USA: Eine Geschichte von zwei Erschießungen

Andy Yorke, Infomail 1172, 5. Dezember

Nach dem Freispruch des rechtsgerichteten Selbstjustizlers Kyle Rittenhouse am 19. November in den USA ist es zu massiven Kontroversen gekommen. Videos zeigen, wie Rittenhouse in Kenosha, Wisconsin, während eines Protests gegen die Polizei am 25. August 2020 zwei Demonstranten erschießt und mindestens einen weiteren verwundet, indem er dem unbewaffneten Schwarzen Jacob Blake sieben Mal in den Rücken schießt und ihn dadurch lähmt. Nach dem angekündigten Freispruch twitterte der ehemalige National-Football-League-Spieler Colin Kaepernik: „Wir haben soeben erlebt, wie ein System, das auf weißer Vorherrschaft aufgebaut ist, die terroristischen Handlungen eines weißen Verteidigers dieser Vorherrschaft bestätigt hat“. Vorhersehbarerweise haben rechtsgerichtete Gruppen und sogar Donald Trump selbst Rittenhouse als Helden bezeichnet.

Erstaunlich und erschreckend ist jedoch, dass einige Linke argumentieren, er sei kein Rassist oder Faschist, sondern habe sich einfach nur verteidigt, und diejenigen, die das Gegenteil behaupten, seien nur in einen angeblichen linksliberalen „Kulturkampf“ verwickelt. Wenn wir den Fall isoliert, sondern im Kontext des Rassismus in den USA, der Polizeigewalt und des Wachstums der extremen Rechten betrachten wird deutlich, dass die Morde und der Freispruch Teil eines rassistischen, rechtsgerichteten Systems sind.

Rittenhouse und die Realität

Nach den Schüssen auf Jacob Blake kam es in Kenosha zu Protesten – eine Fall in einer langen Reihe von Protesten seit Trayvon Martin, die eine breitere und wütendere Bewegung ausgelöst haben, die Gerechtigkeit fordert, die jedoch nur selten kommt. Der 17-jährige Rittenhouse nahm ein ArmaLite-AR-15-Gewehr und stand vor einer Tankstelle neben rechtsextremen Milizen Wache. Die Polizei gab ihnen sogar Wasser und dankte ihnen für ihr Kommen. Sie griff ihrerseits die DemonstrantInnen mit Tränengas und Gummigeschossen an, was zu einer wütenden Reaktion führte, bei der einige Gebäude verwüstet und in Brand gesetzt wurden. Ein völlig unbewaffneter, möglicherweise psychisch kranker Mann, Joseph Rosenbaum, sah Rittenhouse und „griff“ ihn an, möglicherweise um ihn zu entwaffnen. Er wurde von Rittnehouse in den Kopf geschossen, obwohl er wusste, dass Rosenbaum unbewaffnet war.

Andere, die den Mord sahen, identifizierten Rittenhouse als einen rechtsextremen „aktiven Schützen“ und versuchten, ihn zu entwaffnen. Anthony Huber wurde dabei erschossen, nachdem er Rittenhouse mit seinem Skateboard getroffen hatte – kaum eine tödliche Waffe. Gaige Grosskreutz, ein Sanitäter und Rechtsbeobachter der American Civil Liberties Union (Amerikanische Bürgerrechtsunion) auf der Demonstration, trug eine Handfeuerwaffe bei sich und sagte, er habe sich nicht dazu durchringen können, auf Rittenhouse zu schießen, und wurde seinerseits am Arm verwundet. Umstehende wiesen die Polizei auf Rittenhouse als den Schützen hin, der immer noch die Waffe trug, aber die Hände zum Aufgeben erhoben hatte, doch die Polizei fuhr vorbei, ohne ihn zu festzunehmen.

Manche sagen, es gehe nicht um Rassismus, weil er weiße AktivistInnen erschossen habe, die für „Black Lives“ protestierten – „Rassenverräter“ im Sprachgebrauch der extremen Rechten – oder sich nur verteidigt habe. Aber was gab Rittenhouse das Recht, sich zu „verteidigen“? Ist es nicht genauso vernünftig zu sagen, dass die DemonstrantInnen versuchten, sich und ihren Protest vor ihm zu verteidigen? Einige haben versucht, Rosenbaum für seinen eigenen Tod verantwortlich zu machen. Er hatte psychische Probleme und war gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden, verhielt sich aggressiv und es wurde in Frage gestellt, ob er überhaupt ein Demonstrant war, aber Tatsache ist, dass er niemanden bei der Demonstration angegriffen hat. Wenn Rittenhouse nicht nach Kenosha gefahren wäre, wäre niemand gestorben.

Der Prozess, der von einem rechtsgerichteten Richter geleitet wurde, zeigte, dass die gleiche Voreingenommenheit auch im amerikanischen „Justiz“-System herrscht. Der Richter verbot den StaatsanwältInnen, die drei erschossenen Männer als „Opfer“ zu bezeichnen und irgendetwas aus Rittenhouses Texten in sozialen Medien vor dem Mord zu erwähnen, was gezeigt hätte, dass er ein eifriger Pro-Trump- und Pro-Polizei-online-Aktivist war (er hatte eine Spendenaktion organisiert), der „Blue Lives Matter“ propagierte, die rechte, rassistische Unterstützung für die Polizei gegen „Black Lives Matter“. Ebenso wenig durften die AnwältInnen der Opfer ein Video anführen, an dem sie geltend machten, Rittenhouse habe vor einer CVS-Drogerie (CVS: Einzelhandelsunternehmen der Pharmaziebranche; Anm. d. Red.) zu schwarzen Menschen gesagt: „Junge, ich wünschte, ich hätte mein verdammtes Jagdgewehr und würde euch alle über den Haufen schießen.“ Seine Verteidigung hingegen durfte die Protestierenden als PlündererInnen und RandaliererInnen bezeichnen und damit im erweiterten Sinne auch die Opfer von Rittenhouse diffamieren, obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass sie irgendetwas in dieser Richtung getan haben.

Dass Rittenhouse freigesprochen wurde, lag zum Teil an der Voreingenommenheit des Richters, zum Teil an den fast ausschließlich weißen Geschworenen und zum Teil an einem hochkarätigen Verteidigungsteam, das von der Rechten und von Polizeigruppen mit 2 Millionen US-Dollar ausgestattet wurde. Während des Prozesses zeigte er keine Reue gegenüber seinen Opfern. Als er im noch laufenden Verfahren gegen Kaution auf freiem Fuß war, wurde er in einer Kneipe mit Mitgliedern der faschistischen Proud Boys fotografiert, wobei er das auf dem Kopf stehende OK-Zeichen der weißen RassistInnen zeigte (er sagte, er wisse nicht, was es bedeute). Der Richter verbot auch dies, vor Gericht zu erwähnen. Ex-Präsident Trump beglückwünschte ihn und der Fox-Nachrichtensprecher Tucker Carlson verteidigte Rittenhouse und seine Taten und implizit auch jede/n, der/die seinem Beispiel folgt: „Wie schockiert sind wir darüber, dass 17-Jährige mit Gewehren beschlossen haben, die Ordnung aufrechtzuerhalten, wenn es sonst niemand tut?“

Fakten oder sozialer Kontext

„Fakten“ haben immer eine soziale Bedeutung, wie die Umkehrung dieser Rollen zeigt. Wenn ein/e junge/r Schwarze/r mit einem automatischen Gewehr auf die Straße und in einen rechten Aufmarsch gegangen wäre und drei TeilnehmerInnen erschossen hätte, wäre er/sie wahrscheinlich von der Polizei getötet worden, noch bevor sich die „DemonstrantInnen“ um ihn/sie kümmern konnten. Wäre diese Person verhaftet worden, hätte sie mit ziemlicher Sicherheit eine sehr lange Gefängnisstrafe oder in einem anderen Staat sogar die Todesstrafe erhalten. Wenn ein/e weiße/r Linke/r das Gleiche getan hätte, wäre er/sie mit Sicherheit viel schlechter behandelt worden als Rittenhouse. Es ist also nicht nur eine Frage des weißen Privilegs, sondern auch der inhärenten arbeiterInnenfeindlichen und gegen Linke voreingenommenen Haltung der „dünnen blauen“ Frontlinie des Staates, der Polizei und des dahinter stehenden Justiz- und Gefängnissystems im Kapitalismus.

Tragischerweise haben wir den Beweis dafür. Am 28. August 2020, drei Tage nach den vielbeachteten Morden in Kenosha, erschoss der antifaschistische Aktivist Michael Reinoehl in Portland, Oregon, den rechtsextremen Gegendemonstranten Aaron Danielson. Danielson war zu diesem Zeitpunkt mit gefährlichem Pfefferspray, einem ausziehbaren Polizeischlagstock und einem Gewehr bewaffnet. Nachdem er tagsüber an einem provokativen Pro-Trump-Konvoi teilgenommen und getrunken hatte, waren Danielson und ein weiterer, ebenfalls bewaffneter Angehöriger der rechtsextremen Gruppe Patriot Prayer absichtlich in eine Antipolizeidemonstration gelaufen. Reinoehl hatte das gleiche „Recht“, sich zu verteidigen wie Rittenhouse, und er erklärte vor und nach der Schießerei, er habe versucht, die DemonstrantInnen vor rechtsextremen Anschlägen zu schützen.

