Gegen Ausverkauf des Hamburger Hafens

Bruno Tesch, Infomail 1245, 21. Februar 2024

Die Gewerkschaft Vereinigte Dienstleistungen (ver.di) hat für den 21.2.2024 zu einer Demonstration vor dem Hauptsitz des Hamburger Hafen- und Logistikbetreibers HHLA in der Speicherstadt gegen den Verkauf von großen Anteilen an die weltgrößte Containerreederei MSC (Mediterranean Shipping Company), einen schweizerisch-italienischen Konzern, aufgerufen. MSC will die bisher an der Börse gehandelten HHLA-Aktien aufkaufen und erhält zusätzlich 19,9 % vom Hamburger Senat, was ihre Anteile auf 49,9 % hochhieven würde.

Was steht auf dem Spiel?

Die weitere Privatisierung birgt in erster Linie hohe Risiken für die Beschäftigten. Denn MSC ist bekannt für seine rigorosen Praktiken bei der „Umstrukturierung“ von Personal und Arbeitsverdichtung, die das Unternehmen bei einer solch grenzwertigen Beteiligung, einer fast überbordenden Minorität, geltend machen könnte.

Darüber hinaus wendet sich ver.di auch gegen die Gefährdung von Interessen für die „Stadtgesellschaft“, denn nicht nur die HHLA, auch der Gesamthafen mit anhängenden Betrieben wäre betroffen. Der Hamburger Hafen, lange Zeit Vorzeigeobjekt und Identifikationsmuster für die Weltgeltung der Hansestadt, hat es mit Auslastungsschwankungen zu tun. Fehlende Instandhaltung des technisches Arsenals bedingt, dass immer wieder Teile des Fahrzeug- und Containergeschirrs an den Kränen stillstehen. Die Geschäftsführung drängt auf stärkere Zentralisierung und Automatisierung der Betriebsabläufe und damit Kostendämpfung, um im Containergeschäft wieder attraktiver zu werden. Die Reedereien wiederum können durch Absprachen ihre Marktmacht spüren lassen.

Der Deal wurde bereits im Vorjahr vom Hamburger Senat eingefädelt. Der sieht darin eine strategische Partner:innenschaft, um in einem Umbau des Hafenbetriebs mit mehr Rentabiltät und Effizienz gegen den weltweit steigenden Konkurrenzdruck die Fahrrinne zu verbreitern.  Der gesamte Containerbereich soll umorganisiert werden, um Einsparungen von bis zu 150 Millionen Euro zu erreichen.

Konkret würde das v. a. bedeuten, dass mindestens 400 Arbeitsplätze, laut ver.di-Rechnung sogar 718 Vollzeitstellen, künftig entfallen. Teams in den Terminals werden aufgelöst.

Seit diese Pläne bekanntgeworden sind, haben etliche Kolleg:innen  darauf reagiert und bereits „abgemustert“, weil sie angesichts der  Ungewissheit, ob sie nicht von Umschichtungen mit Lohneinbußen und gesteigerter  Arbeitsintensität oder gar Jobverlust betroffen sein werden, keine Zukunft mehr für sich und ihre Familien sehen.  So menschlich verständlich diese Abwanderungen auch sein mögen, sind sie doch das völlig falsche Signal.

Gegenwehr

Als die Mine vom geplanten Verkauf hochging, löste dies am 6.11.2023 eine spontane eintägige Arbeitsniederlegung der HHLA-Belegschaft aus. Diese wurde daraufhin kurzerhand von der bürgerlichen Justiz für illegal erklärt und zog Abmahnungen gegen Streikbeteiligte nach sich. Die Unterstützung der Gewerkschaften beschränkte sich auf nachfolgende Protestveranstaltungen. Die Mehrheit der derzeit noch rund 3.600 lohnabhängig Beschäftigten bei der HHLA lehnt den schmutzigen Deal nach wie vor vehement ab. Durch ihren Druck und den hohen Aufmerksamkeitswert für die Hafenthematik sieht sich die Gewerkschaft ver.di nun bemüßigt, unter dem Motto „Wir lassen uns nicht verraMSChen“ eine Demonstration anzusetzen.

Mit großer Teilnahme ist zu rechnen, denn auch die Betriebsräte von Burchardkai und Altenwerder haben nicht nur zur Beteiligung am Protest aufgerufen, sondern schon im Vorwege durch einen täglich erscheinenden Rundbrief unter dem Titel „Kaikante“ die Mitarbeiter:innen auf das Ereignis eingestimmt.

Natürlich ist zu erwarten, dass die Bürokrat:innen aus Gewerkschaft und Betriebsrat der Schlagseite einer nationalistischen bzw. provinziellen Sichtweise zuneigen werden und es bei punktuellen Protesten belassen.  Allerdings sind sie in diesem Zusammenhang aus den „Ewig grüßt das Murmeltier“-Tarifrundenmühlen ausgeschert und haben sich in ein politisches Fahrwasser begeben.

Diese Klippe hoffen sie, durch Appelle an die Regierenden (zumeist ja ihre sozialdemokratischen Parteifreund:innen) und das Hervorkehren ihrer Qualitäten als Verhandlungsprofis zu umschiffen. Wie bereit der Senat zum Einlenken ist, hat er ja bereits im November bewiesen, als seine Vertreterin Gespräche mit den Streikenden abgelehnt hat. Seither ist er keinen Deut von seiner Deallinie mit dem Privatinvestor abgewichen.

In den Mittelpunkt der Forderungen muss nicht nur die Bewahrung von öffentlichem Eigentum, sondern vor allem die Frage, wer kontrolliert es, gerückt werden. Dazu braucht es gewählte und jederzeit abrufbare Organe aus der Arbeiter:innenbewegung und eine Ausweitung von Kampfmaßnahmen, die sich nicht vom bürgerlichen Apparat und seinen Gerichten abschrecken lässt.

Diese Ausweitung muss sowohl räumlich wie auch thematisch angegangen werden. Die Streiks der Hafenarbeiter:innen im Sommer 2022 – auch an anderen Standorten – sind noch nicht vergessen. Hier liegt Potenzial, auf das die Aktivist:innen unter den HHLA-Beschäftigten zur Unterstützung und Verbreiterung der Kampffront zurückgreifen könnten. Ebenso notwendig ist das Andocken an verwandte Bereiche wie das Transport- und Verkehrswesen, das im Augenblick im angrenzenden Niedersachsen sich in Streikbewegung befindet.

Ferner bedarf es eines rationalen Seeverkehrskonzepts, das anstelle der selbst im nationalen Rahmen zunehmenden unsinnigen Konkurrenz mit weitreichenden Folgen für Beschäftigte und Natur (Elbvertiefung) die Güterströme international und rational regelt. Dies kann nur unter Arbeiter:innenkontrolle aller europäischen und Überseehäfen und Hinzuziehen von Expert:innen, die das Vertrauen der Beschäftigten genießen, erfolgen. Dieser Plan richtet sich sowohl gegen privates Kapital in Gestalt der Logistikkonzerne und Reedereien wie staatliches, z. B. des Ausverkäufers Senat.




Erfolgreicher Warnstreik bei der Lufthansa: Streik für die volle Erfüllung der Forderungen!

Mattis Molde, Infomail 1244, 9. Februar 2024

Am Mittwoch, 7.2.24, konnten mehr als 100.000 Passagier:innen an den Flughäfen Frankfurt/Main, München, Hamburg, Berlin und Düsseldorf nicht wie geplant fliegen. Der Warnstreik des Bodenpersonals der Deutschen Lufthansa, zu dem die Gewerkschaft ver.di aufgerufen hatte, zwang die Fluggesellschaft zur Absage von rund 90 Prozent der geplanten Flugverbindungen.

Wie immer denken die Bosse bei Streiks völlig selbstlos. Auch Lufthansa-Personalvorstand Michael Niggemann sorgen nicht die wirtschaftlichen Folgen für den Konzern und seine Bonuszahlung, sondern ganz uneigennützig sprach er gegenüber der FAZ von einem „bitteren Tag für unsere Fluggäste“ . Diese wären ja einfach zu vermeiden, würden er und seine Kolleg:innen die Forderungen der Beschäftigten erfüllen.

Berechtigte Forderungen

Diese sind völlig berechtigt: 12,5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Ebenfalls wird eine konzerneinheitliche Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro gefordert. Auch die Schichtarbeit soll aufgewertet werden.

Das zuletzt vorgelegte Angebot der Lufthansa sieht acht Nullmonate ohne Vergütungsentwicklung zu Beginn, niedrige Erhöhungsschritte und eine 36-monatige Laufzeit vor. Dieses würde im ersten Jahr beispielsweise eine durchschnittliche Erhöhung von weniger als 2 Prozent bedeuten. Zudem sollen Beschäftigte außerhalb der Lufthansa Technik eine geringere Inflationsausgleichsprämie erhalten.

Die Forderungen für die rund 25.000 vor allem bei der Deutschen Lufthansa, Lufthansa Technik, Lufthansa Cargo, Lufthansa Technik Logistik Services, Lufthansa Engineering and Operational Services Mitarbeiter:innen sind deshalb so berechtigt, weil über die Reallohnverluste hinaus, die alle Beschäftigten durch die Inflation erlitten hatten, die der Lufthansa besonders während der Coronakrise litten. Die Milliarden Staatsknete zur Rettung des Konzerns sicherten alles Mögliche, auch die Spitzengehälter der Vorstandsmitglieder ab, die Arbeitenden aber mussten bluten. Generell liegen viele Löhne an den Flughäfen nahe des Mindestlohnes, weil sie durch Ausgliederungen und Verkäufe von Firmen über Jahrzehnte gedrückt worden waren.

