Die Wahlen in Bolivien: Niederlage des Putsches von 2019

Liga Socialista, Brasilien, Neue Internationale 251, November 2020

Ein Jahr, nachdem sie den bolivianischen Präsidenten Evo Morales gestürzt hatten, haben die rechten und rechtsextremen Parteien, die den Putsch mit Unterstützung und Ermutigung des Weißen Hauses und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) organisiert und angeführt hatten, eine verheerende Wahlniederlage erlitten. Ihre usurpierende Präsidentin, Jeanine Áñez, die Mitte September als Kandidatin zurücktrat, musste nachgeben. Sie muss sich nun wegen der Tötung von 30 Menschen während des Putsches im vergangenen Jahr, insbesondere der Massaker in Senkata, Sacaba und Yapacaní, verantworten.

Wahlergebnis

Nach Wahlschluss am Donnerstag, dem 22. Oktober, wurden Luis Arce und David Choquehuanca Céspedes von der Movimiento al Socialismo (MAS; Bewegung zum Sozialismus) im ersten Wahlgang mit 55,1 Prozent der Stimmen für gewählt erklärt. Carlos Mesa von der konservativen Comunidad Ciudadana (Bürgergemeinschaft) lag mit 28,83 Prozent auf dem zweiten und Luis Fernando Camacho, Kandidat der ultrarechten Creemos (Wir glauben) mit 14 Prozent auf dem dritten Platz. (TSE – https://computo.oep.org.bo/)

Die MAS hat nun den Vorsitz und eine klare Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus. Dieser Sieg der Linken wird von den Volkskräften in ganz Lateinamerika begrüßt werden, wo die Rechte in den letzten Jahren in der Offensive war.

Die Spaltungen zwischen der rechtskonservativen Comunidad Ciudadana und der rechtsextremen Creemos trugen zum Ausmaß der Niederlage bei. Letzteres ist ein klerikales, rechtsextremes Bündnis mit Sitz im südlichen Departamento Santa Cruz, das von der Unión Juvenil Cruceñista (UJC; Jugendunion von Santa Cruz) unterstützt wird, einer faschistischen Bewegung, die in Terroranschläge auf VolksaktivistInnen verwickelt ist.

Weitere wichtige Faktoren waren der chaotische Umgang von Áñez und ihrer Regierung mit der Coronavirus-Pandemie und der Wirtschaftskrise, ihre Sparpolitik, die Privatisierung von Gesundheit, Bildung und natürlichen Ressourcen sowie ihre Angriffe auf die Rechte der indigenen Mehrheitsbevölkerung Boliviens. Nicht zuletzt war es der seit einem Jahr anhaltende Volkswiderstand, der erneut zum Sieg der linkspopulistischen MAS führte.

Für alle?

Bei folgender Erklärung des designierten MAS-Präsidenten Luis Arce sollten die Alarmglocken läuten: „Wir werden für alle BolivianerInnen regieren und eine Regierung der nationalen Einheit errichten.“ Dies ist die typische reformistische Sehnsucht nach Klassenzusammenarbeit, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Rechte positiv darauf reagiert. Auf internationaler Ebene fühlten sich jedoch alle Kräfte, die den Staatsstreich unterstützten, einschließlich der OAS, des Weißen Hauses und der Europäischen Union, verpflichtet, Arce zu gratulieren. Sogar Trump antwortete mit den Worten: „Wir hoffen, in unserem gemeinsamen Interesse arbeiten zu können.“

Laut G1-Globo versuchte der Generalsekretär der OAS, Luis Almagro, sich mit dem Argument zu rechtfertigen, dass es keine Ähnlichkeiten zwischen diesen und den 2019 annullierten Wahlen gebe. „Es gibt keine Parallele, es ist nicht sehr klug, diese Parallele zu ziehen.“ (https://g1.globo.com/mundo/noticia/2020/10/23/bolsonaro-e-o-unico-lider-de-um-pais-vizinho-da-bolivia-que-nao-cumprimentou-luis-arce-pela-vitoria.ghtml)

Noch weniger schlau ist es, das Offensichtliche zu leugnen, nämlich dass der Putsch auf einem zynischen Betrug beruhte und zu Dutzenden von Toten sowie zur Festnahme und Inhaftierung von AktivistInnen der Volksbewegungen führte.

Niemand sollte jedoch vergessen, dass die Figuren, die den Putsch im Oktober 2019 durchgeführt haben, nach wie vor die Armee, die Polizei, die Justiz und die Geheimdienste kontrollieren und ihre Verbindungen zum US-Militär und zum Weißen Haus intakt und wirksam sind.

Darüber hinaus ist die MAS als Verteidigung gegen die Kräfte des internationalen Kapitals und des Imperialismus nicht zuverlässiger als vor 2019. Letztere scheinen gar zu hoffen, dass die Regierung angesichts der Pandemie und der Wirtschaftskrise die sie unterstützenden Massen rasch enttäuscht und den Weg für eine weitere Machtübernahme durch die Rechte öffnet.

Die sozialen Kräfte, die ArbeiterInnen, armen Bauern und Bäuerinnen und indigenen Gemeinschaften, die den „Wasserkrieg“ von 2000 und den „Gaskrieg“ von 2003 geführt und mobilisiert haben, um den Staatsstreich vom vergangenen Oktober zu stoppen, werden erneut mobilisieren müssen, wenn die Kräfte der Reaktion entwaffnet und die Kompromisskräfte, die MAS-FührerInnen, daran gehindert werden sollen, die reichhaltigen natürlichen Ressourcen des Landes, wie die riesigen Lithiumvorkommen, an die multinationalen Konzerne zu verkaufen, die das Land geplündert haben.

Der Putsch von 2019

Am 20. Oktober 2019 wurde bekannt gegeben, dass Evo Morales (MAS) für eine vierte Amtszeit als Präsident von Bolivien wiedergewählt wurde. Mit 47 Prozent der Stimmen und einem Vorsprung von mehr als 10 Prozent gegenüber dem zweitplatzierten Kandidaten Carlos Mesa, der 36,51 Prozent der Stimmen auf sich vereinte, wurde Morales als direkt gewählt erklärt, da es nach dem bolivianischen Wahlgesetz keinen zweiten Wahlgang geben muss, wenn ein/e KandidatIn mehr als 40 Prozent der Stimmen erhält und einen Vorsprung von 10 Prozentpunkten oder mehr gegenüber dem/r nächsthöheren KandidatIn einnimmt.

Verwirrung entstand auf Grund der Methode der Stimmenauszählung in Bolivien, die eine schnelle vorläufige Auszählung (TREP) auf der Grundlage von Auszählungslisten der einzelnen Departamentos vorsieht, auf die dann die offizielle Auszählung jeder Stimme (cómputo) folgt. Nur letztere gilt als entscheidend. Obwohl auf Diskrepanzen hingewiesen und die vorläufige Auszählung gestoppt worden war, wurde Morales schließlich mit einem Vorsprung von 10 Prozent zum Sieger erklärt, wodurch die Notwendigkeit einer zweiten Runde vermieden werden konnte.

Sobald die rechte Opposition erkannte, dass ihre Niederlage unvermeidlich war, begann sie, den Vorwurf des Wahlbetrugs zu erheben. Aus Protest mobilisierte sie tumultartige Demonstrationen und riefen ihre AnhängerInnen auf, auf der Straße zu bleiben, bis ein zweiter Wahlgang zugestanden würde. Bald füllten riesige Gegendemonstrationen von MAS-AnhängerInnen die Straßen von La Paz und ein unbefristeter Generalstreik wurde ausgerufen. Angesichts der umstrittenen Auszählung und der kollidierenden Mobilisierungen gab die MAS-Regierung dem Druck nach und forderte eine externe Überprüfung der Wahl.