Aber das Ergebnis hätte nicht unterschiedlicher sein können. Bei der polizeilichen Fahndung nach Reinoehl wurde dieser einige Tage später von BundespolizistInnen erschossen, ohne dass ein Versuch unternommen wurde, ihn festzunehmen, wie Zeugen berichten, die auch sagen, dass er seine Waffe nicht gezogen hatte. Trump, der Reinoehl zuvor als „kaltblütigen Mörder“ bezeichnet hatte, sagte unter dem Jubel seiner Fans: „Wir haben ihn erwischt“: „Dieser Mann war ein gewalttätiger Krimineller, und die US-Marschalls haben ihn getötet. Und ich sage euch etwas, so muss es sein. Es muss Vergeltung geben.“

Trump hat wiederholt auf das Schreckgespenst des „linksradikalen Faschismus“ und der Antifagewalt eingehämmert, während er sich weigerte, die tatsächliche organisierte Gewalt der Rechten und der Polizei zu verurteilen, ja Kommentare wie der obige schüren sie sogar noch. Doch Danielsons Tod war die erste aufgezeichnete Tötung durch einen Antifaschisten, verglichen mit 329 Morden durch weiße RassistInnen und andere RechtsextremistInnen, wie aus einem 25 Jahre zurückreichenden Bericht des Zentrums für strategische und internationale Studien (CSIS) hervorgeht. Außerdem wurde festgestellt, dass die Rechte im Jahr 2020 für 67 Prozent der inländischen Terroranschläge und -komplotte verantwortlich war, wobei die Hälfte dieser Gewalt gegen DemonstrantInnen gerichtet war. Darüber hinaus ist die Polizei von weiß-suprematistischen Gruppierungen durchsetzt.

Trump, Fox News und die Rechten stellen die Realität auf den Kopf, indem sie eine ideologische Blase aus Bedrohung und linker Verschwörung aufpeitschen, um die Unterdrückung antirassistischer Proteste durch Polizei und Milizen zu entschuldigen und zu ermöglichen. Letztlich sind sie mitverantwortlich für die Morde Rittenhouses.

„Wir dürfen nicht voreingenommen sein“?

Einige haben behauptet, dass die Linke, wenn die Situation umgekehrt wäre, die Angeklagten verteidigen und ihren Freispruch unterstützen würde. Deshalb müssten wir Rittenhouse anders behandeln.

Die Wahrheit ist, dass Linke nicht auf rechtsextreme Demos schlendern, weil sie gelyncht würden. RechtsextremistInnen tun dies so selbstbewusst, um die DemonstrantInnen einzuschüchtern oder zu provozieren, weil sie wissen, was der Fall Rittenhouse bewiesen hat: Die Polizei, die Gerichte, republikanische PolitikerInnen und ein Großteil der Medien werden sie verteidigen. Trotz der Anwesenheit einzelner DemonstrantInnen mit Handfeuerwaffen ist die Linke im Allgemeinen unbewaffnet. Die kleinen, organisierten bewaffneten Reaktionen, die sich entwickelt haben, sind defensiv, eine schützende Antwort auf rechtsextreme Gewalt, aber auch unzureichend. Die Polizei wird sie angreifen, statt ihnen zu danken. In der Zwischenzeit bilden bewaffnete Mobilisierungen zur Einschüchterung oder zum Angriff auf die Linke und Minderheiten den einzigen Grund für die Existenz faschistischer Milizen.

Beide Ergebnisse, der Freispruch von Rittenhouse und der Polizistenmord an Reinoehl, wurden von der extremen Rechten gefeiert, allen voran von Trump. Ein Proud Boy erklärte, die Gewalt werde erst aufhören, wenn die Leichen der Linken „wie Klafter Holz aufgestapelt sind“. Die Lehre aus dem Fall Rittenhouse lautet, dass die Rechten unsere Demos ungestraft kontrollieren, einschüchtern und unterdrücken können, die aus dem Fall Reinoehl, dass das System sie verteidigen wird, wenn wir uns wehren. Die Urteile werden die Rechten nur ermutigen, die darin einen Freibrief sehen werden, ihre bewaffnete „Sicherheit“ auf unseren Protesten zu verstärken. Die einzige Antwort besteht in organisierter Selbstverteidigung.

SozialistInnen unterstützen das Recht der ArbeiterInnen und Unterdrückten, sich selbst zu verteidigen, von der Streikpostenkette bis zu den „Black Panthers“. Wir stellen uns nicht auf die Seite der Polizei und der Gerichte, wenn sie die Armen verurteilen und kriminalisieren, weil sie nach Polizistenmorden aufbegehren, Polizeistationen niederbrennen, auf denen sie festgesetzt, geschlagen und eingesperrt wurden, oder Geschäfte für die Dinge plündern, die der Kapitalismus anpreist, die sie sich aber nicht leisten können.

Ausschreitungen sind jedoch keine Lösung. Nur eine Massenbewegung, die sich auf Organisationen mit gewählten Delegierten aus Nachbarschaftskomitees, Gewerkschaftsgruppen und Betrieben, Hochschulen und Schulen sowie linken und antirassistischen Organisationen stützt, kann einen anhaltenden Massenkampf für Gleichheit und Gerechtigkeit führen. Dieser Kampf wäre zwar überwiegend politisch, um die Polizei zu entwaffnen und ihnen die Geldmittel zu entziehen und den Gefängnisstaat abzubauen, doch müsste eine solche Bewegung die Verteidigung ihrer Proteste und Gemeinden gegen rechtsextreme oder polizeiliche Gewalt „mit allen notwendigen Mitteln“ organisieren. Als Bewegung der Armen und der ArbeiterInnenklasse könnte sie zwangsläufig dazu beitragen, die Kräfte für die Beseitigung des Kapitalismus selbst aufzubauen, da dies der einzige Weg ist, die Welt von Rassismus und Polizei zu befreien.




USA: Mord an Daunte Wright zeigt die Unreformierbarkeit der Polizei

Tom Burns, Workers Power USA, Infomail 1146, 14. April 2021

Am 11. April 2021 wurde Daunte Wright, 20 Jahre alt, bei einer Verkehrskontrolle von PolizeibeamtInnen in Brooklyn Center, Minnesota, einem Vorort von Minneapolis, ermordet. Die Polizei behauptet, dass auf Mr. Wright ein Haftbefehl ausgestellt gewesen wäre und dass er versuchte hätte, mit seinem Auto zu entkommen. Das Fahrzeug fuhr noch einige Blocks weiter, bevor es nach der Schießerei mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. Dauntes Freundin befand sich im Auto und wurde wegen leichter Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die an der Schießerei beteiligte Polizeibeamtin behauptet, sie habe versehentlich ihre Waffe statt eines Elektroschockers gezogen. Die anschließenden Proteste sahen die Polizei Tränengas und Gummigeschosse einsetzen, um die Menge zu zerstreuen.

Kein Vertrauen in die Polizei!

Der Mord ereignete sich nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Derek Chauvin im Mai letzten Jahres George Floyd das Leben genommen hatte, und geht in die dritte Woche des Prozesses gegen den Polizisten, in dem die Staatsanwaltschaft versucht hat, Chauvin nur als einen „faulen Apfel“ darzustellen. PolizeibeamtInnen, die an der Ausbildung beteiligt waren und in der Befehlskette über Chauvin standen, haben im Namen der Anklage ausgesagt. Doch der Mord an Daunte Wright und die schiere Anzahl solcher Morde über viele Jahre hinweg beweist den inhärent rassistischen Charakter der Polizei. Sie kann nicht reformiert werden. Sie muss abgeschafft und durch die Selbstverteidigung der ArbeiterInnen und der schwarzen Gemeinschaft ersetzt werden.

Die „Black Lives Matter“-(BLM)-Proteste nach dem Tod von George Floyd legten die brutale Natur der Polizeiarbeit im ganzen Land offen. Es gab unzählige Videos im Internet von gewaltsamer Repression gegen unschuldige DemonstrantInnen: ihr Tränengaseinsatz in Raleigh, North Carolina, oder Polizeiautos, die Protestierende in New York oder Kalifornien überfuhren. Das Ziel war eindeutig, uns zu terrorisieren. Aber trotz dieser Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte blieben die DemonstrantInnen im ganzen Land unbeugsam. Bei den Protesten nach Floyds Tod wurde ein Polizeirevier in Brand gesetzt, der erste derartige Fall in der jüngeren amerikanischen Geschichte.

Nach der Tötung von Daunte Wright versammelten sich lokale DemonstrantInnen. Wie es die Polizei in Minneapolis, Raleigh, New York, Los Angeles und anderen amerikanischen Städten tat, überzog sie die Protestierenden mit Gewalt und versuchte, die Menge mit Gummigeschossen und Tränengaskanistern zu zerstreuen.

In Minneapolis hatten sich am selben Tag rassistische und rechtsextreme protestierende GegnerInnen zusammengerottet. Natürlich ging die Polizei nicht gegen diese Proteste vor. Ähnlich wie während Trumps Putsch in der Hauptstadt Washington betrachteten die BeamtInnen solche AkteurInnen als „Kumpel“ und „FreundInnen“. Die Polizei existiert, um private Eigentumsrechte und die Interessen des bürgerlichen Staates durchzusetzen.

