„Zwei Staaten“ in Palästina: Geschichte einer reaktionären Idee

Robert Teller, Infomail 1239, 14. Dezember 2023

Dass „Zwei Staaten“ in Palästina niemals Wirklichkeit werden, bedeutet nicht, dass die Idee nicht auch einen eigenen Zweck erfüllen kann. Während Israels Bombenteppiche in Gaza Wohnviertel, Bäckereien, Justiz- und Regierungsgebäude in Schutt und Asche legen – und damit nebenbei auch jeden realen Ansatz palästinensischer Staatlichkeit pulverisieren – geistert die „Zweistaatenlösung“ wieder durch die Köpfe vor allem jener unter den Freund:innen Israels, die es für moralisch geboten halten, auch an eine „Zeit nach dem Krieg“ zu denken.

UN-Teilungsplan und Nakba

Ursprung der „Zweistaatenlösung“ ist der Teilungsplan von 1947, der nach einem Beschluss der UN-Vollversammlung aufgrund des von Britannien angestrebten Rückzugs aus Palästina durch eine eingesetzte Kommission erarbeitet wurde. Obwohl damals bereits die Schaffung eines einzigen föderalen und demokratischen Staates in ganz Palästina diskutiert wurde, entschied sich die Kommission schließlich für einen Teilungsplan, der mehr als die Hälfte der Fläche Palästinas für einen „jüdischen“ Staat vorsah, während Jerusalem unter UN-Verwaltung gestellt werden und auf der verbleidenden Fläche ein „arabischer“ Staat geschaffen werden sollte. Beide Staaten sollten politisch souverän, jedoch in einem gemeinsamen Wirtschaftsraum verbunden sein.

Diese Aufteilung des Landes stand bereits damals in keinem Verhältnis zur demographischen und territorialen Realität der 32 % jüdischen Einwander:innen. Die große palästinensische Bevölkerungsmehrheit erstreckte sich auch auf etwa 400 palästinensische Dörfer innerhalb der vorgeschlagenen Grenzen eines „jüdischen“ Staates. Die Palästinenser:innen lehnten die Abtretung von Territorien an eine koloniale Siedler:innenbewegung ab, was nicht überrascht. Der Teilungsplan enthielt auch von Beginn an einen Verstoß gegen den Souveränitätsgedanken, mit dessen Anspruch die UNO gegründet wurde.

Der durch nichts demokratisch legitimierte Teilungsplan trug nicht dazu bei, die Spannungen zwischen einer kolonialen Siedler:innenbewegung und der indigenen Bevölkerung Palästinas zu entschärfen. Vielmehr verlieh er 1948 der gewaltsamen Vertreibung von 700.000 (und Ermordung von Tausenden) Palästinenser:innen politische und moralische Rückendeckung. Die Nakba endete in der militärischen Eroberung eines deutlich über den Teilungsplan hinausgehenden Territoriums und dessen ethnischer Säuberung. Diese gewaltsam geschaffenen Grenzen wurden 1949 durch Waffenstillstandsabkommen und die Aufnahme Israels in die UNO international anerkannt. Der in UN-Resolution 194 auferlegten Pflicht, allen palästinensischen Flüchtlingen die Rückkehr zu ermöglichen, kam Israel bekanntlich nie nach – und dies stand auch bei den vielen Verhandlungsrunden des „Friedensprozesses“, der zu einer Zweistaatenlösung hätte führen sollen, nie ernsthaft zur Debatte. Vielmehr war deren Voraussetzung gerade die Anerkennung der 1948 geschaffenen Verhältnisse, die seither Generationen von Palästinenser:innen zu Flüchtlingen im eigenen Land oder in den Nachbarstaaten machen.

Folgen des Sechstagekriegs

In die politische Debatte kam die „Zweistaatenlösung“ erst Jahrzehnte später wieder – und zwar nicht als Lösung für die nationale Frage Palästinas, sondern für das israelische „Problem“ der 1967 neu eroberten Gebiete, die sich für den zionistischen Staat als zweischneidiges Schwert herausstellten. Nach den Erfahrungen, die die Palästinenser:innen (und die Weltöffentlichkeit) 1948 gemacht hatten, konnten die Westbank und Gaza nicht in der gleichen Weise ethnisch gesäubert werden, um sie den Expansionsbestrebungen Israels zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der dort verbliebenen großen palästinensischen Bevölkerung konnte sich Israel diese Gebiete weder einfach einverleiben noch an die unterlegenen arabischen Staaten abtreten oder gar eine palästinensische Selbstverwaltung zulassen, die es der PLO erlaubt hätte, sich entlang der Grenzen von 1948 zu formieren. Die „Lösung“ eines dauerhaften Besatzungsregimes erwies sich mit Beginn der ersten Intifada 1988 als nicht nachhaltig. Kollektive Kampfformen der Palästinenser:innen wie Streiks, Kauf- und Steuerboykott versetzten der israelischen Ökonomie schwere Schläge. Die nach 1967 verfolgte Strategie einer ökonomischen Integration und Entwicklung der eroberten Gebiete – bei gleichzeitiger Vorenthaltung jeglicher demokratischer Rechte – erwies sich als Bedrohung für das zionistische Projekt.

Oslo-Prozess

Das zentrale Versprechen der Osloer Abkommen 1993 beinhaltete Israels Rückzug aus der Westbank und dem Gazastreifen. Dies sollte jedoch erst als Endergebnis in einem Friedensabkommen vereinbart werden, als Abschluss eines 5 Jahre langen Prozesses, der in kleinen Schritten Verantwortung hin zur neu geschaffenen Palästinensischen Autonomiebehörde verlagern würde. Bis dahin sollte die palästinensische Seite unter Bewährung stehen und demonstrieren, dass sie „zum Frieden bereit“ sei.

Auf Seite Israels lag ein wichtiger Gesichtspunkt darin, die Armee zunehmend von ihrer Funktion als Polizei der besetzten Gebiete zu entbinden, also ihre militärischen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Im zionistischen Lager umstritten war die Frage der ökonomischen Integration. Die alleinige Kontrolle der Grenzen und des Außenhandels durch Israel seit 1967 ermöglichten der israelischen Ökonomie Extraprofite durch Überausbeutung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse und durch Zölle und Handelsprofite. Obwohl die Wirtschaftsunion und auch die Bewegungsfreiheit für palästinensische Arbeiter:innen in den Osloer Abkommen vertraglich vereinbart wurde, setzte sich in Israel letztlich der Flügel im Sicherheitsapparat durch, der einen gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Wirtschaftsraum als inakzeptable „Sicherheitsbedrohung“ sah. Die zunehmende Abriegelung der Westbank und des Gazastreifens war ein klarer Verstoß gegen den Wortlaut des Oslo-Abkommens, aber Israel betrieb diese aus genau der Logik heraus, mit der es in die „Friedensverhandlungen“ gegangen war: der angestrebten Minimierung der „Gefahr“, die mit der Verantwortung für das besetzte Volk einhergeht. Die Bewegungsfreiheit der Palästinenser:innen nach 1967 war zwar seit Beginn der Besatzung dem israelischen Militärregime in den Gebieten unterworfen, doch erst Mitte der 1990er Jahre wurde die Abriegelung von Dörfern, Städten bzw. der gesamten Westbank oder die Verhängung von Ausgangssperren durch militärischen Befehl ein alltäglicher Normalzustand.

Eine weitere wichtige Folge des Oslo-Abkommens war die Zerstückelung der Westbank in einen Flickenteppich mit abgestufter Aufgabenteilung zwischen dem israelischen Militär und der Autonomiebehörde. Dem anfänglichen Versprechen nach sollte der israelische Rückzug aus den A- und B-Gebieten nur der erste Schritt hin zu einer wachsenden palästinensischen Selbstbestimmung werden, und bis Ende 1999 sollte die gesamte Westbank der Autonomiebehörde übergeben werden. Umgesetzt wurde letztlich nur der Abzug aus den großen palästinensischen Bevölkerungszentren der Westbank (A- und B-Gebiete), die seither großteils Enklaven unter Verwaltung einer Israel treu ergebenen palästinensischen Hilfspolizei darstellen. Selbst hier behält sich Israel das Recht auf militärische Interventionen vor, die ggfs. höchstens durch die Auslieferung von Israel gesuchter Personen durch die palästinensische Polizei verhindert werden können. In Einzelvereinbarungen setzte Israel in jedem Teilrückzug Konditionen durch, die dem langfristigen Ziel der Kolonisierung der Westbank Rechnung tragen. So wurde etwa beim israelischen Abzug aus Hebron 1997 eine verbleibende dauerhafte Militärpräsenz zum „Schutz“ der damals 400 israelischen Siedler:innen vereinbart. Eine Folge dieses Abkommens ist, dass in der israelisch besetzten H2-Zone dieser Stadt seither 20.000 Palästinenser:innen ihr Leben den militärischen Bedürfnissen der innerstädtischen Siedler:innenkolonie unterordnen müssen. Die daraus entstandene Lebensrealität von Ausgangssperren, „sterilisierten“ (d. h. ethnisch gesäuberten) Straßen, Checkpoints und elektronischer Überwachung wurde zum Paradebeispiel des von Israel errichteten Apartheidsystems.

Die „Zweistaatenlösung“ der 1990er setzte auf Seiten der PLO zwei Bedingungen voraus: Einerseits die Anerkennung allen vor 1967 begangenen Unrechts als unverrückbare Tatsache, andererseits die Demobilisierung der Intifada und Entwaffnung der PLO. Damit wurden Fakten zugunsten Israels geschaffen. Die interessanten Fragen hingegen wurden vielsagend auf ein „endgültiges“ Abkommen in unbestimmter Zukunft vertagt – wie die des Rückkehrrechts, der israelischen Siedlungen, der Außenbeziehungen des palästinensischen Staates und des zukünftigen Status von Jerusalem (welches 1980 von Israel völkerrechtswidrig annektiert worden war). So unbestimmt das Abkommen in allen wesentlichen Fragen war – den Palästinenser:innen forderte es nicht nur handfeste Zugeständnisse ab. Es sollte auch in der Folgezeit dazu dienen, die Äußerung jeder nur denkbaren palästinensischen Forderung als „Sabotage des Friedensprozesses“ zu delegitimieren. Die palästinensische Seite war in der Pflicht, sich als „Partnerin“ Israels zu bewähren, bevor sie einer „echten“ Einigung würdig war.

Die israelische Seite hingegen interpretierte die getroffenen Abkommen so, dass sie jeden kleinen Schritt hin zur palästinensischen Unabhängigkeit unter Verweis auf „Sicherheitsbedenken“ blockieren konnte, während die palästinensischen Zugeständnisse – insbesondere die territoriale Aufteilung der Westbank – aber endgültig blieben. Als diskussionswürdig gilt seitdem nur noch die Rückgabe einzelner Landfetzen der Westbank, auf die Israel selbst nach Meinung seiner westlichen Schutzmächte keinen territorialen Anspruch besitzt. Die Souveränität über Grenzen, Luftraum und Küstengewässer, ja selbst das Recht palästinensischer Flüchtlinge aus den Nachbarländern auf Rückkehr in diese palästinensischen Bantustans – all das verletzt kategorisch israelische „Sicherheitsinteressen“.

Spätestens mit Beginn der 2. Intifada im Jahr 2000 war klar, dass eine endgültige Vereinbarung über Israels Abzug aus der Westbank unerreichbar ist. Die von einer politisch gebrochenen PLO unter Jassir Arafat unterzeichneten Abkommen dienen seither als politische Legitimation für die zeitlich unbegrenzte Besatzung der C-Gebiete und den massiven Transfer von Siedler:innen dorthin als menschliche Schutzschilde der Besatzung. Statt eine begrenzte palästinensische Selbstbestimmung zu erreichen, wurden die Palästinenser:innen zu Fremden in einem Gebiet, das sich vom israelischen Kernland nur durch die umfassenden Privilegien unterscheidet, mit denen der israelische Staat die Siedler:innen für ihre Funktion als zivile Besatzer:innen belohnt. Durch diese De-facto-Annexion der C-Gebiete wird vermieden, die israelische Verantwortung für die Palästinenser:innen (rassistisch als „demographische Gefahr“ bezeichnet) zu vergrößern.