So gibt selbst ver.di-Verhandlungsführer Marvin Reschinsky in einer Presseerklärung vom 5.2.  zu, dass „schon heute die Beschäftigten bei der Lufthansa rund 10 Prozent weniger in der Tasche als noch vor drei Jahren haben. Trotz Rekordgewinnen soll sich diese Situation mit dem Angebot der Arbeitgeber weiter verschlimmern. Darauf und auch auf den Spaltungsversuch geben die Beschäftigten jetzt eine klare Antwort“. So richtig eine kämpferische Antwort bis hin zum Durchsetzungsstreik ist – bei ver.di muss dringend auch diese Bilanz hinterfragt werden. Nicht hinter verschlossenen Vorstandstüren, sondern von den Mitgliedern, denen diese Vorstandsleute Rechenschaft ablegen sollen!

Druck von unten ist besonders auch deshalb nötig, weil ver.di schon wieder die Bereitschaft zum Einknicken signalisiert: „Dieser Streik wäre unnötig, wenn Lufthansa den Bodenbeschäftigten die gleichen Erhöhungen zugestehen würde wie anderen Beschäftigtengruppen im Konzern,“ meint Reschinsky. Welche Tarifabschlüsse er auch immer damit anspricht, die der Pilot:innen, des Kabinenpersonals oder der Verwaltung – so viele Beschäftigte haben in letzter Zeit ganz schlechte Erfahrung mit ver.di gemacht: Ob Öffentlicher Dienst in Stadt, Land oder Bund, Post oder Häfen – die Abschlüsse waren Kilometer von der ursprünglichen Forderung entfernt.

Besondere Wachsamkeit ist auch bei der „Inflationsausgleichsprämie“ angebracht. Diese diente in allen bisherigen Abschlüssen dazu, die tabellenwirksame Erhöhung zu drücken und insgesamt Reallohnverlust zu vereinbaren. Diese steuer- und abgabenfreie „Prämie“ geht nämlich nicht in die Lohntabellen, Urlaubs- und Weihnachtsgeld und Schichtzulagen und auch nicht in die Rente ein. Sie fehlt auch bei Arbeitslosen-, Kranken- oder Elterngeld. Mogelpackung also.

Solidarität!

Alle Beschäftigten, besonders Gewerkschafter:innen, sollten mit diesem Streik solidarisch sein, denn den Kolleg:innen steht zu, was da gefordert wird. Die Aufforderung von Jost Lammers, dem Chef des Flughafens München und Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft BDL und des Airports Council International (ACI) Europe, dem europäischen Dachverband der internationalen Verkehrsflughäfen, „mit Augenmaß die weiteren Tarifrunden zu gestalten“, ist unverschämt angesichts des „Augenmaßes“ der Bosse bei Gewinnen und Vorstandsvergütungen. Seine Aussage „Das Streikrecht ist ein sehr hohes und wichtiges Gut. Es sollte aber das letzte Mittel sein“ ist im Zusammenhang mit Forderungen aus CDU und AfD, das Streikrecht zu beschneiden, als Drohung zu werten.

Der Rekordgewinn der Lufthansa wirft aber noch andere Fragen auf: Diese Gelder sind dringend nötig zum Ausbau von klimafreundlichen Verkehrsarten. Sie dürfen keinesfalls zur Erweiterung des Flugnetzes und der Erhöhung der Flüge genutzt werden und schon gar nicht darf dies mit geringen Gebühren subventioniert werden, wie der Lufthansa-Vorstand bei dieser Gelegenheit fordert.

Das sind die Gelder, die zum Beispiel die Kommunen und die Bahn brauchen, wo gerade ebenfalls Streiks stattfinden. Gerade ver.di sollte sich an die Spitze stellen im Kampf für ein zusammenhängendes Verkehrskonzept, das das Klima schützt, Mobilität für alle erlaubt und mit Lohndrückerei und Arbeitsüberlastung Schluss macht. 




Erklärung der VKG zur Bilanz der großen Tarifrunden

Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften, 19. Januar 2024, Neue Internationale 280, Februar 2024

Reallohnverlust trotz Kampfkraft und Mobilisierung – Die Lehren für kämpferische Gewerkschafter:innen

Die Tarifergebnisse seit Herbst 22 sind für alle großen Branchen sehr ähnlich. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns fragen, ob das Zufall ist. Wir müssen den Blick über den Tellerrand unserer Branche heben. Wir müssen uns fragen, ob die gewohnte Beurteilung von Tarifergebnissen so noch taugt.

Tarifforderungen orientieren sich immer hauptsächlich an der Inflation, in den Industriegewerkschaften auch an der Produktivitätssteigerung. Das Ergebnis wird daran gemessen, wie viele der Forderungen erfüllt worden sind. Innerhalb der jeweiligen Gewerkschaften geht es immer darum, ob mehr drin gewesen wäre. Von Seiten der kämpferischen Belegschaften und Mitglieder, genauso von der Gewerkschaftslinken gibt es seit Jahrzehnten die wiederkehrende Kritik, dass mehr hätte erreichen werden können, dass die Kampfkraft nicht ausgeschöpft worden sei.

Die übliche Argumentation der Tarifverantwortlichen und der Sekretär:innen war stets, dass nicht genug gekämpft worden sei, entweder von den Kritiker:innen oder von anderen Teilen der Mitgliedschaft oder auch von anderen Teilen des Gewerkschaftsapparates, der nicht so toll ist wie man selber. Letztlich gingen die Debatten immer darum, ob die fehlende Kampfkraft Schuld des Apparats oder der Kolleg:innen war.

Diese Art der Ergebnisdiskussion, die von allen Seiten die Frage der Kampfkraft ins Zentrum stellt, ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen, ja sie war im Grunde ein Teil des Tarifrituals geworden. Nach den letzten Tarifrunden müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir als kämpferische Kolleg:innen oder als Gewerkschaftslinke darüber hinausgehen müssen, denn diese Tarifrunden waren einfach etwas anders.

Keine Diskussion der Forderungen …

Es gibt seit Jahren eine Entwicklung in den DGB-Gewerkschaften, dass die Basis aus dem Prozess der Forderungsdiskussion und -aufstellung herausgedrückt wird. Bei der IGM durften zum Beispiel  nur vorgegebene  Forderungsniveaus angekreuzt werden, wobei 8 % das Höchstmögliche war – zu dieser Zeit war das gerade die aktuelle Inflationsrate. Die Zeiten, als einfach jeder Vertrauensleutekörper seine Forderungen auf einer örtlichen Funktionärskonferenz präsentieren und diskutieren konnte, sind lange vorbei.

Beim TV-L wurde diesmal eine neue Qualität erreicht. In GEW und ver.di wurden Diskussionen über die Forderungen zugunsten einer „Befragung“ abgesagt/verhindert (??).  Die dann von der Führung aufgestellte Forderung wurde in dieser Befragung nicht erwähnt, dann aber als „deren Ergebnis“ verkündet.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei. Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. [i]

Ergebnis abseits der Forderungen …

In den meisten anderen Branchen war das anders. Trotz aller Bemühungen der Führung, die Forderungen niedrig zu halten, hatte es bei Metall und Elektro, bei der Post, der Bahn oder dem TVöD eine lebhafte Debatte gegeben, angeheizt von der Inflation, den fetten Gewinnen in vielen Bereichen und den miesen Abschlüssen in den Jahren davor. Teilweise wurden die Forderungen sogar höher gedrückt. Aber im Rückblick war das vergeblich, denn offensichtlich waren für die Ergebnisse diese Forderungen nicht maßgebend.

Branche Gewerkschaft Laufzeit gefor-dert Laufzeit verein-bart 1. Tab.-Erhöh. nach x Monaten Einmal-zahlungen steuer- +abgabenfrei Tab.-Erhöhung Warnstreik, Streik , usw
Chemische Industrie IG BCE   27 14 1.500+1.500 3,25 %+3,25 % Fehlanzeige
Metall- und Elektroind. IG Metall 12 24 8 1.500+1.500 5,2 %+3 3 % Ca. 900.000 in Warnstreiks
Post Ver.di 12 24 14 In Summe 3.000 4,7 % 85,9 % für Streik in Urabstimmung, kein Streik
TVöD Ver.di 12 24 14 1.240+8*220 200+5,5 %(min 340 Euro) Starke Warnstreiks
Bahn EVG 12 25 9 2.850 200+210 2 halbe Tage Warnstreik Schlichtung 48 % gegen Schlichterspruch
TV-Länder Ver.di, GEW,.. 12 25 12 1.800+10*120 200+5,5 % Durchschnittlich 3 Tage Warnstreiks
Stahlindustrie IG Metall 12 22 14 1.500+10*150 5,5 % 18.000 in Warnstreiks, 30.000 in Tagesstreiks

Es ist nichts Neues, dass die Ergebnisse immer weniger mit den jeweiligen Forderungen vergleichbar sind. Andere Laufzeiten, die Vermengung von Festbeträgen, prozentualer Steigerung, Einmalzahlungen, Besserstellung einzelner Beschäftigtengruppen oder neue Sonderzahlungen wie bei der IGM haben einer Diskussion in der Mitgliedschaft schon die Grundlage weitgehend entzogen, die Ergebnisse mit den Forderungen wirklich zu vergleichen.