Wir müssen uns landesweit mit den DemonstrantInnen in Minnesota solidarisch zeigen. Diese Solidarität muss alle Organe der ArbeiterInnenbewegung und Organisationen, die beanspruchen, uns zu vertreten, einbeziehen, über Worte hinausgehen und jetzt handeln. Die organisierte ArbeiterInnenklasse und die Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA) erhalten eine weitere Chance, eine wichtige Rolle bei der Organisierung und den Protesten gegen Polizeigewalt, ja gegen die Institution selbst, zu übernehmen. Wenn die DSA wirklich die ArbeiterInnenklasse anführen will, muss sie mit der Verurteilung der „RandaliererInnen“ durch die demokratischen PolitikerInnen und den Aufrufen zum Frieden in Unterwerfung brechen. Sie muss entschlossen in Solidarität mit der BLM handeln und dazu aufrufen, dass alle von ihren Arbeitsplätzen hinaus und auf die Straße gehen.




US-Gericht in Louisville entscheidet: Schwarze Leben spielen keine Rolle

Dave Stockton, Infomail 1119, 27. September 2020

In der vergangenen Woche brachen erneut landesweit Proteste gegen Polizei-Rassismus in den USA aus. Es geht erneut gegen das diskriminierende Unrechtsjustizsystem der Vereinigten Staaten, nachdem bekannt wurde, dass eine Grand Jury es abgelehnt hatte, drei Zivilpolizisten wegen der Erschießung und Tötung von Breonna Taylor, einer zum Zeitpunkt des Mordes sechsundzwanzigjährigen afroamerikanischen Notfallsanitäterin, in ihrem eigenen Haus anzuklagen.

Nachdem die Beamten in den frühen Morgenstunden des 13. März 2020 ohne Vorwarnung in ihre Wohnung in Louisville, Kentucky, eingedrungen waren, feuerten sie mehr als zwanzig Schüsse ab, von denen sieben Breonna Taylor trafen und von denen einer sie tödlich verletzte. Nur einer der Polizeioffiziere wurde wegen „mutwilliger Gefährdung ersten Grades“ angeklagt, weil er rücksichtslos Schüsse in das Apartment abgegeben hatte, die in benachbarte Wohnungen eingedrungen waren. Selbst diese Anklage wurde erst vier Monate nach der Tötung erhoben, schlicht und einfach nur als Tarnung, um eine Anklage wegen Mordes gegen die Beamten zu vermeiden.

Taylor lag mit ihrem Freund Kenneth Walker im Bett, als die Polizei ohne Vorwarnung die Tür zu ihrer Wohnung aufbrach. Walker eröffnete mit seiner rechtmäßig gehaltenen Schusswaffe das Feuer auf die Eindringlinge und verwundete einen der AngreiferInnen leicht. Walker, der selbst im Kugelhagel verwundet wurde, wurde sofort angeklagt und befindet sich seit dem Vorfall in Haft. Den Polizeibeamten wurden lediglich neue Aufgaben zugewiesen. In einem ekelerregenden Versuch, das Opfer zu beschmutzen, versuchte die Polizei erfolglos, Breonna mit dem Drogengebrauch eines ehemaligen Freundes in Verbindung zu bringen. In der Wohnung wurden keine Drogen gefunden.

Mord und Repression

Wieder einmal haben wir ein unverschämtes Beispiel für die völlige Straffreiheit von PolizistInnen, wenn es darum geht, Schwarze „in Ausübung ihrer Pflicht“ zu töten. Es hat den Anschein, dass kaum eine Polizeitötung aufgenommen worden ist, da findet schon eine andere statt. Kein Wunder, dass sie sich wie eine Besatzungsarmee verhalten, einer der Beteiligten hatte seinen KollegInnen sogar getwittert, dass sie „Krieger“ seien. Viele KommentatorInnen haben darauf hingewiesen, dass sich diese „KriegerInnenmentalität“ seitdem Irakkrieg noch weiter verbreitet hat. Seitdem haben viele Polizeidienststellen schwer gepanzerte Fahrzeuge und andere militärische Kriegswaffen gekauft.

Die mutwillige Ermordung von Breonna Taylor, gefolgt von der von George Floyd, die auf Video festgehalten wurde, löste eine Welle von Demonstrationen aus, die sich weltweit ausbreitete. Louisville selbst war seit der Ermordung von Breonna 119 Tage lang Zeugin von Protesten. In zunehmendem Maße hat die Polizei Tränengas und Pfefferkugeln auf diese Menschenmengen abgefeuert.

Am Tag der Weigerung der Grand Jury, Anklage zu erheben, liefen die BereitschaftspolizistInnen in die Menge der friedlichen DemonstrantInnen hinein und provozierten schließlich das, was sie dann als Aufruhr bezeichnen konnten. Über Nacht erlitten zwei PolizistInnen Schusswunden, und noch vor dem Urteil rief der Gouverneur von Kentucky, Andy Beshear, ein Demokrat, in Louisville den Ausnahmezustand aus. Am Tag selbst mobilisierte er die Nationalgarde des Staates.

Donald Trump hat die Polizei wiederholt für die Gewalt gelobt, die sie gegen friedliche DemonstrantInnen – die er als „InlandsterroristInnen“ bezeichnet hat – entfesselt hat. Er hat seine rechtsextremen AnhängerInnen gegen DemonstrantInnen aufgehetzt, und in Denver, Colorado, fuhr eine/r mit einem Auto durch eine Demonstration, die gegen die Entscheidung der Grand Jury protestierte.

Die Polizei hat während der Proteste regelmäßig schwer bewaffnete rechte Milizengruppen auf den Straßen patrouillieren lassen und sich sogar mit ihnen vergeschwistert. Als am 25. August in Kenosha, Wisconsin, zwei unbewaffnete Demonstranten von einem solchen rechten Milizionär getötet wurden, nahm Trump den Täter in Schutz und meinte, dass dieser sich nur verteidigt habe. Dies ist eindeutig Teil seiner Strategie, die Wahl am 3. November in einer Atmosphäre hoher sozialer Spannungen, einschließlich physischer Konflikte, abzuhalten, in der Hoffnung, dass seine Kampagne für „Recht und Ordnung“ die kläglichen Misserfolge seiner Präsidentschaft vertuschen wird.

Die Aktionen der DemokratInnen, selbst dort, wo sie im Amt sind, wie in Kentucky, zeigen, wie wenig diese zweite Partei der KapitalistInnen als Schutz für Schwarze und People of Color, die große Zahl von AntirassistInnen oder für die ArbeiterInnenklasse geeignet ist. Deshalb sollte man sich nicht in dem Glauben zurückhalten, dass dies Biden zum Sieg verhelfen wird.

Ganz im Gegenteil! Es sollte kein Zurückschrecken bei den Demonstrationen oder bei den Kämpfen der ArbeiterInnen für Arbeitsplätze und Gerechtigkeit in der Coronavirus-Krise geben! Keine Zurückhaltung bei den Aufrufen, die KillerpolizistInnen aus den Gemeinden zu vertreiben, die Polizeigewerkschaften aus den Gewerkschaftsverbänden herauszuschmeißen und ganz sicher keine Zurückhaltung bei der Organisierung der Selbstverteidigung. Jedes Anzeichen einer Schwächung des Massenwiderstandes wird nur Trumps ultrareaktionäre Bewegung und ihre faschistischen Ränder ermutigen, ganz zu schweigen von den Polizeiabteilungen, von denen viele bereits mit ihnen sympathisieren.

Trump hat praktisch damit gedroht, dass er das Urteil der WählerInnen nicht akzeptieren wird, wenn die Wahl im November gegen ihn ausfallen wird. Er hat seine AnhängerInnen der weißen RassistInnen dazu angestachelt, sich zu wehren, wenn er verliert. Das mag nur Trump-Geschrei sein, aber wenn die Ergebnisse von RepublikanerInnen in von ihnen kontrollierten Bundesstaaten oder im Obersten Gerichtshof angefochten oder behindert werden können, dann ist alles möglich. Die sicherste, ja die einzige Möglichkeit, dieses Szenario zu verhindern, besteht darin, die Massenbewegung zu stärken, damit sie direkt eingreifen kann, um ihm Einhalt zu gebieten bzw. ihn aus dem Amt zu jagen, sollte er versuchen an diesem festzuhalten.




USA: Schüsse von Kenosha zeigen die Notwendigkeit zur Selbstverteidigung

Dave Stockton, Infomail 1116, 2. September 2020

In Kenosha, Wisconsin, wurde am Sonntag, dem 23. August, um 17.00 Uhr Jacob Blake beim Einsteigen in sein Auto von einem Polizeibeamten, Rusten Sheskey, sieben Mal in den Rücken geschossen. Blakes drei Kinder saßen auf dem Rücksitz des Wagens und wurden ZeugInnen des schrecklichen Ereignisses. Wie durch ein Wunder überlebte er, doch die Schüsse durchtrennten sein Rückenmark und zertrümmerten Wirbel. Black ist von der Taille abwärts gelähmt, wahrscheinlich lebenslang.

Als ob dies noch nicht genug wäre, haben ihn die BeamtInnen, nachdem er in kritischem Zustand ins Krankenhaus gebracht wurde und immer noch um sein Leben kämpfte, mit Handschellen an sein Bett gefesselt, obwohl er keines Verbrechens angeklagt worden war. Der mutmaßliche Täter hingegen wurde bei vollem Gehalt suspendiert und noch nicht angeklagt. Die übliche Straflosigkeit, die KillerpolizistInnen genießen, könnte sich durchaus wiederholen.

