Bremen: Regierung steht – aber rechte Opposition gestärkt

Anne Moll/Bruno Tesch, Infomail 1227, 7. Juli 2023

Die ersten überlokalen Wahlen 2023 liegen mit denen im Land Bremen seit Mitte Mai hinter uns. Die Wahlbeteiligung lag mit 57 % rund 6 Punkte unter der von vier Jahren.

Ergebnisse

Entgegen dem Bundestrend, bei dem die Regierungsparteien Federn lassen mussten, hat sich die SPD bei den Landtagswahlen zur Bremischen Bürger:innenschaft wieder an die Spitze gesetzt und ihren parlamentarischen Erbhof, den sie, rechnet man die Weimarer Zeit hinzu, 90 Jahre lang verbissen verteidigt. Dennoch fuhr die Sozialdemokratie mit rund 30 % nach dem Debakel von 2019 ihr zweitschlechtestes Resultat ein. Die vorige Wahlperiode konnte sie nur durch den Senatsvorsitz in einer Dreierkoalition überstehen, obwohl sie stimmenmäßig der CDU unterlegen war.

Trotz dieser alles andere als berauschenden Tatsachen verstieg sich Amtsinhaber Andreas Bovenschulte nach der ersten Hochrechnung zur Einstufung als „historischer Tag“. Neben dem typischen Eigenlob über überzeugende Sacharbeit spielte der SPD auch die Schwäche der anderen Parteien in die Karten. Viele Wähler:innen sahen diesmal die Notwendigkeit, Stimmen gegen die große Konkurrentin CDU anzuhäufen, was zu Lasten der Mitregent:innen ging.

Abgestraft wurden vor allem die Grünen, abgesackt auf 11,9 %, deren inkonsequente Verkehrspolitik, aber auch die bundespolitisch umstrittenen Entscheidungen auf dem Energiesektor ihnen einen krassen Einbruch einbrockten. Die Spitzenkandidatin Maike Schaefer zog bereits die Konsequenzen und legte ihren Parteivorsitz einen Tag nach der Wahl nieder.

Die Partei DIE LINKE blieb von Einbußen weitgehend verschont und erzielte 10,9 % Wähler:innenanteil. Die Parteispitze führt dies in erster Linie jedoch nicht auf einen Kurs der Mobilisierung z. B. in der Tarifauseinandersetzung zurück, sondern auf ihr pragmatisches Verhältnis zu anderen Parteien. Es nimmt nicht Wunder, dass ihnen auch von über 40 % der CDU-Wähler:innenschaft eine Kompetenz in Sachen Wirtschaft – sprich kapitalistischer Mängelverwaltung – attestiert wird.

Eigentliche zahlenmäßige Gewinnerin war die rechtspopulistische Partei Bürger in Wut, die ihren Stimmenanteil auf fast das Vierfache (9,4 %) steigerte, in Bremerhaven gar auf über 20 % kam, jedoch auch Voten von der AfD abfischte, die wegen Verstoßes gegen das Wahlgesetz – sie hatte 2 Kandidat:inntenlisten eingereicht – nicht zu den diesjährigen Wahlen antreten durfte. Die Bundes-AfD will dagegen erneut Klage einreichen und erhofft sich davon eine Wahlwiederholung. Als kleinste Oppositionspartei zog auch die FDP haarscharf mit 5,1 % noch in die Bürgerschaft, das Bremer Landesparlament, ein. Das bringt die dort vertretene Parteienpalette auf ein halbes Dutzend.

Regierungskonstellation wird fortgesetzt

Die beiden braven Juniorpartner:innen, Grüne und LINKE, durften auf eine Fortsetzung des Dreibundes hoffen, zumal SPD-Chef Bovenschulte bereits im Wahlkampf seine Neigung hierzu nicht verhohlen hatte. Nach vier Wochen konnten die Verhandlungen abgeschlossen werden und nach Billigung des Vertrags durch die Landesparteitage der drei beteiligten Koalitionär:innen geriet die für Mittwoch, den 5.7., vorgesehene Wahl des neuen Senats nur noch zur Formsache.

Die Neuzusammensetzung sieht vor, dass die SPD , die wieder den Bürgermeister stellt, 4 Ressorts (Inneres, Bildung, Arbeit, Soziales, Justiz, Bau- und Verkehr) besetzt, die Grünen 2 (Finanzen, Klima und Wissenschaften) und DIE LINKE ebenfalls 2 (Wirtschaft und Häfen sowie Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz) bekleiden. Es hat auch personell einiges Stühlerücken gegeben.

