TV-L: Die Forderung von 10,5 % und was sie wirklich aussagt

Mattis Molde, Infomail 1233, 14. Oktober 2023

Am 11. Oktober hat die Große Tarifkommission von ver.di die Forderung von 10,5 %, mindestens 500 Euro, aufgestellt. Exakt die gleiche Forderung wie beim TVöD.

Eine echte Diskussion war im Vorfeld nicht zugelassen worden. Auf allen Versammlungen wurden Beiträge zur Höhe der Forderung unterbunden oder gleich gar keine Diskussion vorgesehen. Stattdessen erfolgte eine „Befragung“, in der die Mitglieder jeweils individuell  vorgegebene Fragen beantworten konnten. Keine Diskussion, keine eigenen Vorschläge machen dürfen – das ist „Demokratie“ nach Art der Bürokratie!

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vorneherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, die sie jetzt vorbringen, hätten auch schon vor 2 Monaten den gleichen Wert gehabt:

  • dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen,
  • dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur eine innergewerkschaftliche Debatte um die soziale Lage, um die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, um die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog – an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft –, und um einen Abschluss, der ohne richtigen Streik zu einer fetten Niederlage führte, vermieden werden. Statt der geforderten 10,5 %, mindestens aber 500 Euro bei einem Jahr Laufzeit, wurde folgendes vereinbart:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3.000 Euro in Teilzahlungen.
  • 1.240 Euro davon sind bereits in diesem Juni geflossen, weitere 220 Euro dann jeweils in den Monaten von Juli bis Februar 2024.
  • Zum 1. März 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.
  • In einem zweiten Schritt soll der dann erhöhte Betrag noch einmal linear um 5,5 Prozent steigen. Die Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen.
  • Die Laufzeit beträgt 24 Monate.

Dieses Ergebnis war und ist vor allem durch 2-jährige Laufzeit ein herber Reallohnverlust.

Was bedeutet die Forderung konkret?

Wenn man von einer Inflationsrate für 2022 von 8 % und für 2023 von 6 % ausgeht, wie es die ver.di-Oberen z. B. auf der Tarifbotschafter:innen-Versammlung am 11. Oktober getan haben, dann sind das zusammen knapp 14,5 %. Die letzte Tariferhöhung von 2,8 % wurde also komplett aufgefressen, und selbst 10,5 % in 12 Monaten könnten das nicht mehr wettmachen.

Wenn die ver.di-Spitze jetzt die gleiche Forderung für den TV-L aufstellt,  kann man davon ausgehen, dass sie den gleichen oder einen sehr ähnlichen Abschluss anstrebt bzw. damit zufrieden ist. Angesichts des schlechteren Organisationsgrades bei den Ländern haben die Bürokrat:innen an der Spitze auch schon ein wohlfeiles Argument, um die Verantwortung für einen noch schlechteren Abschluss abzuwälzen.

Was bedeutet dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzen 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen.

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Es darf keinesfalls bedeuten, jetzt auf den Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gerne auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam.

Zum Zweiten würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Für uns kommt es darauf an, den Kampf für ein gutes Ergebnis damit zu verbinden, die Kolleg:innen in unseren Betrieben zu aktivieren, zur Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie anzuregen und diese auch in die Gewerkschaft gemeinsam hineinzutragen. Wir müssen in der Tarifrunde darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet, es keinen Abschluss ohne deren Zustimmung geben darf. Wir müssen uns klar vor Augen halten, dass wir nur dann die Forderungen durchsetzen können, wenn wir uns nicht auf Geheimverhandlungen einlassen, sondern möglichst rasch zur Urabstimmung und zu einem flächendeckenden Streik kommen. Natürlich wird das schwer, aber wir müssen dafür nicht nur breit im öffentlichen Dienst mobilisieren, sondern die Auseinandersetzung verbreitern und gemeinsam mit anderen Gewerkschaften führen.

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufzubauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition z. B. im Rahmen der VKG kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder: Für die Durchsetzung eines realen Inflationsausgleichs!

Helga Müller, Neue Internationale 277, Oktober 2023

Am 11. Oktober 2023 entscheidet die Bundestarifkommission von ver.di über die Forderungen für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst der Länder. Derzeit läuft die Online-Mitgliederbefragung zu den Forderungen.

Auch einzelne betriebliche Organe wie die ver.di-Betriebsgruppe der FU-Berlin – diese hat eine Petition gestartet – haben ihre Forderungen aufgestellt. Inwieweit diese von der Bundestarifkommission aufgenommen werden, bleibt dabei völlig im Unklaren. In der letzten Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen konnte aufgrund des Drucks von unten eine höhere Forderung als vom Bundesvorstand beabsichtigt durchgesetzt werden.

Im Unterschied zu den Ländern gibt es vor allem bei den Kommunen eine viel höhere gewerkschaftliche Organisierung und auch viel mehr Erfahrung mit Voll- und Warnstreiks. Aber auch bei den Ländern existieren wichtige Erfahrungen aus Kämpfen und, wie diese aufgebaut werden können, teilweise auch gegen den Willen der Gewerkschaftsverantwortlichen. Insbesondere die Krankenhausbewegungen von Berlin und NRW, die ja zum größten Teil Unikliniken umfassten, zeugen von dieser Erfahrung.

Zusätzlich zu den Länder- kämpfen auch die studentisch Beschäftigten für einen Tarifvertrag (TVStud). Ein solcher wurde bisher nur in Berlin durchgesetzt. Gerade studentische Hilfskräfte müssen unter äußerst prekären Bedingungen arbeiten: befristete Verträge, schlechte Bezahlung, die noch hinter der der Länderbeschäftigten hinterherhinkt, um ihr Studium zu finanzieren. Sinnvoll wäre es, die Forderungen der Studierenden direkt in den Katalog der Tarifrunde Länder aufzunehmen und den bisherigen TVStud zu einem Bestandteil des TV-L zu machen, um die gemeinsame Kampfkraft von studentischen und Länderbeschäftigten zusammenzuführen und damit durchsetzungsfähiger zu werden.

Und der Vorstand?

Auf Mobilisierung und Durchsetzungsstreiks scheint es der Vorstand von ver.di aber nicht anzulegen. Der Bundesvorstand hat bereits drei Verhandlungstermine festgelegt: Der erste findet am 26. Oktober, der zweite am 2./3. November und der dritte – nach der Regie des Bundesvorstands auch letzte Verhandlungstermin – am 7./8. Dezember statt.

In der Zwischenzeit erfolgen in der Regel einzelne Warn- und noch keine Durchsetzungsstreiks. Erst wenn es in der dritten Verhandlungsrunde zu keiner Einigung kommt, dann kann die Bundestarifkommission eine Urabstimmung über unbefristete Streiks durchführen. Aber auch das ist noch keine Garantie, dass es dazu kommt, wie die letzte Tarifrunde zum TVöD gezeigt hat.

Der ver.di-Vorstand und die Spitzen der anderen Gewerkschaften im öffentlichen Dienst setzen nicht auf Konfrontation, sondern auf Tarifrundenritual mit Verhandlungen. Zugleich soll dem Vorgehen ein möglichst demokratischer Anstrich gegeben werden. Daher organisiert ver.di eine Umfrage zu den Forderungen unter den Mitgliedern, deren Fragestellungen jedoch vom Apparat vorgegeben werden. Hinzu kommt, dass die einzelnen Gewerkschafter:innen hier nicht nach einer demokratischen Diskussion z. B. in ihrer Betriebsgruppe abstimmen, sondern individualisiert online ihre Kreuzchen machen müssen. Eine wirkliche Debatte um Forderungen sieht anders aus.

Aber zunächst geht es einmal darum, für Forderungen zu kämpfen, die auch wirklich einen Inflationsausgleich für alle bedeuten. Wir schließen uns hier den meisten Forderungen, die die Kolleg:innen der ver.di-Betriebsgruppe der FU Berlin aufgestellt haben, an. Diese sollten, wie in der Petition vorgeschlagen, von möglichst vielen Betriebsgruppen, Vertrauensleutestrukturen, aber auch ver.di-Ortsvereinen, -Fachgruppen, -Landesfachbereichsvorständen diskutiert, beschlossen und an die Bundestarifkommission und den Bundesvorstand geschickt werden, um einen möglichst hohen Druck auf diese auszuüben:

  • 1.000 Euro für alle!
  • Automatische Anpassung an die Inflation!
  • Überführung TV Stud in TV-L!
  • Übernahme der Azubis in unbefristete Verträge!
  • Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich!
  • Laufzeit von einem Jahr – maximal bis Ende 2024!

Politische Rahmenbedingungen

Aber gerade in den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes kommt es darauf an, auch den politischen Rahmen, in dem die Verhandlungen stattfinden, mit aufzunehmen: Derzeit laufen die Lesungen zum Bundeshaushalt. Hier hat die Ampelregierung deutlich gemacht, in wessen Interesse sie handelt: Einzig der Rüstungshaushalt soll massiv erhöht werden (100 Milliarden Euro Sondervermögen, in Zukunft sollen mindestens 2 % des BIP für den Rüstungsetat aufgewendet werden). Alle anderen Ressorts müssen sich auf Kürzungen gefasst machen. Insgesamt sollen 30 Milliarden Euro an Kürzungen umgesetzt werden. Gleichzeitig möchte FDP-Finanzminister Lindner die Schuldenbremse wieder in Kraft setzen. Wer dies zahlen soll, ist jetzt schon klar: wir Beschäftigten, ob in der Privatwirtschaft oder beim Land, Bund oder in den Kommunen, die Jugendlichen, Kinder, Rentner:innen, Arbeitslosen, Asylsuchende und Migrant:innen – die Mehrheit der Bevölkerung.

Den Länderbeschäftigten wird vorgehalten, dass kein Geld für höhere Löhne in den Kassen und von daher nicht viel zu erwarten sei.