Die steuer- und abgabenfreien Einmalzahlungen („Inflationsausgleichsprämie“) als bestimmendes Element für das jeweils erste Jahr der Tariflaufzeit bringen noch eine neue Qualität hinzu: Sie wirken sich für jede/n individuell unterschiedlich aus.

Die Tatsache, dass aber in keiner Tarifrunde diese Einmalzahlungen gefordert oder bei der Forderungsaufstellung diskutiert wurden, obwohl gerade bei den Beschäftigten der Länder ja mit der Übernahme der Forderung von Bund+Kommunen klar war, dass die Übernahme des Ergebnisses angestrebt wird, zeigt noch mal mehr die tiefsitzende Verachtung der Gewerkschaftsführung für innergewerkschaftliche Demokratie.

Kampfkraft spielt offensichtlich keine Rolle

Aber nicht nur die Forderungsaufstellung hatte wenig Einfluss auf die Ergebnisse, auch der Verlauf der jeweiligen Tarifrunde. Ein Überblick über die großen Tarifrunden zeigt, dass sich die Ergebnisse sehr ähnlich sind, der Verlauf der Tarifrunden aber extrem unterschiedlich. Zum Zweiten enthalten alle steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, meist in Summe von 3.000 Euro, etwas, was in keiner einzigen Tarifforderung auch nur ansatzweise aufgetaucht war. Drittens haben alle mit erheblich längerer Laufzeit als gefordert abgeschlossen.

Die Tarifkämpfe, in denen, für sich betrachtet, die gezeigte und entwickelbare Kampfkraft am wenigsten genutzt wurde, um einen Reallohnverlust zu verhindern, waren Metall- und Elektroindustrie, Post, TVöD, Bahn(EVG) und Stahlindustrie.

Die Tarifrunde TV-L, die erst im Herbst 2023 abgewickelt wurde, war also nicht diejenige, in der die Mobilisierung der Beschäftigten am krassesten einem schlechten Ergebnis gegenüberstand. Der TV-Länder leidet nach wie vor daran, dass die Belegschaften in den Flächenländern schlecht organisiert bzw. verbeamtet sind, im Unterschied zu den Stadtstaaten. Aber aus ihrem ganzen Verlauf wurde klar, dass sie nach dem Willen der Gewerkschaftsführung genau zu diesem Ergebnis führen sollte, das abgeschlossen wurde: Auf die Unterdrückung der Forderungsdiskussion folgte die diktierte Übernahme der Forderung für den TVöD, dann die Übernahme desselben Ergebnisses, bis auf 25 statt 24 Monate Laufzeit.

Mehr Kampfkraft alleine hätte also dieses Ergebnis nicht verbessert, sondern nur schneller erreicht; Mit weniger Kampfkraft wäre vielleicht noch eine Runde Warnstreiks mehr nötig gewesen. Es reicht also nicht, wenn wir weiter über Kampfkraft und ihre Entwicklung reden, ohne zu verstehen, warum und wie dieser offensichtliche Zielkorridor für die Tarifergebnisse zustande kam und welche Konsequenzen wir daraus ziehen müssen.

Konzertierte Aktion

Die Erklärung für den besonderen Verlauf der Tarifrunden finden wir in der Konzertierten Aktion, einem Treffen von Regierung, Arbeit„geber“:innen-Verbänden und Gewerkschaftsspitzen. Von 1967 bis 1977 fanden auf der Basis des „Stabilitätsgesetzes“ regelmäßig entsprechende Treffen statt. Im Sommer 2022 wurde das Modell wieder aus dem Hut gezaubert. Eigentlich hatten diese Treffen keine Regeln, sie sind freiwillig. Aber wer hingeht und selbst Vorschläge macht, macht dann auch beim Gesamtpaket mit. In mehreren Paketen wurden im Sommer und Herbst alle möglichen Entlastungen für die verschiedensten Teile der Bevölkerung vereinbart, die dann z. B. von der Regierung umgesetzt wurden. Was die Kapitalvertreter:innen forderten, kann man sich leicht vorstellen – das, was sie eh ständig und laut für sich reklamieren. Ob sie sich zu irgendwas verpflichteten, bleibt unklar. Auf jeden Fall bekamen sie etwas geschenkt, nämlich die Möglichkeit, jedem/r Beschäftigten 3.000 Euro steuer- und abgabenfrei als Inflationsausgleich zu zahlen – statt diesen die dringend nötigen und von diesen stark eingeforderten Lohn- und Gehaltserhöhungen zuzugestehen.

Die Gewerkschaftsspitzen haben das nicht nur zugelassen, sondern pro-aktiv unterstützt. Es gibt sogar Gerüchte aus der IG BCE, dass diese Idee von Seiten der IG Metall und IG BCE eingebracht worden sei. Auf jeden Fall war das erklärte Ziel der Konzertierten Aktion (K. A.), die „Inflation zu bekämpfen“, was für Kapital und Regierung nie heißt, die Preiserhöhungen zurückzunehmen. Schon gar nicht 2021 – 2022, wo in kurzer Zeit die Preise, vor allem die Verbraucherpreise hochschnellten und das, nachdem die Gewerkschaften schon in der Coronakrise praktisch keine Lohnerhöhungen hatten durchsetzen können.

Dennoch haben sich die Gewerkschaftsspitzen dieser Logik der K. A. unterworfen. Für ein angebliches Gesamtinteresse des Landes wurden ganz offensichtlich durchgehend flächendeckende Reallohnverluste vereinbart. Das ist eine Verschärfung der üblichen Sozialpartner:innenschaft, die sich vor allem in Unterordnung unter bestimmte Branchenbedingungen, unter konjunkturelle Erscheinungen oder unter die Krisen einzelner Betriebe zeigt. Das ist mehr als die gewohnte Zurückhaltung im Kampf, das war die geplante Akzeptanz und Umsetzung eines nationalen Krisenprogramms, das voll zugunsten der herrschenden Klasse geht:

  • Ökonomisch, denn sie konnten ihre Gewinne sichern, z. T. beispielsweise in der Autoindustrie auf neue Rekordhöhen steigern;

  • politisch, weil es eine notwendige Antwort der Klasse auf die verbundenen Angriffe auf sie verhinderte: eine Bewegung gegen die Inflation, die Sozialkürzungen und gegen die Aufrüstung.

Dieses Ausbleiben einer solchen Bewegung ist letztlich der Grund für die massive Rechtswende in der Gesellschaft und auch in großen Teilen der Arbeiter:innenklasse. Statt Konzertierter Aktion hätte es eine von den Gewerkschaften angeführte Bewegung für „Brot, Heizung, Frieden“ geben müssen, um den Namen eines kleinen Versuches in diese Richtung zu benutzen.

Letztlich müssen wir davon ausgehen, dass es für Regierung und Kapital bei der K. A. nicht nur um die Inflation ging, sondern darum, die Gewerkschaften in das Programm einzubinden, Deutschland in der globalen Konkurrenz mit den anderen Großmächten USA, Russland, China usw. neu und aggressiver aufzustellen, aufzurüsten und Kriege vorzubereiten. Ob sie das wollten oder nicht, die Gewerkschaften sind da mit reingezogen worden.

Die Mogelpackung

Das Instrument für dieses Manöver war die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung. Die Regierung hat legalisiert, was normalerweise als Steuerhinterziehung und Sozialversicherungsbetrug schwer bestraft wird. Die Bosse haben sich gefreut. Die Gewerkschaften haben den Deal mitgemacht: Reallohnverzicht und Streikvermeidung für eine Einmalzahlung, die kurzfristig eine Geldklemme löst, aber nicht in tarifliche Sonderzahlungen (Urlaubs- und Weihnachtsgeld) eingeht, zukünftige Renten mindert, die Finanznot des Gesundheitswesens verschärft und von Menschen, die in der Folge Arbeitslosen-, Eltern- oder Krankengeld beziehen, zu 60 bzw 66 % zurückgezahlt wird.

Die Komplizenschaft der Gewerkschaftsspitzen wird deutlich daran, dass es kein einziges Stück Text gibt, das sich mit den Folgen dieser Zahlung auseinandersetzt.

Unter den halbkritischen Funktionär:innen gibt es schon ein paar kritische Bemerkungen dazu, die aber mit der Aussage, dass diese Zahlung „obendrauf“, also zusätzlich zu einer Tabellenerhöhung okay gewesen wäre, relativiert wurden. Diese Ansicht ist eine bewusste oder unbewusste Verschleierung der Realität. Diese Zahlung war nur für eine bestimmte Zeit zulässig und nur für einen bestimmten politischen Zweck gedacht. Niemand konnte bislang in irgendeiner Tarifrunde herkommen und vollen Ausgleich der Inflation in den Tabellen und dann noch steuerfreie Sonderzahlungen „obendrauf“ verlangen und niemand wird es zukünftig tun können. Die Gewerkschaften konnten auch nicht bei diesen Tarifrunden „obendrauf“ vereinbaren, weil sie dem Gesamtpaket zur Eindämmung der Inflation zugestimmt haben. Die steuer- und abgabenfreie Sonderzahlung ist nicht irgendein materieller/ökonomischer optionaler Baustein, sondern war das Schmierfett für eine politische Weichenstellung für eine noch engere Form der Sozialpartner:innenschaft, der direkten Unterwerfung unter das Kriegs- und Krisenprogramm der deutschen Bourgeoisie.

