abgrund eines Ausstiegs ohne Abkommen. Hunderttausende,
ja Millionen von ArbeiterInnen und StudentInnen vom europäischen Festland
könnten ohne sicheren Status verweilen oder zum Verlassen des Landes gezwungen
werden. Alle InternationalistInnen in Großbritannien sollten sich
zusammenschließen, um diesen Brexit um jeden Preis zu stoppen.

Gegen die Kosten des Brexit

Dies wird weitere
Massendemonstrationen im ganzen Land erfordern. Zweitens müssen die
Gewerkschaften in den Kampf gegen Brexit, in Aktionen hineingezogen werden –
nicht durch gemeinsame Pressekonferenzen mit der Industriellenorganisation, dem
CBI, wie sie es letzte Woche getan haben, sondern indem sie ihre Mitglieder
entweder gegen einen aus dem Grab gestiegenen May-Deal oder die wirtschaftliche
und soziale Katastrophe nach einem „No Deal“ mobilisieren.

Angesichts dieser Bedrohung sollte der Gewerkschaftsdachverband TUC einen Generalstreik einleiten, um die Abwälzung der Kosten des Brexit auf die ArbeiterInnen zu verhindern, und eine Volksabstimmung fordern. Lokale Aktionsausschüsse aus den Basisorganisationen der Gewerkschaften, lokaler Labour-Party-Ortsgruppen, StudentInnenverbänden, der MigrantInnen und antirassistischer Gruppierungen sollten gebildet werden, um direkte Aktionen einzuleiten und zu verbreitern – egal welche Tricks die Tories anwenden, um den Brexit durchzuziehen.

Aber es ist die Labour Party, deren Mehrheit starke anti-nationalistische Gefühle hegt, die das wichtigste Schlachtfeld bleibt. Die Mitgliederbasis sollten ihre Abgeordneten auffordern, darauf zu bestehen, dass die Labour Party eine Resolution vorlegt, in der sie (a) die sofortige und bedingungslose Aufhebung von Artikel 50 und (b) eine Volksabstimmung über jeden vorgeschlagenen Brexit-Deal einschließlich der Option „No Brexit“ fordert. Natürlich sollte Labour auch gegen May und ihre Regierung einen Misstrauensantrag stellen.

Nicht zuletzt müssen Labour und die Gewerkschaften, die für die Millionen, die sich gegen Brexit stellen, sprechen, einen Aktionsplan verabschieden gegen das Leiden der benachteiligten Regionen, für offene Grenzen für Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen, gegen die Banken und neoliberalen PolitikerInnen, ob in der Londoner City oder in Frankfurt und Brüssel.

Die internationalistische Linke muss sich europaweit vernetzen, um den Aufstieg der rassistischen Rechten zu bekämpfen, um die Verhängung von Sparmaßnahmen durch die Behörden der EU und der Eurozone gegenüber Ländern wie Griechenland zu bekämpfen, um das Recht auf Selbstbestimmung von Nationalitäten wie den KatalanInnen durchzusetzen und Flüchtlinge und ArbeitsmigrantInnen zu schützen.

Ein sofortiger Schritt für Gewerkschaften, die gegen Sparpakete und Rassismus auftreten, für sozialistische Parteien und Jugendorganisationen bestünde in der Einberufung eines Europäischen Sozialforums, auf dem sie ihre Bemühungen koordinieren und ein Aktionsprogramm ausarbeiten könnten. Andernfalls wird es den rassistischen PopulistInnen wie Farage oder Le Pen überlassen, sich demagogisch gegen das „Europa der Bankiers und der Neoliberalen“ zu stellen. Gegen die EU, wie sie heute ist, müssen wir nicht den Ruf nach Sozialismus in einem Land der Lexit-BefürworterInnen erheben, sondern die Forderung nach Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Red Flag beteiligte sich am linken Block und verteilte auf der Demo ein Flugblatt: Stop Brexit – by any means necessary




Britannien: Gespenst Brexit

Svenja Spunck, Neue International 233, November 2018

Am 20. Oktober demonstrierten im Zentrum Londons über 700.000 Menschen aus ganz Britannien für eine Volksabstimmung über den Brexit-Deal. Auf vielen Plakaten und Transparenten wurden Mitglieder der Regierung als LügnerInnen und VerräterInnen bezeichnet.

2016 hatte eine knappe Mehrheit der BritInnen für den Austritt aus der EU gestimmt. Viele erhofften sich mehr Souveränität gegenüber der EU-Bürokratie, weniger ImmigrantInnen und ein stärkeres Auftreten Britanniens im weltweiten Imperialismus. Bis heute konnte die konservative Regierung unter Theresa May kein Verhandlungsergebnis mit der EU vorlegen. De facto bedeutet das, es ist fast unabsehbar, welche realen Konsequenzen der Brexit am 29. März 2019 mit sich bringen wird.

Stattdessen werden Vorkehrungen getroffen, die den Anschein erwecken, man erwarte eine Naturkatastrophe. Doch der Brexit ist keine Laune der Natur, er ist das Ergebnis realer politischer Entscheidungen, deren Konsequenzen den VerursacherInnen über den Kopf wachsen. Die Regierungspartei ist gespalten über die Frage des Brexits. Während Theresa May zur Not auch ohne Deal durchziehen will, und damit beispielsweise eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland in Kauf nimmt, erwartet Labour vom anderen Flügel der Konservativen Widerstand gegen May bei einer für November erwarteten Abstimmung über den Brexit-Deal.

Der Brexit ist ein Problem höchster Priorität in Britannien, dessen Entwicklung sogar die Regierung in Bedrängnis bringt. Dies wäre eine gute Chance für Labour, mit einer klaren Position gegen den Brexit und gegen die Tories ein erneutes Referendum und vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen und für sich zu entscheiden. Doch die Labour-Führung wehrt sich stur dagegen, klar Stellung zu beziehen.

Brexit auf der Labour-Konferenz in Liverpool

Obwohl die Mehrheit der Mitglieder in Labour wie auch die Gewerkschaften gegen einen Brexit sind, hat sich die Partei als Ganzes nicht klar positioniert. Ein Argument für Linke innerhalb und auch außerhalb der Partei ist, dass eine Anti-Brexit-Position die Rechten und damit die Gegner Innen Corbyns stärken würde. Realität sind jedoch Umfragen, nach denen Labour vorgezogene Wahlen gewänne, wenn es sich klar für ein zweites Referendum ausspräche. Doch auf dem Peoples Vote-March war die Partei nur marginal vertreten und bot somit keinen Anlaufpunkt für diejenigen, die klar gegen den Brexit sind. Stattdessen war die Demonstration voller „I love EU“-Schilder, die Anlass für die Lexiters, die VerteidigerInnen eines „linken Brexit“, boten, die Massendemonstration als Ganze zu diskreditieren. Somit riskiert die Labour-Führung, dass sich Millionen, die die mit einem Brexit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Einbrüche vermeiden wollen, vor den Karren liberaler oder kleinbürgerlicher EU-BefürworterInnen spannen lassen.

Das bietet außerdem auch dem rechten Flügel der Labour-Party die Möglichkeit, Brexit-GegnerInnen zu organisieren, beziehungsweise schürt Illusionen in die EU an sich bei denjenigen, die für den Verbleib stimmen. Labours Aufgabe wäre es heute, für ein zweites Referendum, für Neuwahlen und für den Verbleib in der EU zu mobilisieren, während es klare Forderungen gegen den EU-Imperialismus, für den gemeinsamen politischen und gewerkschaftlichen Kampf in ganz Europa aufstellt. An erster Stelle müssten dabei die Forderungen nach offenen (EU-Außen-)Grenzen stehen sowie nach vollen StaatsbürgerInnenrechten für alle, die in der EU leben. Das Ziel einer Labour-Regierung sollte nicht sein, die EU im internationalen Gerangel zwischen den ImperialistInnen an erste Stelle zu bringen oder, wie momentan von einigen Konservativen imaginiert, das „British Empire“ wiederauferstehen zu lassen. Die Aufgabe von Labour an der Regierung läge darin, die Vereinigung der arbeitenden Bevölkerung in der EU, die Vernetzung der Gewerkschaften, die Koordinierung von Protesten der Unterdrückten, gegen das Kapital, das momentan die eigentliche Regierung der EU darstellt, voranzubringen.

Während die bürgerlichen Medien es als „Staatskunst“ bezeichnen, dass Labour keine klare Stellung bezieht und vergeblich versucht, die Pro- und Anti-Brexit-Flügel zu vereinen, trifft „Opportunismus“ die aktuelle Politik wohl eher. Ein zweites Referendum, wie es die linke Plattform „Another Europe is Possible”, AEIP, fordert, wäre zwar ein Anfang, jedoch entbehrt dies allein noch der politischen Entscheidung, wie sich Labour in diesem Referendum positionieren würde. Die Labour-Konferenz in Liverpool im September zeigte deutlich, dass die Parteiführung alles andere als interessiert ist an einer Demokratisierung der Partei. Anträge der Parteilinken, die sich für eine klare Anti-Brexit-Position aussprachen, wurden nicht behandelt.

Sechs Punkte

Stattdessen versuchte die Parteiführung, ihre Mitgliedschaft zu beschwichtigen, indem sie versprach, gegen jeden Brexit-Deal zu stimmen, der den Sechs-Punkt-Test nicht besteht. Diese sechs Punkte lauten:

„1. Gewährleistet er eine starke und kooperative zukünftige Beziehung zur EU?

2. Bietet er die ,genau gleichen Vorteile‘, wie wir sie derzeit als Mitglieder des Binnenmarkts und der Zollunion haben?

3. Gewährleistet er eine gerechte Steuerung der Migration im Interesse der Wirtschaft und der Gemeinschaften?

4. Verteidigt er Rechte und Schutz und verhindert einen Wettlauf nach unten?

5. Schützt er die nationale Sicherheit und unsere Fähigkeit, grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen?

6. Liefert er für alle Regionen und Nationen des Vereinigten Königreichs?“

Die sechs Bedingungen der Labour-Party sind einerseits davon geprägt, dass sie die Partei als Regierungsalternative präsentieren wollen. Dafür werden bewusst die Interessen der MigrantInnen jenen der Wirtschaft und „Gemeinschaften“, also der chauvinistischen Haltung eines Teils der britischen ArbeiterInnen, untergeordnet. Zweitens sind sie – nicht anders als die „Rosinenpickerei“ Mays – illusorisch. Warum sollte die EU einem Land, das ausgetreten ist, die „genau gleichen Vorteile“ wie Mitgliedern garantieren?

Was tun?

Da die Regierungspartei mit Sicherheit nicht einmal einen der Punkte durchsetzen können wird, ist eigentlich klar, dass die Labour-Abgeordneten einen „Deal“ ablehnen müssten. Doch auch wenn alle geschlossen im Unterhaus dagegen stimmten, hätte Labour keine Mehrheit und wäre auf die Opposition in den Reihen der Tories angewiesen. Ob diese nun mit Labour stimmen und damit Neuwahlen provozieren werden, bei denen ein Ende ihrer Regierung absehbar wäre, ist mehr als ungewiss.

Ein Argument, mit dem die Labour Führung immer wieder versucht, dem Interesse ihrer Basis auszuweichen, ist der „Respekt“ gegenüber dem Ergebnis von 2016. Nun, auch 1975 gab es in Großbritannien ein Referendum. Damals wurde für den Verbleib Britanniens in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgestimmt.

Die ergebnislosen Verhandlungen der Tories und die absehbaren Nachteile für die internationale ArbeiterInnenklasse sollten die Führung einer linken Partei dazu zwingen, sich klar gegen die Brexit-Katastrophe zu positionieren. Da die Parteiführung sich jedoch mit allen Mitteln dagegen wehrt und insgeheim hofft, den Brexit unter ihrer eigenen Regierung nach ihren Vorstellungen gestalten zu können, ist es mehr als drängend für die linke Opposition in der Partei, gegen die rechten BürokratInnen Stellung zu beziehen und das reale Interesse der ArbeiterInnenklasse zu verteidigen.




Britische Labour Party: Querelen vor dem Parteitag

Arthur Milton, Neue Internationale 231, September 2018

Vor dem Parteitag Ende September steckt Labour in einer Diskussion, die sich v. a. um 2 Punkte dreht: seine Haltung zum Brexit und zu den Vorwürfen von Antisemitismus gegen Corbyn und andere führende Mitglieder. Im folgenden beschäftigen wir uns mit der Debatte um den Brexit.

Zum Klassencharakter des Brexit-Referendums

Das Referendum wurde von Ex-Premier Cameron anberaumt, um die Bruchlinien innerhalb seiner Konservativen Partei zu kitten. Sein Resultat kam unerwartet und vom Standpunkt der herrschenden britischen Klasse aus unerwünscht. Es wurde allgemein als Protest gegen das „Establishment“ gewertet. Doch dies besagt nicht viel, schrieben sich doch sowohl die rechtspopulistische UKIP wie die zentristische SWP den Sieg auf ihre Fahnen.

Entscheidend war die Stoßrichtung der Abstimmung. Es ging darum, ob die von Cameron ausgehandelten Zugeständnisse an Britannien seitens der EU genug waren. Sie betrafen v. a. eine Einschränkung der Freizügigkeit für die Arbeitsmigration innerhalb der Union. Das EU-Einwanderungssystem war Cameron nicht rassistisch genug, betraf es doch „nur“ BürgerInnen von außerhalb der Staatengemeinschaft. Die Abstimmung stand also ganz im Zeichen dieses Themas und förderte einen weiteren Rechtsruck zutage. Aus diesem Grunde haben unsere britischen GenossInnen von Red Flag beim Referendum für den Verbleib in der EU gestimmt, während ein Großteil der übrigen Linken im Vereinten Königreich (UK) für den Brexit eintrat und somit den entscheidenden Punkt im Kontext des Volksentscheids außer Acht ließ.

2 Jahre danach: Tories zerrissen

Im Oktober werden die Weichen über die Art des britischen Ausstiegs aus der EU gestellt. Alles was seit der Abstimmung in Britannien passierte, besonders die Zunahme rassistischer Angriffe, bekräftigt, dass das Votum zum Austritt einen ernstzunehmenden Fortschritt für die reaktionärsten Kräfte in der britischen Politik darstellt.

Die Premierministerin Theresa May kann bis jetzt ihre Partei zusammenhalten, indem sie die Rhetorik der Brexit-Hardliner öffentlich bekräftigt, während sie bei den aktuellen Verhandlungen mit der EU Zugeständnisse an allen Fronten machen muss. Viele Mitglieder in Kabinett und der Konservativen Partei hoffen auf einen akzeptablen Weg, um das Referendumsresultat umdrehen zu können. Ein Verschieben der endgültigen Entscheidung mittels „Übergangsperioden“ und „erweiterter Umsetzung“, ein Aussitzen also, erscheint ihnen als passende Option. Doch es gibt eine zweite: Das Vereinigte Königreich könnte am 29. März 2019 die EU ohne Abkommen verlassen. Dies wäre der sog. harte Brexit.

Seine BefürworterInnen wie David Davis sehen in diesem Szenario die Möglichkeit, mit dem Rest der Welt für Britannien vorteilhafte Verträge abschließen zu können. Auch wenn wir unterstellen, dass das so leicht möglich wäre, erhebt sich die Frage, wer davon profitieren könnte? Sicher nicht die Arbeitslosen und NiedriglöhnerInnen in den deindustrialisierten Regionen des Landes, sondern eine Schicht kleinen und mittleren Kapitals, die auf lokale Märkte orientiert und skeptisch gegenüber Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen wie anderen Einschränkungen ihrer Geschäfte ist. Das Großkapital kann außerhalb der EU auf einen bilateralen Deal z. B. mit den USA hoffen. Dieser wäre jedoch vor allem ein Geschenk für US-amerikanische Konzerne, die auf eine Übernahme und Privatisierung des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS spekulieren würden.

Die Brexit-Hardliner stellen zur Zeit nur eine vergleichsweise kleine Gruppe unter den konservativen ParlamentarierInnen. Sie haben keine Möglichkeit, eine Mehrheit unter den Tory-Abgeordneten gegen May zu finden. Aber mittels der reaktionären Presse können sie die WählerInnen und Mitgliedschaft aufzurütteln versuchen, so dass May sich auf Labourstimmen stützen muss oder eine Verhandlungsposition einnimmt, die die EU nur ablehnen kann und zum ungeordneten Rückzug aus ihr führen muss. Das neue Weißbuch Mays und der Rücktritt einiger Hardliner aus der Regierung (Boris Johnson, David Davis, Steve Baker) durchkreuzen diesen Plan jedoch einstweilen.

Britannien schlägt jetzt eine Freihandelszone für Fertig- und Agrarwaren vor, in der die existierenden Regeln weiter gelten sollen. Das würde einen Deal mit den USA, mittels dessen letztere den britischen Markt mit billigen Landwirtschaftsgütern überschwemmen könnten, unmöglich machen – ein wichtiges Zugeständnisse an die Brexit-SkeptikerInnen. Doch ob Mays Hybridmodell von der EU-Verhandlungskommission akzeptiert werden wird, erscheint fraglich. Es bedeutet schließlich eine Aufspaltung in freie Bewegung und einträchtige Regulation für Güter, aber nicht für Kapitaltransfers, Dienstleistungen und EU-Niederlassungsfreiheit inkl. freizügiger EU-Binnenmigration. Auf dem gemeinsamen Gipfel im Oktober werden die Würfel fallen, ob das Vereinte Königreich eine ähnliche Rolle im Verhältnis zur EU spielen kann wie Norwegen.

Brexit und Labour

Der rechte Flügel der Labour Party möchte eine auf die Bedürfnisse der herrschenden Klasse beschränkte Parlamentsdebatte um die Details (erweiterte) Zollunion, Einheitliche Europäische Akte oder Handelsblock. Auf dem Parteitag soll möglichst nicht kontrovers über den Brexit diskutiert werden. Das will auch der linke Parteiflügel nicht. Er ist zudem über der Frage gespalten. Ein Teil vertritt aktiv und offensiv einen Brexit unter Bezug auf das alte Programm der Stalinistinnen und des linken Labourflügels um Tony Benn aus den 1970er Jahren, „dem britischen Weg zum Sozialismus“.

Der andere Flügel besteht mehrheitlich aus AnhängerInnen eines „sanften“ Ausstiegs. Sie vertreten de facto Corbyns Position und sehen hinter jeder Kritik eine Schmälerung der Chancen auf einen Sieg bei möglichen vorgezogenen Parlamentswahlen. Diese Position vertritt mehrheitlich auch Momentum, die Sammlungsbewegung zur Unterstützung einer Labourregierung unter Corbyn. Doch in Momentum gibt es auch Opposition zur aktuellen „Lasst den Brexit geschehen!“-Position. Diese Minderheit fordert eine offene Debatte auf der Labourkonferenz im September und eine zweite Abstimmung über den Brexit, diesmal in Gestalt des Ergebnisses der Verhandlungen mit der EU.

Die offizielle Haltung Labours ist in dem Beschluss „Sechs Kriterien“ zusammengefasst. Die EU soll verlassen werden, gleichzeitig sollen aber alle Vorteile bleiben, die Zollunion und Gemeinsamer Binnenmarkt mit sich bringen. Bezüglich der Arbeit„nehmer“Innenfreizügigkeit fordert Labour „eine faire und geregelte Arbeitsmarktmigration“, also das Ende der Bewegungsfreiheit auch für EU-BürgerInnen. Es gibt also nur einen geringfügigen Unterschied zu Mays Hybridmodell. Die Parteivorstandsmehrheit weigert sich einzugestehen, dass die einzige Wahl nur die zwischen einem klaren Bruch mit allen Konsequenzen für Beschäftigung und Investitionen einerseits oder einer Opposition gegen den Brexit andererseits besteht, also einem Eintreten für ein Alternativmodell zur EU an der Seite der Einheit mit der europäischen ArbeiterInnenbewegung.

Red Flag

Inner- oder außerhalb der EU: eine Corbyn-Regierung fände ihren unversöhnlichsten Feind stets in der „eigenen“ herrschenden Klasse! Red Flag tritt für volle Debatte über den Brexit auf dem kommenden Labour-Parteitag ein und unterstützt eine Petition der Minderheit innerhalb Momentums. Ferner soll Labour gegen jedes Abkommen stimmen, das Großbritannien aus der EU entfernt.