Aber Geld ist da, vor allem die Energieunternehmen, aber auch die Autoindustrie haben trotz Krise und Pandemie Rekordgewinne erzielt, die abgeschöpft werden müssen durch eine Übergewinnsteuer und eine progressive Erhöhung der Steuerabgaben auf Kapitaleinkommen. Dann wäre genug Geld in den öffentlichen Kassen! Ein Inflationsausgleich ist machbar! Die Kolleginnen und Kollegen können auf eine kräftige Lohnerhöhung nicht verzichten! Zum einen sind die Preise gerade bei den Lebensmitteln, bei der Energie immer noch sehr hoch und zum anderen hat die letzte Tariferhöhung von 2021 nur eine bescheidene Erhöhung von 2,8 % gebracht. Schon von daher brauchen wir in dieser Tarifrunde einen wirklichen Inflationsausgleich! Mit Einmalzahlungen ist das nicht zu machen – was wir brauchen ist eine reale Erhöhung auf die Tariflöhne!

Nicht nur die Forderungen, wie oben vorgeschlagen, müssen gegen den Bundesvorstand durchgesetzt, sondern auch deren Umsetzung erzwungen werden – wie es auch schon die Tarifrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen gezeigt hat. Dafür ist es notwendig, dass sich die Kolleg:innen, die dafür kämpfen wollen, über die Betriebe, Dienststellen, aber auch über die Bezirke und Länder hinweg enger zusammenschließen. Die Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften und ihre lokalen Strukturen bieten dafür einen Rahmen. Setzt Euch mit diesen in Verbindung!

Gleichzeitig müssen die streikenden Kolleg:innen die Möglichkeit erhalten, über Streikmaßnahmen zu diskutieren und zu entscheiden, und zwar auf Streikversammlungen, in denen alle zusammengefasst werden. Um dies zu organisieren und damit die Kolleg:innen die Kontrolle über ihren Streik erhalten, ist der Aufbau von Streikkomitees, die z. B. aus demokratisch gewählten Tarifbotschafterinnen aus den Abteilungen bestehen sollten, die auch wieder abgewählt werden können, wenn sie ihrer Aufgabe nicht gewachsen sind, notwendig. Darüber hinaus brauchen die Kolleg:innen die volle Transparenz über die Verhandlungen statt Geheimabsprachen der Bundestarifkommission mit den öffentlichen Arbeit„geber“:innen.




Neun Punkte zum Tarifabschluss der EVG mit der DB

Statement der Vernetzung für kämpferische Eisenbahner:innen, 17. September 2023, ursprünglich veröffentlicht auf https://bahnvernetzung.de/, Infomail 1232, 20. September 2023

Dieser Text ist das Produkt einer gemeinsamen Diskussion von Bahnbeschäftigten aus EVG und GDL.

1. Forderungen – nicht erfüllt

Mindestens 650 Euro in die Tabelle (für Nachwuchskräfte die Hälfte), ein Jahr Laufzeit waren gefordert. Heraus kam eine steuerfreie Einmalzahlung von 2850 Euro, genannt Inflationsprämie, im Oktober 2023 sowie eine Erhöhung von 410 Euro (Nachwuchskräfte erhalten jeweils die Hälfte) in zwei Schritten. Laufzeit: 25 Monate – satzungswidrig!

Natürlich wurde das Ganze damit begründet, dass man ja nie das bekommt, was gefordert wird. Mit dieser Einstellung kann hohen und berechtigten Erwartungen, die der Inflation entsprechen, natürlich nicht gerecht werden. Warum führen wir Tarifauseinandersetzungen nicht eskalativ? Ein „Sozialpartner“, der Verhandlungen einfach so verlässt, hat neben Streik keine andere Antwort verdient, außer, dass wir dann eine noch höhere Forderung stellen, wir den Preis nach oben treiben.

Bei allem Negativen, etwas Positives: Immerhin kriegen jetzt in einem Staatsunternehmen (!) alle den Mindestlohn ohne irgendwelche Zuschläge und Schönrechnereinen durch den Konzern. Für die niedrigsten Lohngruppen sprang mitunter ordentlich was raus (teilweise weit über 20 %). Aber selbst das blieb unter den Forderungen und hört sich, angesichts der bisherigen Einkommen besser an als es ist. Bei Lidl wird ja auch nicht mit Prozenten gezahlt, somit kann mehr trotzdem noch zu wenig sein. Die Erhöhungen für die unteren Lohngruppen haben etliche Kolleg:innen dazu bewogen, mit JA zu stimmen. Wir respektieren das, aber wir halten angesichts des insgesamt schlechten Abschlusses daran fest, dass das NEIN die richtige Antwort gewesen wäre.

2. Gespaltene Tabelle, gespaltene Belegschaft

Für manche hält der neue Tarifvertrag zudem eine dritte tabellenwirksame Erhöhung zum März 2025 bereit, für manche eben nicht. Der Blick in die Tabelle lässt zum Teil an Willkür erinnern. In der Lohngruppe 355 (die höchste für Fahrdienstleiter:innen) gibt’s auch bei neun Jahren Betriebszugehörigkeit keine dritte Erhöhung. So halten wir natürlich kein Personal im direkten Bahnbetrieb, und das ist unabdingbar, wenn wir das mit der Verkehrswende und guten Arbeitsbedingungen ernst meinen … für Martin Seiler hingegen darf diese nur möglichst wenig kosten!

Die Funktionsgruppen 2 und 6 bekamen statt einer dritten Erhöhung nur das Versprechen, dass für sie 2025 nachgezogen werden soll. Die Funktionsgruppe 4 (Lokführer:innen) wurde mit der Begründung ausgeklammert, dass auf sie angeglichen worden sei. Ein Blick in die Tabelle offenbart, dass das so nicht hinkommt. Es kommt der Verdacht auf, als wären die Lokführer:innen von der EVG aufgegeben worden, die meisten von ihnen fallen bei der DB unter einen Tarifvertrag der GDL.

Das Ganze war ein natürlich ein rechtlich unveränderbarer Schlichterspruch – schön und gut. Doch warum stimmte der Bundesvorstand dem mehrheitlich zu? Dass es auch anders gegangen wären zeigten die Vertreter:innen der Jugend und die anderen, die hier gegen gehalten haben! Der BuVo hätte das üble Spiel der Bahn AG nicht mitmachen müssen!

So bleibt, dass 52 % den Schlichterspruch annahmen – immerhin eine formal demokratische Mehrheit. Die Wahlbeteiligung war zudem bedenklich niedrig.

48 % lehnten den Schlichterspruch ab – verglichen mit den Urabstimmungen anderer Gewerkschaften in den letzten Jahren eine fette Backpfeife für Tarifkommission und Bundesvorstand. Und zwar eine umso größere als das der BuVo das Informationsmonopol über die „Tarifinformationen“ zur Schlichtung verfügte und die bürgerlichen Medien in diesem Sinne trommelten. Selbst unter diesen Bedingungen stimmte fast die Hälfte gegen den Abschluss.

3. Scheitern, Urabstimmung, Schlichtung, Urabstimmung?!

Überhaupt, dieses Schlichtungsverfahren. Warum wurde sich auf ein Verfahren eingelassen, dass die DB vorschlägt, nachdem sie alles daran gesetzt hatte, die Verhandlungen zu sabotieren und zum Scheitern zu bringen? Allerspätestens hier war das Verständnis an der Basis für die Taktik von BuVo und Tarifkommission weg.

Begründet wurde die Teilnahme an der Schlichtung anstelle einer direkten Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik unter anderem mit dem Argument, den öffentlichen Diskurs auf unsere Seite zu ziehen. In Wirklichkeit ist genau das Gegenteil eingetreten. Das stetige Nachgegeben gegenüber dem Vorstand hat ihm und den Medien geholfen, das Ergebnis in ihrem Sinn zu deuten. Zweitens wäre es in einem Erzwingungsstreik auch möglich gewesen, eine eigene Gegenöffentlichkeit zu schaffen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen – und zwar, indem an Bahnhöfen und mit Unterstützung der anderen DGB-Gewerkschaften oder auch der Klimabewegung die Relevanz hoher Löhne für einen funktionierenden Bahnbetrieb in den Mittelpunkt gestellt wird und klar gemacht wird, dass höhere Löhne nicht durch höhere Fahrpreise erkauft werden sollen, sondern in dem vom Bund mehr Geld in die Bahn kommt und Seilers und Lutzens Gehalt zusammengestrichen wird!

Keine Gewerkschaft darf ihre Kämpfe danach ausrichten, was die Medien von ihnen hält. Eine EVG, die ihren Kampf richtig führt, die wird eben von FAZ bis Bild gehasst!

4. Transparenz vs. Schönreden

Mit dem Urabstimmungs-Schlichtungs-Hin-und-Her landen wir beim Thema Transparenz im Allgemeinen. Kein Vergleich zu 2020, wo in einer Nacht- und Nebelaktion mit dem Konzern ein Kündigungsschutz mit einer Nullrunde erkauft wurde, um später das Erreichte der GDL nachgetragen zu bekommen. Und trotzdem: Die TR23 ging schon durchwachsen los (die Tarifwerkstätten waren längst nicht allen zugänglich; die Online-Befragung enthielt keine Abstimmungsoption zur Laufzeit; und wer sitzt eigentlich für mich in der Tarifkommission?).