Wie bei der Ermordung von George Floyd am 25. Mai signalisiert die Polizei von Kenosha hiermit, dass sie die Stadt ohne jeglichen Respekt vor der rechtlichen Gleichheit der BürgerInnen, insbesondere von Schwarzen und People of Colour, regiert. Nichts, so scheint es, wird diese „legalisierten“ Lynchmorde aufhalten können.

Republikaner und Demokraten

Natürlich löste dies im Zusammenhang mit der neu belebten Bewegung „Black Lives Matter“ seit der Ermordung Floyds mehrere Nächte militanter Straßenproteste aus, in denen Fahrzeuge und das Bezirksgerichtsgebäude von Kenosha in Brand gesteckt wurden. Die Polizei begegnete den DemonstrantInnen mit Tränengas und Gasgrananten. Wie üblich prangerten die VertreterInnen der Republikanischen Partei die Gewalt der Protestierenden an, nicht aber die der Polizei, während die Mitglieder der Demokratischen Partei und die älteren „offiziellen“ Spitzen der Gemeinde zum „Frieden“ aufriefen. Wie kann es angesichts eines solch eklatanten Beispiels von Ungerechtigkeit Frieden geben?

Der demokratische Bürgermeister John Martin Antaramian zeigte, auf wessen Seite er wirklich steht, und forderte die schwer bewaffnete Bereitschaftspolizei mit mehreren großen gepanzerten so genannten Bearcat-Polizeifahrzeugen an, die mit Long Range Acoustic Devices, d. h. ohrenbetäubenden Sirenen, ausgestattet waren und Gummigeschosse abfeuerten.

Der demokratische Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, entsandte die Nationalgarde des Bundesstaates Wisconsin, rief den Ausnahmezustand aus und begrüßte sogar das Angebot von US-Präsident Trump, Bundespolizei in die Stadt zu entsenden. Dies geschah trotz Trumps wiederholter Verleumdungen demokratischer Bundesstaaten und Städte wegen der Unruhen, die durch die Killer-Polizei allein provoziert wurden. Darüber hinaus hat der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden rückgratlos die „Gewalt auf der rechten und linken Seite“ verurteilt. All dies ist ein weiterer Beweis für die Nutzlosigkeit dieser zweiten Partei der Wall Street für die Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse.

Rassismus, Milizen und Polizei

Als sich die Nachricht von dem Aufstand verbreitete, mobilisierten schwer bewaffnete weiße RassistInnen, die Kenosha-Milizen und die „Stolzen Jungs“, auf die Straßen der Stadt und fungierten de facto als Polizeihilfstruppen. Es gibt Videoaufnahmen von PolizistInnen, die freundliche Gespräche mit ihnen führen und ihnen Wasser anbieten, wobei ein/e PolizistIn über einen Lautsprecher sagt: „Wir schätzen euch Jungs, das tun wir wirklich“.

Einer der Miliz-SympathisantInnen, der 17-jährige Kyle Rittenhouse, erschoss zwei Demonstranten, Anthony Huber, 26, und Joseph Rosenbaum, 36, beide unbewaffnet, und verwundete einen dritten, Gaige Grosskreutz, einen freiwilligen Straßenmediziner. Rittenhouse wurde von PolizeibeamtInnen mit seinem um die Brust geschlungenen AR-15-Sturmgewehr vom Tatort unbehelligt weggelassen. Er wurde erst später, meilenweit entfernt in seinem Heimatort Antioch, Illinois, festgenommen.

Sofort eilten prominente Trump-AnhängerInnen zu seiner Verteidigung. Paul Gosar, ein republikanisches Mitglied des US-Repräsentantenhauses aus Arizona, twitterte: „100 % gerechtfertigte Selbstverteidigung. Versuchen Sie nicht, einem Mann eine Waffe wegzunehmen, oder Sie müssen die Konsequenzen tragen“ und schloss mit der Drohung: „Die Kriminellen hier: Die Kommunalverwaltung von Kenosha, die Nacht für Nacht die Unruhen, Brände und Plünderungen zulässt. Bewaffnete BürgerInnen, die sich selbst verteidigen, werden das Vakuum füllen“.

Trumps Wahlkampf und rechte Propaganda

In einem Fox-News-Fernsehinterview in der Nacht der Schüsse auf Blake erklärte der US-Justizminister William Barr, dass einige der VertreterInnen der Demokratischen Partei, die ihn vor zwei Wochen bei einer Kongressanhörung befragten, RevolutionärInnen seien, die den amerikanischen Kapitalismus zu stürzen suchen und mit TerroristInnen im Bunde stehen.

Am Tag vor den Morden in Kenosha erschien ein Ehepaar aus St. Louis, Missouri, das einen friedlichen „Black Lives Matter“-Protest bedroht hatte, der an ihrer Villa vorbeizog, mit einem Video-Redebeitrag auf dem republikanischen Nationalkongress und unterstützte Trumps Botschaft, dass die BLM-Proteste eine Bedrohung der amerikanischen Lebensweise sind, gegen die sie sich mit automatischen Waffen in der Hand verteidigen müssen. Dann, nach den Morden, postete Fox News-Moderator Tucker Carlson auf Twitter: „Wie schockiert sind wir, dass 17-Jährige mit Gewehren beschlossen, die Ordnung aufrechtzuerhalten, als niemand sonst es tat?“

Trump konzentriert seine Kampagne zunehmend auf die Behauptung, dass Amerika vor einer finsteren, weit linken Verschwörung steht, für die Joe Biden und Kamala Harris nur Marionetten sind. In einem Interview für Fox News behauptete er, dass Flugzeugladungen von gewalttätigen „Black Lives Matter“-DemonstrantInnen durch das Land geflogen würden, bezahlt von einer Clique reicher Leute, „Leute, von denen Sie noch nie etwas gehört haben. Menschen, die in den dunklen Schatten stehen“ und dass „es Menschen sind, die die Straßen kontrollieren“.

Trump wiederholt eine Kampagne, die von QAnon, einer bizarren rechtsgerichteten Website über Verschwörungstheorien, geführt wird. Er hat auch die gleiche rassistische „Geburts“-Lüge verbreitet, die er gegen Obama unterstützte, nämlich dass Kamala Harris nicht in den USA geboren sei. Es scheint, dass er sich zu solchem Schmutz herablassen wird, um seine erzreaktionäre Basis zu motivieren und mobilisieren.

Es stimmt, in „normalen“ Zeiten, d. h. in Zeiten kapitalistischer Stabilität, wären solche Ideen als Hirngespinste von Verrückten am Rande des Wahnsinns abgetan worden. Aber jetzt, wo die USA nicht nur am Beginn eines großen wirtschaftlichen Einbruchs, einer Klimakatastrophe und inmitten der SARS-CoV-2-Pandemie stehen, die von der Trump-Regierung so kriminell schlecht gemanagt wurde, sondern auch vor dem Handelskrieg, den sie mit dem kapitalistischen China angezettelt haben, erscheinen selbst solche Ideen einer verrückt gewordenen Mittelschicht vernünftig.

Trump hat effektiv angedeutet, dass er diese „Strategie der Spannung“ mit Hilfe der Polizei und seiner rechtsextremen Hilfskräfte bis zur Wahl aufrechterhalten wird. Wenn er verliert, wird er sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen, und erklären, es sei festgelegt worden. Sieg oder Niederlage, amerikanische ArbeiterInnen, Schwarze, People of Colour, FeministInnen, LGBTIAQ-AktivistInnen stehen vor einem seit vielen Jahren nicht erlebten Konflikt, den Keimen eines amerikanischen Faschismus.

Trump ging auf Twitter und behauptete, er habe mit dem demokratischen Gouverneur von Wisconsin, Tony Evers, gesprochen und würde „die Bundespolizei und die Nationalgarde … zur Wiederherstellung von GESETZ und ORDNUNG“ schicken! Er fügte hinzu, dass er am 2. September Kenosha besuchen werde, um dies zu überwachen. Und um seine Provokation noch zu verstärken, hat er Rittenhouse verteidigt und unverschämter Weise geschrieben, dass die Doppelmorde in Notwehr geschahen. „Ich vermute, er war in sehr großen Schwierigkeiten … er wäre wahrscheinlich getötet worden.“

Es ist zu hoffen, dass AntirassistInnen, AntifaschistInnen und rassistisch Unterdrückte von nah und fern, die sich angemessen gegen FaschistInnen und PolizistInnen schützen, ihm einen gebührenden Empfang bereiten.

What next?

Dies alles unterstreicht schließlich die dringende Notwendigkeit für die an den Bewegungen beteiligten fortschrittlichen Kräfte, ihre eigene, von den DemokratInnen unabhängige Partei aufzubauen. Es muss eine Partei sein, die nicht nur für den Wahlkampf, sondern auch auf den Straßen, in den Gemeinden und an den Arbeitsplätzen aktiv ist. Es muss eine Partei sein, deren militante Speerspitze die weißen RassistInnen und FaschistInnen dorthin zurückdrängen kann, von wo aus Trump sie herbeigerufen hat.