Unsere Antwort

Wir haben als VKG die Konzertierte Aktion kritisiert, aber wir haben ihre politische Bedeutung unterschätzt. Spätestens in der Metalltarifrunde war klar, wie das Strickmuster aussehen würde, und in dieser Runde haben wir das auch thematisiert. Ab diesem Zeitpunkt hätten wir eine Kampagne über alle Branchen gebraucht unter dem Slogan: Tabelle statt Mogelpackung Einmalzahlung! Absage an die Konzertierte Aktion und ihre Ergebnisse! Verbunden mit einer breiten Aufklärungskampagne über die finanziellen Auswirkungen und Anträgen, Unterschriftensammlungen etc. gegen die Mogelpackung und für die Aufkündigung der Konzertierten Aktion. Wir hätten klarmachen müssen, dass eine erfolgreiche Tarifrunde nur möglich wird, wenn der Rahmen der K. A. durchbrochen wird. Sozialpartner:innenschaft hat einen sehr konkreten Inhalt gehabt und sehr konkrete Form angenommen. Sie war nicht ganz die Dimension der Zustimmung zur Agenda 2010, die uns einen massiven Niedriglohnsektor, Hartz IV/Bürgergeld und eine endlose Zersplitterung der Tariflandschaft beschert hat, aber eine deutliche Steigerung über das übliche Niveau der Konfliktvermeidung und Klassenkollaboration. Wir hätten sie viel konkreter bekämpfen können und müssen.

Das wäre zugleich eine gute Gelegenheit für uns als VKG gewesen, diese Vermittlung der Erfahrungen aus der Chemie- und Metallindustrie für die anderen Branchen zu leisten. Auch wenn das manche Kolleg:innen anfangs schockiert hätte, hätten wir mit der Voraussage, auf welcher Schiene die Niederlagen organisiert werden würden, uns viel Vertrauen einbringen können.

Auch in Zukunft müssen wir uns mit einer Tarifpolitik auseinandersetzen, die nicht nach den Strickmustern des überholten Tarifrituals – mehr Mobi bringt mehr Ergebnis – funktioniert, sondern politisch determiniert wird. Das kann andere konkrete Schritte gehen, aber die Fragen der innergewerkschaftlichen Demokratie und die konkreten Abläufe werden auf jeden Fall eine Rolle spielen.

Wir müssen schon zu Beginn die Erfahrungen aufnehmen und klarstellen:

  • Forderungsaufstellung ohne Vorgaben von oben durch demokratische Debatte unter Kontrolle der Mitglieder, Vertrauensleute und Betriebsgruppen.

  • Demokratische Wahl der Tarifkommissionen. Stimmberechtigung nur für diejenigen, die dem Tarifvertrag unterworfen sind – also nicht für Hauptamtliche.

  • Keine Verschwiegenheits-, sondern Rechenschaftspflicht. Jederzeitige Abwahl durch die Gewerkschaftsmitglieder des entsprechenden Bereiches.

  • Öffentliche Verhandlungen.

  • Beim Auftauchen von Themen, die nicht Bestandteil der beschlossenen Forderungspakete waren, erneute Diskussion von unten nach oben, ob das als Thema überhaupt zugelassen wird.

  • Demokratische Wahl von Aktions- und Streikkomitees.

  • Vollständige Veröffentlichung der Verhandlungsergebnisse vor der Beratung und Urabstimmung.

  • Ersatzlose Kündigung von Schlichtungsvereinbarungen, so vorhanden.

Diese Forderungen zur Demokratisierung der Tarifbewegungen sind nicht alle neu, aber das verschärft undemokratische Vorgehen der Gewerkschaftsführungen rückt sie für die Zukunft mehr ins Zentrum.

Aber entscheidend für den Erfolg in zukünftigen Tarifrunden wird sein, dass die politischen Ziele ge- und erklärt werden müssen. Wir werden niemandem/r Ultimaten stellen und verlangen, dass man gegen den Krieg sein müsse, um in der Tarifrunde richtig kämpfen zu können. Aber wir müssen mit aller Deutlichkeit erklären, dass wir diese Tarifrunden verlieren sollen, damit die Steuerentlastungen und Subventionen für das Kapital und die Aufrüstung der Bundeswehr finanziert werden können.

Wir wenden uns mit dieser Bilanz an alle, die sich mit Ergebnissen und Abläufen der letzten Tarifrunden und dem Geld, der Kampfkraft und der Motivation, die dabei geopfert wurden, nicht zufriedengeben wollen. Diskutiert mit uns, macht mit beim Aufbau einer Vernetzung von kämpferischen Kolleginnen und Kollegen! Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde, wir müssen sie vorbereitet angehen!

Anmerkung

[i] Diese rigide Politik bezüglich der Aufstellung der Forderung und der Durchsetzung des Ergebnisses steht bei ver.di durchaus einer offeneren Gestaltung der Tarifrunden gegenüber: Die Einrichtung von „Tarifbotschafter:innen“ und „Arbeitsstreiks“ erlaubt der Basis mehr Gestaltung bei der Durchführung von Aktionen. Das ist an sich positiv und wird auch von vielen Aktivist:innen so wahrgenommen. Aber gerade der krass undemokratische Gesamtrahmen zeigt, dass die Führung hier offensichtlich nur eine Spielwiese für Aktivist:innen und linke Gewerkschaftssekretär:innen aufmachen wollte oder auf Druck von unten aufmachen musste.




Sieg dem GDL-Streik!

Martin Suchanek, Infomail 1243, 24. Januar 2024

Nichts oder jedenfalls fast nichts geht mehr. Der GDL-Streik steht und mit ihm der Bahnverkehr in ganz Deutschland. Sechs Tag wird der Ausstand dauern, der seit dem 22. Januar den Güterverkehr von DB Cargo und seit dem 23. Januar Personennah- und -fernverkehr lahmlegen wird.

Die Streikfront steht. Und zwar nicht, weil sich Claus Weselsky ein „Denkmal“ als besonders harter Gewerkschafter und Erzfeind des Bahnvorstandes setzen will. Wir wollen dabei keineswegs in Abrede stellen, dass er zum Abschied seiner Vorsitzendenlaufbahn noch einmal zeigen will, wo der Hammer hängt, persönliche Motive mit dem Kampf verbindet. Doch was wäre schon so schlimm daran, wenn auch alle anderen Gewerkschaftsvorsitzenden ihre Karriere mit einem harten Streik statt wachsweichem Verhandlungsgedöns ausklingen ließen.

Dass die GDL-Mitglieder Weselsky und ihrer Gewerkschaft folgen, hat schließlich vor allem leicht nachvollziehbare rationale Gründe – und diese kennen alle, die bei der Bahn arbeiten: Personalmangel, schlechte Arbeitsbedingungen, Schichtdienste, Überstunden. Hinzu kommt die Inflation angesichts von Gehältern, die auch bei der Bahn nicht üppig ausfallen, wenn man nicht gerade im Vorstand sitzt. Und schließlich müssen die Beschäftigten alle Mängel des wegen jahrzehntelanger Einsparungen ausgedünnten, ausgezehrten Systems Bahn auch noch ausbaden – sei es durch Überstunden und Stress, sei es, indem sie den berechtigten Unmut der Kund:innen stellvertretend für jene entgegennehmen müssen, die für die Misere der Bahn verantwortlich sind.

Am Scheideweg?

Die Verschärfung des Arbeitskampfes stellt zweifellos die richtige Antwort auf die Hinhaltetaktik des Bahnvorstandes dar. Die „großzügigen Verhandlungsangebote“ der Deutschen Bahn sollen vor allem in der Öffentlichkeit Entgegenkommen signalisieren. Von einer 35-Stunde-Woche und Verhandlungen für weitere Beschäftigtengruppen will sie partout nichts wissen – und ihre Ignoranz wird sie im Zweifel wahrscheinlich versuchen, vor Gerichten mit Verweis auf das Gesetz zur Tarifeinheit durchzusetzen.

Um selbst nicht als „stur“ dazustehen, hat die GDL ihrerseits noch am 22. Januar einen Kompromissvorschlag vorgelegt, den die Bahn jedoch als „Maximalforderung“ abgetan hat. Dabei geht es der GDL-Führung allem Verbalradikalismus Weselskys zum Trotz durchaus um einen Kompromiss, der sich an den Abschlüssen bei Netinera Deutschland (u. a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead orientiert.

Ab 2028 kommen dort die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit, eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten, eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro, Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die Laufzeit der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Das zeigt, dass die GDL durchaus kompromissbereit wäre, und der Wegfall des Wahlmodells für zusätzlichen Urlaub wird sich für viele Kolleg:innen noch als echter Rückschlag entpuppen. Bei der Bahn wird der Kampf freilich heiß, weil die GDL auch in ihrem Wirkungsbereich durch das Tarifeinheitsgesetz eingeschränkt blieben soll. Während sie bei den Privatbahnen längst als „verlässliche“ und auf Geheimverhandlungen setzende Sozialpartnerin anerkannt ist, ist die EVG bei der Bahn Sozialpartnerin Nr. 1. Die GDL muss sich dort kämpferischer und militanter geben, als ihre Führung es letztlich sein will.