Dann gab es zwei Warnstreiks, bei keinem wurde verständlich erklärt, warum eigentlich nur einen halben Tag gestreikt wird, obwohl die Stimmung für einen ganztägigen war. Und dann: Der 50-Stunden-Streik, den es niemals gab. Das Frankfurter Arbeitsgericht kassierte ihn mit einem Vergleich. Diese Niederlage wurde nicht ehrlich eingestanden. An sich wäre das kein Problem gewesen. Es hätte klar gemacht werden müssen, dass Konzern und Staat einen kapitalen Angriff auf das Streikrecht verübt haben und die EVG vor der Wahl stand, sich auf den Vergleich einzulassen oder eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht zu riskieren. Eine kämpferische und demokratische Gewerkschaftsführung hätte die Mitgliedschaft aber darauf vorbereiten und im Voraus ein Mandat für das weitere Vorgehen einholen müssen. Trotzdem hätte hier zügig das Scheitern der Verhandlungen erklärt und eine Urabstimmung eskaliert werden können. Stattdessen wurde der abgesagte Streik zu einem Sieg in der Mindestlohnfrage umgedeutet und zäh weiter verhandelt, und verhandelt, und verhandelt, und es machte sic breit:

5. Das Gefühl, gar nicht richtig gekämpft zu haben

Die Taktik der DB war eindeutig auf Sabotage, gerichtliche Angriffe und Verzögerungen zu setzen. Die EVG-Spitze hat sich dieser Taktik gefügt und weitgehend als Bittstellerin agiert. Lediglich zwei halbe Warnstreiks fanden statt. Die Stimmung vor dem 50-Stunden-Streik war gut und ließ hoffen. Spätestens nach dem Frankfurter Urteil hätte der Fokus auf der Vorbereitung eines unbefristeten Erzwingungsstreiks liegen müssen. Doch der Verhandlungsführer Loroch wurde nicht müde zu sagen: „Lösungen gäbe es nur am Verhandlungstisch.“ Und hier bestimmten Seiler und der Konzern das Tempo.

Zurück bleibt das verbreitete Gefühl, das wir mehr hätten erreichen können – und mit wir ist die einfache Mitgliedschaft in den Betrieben gemeint. Das 48 % mit NEIN gestimmt haben ist nicht einfach nur die Ablehnung des Schlichterspruchs. Es muss auch eine Bereitschaft zu kämpfen darin gesehen werden, die auch trotz eines zähen Vierteljahrs noch da war – oder gerade deswegen.

Schwierig wäre der Kampf sicher geworden, in manchen Betrieben ist der Organisationsgrad nicht hoch, hätte durch einen gut geführten Streik aber auch deutlich gehoben werden können. Aber, schwierig wäre es auch deshalb geworden, weil der BuVo selbst ja gar keinen Bock auf einen Erzwingungsstreik hatte. Er empfahl die Annahme des Schlichtungsergebnisses mit den Worten:

6. „Friss oder stirb!“

Auf eine immer ärmer gewordene Transparenz folgte eine demagogische Note. Wenn abgelehnt wird, dann müsse von vorne angefangen werden, alles auf Null, alles verloren. Mit dieser Perspektive, die suggeriert, dass das alles ist, was drin war, kann natürlich auch nicht mehr erstreikt werden. Dabei hätte eine gewisse Streikschwäche (auch der Streikkasse) dadurch ausgeglichen werden können, die Komplexität des Bahnbetriebs auszunutzen, beispielsweise durch einen Clusterstreik: Heute Ost und Süd und West, Morgen Mitte, Nord und Süd-Ost. Der Fahrplan verträgt so was nicht. Aber das nur als ein Beispiel. Die größte Schlagkraft wird gespürt, wenn überall zu jeder Zeit gestreikt wird, es täglich Streikversammlungen gibt, die selbst entscheiden, wie es weitergeht. Darauf aufbauend braucht es eine zentrale, von Delegierten der Streikversammlungen gewählte Streikleitung, die den gesamten Kampf koordiniert und sicherstellt, dass der Streik überall unterstützt wird. Damit hätte gewonnen werden können.

Weit davon entfernt, so zu kämpfen, wäre bei einem 75% – NEIN durchaus die Gefahr da gewesen, dass die DB ein Exempel an uns statuiert hätte, indem sie den Streik mit allen Mitteln bekämpft hätte. Seiler ist das zuzutrauen. Und der EVG-Vorstand-Mehrheit leider auch, dass sie hier willig eingeknickt wäre. Sie will „Sozialpartner“ sein, eine Niederlage wäre vielleicht nicht nur als unvermeidbar in Kauf genommen worden, sondern als Argument dafür genutzt worden zu sagen: „Besser, ihr hört beim nächsten Mal auf uns, wenn wir eine Empfehlung abgeben!“

7. Ein Riss geht durch die Gewerkschaft – gut so!

Dafür, dass BuVo und geschäftsführender Vorstand alle Kommunikationskanäle (die aber halt nicht so gut sind) in der Hand hat, konnte für ein NEIN (zu dem auch wir aufriefen) gut mobilisiert werden. In der Presse wurde bereits von einer zerrissenen Gewerkschaft gesprochen, Claus Weselsky bezeichnete die EVG mal wieder als „Trümmertruppe“.

Aber sehen wir es mal von dieser Seite: Es ist gelungen, eine Debatte in einer bisher relativ sicher und bürokratisch kontrollierten Gewerkschaft zu führen. Betriebsgruppen(-vorstände) hauten Aufrufe zum NEIN raus. Ohne eine große Unzufriedenheit und einen Druck, der anfängt, sich seine Kanäle zu suchen, wäre das nicht möglich gewesen. Und natürlich ist da der Druck einer anderen Gewerkschaft. Im Vergleich zur IG Metall etwa hat die EVG kein Monopol im Bahnsektor, die GDL spielt mindestens im Hinterkopf bei allen Erwägungen der EVG-Spitze eine Rolle. Was hier Dynamik brachte, ist mittelfristig jedoch nur schädlich. Wir sind davon überzeugt, dass die Spaltung zuerst der DB und zudem den Führungen von GDL und EVG nutzt, sie können auf die anderen zeigen und mit unterschiedlichen Begründungen sagen: „Wir sind nicht so wie die.“

Die Spaltung schadet uns nicht nur in den getrennt geführten Tarifauseinandersetzungen. Sie schadet uns noch viel mehr, wenn es darum geht, eine drohende „Bahnreform 2.0“, die Zerschlagung und weitere Privatisierung zu verhindern. Die GDL-Führung steht hier auf Seiten der Regierung und der privaten Bahnunternehmen, die EVG-Spitze ist zwar dagegen, einen Kampfplan zur Mobilisierung und zum Vollstreik gegen diesen Generalangriff hat sie aber auch nicht.

Der Riss der jetzt durch den EVG-Apparat bis runter zur Basis geht, ist nicht deckungsgleich mit dem JA / NEIN – Verhältnis. Es gibt auch die, die mit JA gestimmt haben und die Art und Weise, wie diese Tarifrunde lief, trotzdem bescheiden bis beschissen fanden. Es ist ein Riss in dem die Frage klafft: Wie und wofür wollen wir eigentlich kämpfen. Zentral damit verbunden ist die Frage:

8. Sozialpartnerin oder Kampforganisation?

Was soll die EVG sein? Kristian Loroch betont, es brauche Zeit die brüchig gewordene Sozialpartnerschaft mit der DB (von der im Übrigen auch die GDL spricht) wieder zu kitten. Aber wofür? Für Seiler und Lutz bedeutet Sozialpartnerschaft einen nützlichen Trottel (die Vorstände der Gewerkschaften) zu haben, der den Beschäftigten Kröten verkauft. Die Zeit der Sozialpartnerschaft ist vorbei, und der Konzern weiß das. Die Inflation, die kaputte Infrastruktur, die roten Zahlen, das eigene Vorstandsgehalt, die viel zu geringe Kohle von Volker Wissing – das alles lässt kaum Spielraum.

Er wird nur durch gut geführte Kämpfe vergrößert. Anstatt irgendein Vertrauen mit Martin Seiler wieder herzustellen, für das der sich innerlich kaputt lacht. Vielmehr sollten wir uns auf uns selbst konzentrieren; bilanzieren, diskutieren und aufstellen für das, was da alles kommt: die Tarifrunde unserer Kolleg:innen bei der GDL, eine Umstrukturierung bis möglicher Zerschlagung des Konzerns, die Tarifrunde 2025…Scheiß auf Sozialpartnerschaft, werde Kampforganisation, EVG!

9. Austreten, wechseln, oder was?

Die Stimmung in der EVG reicht von ganz zufrieden mit dem Ergebnis bis hin zu Resignation und Austritt.

Unterdessen leckt der Vorstand auf seine Weise Wunden. Die Hans-Böckler-Stiftung soll eine Studie machen und rausfinden, was (aus Sicht des Hauptamtes?) falsch lief. Bestimmt wird man zu dem Schluss kommen, dass die Verhandlung mit 50 Unternehmen gleichzeitig einfach zu viel war und dass die Kommunikation nicht rund lief, viele Kolleg:innen nicht nachvollziehen konnten, was gerade Phase war.

Und darüber hinaus?

Wir denken statt einer Studie braucht es jetzt die Debatte in der Mitgliedschaft der EVG über eine Neuausrichtung der EVG: Direkt gewählte Gremien, die jederzeitig wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein müssen und wo Gewerkschaftsfunktionäre nicht mehr verdienen dürfen als einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn, von der Basis direkt geführte und kontrollierte Kämpfe, einen breiten und demokratischen Prozess für die Forderungen für 2025 und einen vorgezogenen Gewerkschaftstag, um Strukturen und Satzung zu ändern – es reicht jedoch nicht, nur den Vorstand auszutauschen! Die Wahl der Delegierten zum Gewerkschaftstag muss nach offener Diskussion in den Betriebsgruppen und unter den Kolleg:innen erfolgen. Wir müssen die Gewerkschaft von Grund auf ändern. Statt formal demokratischer, in Wirklichkeit aber von der Bürokratie dominierter Strukturen, brauchen wir eine Gewerkschaft, in der die Mitglieder das Sagen haben.

Wir brauchen einen Kampfplan gegen eine Bahnreform 2.0 genauso wie ein „Weiter-So!“ mit dem DB Konzern – wir sind für eine einzige staatliche Bahn!

Rechenschaftspflicht, Wähl- und Abwählbarkeit durch die Mitglieder muss alle Gremien einer kämpferischen Gewerkschaft auszeichnen. Tarifkommissionen und Streikleitung müssen gewählt und abwählbar sein.