Die OAS erklärte am 23. Oktober, dass die beste Option die Durchführung der zweiten Runde sei. Auch die Europäische Union rief zu einer zweiten Runde auf. Am selben Tag erklärte Carlos Mesa, dass er die vom Obersten Wahlgericht (TSE) bekannt gegebenen Ergebnisse nicht anerkenne und kündigte die Bildung einer „Koordination zur Verteidigung der Demokratie“ an, um auf die Durchführung des zweiten Wahlgangs zu drängen.

Zuspitzung

Auf Grundlage der von der TSE veröffentlichten Ergebnisse versuchte Morales, die immer radikaler werdenden Bewegungen der Straße zu überstehen. Doch die Polizei, aber auch Teile der Streitkräfte sowie rassistische und rechte, fundamentalistische Kräfte schlossen sich den PutschistInnen an. Ihre Straßenaktionen wurden immer gewalttätiger, wobei auch PolitikerInnen und ihre Angehörigen, die mit Evo in Verbindung standen, entführt wurden. Dutzende von Menschen wurden in diesen Tagen getötet und verwundet.

Wir kommen nicht umhin, auch auf die skandalöse Tatsache hinzuweisen, dass der Central Obrera Boliviana (COB; Dachverband der bolivianischen Gewerkschaften) den Putsch zunächst unterstützte. Am 10. November „trat“ Morales angesichts der Konfrontationen auf den Straßen und einer Meuterei von Polizei und Streitkräften von der Präsidentschaft zurück und floh mit seinem Vizepräsidenten Álvaro García Linera außer Landes. Morales prangerte den Putsch aus seinem politischen Asyl in Mexiko, Kuba und schließlich Argentinien an.

Am 12. November erklärte sich Jeanine Añes auf einer Sitzung des Kongresses, der verfassungsgemäß nicht beschlussfähig war, zur Interimspräsidentin und versprach, den Frieden im Land wiederherzustellen und so bald wie möglich Neuwahlen auszurufen. Der Staatsstreich war vollendet.

Linera, ein ehemaliger Führer der Guerillabewegung Túpaq Katari in den 1990er Jahren, war auch Theoretiker der Regierung Morales und Autor von „Soziologie sozialer Bewegungen in Bolivien“ (2005). In verschiedenen Artikeln hat er Gramscis „Stellungskrieg“, d. h. institutionelle Reformen, im Gegensatz zu einem „Manöverkrieg“, d. h. einer Revolution, benutzt, um zu argumentieren, dass der Aufbau eines „Andenkapitalismus“ eine notwendige Vorstufe sei, die Jahrzehnte dauern könne, bevor der Sozialismus eingeführt werden könne.

Wichtig waren die Kultur-, Bildungs- und Wohlfahrtsreformen der MAS, die Erklärung Boliviens als plurinationale Republik, die Gleichstellung der Wiphala mit der bolivianischen Trikolore, die Anerkennung der Aymara, Quechua und anderer indigener Sprachen und Kulturen des Landes. Das Versäumnis, das Land der Gemeinden vor Öl- und Gasunternehmen und Agrobusiness zu schützen, zerbrach jedoch das Bündnis, durch das die MAS an die Macht gekommen war. Gleichzeitig führte die Integration der indigenen Organisationen in die Regierungsinstitutionen zu ihrer Bürokratisierung und zur Entwicklung einer Elite, die Evo im entscheidenden Moment verließ.

Widerstand der Basis

Schließlich beschränkten sich die bolivianische Elite und ihre US-BeraterInnen nicht auf einen „Stellungskrieg“, sondern „manövrierten“ Morales und Linera erfolgreich ins Exil. Diese wiederum überließen ihre AnhängerInnen der zärtlichen Gnade der Generäle, PolizeichefInnen und FaschistInnen.

Während die einfachen Mitglieder der MAS und die Volksversammlungen in vielen Städten, insbesondere in El Alto, heldenhaft Widerstand leisteten und schwere Verluste erlitten, ließen die Flucht der MAS-Führer und der Rückzug der MAS-ParlamentarierInnen die Bewegung ohne zentrale Führung zurück. Dies war wirklich eine Schande. Von ihren heutigen NachfolgerInnen in einer künftigen Krise etwas Besseres zu erwarten, wäre der Gipfel der Torheit. Während der Wahl distanzierte sich Luis Arce wiederholt von Morales nach rechts und verfolgte als Wirtschaftsminister in dessen Regierung eine offen prokapitalistische Politik. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er seine Haltung geändert hat.

Der Widerstand hörte jedoch nicht auf, trotz der Repression durch rechtsextreme Banden, der Coronavirus-Pandemie und der wirtschaftlichen Verwerfungen des Landes. Im August, als der Oberste Gerichtshof die am 8. September fälligen Wahlen verzögerte, zeigte eine Welle von Streiks, Straßenblockaden und Demonstrationen der herrschenden Klasse, dass die ArbeiterInnen und die indigenen Massen die wiederholten Verschiebungen nicht tolerieren würden. Dieser Druck sowie die internen Konflikte der Regierung machten Wahlen im Oktober unvermeidlich. Es war also der Klassenkampf, der die Wiederherstellung der formalen Demokratie sicherte. Um sie Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es mehr demokratisch organisierter Massenmobilisierungen, für die Bolivien zu Recht berühmt ist.

Wohin treibt Bolivien?

Dieser Sieg stellt weit mehr als einen Wahlsieg für die PolitikerInnen der MAS dar. Vielmehr ist er das Ergebnis des Widerstands der ArbeiterInnenklasse und der indigenen Bevölkerung, der die fortschrittlichen Kräfte in ganz Lateinamerika ermutigen und stärken kann. Aber wir müssen uns immer daran erinnern, dass dies erst der Anfang dieser Bewegung ist und wir Sorge tragen müssen, damit sie nicht in einer Klassenversöhnung endet.

Nachdem der US-Imperialismus seine Vorherrschaft in Lateinamerika nach etwa einem Jahrzehnt des „Bolivarismus“ und „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ durch die Staatsstreiche in Paraguay, Ecuador, Brasilien und Bolivien wieder behauptet hat, wird der Sieg der MAS einen Widerstandskampf in diesen anderen Ländern fördern. Die bolivianischen Werktätigen zeigten, wie man gewinnen kann: durch Generalstreiks und andere Massenaktionen. Der Weg nach vorn führt über die Organisation und Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse, um revolutionäre Stürme auf dem gesamten amerikanischen Kontinent zu entfesseln.

Es ist jedoch klar, dass die Realität des Kapitalismus in der unterdrückten und ausgebeuteten halbkolonialen Welt nicht durch bürgerliche Wahlen geändert werden kann. Wir müssen eine andere Strategie für die ArbeiterInnenklasse finden, die über Reformismus und Wahlkampf populistischer Parteien wie der MAS hinausgeht. Während sie sich auf die ArbeiterInnen und die verarmten indigenen Gemeinschaften der Landlosen und Bauern/Bäuerinnen (Campesinos) verlassen, um Wahlen zu gewinnen, fallen sie, sobald sie an der Macht sind, in den Orbit des Imperialismus und versuchen, als lokale AgentInnen für den nordamerikanischen, europäischen oder, in jüngster Zeit, chinesischen Imperialismus zu agieren.