Der Kampf gegen die reaktionäre Politik der EU wie ihrer Mitgliedsstaaten, für eine Alternative zum Brexit kann nicht nur im nationalen Rahmen geführt werden. Eine fortschrittliche Lösung kann nur in der gemeinsamen Aktion, im gemeinsamen Widerstand der europäischen ArbeiterInnenklasse erkämpft werden. Nur so kann der Kampf gegen Spardiktate, Militarismus und Imperialismus in Osteuropa und Afrika, gegen das Flüchtlingselend aufgenommen und verstärkt werden.

Eine sozialistische Vision für das 21. Jahrhundert kann nur reale Gestalt annehmen gemeinsam mit den anderen Lohnabhängigen Europas. Nur die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas können die Produktivkräfte und Ressourcen, die die kapitalistische EU geschaffen hat, weiterentwickeln, den Kontinent auf fortschrittliche Weise einen und mit Ausbeutung, Armut und Unterdrückung Schluss machen.




EU-Krise und die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Tobi Hansen, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Vorwort

Die EU ist in der Krise. Nicht erst seit gestern und sie wird nicht morgen beendet sein. Sie stellt nicht nur die AkteurInnen der herrschenden Klassen der EU-Länder vor große Probleme und zeigt die Begrenztheit der Fähigkeiten eines Cameron oder Johnson genauso auf wie die einer Merkel oder eines Hollande.

Sie stellt auch erhebliche Anforderungen an die antikapitalistischen und sozialistischen AktivistInnen und ihre Organisationen und Strukturen. Deshalb haben wir als Gruppe ArbeiterInnenmacht uns diesem Thema immer wieder gewidmet, sei es anlässlich der Austeritätspolitik, der Griechenlandkrise oder aktuell anlässlich der Situation der Geflüchteten in Europa.

Die EU ist kein gleicher Verbund freier Länder, sondern ein imperialistisches Projekt. Dieses Projekt in seiner Gesamtheit erlebt eine tiefe politische und ökonomische Krise. Ihre Tiefe ist nicht allein bedingt durch ökonomische Faktoren. Die Zuspitzung der politischen Krise birgt die Möglichkeit des kompletten Scheiterns des Projekts EU.

Die Häufung der Krisenhaftigkeit ist Produkt der imperialistischen Epoche selbst. Seit der Weltwirtschaftskrise 2007/08 trifft die Zuspitzung der imperialistischen Konkurrenz besonders das Projekt EU. Eine massive Austeritätspolitik wurde hier durchgesetzt, der deutsche Imperialismus unterwirft sich ökonomisch den Binnenmarkt und Währungsraum, dies trifft auf den Widerstand der ArbeiterInnenklasse, aber auch auf den Widerstand der unterworfenen europäischen Kapitalfraktionen und Nationen.

Die EU ist ein einmaliges Experiment der imperialistischen Epoche. Verschiedene nationale Bourgeoisien und deren Kapitalfraktionen agieren in einem gemeinsamen Markt, in einem transnationalen staatlichen Rahmen der EU-Bürokratie. Diese nationalen Bourgeoisien stehen dann auch in der ökonomischen Krise seit 2007/08 stärker in Konkurrenz zueinander. In der Krise verschärft sich der Verteilungskampf innerhalb dieser Gesamtkapitale und zwischen ihnen. Es gibt immer weniger Spielraum für eine „geordnete“ Konkurrenz, für einen „stabilen“ Kapitalismus oder andere demokratische und/oder soziale Illusionen, welche mit dem Kapitalismus zusammenhängen.

Dies ist auch die materielle Basis, auf der Nationalismus und Rassismus wachsen, die jede imperialistische Krise begleiten und auch heute in der EU wieder ein Massenphänomen darstellen.

Wenn also reformistische Kräfte wieder mal einen besseren oder stabileren Kapitalismus einfordern oder vorschlagen, wie Krisen zu vermeiden wären, so betreiben sie bewusste Täuschung. Stabilität im Kapitalismus und/oder in der EU, heißt nämlich nichts anderes als Stabilität, ausgehend von der Herrschaft eines Imperialismus, welcher allen anderen seine Profitbedingungen, Produktionsverhältnisse und seine Politik aufdrückt. Dies war im globalen Maßstab lange Zeit die Aufgabe der USA. Mit der EU versuchten sich Deutschland, Frankreich, und etwas weniger aktiv Großbritannien in dieser Rolle.

Besonders der deutsche Imperialismus hat sich als ökonomische Ordnungsmacht in der EU, speziell im Euro-Raum gestärkt. Die Marktmacht des deutschen Industrie- und Handelskapitals hat die europäischen Konkurrenten in die zweite und dritte Reihe eingeordnet. Im Gegensatz zu vorherigen imperialistischen Versuchen des deutschen Kapitals Europa unterzuordnen, muss aber diesmal eine „Kooperation“ mit anderen nationalen Gesamtkapitalen gesucht werden.

Dies geschieht durch ein Bündnis mit dem französischen Imperialismus, welcher an zweiter Stelle profitiert, allerdings ökonomisch gegenüber dem deutschen Imperialismus zurückgefallen ist, speziell seit dem gemeinsamen Euro-Währungsraum und derzeit unter Hollande gezwungen ist „deutsche“ Sozialangriffe auf die französischen Beschäftigten durchzuführen, um gegenüber dem deutschen Kapital wieder konkurrenzfähiger zu sein. Mit diesen Führungsmächten konkurrieren weitere imperialistische Kapitale wie die von Großbritannien, Italien, Niederlande, Spanien, Belgien, Österreich und die skandinavischen Staaten – allein diese Ansammlung verdeutlicht die inneren Schwierigkeiten und Konkurrenzen in der EU. Dazu kommen die direkt ökonomisch unterworfenen halbkolonialen Staaten Osteuropas, an denen alle westeuropäischen Imperialisten ihre Anteile haben und verwerten wollen, wie auch ein zum EU-Protektorat erniedrigtes Griechenland, dessen Kapital jede Sauerei gegen die ArbeiterInnenklasse zwar mitmacht, dessen Nationalstaat aber das schwächste Glied in der EU-Kette geworden ist.

Diese „Schwierigkeiten“ des kapitalistischen Europa haben es historisch schon zweimal zum inner-imperialistischen Schlachtfeld Nr. 1 werden lassen. An diesen Voraussetzungen hat sich nichts geändert, daher muss die ArbeiterInnenbewegung Antworten auf Krise, Nationalismus und Krieg liefern.

Unter KommunistInnen der Komintern bis Mitte der 20ziger Jahre war die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ die Lösung. Sie wird heute noch von vereinzelten trotzkoiden Strömungen aufrechterhalten. Wir wollen in diesem Artikel die Aktualität dieser Taktik herausarbeiten, ihre Bedeutung für eine revolutionäre Politik gegen eine imperialistische EU in den Kontext der historischen Erkenntnisse stellen.

Europa als Schlachtfeld des Imperialismus

Wir wollen keine längeren historischen Darlegungen hier machen, die Entwicklung von imperialistischen Weltkriegen ist eigene Artikel wert (siehe z. B. http://www.arbeitermacht.de/rm/rm46/ersterweltkrieg.htm).

Europa ist der Kontinent der alten kapitalistischen Mächte, auf dem sich die kapitalistische Wirtschaftsordnung erstmals durchgesetzt hat. Dies führte zu einer Vielfalt von Nationalstaaten und nationalen Kapitalgruppen. Es ist Folge dieser Entwicklung bzw. des Übergangs von der spätfeudalen zur bürgerlichen Ordnung, dass in Europa verschiedene kapitalistische Mächte groß wurden bzw. sich als imperialistische Mächte etablieren konnten. Das britische Weltreich, der kontinentale Aufstieg Frankreichs, die Handelsmacht Niederlande, der Aufstieg der Industriemacht Deutschlands, dazu die imperialistischen Ambitionen von Italien, Belgien und Spanien – die Etablierung des Kapitalismus in Europa prägt bis heute diese bunte Zusammenstellung von nationalen Bourgeoisien, Kapitalfraktionen und Staaten.

Auf dieser Grundlage konnten und mussten zwei Weltkriege auf diesem Kontinent ausbrechen. Zuviele imperialistische Akteure auf einem vergleichsweise kleinen Kontinent, die nationale Zersplitterung inklusive offener ethnischer Konflikte und fehlender nationaler Selbstbestimmung waren die Voraussetzung für die Kriegstreiberei der herrschenden Klasse. In Europa entwickelten sich in den verschiedenen Krisenperioden des Kapitalismus immer wieder starke nationalistische, rassistische und/oder antisemitische politische Strömungen, welche von Kapital und Kleinbürgertum getragen wurden, aber immer wieder auch auf die ArbeiterInnenklasse übergriffen. Bezahlen für den Krieg der Herrschenden aber mussten immer die Arbeitenden, die dafür in den Tod geschickt wurden. Die Lösung der imperialistischen Konkurrenz und Krise wurde von den kriegführenden herrschenden Klassen meist durch die militärische Niederwerfung und Besatzung der Konkurrenten bzw. des halbkolonialen Umlands gesucht. So drängten die europäischen imperialistischen Akteure, getrieben vom entwickelten Finanzkapital auf die Weltmärkte und Kontinente, unterwarfen sie sich und entwickelten Theorien von der Überlegenheit der „eigenen“ Rasse oder eines „Volks ohne Raum“.

Das ist die Grundlage für die historische zweimalige Zuspitzung der Gegensätze in Europa und für die Krisenhaftigkeit des heutigen Europa mit der Gefahr eines Zerbrechens der EU.

Am innerimperialistischen Hauptkonflikt sind heute im Vergleich zu den beiden Weltkriegen nicht mehr Europa oder einzelne seiner Staaten zentrale beteiligt. Die Vorstellung eines bewaffneten Konflikts zwischen den Hauptmächten Deutschland, Frankreich und Großbritannien um die Zukunft der EU ist kein aktuelles Szenario, wenn auch dies zukünftig nicht ausgeschlossen werden sollte.

Der Hauptgegensatz der heutigen zwischenimperialistischen Konkurrenz liegt auf beiden Seiten des Pazifik. Die Frage, welche Macht letztlich die Ordnungsmacht im ökonomisch aufstrebenden Asien wird bzw. bleibt, ist die Kernfrage der kommenden Periode. Hier treffen die USA, China, Japan, Russland, Südkorea aufeinander, aufstrebende Mächte und Märkte wie Indien, Indonesien, Thailand und Vietnam betreten die Bühne und auch Australien ist involviert. Der „Hauptwiderspruch“, nicht nur dieser Region, sondern auch der globalen imperialistischen „Ordnung“ liegt zwischen der bisherigen Führungsmacht USA und dem aufstrebenden Konkurrenten China.

In Europa gelten aber weiterhin die imperialistischen Gegensätze und wir treten jetzt in eine Periode ein, in der sie wieder offener auftreten und zu Destabilisierung und Krise führen. Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb 1923 zur damaligen Krise in Europa, was auch für die aktuelle Lage als Ansatzpunkt dienen kann:

„Die treibende Kraft an diesem Kriege waren kapitalistische Produktivkräfte, die über den Rahmen der europäischen Nationalstaaten hinausgewachsen sind. Deutschland stellte sich die Aufgabe, Europa zu „organisieren“, d. h. den europäischen Kontinent unter seiner Leitung wirtschaftlich zu vereinigen, um später den eigentlichen Kampf mit England um die Weltherrschaft zu beginnen. Frankreich machte sich zur Aufgabe, Deutschland zu zersplittern. Die geringe Bevölkerung Frankreichs, ihr vorwiegend agrarischer Charakter und der Konservatismus seiner Wirtschaftsformen machen es der französischen Bourgeoisie unmöglich, an das Problem – Europa zu organisieren – auch nur heranzutreten, dessen Lösungsversuch dem mit der Kriegsmaschine der Hohenzollern ausgerüsteten deutschen Kapitalismus das Rückgrat gebrochen hat.“ (1)

Die Hauptfrage „Wer organisiert Europa?“ haben Deutschland und Frankreich mit der Einführung gemeinsamer Währung und einheitlichen Binnenmarktes zu beantworten versucht, Großbritannien bleibt Co-Macht mit eigener Währung. Die EU ist vor allem für den deutschen Imperialismus Sprungbrett seiner globalen Ambitionen. Die Produktivkräfte des deutschen Imperialismus beherrschen den europäischen Markt, speziell den Euro-Raum. Gemeinsam mit dem französischen Imperialismus wurde die EU-Bürokratie aufgebaut und in den letzten Jahren der Schuldenkrise ein Austeritätsregime für ganz Europa installiert. Es gab und gibt massive Sozialangriffe auf die ArbeiterInnenklasse, die Kosten der Krise wurden verlagert auf die Klasse, Millionen wurden in die Arbeitslosigkeit geschickt wie auch Millionen von Beschäftigungsverhältnissen weiter prekarisiert und pauperisiert wurden. Die Finanzierung der jeweiligen Staatshaushalte ist in dieser EU abhängig von der Kreditvergabe der EZB wie auch teilweise des IWF – in der Krise organisierte vor allem der deutsche Imperialismus die EU nach seinen Verwertungsinteressen. In der Politik der EZB finden wir allerdings auch die gegensätzlichen Interessen der unterschiedlichen nationalen Bourgeoisien. Die Finanzierung der Staatsanleihen via EZB seit Beginn 2015, die mit monatlich 80 Mrd. Euro unterstützt werden, waren nicht im Interesse des deutschen Imperialismus. Hier konnten sich die „vereinigten“ Interessen der anderen imperialistischen Staaten und Kapitale durchsetzen, welche die EZB zur Finanzierung aller Staatsanleihen und Finanzmärkte heranziehen wollen.

Diese Krise führt einerseits zu einem generalisierten Angriff auf die sozialen Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse, wie seit der letzten Wirtschaftskrise in den 1930iger Jahren nicht mehr erlebt, aber zum anderen auch zu einer offeneren Dominanz des deutschen Imperialismus als je nach dem Ende des 2. Weltkriegs.

Je offener Krise und Herrschaftsanspruch des deutschen Imperialismus auftreten, desto offener gelangt auch die Konkurrenz zu den anderen imperialistischen Mächten zu Tage und desto stärker müssen diese sich des deutschen Imperialismus erwehren, um ihre ureigensten imperialistischen Interessen zu bewahren und durchzusetzen.

Hier trifft die ungleichzeitige und kombinierte Entwicklung des Kapitalismus und seiner Klassenkräfte zu. Die aktuelle EU ist Spiegelbild dieser Gesetzmäßigkeit.

Nationalismus und Rassismus im Schatten der Krise

Im Rahmen der sog.  „Flüchtlingskrise“ konnten wir feststellen wie z. B. Österreich auf der „Westbalkankonferenz“ den Nicht-EU-Staat Mazedonien als neuen Grenzposten installiert und dadurch wieder Ordnungsmacht auf dem Balkan spielt – die Republik Österreich überträgt faktisch die ungarische Grenzpolitik auf den ganzen Balkan.

Überhaupt ist der Balkan, wie auch Südosteuropa, wieder Sinnbild des Versuchs der Einflussnahme verschiedener imperialistischer Mächte auf diese Region. Die EU ist bemüht nach Slowenien und Kroatien auch den Rest des ehemaligen Jugoslawien ökonomisch einzugliedern, ebenso wie die „privilegierten“ Partnerschaften mit der Ukraine und Georgien bspw. aufzeigen, dass sie weitere ehemalige Republiken der UdSSR als ökonomisch unterworfene Peripherie in ihr Herrschaftsgebiet aufnehmen will. Schwieriger gestaltet sich das Verhältnis zur aufstrebenden Halbkolonie Türkei, die derzeit vehement Regionalmachtansprüche stellt. Durch den schmutzigen und rassistischen Flüchtlingsdeal mit der EU, welcher sie jetzt als „Schleuserstaat“ installiert, nimmt sie indirekt Einfluss auf die europäische Politik und versucht ihren Einfluss auf dem Balkan zu erhöhen und mittels der EU ihre Rolle als Mittelmeer -und Regionalmacht zu stärken.

Das EU-Protektorat Griechenland ist weiterhin das schwächste Glied der europäischen Kette. Das Spar- und Kürzungsregime unter Tsipras ruiniert die griechische Volkswirtschaft, lässt die griechische Regierung offen für russischen Einfluss werden, wie auch der russische Imperialismus „traditionell“ zu Bulgarien und Serbien gute Beziehungen pflegt und als Konkurrent gegenüber der EU auftritt. Die Regierungskrise in Montenegro, der aktuelle Rechtsschwenk der kroatischen Regierung, die offen nationalistisch-rassistische Politik Ungarns: der Balkan ist derzeit nicht allein „Transitzone“ der Flüchtlinge, sondern auch Spiegel der Instabilität der EU.

Im Zuge der Wirtschaftskrise wuchsen die rechtspopulistischen, nationalistischen, rassistischen und offen faschistischen Kräfte in der gesamten EU. Die EU-Dekrete und EZB/IWF-Kahlschlagspolitik trieben Millionen in die Armut und bereiteten den Boden für die verschiedenen rechten Parteien und Bewegungen. Der soziale Angriff auf die lohnabhängigen Mittelschichten, die verstärkte Konkurrenz innerhalb der kleinbürgerlichen Schichten, die „Proletarisierung“ verschiedener kleinbürgerlicher Berufsgruppen sind Voraussetzung für ihre politische Radikalisierung. In allen Fällen gab es auch vor der „Flüchtlingskrise“ rassistische Ausfälle, meistens gegenüber „dem Islam“, aber auch gegen Südeuropäer oder sog. „Wirtschaftsflüchtlinge“.

Mit der „Flüchtlingskrise“ hat sich diese Situation weiter verschärft, die rechten Akteure betreiben offen soziale Hetze gegen die Flüchtlinge, versuchen die einheimische Bevölkerung gegen diese in Stellung zu bringen.

Der Verteilungskampf spitzt sich zu während der Krise, hier ist auch das Potenzial für rassistische und nationalistische Hetze vorhanden. Das Kapital kennt nur eine Krisenlösung, nämlich die möglichst hohe Entwertung und Entrechtung der Ware Arbeitskraft wie auch die Vernichtung und Zerschlagung von Produktionsmitteln und Kapazitäten der Konkurrenz. Daher sind Nationalismus und Rassismus zwei ideologische Mittel des Kapitals und der kleinbürgerlichen Schichten, diesen Kampf gegen die Arbeitsbedingungen des Proletariats aufzunehmen und es zugleich für die Kriege des Kapitals einzuspannen.

Der Rückzug aus der EU ist die Option der „geschlagenen“ imperialistischen Mächte bzw. derjenigen, die der deutsch-französischen Übermacht immer weniger entgegenzusetzen haben. Auf der anderen Seite ist speziell das deutsche Großkapital an einer weiteren Vertiefung der EU interessiert. Vertiefung heißt hier nichts anderes als weitergehende Unterwerfung. Wiederum andere Kapitalfraktionen der imperialistischen Staaten sind abhängig von der und angewiesen auf die EU. Diese stellen die besten Verbündeten des deutschen Imperialismus.

Eine andere Lösung kann dieses System nicht bieten, zu einer anderen Politik ist diese Ordnung nicht in der Lage, in dieser Hinsicht können wir von historischen Wiederholungen sprechen, die imperialistische Krise und Zuspitzung trifft ein drittes Mal Europa.

ArbeiterInnenklasse, politische Führung und die Frage der Taktik

In solchen Krisen haben die traditionellen Organisationen der ArbeiterInnenbewegung zweimal historisch versagt und konnten nicht verhindern, dass die Ausgebeuteten auf den Schlachtfeldern der Ausbeuter geopfert wurden. Während des 1. Weltkrieges konnte aber eine Partei der ArbeiterInnenbewegung in Europa den imperialistischen Krieg zum Krieg gegen den Imperialismus wenden. Im Jahr 2017 können wir 100 Jahre Oktoberrevolution feiern. Die Bolschewiki führten die Revolution gegen Zarentum, Krieg und Kapital an. Damit setzten sie auch eine neue Entwicklung in der ArbeiterInnenbewegung in Gang, die Bildung von kommunistischen Parteien und Kommunistischer Internationale. In dieser Phase entwickelten die Komintern und ihre Parteien eine Reihe von Taktiken, Analysen und Strategien im Kampf gegen den Imperialismus und die bürgerliche Führung innerhalb der ArbeiterInnenbewegung, gegen die reformistischen und sozialchauvinistischen Organisationen der 2. Internationale. Europa war der Kontinent, auf dem die meisten revolutionären Hoffnungen dieser Zeit ruhten. Hier war die ArbeiterInnenklasse stark organisiert, waren kommunistische Massenparteien aktiv und traten die Widersprüche der imperialistischen Krise und der bürgerlichen ArbeiterInnenpolitik offen zu Tage. Der Faschismus bestieg ebenfalls die politische Bühne, die „Alternativen“ trafen quasi offen aufeinander: entweder sozialistische Lösung und Revolution für Europa oder „Neuauflage“ des 1. Weltkrieges, diesmal mit den Faschisten als führender Kraft!