Am Wichtigsten ist uns jedoch ganz unmittelbar einen gemeinsamen Kampf aller Eisenbahner:innen zu haben. Wenn ab November die Tarifrunde der GDL bei der Bahn startet, dann ist das richtige Signal in Richtung der Kolleg:innen der GDL, dass sich die EVG hier solidarisch zeigt. Und wenn es so war, dass GDL-Kolleg:innen bei der EVG hätten mitstreiken dürfen – dann gilt dass doch umgekehrt genauso, oder, EVG-Apparat?

Die Spaltung zwischen unseren Gewerkschaften, das gegeneinander Schießen – wir sind es Leid! Wer ist den eigentlich der Gegner? Die andere Gewerkschaft oder der Konzern? Wir sind davon überzeugt, dass ein gemeinsamer Kampf mit gemeinsamen, direkt von der Basis entwickelten Forderungen uns mehr, viel mehr bringt als dieses ganze „Wer ist die geilere Gewerkschaft?“ Strukturell sind beide ähnlich undemokratisch und eng mit dem Konzern. Beide müssen neu ausgerichtet werden. Ohne Druck aus der Basis wird es weder eine Zusammenarbeit beider Gewerkschaften geben, noch eine Vereinigung aller Eisenbahner:innen (und Verkehrsbeschäftigten) in einer Gewerkschaft, in der wir selbst die Hebel in der Hand haben.

Einfach nur austreten oder abseits stehen und kritisieren wird nichts ändern, es ist ein Abwarten darauf, dass die Gewerkschaften irgendwann besser werden und ein Vermeiden von anstrengender Arbeit…

Wenn ihr diese Ansätze gut findet und unsere Bilanz teilt, dann tretet mit uns in Kontakt, teilt sie, bringt sie in Eure Betriebe ein und kommt zum Bahnvernetzungstag am 21. / 22. Oktober in Berlin. Kontakt unter: info@bahnvernetzung.de




EVG-Urabstimmung: Ablehnung des Schlichtungsergebnisses!

Bahnvernetzung. Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen, Infomail 1229, 4. August 2023

Nach einem Monat hinter verschlossenen Türen liegt uns nun das Ergebnis des Schlichtung vor, das BuVo und Zentrale Tarifkommission uns nun zur Annahme empfehlen.

Warum wir dafür eintreten mit NEIN zu stimmen:

Viel zu lange Laufzeit!

25 Monate statt der geforderten 12—denken wir alleine daran, was in den

letzten 25 Monaten auf der Welt passierte, zeigt sich, wie fatal diese Laufzeit sein kann

Zu wenig Geld

  • erste Lohnerhöhung erst im Dezember 2023 und nur 200€

  • zweite Lohnerhöhung im August 2024 (210€)

  • dritte Lohnerhöhung schafft Spaltung nicht ab, sondern vergrößert sie teilweise

  • inflationsbereinigt ist der Abschluss noch immer ein Reallohnverlust

  • Gas: 2019-2023: +600% Lebensmittel: 2022-2023: +11%

  • gefordert waren 650 Euro— warum wird immer davon ausgegangen, das nicht zu kriegen?

Kröten, die nicht sein müssen

  • besondere Altersteilzeit von 59 auf 61

  • UBK-Wäsche ins Private ausgelagert

Viel Wind hat die EVG-Verhandlungsführung uns selbst aus den Segeln genommen, insbesondere seitdem das Frankfurter Arbeitsgericht den Warnstreik kassiert hat (was als Sieg im Thema Mindestlohn umgedeutet wurde). Viele sind unzufrieden. Damit, wie es lief, damit, was jetzt rauskam. Eine Ablehnung von – undemokratischen – 75 % kann uns den Wind zurückgeben. Zudem steht die Tarifrunde der GDL vor der Tür, viele ihrer Forderungen – z.B. eine 35 Stunden Woche – würden auch uns etwas bringen, aber die DB wird durch das Tarifeinheitsgesetz dafür sorgen, dass EVG Mitglieder nicht unter den EVG-Tarif fallen, GDL Mitglieder nicht unter den der GDL.

Anstatt uns Gegeneinander aufzustacheln und spalten zu lassen treten wir für die Zusammenarbeit zwischen EVG- und GDL-Kolleg:innen ein, wie wir das im Betrieb sowieso jeden Tag tun. Es braucht den unmittelbaren gemeinsamen Streik von beiden Gewerkschaften, dass kann nur von uns Bahner:innen selbst kommen, weder Burkert, noch Weselsky wollen das.

Auch wenn es diesmal transparenter läuft als 2020 ist das trotzdem nicht genug. Tarifkommission und zu bildende Streikkomitees müssen direkt wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein, auf Betriebsversammlungen muss abgestimmt werden, wie gekämpft wird. Annahme / Ablehnung des Ergebnisses nach einfacher Mehrheit! Volle Transparenz: Wir wollen Einsicht in aller Verträge und Verhandlungsstände mit allen Unternehmen und Gewerkschaften.

Nächstes Treffen: 23.08.23 18:00 Uhr im Café Styles (Str. der Pariser Kommune 11)

Anmeldung unter: info@Bahnvernetzung.de




Nein zur Schlichtungsempfehlung

Martin Suchanek, Infomail 1229, 28. Juli 2023

„Einigung im Tarifstreit bei der Bahn absehbar“, verkündet die Tagesschau am 26. Juli. Nach mehreren Verhandlungswochen hinter verschlossenen Türen haben die Vorsitzenden der Schlichtungskommission, Prof. Heide Pfarr (SPD, von der EVG benannt) und Dr. Thomas de Maizière (CDU, von der Bahn AG ernannt), eine Empfehlung veröffentlicht. Diese sieht lt. EVG folgende fünf Punkte vor:

„1. Entgelt-Erhöhung in fast allen Bereichen um 410 Euro. Umgesetzt wird in zwei Stufen mit jeweiligem Festbetrag: Stufe eins 200 Euro im Dezember 2023 und Stufe zwei im August 2024 um 210 Euro.

2. Einmalzahlung, damit unsere Kolleginnen und Kollegen schnell Geld kriegen. Auszahlung von 2.850 Euro als steuerfreie Inflationsausgleichsprämie im Oktober 2023.

3. Strukturelle Entgelterhöhung kommt für fast 70.000 Kolleginnen und Kollegen. Verschiedene Funktions-/Berufsgruppen bekommen durchschnittlich nochmal 100 Euro monatlich dazu.

4. Keine Spaltung, alle Berufsgruppen sind im Tarifabschluss einbezogen. Wir konnten Spaltung durch Ausgrenzung verhindern.

5. Verkürzung der Laufzeit von 27 auf 25 Monate. Das bedeutet, dass die neue Tarifrunde bereits in 20 Monaten startet.“

Dass es bei der Schlichtung selbst zu keiner Einigung kam, lag wohl nicht an der Gewerkschaft EVG. Auf ihrer Homepage redet und rechnet sie das Ergebnis schön, ihre Schlichtungskommission empfiehlt dem Bundesvorstand die Annahme. Das letzte Wort, so heißt es weiter, hätten die Mitglieder, die bis Ende August über das Ergebnis in einer Urabstimmung entscheiden könnten.

Hört sich demokratisch an, ist es aber nicht, wie wir noch sehen werden. Doch zuerst kurz zur Einschätzung des Abschlusses.

Stärken?

Natürlich gebe es lt. EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch auch negative Aspekte der Empfehlung, diese würden aber durch die positiven Seiten eines guten Kompromisses weit überwogen.

„Für uns als EVG sehe ich in der Schlichtungsschlussempfehlung klare Stärken. Hervorzuheben ist, dass in der Laufzeit eine dauerhafte wirksame Entgelterhöhung erreicht wird. Das bedeutet für die allergrößte Zahl unserer Mitgliedschaft ein dauerhaftes Lohnplus im zweistelligen Bereich. Das ist eine Erhöhung, die es in dieser Größenordnung in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gab – das haben unsere Kolleginnen und Kollegen mehr als verdient.“ (https://www.evg-online.org/meldungen/details/news/10862/)

Über die grassierende Rekordinflation, die Einkommenserhöhungen innerhalb von zwei Jahren wieder auffrisst, verliert Loroch kein Wort. Auch die ursprüngliche Forderungen – tabellenwirksame (!) 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit – werden nicht mehr erwähnt. Warum auch? Für die Schlichtungskommission waren schließlich längst nicht mehr die ursprünglichen Forderungen Verhandlungsziel, sondern die bei Privatunternehmen wie Transdev erzielten Abschlüsse (siehe dazu: https://arbeiterinnenmacht.de/2023/07/06/tarifkampf-der-evg-schlichtung-ablehnen/).

Nur so ist zu erklären, warum die EVG eine Laufzeit von 25 Monaten, die damit gerade zwei Monate unter der Forderung der Bahn AG bleibt, als „Erfolg“ verkauft.

Wie viele andere Gewerkschaftsapparate übt sich auch die EVG darin, das Ergebnis erst gar nicht mit den Forderungen direkt zu vergleichen, für die Zehntausende Kolleg:innen in den Warnstreik traten. Wozu auch? Damit würde es ja nur leichter durchschaubar und transparenter. Statt dessen rechnet die EVG die Entgelterhöhungen unzulässig hoch. So verkündet ihre Homepage folgende Zuwächse für ausgewählte Berufsgruppen:

„- Fahrdienstleiter*innen (307) bekommen bis zu 900 Euro mehr // das entspricht ca. 30 Prozent Lohnplus

– Zugbegleiter*innen (508) bekommen bis zu 840 Euro mehr // das entspricht ca. 22 Prozent Lohnplus

– Werkstattmitarbeiter*innen & Instandhalter*innen (107) bekommen bis zu 860 Euro mehr // das entspricht ca. 24 Prozent Lohnplus“.