Es stimmt, Morales und Linera haben den streitenden externen Mächten Zugeständnisse abgerungen und waren in der Lage, bedeutende, wenn auch vorübergehende Reformen durchzuführen. Wie jedoch der Putsch von 2019 gezeigt hat, wird dieses Taktieren um einen größeren Anteil an den Gewinnen aus Lithium, Kohlenwasserstoffen usw. Putsche und Wirtschaftsblockaden, wie sie Venezuela und Kuba auferlegt wurden, nicht verhindern. Die Verbindung zwischen den arroganten MilliardärInnen, die versuchen, sich Boliviens wertvollsten Bodenschatz Lithium anzueignen, wurde deutlich, als Elon Musk, Milliardär und Eigentümer des Elektroautoherstellers Tesla, per Twitter auf Spekulationen über die Beteiligung der USA an dem Staatsstreich reagierte: „Wir werden putschen, wo wir wollen! Findet euch damit ab!“

Solidarität und Programm

Die ArbeiterInnenbewegung weltweit muss solche Eingriffe von außen anprangern und mit der Forderung kontern, dass die Souveränität Boliviens respektiert werden muss. In Bolivien müssen die politischen FührerInnen des Staatsstreichs von 2019 sowie die KommandeurInnen von Polizei und Streitkräften, die Menschen verhaftet, gefoltert und getötet haben, bestraft werden. Dies ist keine Rache, es ist Gerechtigkeit!

Auch hier wird die Intervention der Massen erforderlich sein, nicht bloße Dekrete von MinisterInnen oder Gesetze, die von Abgeordneten verabschiedet werden. Es wird Disziplinbrüche mit den „Gorillas“, die die einfachen SoldatInnen kommandieren, erfordern, mit demokratischen Rechten für letztere und bewaffneten Milizen für die Volksmassen. Kurz gesagt, das Land für Demokratie und für sozialistische Maßnahmen zur Befriedigung der Bedürfnisse der Massen bereit zu machen, bedeutet, den Repressionsapparat, den Staat der GrundbesitzerInnen und der kapitalistischen Elite zu zerschlagen.

Bolivien muss auch das Recht haben, alle internationalen, für seine Bevölkerung schädlichen Vereinbarungen zu überprüfen, die während der Putschregierung getroffen wurden, welche keine Legitimität hatte, sie abzuschließen. Der Ausverkauf seines Reichtums, insbesondere von Gas und Lithium, muss rückgängig gemacht werden. Die indigenen Völker müssen auch für die Verluste, die ihnen während des Staatsstreichs von Präsidentin Jeanine Áñez entstanden sind, entschädigt werden.

Schließlich muss die bolivianische Bevölkerung weiterhin mobilisiert und organisiert bleiben, um möglichen Reaktionen der rechten PutschistInnen, unterstützt vom Imperialismus, und sogar möglichen Rückzügen der MAS-Regierung entgegenzutreten, die zu der bekannten Klassenversöhnung führen könnten.

Boliviens ArbeiterInnen und arme Bauern/Bäuerinnen müssen eine internationalistische revolutionäre Partei mit einem Programm zum Sturz des Kapitalismus aufbauen. Eine Partei, die die ArbeiterInnenklasse organisiert und den revolutionären Prozess befördert, der sie von der kapitalistischen Sklaverei befreit und sie zur Macht eines neuen Staates, eines sozialistischen Staates, führt.

Die ArbeiterInnenklasse in ganz Lateinamerika spürt die stärkenden Winde, die aus Bolivien und Chile wehen. Dies zeigt auch die dringende Notwendigkeit einer internationalen Organisation, die sie mit den ArbeiterInnen Nordamerikas, Europas und auch Chinas verbindet. Gemeinsam können wir uns von den imperialistischen Mächten und ihren AgentInnen, den korrupten und diktatorischen lokalen Eliten befreien. Deshalb müssen wir den Aufbau einer Fünften Internationale und revolutionärer Parteien in jedem Land auf die Tagesordnung setzen. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Programme muss die Schaffung der Vereinigten Sozialistischen Republiken Lateinamerikas sein.




Bolivien: Kampf für Demokratie ist Kampf für Revolution!

Dave Stockton, Infomail 1113, 14. August 2020

Eine Welle von Streiks und Blockaden, zu der der Gewerkschaftsbund COB und ein Bündnis von Bauern-/Bäuerinnen- und indigenen Organisationen aufgerufen hatten, hat Bolivien lahmgelegt, nachdem das Oberste Wahlgericht TSE die Absetzung der für den 6. September geplanten Wahlen angekündigt hatte.

Unterstützt wird die Bewegung von der Bewegung zum Sozialismus, MAS, der Partei des ehemaligen Präsidenten Evo Morales, der letztes Jahr in einem blutigen Putsch gestürzt wurde. Alarmiert durch Meinungsumfragen, die zeigen, dass die MAS weit vor allen anderen Parteien liegt, hat die regierende rechte Koalition unter der Usurpator-Präsidentin Jeanine Áñez eine Klage eingereicht, um den Präsidentschaftskandidaten der MAS, Luis Arce, zu disqualifizieren.

Áñez kam im vergangenen November in einem von den USA unterstützten Putsch an die Macht, nachdem sie fälschlicherweise behauptet hatte, Morales würde „die Wahl stehlen“. Polizei- und Armeeeinheiten revoltierten gegen die Regierung, griffen MAS-AnhängerInnen an und töteten sie und zwangen Morales ins argentinische Exil. Trotz des Versprechens, innerhalb von 90 Tagen Neuwahlen abzuhalten, hat Áñez die COVID-19-Pandemie ausgenutzt, um die Wahlen dreimal zu verschieben.

Das wiederholte Versäumnis der Regierung, Neuwahlen zu organisieren, beweist, dass die Sorge um die Demokratie ein zynisches Feigenblatt ist, um einen Aufstand der LandbesitzerInnenoligarchie des Landes gegen die progressiven Reformen der MAS-Regierung zu rechtfertigen.

Ökonomische Bedeutung

Bolivien verfügt über die weltweit größten bekannten Reserven an Lithium, einem kritischen Bestandteil der Batterien, die in Elektrofahrzeugen, Computern und einer ganzen Reihe von elektronischen Produkten verwendet werden, die Teil einer gewaltigen Transformation der Industrie des 21. Jahrhunderts sind.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, die US-Regierung habe sich zur Unterstützung des Putsches gegen Morales verschworen, fasste Elon Musk, Milliardär und Eigentümer des Elektroautoherstellers Tesla, die Haltung der OligarchInnen auf Twitter zusammen: „Wir werden Putsch machen, für wen immer wir wollen! Finden Sie sich damit ab“.

Lithium ist der jüngste „Segen“, mit dem die Natur das Land versehen hat. Zunächst plünderten die spanischen ErobererInnen das Silber des Landes. Dann plünderten die im Ausland ansässigen KapitalistInnen, die „Rosca“ (Kette), seine Schätze und hinterließen das Land vergiftet, rückständig und das bolivianische Volk als verarmtestes auf dem Kontinent.

Jetzt schließen sich die AusbeuterInnen von Öl, Gas und Lithium mit den europäischstämmigen Eliten des Landes zusammen, um jeden Widerstand gegen ihre Versuche, diese lebenswichtigen Ressourcen zu monopolisieren, zu brechen. Für die USA kommt es nicht in Frage, dass chinesische oder europäische KonkurrentInnen, mit denen Morales und Linera verhandelt haben, Zugang zu einem so großen Teil der Reserven Lateinamerikas erhalten.