Für die Unterstützer:innen des Staates Israel legitimiert eine angenommene Bedrohung der Siedler:innen jede denkbare Schikane gegen Palästinenser:innen. Ungeachtet der v. a. im Westen verbreiteten scheinheiligen Hoffnung, nach Oslo irgendwie mit den palästinensischen Forderungen abschließen zu können – reale Folge der Abkommen war ihre systematische Einzäunung durch eine nun tödliche Sperranlage um Gaza und ein System von Mauern, Checkpoints und Apartheidstraßen, das die Westbank durchzieht und eingrenzt. Der einzige palästinensische Flughafen, der ein Symbol für neu gewonnene Freiheiten der Palästinenser:innen sein sollte, wurde nur drei Jahre nach Eröffnung durch die israelische Luftwaffe zerstört. Die Autonomiebehörde sollte nach der Abnabelung Israels zur lokalen Verwalterin des Status quo der Besatzung werden. Außerdem bietet der von ausländischen „Hilfsgeldern“ abhängige Apparat allen möglichen „Freund:innen der Palästinenser:innen“ die Möglichkeit, ihre Komplizenschaft mit Israel finanziell zu kompensieren.

Obwohl es in Folge der Oslo-Abkommen einen Rechtsruck in Israel gab, der jede Illusion über die Möglichkeit einer friedlichen Lösung zerstreute – die für die Palästinenser:innen desaströsen Folgen des „Friedensprozesses“ liegen nicht in dessen Scheitern begründet, sondern wohnen diesem von Beginn an inne. Der nach seiner Ermordung 1995 vielfach zum Friedensstifter verklärte Premierminister Jitzchak Rabin ließ selbst keinen Zweifel daran, dass die von ihm ausgearbeiteten Abkommen keine palästinensische Souveränität zur Folge haben sollten und die „Sicherheitsgrenze“ Israels immer am Fluss Jordan liegen würde.

Eine weitere wichtige Erkenntnis aus Oslo ist aber, dass auch die vollständige politische Kapitulation der einst selbstbewussten PLO nicht ausreichte, um die palästinensische Frage ad acta zu legen. Die Zweite Intifada ab 2000 bewies, dass die Palästinenser:innen weiterhin zu massenhaftem Widerstand fähig waren. Die Reaktion Israels – der erneute militärische Vorstoß in die A- und B-Gebiete, die Belagerung von Jassir Arafats Hauptquartier in Ramallah und die Zerstörung der bis dahin aufgebauten zivilen palästinensischen Verwaltung in der Westbank, die routinemäßige Verhängung von Kollektivstrafen wie Ausgangssperren, Abriegelungen oder Hauszerstörungen – führte auch vor Augen, dass der Kern des Konflikts eben nicht der Unwille zum friedlichen Ausgleich ist, sondern die Fähigkeit und der Wille Israels, gewaltsam den Status der Palästinenser:innen als Vertriebene und Rechtlose durchzusetzen.

Die Intentionen der israelischen Regierung wurden vor dem israelischen Rückzug aus Gaza 2005 sehr klar durch Dov Weissglass, damals Berater von Premierminister Ariel Scharon, formuliert:

„Die Bedeutung des Rückzugsplans liegt darin, dass wir den Friedensprozess einfrieren. Und wenn man diesen Prozess einfriert, verhindert man die Gründung eines palästinensischen Staates und verhindert eine Diskussion über die Flüchtlinge, die Grenzen und Jerusalem. Das ganze Paket namens palästinensischer Staat mit allem, was es mit sich bringt, wurde auf unbestimmte Zeit von unserer Tagesordnung gestrichen.“

Wie bei jedem Einsatz militärischer Mittel ist das real herrschende Gewaltverhältnis der Maßstab für jeden „Friedensplan“. Die 2002 von den USA neu aufgelegte „Roadmap for Peace“ machte der israelischen Seite erhebliche Zugeständnisse. Von Israel wurde die Roadmap so interpretiert, dass als ihre Vorbedingung ein Ende der Intifada, die Entwaffnung des palästinensischen Sicherheitsapparates und die politische Entmachtung von Jassir Arafat erfolgen müsse. Die Roadmap hatte daher für Israel die Funktion, die Niederschlagung der Intifada mit politischer Legitimität zu versehen.

Deal of the Century

Der Trump-Plan von 2019 („Deal of the Century“) war letztlich für fast alle Beobachter:innen nur der Versuch, die Realität zu legalisieren und in eine dauerhafte Rechtsform zu gießen. Teil des Plans war die einseitige Annexion aller Siedlungen in der Westbank sowie des Jordantals, die lediglich von den USA „bewilligt“ werden müsste. Der palästinensische „Staat“ dürfte keinerlei bewaffneten Organe unterhalten, müsste alle rechtlichen Schritte gegen Israel vor internationalen Tribunalen unterlassen und dürfte nicht in eigener Verantwortung internationalen Organisationen beitreten. Bei Verstoß gegen irgendwelche Vereinbarungen würde Israel automatisch das Recht auf militärische Intervention erhalten, vorbehaltlich nur der Zustimmung durch die US-Administration. Der Plan enthält die Möglichkeit der Ausbürgerung von Palästinenser:innen mit israelischem Pass und die weitergehende Annexion von Gebieten der Westbank im „Tausch“ gegen Gebiete in der Negev-Wüste. Die Annexion Jerusalems würde unverrückbar anerkannt, alle Grenzen würden ausschließlich von Israel kontrolliert und die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge selbst in diesen „Staat“ Palästina würde unter den Vorbehalt israelischer Zustimmung gestellt. Durch die „Hilfe“ von Investor:innen aus den Golfstaaten sollten die palästinensischen Kantone zu einer florierenden Sonderwirtschaftszone ausgebaut werden. Der Rest der Welt sollte auf diese Weise von der finanziellen Last befreit werden, einen Großteil der palästinensischen Bevölkerung über das UNRWA-Hilfswerk mit dem Nötigsten zu versorgen, was seit 1948 eine zentrale Voraussetzung der dauerhaften Ghettoisierung der palästinensischen Flüchtlinge und damit der israelischen „Sicherheitsinteressen“ ist.

Die „Zweistaatenlösung“ hat für Israel ihren Zweck erfüllt – die politische Unterwerfung der PLO. Zugleich hat sie 3 Jahrzehnte lang deutschen, US-amerikanischen und anderen Regierungen als Feigenblatt gedient, um ihre fortgesetzte Rückendeckung für den Kolonialstaat Israel politisch zu flankieren. Das erklärt auch, dass sie nicht so einfach aus den Köpfen verschwinden wird, wie es der zionistischen Rechten in Israel lieb wäre.

Resultat der Oslo-Abkommen ist auch der Apparat der Autonomiebehörde, der als Auftragnehmer des Besatzungsregimes für Israel unverzichtbar geworden ist. Dies unterstreicht auch die von Präsident Abbas und Premierminister Schtajjeh demonstrierte Bereitschaft, nach Ende von Israels Krieg in Gaza dort als Statthalter über die Trümmerwüste einzuspringen. Dass dies von Israel bislang ausgeschlossen wird, erklärt sich gerade aus der wichtigen Funktion, die die Behörde für Israel besitzt. Es ist nicht nur fraglich, woher diese die notwendige Autorität für die Neuordnung Gazas nehmen soll. Die politische Vereinigung von Gaza mit der Westbank würde auch den palästinensischen Massen die längst diskreditierte Autonomiebehörde als gemeinsame Gegnerin präsentieren und den Widerstand gegen deren Herrschaft als gesamtpalästinensische Frage, als zentralen Aspekt des Kampfes gegen Besatzung und Unterdrückung überhaupt, aufwerfen.

Für einen binationalen, säkularen, sozialistischen Staat!

Die Sackgasse in der Diskussion um die Zweistaatenlösung zeigt schlichtweg auf, dass die Lösung der palästinensischen Frage im Widerspruch steht zum Fortbestand eines kolonialen, ethnisch gesäuberten Staates Israel – in welchen Grenzen auch immer. Seine revolutionäre Überwindung ist die Voraussetzung für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts beider Nationen, der palästinensischen und der jüdisch-israelischen. Dies erfordert neben der völligen rechtlichen Gleichstellung der Nationalitäten, der Anerkennung aller gesprochenen Sprachen als gleichberechtigt, der Anerkennung des Rückkehrrechts für alle palästinensischen Flüchtlinge weltweit und ihrem Anspruch auf Entschädigung auch, die ideologische Bindung der israelischen Massen an das zionistische Projekt zu durchbrechen. Solange die jüdisch-israelische Selbstbestimmung fälschlich mit der Aufrechterhaltung militärisch abgesicherter Völkerreservate gleichgesetzt wird, bleibt eine „gerechte Lösung“ eine Unmöglichkeit. Dieses Wegbrechen der israelischen Massen vom Zionismus kann jedoch keine Vorbedingung für den palästinensischen Befreiungskampf sein. Vielmehr wird jeder Schlag, den die Palästinenser:innen und die internationale Solidaritätsbewegung dem Staat Israel versetzen, auch die Grundlage dieser ideologischen Bindung schwächen, die auf dem chauvinistischen Glauben an die Unbesiegbarkeit Israels fußt.

Auch wenn heute der Kampf gegen den Siedlungsbau und den alltäglichen Versuch der Vertreibung von Palästinenser:innen in der Westbank auf der Tagesordnung steht, muss dieser auf die Anerkennung der jüdisch-israelischen Nation unter vollständiger Abschaffung sämtlicher Privilegien abzielen. Dieses Ziel ist unvereinbar mit der Existenz zweier Staaten. Die Zweistaatenlösung würde unweigerlich beinhalten, einen Grenzverlauf festzuschreiben, der durch koloniale Gewalt aufgezwungen ist – und mit diesem auch die Vertreibungen von 1948, von 1967, die der vergangenen Jahrzehnte und die mit allem verbundene Enteignung palästinensischen Eigentums unwiderruflich machen. Eng damit verknüpft ist die Aneignung von Wasser, landwirtschaftlicher Nutzfläche und anderer natürlicher Ressourcen durch den Siedlerkolonialismus und die Kontrolle der Außengrenzen. Status quo ist die Existenz eines einzigen souveränen Staates, der eine echte Teilung seiner Souveränität kategorisch ausschließt. Es ist eine Utopie, diesen Staat derart zu bändigen, dass neben ihm Platz für einen zweiten existiert. Voraussetzung für jede gerechte Lösung ist seine revolutionäre Zerschlagung und die Schaffung eines neuen binationalen Staates.

Obwohl Marxist:innen für unterdrückte Nationen das Recht auf Lostrennung und auf einen eigenen Staat fordern, kann diese Forderung keinesfalls unterschiedslos, ohne Berücksichtigung der spezifischen Umstände der Unterdrückung aufgestellt werden.

Ein palästinensischer „Staat“ neben Israel würde nicht nur vergangenes Unrecht legitimieren, sondern auch die derzeit vollzogenen ethnischen Säuberungen in der Westbank als endgültig hinnehmen müssen. Die Festlegung eines Grenzverlaufs zwischen beiden Staaten würde höchstwahrscheinlich eine neue Vertreibungswelle nach sich ziehen, die auf die Ausweisung eines möglichst großen Teils der Palästinenser:innen in den Grenzen von 1948 abzielt. Solche Szenarien werden u. a. von der ultrarechten zionistischen Partei „Jisra’el Beitenu“ (Unser Zuhause Israel) vertreten. Der reaktionäre Gehalt der „Zwei-Staaten“-Idee wird daran deutlich, dass ihr Ziel letztlich die Schaffung eines ethnisch homogenen Staates Israel ist, also der Abschluss der historischen Mission des Siedlerkolonialismus – wenn auch mit ggfs. geringfügig reduzierter territorialer Ausdehnung. Solange die Existenz eines Siedler:innenstaates auf der Basis ethnischer Exklusivität akzeptiert wird, kann der historische Zweck der Zweistaatenlösung nur in dessen Vollendung liegen – unabhängig davon, welche Hoffnungen einige Palästinenser:innen mit der Aussicht auf einen eigenen Staat neben Israel verbinden mögen. Ein unter den heutigen Bedingungen irgendwie vorstellbarer palästinensischer Staat – der seiner staatlichen Souveränität und wichtigsten sozialen Errungenschaft, des Rückkehrrechts, beraubt wäre – würde die palästinensische Frage nicht lösen, sondern die Unterdrückung mit umfassender politischer Legitimität ausstatten. Ein solcher „Deal“ würde auch auf die „Normalisierung“ Israels durch die Abraham Accords von 2020 aufbauen. Im schlimmsten Fall könnte dabei das ägyptische Regime gezwungen werden, einer Vertreibung der Palästinenser:innen aus Gaza und deren Ansiedlung auf dem Sinai zuzustimmen.