Die Taktiken und Methoden der frühen Komintern sollten die bürgerlichen Akteure in der ArbeiterInnenbewegung herausfordern und letztlich Teile der Klasse für eine revolutionäre Politik gewinnen, auch hier sind die objektiven Aufgaben heute ähnlich gestellt, allerdings ohne Massenparteien der KommunistInnen. Aber die Taktik der ArbeiterInneneinheitsfront, der ArbeiterInnen- (und Ba(e)uerInnenregierung) und die Losung „Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa“ behalten in der Krisenperiode des Imperialismus ihre Aktualität.

Die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“

So hieß ein bedeutender Text von Trotzki aus dem Jahre 1923 zur Frage der Perspektive der europäischen Revolution. Den Titel könnten wir heute uneingeschränkt übernehmen, ist doch die Fragestellung und politische Perspektive heute in vieler Hinsicht noch augenscheinlicher als damals. Gemeinsam haben die Jahre 1923 und 2016, dass die imperialistische Entwicklung Europas die arbeitenden Klassen ausbeutet, in Konkurrenz zueinander setzt, Armut und Verwahrlosung breiter Teile der Klassen organisiert und nicht fähig ist, diesem Kontinent eine fortschrittliche soziale und ökonomische Perspektive zu bieten. Deutliche Unterschiede müssen natürlich auch festgestellt werden, da 1923 die Kriegsgefahr ganz aktuell brodelte, die Ruhrbesetzung durch französische und belgische Truppen, welche damit die Reparationsforderungen Frankreichs untermauerten, die Wiederholung eines europäischen Kriegen ganz konkret androhte. Heute droht kein innereuropäischer Krieg direkt, sondern der Zerfall der EU.

Die Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ wie auch die der „Balkanföderation“, die die 2. Internationale 1910 aufgestellt hat, beziehen sich konkret auf die Überwindung des Nationalstaates als Perspektive, die dem wohl berühmtesten Satz der revolutionären ArbeiterInnenbewegung, „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ Ausdruck geben soll. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass diese Losungen in der Zeit unmittelbar vor dem ersten imperialistischen Krieg aufkamen. So zeigten die Balkankriege, dass die imperialistischen Großmächte (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich, Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Osmanisches Reich) sie nutzen, um ihren Einfluss zu stärken, die Staaten Griechenland, Serbien, Bulgarien und Rumänien ständigen Konflikten ausgesetzt waren, die quasi die Blaupause für den direkten Krieg der Großmächte abgaben. Zur Überwindung des Einflusses der Großmächte, welche mit ihren willigen nationalen Verbündeten Südosteuropa in den Krieg führten, entwickelte die 2. Internationale die Losung der „Vereinigten Balkanföderation“, welche alle nationalen und kulturellen Eigenheiten integrieren sollte, damit diese, obwohl in der Hand des Kapitals, nicht erneut für Nationalismus und Krieg verwendet werden konnten.

Wenn wir heute die EU betrachten, dann kommen wir an der dominanten Rolle des deutschen Imperialismus nicht vorbei, ist die EU in ihrer Entstehung und mit ihrer „EG“-Vorgeschichte doch vor allem ein kombiniertes Projekt des deutschen und des französischen Imperialismus. Zu dieser Möglichkeit einer europäischen Ordnung von „oben“ schrieb Trotzki bereits 1915 in dem Text „Das Friedensprogramm“:

„Unter diesen Bedingungen ist ein einigermaßen vollständiger wirtschaftlicher Zusammenschluss Europas von oben herab, durch Verständigung zwischen kapitalistischen Regierungen eine Utopie. Weiter als zu Teilkompromissen und halben Maßnahmen kann hier die Sache niemals kommen. Daher wird eine wirtschaftliche Vereinigung Europas, welche sowohl für die Produzenten wie für die Konsumenten und für die kulturelle Entwicklung überhaupt von größtem Vorteil ist, zu einer revolutionären Aufgabe des europäischen Proletariats in seinem Kampf gegen den imperialistischen Protektionismus und dessen Waffe, den Militarismus.“ (2)

Zu diesem Zusammenhang noch folgendes Zitat:

„Auf dem europäischen Markt aber schließt jede Erweiterung des englischen Absatzes eine Verringerung des deutschen und französischen in sich, und umgekehrt. Das letztere kommt immer häufiger vor: der Export Deutschlands und Frankreichs schlägt dem Export Großbritanniens tiefe Wunden. Der europäische Markt erweitert sich nicht. Innerhalb bestimmter Grenzen vollziehen sich Verschiebungen in der einen oder anderen Richtung.“ (3)

Zur Bestimmung von Europa:

„Europa ist kein geographischer Terminus, sondern ein wirtschaftlicher, der, zumal unter den gegenwärtigen Nachkriegsverhältnissen etwas weit konkreteres ist, als der Terminus Weltmarkt. Wenn wir schon lange gewohnt sind, die Notwendigkeit einer Föderation der Balkanhalbinsel einzusehen, so wird es allmählich an der Zeit, auch das balkanisierte Europa im selben Lichte zu sehen.“ (4)

Diese Ausgangslage der Zitate beschreibt treffend die aktuelle Verfasstheit der EU. Die heutige EU ist ein „imperialistisches“ Projekt von oben und zwar der vorherrschenden deutschen und französischen Kapitale, von denen sich die „übrigen“ Gesamtkapitale Vorteile versprachen. Schließlich sind alle imperialistischen Akteure daran interessiert, die EU für ihre Ambitionen auf dem Weltmarkt zu nutzen und gegen die Interessen und Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse einzusetzen.

Wir haben Anführungszeichen gesetzt, da hier oft ein Hauptmissverständnis in der aktuellen Analyse der EU vorliegt. Es gibt keinen geeinten EU-Imperialismus, wie es auch keine europäische Bourgeoisie gibt, daher bleibt die EU weiterhin ein Projekt verschiedener imperialistischer Akteure und Interessen. Selbst das deutsche und französische Großkapital, welche in vielen Bereichen stärker fusionierten im letzten Jahrzehnt (Raum- und Luftfahrt, Rüstung, Pharma) ist kein geeintes, sondern durchzogen von tiefer Konkurrenz und dem deutschen Versuch sich das französische Großkapital unterzuordnen. Als der Mischkonzern Alstom 2014 zum Verkauf stand, war natürlich der deutsche Monopolist Siemens erster Bieter, sicherlich mit dem Ziel diesen noch vorhandenen europäischen Konkurrenten auszuschlachten. Auf Intervention der französischen Regierung wurde aber dann der US-Konkurrent General Electric als „weißer Ritter“ gefeiert, welcher dann Anteile von Alstom übernahm.

Die imperialistischen Kapitalverbände haben „Teilkompromisse“ und viele „halbe Maßnahmen“ durchgeführt, um zumindest ihre Interessen gegenüber der ArbeiterInnenklasse in Europa festzulegen. Dabei mussten sie eine europäische Ordnung installieren, die in vielen Bereichen den nationalen Rahmen des Kapitalismus sprengt und andeutet wie denn eine „wirtschaftliche Vereinigung“ aussehen könnte, welche real zum Vorteil der Produzenten und Konsumenten dienlich wäre.

Die aktuelle Verfasstheit der EU

Ökonomisch ist die EU an der „Agenda von Lissabon“ gescheitert. Die USA konnten nicht als Wirtschaftsraum und Markt Nr. 1 abgelöst werden. Die Weltwirtschaftskrise seit 2007/08 hatte der EU einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nach 15 Jahren der Euro-Einführung befinden sich große Teile in der Stagnation und haben Jahre der Rezession hinter sich. Unter der Dominanz der imperialistischen Kapitalverbände haben sich weite Teile Osteuropas und Südeuropas als Halbkolonien in der EU manifestiert. Die Lage Griechenlands als de facto Protektorat von EU, EZB und IWF zeigt das tiefe Gefälle innerhalb des Binnenmarktes. Dies ist die Folge der „freien“ Konkurrenz bzw. des unbeschränkten Marktzugangs der imperialistischen Kapitale. Die Tatsache, dass das deutsche Industrie- und Handelskapital überall in Konkurrenz zu den anderen nationalen Bourgeoisien treten konnte, ebenso das britische, französische und italienische Kreditkapital überall Investitionen und Kredite steuerten, im Binnenmarkt wüten konnten, ist die Erklärung für die tiefe ökonomische und soziale Krise der EU. Die Formelkompromisse dieser herrschenden Kapitalverbände wurden auf dem Rücken der europäischen ArbeiterInnenklasse ausgetragen, wie auch eine wirtschaftliche Vereinigung Europas nur unter der Konkurrenz jener vonstatten geht und somit wenig Vorteile für Produzenten (ArbeiterInnen) und Konsumenten brachte, aber für die vorherrschenden nationalen Bourgeoisien mehr Profite und Marktanteile.

So konnte der deutsche Imperialismus den europäischen Markt lange Zeit ohne militärische Knute unterwerfen, wie im 1. und 2. Weltkrieg versucht. Diese „friedliche“ Unterwerfung des Binnenmarktes hat aber nicht zu einer Angleichung oder Befriedung der Gegensätze im Lager des Kapitals geführt – im Gegenteil, hier wachsen die Unterschiede und Spannungen an, als Folge einer Ordnung von „oben“.

Jedes nationale Gesamtkapital und dessen Fraktionen können soviel „EU“ mittragen, wie es ihren Interessen nützt. So unterstützt auch die griechische Bourgeoisie jede Maßnahme der „Troika“, weil sie damit tiefe einschneidende Angriffe auf die griechische ArbeiterInnenklasse durchführen kann, die zuvor oft vom griechischen Proletariat zurückgeschlagen wurden. Ähnliches lässt sich von allen anderen Bourgeoisien sagen. So ist die Austeritätspolitik seit der Schuldenkrise ein stetiger „Tanz auf der Rasierklinge“ geworden, welchen der deutsche Imperialismus mit Bravour erledigte, hatte dieser doch mit der „Agenda 2010“, der Schaffung eines großen Niedriglohnsektors schon entscheidende Angriffe auf die deutsche ArbeiterInnenklasse bewerkstelligt. Die anderen Kapitalfraktionen, wie aktuell die französische, stellt diese aber vor massiven Herausforderungen, wie die Auseinandersetzungen um das Arbeitsgesetz El Khomris beweisen.

Die stetige Konkurrenz und die damit einhergehende weitere Konzentration und Monopolisierung zu Gunsten der imperialistischen Akteure bewirkt aber auch, dass die Ambitionen und Interessen der übrigen Bourgeoisien immer weiter geschmälert werden, diese nur noch in Abhängigkeit von und direkter ökonomischer Unterwerfung unter eine dieser imperialistischen Bourgeoisien ihre Existenz als Vasallenbourgeoisie weiterführen können. Auch die Ambitionen einiger imperialistischer Fraktionen werden geschmälert (Italien, Spanien). Die britische Bourgeoisie ist derzeit darüber gespalten, auf welchem Weg die eigenen Ambitionen besser bewerkstelligt werden können: als Teil der EU oder eben nicht.

EU nach außen

Sichtbar wird dieses aktuelle „Auseinanderdriften“ der herrschenden Kapitalverbände gerade im Bereich der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Deren Mangel ist ein Hauptwiderspruch innerhalb der „Ordnung von oben“ in der EU. Zwar gibt es gemeinsame Rüstungsvorhaben wie den „Eurofighter“ und militärische Zusammenarbeit einzelner Staaten im Rahmen der WEU. Allerdings ist die EU 2016 weit davon entfernt, als ein gemeinsamer imperialistischer Block aufzutreten, mit gemeinsamen Sicherheitsinteressen und vor allem einer gemeinsamen Strategie. Deutlich wird dies z. B. im Konflikt mit Russland um die Ukraine. Während Deutschland strukturell an einem Ausgleich mit Russland interessiert ist, derzeit durch Außenminister Steinmeier sogar NATO-Manöver an der EU-Ostgrenze als „Säbelrasseln“ kritisieren lässt, sind Großbritannien und viele osteuropäische Staaten treue Gefolgsleute der US-Politik gegenüber Russland. Hier sehen wir deutlich, was zu einer politischen Vereinigung der EU fehlt und dass es eben kein gemeinsames imperialistisches Agieren der EU geben kann, solange weiterhin Nationalstaaten mit nationalen Kapitalinteressen innerhalb der EU ihre Politik betreiben wollen. Dies konnte die EU auch samt ihrer Bürokratie eben nicht überwinden, dies würde nur durch eine direkte Unterwerfung der Nationalstaaten geschehen.

In der aktuellen „Brexit“-Debatte sahen sich konservative deutsche EU-Parlamentarier auch genötigt, mal wieder offensiver die Idee und Forderung nach einer europäischen Armee aufzustellen. Diesmal mit der offensichtlichsten aller möglichen Begründungen, da könnte man ja Geld sparen, schließlich bräuchten dann die einzelnen Staaten keine eigenen Armeen mehr. Diese Pseudoargumente verdecken natürlich die eigentlichen Interessen des deutschen Imperialismus, welcher eine Armee unter EU-Kontrolle, d. h. v. a. unter eigener, aufbauen will. Dies würde zwangsläufig das alleinige Kommando Frankreichs über seine Atombomben und Flugzeugträger in Frage stellen wie auch die NATO herausfordern. Auch in diesem Bereich zeigt sich die gesamte Widersprüchlichkeit des EU-Projekts. Sicherlich hat speziell Frankreich Erfahrungen damit, sich nicht unter das militärische Kommando der NATO einzuordnen. Auf der anderen Seite wäre aber der Verlust des Oberbefehls über die Atombomben ein herber Schlag für den französischen Imperialismus und seine globalen Ambitionen. So könnte Deutschland mit einer möglichen französischen Präsidentin Le Pen sicher vortrefflich Unterstützung gegen die US-Dominanz innerhalb der NATO gewinnen, bei der Aufstellung einer EU-Armee müssten dann aber schon alle Stäbe in Paris sitzen, damit der Front National dies überhaupt in Erwägung zöge. Die Außen- und Sicherheitspolitik bzw. der Militarismus der verschiedenen imperialistischen Staaten haben innere Grenzen, die nicht aufgegeben werden können in einem EU Projekt.

Ebenso ist die USA als NATO-Führungsmacht ein ganz „natürliches“ Hindernis innerhalb der westlichen imperialistischen Wirklichkeit. Ohne die NATO und vor allem ohne den US-Militarismus ist jegliche kriegerische Intervention des Westens eigentlich zum Scheitern verurteilt, speziell der deutsche Imperialismus ist auf die militärischen „Partner“ USA, Großbritannien oder Frankreich angewiesen. Die Lage in Libyen ist ein Beispiel für fehlenden EU-Militarismus und -Imperialismus. Wurde die sogenannte „Übergangsregierung“ zwar aus willigen Exilpolitikern von der EU zusammengewürfelt, so scheitert die Amtsübernahme doch ganz konkret an der militärischen Situation. Derzeit sichern zwei Fregatten der EU die Regierung im Hafen von Misrata. Diese EU kann nicht als „Ordnungsmacht“ auftreten, zumindest nicht in dem Maße wie die USA in Afghanistan und Irak. Dies aber wäre mitentscheidend dafür, ob die EU ein geeinter imperialistischer Block wird.

Der Einfluss der USA als NATO-Führungsmacht bedroht ganz klar die Ambitionen des deutschen und französischen Imperialismus in der EU. Hier gibt es stets eine „offene Flanke“, welche die USA zur Untermauerung ihres Führungsanspruchs nutzt. Dies ist auch das Mittel der USA, um die konkurrierenden europäischen imperialistischen Bourgeoisien unter Kontrolle zu halten bzw. strategisch auch in der kommenden Periode an sich zu binden – zum US Militarismus gibt es derzeit keine Alternative innerhalb des westlichen „Blocks“.

EU nach außen heißt aber auch „Assoziierungsabkommen“ mit Staaten der Peripherie, heißt ökonomische Expansion. Wie am Beispiel Ukraine, Georgiens oder Serbiens sichtbar, ist die EU weiterhin interessiert weitere Märkte zu unterwerfen und dort die Markthoheit zu erlangen. Dort handelt dann sie etwas wie ein „Superstaat“, indem sie einfach die gebündelten Interessen der Großkapitalfraktionen umsetzt. Hier gehören der Balkan, die Staaten der ehemaligen UdSSR, aber auch der sog. Mittelmeerraum (inkl. Nordafrika, Naher und Mittlerer Osten) zu den „Zielmärkten“ der EU. Hier treten dann die „europäischen“ Bourgeoisien in den direkten Konkurrenzkampf mit den USA, China und Russland.

Die Funktion der EU-Bürokratie

Als eine der wichtigsten Anforderungen an einen gemeinsamen Wirtschaftsraum beschreibt L. Trotzki in seinen Texten die Überwindung der Zollschranken, welche Europa spalten und ihrerseits nur eine Schutzfunktion des jeweiligen nationalen Kapitals darstellen. In dieser Hinsicht wie auch der Verwaltung einer europäischen Wirtschaft zeigt sich inwieweit der Kapitalismus die nationalen Grenzen sprengt, weil er nicht mehr im nationalen Rahmen funktionieren kann. Die Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, welcher bislang in der europäischen Geschichte meist ein Produkt des Krieges war, wie das Zollbündnis im 1. Weltkrieg (Deutsches Reich, Österreich-Ungarn und Osmanisches Reich), ist objektiv im Interesse der ArbeiterInnenklasse Europas, aber freilich nicht unter den aktuellen Bedingungen. Bei der Gestaltung des Binnenmarktes und den Anforderungen an Produktion, Distribution, Konsumtion und Reproduktion handelte die EU allein im Interesse der exportierenden Kapitalfraktionen.

So ist es natürlich sinnvoll in einem gemeinsamen Markt bestimmte Vorschriften und Gemeinsamkeiten für Transport, Logistik und Buchhaltung zu entwickeln. Diese Funktionen der EU-Bürokratie weisen darauf hin, dass eine gemeinsame Planung und Verwaltung nötig ist und diese sogar gegen nationale Kapitale durchgesetzt werden muss, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum zu strukturieren.

Wenn wir uns kurz eine nichtkapitalistische, sozialistische Wirtschaftsordnung für diesen Kontinent vorstellen wollen, dann wäre klar, dass diese auch gemeinsame Regelungen, Vorschriften und Vereinbarungen bräuchte. Das bekannte Beispiel der Normung europäischer Gurken, welches von kleinbürgerlichen und Konservativen stets als Beispiel der „Überregulierung“ benannt wird, macht natürlich volkswirtschaftlich Sinn, wenn wir wollen, dass eine vergleichbare Menge Gurken in allen Transportkisten des Kontinents vorhanden ist, welches der Planbarkeit natürlich hilft. Dies gilt natürlich auch für die Angleichung und Verknüpfung der europäischen Logistik-, Transport- und Produktionsketten: zu was das Großkapital in seinen Konzernen gezwungen ist, macht natürlich auch Sinn für jede Form einer sozialistischen Planwirtschaft.