Zu dieser beschämenden Bilanz der kolonialen und imperialistischen Ausbeutung kommt nun noch eine Katastrophe im Bereich der öffentlichen Gesundheit hinzu, die die sozialen Fortschritte der letzten zwei Jahrzehnte zunichtezumachen droht.

Pandemie

Das Gesundheitswesen und die öffentlichen Dienste des Landes sind so überfordert, dass die Bestattungsdienste völlig zusammengebrochen sind. Krankenhäuser weisen PatientInnen ab, Tote und Sterbende werden auf den Straßen ausgesetzt, und mobile Einäscherungswagen touren durch die Straßen von La Paz.

Die offizielle Zahl der Todesopfer liegt bei 3.000, und die Zahl der Infizierten hat in einem Land mit 11,5 Millionen EinwohnerInnen 85.000 überschritten. Diese Zahlen sind sicherlich eine grobe Unterschätzung, da Bolivien eine der niedrigsten Testraten aufweist.

Die Regierung von Áñez hat sich sowohl als unfähig wie auch als unwillig erwiesen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Sie kann auch das damit einhergehende wirtschaftliche Chaos nicht mildern. Die Arbeitslosigkeit hat sich auf 8 Prozent verdoppelt, und bis Ende des Jahres wird eine halbe Million BolivianerInnen in die Armut getrieben worden sein.

Es ist unbestreitbar, dass Bolivien eines der am schlimmsten vom Virus betroffenen Länder ist. Die Verantwortung für die Katastrophe liegt bei der Regierung der LandbesitzerInnen und OligarchInnen und ihrer Verachtung für die arme, ländliche und indigene Bevölkerung Boliviens. Die Volksbewegungen haben Recht, wenn sie nicht zulassen, dass die Regierung den Gesundheitsnotstand dazu benutzt, sie zu erpressen, die Fortsetzung des Putschregimes zu akzeptieren.

Trotz der Einschüchterungs- und Terrorkampagne, die von der Regierung und ihren faschistischen AnhängerInnen gegen die MAS und Bauern-/Bäuerinnenorganisationen geführt wurde, haben sich Boliviens ArbeiterInnen und indigene Gemeinschaften geweigert, ihren Kampf gegen die OligarchInnen und ihre US-SponsorInnen einzustellen. Zehntausende haben in mehr als 100 Märschen und Blockaden mobilisiert und die Infrastruktur des Landes lahmgelegt.

Der Regierung könnte eine blutige Konfrontation erspart bleiben, wenn es Evo Morales gelingt, Verhandlungen zwischen der COB und der TSE zu vermitteln und einen alternativen Wahltermin auszuhandeln. Obwohl er seine AnhängerInnen während der Kämpfe im vergangenen Jahr im Stich gelassen hat, behält Morales die MAS fest im Griff und lenkt ihre Politik weiterhin von Buenos Aires aus.

Dieser Versuch, einen Kompromiss mit eben jenen zu schließen, die die MAS vor weniger als einem Jahr gestürzt haben, zeigt, dass die entscheidenden Lehren aus dem völligen Bankrott der Strategie der MAS nicht gezogen worden sind. Diese bestand darin, mit der Unterstützung von Teilen der bolivianischen Bourgeoisie und den reicheren Teilen der Bauern-/Bäuerinnenschaft zu regieren und zu versuchen, zwischen den rivalisierenden ImperialistInnen zu manövrieren.

Das Sündenregister der MAS

Die MAS ist eine kleinbürgerlich-populistische Bewegung, die unter Morales und seinem Vizepräsidenten Álvaro García Linera ein durch und durch kapitalistisches Wirtschaftssanierungsprogramm durchführte, das darauf beruhte, die nationalen Ressourcen des Landes zu verkaufen, um Programme zur Umverteilung des Reichtums zu finanzieren. Diese hatten zwar massive Auswirkungen auf die Verringerung der Armut und die Erhöhung der Alphabetisierung, ließen aber die Macht der LandbesitzerInnen und OligarchInnen weitgehend unangetastet.

Linera, ein ehemaliger Anführer der Guerillaarmee Túpac Katari in den 1990er Jahren, entwarf Anfang der 2000er Jahre eine auf Mao und Gramsci basierende Etappentheorie, um Jahrzehnte kapitalistischer Entwicklung zu rechtfertigen, die irgendwann in ferner Zukunft die Grundlage für den Sozialismus legen sollte.

Unter dieser Führung lenkte die MAS die massenhaften revolutionären Erhebungen des Wasserkrieges von Cochabamba 1999-2000 und des Gaskrieges 2003 in die Wahl von Morales und einer MAS-Regierung im Jahr 2006 um. Sie blieb zwar bis zum Putsch im vergangenen Jahr im Amt, aber dies ging auf Kosten der Wiederherstellung der Macht des erschütterten Staatsapparates. Tatsächlich rüstete die MAS die bolivianischen Repressionskräfte mit riesigen Mengen von den USA gekaufter Waffen wieder auf.

Morales und Linera unternahmen jedoch eine „Kulturrevolution“, die dadurch symbolisiert wurde, dass sie den Staat als „plurinationale Republik“ definierten und die siebenfarbige karierte Wiphala-Flagge mit der bolivianischen Trikolore kombinierten, was die rassistischen, evangelikalen GrundbesitzerInneneliten erzürnte. Während des Putsches wurde das Wiphala-Zeichen abgerissen und mit Füßen getreten.

Indem sie die Macht der OligarchInnen und LandbesitzerInnen im Wesentlichen intakt ließ und der Bewegung für eine radikale verfassunggebende Versammlung die Spitze brach, bewahrte die MAS-Regierung auch die Strukturen und Institutionen des kapitalistischen Staates und ebnete damit schließlich den Weg für ihren eigenen Sturz.

Die Koalition der sozialen Kräfte, die Morales an die Macht gebracht hatte, die ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnengewerkschaften, die ländlichen Gemeinden der mehrheitlich Aymara  und Quechua sprechenden indigenen Gemeinschaften des Landes, löste sich auf, nachdem er erfolglos versucht hatte, die Verfassung zu ändern, um ihm die vierte Amtszeit in Folge als Präsident zu ermöglichen.

Die kapitalistische Politik im Interesse das ausländischen Kapitals, die auf der Gewinnung von Kohlenwasserstoffen und Lithium basierte, entfremdete die Gemeinschaften, die durch eine solche „Entwicklung“ zerstört worden wären. Infolgedessen unterließen es die COB und die Organisation der indigenen Gemeinden, FEJUVE, während des Novemberputsches, Morales zu verteidigen. Dies stellte sich als schwerwiegender Fehler heraus.

Die anhaltende Unterstützung des Volkes für die MAS, die in Meinungsumfragen zum Ausdruck kommt, ist eher eine Verurteilung der Regierungskoalition und des Fehlens einer tragfähigen Wahlalternative als eine positive Bestätigung ihrer AnführerInnen, die den Kampf gegen den Staatsstreich aufgegeben haben. Aber die Lehren aus 14 Jahren Morales und der MAS müssen gezogen werden, und es muss endlich eine politische Partei geschaffen werden, die von den ArbeiterInnen geführt und von armen Bauern und Bäuerinnen unterstützt wird, für die auf COB-Konferenzen oft gestimmt, die aber nie verwirklicht wurde.