Revolutionär:innen sollten daher unmissverständlich für eine „Einstaatenlösung“ eintreten. Natürlich zieht diese Position auch die Frage des Klassencharakters des zu erkämpfenden Staates nach sich. Die Schaffung eines gerechten Ausgleichs beider Nationalitäten erfordert den massiven Transfer von Ressourcen zur Entschädigung und Wiederansiedlung der Vertriebenen. Die Beseitigung des Apartheidcharakters, der bereits im Städtebau und in Straßenverläufen einbetoniert worden ist, ist nur auf Grundlage gemeinschaftlichen Eigentums an Land, Wohnraum, Industrie und Bodenschätzen möglich. Sie fällt also der Arbeiter:innenklasse zu, die diese Ressourcen enteignen und einer gesamtgesellschaftlichen Planung des binationalen Staates zugänglich machen würde. Die Verknüpfung der demokratischen mit der sozialistischen Revolution stellt daher den programmatischen Kern der revolutionären Strategie zur Befreiung Palästinas dar.




Die „Feuerpause“ bei der Bombardierung Gazas

Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1237, 25. November 2023

Am 24. November trat eine viertägige Waffenruhe für Israels Land-, See- und Luftangriffe auf die Bevölkerung des Gazastreifens in Kraft, die eventuell bis zu zehn Tage verlängert werden kann. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu hat jedoch darauf bestanden, dass es keine dauerhafte Waffenruhe oder einen Waffenstillstand geben wird, solange die Hamas nicht vernichtet ist, koste es die 2,3 Millionen Menschen im Gazastreifen, was es wolle. Die Zahl der Todesopfer hat bereits 14.000 überschritten und ist damit mehr als zehnmal so hoch wie die Zahl der 1.200 Israelis, die bei den Hamas-Angriffen am 7. Oktober getötet wurden.

Beim Austausch von Gefangenen sollen die Hamas und der Islamische Dschihad 50 israelische Geiseln und Israel 150 palästinensische Gefangene freilassen, die meisten davon Jugendliche unter 18 Jahren und Frauen. Im Gegenzug für weitere Geiselfreilassungen könnte es zu weiteren Verlängerungen kommen. Für die Dauer der „Pause“ werden größere Mengen an Lebensmitteln, Wasser, Treibstoff und medizinischen Gütern durch die israelische Blockade gelassen.

Hintergrund

Unmittelbarer Hintergrund sind die schrecklichen Angriffe der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) auf Krankenhäuser und UNRWA-Schulen (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten), in die sich Familien geflüchtet hatten. Insbesondere der Befehl des Kriegsverbrecherkabinetts Netanjahu an die IDF, in das al-Shifa-Krankenhaus einzumarschieren und alle Patient:innen, Ärzt:innen und Krankenpfleger:innen sowie viele Hunderte von Menschen zu vertreiben, die hofften, dort vor der Grausamkeit der IDF sicher zu sein. Hinzu kommt das peinliche Versäumnis, die „Hamas-Kommandozentrale“ zu entdecken, von der Netanjahu behauptete, sie befände sich unter dem Gelände.

In den westlichen imperialistischen Ländern Nordamerikas und Europas, deren Regierungen die Augen vor diesen völkermörderischen Aktionen verschlossen haben, haben die Massendemonstrationen jede Woche zugenommen, trotz der Drohungen von Minister:innen und Polizeikräften, diese überwältigend friedlichen Proteste zu verbieten, indem sie sie als Unterstützung für den „Terrorismus“ und wahrscheinlich zu antisemitischen Ausschreitungen führend verleumden.

In Großbritannien haben beide großen Parteien Abgeordnete und Ratsmitglieder suspendiert oder ausgeschlossen, die es gewagt hatten, sich für Palästina einzusetzen, und das US-Repräsentantenhaus hat sein einziges Mitglied mit palästinensischem Wurzeln verurteilt. In Deutschland und Frankreich wurden Demonstrationen verboten und Hunderte festgenommen. Palästinensische Organisationen wurden verboten und Aktivist:innen kriminalisiert. Trotz dieser Verleumdungen, Lügen und Repressionen sind Hunderttausende in London und Washington und Zehntausende in Paris und Berlin auf die Straße gegangen. In den arabischen Ländern und generell in der halbkolonialen Welt hat die große Mehrheit der Bevölkerung die israelischen Angriffe von Anfang an abgelehnt.

Doch die Gräueltaten Israels, die dank des Mutes einfacher Menschen in Gaza, die Videos davon herausbringen konnten, jede Nacht zu sehen sind, haben begonnen, die „öffentliche Meinung“ auch in den meisten westlichen Ländern zu verändern und eine Massenbewegung zu fördern, die ein Ende des Tötens fordert und nicht zum Schweigen gebracht werden kann.

Die Forderung nach einem sofortigen, vollständigen und dauerhaften Waffenstillstand ist zu einer zentralen Forderung der Massendemonstrationen und der weltweiten Solidaritätsbewegung geworden.

Druck der USA

Infolgedessen sahen sich die Regierung Biden und imperialistische Verbündete wie Deutschland und Großbritannien, die alle von Anfang an ihre bedingungslose Unterstützung Israels erklärt hatten, gezwungen, das Land aufzufordern, das Ausmaß der zivilen Opfer in Grenzen zu halten und das Völkerrecht einzuhalten. Obwohl diese schwach geäußerten „Bedenken“ wochenlang auf taube Ohren stießen, verbanden die USA und die EU die Wiederaufbereitung ihrer alten „Zweistaatenlösung“ für ein Nachkriegs-Gaza und ein Westjordanland mit der Forderung nach einer „Pause“ bei den IDF-Angriffen, um die humanitäre Katastrophe zu begrenzen.

Der wahre Grund, warum die USA ihre „Friedenspropaganda“ wieder aufleben lassen, ist der Schaden, den Israels unerbittliche Grausamkeit ihren Plänen für einen von den USA dominierten Nahen Osten zugefügt hat, in dem Israel mit ihren Verbündeten wie Saudi-Arabien und Ägypten befreundet ist, sich aber gegen ihre Gegner:innen Syrien, Iran, Hisbollah, die Huthis und Hamas stellt. Trump hat dies mit den „Abraham-Abkommen“ (Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten vom September 2020) begonnen und Biden hat es fortgesetzt. Ende September behauptete sein Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan sogar, „die Region des Nahen Ostens ist heute so ruhig wie seit zwei Jahrzehnten nicht mehr“. Die Ereignisse haben nicht nur die Torheit dieser Vorhersage bewiesen, sondern seine Behauptung, dass alles „ruhig“ sei, zeigt, was das für einen imperialistischen Satrapen bedeutet, wenn man es mit dem Bericht von Medical Aid for Palestine vom Juli vergleicht, der besagt, dass „die Zahl der Todesopfer unter den Palästinenser:innen im Westjordanland im Jahr 2023 153 erreicht hat und damit bereits das Jahr 2022 als das tödlichste für die Palästinenser:innen im Westjordanland seit Beginn der Aufzeichnungen durch die UN im Jahr 2005 übertrifft“.

Biden erklärte: „Wenn diese Krise vorbei ist, muss es eine Vision geben, was danach kommt. Und unserer Meinung nach muss es eine Zweistaatenlösung sein“. Ebenso hat Außenminister Antony Blinken erklärt, dass jeder Nachkriegsplan für den Gazastreifen eine palästinensisch geführte Regierung und seine Vereinigung mit dem Westjordanland unter der Palästinensischen Autonomiebehörde beinhalten müsse.

Hindernisse

Diese Lösungen könnten nur über auf dem Rücken einer entwaffneten und zerstückelten palästinensischen Nation und ihres Heimatlandes erreicht werden. Seit der Nakba von 1948 hat das Volk trotz der Fehler und des Verrats seiner Führungen und der korrupten Monarchien und Militärdiktaturen der arabischen Welt immer wieder bewiesen, dass es dies niemals zulassen wird.

Das andere Hindernis für Bidens Pläne – sofern sie überhaupt mehr als eine Täuschung sind – besteht darin, dass Israels Politiker:innen, ob von der zionistischen Rechten oder Linken, deutlich gemacht haben, dass es keine Chance für irgendeine Art von „Land gegen Frieden“ im Sinne von Oslo gibt. Unter Ariel Scharon und Benjamin Netanjahu wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PNA) unter Jassir Arafat um die Jahrhundertwende zunächst gedemütigt (Belagerung seines Hauptquartiers in Ramallah) und dann unter Mahmud Abbas gezwungen, eine Hilfspolizei für Israel zu werden.

In einer Instruktionssitzung nach dem 7. Oktober skizzierten die israelischen Sicherheitsministerien Optionen für eine Nachkriegslösung. Die „bevorzugte“ Lösung wäre der „Transfer“ der gesamten Bevölkerung des Gazastreifens auf die Sinai-Halbinsel, während die am wenigsten wünschenswerte Lösung die Rückgabe an die PNA wäre. Unerwünscht, weil dies ihrer Meinung nach der palästinensischen Nationalbewegung einen „noch nie dagewesenen Sieg bescheren würde, einen Sieg, der Tausende von israelischen Zivilist:innen und Soldat:innen das Leben kosten und Israels Sicherheit nicht garantieren würde“.

Es liegt auf der Hand, dass die derzeitige Likud-Koalitionsregierung mit ihren rechtsextremen Minister:innen die Vollendung der Nakba, die Vertreibung der Palästinenser:innen, mit anderen Worten einen politischen Völkermord, anstrebt. Aus diesem Grund hat sie bereits vor dem 7. Oktober Dschenin (Stadt und UN-Flüchtlingslager in der Westbank) angegriffen, die Siedler:innen bewaffnet, die ethnische Säuberung im Westjordanland gefördert, palästinensische Häuser zerstört, Provokationen in Jerusalem gestartet und eine Rekordzahl unbewaffneter palästinensischer Demonstrant:innen ermordet.

Kurzum, die von israelischen Politiker:innen, ob rechts oder links, vorgeschlagenen Lösungen sehen nichts vor, was auch nur annähernd an Blinkens oder Bidens Fata Morgana eines palästinensischen Staates heranreicht.

Aber auch die israelischen Lösungen sind nicht praktikabel. Ägypten wäre niemals in der Lage, 2,3 Millionen Menschen aus dem Gazastreifen aufzunehmen, was nur als eine weitere Episode der Nakba angesehen werden könnte. El-Sisi würde nicht die Aufgabe übernehmen, Gaza zu regieren, und Mahmud Abbas (und die glücklose PNA) wären nicht in der Lage, Gaza zu regieren, indem sie als Gefängniswärter:innen im Namen Israels und des Imperialismus agieren. Die PNA wurde bereits von den reichen imperialistischen Ländern um ihr Geld gebracht, sie wird von israelischen Politiker:innen verabscheut und von den palästinensischen Massen gehasst.

Wie geht es jetzt weiter?

Die weltweite Bewegung hat die Forderung nach einem dauerhaften Waffenstillstand laut werden lassen. Natürlich würde dies eine sofortige und willkommene Atempause für die Bevölkerung bringen, aber es würde keine dauerhafte Erleichterung bringen, solange die IDF-Besatzung des nördlichen Gazastreifens anhält. Solange die Land-, See- und Luftblockade in Kraft bleibt, wird das Leiden der Bevölkerung zu einer Waffe in den Händen des Zionismus. Selbst ein formelles Abkommen oder ein Waffenstillstand würde das Leiden nur vorübergehend einfrieren, solange Israel Lebensmittel, Wasser, medizinische Versorgung und Baumaterialien für den Wiederaufbau und die Reparatur der 40 Prozent der Gebäude, die bereits in Schutt und Asche liegen, blockieren kann, während der Winter naht.