Unterschlagen wird dabei nicht nur die Laufzeit von 25 Monaten. Würden wir die Zuwächse von 410 Euro auf ein Jahr beziehen, so kämen wir auf 196,80 Euro tabellenwirksame Lohnerhöhung pro Jahr – also nur weniger als ein Drittel der ursprünglich geforderten 650 Euro. Hinzu kommt, dass bei der Berechnung des Lohnplus die Einmalzahlung von 2.850 Euro munter mit den tabellenwirksamen Lohnerhöhungen in einen Topf geworfen wird. Schließlich beziehen sich die drei Beispiele auf Berufsgruppen, die eine über die 410 Euro hinausgehende zusätzliche Einkommenserhöhung erhalten sollen. Das betrifft rund 70.000 Bahnbeschäftigte in Jobs, die nicht nur für die EVG und ihre Verhandlungsmacht strategisch wichtig sind (insbes. Fahrdienstleiter:innen), sondern wo auch Personalmangel herrscht. Für Zehntausende andere Beschäftigte gibt es diesen Zusatzbonus nicht – eine klare Spaltungslinie, die die EVG-Schlichtungskommission stillschweigend akzeptiert.

Nein zur Schlichtungsempfehlung!

Ein solches Ergebnis stellt keinen „guten Kompromiss“, sondern einen frechen und schlechten Ausverkauf dar. Daher rufen nicht nur wir, sondern viele kritische Bahner:innen wie z. B. die „Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen“ dazu auf, bei der Urabstimmung gegen die Schlichtung und für einen Streik für die ursprünglichen Forderungen zu stimmen.

Dass dabei, wie die EVG-Spitze verkündet, die Mitglieder das letzte Wort hätten, ist auch eine Lüge. Erstens wurden sie nie gefragt, ob sie überhaupt in die Schlichtung gehen wollten. Das entschied der bürokratische Apparat ganz alleine. Er beschloss ohne Befragung, geschweige denn Diskussion der Basis, nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen eine „Zwischenrunde“ einzuschieben, in der die Kolleg:innen über Wochen nur eines tun konnten – warten. Diese erzwungene Passivität nützt tragischerweise auch noch der Gewerkschaftsbürokratie. Nach Monaten von langgezogenen, fruchtlosen Verhandlungen, zwei Halbtagswarnstreiks, einem gerichtlich faktisch untersagten Warnstreik (was in einem Vergleich zu einem Sieg umgedeutet wurde) und wochenlangen Schlichtungsgesprächen hinter verschlossenen Türen sind viele unmotiviert, frustriert und teilweise auch nur froh, dass das alles endlich vorbei ist.

Hinzu kommt, dass in der schönen bürokratisch organisierten Veranstaltung namens Gewerkschaftsdemokratie für die Ablehnung der Schlichtung und die Durchführung von Streiks 75 % der Stimmen notwendig sind. Eine einfache Mehrheit reicht nicht – eine Minderheit aber sehr wohl zur Annahme der Schlichtung!

Zudem verfügt der Gewerkschaftsapparat über das Informationsmonopol. Nur er kann alle Mitglieder erreichen, er bestimmt die öffentlichen Verlautbarungen und den Inhalt der „Tarifinformationen“, die mit mehr oder weniger gleicher Einschätzung auch von den bürgerlichen Medien verbreitet werden.

Dass der Apparat und die Führung der EVG die Annahme der Schlichtung empfehlen, sollte aber niemand wundern. Als getreue Sozialpartner:innen wollten sie nie einen Vollstreik für die Forderungen, der Monate dauern und sich womöglich mit der Tarifrunde der GDL überschneiden könnte. Dabei wäre das für alle kämpferischen Beschäftigten – in der EVG und in der GDL – eine Chance, die unsägliche Spaltung, die zuerst den Apparaten, vor allem aber der Bahn AG und den Bahnzerschlager:innen in der Regierung und bei den Unionsparteien nutzt, zu beenden. Ein drohender Ausverkauf und eine zweijährige Laufzeit werden auch diesen anstehenden, entscheidenden Kampf massiv erschweren.

Daher:

  • Nein zur Schlichtung! Erzwingungsstreik für 12 %, mindestens aber 650 Euro bei einem Jahr Laufzeit!

  • Vollversammlungen in den Betrieben, Werkstätten, Abteilungen und Betriebsgruppen zur Diskussion über die Schlichtung und Abstimmung über die Empfehlung!

  • Erstellung von Informationsmaterial für die Beschäftigten, das erklärt, warum die Ergebnisse der Schlichtung abzulehnen sind!

  • Aufbau einer klassenkämpferischen Opposition in EVG und GDL! Aufbau der Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen!



Warum wir die Schlichtung und ihr Ergebnis ablehnen und für einen gemeinsamen Kampf von GDL und EVG sind.

Bahnvernetzung. Vernetzung klassenkämpferischer Eisenbahner:innen, Infomail 1228, 13. Juli 2023

Die Deutsche Bahn AG hat nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen mit der EVG eine Schlichtung vorgeschlagen – der BuVo folgte mehrheitlich der Empfehlung des Vorstandes darauf einzugehen. Das Ergebnis der Schlichtung soll danach urabgestimmt werden.

Wir lehnen das ab und sagen:

  • Nein zur Schlichtung! Das Verfahren ist bereits formal undemokratisch. Am Ende reichen 25 % aller abstimmenden EVG-Mitglieder um das Ergebnis anzunehmen, während es 75% ablehnen müssen, um in einen Erzwingungsstreik zu treten. Kolleg:innen, die unter den EVG-Tarifvertrag fallen, werden ausgeschlossen, wenn sie in der GDL oder in keiner Gewerkschaft sind.

  • Wir fordern den Abbruch des Verfahrens und eine Urabstimmung JETZT und schnellstmöglich über den Erzwingungsstreik – und zwar bei allen Unternehmen, für die verhandelt wurde und wird. Der Transdev-Abschluss kann nicht das Ziel sein – Keine Kompromisse und keine Verschlechterung: 12 %, mindestens 650 Euro, 1 Jahr Laufzeit! Das Schlichtungsverfahren bedeutet weitere Geheimgespräche und Intransparenz hinter verschlossenen Türen. Wir geben in so einem Verfahren nicht nur die Kontrolle an gewerkschaftliche Verhandlungsführer:innen ab, die wir auch schon nicht wählen können, sondern auch an Schlichter:innen aus der Politik, die die immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Auge behalten werden.

  • Anstatt uns Gegeneinader aufzustacheln und spalten zu lassen treten wir für die Zusammenarbeit zwischen EVG- und GDL-Kolleg:innen ein. Es braucht den unmittelbaren gemeinsamen Streik von beiden Gewerkschaften, dass kann nur von uns Bahner:innen selbst kommen, weder Burkert, noch Weselsky wollen das.

  • Statt einem undemokratischen Schlichtungsverfahren, das immer auch die Leiden des Managements berücksichtigen muss, brauchen wir einen Streik, der unter unserer direkten Kontrolle liegt. Auch wenn es diesmal viel transparenter läuft als 2020 ist das trotzdem nicht genug. Tarifkommission und zu bildende Streikkomitees müssen direkt wähl- und abwählbar sowie rechenschaftspflichtig sein, auf Betriebsversammlungen muss abgestimmt werden, wie gekämpft wird. Annahme / Ablehnung des Ergebnisses nach einfacher Mehrheit! Volle Transparenz: Wir wollen Einsicht in aller Verträge und Verhandlungsstände mit allen Unternehmen und Gewerkschaften.

  • Binden wir Reisende und Pendler:innen besser ein! Es braucht eine Kampagne unter Fahrgästen und die Forderungen, dass nicht sie mit Fahrpreiserhöhungen die Zeche zahlen. Wir müssen klar machen, dass höhere Löhne für das Bahnpersonal eine höhere Qualität für den Bahnbetrieb bedeutet. Der DGB steht hier in der Verantwortung eine Solidaritätskampagne zu fahren, die allen klar macht, warum der Streik der Bahner:innen unterstützt werden muss! Keine Abmahnung für Kolleg:innen, die wegen bestreikten Züge nicht zur Arbeit kommen! Genauso müssen EVG und GDL Arbeitskämpfe anderer Gewerkschaften unterstützen!



Tarifkampf der EVG: Schlichtung ablehnen!

Leo Drais, Neue Internationale 275, Juli/August 2023

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat sich in der überaus zähen Tarifrunde mit der DB AG auf eine Schlichtung eingelassen, nachdem sie sich bereits in der Vorbereitung der Urabstimmung über einen Erzwingungsstreik befand. Diese wird auch kommen – das Schlichtungsergebnis soll urabgestimmt werden. Es ist zu erwarten, dass die EVG dann die Annahme empfiehlt, gerade mal 25 % der abstimmenden Mitglieder reichen dafür. Demgegenüber müssten 75 % das Ergebnis ablehnen, sprich für einen Erzwingungsstreik stimmen, damit dieser stattfindet.

Schachzug der Bürokratie

Das Ganze ist ein geschickter Zug der EVG-Führung, die in den letzten drei Monaten viel dafür getan hat, nicht zu streiken, die immer wieder betont hat, Lösungen gebe es nur am Verhandlungstisch, die eine Niederlage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt zu einem Sieg umdeutete, die mit Transdev einen Abschluss gemacht hat, zu niedrig, zu lang in der Laufzeit, den sie wie mit dem Zaunpfahl winkend auch bei der DB gern genommen hätte – nur: Nicht mal diesen Abschluss wollte die DB akzeptieren.

Der Abschluss bei Transdev, dem größten privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) nach dem staatlichen der DB AG (Betreiber u. a. der Bayerischen Regiobahn, NordWestBahn, S-Bahn Hannover) beinhaltet eine Laufzeit von 21 Monaten und eine zweistufige Bruttofestgelderhöhung von 290 Euro ab November und 130 Euro ab August 2024; Nachwuchskräfte kriegen die Hälfte. Zusätzlich kommt eine Inflationsausgleichsprämie über 1.400 Euro. Daneben erfolgten Verbesserungen im Bereich der Zuschläge und noch Weiteres. Von den ursprünglichen Forderungen: Laufzeit 12 Monate, 650 Euro in die Tabelle ist dennoch nicht viel geblieben. Andere private EVU folgten dem Abschluss.