In der gegenwärtigen politischen Krise, die seit den 1960er und 1970er Jahren beispiellos ist, müssen wir sagen:

  • Haltet die landesweiten Demonstrationen gegen Polizeimorde und Trump und seine rassistischen UnterstützerInnen aufrecht!
  • Polizei weg von den Straßen unserer Städte – keine Finanzierung der Repression!
  • Alle Killer-PolizistInnen vor Gericht bringen: Ihre Straflosigkeit muss ein Ende haben!
  • Selbstverteidigung ist kein Vergehen – die Unterdrückten haben das Recht, Waffen zu tragen! Aufbau von Selbstverteidigungsorganen zum Schutz vor Angriffe weißer RassistInnen und der Killer-Cops!
  • Baut eine Einheitsfront des Widerstands auf, einschließlich der organisierten ArbeiterInnenschaft, und schafft die Grundlage für eine unabhängige ArbeiterInnenpartei mit einem sozialistischen Programm!



Selbstverteidigung ist kein Verbrechen! Solidarität mit der #blacklivesmatter-Rebellion!

Jaqueline Katherina Singh/Martin Suchanek, Infomail 1106, 10. Juni 2020

George Floyd wurde am Morgen des 25. Mai 2020 von dem Polizeibeamten Derek Chauvin aus Minneapolis auf brutale und feige Weise auf einer öffentlichen Straße vor den Augen von PassantInnen ermordet. Eine/r von ihnen hat das Ganze auf Video aufgenommen, das Millionen Menschen gesehen haben. Es hat zwei Wochen lang Massendemonstrationen nicht nur in den USA, sondern weltweit ausgelöst. Diese thematisieren nicht nur die Unterdrückung von AfroamerikanerInnen, sondern auch ähnliche rassistische Polizeitötungen auf allen Kontinenten  und fordern ein Ende dieser Barbarei und der den MörderInnen gewährten Straffreiheit.

Polizeigewalt als systematischer Teil der Unterdrückung

Der Mord an George Floyd war kein Einzelfall. Vom 1. Januar 2015 bis zum 27. Mai wurden nach offiziellen Zahlen 5.338 Menschen von Cops getötet. Afro-AmerikanerInnen sind davon extrem betroffen. Ihr Anteil an den Getöteten beträgt 23,5 %, in absoluten Zahlen 1.252 Menschen, während der an der Bevölkerung nur 13 % beträgt. Das entspricht 29 Toten je einer Million Menschen dieser Bevölkerungsgruppe. Zum Vergleich: Unter weißen AmerikanerInnen sind es nur zwölf Tote je einer Million Menschen.

Es ist 3-mal wahrscheinlicher, dass schwarze Männer von der Polizei erschossen werden als weiße, auch bei schwarzen Frauen ist sie doppelt so hoch wie bei weißen.

Allein diese Zahlen verdeutlichen den systematischen Charakter des Rassismus, besonders im US-Staats- und Repressionsapparat.

Millionen Afro-AmerikanerInnen werden täglich systematisch unterdrückt – und das seit faktisch 400 Jahren. Dies nimmt verschiedene Formen an, wie z. B. die Sklaverei der  PlantagenarbeiterInnen. Nach dem Bürgerkrieg und der Abschaffung der Sklaverei wurde das sogenannte Jim-Crow-System in den Staaten der ehemaligen Konföderation etabliert, d. h. Entzug des Wahlrechts, der Rechtsgleichheit und Einführung der institutionellen Rassentrennung. Selbst diejenigen, die auf der Suche nach Arbeit und auf der Flucht vor Jim Crow in den Norden zogen, sahen sich immer noch mit Pogromen und später mit der Ghettoisierung konfrontiert. Obwohl dies zum Teil als Folge der Massenmobilisierung der Bürgerrechtsbewegung beseitigt wurde, bleibt ein Großteil des unheilvollen Erbes bestehen, auch weil ein Teil der Führung der Bewegung einen strategischen Block mit der Demokratischen Partei einging, die dieser wiederum eine Juniorrolle in der herrschenden Klasse der USA zugestand – auf Kosten der großen Masse der schwarzen Bevölkerung.

Die Kriminalisierung der Jugend und junger Erwachsener bildet seit mehreren Jahrzehnten eine zentrale Achse der rassistischen Unterdrückung, die z. B. Michelle Alexander 2010 in dem gleichnamigen Buch treffend als „The New Jim Crow“ analysiert hat. Sie zeigt darin, dass die Kriminalisierungen durch Polizei, Gerichte und das US-Gefängnissystem zentrale Institutionen zur Reproduktion des Rassismus darstellen, die z. B. durch den sog. „War on drugs“ (Anti-Drogen-„Krieg“) legitimiert werden. So werden Schwarze 14-mal (!) so oft wie Weiße zu Gefängnisstrafen verurteilt (https://www.tagesspiegel.de/politik/arbeit-bildung-gesundheit-justiz-wo-schwarze-buerger-in-den-usa-benachteiligt-sind/25881654.html). Auch die Strafen für Drogenbesitz sind auf Kriminalisierung der Jugend gewissermaßen zugeschnitten. So beträgt schon für geringere Mengen an leichten Drogen (z. B. 5 Gramm Gras) in einigen Bundesstaaten das Strafmaß bis zu 5 Jahren (!) Gefängnis.

Die gezielte Kriminalisierung von Schwarzen trägt entscheidend dazu bei, dass die USA mit 2.121.600 Menschen das Land mit der höchsten Anzahl von Inhaftierten auf der Welt sind (Stand 18. Mai 2020). Der Anteil von Schwarzen oder Hispanics an den Gefangenen ist etwa dreimal so hoch wie jener von Weißen. Sträfling oder Ex-Sträfling zu sein, kommt also einem Ausschluss und einer Marginalisierung vom öffentlichen und sozialen Leben gleich.

Soziale Ungleichheit

Das drückt sich auch im ganzen Leben aus. Afro-AmerikanerInnen stellen einen überdurchschnittlich großen Teil der schlecht bezahlten, überausgebeuteten Schichten der ArbeiterInnenklasse. Sie stellen einen größeren Teil der Arbeitslosen und der Working Poor, also der beschäftigten Armen, die kaum genug zum Überleben verdienen. Haushalte von schwarzen Familien besitzen im Durchschnitt ein Zehntel des Vermögens oder der Rücklagen von weißen (Diese und folgende Zahlen: https://www.tagesspiegel.de/politik/arbeit-bildung-gesundheit-justiz-wo-schwarze-buerger-in-den-usa-benachteiligt-sind/25881654.html). Ein Drittel aller US-AmerikanerInnen hat einen Hochschulabschluss absolviert, aber nur 23 % der Schwarzen.

Sie sind weit größeren Gesundheitsrisiken ausgesetzt, weil sie oft von jeder Krankenversicherung ausgeschlossen sind. So ist auch ihr Risiko, an Corona zu sterben, weit größer als das der weißen Bevölkerung. Von den über 100.000 Corona-Toten sind rund 70 % (!) Menschen mit schwarzer Hautfarbe.

Das neue Jim-Crow-System reproduziert die Unterdrückung und ist für Hunderttausende im wahrsten Sinn des Wortes tödlich. Es erklärt auch, warum alle Kampagnen zur Reform der Polizeiarbeit nichts gebracht haben. Der eigentliche Zweck der Polizei, aber auch der Justiz und Gefängnisse besteht nicht nur darin, die kapitalistischen Verhältnisse im Allgemeinen, sondern auch ein zentrales Element der rassistischen Unterdrückung zu reproduzieren. Daher auch der tief sitzende Rassismus im Polizei- und Sicherheitsapparat, der durch Anreize – beispielsweise Prämien und Zuschläge für hohe Anzahl von Festnahmen schwarzer möglicher Krimineller – befördert wird. Um Bestrafung muss ein/e weiße/r BullIn nicht fürchten, rund 1 % aller Tötungen durch US-Polizei gelangen überhaupt zu einer Anklage (https://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/polizeigewalt-in-den-usa-sind-reformen-moeglich-16797903.html).

Seit Jahren wird – nicht zuletzt auch unter dem Vorwand des „war on drugs“ – der US-Polizeiapparat massiv aufgerüstet, was praktisch eine Militarisierung etlicher Teile gleichkommt. Selbst das einer kritischen Haltung zum US-Staatsapparat unverdächtige FBI veröffentlichte schon vor Jahren Warnungen, dass Rechte/White Supremacists in diesen Strukturen aktiv werben. Initiativen, die z. B. Facebook-Gruppen verglichen, recherchierten 2006 14.000 Fälle von Menschen, die in rechten Gruppen und in der Polizei aktiv sind).

Und es ist natürlich auch kein Wunder, dass viele Polizeieinheiten ein Tummelplatz für Rechtsradikale, AnhängerInnen der Ideologie der White Supremacy (weiße Vorherrschaft) und von Trump sind wie z. B. der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft von Minneapolis. Überhaupt bildet die sog. „Polizeigewerkschaft“ nichts anders als eine Lobbygruppe des Rassismus und der Unterdrückung. Sie muss aus der US-Gewerkschaftsbewegung ausgeschlossen, verjagt werden.