Doch genau deshalb birgt der Kampf Konfliktpotential, das ihn weiter treiben kann, als es beiden Seiten – Bahnvorstand und GDL-Führung – lieb ist. Nachdem beide Seiten der anderen Unversöhnlichkeit vorwerfen, lässt sich schwer vermitteln, wenn sie doch über die „Provokation“ der anderen Seite verhandeln. Ein Abschluss, den beide als „Sieg“ verkaufen können, rückt damit in die Ferne, auch wenn natürlich beide für solche „Wendungen“ jederzeit gut sind, beispielsweise durch eine „neutrale Vermittlung“, die „alles“ zum Gesprächsgegenstand erklärt.

Daher stellt sich für die GDL-Mitglieder und Streikenden, aber in Wirklichkeit für alle Beschäftigten bei der Bahn (und letztlich auch weit darüber hinaus), die Frage, wie es nach dem Streik weitergehen soll.

Die Taktik der GDL auf, wenn auch mehrtätige, so doch befristete Streiks zu setzen, wird früher oder später an eine Grenze stoßen. Ob der Bahnvorstand das ausreizen will, ist zwar ungewiss, aber nicht unmöglich. Hinzu kommt, dass sich die Führung der EVG bei der Bahn einmal mehr gegenüber den streikenden GDLer:innen extrem unsolidarisch verhält, diese bei den Kolleg:innen anschwärzt, und EVGler:innen, die sich mit dem GDL-Streik offen solidarisieren, wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt, madig macht.

Der EVG-Vorstand wiederholt die Politik der GDL-Führung, die auch jede Solidarisierung ablehnte mit den EVG-Warnstreiks ablehnte und diese trotz Streikverbots als „Schmierentheater“ denunzierte. Hinsichtlich der Spaltung der Belegschaft kann sich der DB-Vorstand jedenfalls auf „seine“ Gewerkschaftsführer:innen verlassen.

Volle Kampfkraft für die Forderungen!

Für die Streikenden der GDL stellt sich als die Frage, wie sichergestellt wird, dass die volle Kampfkraft für sämtliche Forderungen – 35 Stunden Woche, 555 Euro monatlich, 3.000 Euro Einmalzahlung bei einer Laufzeit von 12 Monaten – eingesetzt werden kann. Das erfordert einen unbefristeten Streik. Und es erfordert die Kontrolle der Streikenden über den Arbeitskampf und etwaige Verhandlungen – also regelmäßige Vollversammlungen, Wahl, Abwählbarkeit und Rechenschaftspflicht der Streikleitungen und vor allem auch der Verhandlungskommission. Schließlich müssen die Beschäftigen entscheiden, ob sie ihre Forderungen erstreiken wollen oder sich zu einem Kompromiss wie bei den Privatbahnen gezwungen sehen. In jeden Fall darf das nicht von der Verhandlungskommission oder Weselsky im Alleingang entschieden werden.

Für die Beschäftigen der Bahn und vor allem für die EVG-Mitglieder muss die Parole lauten: Solidarität mit dem GDL-Streik! EVG-Mitglieder können und sollen sich auch beteiligen, sie dürfen sich in keinem Fall als Streikbrecher:innen missbrauchen lassen. Kämpferische und solidarische Gewerkschafter:innen sollten in ihren Betriebsgruppen ähnliche Beschlüsse fassen wie die EVG-Betriebsgruppe DB Systel Frankfurt und den EVG-Vorstand mit der Forderung bombardieren, sich mit der GDL zu solidarisieren. Das gilt natürlich auch für sämtliche anderen DGB-Gewerkschaften.

Bei der Bahn ist das aber besonders wichtig, weil ein GDL-Erzwingungsstreik auch die Solidarität aller Beschäftigen, aller Gewerkschafter:innen brauchen wird. In der EVG und unter den Bahnbeschäftigten braucht es Versammlungen von Abteilungen und Betriebsgruppen, um nicht nur die Solidarität mit der GDL zu erklären, sondern auch die Forderung zu erheben, selbst den Kampf um eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich für den gesamten Konzerne aufzunehmen, so also den Kampf und die Streikfront direkt auszuweiten – und letztlich auch gemeinsame, gewerkschaftsübergreifende Streikkomitees zu bilden.

Tarifauseinandersetzung zu gesellschaftlichem Kampf machen!

Eine solche Solidarisierung ist auch aus einem anderen Grund unerlässlich. Gegen den 6-tägigen Streik machen mittlerweile fast alle bürgerlichen Medien, die Vertreter:innen der Ampel wie die bürgerlichen und rechten Oppositionsparteien Stimmung. Täglich „erfahren“ wir, dass der Streik nicht nur „die Wirtschaft“ maßlos schädige, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung finde, dass das alles jetzt „zu weit ginge“.

Verkehrsminister Wissing macht sich für eine Schlichtung stark, so dass endlich verhandelt werden könne. Die Tagesschau fordert in einem Kommentar, „der Gesetzgeber sollte dem Treiben langsam Grenzen setzen, damit Millionen Bahnkunden nicht länger die Leidtragenden sind.“ Die CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, macht die GDL nicht nur als eindeutig Schuldige aus, sondern fordert auch gleich eine Einschränkung des Streikrechts durch verpflichtende Schlichtung bei kritischer Infrastruktur.

Diese Forderungen und Drohungen sind nur der Vorgeschmack darauf, was kommt, wenn die GDL einen unbefristeten Streik ausrufen würde. Diesem Druck können die GDL-Mitglieder und Streikenden letztlich nur standhalten, wenn sich die Bahnbeschäftigten, aber auch alle anderen Gewerkschaften mit ihnen solidarisieren und Solidaritätskomitees aufbauen, die gegen die Stimmungsmache der Herrschenden Gegenöffentlichkeit schaffen, die Pendler:innen, Kund:innen, letztlich die gesamte Bevölkerung durch Kundgebungen, Demonstrationen, Flugblätter, Arbeit in sozialen Medien aufklären.

Das würde aber erfordern, dass der Arbeitskampf nicht nur als reiner Tarifkampf betrieben wird, sondern als gesellschaftliche Auseinandersetzung, die auch jeder Privatisierung und weiteren kapitalistischen „Bahnreform“ den Kampf ansagt, für massive Investitionen in den Betrieb und in Personal sowie kostenlosen öffentlichen Nahverkehr eintritt, finanziert aus der Besteuerung der Reichen und Gewinne der privaten Großkonzerne!




GDL-Streik: Volle Durchsetzung der Forderungen, oder?

Leo Drais, Neue Internationale 280, Februar 2023

Seit dem 10. Januar legten die Mitglieder der GDL bundesweit für drei Tage den Bahnverkehr lahm. Die Streikfront stand fest, fast nichts ging mehr bei der Bahn. Denn die Beschäftigten mussten in den letzten Jahren nicht nur Reallohneinbußen hinnehmen, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen sind angesichts von Schichtarbeit, Überstunden Streik und Kampf der Gewerkschafter:innen verdienen die Solidarität und Unterstützung der gesamten Arbeiter:innenklasse – auch der DGB-Gewerkschaften!

Wie bei jedem Arbeitskampf bei der Bahn, also auch den Warnstreiks der EVG, hat es sich der Konzern auch diesmal nicht nehmen lassen, zu sabotieren, herauszuzögern und die GDL vors Arbeitsgericht zu zerren. Im Unterschied zum verbotenen EVG-Streik im vergangenen Sommer war die Staatsjustiz der GDL erst- wie zweitinstanzlich wohlgesonnener und erlaubte den Streik, was sicher auch an der rechtlich besseren Absicherung der GDL liegt.

Sie hatte – und darin unterscheidet sie sich bei der Bahn positiv von den Tarifrundenritualen der DGB-Gewerkschaften – die Verhandlungen schnell eskalieren lassen und eine Urabstimmung durchgeführt. Nach dem Weihnachtsfrieden wurde gestreikt – nicht unbefristet und nicht, ohne am Montag und Dienstag die An- und Abreise für die rechten Apparatschiks des deutschen Beamtenbundes (die GDL ist hier Mitgliedsgewerkschaft) zur Jahrestagung in Köln sichergestellt zu haben. Man bestreikt sich ja nicht selbst, sprich, den eigenen Apparat. So wichtig die Solidarität mit dem Streik, so wenig sollten wir freilich blauäugig sein gegenüber der Politik der GDL-Führung.

Volle Durchsetzung der Forderungen oder des Netinera-Abschlusses?!

Das Paket „Fünf für Fünf“ (fünf Forderungen für fünf Berufsgruppen), mit dem die GDL ins Rennen ging, belief sich auf 555 Euro mehr in der Tabelle, darunter deutliche Entgelterhöhung für Azubis; Zulagen + 25 %; 35-Stunden-Woche für Schichtarbeitende (inkl. Wahlrecht für Beschäftigte zwischen 40- und 35-Stundenwoche); Inflationsausgleichsprämie 3.000 Euro; 5-Schichten-Woche, 5 % Arbeit„geber“:innenanteil für die betriebliche Altersversorgung; nach 5 Schichten, spätestens nach 120 Stunden, muss der nächste Ruhetag beginnen (Mindestfrei: 48 Stunden); 12 Monate Laufzeit.

Doch wird das jetzt durch einen Erzwingungsstreik durchgesetzt? Nein. Bereits jetzt ist klar, dass die Abschlüsse bei Netinera-Deutschland (u a. ODEG und vlexx; Töchter der italienischen Staatsbahn Trenitalia), metronom und Go-Ahead als Vorbilder dienen sollen.