Die Bahn provozierte mit einem Angebot von 27 Monaten Laufzeit und einer Erhöhung von gerade mal 200 Euro in zwei Schritten (Dez 23, Aug 24, jeweils 100 Euro). Das „Angebot“ wurde von der Zentralen Tarifkommission (ZTK) abgelehnt und ebenso vom Bundesvorstand der EVG. Somit waren die Verhandlungen gescheitert.

Die Entscheidung ist wahrscheinlich Ausdruck von zwei Aspekten: Erstens kann natürlich eine Gewerkschaftsführung, auch wenn sie sich noch so sehr um die Sozialpartner:innenschaft mit den Bossen bemüht, nicht jeden Scheiß unterschreiben, zumal die EVG im Coronajahr 2020 komplett die Füße stillgehalten und unter dem Deckmantel der Beschäftigungssicherung eine Nullrunde unterschrieben hat – ohne irgendeine Vordiskussion mit der Basis.

Dieses Mal bemühte sich der Apparat von Anfang an, dem ganzen Verfahren einen demokratischeren Anstrich zu geben, natürlich weit ab von einer direkten Kontrolle durch die Mitglieder. Man organisierte Tarifwerkstätten und eine Mitgliederbefragung, beides mit deutlichen Schwächen. Bei Ersteren durfte zwischen drei Hauptforderungen nur eine gewählt werden, bei Zweiterer konnten alle mehrfach abstimmen, jedoch ohne, dass in dem Ergebnis irgendeine Verbindlichkeit lag; die Laufzeit fehlte gleich ganz.

Zudem hat sich in den vergangenen Jahren die Zusammensetzung des EVG-Apparates verändert. Mehr junge Gewerkschaftssekretär:innen und Ehrenamtliche sind abgefuckt davon, wie der Laden läuft. Zudem ist natürlich einerseits allen Gewerkschaftsoffiziellen klar, dass mit einem zu schlechten Abschluss Austrittswellen drohen, zum anderen, und das ist nicht zu unterschätzen, gibt es bei der Bahn anders als für die IG Metall bspw. eine relevante Konkurrenzgewerkschaft mit der GDL. Diese hat ihrerseits mittlerweile ihre Forderungen für die Tarifrunde ab Herbst aufgestellt, darunter eine 35-Stundenwoche für Schichtarbeiter:innen sowie 555 Euro mehr in die Tabelle. Schließt die EVG zu schlecht ab, gibt es für alle Mitglieder immer auch die Möglichkeit, zu ihr zu gehen, und das weiß natürlich der Apparat beider Vereinigungen.

Davon abgesehen ist es natürlich so, dass die Tarifkommissionen bei den unterschiedlichen Unternehmen anders zusammengesetzt sind.

Dann kam die DB mit dem Angebot einer Schlichtung um die Ecke und der EVG-Apparat witterte die Chance: ein guter Sozialpartner sein und gleichzeitig die Mitgliedschaft einbinden. Das Ergebnis der Schlichtung wird urabgestimmt, die Verantwortung über die Annahme der Mitgliedschaft in einem Verfahren überantwortet, das selbst formal undemokratisch ist. Am Ende klopfen sich EVG-Vizevorsitzende Cosima Ingenschay und Co. auf die Schulter und sagen: „Die Mitgliedschaft hat entschieden“, selbst wenn mehr als 50 % das Ding ablehnen sollten. Es scheint demokratisch, aber der ganze Weg dahin und die Abstimmung selbst waren und sind es nicht. Allein schon deshalb muss die Schlichtung abgelehnt werden. Immerhin einige, wenigstens die Vertreter:innen der Jugend, haben dies getan.

Annahme verweigern

Darüber hinaus ist erstens zu erwarten, dass bei der Schlichtung nicht das rauskommt, was ursprünglich gefordert wurde. Zwar gehört es zu den üblichen Ritualen in deutschen Tarifverhandlungen, weit unter den eigenen Forderungen abzuschließen, doch nur, weil es „schon immer so gemacht“ wird, wird es dadurch nicht richtiger. Warum wird nicht eskalierend vorgegangen? Eine DB, die ungestraft einfach mal 2 Monate gar nicht verhandelt hat, hätte es nicht anders verdient, als mit einem Erzwingungsstreik bestraft zu werden, wo mit jeden Tag die Forderung erhöht wird.

Zweitens muss die Schlichtung (und damit ihr Ergebnis) deshalb abgelehnt werden, weil sie nicht nur ein Zugeständnis an die Bahn darstellt, sondern auch, weil die EVG damit von dem Wohlgefallen der Schichter:innen abhängig wird. Diese kann sie zwar selbst mitbestimmen, zum Redaktionsschluss sind diese auch noch nicht bekannt, erfahrungsgemäß sind es jedoch Politiker:innen, die vorgeblich zwar über dem Konflikt stehen, jedoch immer auch das „Wohl des Konzerns“ im Blick behalten (wie die EVG-Spitze selbst auch; schließlich verteidigt sie die DB nicht aus fortschrittlichen Gründen gegen deren drohende Zerschlagung, sondern für den Erhalt des Status quo).

Wir sollten von der Schlichtung nicht mehr erwarten als den Transdev-Abschluss. Wir sollten sie deshalb ablehnen und, weil sie ein undemokratisches Verfahren ist, das am Ende mit der Urabstimmung einen demokratischen Touch erhalten soll. Unsere Mittel für einen Abschluss, der unseren Forderungen entspricht, sind noch nicht ins Spiel gebracht worden: Ablehnung des Schlichtungsergebnis, Durchführung des Erzwingungsstreiks.

Und wenn das Ganze sich schon bis in den Herbst hinzieht, dann liegt der gemeinsame Kampf mit den Kolleg:innen der GDL auch auf der Hand. Immerhin stehen wir täglich zusammen gegen diesen Konzern um Sicherheit und Pünktlichkeit auf der Schiene ein, das heißt, wir können auch zusammen gegen seinen Tarif kämpfen. Wir sollten gegenseitig die Forderungen durch die der höchsten von der anderen Seite ersetzen. Von den Führungen der EVG und der GDL gibt es in unterschiedlichem Maß daran kein Interesse, die Zusammenarbeit wird aus der Basis kommen müssen.

Genauso gilt das für ein Eintreten für wirklich demokratische Tarifrunden: Tägliche Betriebsversammlungen, direkt gewählte und rechenschaftspflichtige Vertreter:innen in der Tarifkommission. Abstimmungen über Annahme und Streik nach einfacher Mehrheit. Kann sein, dass ein solches Verfahren noch Jahre auf sich warten lassen wird. Trotzdem: Der Grundstein für eine Diskussion dazu muss jetzt in der Tarifrunde gelegt werden.

Und noch etwas müssen wir selbst in die Hand nehmen: GDL- und EVG-Chef:innen sind denkbar schlecht darin, der Medienhetze etwas entgegenzusetzen, wenn es zu Streiks kommt. Es wird einfach darauf verwiesen, dass diese rechtens seien – das heißt im Umkehrschluss dann eben auch, ein gerichtliches Streikverbot kampflos zu akzeptieren.

Streik und Reisende

Wie können die Reisenden also mitgenommen werden? Es gibt gleich mehrere Möglichkeiten. Erstens: Einbeziehung durch Erweiterung der Forderungen. Keine Fahrpreiserhöhung, kostenloser Nahverkehr und massive Angebotserweiterung, bezahlt durch die Profite von VW und Co. Zweitens: Aufklärung. Nicht die streikenden Kolleg:innen sind schuld an der Misere, sondern der Konzern und der Staat. Der Streik findet auch dafür statt, dass die Arbeitsbedingungen bei der Bahn besser werden. Verkehrswende braucht Eisenbahner:innen. Von diesen gehen in manchen Bereichen 70 – 80 Prozent in den nächsten zehn Jahren in Rente. Daher braucht es nicht nur einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs, sondern auch ein deutlich verbessertes Investitionsprogramm für Neueinstellungen!

Drittens: Gezielter Erzwingungsstreik. Es wäre durchaus möglich, gezielt und schwerpunktmäßig den Güterverkehr der Auto- und Schwerindustrie zu bestreiken und Personenverkehr zeitweilig auszunehmen, verbunden mit einem Streik im Bereich Vertrieb und Fahrkartenkontrolle. Das würde aber einen höheren Organisationsgrad brauchen und vor allem wäre dafür die Voraussetzung, dass wir als Beschäftigte den Streik selbst kontrollieren. Die Ironie wäre dann übrigens, dass der Reiseverkehr auf einmal pünktlicher wäre – in einem vollen, heruntergefahrenen Netz fällt es auf, wenn die Züge fehlen, die die bedeutendsten Industrien des Landes bedienen, also jene, die seit Jahrzehnten für einen chronische Benachteiligung der Schiene verantwortlich sind.




Britannien: Für eine Kampagne gegen den Tarifabschluss bei Royal Mail

Workers Power Postal Workers Bulletin, Infomail 1223, 27. Mai 2023

Royal Mail: Baut die Nein-Kampagne auf!

Gegenwehr gegen Angriffe auf unsere Löhne und Arbeitsbedingungen!

Organisiert eine klassenkämpferische Basisbewegung zur Zurückweisung des Abkommens!

Als die Vereinbarung mit Royal Mail (Britische Post) im April veröffentlicht wurde, löste sie eine Gegenreaktion der Gewerkschaftsmitglieder aus, als klar wurde, dass die Führung der CWU (Communication Workers Union) den meisten Forderungen von Royal Mail nachgegeben hatte.

Nach drei Abstimmungen, 18 Tage Lohnverlust an Streiktagen und über 400 suspendierten und entlassenen betrieblichen Gewerkschaftsertreter:innen und Mitgliedern, bedeutet die Vereinbarung einen Rückschlag in Bezug auf Löhne, Tarife und Arbeitsbedingungen.