Was eine Verwaltung Europas, die nach Bedürfnissen und Erfordernissen einer Planwirtschaft agieren würde, zusätzlich machen müsste, ist darstellbar an der anarchischen Ordnung der kapitalistischen Produktion. Die europäischen Bourgeoisien verteilen die Produktionsketten nach ihren Maßstäben, d. h. nach Profitrate, niedrigen Löhnen und Steuerlast und einer im Verhältnis dazu hohen Produktivität (z. B. Verlagerungen in die Slowakei, nach Estland). Dies führt zu einer Konzentration der Industrieproduktion in Europa wie auf der anderen Seite zu einem Kahlschlag (Großbritannien, Portugal). Für eine sozialistische Planwirtschaft würde dieses kaum Sinn machen. Dort müssten eine europäische „Verwaltung der Dinge“ bzw. ein europäischer ArbeiterInnenrat sicher andere Maßstäbe zur Verteilung der Produktion, Forschung und Dienstleistung anlegen. So macht es auch volkswirtschaftlich wenig Sinn, dass z. B. Maschinenbau, Pharmazeutika, Automobilindustrie, Luft- und Raumfahrt, IT, Chemie  u. a. so konzentriert werden, dass diese in einigen europäischen Wirtschaftsräumen kaum vorkommen. Das wäre dann die epochale Weiterentwicklung einer europäischen Planung, wenn Produktion, Dienstleistung und Distribution nach den Erfordernissen der arbeitenden Klasse geordnet und verteilt werden und eben nicht nach den Profiterwartungen der Kapitalplaner.

Natürlich ist die derzeitige Bürokratie ein Konstrukt der kombinierten Kapitalinteressen, speziell der deutschen, französischen und, wenn es um Ausnahmen geht, der britischen – wie auch die anderen imperialistischen Kapitalinteressen aus Italien, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Österreich und den skandinavischen Staaten berücksichtigt werden müssen.

Dementsprechend ist jede objektiv fortschrittliche Errungenschaft der EU nur ein „Nebenprodukt“ bzw. aus dem Zwang zur Überwindung einiger Aspekte der Nationalstaaten und Nationalwirtschaft entstanden. Die Bewegungsfreiheit des europäischen Proletariats ist ein Beispiel dafür wie auch das „offene“ Grenzregime innerhalb Europas eine Folge dieser Zwänge ist.

Natürlich wollen die nationalen Bourgeoisien das Proletariat gegeneinander ausspielen, möglichst viel Konkurrenz und Lohndumping herbeiführen und benutzen dafür die EU-Bürokratie und die sog. „Freizügigkeit“. Wie es aber bei Gesellschaftssystemen so ist, hat dies auch weitergehende Implikationen. Das europäische Proletariat kann in der Lage sein ein gemeinsames Bewusstsein zu entwickeln, kann gegen die „EU der Bosse“ ein „Europa der ArbeiterInnen“ propagieren, kann gegen die Kapitalistenklasse auf diesem Kontinent gemeinsam vorgehen. Die europaweite Ausbeutung zwingt sogar Teile der Gewerkschaftsbürokratie für europaweite Regelungen, Rechte und Schutzklauseln einzutreten, da das europäische Proletariat nämlich gegenüber den europäischen Bourgeoisien auch eigene Rechte und Forderungen braucht und sei es nur zum Schutz der im nationalen Rahmen erkämpften Rechte.

Der Kapitalismus herrscht seit langem in Europa und hat diesen ökonomischen Raum gebildet und dessen Produktivkräfte soweit entwickelt, wie es unter ihm nur möglich war. Doch diese Nationalstaaten wurden zu eng für den Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche.

Zum Verhältnis von Staat, Nation und Wirtschaft schrieb Trotzki im Juli 1915:

„Der Staat ist seinem Wesen nach ein ökonomisches System, er wird gezwungen sein, sich an die Bedürfnisse der wirtschaftlichen Entwicklung anzupassen. Die Stelle des separaten Nationalstaates wird zwangsläufig eine ausgedehnte demokratische Föderation fortgeschrittener Staaten einnehmen müssen, die darauf beruht, dass jegliche Zollschranken beseitigt sind. Die nationale Gemeinschaft, die aus den Bedürfnissen der kulturellen Entwicklung resultiert, wird dadurch nicht nur nicht aufgelöst, sondern im Gegenteil: Nur auf der Basis einer republikanischen Föderation fortgeschrittener Länder wird sie ihre Vollendung finden können. Die dafür erforderlichen Bedingungen setzen voraus, dass die Schranken der Nation von den Schranken der Wirtschaft befreit werden und umgekehrt. Die Wirtschaft schließt sich auf dem ausgedehnten Raum der Vereinigten Staaten von Europa zusammen und bildet das Kernstück der Weltwirtschaft. Als politische Form kommt nur eine republikanische Föderation in Frage, in deren flexiblem und elastischem Rahmen jede Nation mit größtmöglicher Freiheit ihre kulturellen Potenzen entfalten kann.“ (5)

Im Gegensatz zur rein nationalstaatlichen Ordnung ist auch eine kapitalistische, bürgerlich-demokratisch ausgerichtete Föderation eine fortschrittliche Entwicklung. Dies wird oft von Kritikern der EU vergessen, welche sich gerne an der Oberfläche aufhalten, die EU für jede Schandtat der imperialistischen Kapitale verantwortlich machen und bspw. von rechter Warte aus dann vom „EU-Superstaat“ fabulieren, der ihnen die „heilige Nation“ nimmt. Speziell von den „linken“ EU-Gegnern wird dabei Ursache und Wirkung durcheinander gebracht. Um es deutlich zu sagen: weder EU-Parlament noch -Kommission oder andere EU-Institutionen sind die Ursache für Austeritätspolitik oder rassistisches Grenzregime, sondern Handlanger, Befehlsempfänger der vorherrschenden Bourgeoisien und Regierungen.

Die EU ist somit kein eigenständiger imperialistischer Akteur, es gibt in dieser Form keinen „EU-Imperialismus“, sondern nur eine Bündelung national-imperialistischer Schnittmengen beim Aufbau transnationaler bürokratischer Strukturen, welche auch nur eine gewisse politische Souveränität und Führung mit beinhalten. Daher sind auch alle Vermutungen à la „Superstaat“ grundfalsch, wie sie gerne von den „linken“ Kritikern der EU ins Feld geführt werden. Hier herrscht eben kein „Ultraimperialismus“, wie ihn Kautsky für die Zeit nach dem 1. Weltkrieg erhoffte. Nach dieser Theorie sollte die Monopolisierung des Kapitals die Widersprüche und Konkurrenz friedlich überwinden können. Ebenso kam bei Kautsky dem Staat eine besondere Bedeutung zu, da die Monopole in der Krise auf den Staat angewiesen sind, konnte der Staat in der Krise die Monopole unter Kontrolle bringen und letztlich in Staatsunternehmen umwandeln. So versuchte die 2. Internationale die imperialistische Konkurrenz, Zuspitzung und eben auch den Krieg wegzutheoretisieren. Die Realität der EU heute sieht genau anders aus. Im Gegensatz dazu glauben die „linken“ EU-GegnerInnen, dass es einen EU-Imperialismus gibt, geben damit aber Kautskys revisionistischer Ultraimperialismustheorie recht, gegen die Lenin ebenso nachdrücklich wie methodisch gewettert hatte. Nur: was bei Kautsky ein frommer Wunsch war, nehmen sie als dessen negativ besetzte Verwirklichung. Am methodischen gemeinsamen Boden ändert das nichts!

Die nationale Trennung der Bourgeoisien bleibt erhalten, auch wenn diese z. B. gemeinsame Konzerne à la Airbus oder Royal Dutch Shell besitzen. In der EU gelten weiterhin die Gesetze der imperialistischen Epoche, welche auch in der Monopolbildung eben nicht die Konkurrenz abschwächen, sondern auf globale Ebene heben, verstärken und zuspitzen.

Es ist das „Besondere“ an der kapitalistischen EU, dass hier eben mehrere Tendenzen gleichzeitig wirken: Zuspitzung und Verschärfung der Konkurrenz in der imperialistischen Epoche; der Versuch politischer Vereinheitlichung/Bürokratisierung durch vorherrschende Bourgeoisien; Verschärfung von Krise und Spaltung.

In der Hinsicht unterscheidet sich die EU eben von jeder x-beliebigen Freihandelszone. Hier wurde eine „politische“ Verwaltung zur Bündelung und Umsetzung der imperialistischen Interessen aufgebaut. Die EU ist ein halbfertiges Gebilde mit dem Problem, dass es unter kapitalistischen Bedingungen eben nicht zu „Ende“ gebaut werden kann. Unter kapitalistischen Bedingungen gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder die EU zerbricht entlang nationaler Grenzen inklusive einer möglicher verschiedener neuer Blockbildungen in Europa oder aber die deutsch-französische Vorherrschaft wird weiter vertieft, welche in sich aber auch den möglichen Bruch zwischen Deutschland und Frankreich beinhalten könnte. Ein vereintes Europa im Interesse der Produzenten, Konsumenten und MigrantInnen fertig zu bauen, dies kann nur die ArbeiterInnenklasse, dies kann nur durch eine sozialistische Umgestaltung erfolgen, eben durch den Kampf für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.

Daher ist ein Kampf gegen die kapitalistische EU und deren Bürokratie stets ein Kampf zur Zerschlagung dieser bürgerlichen (Halb-) Staatlichkeit und muss zusammengehen mit dem Kampf für eine europäische Rätedemokratie auf den Trümmern des gescheiterten kapitalistischen Projektes des Europa des Kapitals. Nur auf dieser Ebene kann die ArbeiterInnenbewegung eine Antwort auf das Scheitern der aktuellen EU geben.

Die Aktualität der Parole für die Sozialistischen Staaten von Europa 2016

Die Herleitung dieser Parole ist geknüpft an die Zuspitzung der imperialistischen Krise und was diese für Auswirkungen auf Europa hatte und zukünftig haben kann. Die kapitalistische EU zeigt den Übergangscharakter der imperialistischen Epoche deutlich auf, in der eine revolutionäre Politik gefordert ist, dies zum Ausgangspunkt ihrer Taktiken und Rückschlüsse zu machen. Von daher muss ein europäischer Klassenkampf eben diesen Kampf gegen die Ansammlung der europäischen Bourgeoisien in der EU zum Ausgangspunkt seiner Politik machen. Dies ist die Methode eines Programms von Übergangsforderungen, welches die Diktatur des Proletariats zum Ziel hat. Um nicht mehr oder weniger geht es dabei!

Die aktuelle Krise der EU verschärft diese Notwendigkeit nochmals, jetzt liegen die Alternativen klar auf den Tisch.

Bei Rosa Luxemburg hieß das: „Sozialismus oder Barbarei“. Diese Alternative stellt sich auch für die kommende Periode der EU. Verschiedene Schichten des Kapitals und besonders des Kleinbürgertums orientieren ihre Krisenlösung auf die Verwendung des Nationalismus, des Rassismus und wenn nötig des offenen Faschismus. Es ist letztlich die „Logik“ der kapitalistischen Konkurrenz, welche mit neuen ideologischen Gewändern den Angriff auf die ArbeiterInnenklasse forciert, mit Blut, Boden und Rasse die Ware Arbeitskraft in den „Sklavenstatus“ drücken und unliebsame Konkurrenz ausschalten will.

Für eine antikapitalistische und sozialistische ArbeiterInnenpolitik muss aber die Krise Ausgangspunkt ihrer Taktik sein, um eben die Ansammlung der Bourgeoisien angreifen zu können, bevor diese sich in eine neue Blockbildung zurückziehen. Für die Bourgeoisien ist dieser Rückzug kein größeres Problem an sich, für das europäische Proletariat kann aber eine historische Chance verstreichen.

„Es ist kein Zufall, daß die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa trotz aller Vorurteile gerade im Jahre 1923 angenommen wurde, als man den Ausbruch der Revolution in Deutschland erwartete, und als die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen den Staaten Europas brennend wurde. Jede neue Verschärfung der europäischen, oder noch mehr, der Weltkrise, die stark genug sein wird, um die politischen Grundprobleme auf die Oberfläche zu bringen, wird unbedingt die Empfänglichkeit für die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa steigern. Darum ist es grundfalsch, daß man diese Parole, ohne sie abzulehnen, im Programm verschweigt und sie irgendwo in Reserve hält – so für alle Fälle. Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (6)

Welche „Reserven“ die aktuellen sozialistischen, selbsternannten revolutionären Strömungen haben, gilt es am Beispiel des „Brexit“ genauer nachzuvollziehen. Hier wollen noch den Zusammenhang zur sog. „Flüchtlingskrise“, dem europäischen Grenzregime darstellen. Die „offenen“ Grenzen, welche zuvorderst für Waren, Dienstleistungen und Investitionen geschaffen wurden, waren seit Herbst 2015 Beispiel für den Übergangscharakter der EU, der aktuellen Periode/Situation und die Möglichkeiten einer revolutionären Politik in diesem Zusammenhang. Nicht allein das zusammengebrochene Grenzregime der EU hätte großes Potential einer revolutionären Politik, nein, auch die soziale Frage dahinter war eine sehr gute Vorlage für eine konsequente antirassistische und sozialistische Taktik und Politik.

Wer für die Geflüchteten aufkommt, unter welchen Bedingungen diese später hier bleiben und arbeiten sollen, hätte direkt die Frage nach den europäischen Sozialstandards aufgeworfen wie auch nach der Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe und deren Bezahlung.

Wenn eine „radikale“ Linke solche Fragen nicht beantworten will bzw. sich vor der sozialen Frage scheut, dann kann das Proletariat auch nicht für den Antirassismus gewonnen werden. Dafür braucht es mehr als „humanistische“ Beweggründe. Diese bringen nämlich dem deutschen Niedriglöhner nichts, daher brauchen wir eine Klassenantwort auf eine Klassenfrage.

Als die Geflüchteten den illusorischen Charakter eines offenen Grenzregimes deutlich machten, war dies optimale Ausgangsbasis für ein Programm der ArbeiterInnenklasse für die Geflüchteten in Europa. Dann wäre es und ist es weiterhin entscheidend, die sozialen Fragen im Sinne des europäischen Proletariats zu beantworten.

Die Fragen der Löhne, des Kampfes gegen jeden neuen Niedriglohnsektor, der mit den Geflüchteten aufgemacht werden soll (in Deutschland Arbeitsplätze/Integration), für die Heranziehung der Bourgeoisie für die Kosten von Unterbringung, Förderung und Integration, für eine „Integration“ in die europäische ArbeiterInnenklasse stehen im Vordergrund. Dieser Kampf muss in Europa zentral geführt werden, gegen die verschiedenen nationalen Abschottungsstrategien, gegen „Westbalkan“-Konferenzen unter Führung Österreichs, die ungarische Politik durchsetzen und gegen eine EU, die unter Merkels Führung einen schmutzigen Deal mit der Türkei unternimmt. Während EU und EZB gar nicht mehr wissen, wie viel gedrucktes Geld in die Finanzmärkte gepumpt werden muss, aktuell der italienische Finanzsektor wohl kurz vorm Zusammenbruch steht, müsste eine europäische ArbeiterInnenbewegung eben für die Geflüchteten und deren Unterstützung und Integration die Finanzmittel dort einfordern. Hier, im europäischen Rahmen wäre auch der Kampf für die Beibehaltung der inneren offenen und Beseitigung der äußeren Grenzen, für die Bewegungsfreiheit der Geflüchteten und für ihre vollen staatsbürgerlichen Rechte zu führen.

Stattdessen unternimmt z. B. der deutsche Staat alles, um neue Konkurrenz zu schaffen. Während der Hartz-IV-Arbeitslose den 1-Euro-Job bekommt, wenn die Linkspartei mitregiert, sogar 1,50 Euro pro Stunde, wird diese Zwangsarbeit für den Geflüchteten zu einem 80-Cent-Job und zu einem Abschiebegrund, sollte er diesen ablehnen oder nicht befriedigend erfüllen. Der offiziöse Reformismus blinkt derzeit auch teilweise nach rechts, etwa wenn Wagenknecht von der Linkspartei populistisch und rassistisch agiert („Wer sein Gastrecht verwirkt, muss abgeschoben werden“) oder SPD Chef Gabriel vor den diesjährigen Landtagswahlen einfällt, dass doch was für die armen Deutschen getan werden müsste.

Genau hier müsste aber eine revolutionäre Politik ansetzen, in den Organisationen der ArbeiterInnenklasse für Solidarität mit den Geflüchteten eintreten, die über Spenden für „Welcome“-Initiativen hinausgeht und eine reale, praktische Politik als Klassensolidarität propagiert und einfordert. In dem Zusammenhang wäre auch der Kampf gegen das Grenzregime der britischen Insel zu führen, welches zu katastrophalen Zuständen auf der anderen Seite des Ärmelkanals führt. Dies würde dann in einer bürgerlich-demokratischen Föderation eher passieren und gäbe der ArbeiterInnenbewegung die Möglichkeit zusammen mit den Geflüchteten den aufkommenden rassistischen und nationalistischen Bewegungen des Bürgertums eine starke proletarische Antwort zu geben.

Doch anstelle eine solche Politik zu propagieren, fanden wir beim britischen Referendum auch linke Stimmen, die einen Zerfall der EU vorziehen, statt für ein sozialistisches Programm gemäß ihres Übergangscharakter einzutreten, lieber dem Populismus gegen Brüssel folgen und dabei den rechtspopulistischen Kampagnen und Akteuren noch einen „linken“ Beigeschmack verliehen haben.

Der „Brexit“ – die reaktionäre Antwort des Kapitals

Die Entscheidung für den „Brexit“ in Großbritannien ist ein Sinnbild der imperialistischen wie auch der strukturellen Krise der EU. Sicherlich ist das Ausscheiden Großbritanniens ein herber Schlag für die Ambitionen der EU, vor allem für die des deutschen und französischen Imperialismus. Es geht die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, eine der beiden europäischen Atommächte, eine der Führungsmächte, allerdings diejenige, die sich stets mit allen Mitteln gegen die politische Vertiefung bzw. Führung wehrte. Dies ist eine Niederlage für die EU, dies steht außer Zweifel. Allerdings existierte schon vorher eine strukturelle Krise, davon ist der „Brexit“ nur ein Ausdruck. Anzunehmen, dass die EU nur durch den „Brexit“ in eine Krise geraten wäre und deswegen dieser auch aus linker Sicht zu rechtfertigen ist, ist eine gefährliche Illusion.

Die führenden Teile des „Leave“-Lagers waren die enttäuschten und radikalisierten Schichten des britischen (speziell englischen) Kleinbürgertums, welche bei den Tories starken Einfluss gewonnen  und somit Ex-Premier Cameron zur Volksabstimmung gezwungen hatten. So war der neue Außenminister Johnson der Chefagitator der „Brexit“-Kampagne, welche ebenfalls von UKIP und Britain First, also den Rechtspopulisten und Rassisten. stark unterstützt bzw. getragen wurde.

Diese Kräfte versprachen den „Verlierern“ der EU, also den kleinbürgerlichen Schichten, denen die Konkurrenz sozialen Abstieg beschert hat, wie auch den großen Teilen der britischen ArbeiterInnenklasse, welche durch Immobilienkrise, Deindustrialisierung und massive Sozialkürzungen ebenso einen sozialen Abstieg erlebt hatten: „Alles wird besser, wenn Großbritannien den Exit wählt!“. Slogans à la „Make Britain great again“ wurden gepaart mit rassistischer Propaganda gegen die ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten. Hier setzte die „Brexit“ Kampagne ein klassisches Beispiel von rassistischer Spaltung mit sozialen Versprechen, wie so oft in Zeiten einer tiefen imperialistischen Krise. Versprochen wurde, dass die Gelder für die EU nun in das Gesundheitssystem NHS umgeleitet werden, wenn Großbritannien erst mal raus ist, wieder mehr Geld für die Briten da wäre. Es war auch nicht verwunderlich, dass nach Jahren und Jahrzehnten des Abstiegs bestimmter sozialer Schichten solche Versprechen gut ankamen. Schon am Tag nach dem Referendum bemühte sich Farage (UKIP) diese „Missverständnisse“ auszuräumen. Dieselben politischen Kreise, die eher für eine Zerschlagung und Privatisierung des NHS stehen, waren zumindest nach dem Referendum „ehrlicher“ als zuvor.

Nach dem Referendum stieg die Zahl der rassistisch motivierten Straftaten enorm an. Die britischen Nazis von BNP und EDL (British National Party, English Defence League), welche sich bei Britain First tummeln, träumen von Massenabschiebungen und Deportationslagern, vor allem für die osteuropäischen (speziell polnische) ArbeitsmigrantInnen. Was diese Rassisten nicht verstehen werden und wozu sie jetzt auch noch keine Macht haben, ist, dass die britische Bourgeoisie, das Großkapital ein enormes Interesse an den ArbeitsmigrantInnen hat. Eine Massenabschiebung wäre ein massives ökonomisches Problem für Großbritannien und würde auch andere besser bezahlte Arbeitsplätze gefährden.