Was steht dort drin? Ab 2028 kommt die 35-Stunden-Woche, bis dahin schrittweise Anpassung der Arbeitszeit; eine Inflationsausgleichsprämie über 3.000 Euro in zwei Schritten; eine Entgelterhöhung 2024 in zwei Schritten um brutto 420 Euro; Zuschläge +5 %. Die Entgeltlaufzeit beträgt 24 Monate, die der Arbeitszeit geht bis Ende 2027. Erkauft wird das Ganze wohl damit, dass das Wahlmodell mit zusätzlichem Urlaub wegfällt – die kürzere Arbeitszeit bringt unterm Strich zwar mehr Freizeit, aber eben bestimmt durch Dienstpläne und nicht nach den selbst ausgewählten Urlaubszeiträumen, wobei über diese letztlich auch die Disponent:innen und Personaleinsatzplaner:innen entscheiden.

Und auch wenn das Ganze sicher kein vollendeter Verrat ist, ist es mit Sicherheit auch kein „historischer Abschluss“, wie die GDL titelt. Die Reallohnverluste der vergangenen drei Jahre werden damit nicht ausgeglichen werden. Die Streikbeteiligung bei DB, Transdev und City-Bahn dürfte trotzdem hoch sein, während bei Netinera kein:e Kolleg:in die Möglichkeit hatte, über den „historischen Abschluss“ in einer Urabstimmung zu entscheiden. Die sonst so laute GDL-Spitze rühmt sich hier damit, dass sie auch leise könne. Am Ende ist sie eben eine Sozialpartnerin wie andere Gewerkschaften auch. Netinera warb Lokführer:innen sogar damit, dass Claus Weselsky ODEG fahren würde, wäre er noch Lokführer.

Bis zum 20. Januar hat die GDL weitere ähnliche Tarifverträge mit Abellio Rail und anderen privaten Unternehmen abgeschlossen. Während Weselsky durchaus zu Recht über den Bahnvorstand herzieht, überhäuft er die privaten Bahnunternehmen mit Lob. „Alle Unternehmen haben lösungsorientiert gehandelt und so die Abschlüsse ermöglicht“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 19. Januar. Kurzum, wird die GDL als echte Sozialpartnerin anerkannt, braucht es auch keine Streiks. Dann reicht in guter deutscher Manier ein Verhandlungsmarathon.

Nach den Warnstreiks vom Januar hat die Bahn AG ein neues Verhandlungsangebot vorgelegt, auf das bei Drucklegung noch keine Reaktion der GDL vorliegt. Deutlich ist jedoch eines: Der GDL geht es nicht um die Durchsetzung der vollen Forderungen bei der Bahn, sondern darum, dass diese die Abschlüsse der privatisierten Konkurrenz übernimmt.

Linke sollten also keine Illusionen hegen. Auch bei der GDL gibt es weder Streikdemokratie noch jederzeit wähl- und abwählbare Gremien. Gerade deshalb müssten wir fordern: volle Durchsetzung der Forderungen durch einen unbefristeten Erzwingungsstreik. Das wäre im sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftssumpf der BRD in der Tat mal historisch.

Nur Tarif?

Trotzdem muss man natürlich anerkennen, dass die Abschlüsse der GDL besser sind als die der EVG. Wie schon in der Vergangenheit erscheint Letztere als Konkurrentin, der es Mitglieder abzuluchsen gilt. Dass die DB weiterhin das schändliche Tarifeinheitsgesetz anwendet, gießt hier weiter Öl ins Feuer – war das Gesetz nicht zuletzt auch von DGB-/SPD-Spitzen durchgesetzt worden. Auch der EVG-Vorsitzende Burkert hatte dem als Bundestagsabgeordneter zugestimmt.

Dass die GDL als kämpferischer Stern am deutschen Gewerkschaftshimmel prangt, liegt zum einen an ihren in Relation zu anderen Abschlüssen betrachteten vergleichsweise guten Erfolgen. Es ist aber eben eine relative Betrachtungsweise, in der eigentliche Eisenbahnzerstörer:innen und sozialpartnerschaftliche Füße-Stillhalter:innen – nichts anderes ist auch die Spitze der GDL – als Held:innen erscheinen, weil die EVG-Spitze und ihre Vorgänger:innen bei Transnet (Stichwort Norbert Hansen) einfach noch beschissener waren.

Es gehört zu den Paradoxien des deutschen Klassenfriedens, dass CDU-Mitglied Claus Weselsky sich mit einer angehaucht klassenkämpferischen Rhetorik als glaubwürdigster Arbeiter:innenführer stilisieren konnte. Dass die CDU eine wesentliche Zerstörerin der Eisenbahn in Deutschland war, 16 Jahre die Union das Autoministerium führte, sie das Tarifeinheitsgesetz mit verabschiedet hat – all das hat ihn nie sein Parteibuch abgeben lassen.

Und das ist kein Zufall. Im Verständnis des großen Vorsitzenden Claus ist der Markt gar nicht das Problem für die Bahn, solange es Gewerkschaften gibt, die für einen „fairen“ Preis der Ware Arbeitskraft sorgen. Dass die GDL da im vergangenen Sommer mit der „Fair-Train e. G.“ eine eigene Leiharbeitsfirma gegründet hat, ist nur folgerichtig.

Auch wenn es Claus Weselsky bestreitet – die GDL ist auch eine politische Kraft. Sie ist für die weitere Zerschlagung des Eisenbahnsystems, sprich der DB. Die GDL hat kein Problem mit hunderten EVU (Eisenbahnverkehrsunternehmen), solange diese mit ihr Abschlüsse tätigen. Doch genau diese hunderte EVU sind Teil der Eisenbahnkrise in Deutschland – nicht nur die verfluchte DB. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man sie noch weiter aufteilt.

Zudem verschwimmt hinter Weselskys gewerkschaftlicher Rolle sein leidenschaftlicher Konservatismus. Er beriet das AfD-Absprengsel Bündnis Deutschland und eine Distanzierung von AfD-Mitgliedern in den eigenen Reihen lehnt er ab – das sei nicht Aufgabe der Gewerkschaften.

Natürlich ist die GDL mehr als nur Claus Weselsky. Die Ortsgruppe der S-Bahn-Berlin ist vergleichsweise links und die GDL Mitglieder allgemein spiegeln wahrscheinlich einfach durchschnittliches gewerkschaftliches Bewusstsein wider, was, bedingt durch das Charisma ihres Vorsitzenden und die passablen Abschlüsse, stolz auf seine Mitgliedschaft ist. Mit dem baldigen Ruhestand Weselskys stellt sich hier die Frage, wer in seine großen Fußstapfen folgen soll. Ob es wirklich Mario Reiß wird, bleibt abzuwarten – jüngst kam heraus, dass er es war, der als GDL-Mitglied im Aufsichtsrat des sonst so verfluchten DB-Konzerns 2022 zugestimmt hatte, die Vergütung des DB-Vorstandes zu erhöhen, während die GDL sonst nicht müde wird, die Bonuszahlungen von Lutz, Seiler und Co. anzuprangern. Nicht genug damit – die Mitgliedschaft wurde obendrein belogen und die Zustimmung zu den Vorstandsgehältern den Aufsichtsratsmitgliedern der EVG in die Schuhe geschoben (die ihrerseits auch nicht den Arsch in der Hose hatten, abzulehnen, sondern sich bloß zu enthalten).

Eine Gewerkschaft, eine Eisenbahn

Natürlich verdient die GDL, verdienen die Kolleg:innen unsere Solidarität, erst recht die der EVG-Mitglieder. Eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wäre definitiv ein Zugewinn, erst recht in einem von Wechselschichtarbeit geprägten Berufsleben. Gegen die Angriffe des DB-Konzerns, der nicht nur den Streik mit einer einstweiligen Verfügung stoppen wollte, sondern mit Verweis auf „Fair-Train e. G.“ der GDL auch generell die Tariffähigkeit richterlich absprechen lassen will, gehört jene verteidigt.

Zugleich dürfen wir nicht kritiklos in den „Claus, Claus, Claus“-Chor einstimmen. Politisch ist die GDL die rechtere der beiden Bahngewerkschaften. Strukturell undemokratisch ist sie ähnlich wie die EVG, vielleicht noch eine Spur autoritärer. Wer einfach nur das bessere Angebot für den eigenen Geldbeutel sucht, wird vielleicht zur GDL gehen, vielleicht auch nicht, je nach Tarifeinheitsgesetz und DB-Betrieb.

Wer jedoch wirklich eine funktionierende Bahn mit guten Löhnen und selbstbestimmter Organisation haben will, muss einen Kampf in GDL wie EVG für eine einzige, basisdemokratische Verkehrsgewerkschaft führen. Anstatt sich gegeneinander aufzubringen oder aufbringen zu lassen, sollten sich die Basiseinheiten beider Gewerkschaften mal zusammentun und darüber diskutieren: Was für eine Bahn, was für eine Gewerkschaft brauchen und wollen wir? Viele private EVU auf marodem Netz oder doch eine staatliche europäische Bahn ohne Profitzwang? Mit einer Gewerkschaft, die sich nicht nur auf Tarif konzentriert, sondern beginnt, in der Organisation der Eisenbahn und der Verkehrswende eine entscheidende Rolle in Planung, Bau und Betrieb zu spielen, indem sie für Arbeiter:innenkontrolle über die Bahn kämpft.