Trotz der Machenschaften von Morales, dessen fortgesetzte Führung zu einer Katastrophe führen wird, wenn sie nicht überwunden wird, hat sich die COB zusammen mit den wichtigen Verbänden von KokapflanzerInnen, Bauern und Bäuerinnen und indigenen Völkern bisher geweigert, die Blockaden aufzuheben, bis der ursprüngliche Wahltermin wiederhergestellt ist.

Der Weg nach vorn besteht darin, das Land mit dem Generalstreik und den Blockaden völlig zu lähmen, Milizen zur Verteidigung der Bewegung zu gründen und unter den SoldatInnen und der Polizei zu agitieren, damit sie nicht auf das Volk schießen. Um die landesweite Bewegung zu koordinieren, sollten in jedem städtischen Bezirk und in jeder ländlichen Gemeinde Räte aus ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnendelegierten gewählt werden.

Ein entscheidender Schritt für die Bewegung ist die Übernahme der Kontrolle über die Bereitstellung und Verteilung der Gesundheitsfürsorge zur Bekämpfung der Pandemie, beginnend mit den von der Weltgesundheitsorganisation gespendeten 1,8 Millionen US-Dollar an Hilfsgütern. Darüber hinaus sollte sie die Kontrolle über den Transport, die Nahrungsmittel und die medizinische Versorgung übernehmen, um den Aufstand aufrechtzuerhalten und die Gefahr zu beseitigen, dass die KapitalistInnen Aussperrungen und das Horten von Vorräten benutzen, um die Bewegung in Unterwerfung auszuhungern.

Permanente Revolution

Gegenwärtig ist die Bewegung in Bolivien ein Kampf für die Wiederherstellung der Demokratie. Aber die Revolte der Bourgeoisie, die von Elementen innerhalb des Staatsapparates unterstützt wird, zeigt, dass die Bewegung, um eine wirkliche Demokratie zu gewinnen, für eine ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenregierung kämpfen muss, die den Repressionsapparat des Staates zerschlägt und die LatifundienbesitzerInnen und ausländischen MonopolkapitalistInnen enteignet.

Die Grundlage für diese Regierung kann sich aus der gegenwärtigen Bewegung ergeben, indem die Forderung nach einer souveränen verfassunggebenden Versammlung, die sich aus Delegierten der ArbeiterInnen- und BäuerInnenräte zusammensetzt, aufgegriffen wird und Wahlen zu dieser Versammlung organisiert werden.

Ein solches revolutionäres Ergebnis ist der Geschichte Boliviens nicht fremd. Von den 1940er bis in die 1980er Jahre hatte die Gewerkschaft der BergarbeiterInnen in den Zinn-Minen, FSTMB, das Rückgrat der bolivianischen ArbeiterInnenklasse, eine heroische Bilanz des offen revolutionären Kampfes im Bündnis mit den indigenen Bauern-/Bäuerinnenschaften vorzuweisen.

Im Jahr 1946 verabschiedete sie ein Manifest, die Pulacayo-Thesen, das die trotzkistische Strategie der permanenten Revolution aufgriff. Sie verfolgten Agrarrevolution, demokratische und antiimperialistische Ziele bis hin zur Enteignung der imperialistischen AktionärInnen und der bolivianischen LandbesitzerInnenelite.

Leider wandten sich ihre Führungen in kritischen Momenten, während der „nationalen Revolution“ von 1953, während des enormen BergarbeiterInnenstreiks und Marsches auf La Paz 1986 und während der Gas- und Wasserkriege Anfang der 2000er Jahre von der Gründung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei ab, die mit den armen Bauern-/BäuerInnen- und indigenen Gemeinden verbündet wäre und sich dem Kampf für ArbeiterInnenmacht und Sozialismus verschriebe.

Stattdessen unterwarfen sie sich bürgerlichen und kleinbürgerlich-nationalistischen Parteien wie der Revolutionär-Nationalistischen Bewegung in den 1940er und 1950er Jahren und dann der MAS in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts.

Die Gründung einer echten revolutionären ArbeiterInnenpartei, die den in den Pulacayo-Thesen vorgezeichneten Weg zur permanenten Revolution erneuert, dass „die bürgerlich-demokratische Revolution, wenn sie nicht erstickt werden soll, sich in eine bloße Phase der proletarischen Revolution verwandeln muss“, ist die Voraussetzung für den Sieg der Demokratie in Bolivien, auf der Grundlage einer demokratisch geplanten, sozialistischen Wirtschaft mit Autonomie für die indigenen Gemeinden.

Nur auf diesem Fundament kann eine revolutionäre Regierung beginnen, den enormen Reichtum Boliviens zu nutzen, um für seine Bevölkerung Vollbeschäftigung, eine universelle Gesundheits- und Bildungsversorgung und den Schutz der natürlichen Umwelt Boliviens als Grundlage für eine soziale und ökologische Revolution auf dem Planeten zu gewährleisten.




Bolivien: Wie kann der November-Putsch rückgängig gemacht werden?

KD Tait, Infomail 1085, 17. Januar 2020

Der erste indigene Präsident Boliviens, Evo
Morales, und sein Vizepräsident, Álvaro García Linera, wurden durch einen
Putsch gestürzt, der am 10. November 2019 seinen Höhepunkt erreichte. Beide
traten zurück und flohen ins Exil nach Mexiko. Ihr Rücktritt erfolgte auf
Meutereien in der Polizei und auf die „Anregung“ des damaligen
Oberbefehlshabers der Armee, General Williams Kaliman Romero.

Die stellvertretende Vorsitzende des Senats,
Jeanine Áñez, installierte sich in der Präsidentschaftsresidenz, schleppte eine
große Bibel an und rief aus: „Gott sei Dank! Er hat der Bibel erlaubt, in den
Palast zurückzukehren“. Áñez, eine bigotte Katholikin, hat zuvor getwittert,
wie sie „von einem Bolivien träumt, das frei von indigenen satanischen Riten
ist“ und dass La Paz „nicht für die IndianerInnen da ist – sie gehören ins
Altiplano oder in den Chaco“.

Der Anführer des rechtsextremen Flügels des
Putsches, der Multimillionär Luis Fernando Camacho, hat Verbindungen zur
faschistischen Unión Juvenil Cruceñista (Jugendvereinigung von Santa Cruz), die
ihn in den Palacio Quemado, die Präsidentenresidenz in La Paz, eskortierte, wo
er verkündete: „Pachamama wird niemals in den Palast zurückkehren, Bolivien
gehört Christus“. (Pachamama ist die Mutter-Erde-Figur für die einheimischen
Andenvölker.)

AnführerInnen von Morales‘ Partei, der Bewegung
zum Sozialismus, Movimiento al Socialismo oder MAS, suchten Zuflucht in der
mexikanischen Botschaft. Abgeordnete und BürgermeisterInnen der MAS wurden auf
der Straße geschlagen und von PutschistInnen zu Selbstdemütigungen gezwungen.
Mobs rissen die Wiphala, die karierte Regenbogenfahne der indigenen Mehrheit
des Landes, die Morales neben der bolivianischen Trikolore anerkannt hatte, ab
und verbrannten sie, und Polizei und SoldatInnen rissen sie von ihren
Uniformen.

Nachdem Áñez ein Dekret erlassen hatte, das die
Armee und die Polizei von der strafrechtlichen Verantwortung für alle Maßnahmen
zur Wiederherstellung der Ordnung befreit, eröffnete das Militär das Feuer auf
unbewaffnete DemonstrantInnen in Senkata und Sacaba, wobei über 30 von ihnen
getötet wurden. Diese Massaker zeigen, dass der Putsch eine Konterrevolution
darstellt, nicht nur gegen Morales‘ Reformen, sondern auch gegen die
massenhaften revolutionären Kämpfe der frühen 2000er Jahre, die sogenannten
Wasser- und Gaskriege, die ihn an die Macht brachten und das neoliberale Regime
der Landbesitzer- und Geschäftselite verdrängten.