Dementsprechend wird die eilig zusammengewürfelte neue Tory-Regierung unter Ministerpräsidentin May versuchen, diese Vorteile des EU-Binnenmarkts für das britische Kapital zu retten, wie auch klar sein dürfte, dass Einschnitte, Kürzungen und mögliche Sanktionen seitens der EU zuallererst von der ArbeiterInnenklasse Großbritanniens getragen werden müssen. Für das britische Großkapital war die EU eine ihrer letzten verbliebenen Basen, um ihre globalen Ambitionen auszuüben. Sicherlich ist das britische Finanzkapital seit den Tagen des Commonwealth global aufgestellt, besonders durch die enge Verknüpfung mit dem US-Imperialismus. Um aber 2016 die eigenen imperialistischen Ambitionen aufrechtzuerhalten, ist die EU und sind vor allem die osteuropäischen und skandinavischen Märkte von entscheidender Bedeutung. Allerdings spielt die EU auch eine zwiespältige Rolle für die weitere Entwicklung des britischen Imperialismus. Je tiefer und dichter die ökonomische Vorherrschaft des deutschen Imperialismus sich auswirkt, je stärker die deutsch-französische Vorherrschaft in der EU-Bürokratie wird, desto mehr gefährdet dies die Pfründe des britischen Imperialismus.

Es gehört auch zu den „Treppenwitzen“ der aktuellen Periode, dass ein Sieg der Rechtspopulisten und Konservativen den Bestand des Vereinigten Königreichs selbst massiv gefährdet. Die schottische Regionalregierung kündigte ein weiteres Unabhängigkeitsreferendum an, mit dem Ziel dann als eigenständiges Schottland in der EU zu bleiben. Dies gilt auch für ein mögliches Referendum in Nordirland über eine „Wiedervereinigung“ der irischen Insel. Diese Auswirkungen des „Brexit“ stellen die neue Regierung wie auch den britischen Imperialismus insgesamt vor hohe Herausforderungen.

Unter diesen Bedingungen der zugespitzten inneren Krise der herrschenden Partei der britischen Bourgeoisie wie auch des britischen Imperialismus gegenüber der EU darf die ArbeiterInnenklasse Großbritanniens sich nicht zum Anhängsel dieses Konfliktes und der Krise machen. Den Riss innerhalb der britischen Bourgeoisie, zwischen dem Großkapital und dem Kleinbürgertum, welche sehr unterschiedlich die EU brauchen, davon profitieren bzw. durch die gesteigerte Konkurrenz in den Ruin getrieben werden, muss das Proletariat für eine eigenständige Politik nutzen. Für eine Politik, welche auf den europäischen Klassenkampf setzt, sich gemeinsam mit den ArbeitsmigrantInnen und Geflüchteten solidarisiert und für diesen gemeinsamen Kampf eintritt gegen die nationale Bourgeoisie wie auch deren europäische Kompagnons. Dafür haben die linken Unterstützer des „Brexit“ reichlich wenig getan außer ein sehr kurzfristiges, populistisches und illusorisches Verständnis vom „Brexit“ zu propagieren.

Das linke Verständnis von „Brexit“ und der EU

Teile der linken „Brexit“-Befürworter wie die SWP (Socialist Workers Party/ in Deutschland: marx21) oder die SP (Socialist Party/ in Deutschland: SAV), beide hierzulande in der Linkspartei aktiv, sahen den „Brexit“ als Auslöser einer-EU Krise, welche von linker Seite zu unterstützen wäre, wie auch der Ausgang nun als „Sieg“ oder Möglichkeit für die Linke verklärt wird.

In tiefer marxistischer Einsicht stellten diese fest, dass diese EU eine des Kapitals sei und tun fast so, als wäre dies nicht seit Beginn der EU/EG völlig klar gewesen. Besonders die deutsche SAV, welche sich mit ihrem letzten Statement (7) bemüht zu erklären, dass die Behauptungen des Reformismus (so ist das in der deutschen Linkspartei), die EU sei ein Friedensprojekt und vom Internationalismus geprägt, nicht stimmen.

Diese Erkenntnis sagt noch relativ wenig darüber aus, wie denn mit dieser kapitalistischen EU umzugehen ist.

Hierzu ein Zitat aus einem Artikel der SAV:

„Aber die Frage, wie die Linke es mit der EU hält, ist von größter Bedeutung. Um zu verhindern, dass die berechtigte Anti-EU-Stimmung auch in anderen Ländern von rechtspopulistischen und rassistischen Kräften ausgenutzt werden kann, muss die Linke eine klare und unzweideutige Haltung gegen die EU der Banken und Konzerne einnehmen. In einigen Linksparteien hat ein solcher Diskussionsprozess begonnen. So hat zum Beispiel der portugiesische Linksblock, der in der Vergangenheit eine eher unkritische Haltung zur EU einnahm, sich nun deutlich gegen die EU ausgesprochen. Eine Ablehnung der EU muss aber einhergehen mit dem Aufzeigen einer positiven Alternative jenseits von kapitalistischer EU und kapitalistischem Nationalstaat – einem Europa der Arbeiterinnen und Arbeiter, einer freiwilligen sozialistischen Föderation der europäischen Staaten“ (8).

Die Frage, wie denn eine sozialistische, antikapitalistische Linke für ein sozialistisches Europa kämpft, wird hier mit dem „Aufzeigen einer positiven Alternative“ beantwortet. Dies ist doch bei allem beschworenen Marxismus eine eher dünne Suppe, schließlich müsste doch die Frage lauten wie die kapitalistische EU zerschlagen werden kann, damit ein „Europa der ArbeiterInnen“-Realität entstehen kann. Richtigerweise wird zum Charakter der EU festgehalten:

„Wie zum Beispiel der ‚Lexit‘-Aufruf zurecht sagt, ist die EU „kein neutrales Spielfeld“. Sie ist kein Gefäß, das mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden kann. Sie ist ein Vertragswerk kapitalistischer Staaten und bringt die Interessen der herrschenden Klassen dieser Staaten zum Ausdruck. Sie ist ein Club der Bosse und Bänker (und ihrer politischen VertreterInnen) – und das war sie schon immer.“ (9)

Nun ist aber die Frage, was denn gegen diese EU getan werden muss? Genau wie der kapitalistische Nationalstaat kann sie eben auch nicht einfach reformiert werden. (Was nicht ausschließen darf für Reformen im Sinne der ArbeiterInnenklasse zu kämpfen.) Nach der Methode von SAV und SWP soll zuerst die kapitalistische EU zerfallen, damit dann als Alternative das „Europa von unten“ aufgebaut werden kann. In früheren Artikeln wurden sogar bessere Kampfmöglichkeiten für die Linke Europas durch den „Brexit“ beschworen. (10)

Hier wäre es hilfreich zumindest einmal zu erwähnen, was die ArbeiterInnenklasse denn gegen diese EU machen soll, warum für ein Europa der ArbeiterInnen die Zerschlagung dieser kapitalistischen EU die Voraussetzung sein muss.

Bei aller gerechtfertigten Darstellung und Polemik gegen die EU, der Auflistung ihrer kapitalfreundlichen Politik (große Überraschung…) wird in diesem „linken“ „Brexit“-Lager eine entscheidende Kategorie stets vergessen: Die EU ist Produkt der imperialistischen Epoche, der materiellen Zwänge, denen die nationalen gesellschaftlichen Gesamtkapitale wie deren einzelne Fraktionen unterworfen sind. Sie waren und sind gezwungen, den Nationalstaat zu überwinden, einen gemeinsamen Markt aufzubauen, Zollschranken niederzureißen, ja selbst das innereuropäische Grenzregime aufzulösen. Die Zwänge der imperialistischen Epoche waren stets die Bedingung dafür, dass in methodisch-analytisch glanzvolleren Zeiten der ArbeiterInnenbewegung die TheoretikerInnen von einer unmittelbar bevorstehenden nächsten gesellschaftlichen Stufe überhaupt sprechen konnten, auf der der Sozialismus bereits an die Tür klopft und „nur“ die imperialistischen Hindernisse beseitigt werden müssen, um der Entfaltung aller Produktivkräfte einen Dienst zu tun, sprich das Kapital, die besitzende Klasse zu stürzen und aus dem Europa der vorherrschenden imperialistischen Kapitale ein Europa der ArbeiterInnen zu machen. Die klassische Imperialismustheorie v. a. Lenins fasste diese Epoche als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus, als Übergangsregime zum Sozialismus. In ihr stellte sich die Alternative „Sozialismus oder Barbarei“ als aktuelle!

Diese Entwicklung der Produktivkräfte der imperialistischen Epoche lässt sich eben nicht zurückdrehen, diese stößt immer mehr an die Grenzen der „Nationalökonomie“, reißt deren Grenzen und Gebilde nieder, die Aufgabe des Proletariats ist es, darauf eine internationalistische Antwort zu geben, diese Entwicklung sich selbst zu Nutzen zu machen – dann kann die Parole „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ eine politische Richtschnur werden.

Diese Kategorie der Einschätzung der aktuellen Epoche und was denn die europäischen Bourgeoisien als „Krisenlösung“ parat haben und vor allem, wie eine sozialistische revolutionäre Alternative aussieht, fehlt bei den „Lexit“-Befürwortern, stattdessen verklären sie im Nachgang die aktuelle Auseinandersetzung in der Labour Party als positives Produkt des „Brexit“.

„Meine These ist: Das Zusammenbringen aller linken Kräfte (innerhalb und außerhalb von Labour) durch Corbyn und eine offensive Kampagne für Neuwahlen und für eine Labour Party mit klarem Anti-Austeritäts-Programm, könnte Corbyn zum Sieger des Machtkampfes innerhalb von Labour und zu Großbritanniens nächstem Premierminister machen. Das wäre ein Horrorszenario für den britischen und EU-Kapitalismus – und eine potenzielle Wirkung des ‚Brexit‘. Auch die Gewerkschaftsführungen könnten dafür sorgen, dass sich der Wind dreht.“ (11)

Genosse Stanicic von der SAV erklärt nun, dass der Putschversuch der Mehrheit der Parlamentsfraktion von Labour eine potenzielle Wirkung des „Brexit“ gewesen ist, während in alten Artikeln noch Corbyn kritisiert wurde, nicht entschieden das „Brexit“-Lager anzuführen. (12) Aber gute zentristische Schule ist es, die Realität den eigenen Taktiken anzugleichen. Ein Machtkampf in der Labour Party war unausweichlich, das haben die letzten Monate seit Corbyns Wahl deutlich gezeigt. Es war allein die Frage, wann und aus welchem Vorwand heraus der rechte Flügel in die Offensive geht, sei es nun der „Brexit“ oder „Trident“ (atomare Bewaffnung der U-Boot-Flotte).  Innerhalb und außerhalb ist dabei auch eine wichtige Kategorie für den CWI (Committee for a Workers‘ International): während sie in Deutschland in der Linkspartei auf den Massenaufschwung warten und bis dahin mit Posten und Einfluss in dem Jugendverband und etwas Parteivorstand zufrieden sind, reicht es in Großbritannien außerhalb der Massen der Labour Party zu agieren und in der Allianz aus einigen sozialistischen Gruppierungen und Gewerkschaften namens TUSC zu werkeln.

Anti-Euro als internationalistische Alternative zur Rettung der Demokratie?

Als neueste Initiative der EU/Euro-GegnerInnen wurde ein „’Lexit‘-Netzwerk“ organisiert, welches von führenden linken ReformistInnen und ZentristInnen gegründet wurde, u. a. aus der Linkspartei (De Masi, Höger), der Syriza-Abspaltung Laiki Enotita mit Lapavitsas, Soziologen à la Streeck und Attac-Aktivisten wie Wahl. Sie stellen fest, ähnlich der SAV und SWP, dass die EU kein „neutrales Spielfeld“ sei und deswegen die Linke vor allem eine Alternative zur Währung entwickeln müsste. Dies deckt sich mit Vorschlägen aus Griechenland mit dem „freiwilligen Grexit “ als Lösung aller Probleme, aber auch mit der EU-Gegnerschaft eines Oskar Lafontaine.

Als Aufrufüberschrift wurde das äußerst zwiespältige „Demokratie und Souveränität statt neoliberaler Integration und gescheitertem Euro-System“ gewählt.

Wie schon bei der „Grexit“-Diskussion ist diese Anti-EU-Perspektive eine sehr kurzfristige und schürt die Illusion, als sei mit der Abschaffung des Euro schon irgendein Kapitalismus geschlagen worden in Europa, werden die Erscheinungsform und die Ursache bewusst durcheinander gebracht.

Sicherlich ist die Währung ein Mittel im Kapitalismus, um überhaupt Handel, Investitionen und Subventionen zu tätigen und natürlich ist es für einen Wirtschaftsraum sinnvoll ein einheitliches Wertmaß anzugeben, das wäre auch bei jeder anderen Wirtschaftsform der Fall. Problematisch werden diese Begründungen, wenn der Währung, der äußeren Erscheinungsform alle „Sauereien“ des Kapitalismus zugeschoben werden, ohne die Grundfragen dieser Ordnung, den Besitz an Produktionsmitteln, die Verfügungsgewalt und die Profit-Aneignung erwähnt zu haben.

Dazu das „Lexit“-Netzwerk:

„Politisch zwingt der Euro seine Mitglieder in einen verschärften Wettbewerb, in dem jedes Land seine wirtschaftliche Position nur durch politische Maßnahmen gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit und zugunsten des internationalen Kapitals verbessern kann. So schafft er eine Abwärtsspirale, die Löhne, Renten, Sozialleistungen, öffentliche Beschäftigung, öffentliche Investitionen etc. nach unten drückt“ (13).

Mit einer solchen Argumentation könnten wir auch für die Abschaffung des Binnenmarktes sein, schließlich zwingt dieser auch den teilnehmenden Unternehmen/Volkswirtschaften den gemeinsamen Wettbewerb auf. Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Bevölkerungsmehrheit und dem internationalen Kapital (ebenso wie die Rolle des nationalen Kapitals), und dass „erst“ der Euro die Länder (14) zwingt Politik für das Kapital zu machen. Welch mangelhaftes Verständnis hier vom globalen Kapitalismus dargestellt wird ist schon erstaunlich. Im Umkehrschluss würde dies die schlimmste Form von reformistischer Verkürzung mit sich bringen, eine nationalbornierte Sicht auf die Dinge wie die Globalisierung sei Schuld an der steigenden Konkurrenz und Ausbeutung und deswegen verweigern wir uns ihr und preisen den Nationalstaat bzw. den Rückzug auf dessen Währung als Fortschritt.

Wir können an dieser Stelle nicht alle Einzelheiten der Imperialismustheorie darstellen und gehen sogar davon aus, dass einige der UnterzeichnerInnen diese sogar kennen. Aber die Entwicklung des Kapitalismus führt dazu, dass die Bourgeoisien international gegeneinander in Konkurrenz treten, diese die „Weltarena“ erobern wollen und sich „Kapitalblöcke“ bilden, die sehr wohl mehr „Macht“ konzentrieren als manch Land mit seiner Regierung zusammen. Lenin, sogar schon Hilferding (der den Unterzeichnern sicherlich näher stehen würde), beschrieben die Konzentration und Monopolisierung als Voraussetzung für die Entstehung der Kartelle und Trusts (Hilferding) und als international agierendes Finanzkapital (Lenin), welches eben zur Aufgabe hat, die Interessen des Kapitals gegen die „Bevölkerungsmehrheit“ durchzusetzen und alle Errungenschaften der ArbeiterInnenklasse anzugreifen – das ist Kapitalismus auf höchster Stufe, diese imperialistische Epoche prägt derzeit alle gesellschaftlichen Beziehungen.

In dieser Epoche ist auch herzlich egal, in welcher Recheneinheit das Kapital agiert. Ein EU-Austritt bzw. Anti-Euro-Kampagne ändern gar nix am Imperialismus und den Interessen des Kapitals wie auch dessen Auswirkungen auf Staaten und Bevölkerungsmehrheiten.

Während dieses Netzwerk (15) also den rechtspopulistischen Anti-EU-Kampagnen eine Alternative entgegenstellen will, versucht es „halbherzig“ eines von deren Versprechen für sich zu reklamieren, nämlich die Souveränität. Es ist die alte Mär, speziell der nationalkonservativen „Kapitalismuskritik“, dass die Souveränität des Nationalstaats vor der „unsichtbaren“ Macht der Märkte zu schützen sei. Hier wurde immer Tür und Tor für jede ach so verkürzte und antisemitische Kapitalismuskritik geöffnet, dies wollen wir dem Netzwerk nicht unterstellen.

Was ist denn heute Souveränität? Ist der Staatsbürger souverän, wie es manche Verfassung oder Grundgesetz ausmalen – sind die Nationalstaaten souverän, wie es die nationalistischen Flügel gerne einfordern, für wen gilt die Souveränität denn eigentlich?

Souverän im Sinne von Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, dies gilt im bürgerlichen Regime vor allem für die herrschende Klasse (16), für den Nationalstaat bzw. dessen Institutionen sollte dies vor allem gegenüber dem Feudalsystem gelten, gegenüber dem Kapital ist dies nicht möglich, ist doch der Nationalstaat ein „Produkt“ des Kapitals. Für welche Bestandteile eine eigenständige, souveräne Politik wünschenswert wäre, wird auch erwähnt:

„Letztlich reflektiert die Idee eines demokratischen, föderalen europäischen Bundesstaates auch nicht die ungleichen Kräfteverhältnisse zwischen den Mitgliedern. Gerade vor diesem Hintergrund wäre eine starke europäische Zivilgesellschaft erforderlich. Aber die gibt es nicht. Und sie kann auch nicht mal eben von oben eingesetzt werden“ (17).

Jetzt sind bei den Unterzeichnern viele dabei, die vielleicht beim Begriff „Zivilgesellschaft“ an die ArbeiterInnenklasse Europas denken mögen, es ist aber ebenso bezeichnend diese nicht zu benennen und stattdessen das „Trojanische Pferd“ der „neutralen“ Klassenzusammensetzung zu bringen. Sehr sicher wäre es eben die Aufgabe dieser europäischen Linksparteien, Gewerkschaften und vielleicht auch manch Akademikers und/oder NGO, eben etwas für eine „starke europäische Zivilgesellschaft“ zu tun und sei es auch „nur“ für die lohnabhängigen Teile davon, ein Programm gegen ein Europa des Kapitals zu entwickeln. Stattdessen wird konstatiert, dass es dort Schwächen gibt. Man spricht erst gar nicht von den möglicherweise vorhandenen gemeinsamen Interessen der lohnabhängigen Beschäftigten und Mittelschichten in Europa bzw. davon, von was für einer Politik diese wirklich profitieren würden. Anstelle dessen wird die Gemeinschaftswährung als Haupthindernis wahrgenommen!

Dieser methodische und programmatische Mangel lässt sich am griechischen Beispiel wahrscheinlich mit dem „Horizont“ erklären, den die Verfasser zur Änderung der Politik in der EU gemein haben:

„Wie die Ereignisse in Griechenland im Sommer 2015 deutlich gezeigt haben, ist die Governance-Struktur der Eurozone nicht offen für politische Maßnahmen, die dem ausdrücklichen Mehrheitswillen der Menschen folgen, sofern dieser der neoliberalen Agenda zuwider läuft. Als die Syriza-Regierung, gestärkt durch das OXI-Referendum, versuchte ihr Programm umzusetzen, hat die EZB ihre finanziellen Waffen genutzt, um die Regierung zur Kapitulation und zur Unterzeichnung eines weiteren Memorandums zu zwingen.“ (18)

Sieh mal einer an, die EZB verfügt über finanzielle Waffen und die setzt sie sogar gegen einen Nationalstaat ein, so eine Sauerei aber auch – das eigentlich Beschämende daran ist, dass die Autoren so tun, als wäre das erst 2015 passiert. Das Technokratenregime von Papademos, der 2011 die PASOK-Alleinregierung (19) ersetzte, oder auch die Regierung Monti in Italien, die den eher unbeliebten Berlusconi ablöste, dies war bereits die geballte Macht der EU-Bürokratie (inkl. EZB) und vor allem des dahinter stehenden deutschen und französischen Imperialismus.