Interessanter jedoch sind die durchgesickerten Konfliktpunkte, bei denen die SPD ihr Gewicht bei den Verhandlungen in die Waagschale werfen konnte. So sagte Bovenschulte: „Wir werden auch in dieser Konstellation massiven Einfluss auf die Hafenpolitik nehmen,“ und deutete an, die Linke beim Energy Port in die Kabinettsdisziplin zwingen zu können. Die neue Hafenanlage im südlichen Fischereihafen Bremerhavens als Nachfolgeprojekt für den gescheiterten Offshorehafen soll die Windenergie auf See unterstützen und als Umschlagplatz für erneuerbare Energien dienen.

Den größten Widerspruch erntete die Linie zur Politik im Gesundheitswesen, wonach Leistungen zentralisiert werden sollen, weil der Klinikverbund defizitär arbeitet und deswegen Bereiche geschlossen werden müssten. Von der fixen Idee, die Krankenhäuser als Wirtschaftsunternehmen wahrnimmt, wird also keinen Millimeter abgerückt.

DIE LINKE sieht den größten Dissens in der Innenpolitik, wo die Einsatzgruppe der Bereitschaftspolizei, die dem Streifendienst u. a. bei größeren Einsätzen unterstützt, mit Tasern (Elektroschockpistolen) ausgerüstet werden soll. Die Zahl der Polizeivollstellen soll „perspektivisch“ auf 3.860 anwachsen. All das hinderte ihren außerordentlichen Landesparteitag am Sonntag, dem 2. Juli, nicht, trotzdem mit großer Mehrheit für den Koalitionsvertrag zu stimmen. Berlin lässt grüßen!

Kein Vertrauen in Rot-Grün-Rot!

Gerade in Anbetracht der weit über den lokalpolitischen Tellerrand hinausragenden Probleme wie Inflation, immer schmalbrüstigere Budgets für Sozial- , Bildungs- und Gesundheitsbereich sind keine konstruktiven Impulse für die anstehenden Aufgaben zu erwarten.

Hochfliegende Pläne musste der Zwei-Städte-Staat schon mehrfach einmotten, wie z. B. das Space Center. Ob der geplante Energiehafen Bremerhaven sich aus dem ökonomischen und sozialen Tal heraushieven und nicht das Schicksal seines Vorgängers Offshore erleiden wird, darf mindestens angezweifelt werden.

Der Vorsatz, nicht mehr das Schlusslicht in der deutschen Bildungslandschaft zu bilden, nimmt sich dagegen fast bescheiden und realistischer aus. Die Arbeiter:innenklasse und die städtische Armut werden sich auf jeden Fall weiter warm anziehen und gegen Einschnitte in ihrem Lebensalltag ankämpfen müssen, z. B. durch Bildung von Preiskontroll- und Mieter:innenkomitees auf Stadtteilebene, die zentralisiert werden sollten.




Die SPD wird stärkste Kraft in Bremen??

Anne Moll/Karl-Heinz Hermann, Infomail 1222, 14. Mai 2023

Musste die SPD 2019 noch bangen, die Regierungsmehrheit zu verlieren und seit 1945  nicht mehr an der Landesregierung in Bremen beteiligt zu sein, steht sie, laut Umfragewerten, eine Woche vor der nächsten Wahl deutlich besser da.

Bremer Senatsgeschichte

Sie regiert im Zwei-Städte-Staat also ununterbrochen seit dem 2. Weltkrieg, darunter in 2 von den Alliierten ernannten Senaten vor der ersten Landtagswahl 1946 (Vagts, Kaisen I). In den ersten 3 Senaten, darunter dem ersten gewählten (Kaisen II), saß auch die KPD gemeinsam mit BDV (Bremer Demokratische Volkspartei, ab 1951 in die FDP übergegangen) und SPD.

Hat sie etwas richtig oder haben die an der Landesregierung beteiligten Parteien, die Grünen und DIE LINKE, alles falsch gemacht?

Bilanz des Senats Bovenschulte (Rot-Grün-Rot)

Wenn wir uns die Politik der letzten Jahre in Bremen anschauen, sind die Probleme alle noch da, und einige haben sich verschärft.