Es überrascht daher nicht, dass Áñez‘ weißer
Rassistenkollege, US-Präsident Donald Trump, behauptete, dass der Sturz von
Morales „ein bedeutender Moment für die Demokratie in der westlichen
Hemisphäre“ sei. Er fügte hinzu: „Die Vereinigten Staaten applaudieren dem
bolivianischen Volk für seine Freiheitsforderungen und der bolivianischen Armee
für den Schutz der Verfassung“, und verkündete, dass „diese Ereignisse ein
starkes Signal an die illegitimen Regime von Venezuela und Nicaragua senden“.
Trump hat natürlich alles getan, was er konnte, außer Truppen zu schicken, um
ähnliche Gegenrevolutionen in diesen Ländern zu fördern.

Was tun?

Die PutschistInnen fühlten sich aber
offensichtlich nicht ganz sicher im Sattel, denn sie nahmen das Angebot der
katholischen Kirche an, in den Gesprächen mit der MAS, die in der
bolivianischen Nationalversammlung über eine Zweidrittelmehrheit verfügt, zu
vermitteln. Im Gegenzug hat die MAS den Putsch und den Ausschluss von Morales
von den Wahlen effektiv anerkannt. Áñez hat auch das Dekret über die Straffreiheit
für alle polizeilichen/militärischen Morde in Zukunft aufgehoben, aber dies
nicht auf die während des Putsches begangenen Massaker ausgedehnt.

Die Wahlen, die am 3. Mai anstehen, werden nicht
nur für das Präsidentenamt und die Vizepräsidentschaft, sondern auch für den
Kongress sowie die regionalen und lokalen Regierungsorgane stattfinden.
Allerdings sind derzeit praktisch alle Medien der MAS und der oppositionellen
ArbeiterInnen und die der indigenen Bevölkerung geschlossen.

Das Hauptanliegen der PutschistInnen ist es, die
natürlichen Reichtümer Boliviens weiter zu plündern, zu denen 50 bis 70 Prozent
der gesamten weltweit bekannten Lithiumreserven gehören, die für viele
High-Tech-Hersteller wie Apple, Samsung und Tesla lebenswichtig sind. Die
Tatsache, dass Morales sich kürzlich an chinesische Firmen gewandt hatte, um
mit bolivianischen StaatspartnerInnen zusammenzuarbeiten, hat wahrscheinlich
dazu beigetragen, dass die USA und die EU die VerschwörerInnen ermutigt haben.

Im Laufe der Jahrhunderte wurde Bolivien wegen
seines Silbers, Zinns und Kupfers sowie wegen Erdgas und Öl – den in Eduardo
Galeanos berühmtem Buch beschriebenen „offenen Adern“ – geplündert, durch die
der Kontinent seit Jahrhunderten ausgeblutet ist. Von einheimischen
Arbeitskräften in der Hochebene der Anden, dem Altiplano, abgebaut,
bereicherten die Mineralien eine winzige Elite im Bogen der Tieflandprovinzen
Santa Cruz, Beni, Pando und des Landkreises Tarija, bekannt als die Media Luna
oder der Halbmond, sowie natürlich die multinationalen Konzerne in den USA,
Europa und Brasilien.

Die Elite der „weißen Vorherrschaft“, die sich
in Santa Cruz de la Sierra konzentriert und  mit einer Bevölkerung von 1,4 Millionen im Jahr 2012 die
größte und am schnellsten wachsende Stadt des Landes geworden ist, ärgert sich
zutiefst über das, was sie als ihrem Zugriff entzogene Umverteilung von
Einkünften aus den Mineralien und Kohlenwasserstoffen des Landes in die
Wohlfahrts-, Gesundheits- und Bildungsprogramme betrachtet, die der Mehrheit
der Bevölkerung des Landes zugutekommen.

Die alten LandbesitzerInnen und die neueren
Geschäftseliten der östlichen Provinzen haben wiederholt versucht, Autonomie
oder sogar Unabhängigkeit zu erlangen, um den Löwenanteil dieser Ressourcen zu
behalten und sogar zu erhöhen.

Nicht, dass die AnhängerInnen des Putsches
behaupten könnten, dass Morales‘ 14-jährige Präsidentschaft das Land ruiniert
hat. Er wurde vom Internationalen Währungsfonds, der „Financial Times“ und dem
„Economist“ dafür gelobt, dass er solide Finanzreserven aufgebaut, den Haushalt
mehr als ausgeglichen, die Inflation verbannt und große Infrastrukturprojekte
in Angriff genommen hat.

Laut einem Bericht des Centre for Economic and
Policy Research (Zentrum für Wirtschafts- und Politikforschung) in Washington
aus dem Jahr 2014 ist „Bolivien in den letzten acht Jahren viel schneller
gewachsen als in irgendeiner Periode der letzten dreieinhalb Jahrzehnte“.
Dieses Wirtschaftswachstum hat positive soziale Auswirkungen getragen: Die
Armut ist um 25 Prozent und die extreme Armut um 43 Prozent zurückgegangen; die
Sozialausgaben sind um mehr als 45 Prozent und der reale Mindestlohn um 87,7
Prozent gestiegen.

Morales‘ verhängnisvolle Fehler

Aber Morales und die MAS verwandelten die
vorrevolutionäre und revolutionäre Zeit von 2000–2006, als die Macht von den
ArbeiterInnen, Bauern/BäuerInnen und armen indigenen Gemeinden hätte übernommen
werden können, von einer potentiellen sozialen Revolution in eine Reihe von
Reformen. So bedeutete die Verstaatlichung des Gases in Wirklichkeit, dass die
ausländischen Multis, die Kohlenwasserstoffe förderten, wesentlich höhere
Lizenzgebühren bezahlten, die für Infrastrukturprojekte wie den Teleférico, das
Seilbahnsystem, das El Alto, eine Millionenstadt mit überwiegend indigenen
EinwohnerInnen, mit der Hauptstadt La Paz verband, verwendet wurden. Es besteht
aus zehn Linien, deckt 17 Meilen ab und kostet 700 Millionen US-Dollar (627
Millionen Euro).

Die auffälligsten Gewinne aus der
Wiederverstaatlichung der Kohlenwasserstoffe und den erhöhten Lizenzgebühren
waren die Sozialmaßnahmen, Zuschüsse (bonos) für Mütter, Alte, für Schülerinnen
und Schüler sowie die Mittel für Alphabetisierungsprojekte und Gesundheit, die
die Armut deutlich gesenkt haben. Seit 2006 ist die Arbeitslosigkeit um die Hälfte
auf 4,5 Prozent zurückgegangen und der Abstand zwischen den Löhnen von Männern
und Frauen hat sich stark verringert.

Seit seiner Wahl wurden Morales und die MAS
jedoch zu verschiedenen Zeiten von „BürgerInnenstreiks“ angegriffen, die von
WirtschaftsführerInnen, evangelikalen Kirchen, Straßensperren durch
faschistische Banden wie die Jugendlichen von Santa Cruz und angedrohten
Polizeimeutereien organisiert wurden, gegen die sie ihre Basis unter den
ArbeiterInnen und indigenen Gemeinden mobilisieren mussten. Als auf solche
Mobilisierungen faule Kompromisse folgten, schwächten und spalteten diese ihre
Basis.