Die Rebellion

George Floyd war also nicht nur kein Einzelfall. Er war eines von tausenden Opfern eines Systems, einer von Millionen. Diesmal war aber eines anders. Als Reaktion auf den Mord entwickelte sich eine Massenbewegung nicht nur in Minneapolis, sondern in den ganzen USA mit Demonstrationen, Blockaden, Aufständen – eine regelrechte Rebellion. Wie bei allen großen geschichtlichen Bewegungen – und als solche betrachten wir diese – lässt sich nicht wirklich feststellen, wer sie genau auslöste, welcher Funke genau das Feuer entflammte, die Erfahrung mit Unterdrückung zu Empörung, Widerstand, einer Massenbewegung werden ließ. Sicherlich haben das Beispiel und die AktivistInnen der BLM bei der Initiierung vieler Aktionen eine Rolle gespielt, aber die Massenreaktion erfolgte oft wirklich spontan.

Zweifellos spielten die laufende und weiter drohende soziale Verelendung, Massenarbeitslosigkeit, Armut infolge von Krise eine wesentliche Rolle. Seit Ausbruch von Corona haben sich in den USA 41 Millionen Menschen offiziell als arbeitslos registrieren lassen. Jene, die erst gar nicht zum Arbeitsamt gingen, werden auf weitere 7,5 Millionen geschätzt. Die Arbeitslosigkeit wird für den Mai 2020 auf rund 20 % geschätzt (offizielle Zahlen werden erst im Laufe des Juni veröffentlicht). Schwarze und Hispanics sind überdurchschnittlich stark von dieser Entwicklung betroffen, aber natürlich trifft das die ArbeiterInnenklasse insgesamt in Dimensionen wie seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre nicht mehr. In jedem Fall können wir festhalten, dass die Systemkrise des Kapitalismus selbst eine Auslöserin der Proteste und Aktionen bildete.

Zweitens entstand mit Black Lives Matter in den letzten Jahren eine Massenbewegung, die in vielen Punkten an die Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre anknüpft, einschließlich deren linken Flügels wie Malcolm X und der Black Panther Party. Black Lives Matter entstand aus Massenprotesten, nachdem 2013 der aus einer rechten Bürgerwehr stammende Mörder von Trayvon Martin und 2014 ein Polizist vom Mord an Michael Brown Jr. in Ferguson, Missouri, freigesprochen worden waren.

Auch wenn viele SprecherInnen der heterogenen Bewegung politisch als linksliberal, reformistisch oder radikaldemokratisch betrachtet werden können, was sich z. B. in der Unterstützung von Warren und Sanders bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei 2020 zeigte, so entstand sie aus einer tiefen Unzufriedenheit mit ewig versprochenen Reformprozessen und auch mit einem Teil der in die Demokratische Partei integrierten RepräsentantInnen der Schwarzen (wie z. B. Jesse Jackson). Die bestenfalls ernüchternden Erfahrungen und enttäuschten Reformhoffnungen unter Obama bildeten einen weiteren wichtigen Ausgangspunkt für das Entstehen der Bewegung.

Mit der Wahl Trumps verschärft sich der offene Rassismus der führenden VertreterInnen des US-Imperialismus, nimmt direkt provokatorische Formen wie in Charlottesville 2017 an, als die 32-jährige Antifaschistin Heather Heyer von einem Rechten getötet und 19 andere zum Teil schwer verletzt wurden. In den letzten Jahren erleben wir einen weiteren Anstieg von Hassverbrechen (Hate crimes). Unter Trump und dem von ihm repräsentierten Teil des US-Kapitals, Kleinbürgertums und rückständiger, reaktionärer, weißer ArbeiterInnen war Schluss mit der demokratischen Fassade des rassistischen Staatsapparats.

Wichtig für das Verständnis der aktuellen Bewegung ist jedoch, dass unter dem Banner von Black Lives Matter eine heterogene und lose Massenbewegung entstand, die den Unterdrückten landesweit einen Ausdruck, eine Stimme gab, als Mittel zur Selbstermächtigung, zur Steigerung des eigenen Selbstbewusstseins diente.

Spontanität und Bewegung

Es greift daher viel zu kurz, die aktuelle Massenbewegung bloß als Ausdruck der Verzweiflung, der Not usw. zu begreifen. Damit bestreiten wir natürlich nicht, dass es viele verzweifelte, mit dem Rücken zur Wand stehende Menschen gibt. Das ergibt sich schon allein aus der Arbeitslosigkeit und der weiter wütenden Pandemie. Aber in den letzten Jahren sind auch eine Verbindung und ein Bewusstsein von kollektiver Unterdrückung und Zusammenhalt entstanden, die in der Losung „Black Lives Matter“ einen gemeinsamen Ausdruck finden. Jede/r zählt, kein Opfer der Bullen darf vergessen werden. Dieses Aufstehen für die eigene Würde, diese Form der Selbstermächtigung ist eng mit einer Bewegung verknüpft. Nur so können sich die Unterdrückten als Subjekt, als gesellschaftliche Kraft, als AkteurIn konstituieren.

Wir haben zwar mit einer Rebellion zu tun, die viele spontane Züge trägt, allerdings mit einer, die an die Kämpfe und Erfahrungen der letzten Jahre anknüpft, auch deren Fortsetzung darstellt. Sie baut insbesondere auf der Lehre auf, dass es notwendig ist, eine Massenkraft, eine Bewegung aufzubauen. Das drückt sich auch bei der realen Rebellion der letzten zwei Wochen aus.

Nach dem Mord an George Floyd verbreitete sich diese wie ein Lauffeuer nicht nur in Minneapolis und St. Paul, sondern über das ganze Land. In fast allen großen Städten kam es zu Massendemonstrationen, Besetzungen, auch zu Konfrontationen mit der Polizei, zum Erstürmen von Polizeistationen und auch zu Plünderungen. Wir müssen uns aber klar sein, dass letztere nach allen ernst zu nehmenden Berichten nur einen untergeordneten Aspekt darstellen, manche sicher auch auf das Konto von ProvokateurInnen gehen mögen. Wir wissen aber auch, dass bei solchen Rebellionen, Aufständen oder Emeuten der Unterdrückten Plünderungen von Märkten oder Läden immer wieder vorkommen und Teil solcher Bewegungen bilden. Wir haben keinen Grund, diese hier zu verurteilen oder uns eine Rebellion ohne solche Aktionen herbeizuwünschen. Sie wird im realen Leben nicht stattfinden. Wir sollten vielmehr auf die gespielte Empörung des Establishments, der Rechten oder von „demokratischen“ Pseudo-UnterstützerInnen frei nach Brecht antworten: Was ist schon das Plündern eines Supermarktes, was ist schon ein Bankraub gegen die Gründung einer Supermarktkette oder die Gründung einer Bank? Oder auf die USA bezogen: Was ist schon der Diebstahl für den täglichen Bedarf verglichen mit der Versklavung, Erniedrigung und Ausbeutung der Schwarzen oder allgemeiner, der US-amerikanischen Lohnabhängigen durch Banken, Konzerne, Finanzinstitutionen und SpekulantInnen wie Trump?

Was ist der spontane Ausbruch der Unterdrückten verglichen mit dem Wissen, dass du, egal wohin du auf dieser Welt auch gehst, aufgrund deiner Hautfarbe immer unterdrückst wirst, schlechtere Ausgangsbedingungen hast und es wahrscheinlicher ist, dass du stirbst? Rassismus gegenüber Schwarzen stellt schließlich längst nicht nur ein US-amerikanisches Phänomen dar, sondern ist auch eine brutale Realität in allen Ländern wie Deutschland, Frankreich usw. Die Unterdrückung in den imperialistischen und auch vielen halb-kolonialen Ländern geht dabei Hand in Hand mit der jahrhundertelangen kolonialen und imperialistischen Ausbeutung Afrikas einher.

Doch zurück zur Bewegung. Sie verbreitete sich rasch und hielt sich bis heute, also fast 2 Wochen, trotz massiver Repression, Ausgangssperren in dutzenden Städten, trotz Einsatzes der Nationalgarde durch etliche GouverneurInnen, trotz der Verhaftung tausender Protestierender.

Die Bewegung umfasst auf der Straße Hunderttausende in hunderten Städten und Orten; sie schließt neben der schwarzen Community auch viele Menschen aller ethnischen Gruppen, darunter viele Jugendliche, ein, erfährt aber auch eine große Sympathie seitens der ArbeiterInnenklasse. Trump und die Rechten versuchen, die Bewegung als gekaufte Antifa, als weiße, von Georges Soros versorgte Wohlstandskids zu diffamieren. Der aberwitzige Schwachsinn verrät freilich, was Trump durchaus nicht zu Unrecht fürchtet: dass sich die Bewegung mit der US-amerikanischen Linken und der ArbeiterInnenklasse verbindet. Und diese Möglichkeit besteht. Schon während der Corona-Gefahr und aufgrund der Krise demonstrierten in den USA schließlich nicht nur wild gewordene KleinbürgerInnen und Rechte für die Freiheit, ihre und anderer Menschen Gesundheit zu ruinieren. Es gab auch eine beachtliche Welle von Streiks und Aktionen im Gesundheitswesen, oft gegen die verantwortungslose Politik der Öffnung oder gegen das Ausbleiben von Mitteln zur Gesundheitsvorsorge. People of Color spielten unter diesen Lohnabhängigen eine wichtige Rolle.