Auf dem Weg dahin liegt noch nicht mal der Schotter, geschweige denn ein befahrbares Gleis. Wir müssten es selbst bauen. Und große Vorsitzende werden uns dann im auch im Weg stehen.




Tarifvertrag Länder: Ausverkauf neu aufgelegt

Mattis Molde, Infomail 1238, 12. Dezember 2023

Das Ergebnis der Tarifverhandlungen ist nicht wirklich eine Überraschung. Nachdem in ver.di und der GEW die gleiche Forderung wie beim TVÖD, dem Tarifvertrag für die Beschäftigten beim Bund und bei Kommunen, aufgestellt worden war, war klar, dass die Gewerkschaftsführung dieses Ergebnis auch für die Beschäftigten bei den Ländern anstrebt.

„Mit diesem Ergebnis knüpfen die Beschäftigten der Länder an die Tarifentwicklung bei Bund und Kommunen an.“, sagt der Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Werneke. Mehr sollten sie wohl auch nicht bekommen:

  • Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro in Teilzahlungen. 1800 Euro davon sollen bereits in diesem Dezember fließen, weitere 120 Euro dann jeweils in den Monaten von Januar bis Oktober 2024.

  • Für Auszubildende, Dualstudierende und Praktikant:innen gäbe es dementsprechend 1000 Euro im Dezember 2023 und sie erhalten von Januar bis Oktober 2024 jeweils 50 Euro pro Monat.

  • Zum 1. November 2024 sollen die Entgelte in einem ersten Schritt um einen Betrag von 200 Euro angehoben werden.

  • In einem zweiten Schritt soll im Februar 2025 der dann erhöhte Betrag noch einmal um 5,5 Prozent steigen. Die gesamte Erhöhung soll allerdings in jedem Fall 340 Euro betragen (was nur für ganz wenige in der Entgeltstufe 1 zutrifft ).

  • Die Laufzeit soll sich auf 25 Monate (bis 30.10.2025). erstrecken, also einen Monat länger als beim TVÖD.

Im März hatte Werneke den damaligen Abschluss so gelobt: „Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist“.

Das ist damals wie heute eine Lüge. Der Abschluss bedeutet einen heftigen Reallohnverlust. Die prozentuale Steigerung auf 12 Monate bezogen, liegt zwischen 4,2 und 8,1 Prozent, für die Mehrheit der Beschäftigten bei 5-6 Prozent. Das liegt unter der Inflation der letzten 2 Jahre und vermutlich auch der kommenden Zeit. Zur Erinnerung: Für die vergangenen 24 Monate hatte es gerade mal 2,8 Prozent gegeben und eine steuerfreie Prämie von 1300 Euro.

Einmalzahlungen

Die Einmalzahlungen von insgesamt 3000 Euro sehen auf den ersten Blick gut aus. Das ist jedoch eine mehrfache Täuschung:

  • Dieser Betrag geht wieder nicht in die Tabelle ein. Das Gesamteinkommen über die Laufzeit des Tarifvertrages fällt also nach dessen Ende automatisch. Die erreichten Preiserhöhungen werden mit Sicherheit nicht wieder entfallen.

  • Er geht auch nicht in Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld ein und in alle Zulagen, die sich prozentual auf das Grundgehalt beziehen.

  • Auch in den vergangenen Jahren waren in den Tarifverträgen Einmalzahlungen von insgesamt 1300 Euro vereinbart worden, die jetzigen sind also teilweise nur eine Fortsetzung dieser Zahlungen. Eine „Entwicklung“(Werneke) stellen nur weniger als 1700 Euro dar, die, bezogen auf 25 Monate, knapp 70 Euro „Inflationsausgleich“ monatlich darstellen.

  • Aus diesen Einmalzahlungen werden keine Rentenbeiträge abgeführt. Die Beschäftigten zahlen also auch mit zukünftigem Rentenminus;

  • Weil diese Prämie kein „regelmäßiges Einkommen“ darstellt, wird sie auch nicht bei „Transferleistungen“ berücksichtigt, z.B. Elterngeld, Arbeitslosengeld oder Krankengeld. Wer z.B. am 1.11. 2024 in Elternzeit geht, erhält 150 Euro weniger Elterngeld im Monat als wenn sie/er eine Gehaltserhöhung von 3000 Euro netto während des ersten Jahres der Tarifvertrags- Laufzeit bekommen hätte. Der Staat holt sich als einiges davon zurück, so bei Eltern, Leuten, die länger krank sind oder arbeitslos werden.

Diese Inflationsausgleichprämie war als gesetzliche Möglichkeit bei der „Konzertierten Aktion“ (also einvernehmlich zwischen Regierung, Gewerkschaften und den KapitalvertreterInnen) im Herbst 2022 ausgehandelt worden, und sie fließt seitdem in alle Tarifverträge ein, ohne von Gewerkschaftsseite je in den Forderungen aufgetaucht zu sein. Genauso sind die Folgen dieser Prämie in keiner Gewerkschaft wirklich dargestellt und diskutiert worden. Einzige Ausnahme ist die NGG, bei der einige Tarifverträge auf die volle Ausschöpfung der 3000 Euro verzichten und stattdessen höhere Tabellenerhöhungen angestrebt wurden.

Weitere Ergebnisse

Weitere Aspekte sind Zulagen für Psychiatrien, den Justiz- und Maßregelvollzug, die Sozial- und Erziehungsdienste sowie den Straßenbetriebsdienst. Pflegekräfte im Gesundheitsbereich sind etwas „besser“ gestellt worden, indem sie dynamisierte Zulagen erhalten. Aber auch diese sind weit weg von einem Inflationsausgleich oder Anreiz im Beruf zu bleiben oder um neue Kräfte zu gewinnen. Darüber hinaus wird in Berlin die Hauptstadtzulage des TV-ÖD übernommen, die Stadtstaaten Bremen und Hamburg haben warme Worte erhalten: eine Gesprächszusage für Mitte 2025.

Es wurde kein TV-Stud, der angestrebte Tarifvertrag für studentische Beschäftigte, auf Bundesebene durchgesetzt. Dieser TV ist auf den Sankt Nimmerleinstag abgeschoben worden. Hier werden ein paar popelige Lohnerhöhung ab dem Sommersemester 2024 auf 13,25 Euro/Stunde und ab dem Sommersemester 2025 auf 13,98 Euro in Aussicht gestellt. Auch einige kleine Änderungen bei Befristungen gibt es. Zum Vergleich, die GEW hatte ursprünglich 22 Euro gefordert. Was der „erste wichtige Schritt hin zu einem zukünftigen Tarifvertrag für studentisch Beschäftigte“, von dem Werneke spricht, sein soll, hat er wohl aus gutem Grund nicht ausgeführt.

Auf die Beamt:innen soll dieser Vertrag wertgleich übertragen werden. Die vielen Beschäftigten, die nicht direkt dem TV-L unterliegen, aber für die selbiger angewendet wird, („Anwender:innen“) werden bisher überhaupt nicht erwähnt, ihnen drohen weitere Abstriche je nach Arbeit“geber:in“.

Warum diese Niederlage?

Das Ergebnis kann nicht ohne den Ablauf der Tarifrunde bewertet werden. Am Anfang wurden bei GEW und ver.di alle Diskussionen über die Forderungen unterdrückt und gegebenenfalls abgewürgt. Stattdessen wurde eine „Befragung“ organisiert, bei der keine eigenen Vorschläge gemacht werden konnten.

Eine solche Art von gesteuerter „Diskussion“ erlaubte es der Führung, eine Forderung aufzustellen, die sie offensichtlich von vornherein beabsichtigt hatte. Warum aber haben die Spitzenbürokrat:innen nicht im Vorfeld offen für diese geworben? Die Argumente, mit denen sie diese Forderung rechtfertigten, hätten sie auch schon 2 Monate zuvor in einer demokratischen Debatte innerhalb der Gewerkschaften vorbringen können, nämlich dass der Öffentliche Dienst doch eine Gemeinschaft sei, egal ob Bund, Länder oder Kommunen, dass die wirtschaftliche Lage ähnlich sei, die Inflation vielleicht sogar etwas zurückgegangen sei.

Ganz offensichtlich sollte nicht nur genau diese Forderung durchgedrückt, sondern auch eine innergewerkschaftliche Debatte vermieden werden. Diese hätte auch die soziale Lage, die Politik der Regierung, die diese mitverursacht hat, die TVöD-Runde, in der die Gegenseite mal wieder das berüchtigte Schlichtungsabkommen zog (an dem die Bürokratie aber festhält, obwohl es der Gewerkschaft immer nur Nachteile verschafft), und den Abschluss einbezogen.

Es wären also die Kritik gekommen, die jetzt nach dem erneut vollzogenen Reallohnverlust kommt, und den Spielraum für Manöver eingeschränkt. Es hätte im Übrigen auch Raum für ein Kritik an der Ampel von links, von den Gewerkschaften her, geschaffen, stattdessen wird diese Kritik völlig den Rechten überlassen, die Gesellschaft und Ampel in eine wüste rassistische Debatte hineintreiben.

Was bedeutete dieses Vorgehen?

Das antidemokratische Vorgehen der Führung schon während der laufenden Tarifrunde hat eine klare Botschaft: Wir entscheiden, wie die Forderung aussieht, wir entscheiden, ob und wie gekämpft wird, und wir entscheiden, was abgeschlossen wird.