Die Bewegung auf der ganzen Welt muss durch fortgesetzte Massendemonstrationen, Boykotte und die Blockade von Militär- und Wirtschaftsexporten aus Europa und den USA den größtmöglichen Druck ausüben. Die Unterstützer:innen Palästinas müssen maximalen Druck auf die prozionistischen Führungen der reformistischen Arbeiter:innenparteien und der Gewerkschaften ausüben, damit gezwungen werden, politisch mit Israel zu brechen und diese Forderungen aufzugreifen. Sie müssen gegen die Kriminalisierung der palästinensischen Organisationen und den antimuslimischen Rassismus kämpfen. Sie müssen die Lüge entlarven, dass Antizionismus Antisemitismus sei, und deutlich machen, dass der Kampf gegen den sehr realen Anstieg des Antisemitismus durch die Rechte Hand in Hand mit der Unterstützung des palästinensischen Volkes gegen seine nationale Unterdrückung gehen muss.

In den arabischen und muslimischen Ländern brauchen wir eine Bewegung in der Größenordnung des Arabischen Frühlings, die sich gegen die Kollaborateure mit den USA richtet, um den Abbruch nicht nur jeglicher Beziehungen zu Israel, sondern auch zu seinen nordamerikanischen und europäischen Unterstützer:innen zu fordern, bis sie Israel zwingen, seine völkermörderischen Angriffe einzustellen und sich aus Gaza und dem Westjordanland zurückzuziehen.

In den Ländern, in denen sich eine Massenprotestbewegung entwickelt hat, müssen wir nicht nur für einen humanitären Waffenstillstand kämpfen, sondern für den vollständigen Rückzug der IDF, ihrer Panzer, Bulldozer und Drohnen aus dem gesamten Gebiet, dem Luftraum und den Anrainergewässern des Gazastreifens sowie für ein sofortiges Ende der brutalen, anhaltenden Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem. Wir müssen auch das Ende der Blockade und die Einführung des freien Verkehrs auf dem Land-, See- und Luftweg über die Grenzen Gazas und zwischen Gaza und dem Westjordanland und Jerusalem fordern.

Seit dem 7. Oktober hat Israel 4.000 Menschen aus dem Gazastreifen und mehr als 1.000 aus dem besetzten Westjordanland festgenommen, womit sich die Gesamtzahl der Inhaftierten auf 10.000 erhöht. Wir müssen die bedingungslose Freilassung aller palästinensischen „Geiseln“ fordern, sowohl derjenigen, die von israelischen Gerichten verurteilt wurden, als auch ihrer Mehrheit, derjenigen, die ohne Gerichtsverfahren einsitzen.

Außerdem müssen wir uns jedem „Friedensprozess“ widersetzen, der nicht das Recht auf Rückkehr aller Palästinenser:innen einschließt, die seit 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden; jede Regelung muss die freie, ungezwungene und demokratische Zustimmung aller Palästinenser:innen erhalten.

Ein einziger palästinensischer Staat kann sowohl Menschen mit palästinensischer als auch israelischer Nationalität umfassen, vorausgesetzt, es gibt keine Privilegien für irgendeine. Wenn Palästina zu einem sozialistischen Staat wird, in dem das Land und die Arbeitsplätze gemeinsam genutzt werden, kann dieses historische Unrecht überwunden werden. Es ist die Aufgabe der Arbeiter:innenklasse beider Nationen, ja der gesamten Region, dies zu erreichen. Dazu gehört der Kampf gegen die imperialistischen Mächte, die die Region so lange geteilt und ausgebeutet haben.

  • Vollständiger Waffenstillstand, Abzug aller IDF-Truppen!

  • Vollständige Beendigung der Belagerung!

  • Freiheit für Palästina!



Resolution zum Krieg gegen Gaza

Internationales Exekutivkomitee der Liga für die Fünfte International, Infomail 1235, 26. Oktober 2023

Israel führt Krieg gegen Gaza. Als Reaktion auf die Angriffe vom 7. Oktober droht es mit blutiger Rache. Seit über 14 Tagen fliegt die Armee massive Angriffe gegen Gaza, aber auch auf Stellungen im Libanon und Syrien. In der Westbank wurden Palästinenser:innen, die sich mit Gaza solidarisieren, umgebracht – bisher über 100. Bei den Einsätzen der israelischen Luftwaffe und mit Raketen sind bisher über 6.000 Menschen in Gaza getötet worden. Rund eine Million Palästinenser:innen – die Hälfte der Bewohner:innen der Gazastreifens – befindet sich auf der Flucht nach Süden. Israel hat tagelang die Versorgung mit Wasser, Medikamenten und Energie unterbrochen. Die begrenzte Zahl LKWs, die den Grenzübergang Rafah passieren dürfen, ist lt. UNO total unangemessen niedrig. Die Bevölkerung Gazas wird faktisch ausgehungert und Krankenhäusern die Stromlieferung verweigert, die für Operationen an einer zunehmenden Zahl von Opfern benötigt wird. Eine humanitäre Katastrophe findet vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt.

Dabei stehen wir erst am Beginn dessen, was droht. Eine Bodeninvasion der IDF steht bevor. Die israelische Regierung und der Generalstab verkündeten die größte Mobilisierung der Armee in der Geschichte des Landes. 360.000 Reservist:innen wurden einberufen. Ihre Aufgabe: Hamas vernichten, Gaza von „Terrorist:innen“ und allen, die Widerstand leisten, „säubern“. Ganzen Städten und der Infrastruktur droht Zerstörung. Hunderte Panzer und Artilleriefahrzeuge, Zehntausende Soldat:innen machen sich zum Sturm auf Gaza bereit, dessen Norden schon jetzt weitgehend dem Erdboden gleichgemacht wurde.

Angesichts dieser nationalistischen Mobilisierung treten die Differenzen zwischen Regierung und Opposition im zionistischen Lager zurück. Der Regierung der nationalen Einheit und einem fünfköpfigen Kriegskabinett aus Vertreter:innen von Regierung und Opposition wurden weitgehend unbeschränkte Vollmachten eingeräumt.

Israels Kriegsziele und deren Widersprüche

Die israelische Strategie zielt auf die „Säuberung“ und Vernichtung des gesamten palästinensischen Widerstandes in Gaza. Die Hamas, aber auch sämtliche andere Organisationen, die sich zur Wehr gesetzt haben und setzen (Islamischer Dschihad, PFLP, DFLP), sollen ausradiert werden. Um dafür den Boden vorzubereiten, werden Städte und Infrastruktur systematisch zerstört und große Teile der Bevölkerung vertrieben. Diese sollen den Norden Gazas verlassen oder es drohen „verheerende humanitäre Konsequenzen“ – mit anderen Worten der Mord an Tausenden und Abertausenden. Danach sollen die Bodentruppen folgen und der Süden des Landes „gesäubert“ werden.

Ältere Menschen und Schwerkranke werden nicht in der Lage sein zu gehen.  Die Krankenhausbehörden sagen, dass es unmöglich sein wird, ihre Patient:innen und die Opfer der anhaltenden Bombardierung über die verkraterten und durch Ruinen blockierten Straßen zu transportieren, die immer noch unter Luftangriffen stehen. Die Verdoppelung der Bevölkerungsdichte in einem Gebiet, das ohnehin schon am stärksten überbevölkert ist und in dem es weder Ersatzunterkünfte noch Wasser- oder Treibstoffvorräte gibt, ist zumindest eine kollektive Bestrafung. Wenn sie in vollem Umfang durchgeführt wird, wäre es korrekter, dies als Völkermord zu bezeichnen.

Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wird von Seiten der Notstandskabinetts und der Armee nur genommen, um das Gewissen der „demokratischen“ Öffentlichkeit im Westen zu beruhigen und Brüche in der Front der Unterstützer:innen im Inneren zu vermeiden. Die internationalen Unterstützer:innen Israels, allen voran die USA, Britannien und die führenden EU-Mächte, Deutschland und Frankreich, fürchten zudem, dass eine lange, extrem barbarische Kampagne gegen die Bevölkerung Gazas im gesamten Nahen Osten einen Flächenbrand entfachen könnte. Sie fürchten, dass die reaktionären Verbündeten in den arabischen Staaten (Saudi-Arabien, Ägypten und die Golfölmonarchien) ihre faktische Tolerierung der israelischen Politik der letzten Jahre nicht mehr aufrechterhalten könnten und der westliche imperialistische Einfluss weiter geschwächt werden würde.

Israel und seine Verbündeten, allen voran alle westlichen imperialistischen Regierungen, rechtfertigen den Krieg als „Akt der Selbstverteidigung“ gegen den „Terrorismus“ der Hamas. Sie erklären ihre „bedingungslose Solidarität“ mit Israel. Die USA entsenden zwei Flugzeugträger mit Einsatzkräften ins östliche Mittelmeer. Frankreich, Deutschland, die EU und Britannien versprechen Extrawaffenlieferungen und materielle Hilfe. Zugleich mahnen Biden, Scholz und die anderen Staats- und Regierungschef:innen der westlichen Welt die Einhaltung des Völker- und Kriegsrechts ein, weil sie fürchten, dass eine zu rücksichtslose Misshandlung auch die ohnedies angeschlagene westliche imperialistische Dominanz im Nahen Osten weiter schwächen könnte.

Die Vorstellung, dass es sich bei dem Angriff Israels um einen Krieg zur Selbstverteidigung handle, stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Es geht nicht nur um die Vernichtung der Hamas und aller bewaffneten, Widerstand leistenden palästinensischen Gruppierungen. Es geht darum, den Widerstandswillen und die Widerstandsfähigkeit der ganzen palästinensischen Nation zu brechen. Nur zu gut wissen die Vertreter:innen des zionistischen Regimes und dessen imperialistischen Verbündete, dass Jahrzehnte der Repression, von Bombardements, Militäroperationen diesen nicht zu brechen vermochten, auch wenn sie die Lage der Palästinenser:innen immer mehr verschlechterten, diese immer mehr marginalisierten und die Vertreibung der Bevölkerung seit Gründung des Staates Israel fortsetzen.

Daher drängt extrem rechte Flügel der israelischen Führung auf die Vertreibung der Bevölkerung Gazas, auf die „vollständige Säuberung“, auf Massenexodus – und ist dafür bereit, den Tod Tausender und Abertausender, ja ein Pogrom an der gesamten Bevölkerung in Kauf zu nehmen. Die Notstandsregierung und die Armeeführung haben sich zumindest teilweise diese Rhetorik zu eigen gemacht. Sie entmenschlichen die Palästinenser:innen rassistisch als „menschliche Tiere“, die wie wilde Tiere behandelt werden müssen. Allen, die nicht flüchten, drohen sie mit „verheerenden humanitären Konsequenzen“. Gaza soll lt. Ihren Aussagen nach der Militäroperation nicht mehr wieder entstehen, wie es einmal war.

Unklar ist jedoch, wie das genau geschehen soll. Eine Bodeninvasion und ein unter Umständen langwieriger Guerillakampf gegen die von Hamas geführten Kämpfer:innen werden die kommenden Tage, Wochen, wenn nicht Monate andauern. Die israelische Regierung hat erklärt, dass sie beabsichtigt, den Gazastreifen vollständig vom übrigen Palästina abzuschneiden. Wie dieser Kampf endet, welche Seite politisch siegt und welche „Ordnung“ in Gaza errichtet, hängt natürlich auch von der Entschlossenheit des Widerstandes wie auch von der Rücksichtslosigkeit des zionistischen Angriffs ab. Geht es nach der israelischen Rechten und großen Teilen des Kabinetts, die sich auf sie stützen, so kann es dort bis zur Massenvernichtung an den Palästinenser:innen gehen. Im Moment gehen die Äußerungen der Notstandsregierung in diese Richtung, aber das darf nicht drüber hinwegtäuschen, dass es keine Einheitlichkeit im zionistischen Lager bezüglich der längerfristigen Kriegsziele und der zukünftigen „Neuordnung“ Gazas gibt.

Daher werden der israelischen Rechten auch Grenzen im Inneren gesetzt. Ein Flügel im zionistischen Lager will einen gewissen Restbestand der „demokratischen“ Herrschaftsform in Israel sichern (und zwar nicht nur gegenüber Netanjahu), sondern auch palästinensische Kräfte wie die Fatah und die PNA (Palästinensische Nationalbehörde) in Zukunft als ihren verlängerten Arm integrieren.

Vor allem aber drängen die internationalen Verbündeten Israels darauf, dass es zu keiner dauerhaften Besetzung Gazas kommt, dessen zukünftige Verwaltung formell von palästinensischen Kräften übernommen werden soll. Diese Bedingungen sind zugleich auch wichtig, um Saudi-Arabien, Ägypten und andere arabische Staaten als Verbündete zu halten und auch für eine etwaige Wiederaufnahme von Gesprächen am Ende der Gazaoperation mit zu gewinnen. Das setzt aber zumindest voraus, eine Scheinlösung der „Palästinafrage“ zu verkaufen, obwohl Israels unerbittlicher Ausbau der Siedlungen dies praktisch unmöglich gemacht hat.