Grundsätzlich ebnet sie den Weg für einen massiven Anstieg der Arbeitsbelastung, insbesondere für die Beschäftigten im Zustelldienst, und untergräbt die Kampfkraft der Gewerkschaften.

Aus diesem Grund haben einige CWU-Postangestellte und -Vertreter:innen eine Kampagne für die Belegschaft gestartet: Postangestellte sagen, stimmt mit Nein. Macht online mit, ladet das Bulletin herunter, um es an eure Kolleg:innen weiterzugeben, und beteiligt euch: www.tinyurl.com/PostiesSayNo.

Gewerkschaftsführer:innen kapitulieren

Auf den ersten beiden Seiten des Abkommens geht es um die katastrophale Lage von Royal Mail und darum, „das Schicksal des Unternehmens umzukehren“. Die Gier der Bosse hat das Unternehmen in den Ruin getrieben, aber die Vereinbarung stellt sicher, dass die Beschäftigten dafür zahlen, das Unternehmen wieder flottzumachen, und dass sie durch Erhöhungen der Arbeitsbelastung und Umstrukturierungen ihre Gewinne steigern können. Die CWU-Führerung wird die Kürzungen und Veränderungen in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit dem Management überwachen – und dann erwarten, dass die betrieblichen Gewerkschaftsvertreter:innen sie umsetzen.

Das Abkommen kann zu Recht als Niederlage bezeichnet werden. Die Führung hat den Streik für viermonatige Gespräche beendet, die zu nichts geführt haben. Für Arbeiter:innen enthält es kaum Positives. Viele begrüßen zwar die Zahlungen, aber bei steigenden Preisen bedeutet das Dreijahreslohnabkommen einen Reallohnverlust von über 10 Prozent. Der Rest akzeptiert, was die Bosse wollten oder hat ihre Forderungen (völlige Flexibilität, Fahrer:innen als Scheinselbstständige) nur dadurch „besiegt“, dass er ihnen auf halbem Wege mit Zugeständnissen bei der Arbeitsbelastung, 30 Minuten „formalisierter Flexibilität“ und saisonalen Arbeitszeiten entgegenkam.

Als eines der schlimmsten Zugeständnisse hat die Gewerkschaft die Zweistufigkeit der Belegschaft akzeptiert, d. h. neue Mitarbeiter:innen erhalten Verträge mit einer Arbeitszeit von mehr als 40 Stunden bei geringerer Bezahlung und Sonntagsarbeit. Persönliche digitale Assistent:innen und andere Daten werden als Anfang von der Geschäftsleitung für Leistungen und bestimmte Verhaltensweisen verwendet und missbraucht. Die Arbeiter:innen müssen die Worte über „unterstützende“ Ansätze für Anwesenheit und Leistung, „gesicherte Garantien“ oder noch schlimmer „gemeinsame Bestrebungen“ für die kürzere Arbeitswoche (wenn sie die Stunden für Neueinsteiger:innen erhöhen) in den Mülleimer werfen, wo sie hingehören, denn sie sind wertlos.

Die geopferten gewerkschaftlichen Vertreter:innen und Mitglieder sind nicht wieder eingestellt worden. Stattdessen wird ein „unabhängiger“ Richter, der selbst kein Freund militanter Gewerkschafter:innen ist, Lord Falconer, der 2016 für die gewerkschaftsfeindlichen Gesetze der Tories gestimmt hat, die Fälle überprüfen.

Das Abkommen trifft die Zusteller:innen besonders hart und wird die körperliche Arbeit im Freien ausweiten und viele aus dem Job drängen. Wie ein Zustellervertreter dies online fragte: „Im schlimmsten Fall kürzt eine Revision Hunderte Außendienststunden zur Erholung von den Gängen und macht sie länger plus 35 Minuten Streichung vom Innendienst und Anrechnung auf den Außendienst plus 2 Stunden länger im Winter plus 30 Minuten ,formalisierter Flexibilität’ an einigen Tagen. Man könnte also im Außendienst bis zu anderthalb Stunden länger als jetzt, um Weihnachten herum vielleicht sogar mehr, arbeiten.“

Einzuberechnen wären spätere Anfangszeiten bis zu 90 Minuten und Flexibilität, was bliebe dann noch übrig von „familienfreundlichen“ Schichten? Wenn man dann noch Anwesenheitszeiten, Verhaltensdaten, Kürzungen bei krankheitsbedingt vorzeitiger Verrentung zurechnet, kann Royal Mail schneller und billiger Arbeitskräfte loswerden, und mit dem zweistufigen Arbeitskräftesystem wird dem Unternehmen das gelingen.

Ein selektiver Ausverkauf

Die CWU-Führung sagt, sie wolle eine informierte Diskussion, damit Mitglieder eine informierte Entscheidung treffen können, aber während sie nicht bestimmte Fragen umgehen kann, sind andere (wie Zweiklassen-Arbeitskräfte, Verhaltensdaten, 20 – 35-minütige Kürzung für Innendienst bei Zustellungen), wenig bis gar nicht angesprochen worden. Die betrieblichen gewerkschaftlichen Vertreter:innen sollten darauf aber Antworten verlangen. Wenn diese nicht gegeben werden, könnte sich Royal Mail aus dem Abkommen herausstehlen, was bedeuten würde, seine Profitabilität auf unsere Kosten wiederherzustellen.

Das Abkommen läuft bis April 2025, doch seine Verpflichtungen zu keinen zwangsweisen Entlassungen sind kaum abzuschätzen angesichts der großen Anzahl von unbesetzten Stellen in Büros und billigen Berufseinsteiger:innen. Royal Mail sagt nur, dass sie „nicht plane“, Briefzentren auszulagern, zu verpachten und rationalisieren oder getrennte Paketgesellschaften zu gründen.

Das sind keine Garantien und neue, einschneidende Änderungen, ein einheitliches Großpaketnetz zu schaffen, wird mehr direkte Konkurrenz mit Anbieter:innen wie Amazon hervorrufen, wenn die Bosse noch sagen, wir seien 40 % überbezahlt und unausgelastet, und das wird  uns immer weiter in einen Dumpingwettbewerb treiben.

Die Gewerkschaftsführer Ward und Furey versuchen uns eine Vision zu verkaufen, wonach wir zum normalen Alltag mit einem stabilen sicheren Arbeitsplatz und ruhigem Leben zurückkehren können. Doch in Wirklichkeit wird es dauerhaft Veränderungen geben, die in der gemeinsamen Arbeitsgruppe vereinbart worden sind. Wenn das Abkommen nicht den Profiterwartungen entspricht, könnte Royal Mail sich sogar Stück um Stück aus der Vereinbarungen herausziehen, wie sie es letztes Jahr getan hat. Günstigstenfalls tickt die Uhr bis 2025 herunter zu einem neuen Kampf, mit untergrabener Kraft unserer Stärke an der Basis.

Die Alternative

Wenn es keine Zustimmung gibt, könnte die Gewerkschaft Royal Mail ein paar Zugeständnisse abringen. Aber die wirkliche Alternative zu diesem faulen Abkommen bedeutet, dass die Streiks wieder aufgenommen werden. Dieses Mal mit einem wirkungsvollen Plan, sie umfassend zu steigern, und Solidaritätskomitees aufzubauen, so wie es Workers Power von Beginn der Auseinandersetzungen an vertreten hat. Jetzt ist es an der Zeit, die Kampagne zur Wiederverstaatlichung von Royal Mail als CWU-Politik zu führen, den Bossen nicht zu gestatten, uns mit der Bankrottdrohung zu erpressen. Wenn wir dieses Abkommen jetzt annehmen, was würden wir tun können, wenn sie uns 2025 oder schon vorher wieder angreifen?

Ein Ablehnungskampagne könnte die Kräfte entfalten, die die CWU seit langem gebraucht hat: eine Basisbewegung, die die Gewerkschaften unter Kontrolle der Beschäftigten bringt, mit Abrufbarkeit und Facharbeiter:innengehältern für alle Funktionär:innen. Streikkomitees sollen an der Basis gebildet werden, um den Gewerkschaften von unten neues Leben einzuhauchen. Das würde uns nicht nur für Kampf und Sieg ausrüsten, sondern auch eine neue Führung aus den militanten Elementen fördern helfen, eine, die die Gewerkschaften am Arbeitsplatz verankert.

Teilt Eure Antworten und Erfahrungen mit oder kontaktiert uns für mehr Information über Workers Power: https://workerspower.uk/contact/. Artikel zur CWU in Workers Power: www.tinyurl.com/WPCWU.




TVöD/Bund und Kommunen: Bürokratie redet sich auch die Mitgliederbefragung schön

Mattis Molde, Infomail 1223, 20. Mai 2023

27 % haben sich beteiligt, 66 % haben zugestimmt, also 34 % abgelehnt. Rund zwei Drittel der ver.di-Mitglieder in Bundesverwaltungen, Behörden, kommunalen Einrichtungen und Unternehmen haben also den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen (TVöD/BK) angenommen.

Rund ein Drittel lehnte einen Abschluss, der deutlich unter der Inflationsrate blieb und einem Reallohnverlust gleichkommt, ab. Es durchschaute offenkundig das sozialpartnerschaftliche Spiel der Bürokratie. Zur Einschätzung des Abschlusses siehe: Tarifverhandlungen öffentlicher Dienst: Nein zum Abschluss!

Doch klar, zwei Drittel sind auch genug, um den Abschluss nachträglich zu legitimieren. Zwei Drittel sind Grund genug für die Verantwortlichen in ver.di, dem Ergebnis zuzustimmen, nachdem auch das Störmanöver der sächsischen Nahverkehrsbetriebe ausgeräumt war.

Solche Einwände am Ende eines umstrittenen Abschlusses sind übrigens so häufig, dass sie geradezu als Bestandteil des Tarifrituals bezeichnet werden müssen. Ob inszeniert oder nicht, auch der dreckigste Deal der Gewerkschaftsführung bekommt dadurch am Ende nochmal den Glanz des erkämpften Erfolges.