Es besteht kein Zweifel, dass Morales gegen die
Verfassung verstoßen hat, indem er den Obersten Gerichtshof dazu überredete,
ihm zu erlauben, die Anzahl der Amtszeiten zu verlängern und das knapp
verlorene Referendum zu ignorieren, damit er dies tun könnte. Er war jedoch
nicht der Erste, der dies tat; unter den meisten seiner Vorgänger zeigte die
Justiz keine Unabhängigkeit von der Exekutive. Als Morales dies gegen die
Rechte nutzte, wurde das natürlich zum Beweis für eine unerträgliche Diktatur.
Tatsächlich war er durch seinen eigenen Personenkult gefangen. Er allein konnte
der Kandidat sein – eine jedem Populismus, ob rechts oder links – gemeinsame Tendenz
zum Bonapartismus.

Eine noch schwerwiegendere Kritik an Morales ist
dagegen, dass er während seiner 14-jährigen Regierungszeit neben der
Durchführung von sozialen Reformen und der kulturellen Anerkennung der
indigenen Völker die Massenbewegungen in Cochabamba und El Alto, die ihn an die
Macht brachten, in vorwiegend elektorale Kanäle umgeleitet hat. Er
demobilisierte sie und geriet mit Teilen von ihnen kürzlich sogar in Kollision,
um Zugeständnisse an das internationale und einheimische Kapital zu erreichen.
In der Tat spalteten er und Linera viele der Organisationen und förderten
bürokratische Führungen, die dann zu repressiven Maßnahmen gegen ihre
Opposition griffen und einige von ihnen in das Lager der rechten Opposition
trieben.

Von Anfang an widersetzte sich Morales der von
der Massenbewegung geforderten vollständigen Verstaatlichung der fossilen
Energiewirtschaft und verlangte letztlich nur eine Erhöhung der Lizenzgebühren
und die staatliche Kontrolle über den Verkauf. Dies war der eigentliche Inhalt
von Garcia Lineras Theorie der „Revolution“, die „kommunitäre Demokratie“ und
eine „plurinationale Republik“ mit der Förderung eines „Andenkapitalismus“ auf
der Grundlage der Einnahmen aus dem Export von Bodenschätzen verband. Im
Wesentlichen funktionierte dies genauso lange, wie die explodierende Nachfrage
Chinas, Brasiliens und der anderen BRICS-Staaten den Preis dieser Rohstoffe in
die Höhe trieb.

Politisch wehrte Morales in der
verfassunggebenden Versammlung, die von August 2006 bis Dezember 2007 in Sucre
tagte, Forderungen nach einer radikalen Demokratie auf der Grundlage von
Versammlungen in den Betrieben und indigenen Gemeinden ab. Stattdessen ging er
Kompromisse mit den GroßgrundbesitzerInnen und den industriellen und
kommerziellen KapitalistInnen der Media Luna (Halbmond-Provinzen) ein und
gewährte ihnen eine beträchtliche Autonomie.

Auch die Forderungen der Massenbewegung nach
einer durchgreifenden Agrarrevolution, insbesondere die Verstaatlichung des
Großgrundbesitzes, lehnte er ab. Morales’ Reformen ließen den Landbesitz der
OligarchInnen weitgehend intakt, förderten aber die Begünstigung mittelgroßer
Betriebe auf ungenutztem Land für einen Teil seiner indigenen Basis. Viele von
ihnen haben ihn dank ihres Status als KleingrundbesitzerInnen im kritischen
Moment im Stich gelassen.

So vereitelte Morales die demokratischen
Bestrebungen der Masse der ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnenorganisationen
und schwächte und spaltete sie mit einer staatlich unterstützten und korrupten
Gewerkschafts- und indigenen Bürokratie. Grandiose Feiern von Aymara, Quechua
und anderen indigenen Kulturen waren ein schlechter Ersatz für die
grundlegenden Forderungen der Bewegung, deren Befriedigung einen revolutionären
Kampf erfordert hätte, um die soziale Basis der OligarchInnen zu brechen und
die Staatsmaschinerie, die ihre Klassenherrschaft verteidigte, zu zerschlagen.

Bürgerliche Staatsmaschinerie

Am Ende lag Morales Hauptschuld in dieser
Weigerung, ein für alle Mal mit der bürokratischen und repressiven Maschinerie
des bolivianischen kapitalistischen Staates zu brechen und die OligarchInnen
der Media Luna zu enteignen, d. h. ihre Macht zu zerstören, anstatt sie
nur durch die Organisation begrenzter Mobilisierungen seiner AnhängerInnen zu
dämpfen. Die Streitkräfte, nicht das bewaffnete arbeitende Volk, blieben der
Garant für die Regierung in Bolivien.

General Williams Kaliman Romero und das
Oberkommando sind AbsolventInnen der berüchtigten School of the Americas, Fort
Benning, Georgia, und die PolizeikommandantInnen sind TeilnehmerInnen eines
Austauschprogramms, das von Washington aus durchgeführt wird. Die Investitionen
der Vereinigten Staaten in die lateinamerikanischen Streitkräfte sind ein
zentraler Mechanismus zur Aufrechterhaltung des formal unabhängigen, aber wirtschaftlich
und militärisch untergeordneten, d. h. halbkolonialen Status eines
Großteils des Kontinents. Wehe einem Land wie Venezuela oder Bolivien, das
versucht, echte Unabhängigkeit zu erlangen!

Kaliman wurde im Dezember 2018 von Morales
selbst zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte Boliviens ernannt und galt als
loyal zu ihm und seinem Projekt. Doch trotz seiner aktiven Rolle in dem Putsch
enthob Añez ihn einige Tage später seines Postens und ersetzte ihn durch
General Carlos Orellana.

Selbst als er schließlich mit einem zunehmend
militanten Staatsstreich von rechts konfrontiert wurde, verfolgte Morales eine
Beschwichtigungspolitik. Er bot an, ein Anhörungsverfahren der OAS
(Organisation Amerikanischer Staaten) zu akzeptieren, dann die Mitglieder der
Wahlkommission zu ersetzen und Neuwahlen durchzuführen. Zuletzt reagierte er
mit dem Versuch, selbst Neuwahlen abhalten zu wollen. Aus Furcht vor den Folgen
zog er nur in Erwägung, das Volk in der halbherzigsten Weise und in letzter
Minute zu mobilisieren. Sein Problem war, dass seine jüngere Politik und seine
autoritären Aktionen Schichten der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, die Teil
seiner sozialen Basis waren, entfremdet hatten.

Aus diesem Grund scheint es, dass sich die
ArbeiterInnenversammlungen in La Paz und Cochabamba zunächst weder für Morales
noch für die „zivile Opposition“ erklärten. Dies führte zu einem verheerenden
Unterstützungsverlust, als die Bürokratie des wichtigsten
Gewerkschaftsverbandes, der bolivianischen ArbeiterInnenzentrale, COB, den Rücktritt
von Morales forderte, ohne etwas zu tun, um die ArbeiterInnen auf die
Niederschlagung des rechten Putsches vorzubereiten. Seitdem hat die COB die
Rechtmäßigkeit der Übernahme von Áñez anerkannt.

Dieses Wanken und Beschwichtigen ermutigte
einfach die rechte Opposition, die ihre Forderungen gerade erst erhärtet hatte,
indem sie den Rücktritt von Morales und seinem ehemaligen Vizepräsidenten und
Vizekandidaten Álvaro García Linera forderte.