In der Wahrnehmung der Menschen dort gilt allerdings nicht vor allem die SPD als unfähig, sondern ihre Koalitionspartner:innen haben sehr viel mehr mit Kritik und auch mit Stimmenverlusten zu kämpfen.

Die Grünen, werden besonders über die Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau und Stellvertreterin des Präsidenten des Senats, Bürgermeisterin Maike Schaefer, bewertet – und hier besonders negativ. Die Idee, Bremen als Fahrradstadt umzugestalten, wurde von einer großen Minderheit sehr positiv aufgenommen. Die Realisierung dieses durchaus strittigen Vorhabens – unserer Meinung nach sollte der Schwerpunkt auf dem ÖPNV, insbesondere dem schienengebundenen, liegen – erfolgte aber so chaotisch und wenig konsequent, dass auch diejenigen, die hinter der Idee stehen, es den Grünen nicht zutrauen, diese auch umzusetzen.

DIE LINKE mit der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Claudia Bernhard, zeigt große Schwächen bei den Lösungsansätzen für die seit Jahrzehnten verschuldeten kommunalen Krankenhäuser. Klar: Die Probleme hat DIE LINKE nicht verschuldet, aber sie versucht, diese Lösung nun gegen die Beschäftigten durchzudrücken, was ihr einen großen Stimmenverlust einbringen wird.

Die SPD hat es geschafft, sich als stabilisierend und verlässlich darzustellen, obwohl das Wirtschaftsressort auch von der Linkspartei geführt wird und es um die Bildung in Bremen schlechter wohl nicht mehr bestellt sein kann – ein Ressort, das von der SPD bekleidet wird.

Wahlprognosen

Erklären kann dies nur die Besonderheit in Bremen, traditionell SPD zu wählen, um die CDU zu verhindern, gepaart mit einem Sympathieträger wie dem Bürgermeister und Senatspräsidenten Andreas Bovenschulte, der so bodenständig und vertrauenswürdig daherkommt im Gegensatz zu seinem Vorgänger Sieling, der als distanzierter Bürokrat wahrgenommen wurde.

Die SPD konnte sich in der Koalition der letzten Jahre damit hervortun, dass sie den Mindestlohn in Bremen und Bremerhaven eher erhöht hatte, als der Bund das vorsah. Außerdem hält sich die Meinung, dass die Bremer Regierung die Pandemie ganz gut gemanagt hat. Es gab schnell viele Testzentren, kurzfristig FFP2-Masken umsonst, die Impfungen liefen organisiert und es gab wegen der Pandemie keine Massenentlassungen.

Zusätzlich spielt natürlich die höhere Erwerbsquote eine Rolle. Besonders für Bremerhaven konnte hier gepunktet werden. Was allerdings weniger eine Bremer Leistung ist, als ein bundesweiter Trend und im Großunternehmen Daimler gibt es seit Monaten Produktionsprobleme, vor allem wegen der Zulieferung, und es wurden in diesem Jahr hunderte Leiharbeiter:innen nicht weiterbeschäftigt.

Aber auch die CDU ist politisch ideenlos, kann keine neuen Lösungsansätze bieten, kritisiert vor allem die schlechte Politik der jetzigen Regierung und das reicht in Bremen nicht, um die SPD abzulösen.