Auswirkungen und Ursachen des Angriffs

Der Angriff der von Hamas geführten palästinensischen Kräfte aus Gaza hat die Palästinafrage wieder ins Zentrum der Politik im Nahen Osten und auch der internationalen Politik gerückt.

Die US-Strategie seit Trump, die der israelischen Regierung unter Netanjahu wie auch von Armeeführung und Geheimdienst setzten auf eine „Friedenslösung“ im Nahen Osten ohne Einbeziehung der Palästinenser:innen. Diesbezüglich wurde die Politik Trumps unter Biden fortgesetzt und die EU und deren führende Mächte folgten dabei den USA. Die Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die Verhandlungen mit Saudi-Arabien und anderen Staaten zur längerfristigen „Normalisierung“ mit Israel schienen diese Strategie zu bestätigen.

Der israelische Staat ging im Grunde davon aus, dass er die Palästinenser:innen weiter ohne wirksamen Widerstand und großen internationalen Aufschrei marginalisieren könnte, Siedlungsbau und Landraub in der Westbank weiter voranschreiten würden und Gaza abgeriegelt und seine Bevölkerung weiter ausgehungert würde. Die Ermordung von über 300 Palästinenser:innen in der Westbank und der weitere Landraub bis zum Oktober 2023 schienen das auch zu bestätigen. Die Proteste des Iran und seiner Verbündeten waren einkalkuliert vorsichtig. Weder das Regime in Teheran noch die Hisbollah hatten ein Interesse an einer wirklichen militärischen Konfrontation.

Die meisten Staaten des Nahen Ostens haben in den letzten Jahren den Weg Ägyptens und Jordaniens beschritten und faktisch ihren Frieden mit Israel gemacht. Das Schicksal der Palästinenser:innen stellte kein Hindernis für eine Intensivierung des wirtschaftlichen Austauschs dar. Auch in geostrategischer Sicht haben z. B. Israel und die Türkei als wichtige Waffenlieferant:innen und Unterstützer:innen Aserbaidschans bei der Vertreibung der Armenier:innen aus Bergkarabach (Arzach) kooperiert. Kein Wunder also, dass die ersten Erklärungen der Arabischen Liga zum Angriff der Hamas auf Israel und zum angedrohten Vergeltungsschlag sehr vorsichtig ausfielen. Bis heute rufen Ägypten, Saudi-Arabien oder Jordanien zur „Mäßigung auf allen Seiten“ oder zu einer Waffenruhe auf. Allerdings hat Saudi-Arabien die Verhandlungen mit Israel ausgesetzt.

Auch wenn zur Zeit die arabischen Staaten kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel hegen, so hat der Angriff der Hamas der zuletzt verfolgten Nahoststrategie des US-Imperialismus und seiner Verbündeten einen schweren Schlag versetzt. Die Vorstellung, den Nahen Osten unter Ausschluss der Palästinenser:innen zu befrieden, entpuppte sich als reaktionäre Illusion. Sie ist gescheitert.

Der Angriff der Hamas war sicherlich durch mehrere Faktoren motiviert und auch Resultat einer Entscheidung des militärischen Flügel gegen den politischen, der in Katar sitzt. Dieser fürchtete die absehbare vernichtende Reaktion Israels. Doch die immer größere Marginalisierung der Palästinenser:innen in der Westbank und in Gaza in den letzten Jahren stellte die Hamas wie den gesamten Widerstand auch vor die prekäre Alternative, entweder immer mehr mit dem Rücken an die Wand gedrückt zu werden oder einen Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis Gaza zu wagen, wohl wissend, dass der Zionismus in jedem Fall mit massiven Angriffen reagieren würde. Der Ausbruch war also wesentlich eine Reaktion auf die immer größere Isolierung und den drohenden Wegfall vorgeblicher Verbündeter der Palästinenser:innen wie Saudi-Arabien.

Insgesamt hat der Krieg gegen Gaza die Lage im Nahen Osten grundlegend verändert und ihn zu einem Zentrum der Instabilität gemacht. Während auf der einen Seite eine konterrevolutionäre, barbarische Vertreibung aus Gaza und eine Vernichtung des palästinensischen Widerstandes drohen, können auf der anderen die Unterdrückten die aktuelle Lage auch zu ihren Gunsten wenden, wenn sie die inneren Widersprüche im Lager des Zionismus und der imperialistischen Reaktion nutzen. Das erfordert wiederum, dass die Arbeiter:innenklasse als selbstständige, führende Kraft in der Solidarität mit Palästina, und damit verbunden auch in Palästina, in Erscheinung tritt.

Nur, wenn sie angesichts der Angriffe des Zionismus bedingungslos auf Seiten der Unterdrückten steht, den Widerstand trotz dessen reaktionärer politischer  Führung unterstützt und gegen die Regierungen im Westen mobilmacht, mit der Unterstützung Israels bricht und sich mit ihren Klassenbrüdern und Schwestern im globalen Süden zusammenschließt, kann sie auch als verlässliche Verbündete des palästinensischen Volkes in Erscheinung treten.

Nur dann werden die palästinensischen Massen erkennen können, dass die reaktionären arabischen und islamistischen Regime nicht ihre Verbündeten sind, wohl aber deren Arbeiter:innen und Jugend, und es eine wirkliche Alternative zur Politik und Strategie von Hamas und Fatah gibt – eine Politik, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem für die sozialistische Revolution verbindet. Nur so wird es möglich sein, dass die palästinensische Arbeiter:innenklasse auch zur führenden Kraft des Befreiungskampfes werden kann. Und schließlich wird es nur unter der Bedingung eines massiven Widerstandes und der weltweiten Unterstützung Palästinas möglich sein, die israelische Arbeiter:innenklasse vorm Zionismus zu retten, so dass nicht nur einer politisch fortgeschrittenen antizionistischen Minderheit, sondern auch der Masse der Lohnabhängigen klar wird, dass sie der Zionismus nicht nur zu Kompliz:innen der Unterdrückung macht, sondern dass ihre Freiheit und Sicherheit unter einem Regime, das auf der Unterdrückung einer anderen Nation aufbaut, letztlich eine Schimäre ist.

Die internationale Reaktion

Die internationalen Reaktionen auf den Ausbruch der Hamas und auf den Krieg gegen Gaza könnten nicht unterschiedlicher ausgefallen sein. Während die USA, Britannien, Japan und die EU-Mächte Israel unterstützen, rufen die imperialistischen Rivalen Russland und China ebenso wie die meisten Staaten des globalen Südens zum Waffenstillstand und zu humanitärer Hilfe auf. Natürlich verurteilen auch sie mehr oder weniger offen Hamas und den palästinensischen Widerstand. Sie wollen zum Vorkriegszustand zurückkehren.

Natürlich hat die Politik Moskaus oder Peking nichts mit Solidarität mit Palästina zu tun. Sie verfolgen nur eigene, dem Westen entgegengesetzte imperialistische Interessen und hoffen so, ihre geostrategischen Positionen zu stärken. Die verschiedenen Regionalmächte in der Region lehnen den Angriff Israels offener oder verdeckter ab, rufen zu „Mäßigung“ auf, weil sie damit sowohl eigene Interessen verfolgen, aber auch weil sie eine Destabilisierung in ihren eigenen Ländern und damit ihrer eigenen Herrschaft fürchten. Reaktionäre islamistische Regime wie der Iran oder reaktionäre islamistische Bewegungen inszenieren sich außerdem als einzig konsequente Verbündete der Palästinenser:innen. Dass dabei offen Antisemitismus propagieren, muss ebenso entlarvt werden wie ihr Versuch, von ihrer eigenen Diktatur und der Unterstützung konterrevolutionärer Regime z. B. in Syrien demagogisch abzulenken.

Doch diese vorgeblichen reaktionären „Freund:innen“ oder „Unterstützer:innen“ Palästinas dürfen den Blick nicht darauf verstellen, dass die Sympathie der Massen in den meisten Ländern der Welt dem palästinensischen Volk und seinem Befreiungskampf gilt. Die Masse der Arbeiter:innen, Bauern/Bäuerinnen und der Jugend in den halbkolonialen Ländern durchschaut sehr genau, dass die Darstellung des Krieges als eines zwischen israelischer „Demokratie“ gegen „islamistischen Terror“ seine Ursachen und seinen Charakter verschleiert, dass es sich um einen Krieg eines Unterdrückerstaates gegen die Unterdrückten handelt. Genau das wissen auch die palästinensischen und arabischen Migrant:innen in den westlichen Ländern sowie die große Mehrzahl der rassistisch unterdrückten Bevölkerung.

Daher gehen seit Wochen Massen auf die Straße, folgen dem Aufruf zu Großdemonstrationen und globalen Aktionstagen. Die Straßen im globalen Süden füllen sich – und daraus kann und soll eine internationale Massenbewegung der Solidarität mit Palästina werden. Selbst in den westlichen Staaten ist die öffentliche Meinung nicht so eindeutig für Israel ausgerichtet, wie die Regierungen uns gern glauben machen möchten.

In London beteiligten sich 150.000 am 14. Oktober an einer Demonstration in Solidarität mit Palästina und 300.000 am 21. Während in Britannien das Demonstrationsrecht noch anerkannt ist, greifen andere europäische Länder wie Deutschland und, in geringerem Maße Frankreich, zu extremen rassistischen und antidemokratischen Maßnahmen, verbieten Kundgebungen in Solidarität mit Gaza regelmäßig, nehmen hunderte Menschen fest, die sich den Verboten nicht beugen wollen und kriminalisieren alle Organisationen des palästinensischen Widerstandes.

Zur Legitimierung diese Maßnahmen greifen sie auf die Lüge zurück, dass Antizionismus, ja fast jede Israelkritik antisemitisch sei. Selbst der Verweis auf die Ursachen des gegenwärtigen Konflikts gilt schon als „Relativierung“ des „islamistischen Terrors“. Diese Hetze verknüpft sich mit einer dramatischen Zunahme des antimuslimischen Rassismus und soll die Bevölkerung der „demokratischen“ Staaten auf die weitere Aushebelung demokratischer Rechte vorbereiten und darauf einschwören, mit Israel auch dann solidarisch zu bleiben, wenn immer mehr Bilder über die Massaker und Kriegsverbrechen seitens der israelischen Armee öffentlich werden.

Der extreme Kontrast zwischen der Lage in den halbkolonialen und westlichen imperialistischen Ländern zeigt auch, was von der Behauptung zu halten ist, dass die ganze Welt hinter Israel stände. Unter der Welt werden vor allem die Länder Nordamerikas und Europas verstanden, die gerade einmal 12 % der Weltbevölkerung beheimaten – und auch dort ist die öffentliche Meinung vor allem die, die von den auf die imperialistische Staatsräson getrimmten Medien veröffentlicht wird, die sich in der Hand der westlichen Staaten oder der Monopolkonzerne im Medienbereich befinden.

Diese spiegeln vor allem die Interessen der imperialistischen Regierungen und Bourgeoisien wider. Sie können sich aber auch auf die Führungen der bürokratisierten Gewerkschaften und der meisten reformistischen Parteien stützen – sei es die SPD in Deutschland, Labour in Britannien oder die schwindsüchtige PS in Frankreich. Auch die Mehrzahl der europäischen Linksparteien solidarisiert sich uneingeschränkt oder verdeckt mit Israel oder nimmt eine „neutrale“ Haltung im Kampf zwischen Unterdrückten und Unterdrücker:innen ein. Dies verdeutlich einmal mehr den sozialchauvinistischen und proimperialistischen Charakter dieser Parteien und bürokratisierten Gewerkschaftsapparate.

Während sie sich über den „Terror“ der Hamas empören und die Tötung unschuldiger Zivilist:innen anprangern, versichern sie den israelischen Angriffen auf Gaza ihre Unterstützung, denen Tausende unschuldige palästinensische Zivilist:innen zum Opfer gefallen sind und weiter fallen werden. Statt die Seite der Arbeiter:innen und Unterdrückten in Gaza zu ergreifen, statt die palästinensischen und arabischen Migrant:innen gegen Rassismus und Repression zu verteidigen, unterstützen diese Berufsverräter:innen die Unterdrückung.