Nicht minder wichtig ist die Solidarisierung von BasisgewerkschafterInnen und Gliederungen, von Locals – hier in etwa Ortskartelle –, die sich mit der Bewegung solidarisierten. So erklärten u. a. die BusfahrerInnen in Minneapolis und New York, dass sie sich weigern, Polizeieinheiten oder Gefangene zu transportieren. So heißt es in einer Erklärung von VertreterInnen der Verkehrsgewerkschaft Amalgamated Transit Union Local 1005, die 2.500 Beschäftigte des öffentlichen Nahverkehrs in den Partnerstädten Minneapolis und Saint Paul vertritt:

„ATU-Mitglieder leben täglich mit ähnlichen Ängsten. ATU-Mitglieder sind täglich mit Rassismus konfrontiert. Unsere Mitglieder leben und arbeiten in Stadtvierteln, in denen solche Aktionen stattfinden, und wo dies geschah, wird es nun weltweit mit Schrecken beobachtet“, heißt es in einer Pressemitteilung des Local.

„Übergriffe auf FahrerInnen haben in einigen Fällen dazu geführt, dass ATU-Mitglieder bei der Ausübung ihrer Arbeit ermordet wurden“, sagte die Gewerkschaft. „Bei der ATU haben wir deshalb eine Losung: ‚NICHT MEHR‘. Wir sagen: ‚NICHT MEHR‘ zur Auslöschung eines schwarzen Lebens durch die Hände der Polizei. NICHT EINS MEHR! GERECHTIGKEIT FÜR GEORGE FLOYD!“.

Dieses und andere Beispiele der ArbeiterInnensolidarität zeigen, dass auch viele Lohnabhängige begreifen, welche Bedeutung die Bewegung hat.

Auch wichtige Gruppierungen der US-Linken wie die DSA (Democratic Socialists of America; Demokratische SozialistInnen Amerikas) und das Magazin Jacobin haben sich solidarisiert und linke, in vielem unterstützenswerte Statements veröffentlicht. Sie haben bisher jede Distanzierung von den „PlündererInnen“, also jedes durchsichtige Spaltungsmanöver abgelehnt. Viele AktivistInnen der DSA wie generell der US-Linken und auch unsere GenossInnen von Workers Power in den USA beteiligen sich an den Demonstrationen und Aktionen.

Auch die Welle internationaler Solidarität zeigt, dass Millionen erkennen, dass diese Rebellion, die Massenbewegung in den USA nicht nur für eine gerechte, bedingungslos unterstützenswerte Sache kämpft, sondern dass sie auch zu einem Game-Changer in den USA werden kann, zum Fanal für eine antirassistische, linke, klassenkämpferische Alternative zum Rechtsruck und zu Trump.

Die Bedeutung der Bewegung liegt gerade darin, dass sie eine linke Zuspitzung der Verhältnisse im Land darstellt – und dass es umgekehrt die Krise des US-Kapitalismus ist, die die Chance eröffnet, dass sich Befreiungskampf der rassistisch Unterdrückten und die ArbeiterInnenklasse verbinden.

Hauptelemente der Krise

Wir wollen daher kurz die Hauptelemente der aktuellen Krise in den USA skizzieren, weil diese auch verdeutlicht, vor welchen politischen Herausforderungen und Aufgaben die Bewegung, die ArbeiterInnenklasse, RevolutionärInnen stehen.

1. Die USA-Ökonomie und die Weltwirtschaft befinden sich in einer tiefen Wirtschafts- und Gesundheitskrise. Die US-Wirtschaft schrumpft massiv. Selbst Bürgerliche sagen einen Rückgang das BIP um 5 % oder mehr für 2020 voraus; über 40 Millionen wurden schon arbeitslos, über 100.000 sind an der Pandemie gestorben, eine zweite Welle droht, international droht die USA wirtschaftlich gegenüber China zurückzufallen. Außer der Rettung des eigenen Kapitals durch Milliarden-Geschenke und aggressiven Nationalismus gibt es keinen Plan.

2. Die herrschende Klasse selbst ist gespalten. Trump repräsentiert nur einen Minderheitsflügel des US-Kapitals, stützt sich auf Teile des Polizeiapparates, auf die reaktionärsten Kräfte und eine zunehmend aggressivere kleinbürgerliche Bewegung, die sich von einer rechts-populistischen durchaus zu einer faschistischen entwickeln kann. Er versucht auch, seine eigenen diktatorischen Vollmachten auszubauen. Er setzt auf eine Strategie der Eskalation und Niederschlagung der Bewegung. Rassismus bildet ein wesentliches Bindeglied seiner Gefolgschaft, das zentrale Mittel, um deklassierte ArbeiterInnen und KleinbürgerInnen hinter einer ultraliberalen Wirtschaftspolitik und aggressiven Außenpolitik zu versammeln.

Ihm steht ein größerer Teil des Kapitals gegenüber, dem Trump „zu weit“ geht, der aber auch kein klares eigenes Programm vorweisen kann, auf Biden und die DemokratInnen eher mangels Alternative denn aus Überzeugung hofft. Auch die Institutionen des Staatsapparates sind gespalten. So drohte Trump damit, das Militär gegen die Bewegung einzusetzen, um „Ruhe und Ordnung“ herzustellen. Der Generalstab der US-Armee zeigt sich reserviert, selbst sein Verteidigungsminister lehnt den Einsatz ab. Der ehemalige Verteidigungsminister und General Mattis kritisierte Trump offen und warf ihm vor, das Land zu spalten, sich nicht einmal Mühe zu geben, so zu tun, als würde er es einen wollen. Hieraus geht deutlich hervor, dass nicht nur wichtige Gruppen des US-Kapitals, sondern auch des Staatsapparates vermeiden wollen, die Armee gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, dass diese eher darauf hoffen, die Bewegung durch kleinere Zugeständnisse zu befrieden. Es ist schwer vorauszusagen, welche Kraft sich in welchem  Tempo durchsetzt.

In jedem Fall muss aber in Rechnung gestellt werden, dass das weiße KleinbürgerInnentum selbst nach rechts geht, das Vertrauen in die „alten“ Parteiführungen verloren hat und auch in die Institutionen des US-Imperialismus.

Nicht nur die Ökonomie der USA und das Gesundheitssystem, auch die „Demokratie“, das politische Herrschaftssystem befindet sich in einer tiefen Legitimationskrise. Kurzum, die Herrschenden können nicht mehr so herrschen wie bisher, auch wenn unklar ist, wohin die Reise gehen soll.

Eine unmittelbare Gefahr besteht sicher weiter darin, dass Trump – allen Vorbehalten der „Demokratie“ zum Trotz – die Bewegung mit Repression, mit Nationalgarde und evtl. gar Teilen der Armee niederschlägt und erstickt, um ihr eine präventive Niederlage zuzufügen. Auch wenn dies angesichts einer Mobilisierung, die noch immer anhält und eher breiter und größer wird, sicherlich auch vom Standpunkt der herrschenden Klasse als unratsam, ja verrückt erscheinen mag, so sollte doch niemand unterschätzen, dass der Populismus Trumps durchaus zu solchen, brutalen Abenteuern führen kann.

Die grundlegenden Probleme des US-Imperialismus würde das zwar nicht lösen, wohl aber könnte es das Kräfteverhältnis kurzfristig und auch zu den Wahlen zu seinen Gunsten verschieben. Auch wenn er hier mit einer weiteren Eskalation spielten sollte und selbst viele RepublikanerInnen dies vermeiden wollen, so darf eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. Unter den Bedingungen einer wachsenden Massenbewegung und einer wachsenden antirassistischen Massenstimmung würde ein solcher Versuch der gewaltsamen Unterdrückung jedoch wahrscheinlich eine revolutionäre Situation schaffen. Unterdrückung ist im Allgemeinen erfolgreich, wenn sie in den letzten Phasen einer Bewegung eingesetzt wird, die keine großen Errungenschaften erzielt hat, an ihre Grenze gestoßen, gespalten und schwach wird.

3. In jedem Fall enthalten die objektive Lage, die Spaltung in der herrschenden Klasse, die Krise der „Demokratie“ wichtige Schlüsselmomente einer revolutionären Situation oder Lage, wie sie Trotzki z. B. in den Schriften zu Deutschland am Beginn der 1930er Jahre (z. B. in „Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutschland„) oder in den Schriften zu Frankreich Mitte der 1930er Jahre skizzierte. Das Zurückbleiben des subjektiven Faktors, das Fehlen einer revolutionären Führung bedeuten jedoch nicht nur eine großes Plus für die Herrschenden, sondern auch, dass die Lage insgesamt einen vorrevolutionären Charakter angenommen hat. Ob sich eine revolutionäre Situation in der kommenden Periode entwickelt, kann ebenso wie deren Zeitpunkt und Dauer nicht im Voraus bestimmt werden, sondern hängt wesentlich von der Entwicklung der Klassenkämpfe und der Rebellion selbst ab. In jedem Fall kann aber eine solche Zuspitzung grundsätzlich nur revolutionär oder konterrevolutionär gelöst werden.

Die „Black Lives Matter “-Bewegung und die Massenaktionen in den gesamten USA verdeutlichen, dass sich vor dem Hintergrund der tiefsten wirtschaftlichen, sozialen und institutionellen Krise eine Bewegung bildet, die eine Alternative zu Trump, zu den RepublikanerInnen, aber auch zur Demokratischen Partei darstellen kann.