Neben der Besonderheit, dass, wie zuweilen mancherorts außerhalb des kleinsten Bundeslands gewitzelt wird, bereits Karl der Große Bremen als Lehen auf Lebenszeit an die SPD verpachtet habe, gibt es bei dieser Wahl eine weitere: Die AfD steht nicht auf dem Stimmzettel. Sie hat es geschafft, sich in Bremen und Bremerhaven so zu zerstreiten, dass sie dadurch gar nicht zugelassen wurde. Aber der rechte Flügel bleibt nicht unbesetzt: Die Wählervereinigung Bürger in Wut (BiW), ein Ableger der Schill-Partei seit 2004 und eine weitere Besonderheit des Zwei-Städte-Staats, kommt entsprechend über die 5 %-Hürde und wird statt der AfD wohl in die Bürgerschaft einziehen. Prognosen bewegen sich um die 9 %, vergleichbar wie die für DIE LINKE. Bisher profitierte die BiW von einer Besonderheit des Bremischen Wahlrechts: Die 5 % müssen nur in einer der beiden Städte erreicht werden. So reichte ihr bisher die Unterstützung aus Bremerhaven. In Bremen Stadt erzielte sie nur im abgehängten Norden ähnlich respektable Ergebnisse. Mittlerweile erhält sie im ganzen Bundesland gute Prognosen. Ursachen dafür: Sie beerbt das Wähler:innenpotenzial der AfD (2019: 9,1 % in Bremerhaven; 5,6 % in Bremen; 5 Sitze in der Bürgerschaft). Außerdem verfügt sie dank Unterstützung durch die neugegründete rechtskonservative Kleinpartei Bündnis Deutschland über ein großes Wahlkampfbudget. Manche munkeln, es stehe dem der Grünen nicht nach. Schließlich begünstigt das Wahlrecht mit der Möglichkeit, 5 Stimmen auf einzelne Kandidat:innen und Listen verteilen zu können, kleine Parteien. Diese wird einer weiteren Bremensie, der MERA25, einem Ableger der EU-weiten Bewegung DiEM25 aber laut allen Voraussagen trotzdem nicht zum Sprung in die Bürgerschaftssessel verhelfen.

Wählt DIE LINKE, aber organisiert den Kampf!

Zur Wahl rufen wir zur Stimmabgabe für DIE LINKE auf. Unsere Unterstützung ist aber eine kritische, denn wir wählen eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei wie SPD und/oder DIE LINKE trotz ihrer Politik und nicht wegen ihr. Es ist ihre Basis, die angesprochen, in ihrer fortschrittlichen Haltung (Die Arbeiter:innenschaft braucht eine Partei, die sich allein auf sie stützt und von ihr gestützt wird) gegenüber allen offen bürgerlichen Parteien einschließlich der Grünen bei der Stimmabgabe gestärkt gehört. Das erleichtert den Dialog mit dem organisierten Teil unserer Klasse und ermöglicht uns, ein offenes Ohr für unsere Kritik an ihrer vollständig bürgerlichen Politik zu finden, die in Forderungen an diese Parteien vor den Augen ihrer Basis münden muss.

DIE LINKE ist die erste Gliederung im Westen der Republik gewesen, die den Sprung in ein Landesparlament und in die Regierung geschafft hat. Aber nicht dies ist ausschlaggebend für unsere Wahlempfehlung und es sind auch nicht ihre „Glanzlichter“ als Regierungspartei (Impfkampagne, Pilotprojekte für die Unterbringung von Obdachlosen, Drogenpolitik und Durchsetzung der Ausbildungsabgabe für nicht ausbildende Betriebe). Im Unterschied nach wie vor zur SPD wird sie von den klassenbewusstesten Elementen (Arbeitslosen-, Wohnungs- und Stadtteilinitiativen, linken Vertrauensleuten und Betriebsräten) gewählt. Das macht – einstweilen noch – den Unterschied zur größeren und rechteren Sozialdemokratie aus: dass sie die fortgeschritteneren Schichten der Arbeiter:innenklasse repräsentiert, anders als die SPD.

Kein Wunder also, dass folglich ein größerer Widerspruch zur Realpolitik der Parteimehrheit, deren traurigen Kern wir oben beschrieben haben, auch unter ihren Funktionsträger:innen wie Cornelia Barth, Mitglied im Bundessprecher:innenrat der Strömung Sozialistische Linke, und Olaf Zimmer zum Ausdruck kommt und die Linksjugend [’solid] eigene Plakate für den Nachwuchskandidaten Dariush Hassanpour kleben darf. Insbesondere Zimmer tritt verbal für eine konsequent antimilitaristische Linie der LINKEN gegen die Unterstützung der Landespartei für Waffenlieferungen an die Ukraine ein, die damit der Beschlusslage der Bundespartei Hohn spricht. Diese Kräfte in Funktionärskörper und Parteijugend sind neben der Parteibasis die ersten Adressat:innen für Vorschläge, die die Partei auf einen klassenkämpferischen Weg bringen sollen und somit den Widerspruch zwischen Arbeiter:innenbasis und Wähler:innenschaft einerseits und bürgerlicher Regierungspolitik andererseits zuzuspitzen helfen können. Der linke Flügel muss sich fraktionell organisieren und darf den Kampf für notwendige Forderungen und das Eintreten für eine Ende der bürgerlichen Koalitionspolitik nicht scheuen, um den Bruch mit der Partei zu vermeiden, denn letztlich brauchen wir etwas ganz anderes als DIE LINKE.