Und so wie Gewerkschaftsspitzen schon das Verhandlungsergebnis schönredeten und -rechneten, so wird natürlich auch das Ergebnis der Befragung zum Beweis für funktionierende „Demokratie“ umgedeutet.

Was bedeutet das Ergebnis?

Ist es 73 % egal, was rauskommt? Sind sie unentschieden? Zwischen „gut oder schlecht“ oder „schlechter Abschluss, aber was jetzt noch ändern“? Es gibt auf jeden Fall Gründe, sich nicht an der Befragung zu beteiligen, die keineswegs eine passive Zustimmung zum Kurs der Gewerkschaftsführung signalisieren, sondern Ausdruck von Unzufriedenheit sind, verbunden mit der Unfähigkeit, eine bewusste Kritik am Abschluss, am Ablauf der Tarifverhandlungen oder an der Gewerkschaftspolitik allgemein zu entwickeln.

Natürlich bildet die verbreitete Passivität auch der organisierten Gewerkschaftsmitglieder die Grundlage dafür, eine Passivität, die aber aufs Beste und bewusst von der Bürokratie in Gewerkschaft, Betriebs- und Personalräten gefördert wird, die immer behauptet, „für Euch“ zu handeln, was das „statt Euch“ mit einschließt. Nur angesichts dieser Situation liegt Christine Behle nicht falsch, die eine Quote von 27 % eine gute Beteiligung nennt. Schließlich ist die Befragung ja in keiner Weise bindend. Auf das Ergebnis hat, das war immer klar, ihr Resultat faktisch keinen Einfluss. Das niedrige Engagement der Mitglieder ist aber zugleich das, was die Bürokratie gerne will. Sie sollen nur dann und nur so aktiv werden, wie es in ihre Konzepte passt. Außerhalb von Tarifrunden ist für die Masse der Mitglieder im Grunde keine Engagement vorgesehen, das über die Bezahlung von Beiträgen hinausgeht.

Die Befragung als solche ist ja durchaus so gestaltet, dass sie den Einzelnen eine Entscheidung überlässt, die eigentlich der Beratung und Debatte bedarf. So besitzen die Gewerkschaftsführung (und die bürgerlichen Medien!) die Hoheit über die Informationen zum Verhandlungsergebnis. Kritik wird unterdrückt, Alternativen können nicht oder nur in vergleichsweise gut organisierten und aktiven Sektoren diskutiert werden. Für die Masse der Mitglieder findet eine Diskussion faktisch nicht statt.

Wir müssen die Befragung folglich danach bewerten, wie hoch die aktive Unterstützung für die Politik der Führung ausfällt, und die ist mit 17,82 % nicht wirklich berauschend. Mehr als 9 % bewusste Ablehnung stellen ein echtes Potential für eine oppositionelle und kämpferische Bewegung von unten dar. Dieses muss aber organisiert werden.

Das einzelne Mitglied – und als solches wird es ja befragt – kann kaum eine volle Analyse eines Abschlusses durchführen, dessen Inhalt schon ausreichend kompliziert gestaltet worden ist. Schon gar nicht kann es beurteilen, wie die Kampfbereitschaft bundesweit ist und potentiell entwickelt werden kann.

Dazu ist eine Bewegung nötig, die nicht nur Aktive an der Basis vernetzt und den Informationsvorsprung der Bürokratie versucht auszugleichen, sondern die auch eine konkrete alternative Strategie und Taktik in Tarifrunden entwickelt, die von den Interessen der Beschäftigten und nicht denen des Staates und der Arbeit„geber“:innen ausgeht, also letztlich auf einer anderen Politik als der SozialpartnerInnenschaft basiert.

Die – am Beispiel dieser Tarifrunde – für die Kündigung des Schlichtungsabkommens kämpft, das der Gegenseite das Heft des Handelns in die Hand gibt, gegen die Beteiligung an einer „Konzertierten Aktion“ Sturm läuft, bei der die Spitzen der Gewerkschaften Deals mit Kapital und Kabinett ohne jegliche politische Legitimation durch die Basis aushandeln, und die dafür eintritt, dass Mitgliederversammlungen über Verhandlungsergebnisse entscheiden.




Gericht erzwingt Absage des Bahnstreiks – EVG-Führung knickt ein

Martin Suchanek, Infomail 1222, 14. Mai 2023

Der Vorstand der Deutsche Bahn AG kann auf deutsche Gerichte zählen. Nachdem das Unternehmen die Gewerkschaft EVG und die Beschäftigten weiter mit Scheinangeboten hinhalten wollte, hatte die EVG einen 50-stündigen Warnstreik, beginnend am 14. Mai, beschlossen. So sollte der Druck auf den Konzern und andere Unternehmen im Kampf um die Tarifforderungen – 12 %, mindestens aber 650 Euro monatlich mehr für alle bei einem Jahr Laufzeit – erhöht werden.

Daraus wird nun nichts. Die Bahn AG versuchte am 13. Mai, den Warnstreik per Einlassung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/Main zu verhindern. Mit Erfolg: Die Richterin hatte laut Medienberichten in der Verhandlung mehrfach erklärt, dass sie den Streik für rechtlich problematisch halte. Mit dieser Verbotsdrohung im Raum verband das Gericht den „Vorschlag“ eines verpflichtenden Vergleichs zwischen Bahn AG und EVG. Die Bahn AG müsse, so der Vergleich, auf die Forderung nach Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohns für rund 2.000 Beschäftigte eingehen – dafür müsse der Streik vom Tisch und eine intensive Verhandlungsrunde über die „restlichen“ Forderungen starten.

Von diesen Forderungen der EVG ist keine zugesagt. Die Gewerkschaftsführung gab angesichts eines drohenden Streikverbots und der vom Gericht in den Raum gestellten zusätzlichen Drohung, dass im Falle eines Verbots auch Schadenersatzzahlungen für die anderen Warnstreiks in Millionenhöhe auf sie zukommen könnten, klein bei. Sie ließ sich schlichtweg erpressen.

Es gibt nichts zu beschönigen

Die Bahn AG errang einen klaren Sieg, was sie triumphierend auch selbst betont. Für sie hat sich der Gang vor Gericht gelohnt – zahlen sollen dafür die Beschäftigten.

Und die EVG-Spitze? Sie knickt ein. Ein Streik, der ohnedies abgeblasen wird, braucht schließlich nicht verboten zu werden. Sie verzichtet darauf, selbst vor Gericht für das Streikrecht zu kämpfen, sie lässt sich von dessen Drohszenarien einschüchtern – und sie verzichtet erst recht darauf, dessen unverhohlene Parteinahme für die Bahn AG, diesen klaren Akt von Klassenjustiz anzuprangern.

Da die EVG nicht wie eine vorgeführte Papiertigerin dastehen will, macht sie auch noch gute Miene zum bösen Spiel – und es damit noch schlimmer. In einer eigenen Presseerklärung entblödet sie sich nicht, die Niederlage als Erfolg auszugeben. So erklärt ihr Verhandlungsführer Loroch: „Schon die Androhung des Warnstreiks hatte Erfolg. Der Arbeitgeber hatte vor Gericht unmissverständlich erklärt, dass er unsere Forderungen zum Mindestlohn erfüllt. Auf Anraten des Gerichts haben der Arbeitgeber und wir einen Vergleich geschlossen.“

Der/Die Arbeit„geber“:in gibt einer Forderung nach und hält an der Ablehnung aller anderen fest. Dieser „Erfolg“ reicht – und die EVG setzt den Streik „vorerst“ aus.

Für die Beschäftigten bei der Bahn bedeutet das einen herben Rückschlag. Statt ihre eigenen Kräfte für die Tarifrunde und den Kampf gegen die drohende „Reform“ der Bahn zu stärken, knickt die Gewerkschaftsführung ein. Bei den kommenden Verhandlungen droht ein Ausverkauf durch den Apparat. Dazu müssen alle klassenkämpferischen Kolleg:innen jetzt klar und deutlich NEIN sagen. Vor Gerichten und in Mauschelrunden mit der Bahn AG wird nichts zu holen sein. Statt den schrittweisen Rückzug anzutreten und diesen schönzureden, muss von der EVG gefordert werden, die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und die Urabstimmung zur Durchsetzung der Forderungen möglichst rasch einzuleiten.

Darüber hinaus rächt sich die über Jahre von der EVG-Führung besonders intensiv betriebene Politik der Klassenzusammenarbeit mit Unternehmen und Regierung. 2015 unterstützte die EVG gegen andere Gewerkschaften und die Interessen der Arbeiter:innenklasse das Gesetz zur Tarifeinheit, also eine weitere massive Einschränkung des Streikrechts. Jetzt wenden sich genau jene Gerichte gegen die EVG, die ihre Spitze dereinst gegen andere in Stellung bringen wollte. Vertrauen in die Bürokratie ist also fehl am Platz.

Folgerungen

Für die Beschäftigen gilt es, zwei zentrale Schlussfolgerungen zu ziehen, gerade wenn es darum geht, wie der Kampf gegen den Konzern und die Klassenjustiz erfolgreich geführt werden kann:

1. Die bürgerlichen Gerichte stehen auf Seiten des Kapitals. Die gesamte Gewerkschaftsbewegung muss die Erpressung durch das Arbeitsgericht Frankfurt/Main verurteilen und eine Kampagne gegen jede Einschränkung des Streikrechts starten. Am 13. Mai traf es die EVG, morgen kann es jede andere treffen.

2. Müssen sich die kämpferischen Gewerkschafter:innen in der EVG (und auch in der GDL) organisieren und dafür eintreten, dass die Tarifrunde unter Kontrolle der Basis, von gewählten, abwählbaren und rechenschaftspflichtigen Tarifkommissionen und Streikleitungen geführt wird. Die gute Nachricht zum Schluss: Dazu gibt es einen ersten Ansatz: die Bahnvernetzung von Kolleg:innen aus EVG und GDL. Unterstützt die Kolleg:innen oder, noch besser, wenn ihr Bahner:innen seid, schließt Euch ihr an!