Aktionsprogramm

Es kommt daher darauf an, diese Bewegung selbst zu stärken und mit der ArbeiterInnenklasse zu verbinden. Dazu benötigt sie ein Aktionsprogramm und Kampforgane gegen den institutionellen Rassismus, gegen die Krise und die Pandemie um folgende Schlüsselforderungen:

  • Nein zur Unterdrückung der Bewegung! Freilassung aller Gefangenen, Aufhebung der Ausgangssperren, Rückzug der Polizei und Nationalgarde aus den Wohnvierteln der Unterdrückten, kein Einsatz der Armee!
  • Gerechtigkeit für George Floyd und alle Opfer der Polizeirepression! Rassistische Killer-Cops sollen vor Geschworenen zur Rechenschaft gezogen werden, die die Gemeinschaften, die unter ihrem Rassismus leiden, wirklich widerspiegeln. Selbst wenn die vier für seine Ermordung verantwortlichen Polizisten angeklagt und verurteilt werden, kann die Gerechtigkeit für so viele Opfer der Polizei nicht den bürgerlichen, rassistischen Gerichten überlassen werden. Sie müssen vielmehr vor von den Unterdrückten und der ArbeiterInnenklasse gewählte Volkstribunale gestellt werden.
  • Die ArbeiterInnenklasse muss sich in der Aktion mit der Bewegung solidarisieren, wie es z. B. TransportarbeiterInnen getan haben. Gegen den Crackdown der Bewegung und einen drohenden Einsatz der Armee muss mit einem politischen Massenstreik bis hin zum Generalstreik geantwortet werden. Wir müssen dies von den Einzelgewerkschaften wie den LehrerInnengewerkschaften (NEA), den Dienstleistungsgewerkschaften (SEIU), den AutomobilarbeiterInnengewerkschaften (UAW), den Teamstern usw. sowie den AFL-CIO- und „Change to Win“-Verbänden einfordern. Wir dürfen auch nicht die große Zahl von Beschäftigten in der so genannten Gig-Economy vergessen, von denen sich viele über ArbeiterInnenzentren, den Kampf um 15 US-Dollar Mindestlohn und Ad-hoc-OrganisatorInnen inoffizieller Streiks in Lagerhäusern und Walmart-Läden organisiert haben.
  • Die Idee und Forderung des Generalstreiks muss jetzt in der Klasse verbreitet, der Kampf vorbereitet werden und zwar nicht nur wegen der drohenden Repression, sondern auch um zentrale antirassistische Ziele der Bewegung durchzusetzen und den Kampf gegen die soziale Katastrophe zu führen. Von den Führungen der großen Gewerkschaften muss die Unterstützung eingefordert werden, aber ohne sich auf diese zu verlassen.
  • Zur Organisierung der Bewegung und deren Führung braucht es Aktionskomitees in allen Wohnvierteln, die auf Massenversammlungen gewählt, diesen verantwortlich und von ihnen wieder abwählbar sind. Dasselbe braucht es auf betrieblicher Ebene, insbesondere zur Vorbereitung und Durchführung von Streiks. Betriebsdelegierte sollten auf lokaler, landes- und bundesweiter Ebene zu einer Kampfführung zusammengefasst werden.
  • Gegen die Repression braucht es Selbstverteidigungseinheiten der rassistisch Unterdrückten und der ArbeiterInnenklasse, die von der Bewegung und ihren Strukturen kontrolliert werden. Wir unterstützen alle Forderungen wie „Ausgabenstreichungen“ oder „Auflösung“ der Polizei, die die Fähigkeit behindern, die ArbeiterInnenklasse und die Unterdrückten niederzuhalten. Aber wir sind uns bewusst, dass sie als zentrales Element des Staates nur durch seinen Sturz vollständig beseitigt werden kann.
  • Gegen Krise und Pandemie braucht es ein Sofortprogramm. Zur Fortführung lebensnotwendiger Arbeit und Reorganisation der Produktion und Dienstleistungen gemäß den Gesundheitsbedürfnissen bedarf es eines demokratisches Plans unter ArbeiterInnenkontrolle.
  • Statt Geschenken an die Großkonzerne, Banken und Finanzfonds braucht es deren Enteignung. Freie, kostenlose Gesundheitsvorsorge für alle! Aufteilung der Arbeit auf alle Hände und Köpfe! Für einen die Existenz sichernden Mindestlohn und ein Mindesteinkommen in dieser Höhe für alle Arbeitslosen, Studierenden, Kranken und RentnerInnen!
  • Ein solches Programm, ja schon ein politischer Generalstreik gegen einen Crackdown u. a. von Trump würden notwendigerweise die Machtfrage aufwerfen. Das vorrevolutionäre Potential würde die Notwendigkeit einer revolutionären Lösung als Aufgabe stellen, der Machtergreifung durch eine ArbeiterInnenregierung, die sich auf die Macht- und Kampforgane eines solchen Generalstreiks stützt.

Ob, in welchem Tempo es zu einer solchen Entwicklung kommt, ob die Bewegung repressiv niedergeschlagen oder durch die Integrationspolitikerinnen der Demokratischen Partei zumindest vorläufig reintegriert werden kann, hängt wesentlich von 2 Faktoren ab:

Erstens, vom Klassenkampf selbst, von der Strategie, die verschiedene Kräfte, also auch die Bourgeoisie wählen. So kann es z. B. durchaus passieren, dass größere Teile des US-Kapitals versuchen, Trump loszuwerden – sei es bei den Wahlen oder davor – weil sie selbst die unvermeidlichen Risiken seiner Politik nicht eingehen wollen. Diese könnten versuchen, die Bewegung durch Zugeständnisse und auch durch Integration von bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Kräften aus dieser zu befrieden.

Zweitens – und das ist der für uns entscheidende Faktor – kommt es darauf an, ob die US-ArbeiterInnenklasse in dieser Situation der Lösung ihrer eigenen Führungskrise näher kommt, ob es gelingt, eine ArbeiterInnenpartei aufzubauen, die eine wirkliche Alternative zu RepublikanerInnen und DemokratInnen darstellt, die den US-Staat nicht bloß verbessern, sondern zerschlagen und durch einen Rätestaat der ArbeiterInnen und Unterdrückten ersetzen will.

Revolutionäre Führung

Das größte Hindernis, das dieser Entwicklung im Wege steht, ist die Tatsache, dass die ArbeiterInnenklasse nach wie vor an die zweite (liberalere, aber völlig kapitalistische) Partei der Bourgeoisie gebunden ist, ebenso wie „demokratische SozialistInnen“ wie Bernie Sanders und „the Squad“, Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley und Rashida Tlaib. Das Gleiche gilt für die „Demokratischen SozialistInnen Amerikas“ (DSA), die diesbezüglich eine widersprüchliche Politik betreiben, so tun, als könnte man gleichzeitig in- und außerhalb der Demokratischen Partei stehen. Ihre Rechtfertigung, dass der „Realismus“ der Wahlen eine Entschuldigung wäre, dass die oben genannten Figuren, rechte DemokratInnen wie Joe Biden als „kleineres Übel“ unterstützen, kommt letztlich einer politischen Unterordnung unter die Demokratische Partei und damit unter die Bourgeoisie gleich. In den militanteren neuen ArbeiterInnenorganisationen und den Locals von LehrerInnen, TransportarbeiterInnen hingegen wächst die Stimmung gegen die Unterordnung der großen Gewerkschaftsföderationen unter die DemokratInnen.

Die gegenwärtige Krise zeigt die dringende Notwendigkeit einer Partei des Klassen- und antirassistischen Kampfes, einer revolutionären Partei. Massenhaft antirassistische und antikapitalistische Kräfte existieren und wachsen heute in den USA, aber um den Sieg zu erringen, müssen sie die richtigen Ziele, die richtige Taktik, kurz gesagt, die richtige Strategie finden. Nur eine Partei kann den Weg weisen.

Die Linksentwicklung der DSA, die Rebellion, die ArbeiterInnenkämpfe und das offen antirassistische Auftreten von Basisstrukturen in den Gewerkschaften verdeutlichen, dass es das Potential für eine solche Partei heute gibt. Es muss daher jetzt, in der kommenden Periode aufgegriffen werden. Eine solche Partei mag nicht eine von Beginn an vollständig revolutionäre sein, aber RevolutionärInnen müssen von Anfang an in ihren Reihen darum kämpfen, dass sich ein revolutionärer Flügel bildet, dass dieser für ein revolutionäres Aktionsprogramm eintritt und versucht, die Mehrheit für eine sozialistische Revolution in den USA zu gewinnen.

Weltwelt stellen sich für InternationalistInnen vor allem zwei zentrale Aufgaben:

1. All jene unterstützen, die auf den Straßen kämpfen! D. h. Solidarität mit der Bewegung zu organisieren, die Demonstrationen und Aktionen von Black-Lives-Matter zu unterstützen, über die Kämpfe der Bewegung in den USA zu informieren, Diffamierungen durch Medien und bürgerliche Kräfte entgegenzutreten und zugleich den Klassenkampf gegen die Rechte, gegen Regierung und Kapital entschlossen zu führen.

2. All jene unterstützen, die eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei und eine neue Internationale aufbauen wollen, die dafür in der DSA, in der antirassistischen Bewegung und in der ArbeiterInnenklasse kämpfen!