Wenn wir uns die Begrifflichkeiten „Governance“-Struktur und Mehrheitswillen anschauen, merken wir, dass hier Grundlagen eines sozialistischen, gar marxistischen Staatsverständnisses weitgehend verschüttet sind.

Anhand des griechischen Beispiels werden wir dahingehend auch uns die Taktiken und Methoden aus der kommunistischen Bewegung vor Augen führen, welche diese gegenüber und für (bürgerliche) ArbeiterInnenregierungen entwickelt hat, eben dass eine sozialistische, klassenkämpferische Bewegung auch für eine „Governance“-Struktur eintritt, in der eine „Offenheit“ erkämpft werden kann, nämlich mit dem Ziel dem Willen der Mehrheit, der lohnabhängigen Klasse den einzig adäquaten Ausdruck zu verleihen: der Diktatur des Proletariats!

Welches Verhältnis zu den Führungen der Klasse?

Revolutionäre Politik zeichnet sich nicht durch abstrakte Worthülsen aus wie der Feststellung, welche Partei/Regierung oder Gewerkschaftsführung denn reformistisch ist bzw. eh nur die ArbeiterInnenbewegung verraten wird, sondern dadurch, dass Taktiken und Forderungen gegenüber diesen Formationen verwendet werden, um letztlich deren Einfluss auf die Klasse brechen zu können, um zu o. a. Ziel der Klassenherrschaft zu gelangen.

Die Notwendigkeit eben diese anzuwenden wird besonders in der kapitalistischen Krise im imperialistischen Zeitalter deutlich.

Als Syriza sich anschickte nicht nur griechische Wahlen zu gewinnen, sondern auch die Regierung zu stellen, gab es auf reformistisch-zentristischer Seite schon Gewissheit darüber, dass damit dem europäischen Austeritätsregime eine entscheidende Niederlage zugefügt wäre, wie auf der zentristisch-passiv-sektiererischen Seite schon klar schien, dass Syriza eh nur verrät und man sich gar nicht zu ihr verhalten muss.

Beide Seiten sollten durch die Realität gelernt haben, dass es eben nicht so einfach reicht, nur die vorgefertigten Gewissheiten zu haben, sondern vor allem eine taktisch-methodische Herangehensweise nötig ist.

Syriza war vor allem eine Partei gegen die Spardiktate und gegen das Versagen der etablierten Parteien der griechischen ArbeiterInnenbewegung. Dadurch konnte sie sich zur führenden Kraft der ArbeiterInnenklasse und der lohnabhängigen Mittelschichten aufschwingen und deswegen glaubten nicht nur viele in Griechenland, dass Syriza eine Offensive gegen die EU und die deutsch-französische Vorherrschaft angehen könne. Sinnbildlich dafür ein Zitat aus einem Interview von Tsipras und dem Hobbylinken und Philosophen Zizek:

„Was wir brauchen, ist ein europäischer Frühling des Widerstandes – vergleichbar dem arabischen Frühling, um die Verhältnisse zu verändern. Wenn Syriza gewinnt, dann wird Europa nicht mehr so sein, wie es zuvor war.“ (20)

Klar ist, dass jegliches Handeln der Syriza/ANEL-Regierung nicht dazu geeignet war, um nur einen Hauch von Arabischem Frühling aufkommen zu lassen. Stattdessen hofften Tsipras und Varoufakis die europäischen Regierungen, speziell Frankreich und Italien, für eine lockerere Finanzpolitik zu gewinnen, ihnen etwas Keynesianismus, bzw. „Marshallplan“-Politik abzuringen. Sinnbildlich für das Resultat dieser Bemühungen bleiben die Verhandlungen mit Minister Schäuble, welcher deutlich die Interessen des deutschen Imperialismus vertrat.

Es war das Betteln einer reformistischen Partei mit Massenunterstützung gegenüber dem deutschen Imperialismus und der EU-Bürokratie – ein aussichtsloses Unterfangen, vor allem wenn es nicht mit europäischen Mobilisierungen der ArbeiterInnenklasse gegen Spar- und Troikadiktate verbunden ist und die Regierung nicht über den bürgerlich-nationalkapitalistischen Rahmen hinaus agieren will. Was heißt das für eine revolutionäre Politik? Sollte die griechische ArbeiterInnenklasse nicht Syriza wählen, sollte sie keine Forderungen an diese stellen, soll der Charakter einer Partei zur Passivität auch der selbsternannten RevolutionärInnen führen, wie es ihnen die griechische stalinistisch-nationalreformistische KKE so erbarmungslos vorexerzierte?

Für KommunistInnen wurde darauf schon früh in der Geschichte der Komintern eine Antwort gegeben, nämlich wie diese sich zu Arbeiterregierungen stellen soll, warum und wieso es entscheidend ist, diesen Parteien und Regierungen gegenüber eine richtige Taktik zu verfolgen, auch und gerade wenn die kommunistischen Akteure eben nicht Teil einer solchen Regierung sind. Die erste Syriza/ANEL-Regierung war eine Koalition aus einer reformistischen ArbeiterInnenpartei mit einer offen bürgerlichen-rechtspopulistischen Kraft in einer Situation, wo die ArbeiterInnenbewegung entweder weiter auf dem Weg zur Revolution marschieren musste oder eine Niederlage erleiden musste, die einer Konterrevolution gleichkommt. Dies war keine „normale“ Koalition aus einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei mit offen bürgerlichen Kräften, sondern eine Volksfrontregierung. Diese Form der Regierung ist eben ein möglicher Ausdruck der tiefen Krise des bürgerlichen Systems. Wenn diese Parteien eingebunden sind in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien, hat die Bourgeoisie stets eine Option diese Regierung zu kontrollieren oder wie im Falle von ANEL dieser Partei das Verteidigungsministerium zu verantworten. Dies lässt die Kontrolle beim Militär, welches in Griechenland schon einmal erfolgreich putschte.

Für eine Taktik den reformistischen und bürgerlichen ArbeiterInnenparteien gegenüber reicht es aber nicht auf deren Rückständigkeit zu verweisen, sondern vielmehr deren Gefolgschaft eine Taktik zum Bruch mit den bürgerlichen Führern aufzuzeigen und diese in die Klasse zu tragen.

Was ist also nötig zu tun gegenüber jeder möglicherweise noch kommenden Regierung, die verspricht sich für die Interessen der „kleinen Leute“ einzusetzen, wie z. B. auch die Regierung Hollande mal startete, warum und wieso brauchen wir Forderungen um überhaupt eingreifen zu können?

Trotzki hatte eine solche Taktik mal sehr anschaulich am Beispiel der britischen Labour-Minderheitsregierung 1923 beschrieben:

„Jetzt fragen wir: Wie wird es weitergehen? Wie wird sich die ‚Arbeiter’regierung in Zukunft verhalten? Wenn sie auch nicht die Mehrheit im Parlament hat, heißt das doch keineswegs, daß ihre Lage aussichtslos wäre. Es gibt einen Ausweg, man muß nur entschlossen sein, ihn zu finden. Stellen sie sich einmal vor, MacDonald würde sagen: Zu unserer Schande thront bisher über der Demokratie eine gewisse allerdurchlauchigste Familie, die wir nicht brauchen. Und wenn er dann hinzufügte, daß alle Titelerben der Räuber und Blutsauger im House of Lords und in anderen staatlichen Institutionen sitzen und daß man einen Besen nehmen solle, um sie hinauszufegen, würden dann nicht die Herzen der englischen Arbeiter vor Freude höher schlagen? Und wenn er dann noch hinzufügte: Nehmen wir ihnen das Land, die Gruben, die Eisenbahnen; nationalisieren wir die Banken – und in den englischen Banken kann man ja mehr finden als bei uns. Wenn er sagte: Mit den Mitteln, die durch Abschaffung der Monarchie und des House of Lords frei werden, wollen wir Arbeiterwohnungen bauen. Damit würde er gewaltigen Enthusiasmus hervorrufen. In England gehören drei Viertel der Bevölkerung zur Arbeiterklasse. Es ist ein proletarisches Land. Da gibt es zwar eine Handvoll landbesitzender Lords und Kapitalisten, die mächtig und sehr reich sind, aber das ist nur eine Handvoll. Wenn MacDonald in das Parlament ginge, sein Programm vorlegte, mit der Faust ein wenig auf den Tisch hiebe und sagte: ‚Entweder ihr nehmt das Programm an, oder ich jage euch auseinander‘ (er sollte das höflicher sagen, als ich es hier tue), wenn er das machte, dann würde man England in zwei Wochen nicht wiedererkennen. MacDonald bekäme bei den Wahlen eine erdrückende Mehrheit. Die englische Arbeiterklasse würde die Schale des Konservatismus, mit der man sie ummantelt hat, sprengen, sie würde ihren sklavischen Respekt vor den Gesetzen der Bourgeoisie, vor den besitzenden Klassen, vor der Kirche und vor der Monarchie verlieren.“ (21)

Diese Klarheit in der Taktik wie auch der Perspektive gegenüber den bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und deren Führungen ist heute spärlich gesät. Von der Gruppe ArbeiterInnenmacht haben wir diese Taktik gegenüber Syriza und gemeinsam mit der NaO Berlin auch gegenüber der griechischen Regierung angewendet. Dies bleibt auch Orientierung für jede künftige Regierung, die, gestützt auf ArbeiterInnenparteien unterschiedlichster Couleur, in den nächsten Jahren antreten könnte.

Gerade der Mangel an revolutionären Massenparteien bewirkt nämlich auch die Langlebigkeit der reformistischen Kräfte bzw. deren Wiederauferstehung in der aktuellen scharfen Krise der EU. Deswegen ist die Taktik der ArbeiterInnenregierung – wenn auch nicht identisch damit – nur im Zusammenhang mit der Taktik gegenüber reformistischen und bürgerlichen Arbeiterparteien zu verstehen, um dadurch die wiederauferstandenen reformistischen und kleinbürgerlichen Illusionen in der ArbeiterInnenklasse herauszufordern.

Daher ist es entscheidend den Zusammenhang dieser angeführten Taktiken in der imperialistischen Epoche zu sehen. Gerade weil heutzutage keine Komintern existiert, es keine kommunistische Massenparteien in Europa gibt, müssen wir intensiver die Taktiken und Losungen auf den Reformismus und die bürgerlichen ArbeiterInnenparteien beziehen bzw. in die anstehende Periode hinüberretten. Dies gilt ebenso für neue politische Formationen, die im Verlauf der Krise aufkommen werden, wie z. B. Syriza in Griechenland, aber auch Podemos im spanischen Staat oder die HDP in der Türkei – für eine revolutionäre Politik brauchen wir Taktiken gegenüber diesen Parteien.

Wie die Komintern eine solche Taktik diskutierte und was dort unter ArbeiterInnenregierung verstanden wurde, veranschaulicht dieses Zitat:

„Die vorrangigen Aufgaben einer Arbeiterregierung müssen die Bewaffnung des Proletariats, die Entwaffnung der bürgerlichen und konterrevolutionären Organisationen, die Einführung der Arbeiterkontrolle über die Produktion, die Umverteilung der überwiegenden Steuerlast auf die Reichen und die gewaltsame Zerschlagung des Widerstands der konterrevolutionären Bourgeoisie sein. Eine solche Arbeiterregierung ist nur möglich, wenn sie sich aus dem Kampf der Massen heraus erhebt und von kampffähigen Arbeiterorganen gestützt wird, die von den am meisten unterdrückten Schichten der Arbeiterklasse geschaffen worden sind.“ (22)

Wie auch folgendes:

„In der gegebenen Niedergangsperiode des Kapitalismus, wo die wichtigste Aufgabe darin besteht, die Mehrheit des Proletariats für die proletarische Revolution zu gewinnen, können aber auch diese Regierungen objektiv dazu beitragen, den Zersetzungsprozess der bürgerlichen Gewalt zu beschleunigen.

Die Kommunisten sind bereit, auch mit jenen Arbeitern zu marschieren, die die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats noch nicht erkannt haben, mit sozialdemokratischen, christlichen, parteilosen, syndikalistischen usw. Die Kommunisten sind also auch bereit, unter gewissen Garantien eine nichtkommunistische Arbeiterregierung zu unterstützen. Die Kommunisten erklären aber der Arbeiterschaft unter allen Umständen offen, dass nur die Diktatur des Proletariats der Arbeiterklasse die wirkliche Befreiung sichert.“ (23)

Dies sollte, bei aller Berücksichtigung des aktuellen Klassenkampfes in den betreffenden Staaten, eine Richtschnur für den Umgang mit, aber auch die Taktik und die Aufstellung von Forderungen eben an diese/n Parteien und Regierungen ergeben.

Die Langlebigkeit des Reformismus und Sozialchauvinismus

Die Parteien der 2. Internationale (ja, die gibt’s noch), die Parteien der Sozialdemokratie zeigen eine äußerst lange Haltbarkeit, ihre Funktion als bürgerliche ArbeiterInnenpartei erlaubt es ihnen. Nach dem 1. Weltkrieg mussten die KommunistInnen der Komintern manch zu optimistischen Mitstreiter bremsen, welcher schon den Abgesang auf diese Parteien einübte und Taktiken, geschweige denn zeitweilige Bündnisse mit ihnen als Anpassung und vor allem als unnötig erachtete. Diese Parteien konnten sich in der ArbeiterInnenklasse erneuern, d. h. ihre politische und soziale Verankerung wiederaufbauen, sobald das nationale Kapital wieder „restauriert“ war und wiederum einen bürgerlichen Agenten (so deutlich wurde damals ausgesprochen) in der ArbeiterInnenklasse brauchen konnte.

Auch heute sind diese Parteien in ihrer verschiedenen Couleur, mal linksreformistisch, mal offen sozialchauvinistisch eine herrschende Kraft in der europäischen ArbeiterInnenklasse. Mal reicht es zur Regierungsbeteiligung, speziell in den „alten“ EG-Staaten, mal gibt es ein neues reformistisches Projekt mit altem Programm, meistens werden auch die etablierten Gewerkschaften mitgeführt bzw. wird gemeinsam mit der Gewerkschaftsbürokratie die Klasse politisch irregeführt und für die eigenen Interessen geopfert.

Daher ist dies auch ein erster Ansatzpunkt zur Entwicklung einer revolutionären Theorie und Praxis für dieses Europa der Krise, des aufbrechenden Nationalismus und Rassismus – wie können wir diese Kräfte herausfordern und letztlich ihre Hegemonie über die Lohnabhängigen brechen, wie sieht der Gegenentwurf zum kapitalistischen Europa aus?

Die bürgerlichen Arbeiterparteien, eine SPD aus Deutschland, eine PS aus Frankreich oder eine Labour Party aus Großbritannien bspw. waren Mitverwalter und Mitorganisatoren der Wirtschaftskrise. Mit ihrer Politik trugen sie entscheidend dazu bei, dass es kaum europäische Aktionen der Gewerkschaften gegen Krise und Sparpakete gab, schlossen sie erneut den Burgfrieden mit dem nationalen Kapital. Aus diesen Reihen, kombiniert mit ehemaligen stalinistisch-reformistischen Kräften, war auch der neue Stern Syriza in Griechenland geboren, was aufzeigte, dass gerade in der Krise auch reformistische Rezepte wieder greifen können. Hier kamen nochmals alle reformistischen Illusionen in die EU zum Tragen. SPD und PS hielten treu ihrem Kapital die Stange gegen die griechische ArbeiterInnenklasse.

Plötzlich sollte Kapitalismus wieder für „die Menschen“ da sein, Finanzminister Varoufakis wollte die EU-Volkswirtschaft mittels Investitionen retten, etwas „New Deal“-Politik für Europa schwebte den griechischen Vertretern vor, damit wollten sie eine EU gestalten, die auch gerecht gehen könnte, wenn es politisch nur gewollt sei.

Genau darin lag dann aber auch die Täuschung der griechischen ArbeiterInnenklasse wie auch aller in Europa, welche zumindest den formalen Widerstand der Syriza/ANEL-Regierung gegen das Austeritätsregime der EU unterstützen wollten.

Es ist in der imperialistischen Krise eben keine Frage des „guten Willens“ oder einer gerechten Politik, sondern der Angriff durch das Kapital dessen einzige Option. Dies nicht verstanden zu haben bzw. immer wieder an die Reformierbarkeit des Systems zu appellieren, zeigt den trügerischen, verräterischen Charakter der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien, des Reformismus auf. Wobei der klassische Reformismus immer propagierte, über den parlamentarischen Weg eine Art von Sozialismus einführen zu wollen. Die meisten heutigen bürgerliche ArbeiterInnenparteien nutzen dies höchstens als Folklore zum 1. Mai, bleiben aber auch in ihren vorgeblichen Zielen klar auf dem Boden der bürgerlichen Demokratie, in der Varoufakis jetzt auch etwas angeblich Höheres sieht als eine Klassenherrschaft. Nach dem August 1914 überschritten alle sozialdemokratischen Parteien jedoch den Rubikon der Konterrevolution, aus dem opportunistischen Possibilismus wurde konterrevolutionärer Sozialimperialismus – unabhängig von mehr oder weniger rhetorisch-„sozialistischen“ Versatzstücken in ihren Programmen und Reden!

Eine mögliche Neuauflage reformistischer Regierungen muss von revolutionärer Taktik stets auf ihren „wahren“ Gehalt geprüft werden, also eine Syriza- oder mögliche Podemos-Regierung in Spanien – dazu sind die Taktiken der ArbeiterInnenregierung wie die Losung der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa die wesentlichen Voraussetzungen für eine revolutionäre Politik 2016, in dieser Periode der sich verschärfenden imperialistischen Krise.

Welches Programm gegen die kapitalistische EU?

Wir werden uns jetzt der Frage zuwenden, wie denn ganz praktisch ein Abwehrkampf gegen eine zunehmend nationalistische, rassistische und sowieso kapitalistische EU, für ein „Europa von unten“ aufgenommen werden soll. Schließlich müssen alle Losungen mit „Leben“ gefüllt werden, zu teilweise leeren Abstraktionen neigt die radikale Linke ebenso wie auch auf der anderen Seite dieser Medaille reines Abnicken der gewerkschaftlichen und meist reformistischen Forderungen von einem Großteil der „Linken“ praktiziert wird, ohne diesen Horizont nur ansatzweise zu überschreiten.

Wie schon erwähnt, müssen sich auch sozialpartnerschaftlich orientierte Gewerkschaften, wahrscheinlich öfter als ihnen lieb ist, mit der Spaltung der EU nach Löhnen, Arbeitsschutzbestimmungen, Arbeitsmigrationsrechten und allgemein mit den Standards der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft beschäftigen. Meistens führte dies zu Regelungen, die der Sozialpartnerschaft entsprachen, nämlich der „Schutz“ der „einheimischen“ ArbeiterInnenklasse stand im Vordergrund, wie z. B. bei den Bestimmungen für osteuropäische ArbeiterInnen und deren Einschränkung der sog. „Freizügigkeit“, welche natürlich von der Kapitalseite ausgenutzt wird, um die Löhne und Bestimmungen auf das niedrigste Niveau in Europa zu drücken.

Das Gleiche gilt auch für alle Arten von Mindestlöhnen und Tariflöhnen, nach denen dann ArbeitsmigrantInnen in der EU bezahlt werden, wobei dort die meisten Bestimmungen eigentlich dazu dienten, um diese zu unterlaufen, geltendes Recht bzw. gültige Vorschriften zu brechen und somit die europäische ArbeiterInnenklasse in einem ruinösen Wettlauf nach unten zu spalten. In dem Zusammenhang ist auch das „Troika“-Regime gegenüber Griechenland zu verstehen. Hier wurden möglicherweise alle Schandtaten gegen die Rechte und Errungenschaften der griechischen ArbeiterInnenklasse durchgezogen, sicherlich eine „Blaupause“ für die Wünsche der europäischen Bourgeoisien.

Dies und noch manches mehr dürfte auch den Gewerkschaftsführungen, den Apparaten der „Mitbestimmung“ aufgefallen sein. Allein sie taten äußerst wenig, um sich gegen diesen „Wettlauf“ nach unten zu wehren bzw. auch nur die europäische ArbeiterInnenklasse in eine „Verteidigungsposition“ zu bringen.