Airbus: Belegschaftsabwurf ohne Fallschirm?

Bruno Tesch, Infomail 1111, 16. Juli 2020

Die Entlassungs-Pandemie beginnt sich auszubreiten. Nach der Lufthansa ist ein weiteres großes Unternehmen ins Trudeln geraten. Die Geschäftsführung von Airbus SE, einem Konzern, der neben Luft- und Raumfahrt auch von Rüstungsgeschäften lebt, hat die Streichung von 15.000 der insgesamt rund 133.000 Stellen verkündet. Airbus unterhält 70 Standorte in Europa sowie weitere Vertretungen auf anderen Kontinenten. In Deutschland würde dies den Abbau von mehr als 5.000 Arbeitsplätzen bedeuten. Betroffen sind natürlich nicht nur die Belegschaften der einzelnen Standorte, sondern auch etliche Tochtergesellschaften und Zulieferbetriebe.

Erste Proteste

Man hatte die Öffnung der Schublade, in der die Entlassungspläne schon länger lagen, mit der Lähmung durch das Covid-19-Virus und in einer traditionellen Ferienzeit clever getimt. Dennoch hat sich Widerstand geregt. Der Unmut unter den Belegschaften in den hauptsächlich norddeutschen Standorten Hamburg, Bremen, Nordenham und Varel hat dazu geführt, dass Betriebstat und IG Metall Küste am 8. Juli 2020 einen koordinierten Aktionstag durchführten. Der Schwerpunkt lag in Bremen, das mit der Androhung des Wegfalls von mindestens 600, wahrscheinlich aber bis zu 1.000 Jobs, am heftigsten betroffen sein wird. Demnach würde dort jeder fünfte Job in den nächsten zwei Jahren wegrationalisiert.

Vor der Airbus-Verwaltung in Bremen protestierten 1.000 Beschäftigte lautstark gegen die Konzernpläne. Für den Stadtstaat Bremen, ohnehin eines der Armenhäuser der Republik,

käme die möglicherweise gänzliche Schließung des Werks einem weiteren infrastrukturellen und sozialen Luftröhrenstau gleich. Anderswo, wie in Hamburg-Finkenwerder, fiel der Protest um einiges gemächlicher aus. Hier hatten sich vor dem Werksgelände gerade einmal 100 Leute mit Abstand aufgestellt. Dennoch ist dieses gemeinsame Vorgehen als Zeichen zu werten, dass die Bereitschaft besteht, die Angriffe der Unternehmensleitung nicht widerstandslos hinzunehmen, und von daher zu begrüßen.

Was will die IG Metall?

Die Absicht der Gewerkschafts- und Betriebsratsführung ist es jedoch nicht, dieses Auftreten als erste Sprosse einer Stufenleiter von weiteren Kampfmaßnahmen einzupflocken, sondern sie trachtet danach, dem Ärger der Airbus-ArbeiterInnen ein Ventil zu geben und ihnen dies bereits als ultimatives Betätigungsfeld anzuweisen. Denn die reformistische Bürokratie will im August in Unterredungen mit der Geschäftsleitung einsteigen und hat hierfür schon jetzt eine defensive Strategie eingeschlagen. Sie will dem Konzern KurzarbeiterInnengeld oder Förderprogramme des Bundes als Alternative zu Massenentlassungen anbieten.

Wer den KollegInnen KurzarbeiterInnengeld als Lösung verkauft, gibt von vornherein existenzielle Positionen preis, versucht, Beruhigungspillen zu verteilen, und spaltet am Ende die Belegschaften für einen möglichen gemeinsamen Kampf. Er überlässt den Bossen und dem Staat das Heft des Handelns. Die Beschäftigten in Kurzarbeit müssten mit deutlich weniger Einkommen über die Runden kommen, der Konzern würde hingegen schon mal ihr Entgelt einsparen. Eine Garantie für den Erhalt von Arbeitsplätzen stellt dies aller Erfahrung nach sowieso nicht dar – im Gegenteil, für viele Arbeitskräfte, die über längere Zeit in Kurzarbeit und daher ohnedies nicht mehr im Betrieb sind, könnte sich eine solche Lösung leicht als Übergang zur Arbeitslosigkeit entpuppten. Die Verfügung über die Fördermittel des Staates läge natürlich auch nicht in Händen der ArbeiterInnenschaft, sondern in der Vollzugsgewalt der KapitalistInnen.