Der Aufbau einer Solidaritätsbewegung mit Palästina ist unmöglich ohne einen entschlossenen Kampf gegen diese chauvinistischen und proimperialistischen Irreführer:innen der Arbeiter:innenklasse. Die notwendige und berechtige Kritik an den Führungen des palästinensischen Befreiungskampfes, an Hamas, Dschihad, aber auch den militanten Kräften der Fatah, der PFLP und der DFLP hat nur dann einen revolutionären und fortschrittlichen Wert, wenn sie auf der Grundlage der Unterstützung des Befreiungskampfes formuliert wird. Ansonsten bleibt sie im gegenwärtigen Krieg bestenfalls nur eine beredte Form der Passivität oder wie bei den reformistischen Führungen eine der Unterstützung der zionistischen und imperialistischen Aggression.

Aufgaben der Arbeiter:innenbewegung

Die erste und vordringliche Aufgabe der Linken und Arbeiter:innenbewegung auf der ganzen Welt besteht darin, den palästinensischen Befreiungskampf zu unterstützen. Wir treten für die Niederlage Israels ein und solidarisieren uns mit dem Widerstand in Gaza und ganz Palästina. Zugleich verschweigen wir unsere grundlegenden Differenzen mit der reaktionären Hamas, mit Dschihad, aber auch mit der palästinensischen Linken nicht. Wir unterstützen den Befreiungskampf trotz seiner Führung und ihrer falschen Strategie, Politik und Programmatik.

Die Stellung des zionistischen Staates im Nahen Osten, seine zentrale Rolle als Statthalter westlicher imperialistischer Interessen, die enorme Hochrüstung der israelischen Armee und das Ausmaß westlicher Unterstützung bedeuten auch, dass der palästinensische Widerstand internationale Unterstützung braucht. Daher bedarf es einer internationalen Strategie, um den Kampf zum Sieg zu führen.

1. Widerstand und Befreiungskampf in Palästina

Im gegenwärtigen Krieg, im Angriff auf Gaza unterstützen wir den bewaffneten palästinensischen Widerstand. Je länger sich dieser der IDF entgegenstellen kann, desto höher wird der politische und materielle Preis für den Angriff und die Invasion.

Der Ausbruch der Hamas-geführten Kräfte aus Gaza verkörperte selbst einen legitimen Akt im nationalen Befreiungskampf. Unterdrückte haben das Recht, aus einem Territorium auszubrechen, in dem sie vom unterdrückenden Staat über Jahre inhaftiert werden, ihre Versorgung von diesem blockiert und rationiert wird, ein großer Teil der Bevölkerung zur Arbeitslosigkeit verurteilt ist, wo immer wieder Infrastruktur, Wohnungen, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen zerstört werden.

Es ist im Kampf gegen nationale Unterdrückung natürlich legitim, die militärischen Institutionen und Einheiten des/r Unterdrücker:in anzugreifen, auf Raketenbeschuss mit Raketen zu antworten. In allen Kriegen sind zivile Opfer unvermeidlich, obwohl mutwillige Grausamkeit gegenüber Zivilist:innen nicht nur den Opfern schadet, sondern als Rechtfertigung für die weitaus größere Grausamkeit der Unterdrücker:innen erscheint.

In Wirklichkeit ist auch nicht die Hamas Verursacherin solch Blutvergießens und Schreckens. Es ist vielmehr der zionistische Staat Israel, der auf der rassistischen, kolonialistischen Vertreibung der Palästinenser:innen basiert. Auf dieser Basis ist jede demokratische und fortschrittliche Lösung unmöglich. Solange dieser herrscht, Palästina kontrolliert, Gaza und die Westbank als innere Kolonien „verwaltet“, die Bevölkerung permanent vertreibt, enteignet, ghettoisiert, kann es keinen Frieden und keine Gerechtigkeit geben.

Letztlich wird Gaza auch nicht von der Hamas oder irgendeiner anderen dort aktiven politischen Kraft beherrscht, sondern vom israelischen Staat – ganz so wie Gefängnisse nicht von den Gefangenen kontrolliert werden, selbst wenn sie sich innerhalb der Gefängnismauern „frei“ bewegen dürfen.

Als revolutionäre Marxist:innen stehen wir in entschiedener Feindschaft zur Strategie und Politik der Hamas (wie aller islamistischer Kräfte) und ihrem politischen Regime. Ebenso lehnen wir die willkürliche Tötung von oder Massaker an israelischen Zivilist:innen ab. Diese erleichtern es Zionismus und Imperialismus offenkundig, ihren Großangriff auf Gaza auch in den Augen vieler Arbeiter:innen als „Selbstverteidigung“ hinzustellen.

Es greift darüber hinaus viel zu kurz, willkürliche Tötungen von Zivilist:innen nur der Hamas oder dem Islamismus anzulasten. Sie sind auch Ausdruck der viel umfassenderen, Jahrzehnte andauernden Unterdrückung, der täglichen Erfahrung des Elends, Hungers, der Entmenschlichung in Gaza durch die israelische Abriegelung. Aus der nationalen Unterdrückung wächst der Hass auf den Staat der Unterdrücker:innen und alle, die diesen mittragen oder offen unterstützen – und dazu gehört auch die große Mehrheit der israelischen Bevölkerung und der israelischen Arbeiter:innenklasse.

Der politische Kampf gegen die religiöse Rechte im Lager des palästinensischen Widerstands und die Kritik an politisch falschen oder kontraproduktiven Aktionsformen dürfen keineswegs zu einer Abwendung vom Kampf gegen die Unterdrückung führen. Heute, wo die westliche Propaganda die realen Verhältnisse auf den Kopf stellt, müssen wir klar zwischen der Gewalt der Unterdrückten und der Unterdrücker:innen unterscheiden. Nur wenn die revolutionäre Linke und die Arbeiter:innenklasse den Kampf um nationale Befreiung gegen den Zionismus und „demokratischen“ Imperialismus unterstützen, werden sie in der Lage sein, eine politische Alternative zu islamistischen Kräften aufzubauen. Nur so werden sie eine revolutionäre Partei bilden können, die den Kampf um nationale Befreiung mit dem um eine sozialistische Revolution verbindet.

Dies beinhaltet notwendig auch die Beteiligung am Befreiungskampf und militärisch koordinierte gemeinsame Aktionen. Es inkludiert eine Politik der antiimperialistischen Einheitsfront mit allen Kräften des Widerstandes. In der Westbank und Israel unterstützen wir Solidaritätsaktionen mit der Bevölkerung Gazas. Wir unterstützen Massenprotest und Streiks gegen die Besatzung. Wir verurteilen und bekämpfen die weiter erfolgenden Angriffe und Morde an Palästinenser:innen durch die israelischen Sicherheitskräfte und durch bewaffnete Siedler:innen.

Wir verurteilen insbesondere auch den Einsatz von Kräften der PNA gegen Protestierende. Diese reaktionären Angriffe auf die eigene Bevölkerung müssen enden, die Kräfte der PNA müssen mit ihrer Rolle als Hilfspolizei des Zionismus brechen. Sie und ihre Waffen müssen Aktionsausschüssen des palästinensischen Widerstandes unterstellt werden. Eine neue Massenintifada ist angesagt.

Doch in Palästina ist nicht nur ein gemeinsamer Kampf nötig. Die Führungen des Befreiungskampfes verfügen selbst über keine Strategie, die eine revolutionäre Lösung bringen kann. Hamas und Islamischer Dschihad sind kleinbürgerlich-reaktionäre, islamistische Kräfte, wobei die Hamas nicht nur aufgrund ihrer militärischen Fähigkeiten, sondern auch aufgrund ihrer Wohlfahrtsprogramme eine Massenbasis besitzt. Beide Organisationen verfolgen das reaktionäre Ziel einer Theokratie in Palästina, beide verbinden Antizionismus mit Antisemitismus. Beide betrachten nicht die Arbeiter:innenklasse als führende Klasse im Befreiungskampf, sondern ordnen diese und ihre Klasseninteressen jenen des Kleinbürger:innentums und der Bourgeoisie unter dem Deckmantel „islamischer Einheit“ unter. Es ist daher auch kein Zufall, dass ihre wirklichen internationalen Verbündeten und Unterstützer:innen nicht die arabischen Massen, sondern reaktionäre islamistische Regime wie Iran, Katar und Saudi-Arabien oder Bewegungen wie die Hisbollah sind.

Die palästinensische Linke (PFLP und DFLP) ordnet sich faktisch der Führung der Hamas politisch unter – ganz so, wie sie sich zu Zeiten der PLO der Fatah untergeordnet hatte. Die „Ablehnungsfront“ gegen das Osloer Abkommen, die die palästinensische Linke mit Hamas, Dschihad und anderen Gruppen gebildet hat, ist kein bloß zeitweiliges militärisches Abkommen, keine Form der antiimperialistischen Einheitsfront, sondern im Grunde ein strategisches Bündnis, das einer Unterordnung der palästinensischen Arbeiter:innenklasse gleichkommt.

Den bürgerlichen Programmen und der Etappentheorie, die die palästinensische Linke vertritt, stellen wir ein Programm der permanenten Revolution entgegen. Wir treten für einen gemeinsamen, binationalen, sozialistischen Staat in Palästina ein, der Palästinenser:innen wie Juden und Jüdinnen gleiche Rechte gewährt, der allen vertriebenen Palästinenser:innen das Rückkehrrecht garantiert und auf der Basis des Gemeineigentums an Land und großen Produktionsmitteln in der Lage ist, die Ansprüche zweier Nationen gerecht und demokratisch zur regeln. Ein solcher Kampf wird nicht durch Reformen erreicht werden können, sondern nur durch den revolutionären Sturz des zionistischen Staates.

In Israel und Palästina treten wir auch für die möglichst enge Einheit im Kampf mit den antizionistischen Kräften der israelischen Linken und Arbeiter:innenbewegung ein. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse mit dem Zionismus bricht, kann sie sich auch selbst befreien.

Uns ist jedoch bewusst, dass die israelischen Lohnabhängigen über Jahrzehnte nicht nur an der Unterdrückung, Vertreibung und Überausbeutung der palästinensischen Massen teilhatten, sondern dass der Labour Zionismus wie auch die „liberalen“ Zionist:innen selbst aktiv an der Vertreibung und Unterdrückung beteiligt waren und sind.

So wichtig und richtig es ist, Spaltungen und Brüche im zionistischen Lager auszunutzen und zu befördern, so dürfen wir uns keinen Illusionen über die Tiefe der Bindung der israelischen Arbeiter:innen an den Zionismus hingeben. Wir müssen uns vielmehr darüber klar sein, dass deren Masse wahrscheinlich erst unter dem Eindruck einer tiefen Krise des zionistischen kolonialistischen Projekts für einen Bruch mit dem Zionismus gewonnen werden kann. Daher ist die Stärke des palästinensischen Befreiungskampfes selbst ein zentraler Motor, um überhaupt Risse im Zionismus zu vertiefen. Die antizionistische Linke in Israel hat daher jedes Interesse am Erfolg des palästinensischen Befreiungskampfes und muss diesen bedingungslos unterstützen.

2. Die Massen im Nahen Osten

In den arabischen Ländern, in der Türkei, im Iran wie in der gesamten Region muss die Arbeiter:innenklasse mit ihren Kräften die Mobilisierungen gegen Israel in Solidarität mit Palästina unterstützen. Sie muss sich dabei zugleich von reaktionären oder gänzlich verlogenen staatlichen Institutionen abgrenzen, die die Palästinafrage für reaktionäre Zwecke oder eigene geostrategische Interessen missbrauchen (z. B. Erdogan in der Türkei).

Daher müssen die Gewerkschaften und die Linke nicht nur unter eigenem Banner und mit eigenen Aktionen mobilisieren. Sie müssen auch über Demonstrationen und Protestkundgebungen hinausgehen. So sollten Transportarbeiter:innen alle Exporte nach Israel blockieren, indem sie z. B. das Beladen von Schiffen oder Flugzeugen verweigern oder deren Abflug oder Auslaufen verhindern.

Sie müssen die Offenlegung aller wirtschaftlichen und militärischen Abkommen sowie aller Geheimverträge mit Israel fordern, um so die wirkliche Kooperation ihrer angeblich propalästinensischen Regierungen offenzulegen und den Stopp diese Kooperation erzwingen. Sie müssen für die Schließung der Militärbasen der USA und ihrer Verbündeten in der Türkei und im gesamten arabischen Raum eintreten.