In einem gewissen Sinn sind Morales und Linera
Opfer des Erfolgs ihrer Politik der Umverteilung des Reichtums, die einer
neuen, indigenen Mittelschicht zugute kam, die nun in Konflikt mit der
MAS-Strategie des Kompromisses zwischen den kapitalistischen Eliten und den
Armen gerät. Die Folge von zehn Jahren ressourcenbasierten kapitalistischen
Wohlstands ist die Schaffung einer neuen wohlhabenderen Mittelschicht – einer
neuen sozialen Kraft, an die sich Morales‘ GegnerInnen wenden könnten. Der
Bruch mit Teilen von Morales‘ kleinbürgerlicher Basis begann mit der Besteuerung
der informellen Wirtschaft, 60 Prozent des BIP, 70 Prozent der Wirtschaft,
insbesondere der „Cholos“, der einheimischen Kleinbourgeoisie, die den Übergang
vom Land zur Stadt vollzieht. Auf der anderen Seite wurden die COB, die Fabrik-
und die BergarbeiterInnen, entfremdet.

Der Druck, den die Media-Luna-Eliten auf der
einen Seite und die ArbeiterInnen und indigenen bäuerlichen Gemeinschaften auf
der anderen Seite auf ihn ausübten, führte schließlich zum Zusammenbruch von
Morales‘ Projekt und seinem Rückgriff auf immer mehr bonapartistische
Maßnahmen, einschließlich eines Personenkults.

Heutige Aufgaben

Die von der Rechten in Bolivien verfolgte
Strategie war eine Wiederholung dessen, was gegen Maduro in Venezuela erfolglos
versucht wurde. Zuerst eine/n „gemäßigte/n“ PräsidentschaftskandidatIn finden,
der/die das erz-reaktionäre Programm der realen Opposition maskiert, dann
Betrug schreien, wenn er/sie nicht gewinnt, und die Mittelschicht auf der
Straße mobilisieren. Die internationale liberale Meinung wird dann das Regime
für autoritär oder eine Diktatur erklären. Wenn alles andere scheitert, können
die USA Sanktionen oder eine Blockade verhängen.

Die Strategie scheiterte in Venezuela an der
Loyalität der Armee gegenüber Hugo Chávez und seinem  Nachfolger Maduro sowie an der Tatsache, dass es bedeutende
bewaffnete Volksmilizen gibt, die einen Armeeputsch zu einem blutigen
Unterfangen machen könnten und nicht zu einem Gerichts-, Parlaments- oder
Wahlstreich wie in Brasilien und Bolivien.

Im Falle Boliviens sollte man jedoch die Kraft
der wiederholten großen Bewegungen in El Alto und Cochabamba nicht vergessen;
sie ist nicht völlig zerstört worden. In El Alto vereinigt die Föderation der
Nachbarschaftsräte, FEJUVE, mehr als 600 dieser Gremien und hat stets eine
wichtige Rolle bei der Massenmobilisierung gespielt. Sicherlich muss sie von
den KapitulantInnen gesäubert und eine neue Führung gewählt werden, die sich
aus den KämpferInnen zusammensetzt, die mutig Streiks und Blockaden organisiert
und sich den Gewehren von Polizei und Armee entgegengestellt haben.

Es besteht eindeutig ein Bedarf an
Selbstverteidigungsorganisationen, die in der Lage sind, im kritischen Moment
einen Generalstreik zu starten, der die Wirtschaft und den bürgerlichen Staat
lähmt. Die MilitantInnen müssen alles tun, um die Mannschaftsränge und
Unteroffiziersdienstgrade der SoldatInnen zu gewinnen, die ihrerseits die
Polizei entwaffnen und die Massen bewaffnen und ausbilden können. Die COB und
alle ihre Einzeilgewerkschaften müssen von ihren korrupten und feigen
FührerInnen gesäubert werden.

ArbeiterInnen und andere Volkskräfte können aus
den cabildos abiertos, Massenversammlungen unter freiem Himmel, Delegierte in
die lokalen Aktionsräte wählen. Solche Gremien können auch, sobald das Putschregime
gebrochen ist, Wahlen zu einer revolutionären verfassunggebenden Versammlung
organisieren. Eine solche Versammlung müsste sich, um die Macht der Bourgeoisie
brechen zu können auf Räte und auf bewaffnete Milizen der ArbeiterInnen,
BäuerInnen und indigenen Völker stützen. Sie müsste ihre Macht an eine auf Räte
gestützte ArbeiterInnen –und BäuerInnenregierung übertragen, die die
notwendigen Maßnahmen ergreifen kann, um die Bourgeoisie endlich ihrer
Repressionsmittel zu berauben, indem sie die ArbeiterInnenklasse an die Macht über
die Wirtschaft bringt. Eine Revolution in Bolivien kann unter den heutigen
Bedingungen leicht auf Chile, Brasilien, Ecuador und Venezuela übergreifen.

Was fehlt, ist eine revolutionäre Partei der
ArbeiterInnenklasse und der ländlichen und städtischen Armen, um eine solche
Revolution zu führen. Die Gründung der ArbeiterInnenpartei „Partido de los
Trabajadores“, PT, auf einem Kongress in Huanuni im März 2013 schien ein großer
Schritt in diese Richtung zu sein. Sie wurde auf Initiative der BergarbeiterInnengewerkschaft
FSTMB und einer Resolution der Konferenz der COB gegründet, in der ein
„politisches Instrument“ der Gewerkschaften gefordert wurde.

Das in Huanuni verabschiedete Programm forderte die
„Verstaatlichung der Banken ohne Entschädigung“, die „Verstaatlichung der
Bergbauindustrie und aller natürlichen Ressourcen“ und die „Enteignung von
Großgrundbesitz“. Diese Forderungen waren mit der Forderung nach „kollektiver
ArbeiterInnenkontrolle“ verbunden.

Die Führung der PT blieb indessen fest in den
Händen der Gewerkschaftsbürokratie, die innerhalb eines Jahres wieder zur
Zusammenarbeit (und zum Streit) mit Morales zurückkehrte. Offensichtlich sah
sie in der PT eine Verhandlungspartnerin der Regierung und der
UnternehmerInnen, nicht eine Kämpferin um die Macht – und letztere nicht nur an
der Wahlurne, sondern auch auf dem Schauplatz des revolutionären
Klassenkampfes.

Wie können SozialistInnen weltweit ihren
bolivianischen GenossInnen helfen? Wir sollten gegen die Unterstützung unserer
Regierungen für den Staatsstreich protestieren und die Freilassung der
Gefangenen und die Wiederherstellung der Pressefreiheit fordern. Wir sollten
die Unterstützung des Weißen Hauses für rechte Oligarchien, die versuchen, die
so genannte Pink Tide (rosa Welle linker Regierungen in Lateinamerika)
umzukehren, aufdecken. Die Siege der rechten Kandidaten, die vor vier Jahren in
Argentinien begannen und sich bis zum Sieg von Bolsonaro in Brasilien und dem
Putschversuch von Juan Guaidó in Venezuela ausbreiteten, sind ein Stück weit
Teil davon. Die Ereignisse in Bolivien sind ein Symptom für eine akute
Verschärfung des Klassenkampfes weltweit.

  • Nieder mit den rassistischen PutschistInnen!
  • Sieg für eine soziale Revolution in Bolivien!
  • Nieder mit der imperialistischen Ausplünderung des globalen Südens!