Die regionale IGM-Spitze hält den Personalabbau für „überzogen“. Darin steckt derselbe Denkansatz wie die Kritik an der „Unverhältnismäßigkeit“ eines Polizeieinsatzes. Die Entscheidungshoheit der Bosse in Sachen Personalpolitik wird als praktisch notwendig hin- und vorweggenommen. In Verhandlung steht offenbar nur die Minderung der Zahl der „Freisetzungen“. Um Beschäftigung zu sichern, „müssten alle staatlichen und tarifrechtlichen Mittel geprüft werden.“ Darin erschöpft sich die Weisheit der „kämpferischen“ BürokratInnen.

Welche Perspektive?

Dabei verkündete der IGM-Funktionär Daniel Friedrich auf der Kundgebung in Finkenwerder: „Wir brauchen keine Abrissbirne, sondern eine Brücke für die Zukunft.“ Wer davon spricht, muss aber auch Farbe bekennen. Was und für welche Zwecke soll bei Airbus produziert werden? In der Rüstungsgütererzeugung rangiert der Konzern in Europa als Nummer zwei hinter BAE-Systems. Im Zweigwerk Varel werden bspw. Lufteinlaufschalen und -röhren für den Eurofighter sowie Großbauteile für den A440M-Militärtransporter gefertigt.

Wenn die militärische Relevanz von Airbus für zukunftweisend gehalten wird, muss auch die Stützung der imperialistischen EU- und NATO-Strategie als unverzichtbar erscheinen. Nicht umsonst ist der französische Staat zu 15 % am Konzern beteiligt.

Was bereits im Rettungspaket für die Lufthansa fehlte, nämlich Auflagen bezüglich Umweltschonung, gilt auch für Airbus, dessen Großraumflugzeuge nicht zuletzt wegen ihrer ökologischen und verkehrsraumtechnischen Fragwürdigkeit schon lange umstritten sind.

Selbstverständlich muss aber der Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze an der Seite der Beschäftigten von Airbus geführt werden. Es darf aber nicht bei einmaligen Protestaktionen oder bloß symbolischen Ergänzungen von Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stehen bleiben. Daher darf die Ausweitung, Führung, Organisierung der Auseinandersetzung schon gar nicht Betriebsräten und DGB-FunktionärInnen überlassen werden, die nur auf Verhandlungsrunden mit den KonzernvertreterInnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit setzen. Diese müssen vielmehr der Kontrolle der von den Entlassungen Betroffenen unterstellt werden.

Aus der Belegschaft müssten sich dazu von der Basis gewählte und dieser Rechenschaft schuldige Kampfkomitees bilden, die Maßnahmen treffen bis hin zu Besetzungsstreiks. Bei Verhandlungen mit dem Konzern muss gefordert werden, dass Öffentlichkeit hergestellt wird, diese also direkt öffentlich übertragen werden. Aus den Kampfkomitees könnten ArbeiterInnenkontrollorgane entstehen, die Einblicke in alle Geschäftsunterlagen nehmen, um die wirkliche Situation des Unternehmens einschätzen und die Pläne der Bosse aufdecken zu können. Diese Kontrollorgane müssten schließlich auch die Frage nach der Zukunft der Produktion und nach den EntscheidungsträgerInnen stellen und beantworten.

Zwei wichtige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Abwehrkampf gegen die Versuche, die Krise auf die ArbeiterInnen abzuwälzen, wären eine Ausweitung des Kampfes über den Standortrahmen hinaus. Airbus steht hier in herausgehobener Stellung und bietet als international aufgestellter Konzern Ansatzpunkte zum Brückenschlag über Landesgrenzen hinaus, beispielsweise nach Frankreich, Rumänien, Spanien und in die Niederlande. Zweitens müsste auch ein Einbezug anderer MetallerInnenbereiche erfolgen. So ist Daimler 30 %-iger Anteilseigner von Airbus. Wenn diese Momente positiv zusammenkommen, könnte ein beispielgebendes Signal für einen Aufschwung von Klassenkämpfen in Europa gesetzt werden.