Es ist bezeichnend, dass während der Rezession und der folgenden Schuldenkrise die europäischen Gewerkschaften bemerkenswert still blieben. Allein der Generalstreik im November 2011 auf der iberischen Halbinsel (14N) führte zu Solidaritätsaktionen der anderen europäischen Gewerkschaften. Dies war der einzige Aktionstag, der diesen Namen zumindest ansatzweise verdient hatte. Wir können hier nicht alle Gründe für das „Warum“ ausbreiten, jedoch sollte mitgenommen werden, dass europäische Aktionen ein wichtiger Schritt für die ArbeiterInnenklasse Europas darstellen, nicht allein um ihrer selbst willen, sondern auch zur Herausbildung einer europäischen Solidarität und eines europäischen Klassenbewusstseins.

Dies ist kaum von den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsführungen, speziell in den imperialistischen Staaten, „von sich heraus“ zu erwarten. Dies muss aber eine taktische Notwendigkeit gegenüber diesem „Reformismus“ in allen seinen Schattierungen für die „revolutionäre“ Linke bedeuten. Die etablierten Führungen, sowohl in den Parteien wie den Gewerkschaften, der aktuellen ArbeiterInnenbewegung werden und „können“ eine Spaltung Europas mitgestalten, solange sich ihre bürokratischen Standortinteressen mit einer nationalen imperialistischen „Alternative“ zur EU decken könnten oder, was historisch der Fall war, bis sie an dieser Entwicklung zugrunde gehen und das Kapital gegen sie vorgeht. Diese Führungen haben bislang aufgrund ihres nationalen Standortbewusstseins, aber vor allem auch in der Verschärfung der Krise, nicht „europäisch“, nicht als kampffähige auf diesem Kontinent agiert. Von gewerkschaftlicher Seite, von den Aktionen der Klasse her blieben es nationale Abwehrkämpfe, welche allerdings alle gegen das „Diktat“ der Märkte und besonders gegen die Sparpolitik der EU letztlich verloren haben.

Seien es die über 20 Generalstreiks in Griechenland, welche auch 2016 gegen die zweite Syriza/ANEL-Regierung in eine Runde gehen, seien es die aktuellen Massenkämpfe in Frankreich gegen das El Khomri-Gesetz oder die Generalstreiks in Spanien (wie auch die Indignados-Bewegung), in Belgien gegen eine neoliberale Regierung oder Italien, wo der „Sozialdemokrat“ Renzi die Politik der EU-Marionette Monti fortsetzt – es gab viele große Proteste und Bewegungen gegen die Spardiktatur in Europa. Aber nirgends fanden sie aufgrund der sozialpartnerschaftlichen Führung den „Weg“ nach Europa – keine Abwehrkämpfe wurden europäisch vereinheitlicht. Der europäische Generalstreik ist ein unbekanntes Wesen in der ArbeiterInnenbewegung wie auch die Idee, auf diese Angriffe, auf dieses Diktat des Kapitals in Europa eine programmatische, eine politische Antwort zu geben.

Worum geht es?

Ganze Volkswirtschaften werden in ihrer Profitabilität miteinander in Konkurrenz gesetzt: wie viele Jahre kann die Ware Arbeitskraft welchen Mehrwert fürs Kapital erschaffen, mit welchen Steuern ist zu rechnen, welche sonstigen möglichen Reproduktionserfordernisse müsste das Kapital bezahlen und vor allem, wo geht’s denn billiger – dieses Diktat wirkt seit 2001 und verstärkte sich durch die Krise seit 2008. Derzeit werden in Europa viele massive Angriffe auf Arbeitsrechte, Beschäftigungsverhältnisse und Löhne gefahren, wie gleichzeitig neue „flexible Arbeitsformen“ eingeführt und ausprobiert werden, wie die sog. „Zero hour contracts“. (24)

Während das Kapital in Europa auch die aktuellen Handelsabkommen CETA (mit Kanada) und das bekanntere TTIP (mit den USA) für eine weitere „Deregulierung“ und Entrechtung des Arbeitsmarktes nutzen wird, hat die ArbeiterInnenbewegung auf der anderen Seite noch nicht mal eine Vorstellung darüber, was denn ein gemeinsames Programm bzw. länderübergreifende Forderungen sein könnten.

Wie hoch soll denn  z. B. ein europäisches Renteneintrittsalter, wie lang die europäische Wochenarbeitszeit, ein europäischer Mindesturlaub, wie hoch ein europäischer Mindestlohn, was für Schutz – und Arbeitsrechte gelten für die europäischen ArbeiterInnen, was für Ansprüche sollen Arbeitslose und RenterInnen gegenüber den Sozialkassen haben, welche Rechte und Übernahmebestimmungen gelten für die Auszubildenden, welche Mindeststandards gelten für Arbeitsverträge, Versicherungsbeiträge und Höchstarbeitszeit und zu welchen Bedingungen sollen eigentlich die Geflüchteten in Europa arbeiten und leben dürfen? Auf all das hat die ArbeiterInnenbewegung keine Antworten. Stattdessen werden nationale Abwehrkämpfe verloren und danach die Sauereien des Kapitals mitverhandelt bzw. mitgetragen. Dies ist Folge der kurzsichtigen, sozialpartnerschaftlichen Politik der Führungen. Dem muss ein europäischer Internationalismus, ein europäisches Abwehrprogramm gegen die Krise und Konkurrenz entgegengestellt werden. Das ist der Schlüssel für einen europäischen Klassenkampf.

Und es ist letztlich die Aufgabe aller sich als SozialistInnen, AntikapitalistInnen oder gar RevolutionärInnen bezeichnenden Akteure, dafür in den Gewerkschaften einzutreten und dies von den bürgerlichen und reformistischen ArbeiterInnenparteien zu fordern.

Dann wäre es sicherlich eher möglich, eine europäische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich zu fordern wie auch einheitliche Standards für die sozialen Rechte der Klasse festzulegen. Doch dafür brauchen wir die Perspektive eines sozialistischen Europa, in dem die Rechte und Forderungen der ArbeiterInnenklasse zur Geltung kommen.

Hier kommt dann der Charakter und die Methode des Übergangsprogramm zum Tragen. So ist es möglich aus den Abwehrkämpfen gegen die Krise und Sparpolitik eine „Brücke“ zur „Ermächtigung“ der ArbeiterInnenklasse zu schlagen, indem z. B. ein europäischer Abwehrkampf mit Forderungen für die europäische Klasse geführt wird, welcher sie dann in die Lage versetzen kann, gegen den gemeinsamen Feind, gebündelt in dieser EU, vorzugehen. Hier und jetzt besteht die Möglichkeit, den „versammelten“ europäischen Bourgeoisien einen mächtigen, vielleicht auch entscheidenden Schlag zu versetzen, des Erwachens eines europäischen Klassenbewusstseins, welches dann das Proletariat Europas vereinigen kann mit den Geflüchteten, um sich dem aufkeimenden Rassismus und Nationalismus entgegenzustellen und dadurch der ältesten Forderung des kommunistischen Manifests „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“ zumindest kontinental Leben einzuhauchen.

Schließen wollen wir hier zwei historische Zitate anführen, die nichts von ihrer Aktualität verloren haben, wie sie auch gleichzeitig die Perspektive für den programmatischen und politischen Kampf in dieser Periode weisen können:

„Die IV. Internationale verwirft nicht die Forderungen des alten ‚Minimal‘-Programms, soweit sie noch einige Lebenskraft bewahrt haben. Sie verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer richtigen, aktuellen, d. h. revolutionären Perspektive. In dem Maße wie die alten partiellen ‚Minimal‘-Forderungen der Massen auf die zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des verfallenden Kapitalismus stoßen – und das geschieht auf Schritt und Tritt – stellt die IV. Internationale ein System von Übergangsforderungen auf, dessen Sinn es ist, sich immer offener und entschlossener gegen die Grundlagen der bürgerlichen Herrschaft selbst zu richten. Das alte ‚Minimalprogramm‘ wird ständig überholt vom Übergangsprogramm, dessen Aufgabe darin besteht, die Massen systematisch für die proletarische Revolution zu mobilisieren.“ (25)

„Doch in grundsätzlichen Fragen der Politik darf es keine Reserve geben.“ (26)

In den Fragen des europäischen Klassenkampfes, wie wir welche Forderungen aufstellen, ist die heutige „Linke“ und ArbeiterInnenbewegung scheinbar weit weg von der Klarheit der Programmatik, die historische RevolutionärInnen entwickelt haben. Allerdings gilt es auch heute – es darf keine „Reserve“ geben! Es geht nicht allein darum, ob „eine andere Welt möglich ist“ oder auch ein „soziales Europa“, es geht darum mit welchen Mitteln, Forderungen und Methoden wir für einen europäischen Klassenkampf heute eintreten, wie wir revolutionäre Parteien der Klasse aufbauen, welche real in der Lage sind die ArbeiterInnenklasse in den Kampf gegen Imperialismus und Krise zu führen.

Dann kann es eine andere Perspektive für Europa geben, kein Hinabsinken in Rassismus, Nationalismus und Faschismus, wie es diese Teile des Kapitals und der bürgerlichen Marionetten schon parat haben, sondern einen geeinten europäischen Kampf für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Entrechtung, für einen Bolschewismus im 21. Jahrhundert.

Endnoten

(1) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 92

(2) Leo Trotzki: Das Friedensprogramm 1915/16/17, Kapitel 4: Vereinigte Staaten von Europa – zuerst veröffentlicht 1915/16 als Artikelserie in: „Nasche Slowo“ www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1915/xx/frieden.htm  

(3) Leo Trotzki: Der europäische Kapitalismus in der Sackgasse – in: Europa und Amerika, Berlin, 1972 (Verlag Neuer Kurs), S. 77

(4) Leo Trotzki: Über die Aktualität der Parole „Vereinigte Staaten von Europa“, in: Europa und Amerika, Berlin (Verlag Neuer Kurs), 1972, S. 94

(5) Leo Trotzki: 1915 – Europa im Krieg/ Hauptfragen und erste Ergebnisse des Krieges, in: Nasche Slowo Nr. 130 und 135, Essen, 1998, S. 237/238, Arbeiterpresse Verlag

(6) Leo Trotzki: Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977, S. 79.

(7) https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(8) Ebda., am Ende

(9) Siehe https://www.sozialismus.info/2016/07/brexit-revisited/

(10) Dazu mehr im Artikel http://www.arbeitermacht.de/ni/ni211/brexit.htm

(11) Siehe Artikel unter 8

(12) www.sozialismus.info/2016/06/brexit-ist-ein-grund-zur-freude/

(13) Siehe  http://lexit-network.org/aufruf

(14) Wahrscheinlich zufällig existierende nationale Einheiten….

(15) Sind vor allem Europäische Linkspartei, Gewerkschaften und Akademiker – wenn wir eines brauchen, dann mehr Netzwerke

(16) Das Netzwerk spricht gerne von Ländern oder Land. Da halten wir uns doch lieber an die konkreten historischen Kategorien

(17) Siehe Endnote 12

(18) Siehe Endnote 19

(19) Finanzminister Venizelos spaltete die Fraktion und Regierung, nachdem Papandreou eine Volksabstimmung ankündigte.

(20) Tsipras und Zizek, 15. Mai 2013 – The Role of the european Left – http://www.youtube.com/watch?v=aUh96oXYt18

(21) Leo Trotzki: Auf dem Weg zur europäischen Revolution, in: Schriften Band 3.1, Hamburg, 1997, Verlag Rasch und Röhring, Seite 331/332

(22) Nach Degras: The Communist International, London, 1971, S. 426 – ebenso Thesen zu Reformismus und Wahltaktik der Gruppe ArbeiterInnenmacht, S . 37

(23) Thesen zur Taktik (Die Arbeiterregierung), in: Die Kommunistische Internationale, 3. und 4. Weltkongreß, Dortmund, 1978

(24) Hierbei wird die Flexibilität auf die Spitze getrieben: Die ArbeiterInnen haben keine feste Stundenzahl, stattdessen sind sie de facto andauernd auf Abruf. Vorreiter hierbei ist Großbritannien, aber auch in Italien und Deutschland gibt es speziell im Einzelhandel und Dienstleistungssektor ähnliche Beschäftigungsverhältnisse.

(25) www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/uebergang/ ueberg1.htm#mup

(26) Leo Trotzki: Die Parole der Vereinigten Sowjetstaaten von Europa, in: Die 3. Internationale nach Lenin, (Schluss des Kapitels), Dortmund, 1977, Verlag Wolfgang Dröge, 1977.

Anhang: Die Debatte zu den Vereinigten Staaten von Europa und der Versuch, Lenin und Luxemburg gegen diese Losung zu stellen

In der Vorbereitung des 6. Weltkongresses der Komintern 1928 wurde die Parole der „Vereinigten Staaten von Europa“ als Losung für die revolutionäre Perspektive des Kontinents gestrichen. Dies war Folge der „neuen“ Theorie vom „Sozialismus in einem Land“, welche von Bucharin und Stalin, den damals führenden Köpfen der Komintern und vor allem der KPR(B), in den Umlauf gebracht wurde.

War es damals vor allem ein Schwenk zum bürokratischen Zentrismus in seiner ultra-linken Form, welcher die Komintern vom methodischen Boden des Internationalismus wegführte, so missbrauchen heute zentristische Organisationen wie marx21 Lenin und Luxemburg als Gegner eines friedlichen, pazifistischen Europa (1), um den revolutionären Gehalt dieser Losung vergessen zu machen.

Es gehört zu den Taschenspielertricks von marx21, den revolutionären Flügel der damaligen Sozialdemokratie als Gegner der Losung „Vereinigte Staaten von Europa“ aufzuführen, gerade wenn diese Losung mit einem kapitalistisch geeinten Europa verwechselt wird. Diese Parole, wie auch die dahinter stehende Methodik und Programmatik, waren nie dazu geeignet, eine reformistische Illusion in Europa zu erzeugen bzw. diese zu verteidigen. Natürlich sollte heute eine revolutionäre Politik und Taktik solche Illusionen auf das Schärfste bekämpfen, wie z. B. in der deutschen Linkspartei, in der marx21 aktiv ist, oder bei den Gewerkschaftsführungen Europas. Der Kampf gegen diese Illusionen, welche hauptsächlich auf dem Konzept von Sozialpartnerschaft und Klassenkollaboration aufbauen, bedeutet aber noch keine Richtschnur dafür, wie heute mit der EU umzugehen ist.

Natürlich kann ein kapitalistisches Europa, geführt von imperialistischen nationalen Bourgeoisien, keinen Fortschritt für die ArbeiterInnenklasse darstellen, wie es auch bedeutet, dass ein verschärfter Angriff auf die ArbeiterInnenklasse durch diese EU vonstattengeht. Es stellt sich jedoch die Frage, wie wir zu einem „Europa von unten“ kommen, welches auch die „Lexit“-Strömungen gerne „aufbauen“ möchten. Durch einen Zerfall der EU in neue konkurrierende Blöcke, durch ein Ende der Gemeinschaftswährung, wie es die besonders Kurzsichtigen argumentieren, wohl nicht.

„Seit jeher galt in der Sozialdemokratie der Klassenkampf und die internationale Solidarität des Proletariats als oberster Grundsatz. In diesem Grundsatz wurzelt die ganze politische und wirtschaftliche Macht der Arbeiterklasse, in ihm wurzelt auch ihre künftige Befreiung, der Sieg des Sozialismus. Zwei Nationalitäten gibt es in Wirklichkeit in jedem Lande: die der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten. Der eigene deutsche Kapitalist ist dem deutschen Proletarier Feind, der fremde Proletarier hingegen, ob Franzose, Engländer oder Russe, ist sein Bruder.“ (2)

Der hier geäußerte Internationalismus Luxemburgs ist beispielhaft dafür, was heute in der sozialistischen Linken fehlt. Eine Klarheit in der Agitation, eine Benennung der berühmten Rosse und Reiter. Im Internationalismus wurzelt das ganze politische und wirtschaftliche Programm der proletarischen Klasse. Auf die heutige EU angewandt, bedeutet dies eben, in diesem Wirtschaftsraum einen europäischen Klassenkampf zu entfachen, der dann die Macht dieser europäischen ArbeiterInnenklasse aufzeigen kann, nämlich gegen die Austeritätspolitik, gegen Rassismus und Nationalismus und für eine soziale Offensive dieser Klasse. Ein Europa „von unten“ müsste sich dabei nicht sonderlich lange mit den Illusionen der reformistischen und kleinbürgerlichen Akteure aufhalten, sondern stattdessen für eine europäische antikapitalistische und antirassistische Offensive eintreten. Das geht ohne Lexit, ohne Euro-Gegnerschaft, dazu braucht es einen Fokus auf eine unabhängige Klassenpolitik, wie sie für Luxemburg, Lenin und Trotzki immer im Vordergrund stand.

Marx21 versucht jedoch die Haltung Luxemburgs so darzustellen, als würde sie der Parole Trotzkis und der Komintern widersprechen. Auch wenn sich marx21 manchmal auf seine „trotzkistischen“ Wurzeln beruft, so findet sich in ihren zentralen Artikeln zu Europa kein Wort, kein Zitat, geschweige denn ein Text von Trotzki. Das ist reichlich bezeichnend. Wenn sich ein revolutionärer Akteur mit dem europäischen Kontinent und dessen Fragen des Klassenkampfes intensiv beschäftigt hat, dann war es wahrscheinlich Trotzki zu seinen Lebzeiten.

In der Diskussion in der stalinisierten Komintern wurde schon damals Lenin als „Kronzeuge“ gegen die Losung „Vereinigte Sowjetstaaten von Europa“ benannt. Trotzki schreibt dazu zunächst:

„Vereinigte Staaten von Europa – das wäre vor allem die einzig denkbare Form der Diktatur des europäischen Proletariats.“(3)

Und weiter: „Doch auch bei einer solchen Stellungnahme sah Lenin in der damaligen Periode eine Gefahr. Bei dem Fehlen jeder Erfahrung einer proletarischen Diktatur in einem einzelnen Lande und bei der theoretischen Unklarheit, die in dieser Frage sogar auf dem linken Flügel der damaligen Sozialdemokratie herrschte, konnte die Parole der Vereinigten Staaten von Europa die Vorstellung erwecken, als ob die Revolution gleichzeitig zum mindesten auf dem ganzen Kontinent Europa ausbrechen müsste. Gerade vor dieser Gefahr hatte Lenin gewarnt. Doch in dieser Frage gab es zwischen Lenin und mir nicht einmal den Schatten einer Meinungsverschiedenheit.“ (4)

Ähnlich wie Luxemburg gehörte Lenin zu den entschiedensten KämpferInnen für den Internationalismus, sah die Aufgabe der Komintern vor allem und ausschließlich in der Ausbreitung der Revolution. Versuchte Luxemburg die Erfahrungen der russischen Revolution von 1905 in die 2. Internationale zu tragen oder bei der Massenstreikdebatte ein wirksames Vorgehen der Sozialdemokratie gegen den drohenden imperialistischen Krieg anzumahnen, so war Lenin stets davon überzeugt, dass die Revolution sich ausbreiten müsse, wenn sie nicht zugrunde gehen sollte.

Dies führt Trotzki in seinem Text „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“ (5) aus, indem er Lenin zu Wort kommen lässt: „Es war uns klar, dass ohne die Unterstützung der internationalen Weltrevolution der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution und auch nachher dachten wir: Entweder sofort, oder zumindest sehr rasch, wird die Revolution in den übrigen Ländern kommen, in den kapitalistisch entwickelteren Ländern, oder aber wir müssen zugrunde gehen. Trotz dieses Bewusstseins taten wir alles, um das Sowjetsystem unter allen Umständen und um jeden Preis aufrechtzuerhalten; denn wir wussten, dass wir nicht nur für uns, sondern auch für die internationale Revolution arbeiten.“ (6)

Von diesem Kurs rückte die Komintern ab, ein nationalbornierter Zentrismus breitete sich aus, welcher nicht nur den Sozialismus in einem Land aufbauen wollte, sondern gleichzeitig die revolutionäre Politik, Methode und Taktik begrub, wofür die Bolschewiki und die Komintern der ersten 4. Kongresse bis 1922 gestanden und gekämpft hatten.

Heute geht es darum, sich diese Tradition, diese Methodik wieder anzueignen. Die Debatte rund um die Vereinigten Sowjetstaaten bzw. Sozialistischen Staaten von Europa zeigt deren brennende Aktualität, zeigt auf, welche Analyse, Methodik und Taktik heute gegenüber dieser kapitalistischen EU angewendet sollten.