Dieser Kampf gegen die verschiedenen reaktionären Regierungen muss mit dem Kampf gegen die soziale und ökonomische Krise wie gegen die mehr oder weniger unverhüllten Diktaturen verbinden werden, um so einen zweiten Arabischen Frühling einzuläuten – einen Arabischen Frühling, dessen linke und proletarische Kräfte die Lehren aus dem Scheitern des ersten Anlaufs ziehen, indem sie von Beginn an die Notwendigkeit anerkennen, eine solche Revolution permanent zu machen und nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben. Dies erfordert, in diesen Bewegungen revolutionäre Arbeiter:innenparteien aufzubauen, die für ein Programm der permanenten Revolution kämpfen und für Vereinigte Sozialistische Staaten des Nahen Ostens.

3. Die Arbeiter:innenklasse im Westen

Die Solidarität mit Palästina stellt eine Aufgabe der gesamten globalen Arbeiter:innenklasse dar. Im Krieg gegen Gaza sollten die Lohnabhängigen in allen Ländern auf die Straße gehen, ihre Solidarität zum Ausdruck bringen und jede materielle und militärische Unterstützung Israels durch betriebliche und gewerkschaftliche Aktionen stoppen.

Dabei kommt der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren Nordamerikas und Europas jedoch insofern eine Schlüsselrolle zu, als diese Staaten auch die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützer und Verbündeten Israels sind. Gewerkschaften sollen ihre Mitglieder dazu aufrufen, Waffenlieferungen an Israel zu blockieren. Lohnabhängige in aller Welt sollten den gesamten Handel mit Israel auf dem Land-, See- und Luftweg boykottieren. Versuche, solche Aktionen oder Kundgebungen zur Unterstützung Palästinas als antisemitisch zu bezeichnen, müssen zurückgewiesen und entlarvt werden. Auf den Aufruf der palästinensischen Gewerkschaften darf nicht nur mit warmen Worten, sondern muss mit Taten reagiert werden.

In diesen Staaten kämpfen wir gegen jede weitere militärische, finanzielle und ökonomische Unterstützung des zionistischen Staates und seiner Angriffsmaschinerie. Wir fordern die Offenlegung aller Verträge, wir kämpfen für den Stopp aller Rüstungsexporte und den Rückzug aller entsandten Streitkräfte aus dem Nahen Osten und von der Mittelmeerküste, die als Rückendeckung für Israel gegenüber der Hisbollah oder anderen dienen.

In diesen Ländern kämpfen wir gegen die massive rassistische antipalästinensische und antimuslimische Hetze. Wir kämpfen gegen die Kriminalisierung der Solidaritätsbewegung mit Palästina, wir fordern die Entkriminalisierung aller palästinensischen Organisationen und Vereine und die Streichung der sog. Terrorlisten der EU und USA.

Die Solidarität mit Palästina erfordert in allen westlichen Ländern auch einen Kampf, um die Arbeiter:innenklasse über die Lügen aufzuklären und die wahren Ursachen des Krieges und die Berechtigung des Befreiungskampfes darzulegen.

Die berechtigte Trauer und das Mitgefühl mit den zivilen jüdischen Opfern des Angriffs aus Gaza werden zur ideologischen Vorbereitung auf die Unterstützung eines Krieges gegen die dortige Bevölkerung missbraucht, der zur Vernichtung jeden Widerstandes und zur Massenvertreibung führen soll. Daher auch die gebetsmühlenartige Beteuerung, dass die „Solidarität mit Israel“ auch dann nicht nachlassen dürfe, wenn „andere Bilder“ aus Gaza kommen. Ganz nebenbei erklärt der Deutsche Bundestag auch gleich seine Unterstützung für Militärschläge im Libanon oder Syrien und verstärkten Druck gegen den Iran.

Dieser Hetze und Kriegstreiberei, der offiziellen „öffentlichen“ Meinung, der sich fast alle politischen Parteien der „Mitte“ – Konservative, Liberale, Grüne, Sozialdemokratie – wie auch jene der extremen Rechten, aber selbst die meisten linksreformistischen Organisation und die Führungen der Gewerkschaften anschließen, müssen wir entschlossen entgegentreten.

Dies ist ein notwendiger Teil des Kampfes für eine breite, auch von der Arbeiter:innenklasse in Europa und Nordamerika unterstützte Solidaritätsbewegung mit Palästina, die ihren Ursprung in Nahost fand. Auch den Herrschenden ist bewusst, dass selbst in den Ländern, wo eine proisraelische Stimmungslage vorherrscht, diese nicht ewig anhalten wird. Denn in den kommenden Wochen werden trotz medialer Entstellung auch immer wieder und immer mehr Horrorbilder über die Auswirkung der israelischen Bombardements mit Tausenden Toten und die Ausweglosigkeit für Hunderttausende Flüchtlinge in Gaza zeugen.

Daher müssen wir schon heute daran arbeiten, die Lügen der Herrschenden zu entlarven, um einen Stimmungsumschwung in der Arbeiter:innenklasse, insbesondere in den Gewerkschaften herbeizuführen. Das wird nur möglich sein, wenn wir der Hetze durch die Medien, aber auch der sozialchauvinistischen Politik der Führungen von Gewerkschaften, SPD und Linkspartei offen entgegentreten und ihre Unterstützung der Angriffe auf Gaza anprangern. Nur so – wenn wir Solidarität mit Palästina und den Kampf gegen den Chauvinismus und Rassismus der Führungen der Arbeiter:innenbewegung miteinander verbinden – kann und wird es möglich sein, eine gemeinsame Solidaritätsbewegung für Palästina aufzubauen, die sich auf die Migrant:innen und auf die fortschrittlichen und internationalistischen Teile der Arbeiter:innenklasse stützt.

  • Sofortige Einstellung der israelischen Bombardierung und der IDF-Tötungen im Westjordanland!

  • Öffnung der Grenzübergänge nach Gaza für Treibstoff, Lebensmittel, Wasser, medizinische Hilfe und die Medien!

  • Ein Ende der westlichen Waffenlieferungen an Israel, Abzug der Kriegsschiffe aus der Region!

  • Arbeiter:innenaktionen zur Beendigung der wirtschaftlichen und militärischen Hilfe für Israel!

  • Sieg des palästinensischen Widerstands!

  • Für ein vereinigtes, säkulares, sozialistisches Palästina mit Gleichheit für alle seine Bürger:innen, israelische wie palästinensische, als Teil einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens!



Pakistan: Gerechtigkeit für Hayat Baloch und alle anderen Opfer der Unterdrückung!

Liga für die 5. Internationale, 22. August 2020, Infomail 1115, 22. August 2020

Solidarität mit dem Aktionstag am 22. August 2020

Am 22. August wird in ganz Belutschistan und in Karatschi, Lahore und hoffentlich auch in vielen anderen Städten Pakistans eine weitere Protestwelle gegen die Tötung von Personen aus der belutschischen Bevölkerung stattfinden.

Es war die Ermordung des 25-jährigen Studenten Hayat Baloch durch einen Soldaten des Grenzkorps (Frontier Corps = FC) in Turbat (Stadt im Südwesten der Provinz Belutschistan und Verwaltungssitz des Distrikts Kech), die zu einer Reihe von Protesten geführt hat, die am kommenden Samstag in koordinierten Kundgebungen gipfeln werden.

Der Mord an Hayat Baloch veranschaulicht einmal mehr die Diskriminierung, den Missbrauch und den Terror, denen das belutschische Volk ausgesetzt ist. Hayat war ein Student im letzten Studienjahr an der Fakultät für Physiologie der Universität Karatschi. Da die Universität wegen SARS CoV-2 geschlossen worden war, hatte er sich in Turbat aufgehalten, um seinen Eltern zu helfen.

Am 13. August wurde Hayat Baloch zusammen mit einigen anderen Einheimischen vom Grenzkorps nach einer Explosion in der Stadt festgenommen. Es wurde kein Grund für seine Verhaftung angegeben, und es gab keinen Anlass zu der Annahme, dass er an der Initiierung der Explosion beteiligt war. Als Vorwand für die Festnahme durch die Sicherheitskräfte reichte aus, dass er Belutsche war.

Er wurde von einem Grenzsoldaten acht (!) Mal mit Kugeln durchsiebt und ohne jede Gnade ermordet. Diese Tat hat zu massiven Protesten in Quetta, Karatschi, dem Distrikt Kech und anderen Teilen Belutschistans geführt.

Die pakistanischen Staatsbehörden und das Kommando des Grenzkorps stellen diesen Mord als einen zufälligen Unfall dar, als ob 8 Schüsse etwas anderes als vorsätzlich gewesen sein könnten. Diese beiläufige Missachtung der Verantwortung unterstreicht die Überzeugung des FC, dass es über dem Gesetz steht.

Erst vor einigen Monaten wurde Malik Naaz Baloch, eine Frau im Kech-Gebiet von Turbat, erschossen, weil sie sich einem bewaffneten Überfallversuch widersetzt hatte, während ihre vierjährige Tochter Bramsh schwer verletzt wurde. Es ist allen klar, dass solche mörderischen Banden und Paramilitärs von den Sicherheitsdiensten unterstützt werden. In den letzten Jahrzehnten wurden Tausende von belutschischen Jugendlichen, Intellektuellen, ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen von verschiedenen staatlichen Streitkräften getötet oder fielen dem erzwungenen „Verschwindenlassen“ zum Opfer – ein barbarisches Mittel, um die systematische Unterdrückung des belutschischen Volkes immer wieder zu verstärken.

Aber wie im Fall von Bramsh Baloch ist eine landesweite Bewegung entstanden, die Gerechtigkeit für die Opfer von Mord und Repression fordert; eine Bewegung, die die staatlichen Behörden und Sicherheitskräfte wie das Grenzkorps in Bedrängnis gebracht hat. Die Proteste, mit denen Empörung und Besorgnis über die außergerichtliche Tötung von Hayat Baloch zum Ausdruck gebracht werden sollen, wurden vom Bramsh-Baloch-Solidaritätskomitee in verschiedenen Teilen Belutschistans organisiert, um zu betonen, dass es sich hierbei nicht um einen isolierten Vorfall handelt. Trotz jahrzehntelanger Drohungen und Einschüchterungen zeigen sich immer mehr Menschen öffentlich solidarisch.

Alle KommunistInnen und SozialistInnen, ja die gesamte ArbeiterInnenbewegung und alle demokratischen Kräfte müssen sich mit der belutschischen Bewegung solidarisch zeigen, sie unterstützen und Solidaritätsaktionen und -botschaften in ganz Pakistan und auf der ganzen Welt organisieren. Das Grenzkorps und andere Sicherheitsdienste sind Kräfte der Unterdrückung in Belutschistan, die sich gegen die Selbstbestimmung des Volkes richten. Ihr übergreifendes Ziel ist es, die Interessen des pakistanischen und des globalen Kapitals zu sichern, sei es durch die Programme des Internationalen Währungsfonds oder durch Chinas „neue Seidenstraße“.

Deshalb fordern wir, dass alle militärischen und halbmilitärischen Kräfte unverzüglich aus Belutschistan, Khyber Pakhthunkhwa, Kaschmir und anderen Gebieten abgezogen werden. Man kann den staatlichen Behörden und Diensten nicht trauen, den Mord an Hayat Baloch und anderen zu untersuchen. Die StudentInnen, ArbeiterInnen und Gewerkschaften aus Kech und anderen Bezirken müssen einen eigenen unabhängigen Ausschuss bilden, der den Vorfall untersucht und ArbeiterInnen- und Volkstribunale wählt, die darüber entscheiden, welche Strafe den Kriminellen zuteil werden soll.

Links

https://www.facebook.com/Justice-For-Hayat-Baloch-1361150580695045/

#JusticeForHayatBaloch




Der Angriff auf die Pakistanische Börse in Karatschi

Liga für die Fünfte Internationale, 2. Juli 2020, Infomail 1109, 3. Juli 2020

Am 29. Juni wurden 10 Menschen bei einem Anschlag auf die Börse (Pakistan Stock Exchange) in Karatschi getötet, darunter die 4 Angreifer, die einen Bombenanschlag verübten und dann mit Schusswaffen das Feuer eröffneten. Bei einer Schießerei töteten reguläre und Spezialkräfte der Polizei alle vier. Sechs Wachen und PassantInnen kamen ebenfalls ums Leben.