Endnoten

(1) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(2) https://www.marx21.de/eu-debatte-vorwaerts-und-doch-vergessen/

(3) „Die Parole der vereinigten Sowjetstaaten von Europa“, in: „Die 3. Internationale nach Lenin“, Berlin (Intarlit), 1977,  S. 74

(4) Ebd.

(5) Ebd., S. 76

(6) Lenin, Werke, Band 32, S. 501 – 519, hier S. 503




Britannien – Das Referendum über den Brexit und seine Nachwirkungen

Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, 28. Juni 2016, Infomail 890, 29. Juni 2016

Der Sieg des „Brexit“, des britischen Austritts aus der Europäischen Union, vom 23. Juni hat Schockwellen nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt zur Folge. Börsen stürzten ab; manche erlitten größere Einbrüche als nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers 2008. Auch wenn die erste Panik verfliegen mag, so ist das nur ein Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn die wirtschaftlichen Konsequenzen des Verlassens der größten Handelszone der Welt offenkundig werden. Während die führenden europäischen PolitikerInnen erklären, dass die EU überleben wird und keine weiteren Staaten dem britischen Beispiel folgen werden, haben populistische PolitikerInnen wie Marine Le Pen den Sieg des Brexit gefeiert und rufen zu einer Volksabstimmung in Frankreich auf. In Britannien selbst hat er die Büchse der Pandora des Rassismus und britischen Chauvinismus geöffnet.

Polnische Kulturzentren und Moscheen wurden mit rassistischen Parolen beschmiert. Kinder, die für MigrantInnen gehalten werden, wurden auf Schulhöfen beschimpft oder misshandelt, Erwachsene auf der Straße angegriffen. Die Polizei berichtet von einem alarmierenden Anstieg von Hassverbrechen. Zweifellos ist ein großer Teil davon das Werk bislang noch kleiner faschistischer Gruppen, aber etliches davon ist die direkte, wenn auch unorganisierte Folge des Hasses gegen MigrantInnen und Geflüchtete, der täglich von den vier bis fünf meistgelesenen Boulevard-Zeitungen verbreitet wird.

Spaltung der KapitalistInnen

Es ist auch den Milliardärsmedien zu verdanken, dass das Gift des Chauvinismus Sektoren der ArbeiterInnenklasse erfasst hat, die normalerweise Labour wählen, und erst recht die fremdenfeindlichen Teile der Mittelklassen und Millionen ArbeiterInnen, die ohnedies kein Klassenbewusstsein haben, regelmäßig die Tories wählen und keinen Gewerkschaften beitreten würden. Die Darstellung des Brexit als eine Rebellion des „Heart of England“ (des Herzens Englands) gegen die privilegierte, hauptstädtische Elite spielt direkt in die Hände der von Nigel Farage geführten UKIP (United Kingdom Independence Party). Sie lenkt außerdem auch von den wirklichen Gründen für das Referendum ab, der Spaltung der britischen KapitalistInnenklasse zwischen jenen, die groß und konkurrenzfähig genug sind, international zu operieren, und den kleineren, national orientierten, die das nicht können.

Diese Spaltung spiegelt sich in der Konservativen Partei wider, deren FührerInnen und Abgeordnete im Allgemeinen die Interessen der mächtigsten, aber zahlenmäßig sehr kleinen KapitalistInnen zum Ausdruck bringen. Die Basis der Partei besteht aber aus der viel größeren Zahl kleiner KapitalbesitzerInnen, den von ihnen Abhängigen, darunter oft deren Angestellte. In der Kampagne stellte sich eine Minderheit der Führung der Konservativen Partei – vor allem Boris Johnson und Michael Gove – auf die Seite der Brexit-BefürworterInnen, um ihre eigenen Aussichten zu verbessern, Cameron abzulösen. Wie fast alle AnalystInnen, so glaubten auch sie, dass sich die lange als sicher erscheinenden Prognosen erfüllen würden, dass das Remain (Verbleib)-Lager gewinnen würde und Britannien in der EU bliebe – allerdings mit Johnson als Premierminister.

Diese Fehlkalkulation hat den britischen KapitalistInnen eine tiefe politische Krise beschert. Ihre ganze ökonomische Strategie wurde durch ihre eigene politische Partei aufs Spiel gesetzt. Noch schlimmer: Die Austritts-Politik hat jetzt ein, wenn auch vollkommen fragwürdiges, „demokratisches Mandat“, und ihre Partei wird wahrscheinlich von jenen leichtfertigen Abenteurern geführt werden, die eine Mehrheit für den Brexit mobilisiert haben. Die Sache wird noch schlimmer dadurch, dass das ungewollte Resultat des Referendums nicht nur den fragilen Zusammenhalt der EU auf die Probe stellt, sondern auch das Auseinanderfallen des Vereinigten Königsreichs selbst, da sowohl in Schottland wie in Nordirland eine große Mehrheit gegen den Brexit stimmte.

Die Führung der Labour Party

Die Krise der bürgerlichen Klasse macht es umso schändlicher, dass die Labour-Rechte, die seit den Tagen Tony Blairs über eine Mehrheit in der Parlamentsfraktion der Partei verfügt, sich in dieser Situation entschlossen hat, einen lange geplanten Coup gegen den linken Parteivorsitzenden, Jeremy Corbyn, zu initiieren, der vor weniger als einem Jahr von einer großen Mehrheit der Mitglieder und UnterstützerInnen gewählt worden war.

Dem Narrativ von UKIP und der Boulevardpresse folgend, stellen sie das Ergebnis als Rebellion der „Kernregionen von Labour“ gegen die hauptstädtische Mittelklasselinke Londons und der großen Städte dar. Das ist eine ungeheuerliche Entstellung der Realität: Rund zwei Drittel der WählerInnen der Labour Party haben für den Verbleib in der EU gestimmt, während nur 40 Prozent der WählerInnen der Konservativen der offiziellen Politik ihrer Partei folgten, für den Verbleib zu stimmen.

Nichtsdestotrotz müssen revolutionäre KommunistInnen zur Kenntnis nehmen, dass eine signifikante Zahl von WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse für die durch und durch reaktionäre Politik des Brexit gestimmt hat. Diesem wurde durch die Kommunistische Partei Britanniens (CPB) und ihrer Tageszeitung, den „Morning Star“, der Socialist Workers Party (SWP, Schwesterorganisation von Marx21), der Socialist Party (Sozialistische Partei, Schwesterorganisation der SAV) und ihren jeweiligen Wochenzeitungen ein „linker“ Anstrich gegeben. Sie traten für einen „linken“ Austritt, den Lexit, ein und argumentierten, dass dieser die Pläne der herrschenden Klasse durchkreuzen und Cameron zu Fall bringen würde. Diese simple Herangehensweise an den Klassenkampf ruft uns Trotzkis ätzende Bemerkung in Erinnerung, dass jeder Idiot eine Meisterstratege wäre, wenn es nur darum ginge, überall dort, wo die herrschende Klasse ein Plus macht, ein Minus zu setzen.

Die CPB und die SP haben sogar mit der Idee geliebäugelt, dass die Migration tatsächlich ein Problem wäre, dass die Konkurrenz mit den polnischen ArbeiterInnen wirklich die Löhne gedrückt hätte. Die CPB tritt für eine Form kontrollierter Einwanderung ein. Die internationale Organisation der SP, das „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ proklamierte den 23. Juni gar zu einem großen Sieg der ArbeiterInnenklasse und legte nahe, dass dieser zu einem Wahlsieg Jeremy Corbyns führen könnte. Die SWP unterscheidet sich davon immerhin positiv, indem sie die Forderung nach offenen Grenzen unterstützt. Gleichwohl hat sie mit ihrem Eintreten für den Brexit die ArbeiterInnen dazu aufgerufen, Grenzen, die bislang relativ offen waren, zu schließen! Nach der Abstimmung hat die SWP außerdem wenigstens realisiert, dass eine massive anti-rassistische Kampagne wegen der direkten Folgen ihres vorgeblichen „Sieges“ notwendig geworden ist.

Viele Menschen stimmten für den Austritt, weil sie um ihre Lebensbedingungen fürchten. Das ist zweifellos verständlich. Die Vorstellung, dass der Verbleib in der EU gegen ihre wirklichen Interessen verstoßen würde oder ihre Ängste vor Migration gerechtfertigt wären, beruht auf Einbildung und einer chauvinistischen Verkehrung der realen Ursachen der Probleme von Millionen. Aber was gab Schlagwörtern wie „Wiedererlangung der Kontrolle über das Land“, von „Souveränität“ und „Unabhängigkeit“ die Macht zu überzeugen? Es ist der zunehmende Verlust selbst von beschränkter Kontrolle über das eigene Leben, dieses nach eigenen Wünschen zu gestalten. Tony Benn hat vor Jahren Lord Actons bekanntem Ausspruch über die Korruption durch Macht dahingehend umformuliert, dass Machtlosigkeit korrumpiert und die absolute Machtlosigkeit absolut korrumpiert“. Das Maß an Macht über ihr eigenes Leben, dass ArbeiterInnen einmal errungen hatten, war das Resultat besser bezahlter Arbeit, sicherer Arbeitsplätze, sozialen Wohnungsbaus und expandierender Sozialleistungen. Nicht „Europa“ hat das alles zerstört, sondern die britische KapitalistInnenklasse, die an der Spitze des Neo-Liberalismus, der Privatisierungen, des Outsourcing und der Verlagerungen stand.

Das Ausbleiben jedes ernsthaften Kampfes zur Verteidigung der Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen durch Labour und die Gewerkschaften bedeutet, dass viele Menschen, besondern die älteren, erwerbslosen EinwohnerInnen in den niedergehenden, ehemaligen Industriestädten berechtigterweise auf das ganze „Establishment“ empört sind – seien es die PolitikerInnen aus dem Parlament in Westminster, die „ExpertInnen“ und BürokratInnen, die allesamt für die soziale Verwüstung ihrer Gemeinden verantwortlich sind.

Ein damit verbundener Faktor ist der Niedergang der Gewerkschaften, die nur noch halb so groß sind wie in den 80er Jahren. Zusammen mit einem Rückgang der Kampfkraft und Kampfbereitschaft bedeutet das, dass viele Menschen keine Erfahrungen mit gemeinsamen effektiven Aktionen gegen Entlassungen, Kürzung sozialer Dienste oder Wohnungsnot haben. Das hat sie für die Argumente der Rechts-PopulistInnen von UKIP unter Nigel Farage empfänglich gemacht, die etwas tun konnten, was die Austrittsbefürworter aus der konservativen Elite um Boris Johnson nicht tun hätten können. UKIP benutzte links klingende Demagogie über die langen Wartelisten beim sozialen Wohnungsbau, die Finanzierungskrise im Gesundheitswesen NHS, marode Schulen und niedrige Löhne, um dafür die migrantischen ArbeiterInnen verantwortlich zu machen.

Die offenkundigen Krisen der europäischen Union – die Bankenkrise, dann die Finanzkrisen in den Mitgliedsländern, die Austeritätskrise, die den schwächeren Ländern der Eurozone aufgezwungen wurde, und schließlich die sog. „Flüchtlingskrise“ im vergangenen Jahr – trugen alle zum weit verbreiteten Misstrauen gegen „Europa“ bei. Hinzu kam, dass mit Ausnahme von Corbyn und McDonnell alle PolitikerInnen auf beiden Seiten des Referendums „vergaßen“, dass der britische Kapitalismus 2008 selbst eine fundamentale Krise durchmachte. Sie „vergaßen“, dass die britischen Bosse Niedriglöhne durchgesetzt hatten und britische Regierungen, ob von den Tories oder Labour, eine Kürzungspolitik ohne jeglichen Druck von Brüssel durchsetzten.

Schließlich scheint es bei einem Referendum – anders als bei Parlamentswahlen, wo das undemokratische britische Mehrheitswahlrecht sicherstellt, dass die meisten Stimmen tatsächlich nichts zählen –, tatsächlich auf jede Stimme anzukommen. Was auch immer die unterschiedlichen Motive der einzelnen WählerInnen für ihre Wahl sein mögen, so werden sie zu einem Thema gebündelt. Das war zweifellos ein machtvoller mobilisierender Faktor für Millionen, die sich mehr und mehr von den beiden größten Parteien entfremdeten, die beide dazu aufriefen, in der EU zu verbleiben.

Aussichten

Das Anschwellen des antieuropäischen Chauvinismus wird im September VertreterInnen des rechten Flügels der Konservativen Partei, wahrscheinlich Boris Johnson oder Theresa May, an die Regierungsspitze bringen. Sie werden den Artikel 50 des Abkommens von Lissabon aufrufen müssen und mit harten Bandagen auf die Wirtschaft durchschlagende Verhandlungen mit der EU beginnen. Sie werden ferner sicher einen neuen Kürzungshaushalt verabschieden wollen. Die Bank von England hat signalisiert, 250 Milliarden britische Pfund aufzutreiben, wenn dies notwendig sein sollte, um die Banken und den Finanzplatz  London City zu stabilisieren, während sie für das Gesundheitswesen oder den sozialen Wohnungsbau keinen Penny übrig hat.

Der Einfluss von Farage und seiner UKIP wird während der Verhandlungen über den Brexit wachsen. Bei einer wahrscheinlich vorgezogenen Wahl dürfte diese Partei erstmals eine beträchtliche Anzahl von Parlamentssitzen gewinnen. Das ist um so wahrscheinlicher angesichts der Anstrengungen, Corbyn als Führer der Labour Party wegzuputschen. Dieser offene Verrat  wäre eine echte Chance für UKIP, die bewusst auf Stimmenfang bei Labour-WählerInnen in Kleinstädten und Vororten aus ist. Die UKIP hofft, dort große Einbrüche zu erzielen mit Hilfe ihrer Demagogie, dass ihr die sozialen Probleme und die vernachlässigte „einheimische“ (damit meint sie weiße) ArbeiterInnenschaft am Herzen lägen, während sie den eingewanderten ArbeiterInnen  aus Europa die Schuld an allen Unannehmlichkeiten in die Schuhe schieben will.

Da die ökonomische Schrumpfung, die sich schon vor der Brexit-Abstimmung abzeichnete, Britannien sehr hart treffen wird, kann auch die ‚Souveränität’ keinen Schutz vor den Kräften der Märkte, d. h. den Gesetzen des weltumspannenden Kapitalismus bieten. Wenn sich die Verhandlungen zwischen Britannien und der EU hinziehen, wird sich die Sachlage wirtschaftlich verschlechtern, und es wird sich klar zeigen, dass es kein Abkommen über einen kompletten Einwanderungsstopp geben kann. Dies birgt die große Gefahr, dass die Befürworter von direkter Aktion als einzigem Ausweg  Oberwasser gewinnen können. In einer solchen Atmosphäre werden erwartungsgemäß Rufe nach der Abschiebung von ausländischen Arbeitskräften und Flüchtlingen lauter und physische Übergriffe von faschistischen Gruppen häufiger. Rassismus wird in all seinen hässlichen Formen um sich greifen, wenn er nicht massenhaft  bekämpft wird. Über das Potenzial dazu verfügen nur Labour und die Gewerkschaften.

Nicht zuletzt wird die britische Entscheidung in Europa die eurofeindliche Rechte beflügeln, die bereits vor dem 23. Juni auf dem Vormarsch war. Front National in Frankreich und andere Gruppierungen in den Niederlanden, in Dänemark und einer Reihe von ost- und mitteleuropäischen Ländern, die den Austritt fordern und das Banner der nationalen Souveränität schwenken und ihren Hass auf EinwanderInnen hinausschreien, selbst wenn es bei ihnen kaum welche gibt, werden profitieren. Dies hat eine Gegenreaktion bei den europäischen HerrscherInnen hervor gerufen, auch teils unter der Wählerschaft wie in Spanien, wo es zu  einer Ablehnung des rechten wie linken Populismus und einem Zug zu der Geborgenheit traditioneller Parteien wie der konservativen Volkspartei von Mariano Rajoy gekommen ist, die – so denken sie – Stabilität gewährleisten kann.

Angela Merkels Antwort auf das britische Votum fiel im Gegensatz zu ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble unerwartet milde aus.  Ihre Äußerung zeugt von dem Bewusstsein, nicht zu stark gegenüber den schwächeren EU-Staaten auftrumpfen zu wollen, weil diese sonst mit Gedanken an Abstimmungen oder den Austritt spielen könnten, was die auseinanderdriftenden Tendenzen innerhalb der Europäischen Union verstärken könnte. Die Brexit-Seuche könnte sich leicht wie ein Wundbrand ausbreiten.  Zum anderen halten es viele für notwendig, Britannien zurückzuweisen, weil es die anderen ermutigt.

Die Schwäche der nationalen ArbeiterInnenbewegungen bei der Bekämpfung von Kürzungspolitik und beim Widerstand gegen den flüchtlingsfeindlichen Rassismus ist der mit entscheidende Faktor für das Anwachsen des reaktionären Nationalismus in Britannien ebenso wie in ganz Europa. Es ist ihnen nicht gelungen zu zeigen, dass „ein anderes Europa möglich“ ist, wie es bei den Euromärschen und anschließend bei den europäischen Sozialforen im Zeitraum von 1997 bis 2007 zu zeigen versucht worden ist.  Welche Ironie der Geschichte ist es, dass ausgerechnet im Augenblick, als der Kapitalismus in seine ernsteste Krisen- und Stagnationsperiode  seit dem 2. Weltkrieg eintrat, sich die Bewegungen der europäischen ArbeiterInnen und der Linken hinter die eigenen Landesgrenzen zurückgezogen haben.

Obschon es bedeutsame Ausnahmen davon gab, besonders in Griechenland, Frankreich, Belgien, Spanien und Portugal, lag es auf der Hand, dass die Bewegungen selbst dort durch nationale Beschränktheit beeinträchtigt worden sind. Notwendig sind nicht nur Solidaritätsbekundungen, sondern ist ein gemeinsamer Kampf aller europäischen ArbeiterInnen gegen ihre eigenen Regierungen, um zu verhindern, dass sie Kürzungen und sogenannte Arbeitsreformen durchdrücken. Auf dieser Grundlage können die EU-Behörden, die Kommission, die Zentralbank getroffen werden und zwar knallhart. Diese Institutionen sind nämlich nicht die allmächtigen Menschenfresser, als die sie die AustrittsbefürworterInnen hinstellen wollen. Die Verstärkung nationaler Spaltungen ist allerdings der völlig falsche Weg, sie zu bekämpfen.

Wenn die Regierungen Spaniens, Italiens, Frankreichs und schließlich Deutschlands daran gehindert werden können, ihre Politik des Sozialkahlschlags, der Lohndrückerei, der Deregulierung von Gesundheit, der Sicherheit am Arbeitsplatz und der Arbeitszeit  sowie der weiteren Einschränkung der Gesundheits- und Bildungsversorgung  durchzusetzen, dann kann ein ganzer Erdteil vom Kampf nicht nur um ein ‚soziales’, sondern ein sozialistisches Europa erfasst werden.

Deshalb brauchen wir nicht nur eine Gegenbewegung gegen Kürzungen und Rassismus und alle Auswirkungen des Brexit-Prozesses in Britannien, sondern gemeinsame Kampfmaßnahmen der ArbeiterInnen in ganz Europa.  Dies kann aber weder motiviert sein durch eine Verteidigung der bestehenden EU, ein Gebilde, das Griechenland und andere Mittelmeeranrainer zermalmt hat, noch durch einen Austritt seiner Mitgliedstaaten aus ihr.

Das Banner eines vereinten ArbeiterInnen-Europa, der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa, muss entfaltet werden: eines Gebietes, das seine Grenzen weit offen hält für Flüchtlinge und alle, die dort für dessen Aufbau arbeiten wollen. Ein solches Europa kann dazu beitragen, dass sich solche Regionen rasch entwickeln, wo der Mangel an Arbeitsstellen, Schulen und Krankenhäusern junge Leute dazu treibt, das Land zu verlassen und bei der Seeüberfahrt nach Europa ihr Leben zu riskieren. Dann wird die Bewegungsfreiheit für Menschen ein wahrhaft freiwilliges Gut sein und einander helfen, eine bessere Welt aufzubauen.