Die „Baloch Liberation Army“ (BLA; Belutschische Befreiungsarmee), eine nationalistische, guerillaistische Untergrundorganisation, bekannte sich zu dem Angriff. In einer Erklärung rechtfertigte sie den Überfall als Antwort auf die fortgesetzte Unterdrückung und Ausplünderung Belutschistans durch die pakistanische herrschende Klasse und ihre imperialistischen Verbündeten, die Operationen der Armee, die im letzten Jahrzehnt zur Tötung und zum „Verschwinden“ von Zehntausenden von Menschen geführt haben, und die Plünderung der Region durch den chinesischen Imperialismus in jüngster Zeit.

Allah Nazar, der Anführer einer anderen Guerillaorganisation, der „Baloch Liberation Front“ (BLF; Belutschischen Befreiungsfront), rechtfertigte den Angriff ebenfalls als eine Botschaft an Pakistan und China, ähnlich dem Angriff auf das chinesische Konsulat in Karatschi durch BLA-KämpferInnen im Jahr 2018.

Reaktion der Herrschenden

Die pakistanischen Staatsorgane und die Polizei brandmarkten die Attacke sofort als eine Operation von „Terroristen“. Sie beabsichtigen eindeutig, den Ansturm der BLA als Vorwand für Vergeltung, Einschüchterung und Unterdrückung der gesamten Befreiungsbewegung in Belutschistan zu benutzen, deren Massenkämpfe in den letzten Wochen sowohl gegen die gewaltsame Unterdrückung durch die Polizei und andere staatliche Kräfte als auch auf soziale und politische Fragen ausgerichtet waren.

Auf einer Pressekonferenz beglückwünschte sich der Leiter der Einheiten der Sindh Rangers, General Omer Ahmed Bukhari, zu der „erfolgreichen Operation“ und „starken Reaktion“ und behauptete, dass die vier AngreiferInnen innerhalb von 8 Minuten getötet worden seien. Natürlich vergaß er auch nicht, darauf hinzuweisen, dass eine Beteiligung „ausländischer Kräfte“, wie z. B. der indischen Dienste, „nicht ausgeschlossen“ werden könne. Der Vorsitzende der pakistanischen Börse, Sulaiman S. Mehdi, wies stolz darauf hin, dass sich der Markt von kurzfristigen Verlusten schnell erholt habe und dass „der Handel nicht einmal für eine Minute ausgesetzt wurde“.

Das gesamte Establishment des Landes schloss sich in ähnlicher Weise an. Der Außenminister, Shah Mahmood Qureshi, würdigte die getöteten Sicherheitskräfte und deutete an, dass Indien hinter dem Angriff steckte, indem es „SchläferInnen“ aktivierte, ein „Narrativ“, das von mehreren MinisterInnen und führenden Sicherheitskräften wiederholt wurde. Darüber hinaus haben die staatlichen Behörden in der Provinz Sindh und in ganz Pakistan deutlich gemacht, dass sie den Anschlag als Vorwand für umfangreiche Operationen nutzen werden.

Der Ministerpräsident der Provinz Sindh, Shah, wies die Strafverfolgungsbehörden an, gezielte Operationen zu „intensivieren“ und die Sammlung nachrichtendienstlicher Informationen weiter zu verstärken, „damit die aufkommende Bedrohung durch TerroristInnen in ganz Sindh zerschlagen werden kann“. Führende Polizeibeamte und Ranger-Offiziere erklärten, dass innerhalb von 24 Stunden eine gezielte Aktion gegen Militante in Karatschi und anderen Distrikten der Provinz gestartet werden soll.

In Belutschistan wird mit ziemlicher Sicherheit eine weitere Runde von verstärkten Repressions-, Militär- und Polizeioperationen beginnen. Das Schweigen zu diesem Thema in den bürgerlichen Medien ist in einem Staat wie Pakistan kein Grund zur Beruhigung, sondern eher ein Anlass zur Besorgnis. Bisher haben die Sicherheitskräfte die Häuser der an der Karatschi-Börse getöteten Personen durchsucht und einige Familienmitglieder entführt, während andere gewaltsam „verschwunden“ sind.

Zusätzlich zu den Bedrohungen durch „Sicherheits“-Operationen startet eine öffentliche Hasskampagne gegen all jene, die sich mit Vermissten solidarisiert oder sich gegen die Verletzung der Menschenrechte und die Repression in Belutschistan gewehrt haben. Selbst der bekannte Journalist Hamid Mir, der die Erschießung der BLA-KämpferInnen durch die Polizei eigentlich begrüßte, ist dennoch des „Landesverrats“ beschuldigt worden, weil er in der Vergangenheit Reformen in Belutschistan gefordert hatte.

Ursache der Anschläge

RevolutionärInnen und die ArbeiterInnenklasse in Pakistan dürfen sich nicht von den geschichtsverfälschenden Erzählungen der Sicherheitskräfte und der Bundes- und Provinzregierungen blenden lassen, in denen der Staat als Verteidiger der „Demokratie“ und des „Fortschritts“ in einem Kampf gegen „TerroristInnen“ oder gar ausländische Kräfte dargestellt wird. Dies dient nur dazu, jene Realität zu vertuschen, die einen Befreiungskampf sowie nationalistische und guerillaistische Bewegungen und Organisationen überhaupt erst hervorgebracht hat: die systematische nationale Unterdrückung des Volkes der BelutschInnen seit Gründung Pakistans.

Belutschistan ist mit seinen 13 Millionen EinwohnerInnen (von 220 Millionen in Pakistan) nicht nur geographisch die größte Provinz des Landes, die etwa 44 Prozent des gesamten Territoriums umfasst, sondern auch eine Region, die reich an Ressourcen wie Kohle, Gas, Gold, Kupfer und vielen anderen natürlichen und mineralischen Rohstoffen ist. Der größte Teil der Einnahmen daraus wird jedoch direkt vom Zentralstaat Pakistan und imperialistischen InvestorInnen vereinnahmt. Darüber hinaus ist sie von zentraler Bedeutung für die Interessen des chinesischen Imperialismus und sein Projekt des Wirtschaftskorridors China-Pakistan, CPEC.

Es war die Unterdrückung und Verarmung der belutschischen ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen sowie sogar großer Teile des KleinbürgerInnentums, die zu einem Widerstandskampf führten. Dem wurde mit massiver Repression begegnet, bei der Zehntausende von der Armee und den Sicherheitsdiensten getötet wurden oder „verschwanden“. Es sind diese Kräfte, die die wahren TerroristInnen sind. Der pakistanische Staat verteidigt nicht die Freiheit oder die Demokratie in Belutschistan, sondern nur seine sozialen, wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen und die der imperialistischen Mächte, denen er selbst untergeordnet ist.

Wenn er droht, die „TerroristInnen“ zu jagen, meint er nicht nur oder nicht einmal in erster Linie die KämpferInnen der BLA, sondern alle demokratischen, nationalistischen oder sozialistischen Kräfte in Belutschistan, die gesamte Massenbewegung, die sich in den letzten Jahren gegen die Ausplünderung, Ausbeutung und Unterdrückung entwickelt hat. Mehr noch, er will auch eine Warnung an all jene ArbeiterInnen und Jugendlichen in anderen Teilen Pakistans aussprechen, die gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen oder sich in Solidarität mit den BelutschInnen und anderen unterdrückten Minderheiten mobilisieren.

Deshalb müssen sich RevolutionärInnen und die ArbeiterInnenbewegung den Operationen gegen alle belutschischen Organisationen widersetzen. Obwohl wir und viele andere mit der Politik und Strategie der BLA nicht einverstanden sind, müssen wir uns weigern, das Recht der staatlichen Streitkräfte anzuerkennen, belutschische KämpferInnen zu unterdrücken, zu verhaften oder zu töten. Die ArbeiterInnenbewegung und ihre Organisationen müssen sich gegen alle repressiven Operationen gegen das Volk und die AktivistInnen in Belutschistan unter dem Vorwand eines „Kampfes gegen den Terrorismus“ wenden. Sie müssen sich solidarisch zeigen, nicht nur in Pakistan, sondern weltweit.

Es steht außer Frage, dass der Kampf gegen die nationale Unterdrückung gerechtfertigt ist und die Unterstützung der gesamten ArbeiterInnenklasse, der Linken und aller fortschrittlichen Kräfte in Pakistan und weltweit verdient und braucht. Deshalb müssen wir alle Kräfte in Belutschistan verteidigen, die diese Unterdrückung bekämpfen, unabhängig davon, ob wir ihre politische Strategie teilen oder ablehnen. Jede andere Position würde bedeuten, die Kräfte der Unterdrückung mit denen der Unterdrückten gleichzusetzen.

Welche Strategie?

Das bedeutet nicht, dass RevolutionärInnen die Strategie und Taktik der BLA oder anderer nationalistischer Guerillaorganisationen unkritisch beurteilen sollten. Vielmehr sollten sie die Strategie und den kleinbürgerlichen Charakter ihrer Politik ablehnen und offen kritisieren.

Aber als MarxistInnen kritisieren wir sie von einem rein revolutionären Blickwinkel aus. RevolutionärInnen wie Lenin oder Trotzki lehnten die Methoden des individuellen Terrorismus ab, aber nicht von einem heuchlerischen oder bürgerlich-moralistischen Standpunkt aus. Mit ihnen erkennen wir an, dass eine Massenrevolution und damit revolutionäre Gewalt notwendig sind, wenn man die bestehende kapitalistische und imperialistische Ordnung stürzen will. Wir stimmen voll und ganz zu, dass die nationale Unterdrückung der BelutschInnen, PaschtunInnen und anderer unterdrückter Völkerschaften nicht durch eine schrittweise Reform von oben gewährt wird, sondern nur als Ergebnis eines sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kampfes.

Aber die Strategien des Guerillakampfes und des individuellen Terrorismus fördern oder stärken diesen Kampf nicht, im Gegenteil, sie desorganisieren ihn. Sie geben dem Staat einen Vorwand, um bestehende Bewegungen zu zerschlagen. Noch wichtiger ist jedoch, dass sie die ArbeiterInnenklasse und die unterdrückten Massen nicht als das Subjekt revolutionärer Veränderungen sehen, sondern sie durch eine nicht rechenschaftspflichtige, selbsternannte kleine Gruppe von Menschen ersetzen.

Revolutionäre KommunistInnen in der Tradition von Lenin und Trotzki treten für eine radikal andere revolutionäre Strategie, ein anderes Programm und eine andere Organisationsform ein. Wir setzen uns für die Schaffung einer revolutionären Partei der ArbeiterInnenklasse ein, die den Massenkampf anführen kann, die aber den kämpfenden Organen der ArbeiterInnenklasse, den demokratisch organisierten Gewerkschaften, den Komitees und Aktionsräten und schließlich den demokratischen ArbeiterInnen- und Bauern-/Bäuerinnenräten gegenüber rechenschaftspflichtig ist und bleibt.

In den vergangenen Monaten sind in Belutschistan und vielen anderen Teilen Pakistans neue Massenbewegungen, Bewegungen des politischen Kampfes, entstanden, seien es die Solidaritätsbewegung mit Bramsh Baloch, die StudentInnenbewegung oder Aktionen und Streiks der ArbeiterInnenklasse gegen die Krise. Unsere Aufgabe ist es, auf diesen ersten, wichtigen Schritten aufzubauen, die begonnen haben, die Kampfmoral, das Selbstvertrauen und die Selbstorganisation der Massen zu stärken. Wir müssen den Weg zum Aufbau, zur Vereinigung und Verallgemeinerung solcher Bewegungen gehen, zum Aufbau einer Massenvereinigungsfront aller Kräfte der ArbeiterInnenklasse, aller Organisationen der Unterdrückten, aller kampfbereiten Sektoren der Linken.

Die Solidarität mit allen Angegriffenen und mit den national Unterdrückten ist eine Voraussetzung dafür, dass eine solche Verbindung wirksam und dauerhaft sein kann. Nur auf einer solchen Grundlage kann eine wirkliche Einheit zwischen den ArbeiterInnen, Bauern, Bäuerinnen und revolutionären Jugendlichen der verschiedenen Nationen und eine Partei der ArbeiterInnenklasse und Internationale aufgebaut werden!