Es bekräftigt die Aussage des TVöD-Tarifkampfes: Ihr könnt die Forderung von unten hochdrücken, ihr könnt Euch und Eure Kolleg:innen besser mobilisieren als die letzten 15 Jahre, wir drücken trotzdem das durch, was wir für richtig halten, was wir mit der Regierung in der Konzertierten Aktion vor einem Jahr abgesprochen haben, und wir werden es schaffen, uns durch unverbindliche „Befragungen“ oder „Voten“ eine Legitimation zu holen. Die Zustimmung der Bundestarifkommission zu diesem Ergebnis, die erneute Durchführung eines „Votums“ statt Vollversammlungen in den Ämtern, Behörden und Betrieben, ja, die Weigerung der GEW selbst eine solche „Befragung“ durchzuführen, bestätigt diesen Durchgriff von oben!

Es bekräftigt die Gesamtaussage aller großen Tarifauseinandersetzungen des letzten Jahres, dass, egal wie hoch der Organisationsgrad und die Kampfbereitschaft sind, sie schützen nicht davor, in Tarifverhandlungen von der Führung ausverkauft zu werden. Im Verlauf des letzten Jahres haben Chemie, Metall, TVöD, Post und EVG sehr ähnliche Abschlüsse erzielt. Jetzt wurde bei dem angeblich so schlecht organisiertem Öffentlichen Dienst der Länder an  wenigen, zersplitterten Streiktagen das gleiche Ergebnis erzielt, wie bei Bund und Kommunen mit 29 Streiktagen! Viele Gewerkschaften, aber eine Politik!

Was bedeutet dies für kämpferische Gewerkschafter:innen?

Die Tatsache, dass offensichtlich die ver.di-Spitze ein abgekartetes Spiel spielt, darf keinesfalls bedeuten, auf Tarifkampf zu verzichten. Das würde gerade den rechten Bürokrat:innen in der Gewerkschaft entgegenkommen. Die verzichten gern auf kämpferische Leute und stützen sich auf Trägheit und Gehorsam. Letztlich macht das auch der „linke“ Flügel des Apparates, der zwar auf mehr Dynamik und organisierte Mobilisierung setzt, aber nicht minder energisch auf die Kontrolle der Tarifbewegung und des Ergebnisses pocht. Zum Des Weiteren würde die Gegenseite eine Schwäche der Gewerkschaft sofort ausnutzen, einen noch schlechteren Abschluss durchzudrücken.

Alle, die unzufrieden sind und ein anderes Ergebnis wollen, müssen sich zum Sprachrohr der teilweise großartigen Mobilisierung machen, die in den Stadtstaaten, aber auch in den Unikliniken der Länder und anderen Hotspots, z. B. Sozialwesen, deutlich stärker war als in früheren Runden. Woche für Woche beteiligten sich zehntausende Landesbeschäftigte – Erzieher:innen, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Beschäftigte an den Hochschulen, an Kultur- und Bildungseinrichtungen der Länder, aus der Verwaltung, von Landesklinken, studentische Beschäftigte und viele mehr – an den Warnstreiks.

In vielen Städten und Regionen widerlegten sie so eindrucksvoll die Behauptung, dass die Landesbeschäftigten mobilisierungsschwach und faktisch kampfunfähig wären. Am Stadtstaatenstreik beteiligten sich in Berlin, Hamburg und Bremen am 22. November um die 20.000 Kolleg:innen. Am Bildungsstreiktag, dem 28. November, gingen lt. Gewerkschaften in Leipzig 7.000, in Berlin 6.000 Streikende auf die Straße, bundesweit wohl Zehntausende. Dabei hatten sich schon dem Branchenstreik der Sozial- und Erziehungsdienste, der studentischen und universitären Beschäftigten und anderer am 24. November lt. ver.di 42.000 Gewerkschaftsmitglieder angeschlossen. Aber letztlich waren sie im Kalkül der Führung nur Statist:innen für einen Abschluss, den sie immer schon anvisierte.

Vom Unmut über den Abschluss zum Kampf gegen die Bürokratie

Die Taktik der Bürokrat:innen nach einem solchen Abschluss ist es stets, die Diskussion in ein Klein-Klein zu zerreden, den heftigsten Kritiker:nnen einzelne kleine Fehler zuzugestehen und darauf zu vertrauen, dass die Masse der Unzufriedenen murrt, aber passiv bleibt.

Es gilt also einerseits klar zu machen, dass die Gewerkschaftsspitzen dieses und kein anderes Ergebnis wollten. Für sie sind die Interessen des Staates bzw. des Kapitals unantastbar, bestimmte Grenzen dürfen nicht überschritten werden: Die Firmen müssen weiterhin genügend Profit abwerfen und im Konkurrenzkampf bestehen, die Entscheidungen des Staates, z. B. zur Aufrüstung, für Waffenlieferungen oder Unternehmenssubventionen werden nicht in Frage gestellt. Dem ordnen sie die elementaren Lebensinteressen der Arbeitenden unter. Die Gewerkschaftsbürokratie hat eine andere Interessenslage als die Mitglieder.

Das zeigt sich in Tarifkämpfen und in diesem besonders deutlich. Aber was können wir tun? Eine große Kampfbereitschaft von Seiten der Basis ist zwar nötig, aber nicht ausreichend, wenn es darum geht, faule Kompromisse und Ausverkauf auf dem Rücken der Beschäftigten zu verhindern. Wir müssen gerade jetzt klare Forderung formulieren, die den Bürokrat:innen ihre Tricks und Manöver unterbinden. Unmittelbar heißt das:

Nein zum Abschluss!

  • Stimmt mit Nein bei der ver.di-Mitgliederbefragung! Fordert verbindliche Abstimmungen über das Ergebnis ein!

  • In allen Betrieben, Abteilungen, Schulen und Kitas müssen Mitgliederversammlungen und Treffen der Betriebsgruppen einberufen werden, die das Ergebnis nicht nur diskutieren und bewerten, sondern auch Beschlüsse fassen, die es klar ablehnen.

Alle, die mit Nein stimmen, sollten miteinander in Kontakt treten und diskutieren, wie wir weiter vorgehen. Auch wenn wir das Ergebnis kaum noch kippen können, so müssen wir uns für die weiteren Auseinandersetzungen koordinieren und nicht bis zur nächsten Tarifrunde warten.

Klassenkämpferische Alternative ist nötig!

Aber es braucht auch eine Perspektive und Lehren über die unmittelbare Ablehnung des Abschlusses hinaus. In den kommenden Jahren und Monaten stehen nicht nur Tarifrunden an. Die Haushaltkrise wird auch in Form von Kürzungen die Beschäftigten treffen. Wir können daher keine zwei Jahre warten, bis die nächsten Tarifverhandlungen ins Haus stehen, sondern müssen auch dazu mobilisieren. Wir müssen darum kämpfen, dass die Mobilisierung unter Kontrolle der Basis stattfindet. Sie soll entscheiden, ob und wann Arbeitsstreiks, Warnstreiks oder ein Flächenstreik stattfinden. Schluss mit der Zersplitterung bei Aktionen. Gemeinsamer Kampf der Beschäftigten bei Ländern, Bund und Kommunen u. a. durch Zusammenlegung der Tarifrunden TV-L und TVÖD! Kündigung der Schlichtungsabkommen!

Bei Tarifrunden darf es keinen Abschluss ohne Zustimmung der Basis geben. Alle Gewerkschaften sollen ihre Kämpfe und Streiks koordinieren, z. B. einen Schulterschluss mit der GDL und dem Handel herstellen und Solidaritätsaktionen in anderen Branchen bei ver.di, GEW, IG BAU wie in allen anderen DGB-Gewerkschaften organisieren.

Die Entscheidungen müssen transparent und demokratisch sein! Daher sollten nicht nur Mitglieder- und Belegschaftsversammlungen einberufen, sondern auch Streikkomitees gewählt werden. Die bundesweite Streikleitung und die Verhandlungsführung müssen diesen gegenüber rechenschaftspflichtig und durch sie wähl- und abwählbar sein, um einer wirklichen Kontrolle unterzogen zu werden. Statt Geheimverhandlungen brauchen wir öffentliche, transparente Tarifrunden.

Forderungen müssen von den Mitgliedern diskutiert und entschieden, nicht von oben diktiert werden! Die Tarifkommissionen müssen gewählt werden. Stimmrecht nur für Delegierte, die dem jeweiligen Tarifvertrag unterliegen, also kein Stimmrecht für die Angestellten der Gewerkschaften! Rechenschaftspflicht und jederzeitige Abwählbarkeit aller Kommissionsmitglieder! Schluss mit der Schweigepflicht!

Dazu ist nötig, dass wir uns auf allen Ebenen vernetzen und eine oppositionelle, klassenkämpferische Basisbewegung aufbauen, so dass wir von kritischen Betriebsgruppen zu einer bundesweiten ver.di-Opposition, z. B. im Rahmen der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG), kommen. Nur so können wir die Tricks und Manöver der Bürokratie erkennen und bekämpfen und einen wirklichen Kurswechsel in den Gewerkschaften herbeiführen.




Solidarität mit dem Streik im Handel

Mattis Molde, Infomail 1237, 17. November 2023

Seit April 2023 laufen die Tarifverhandlungen im Handel. Seitdem werden sie von Seiten der Bosse verschleppt. Das hat allerdings zur Situation geführt, dass trotz unterschiedlicher Laufzeiten jetzt alle im Arbeitskampf stehen. In den letzten Wochen beteiligten sich in vielen Städten tausende Beschäftigte an Warnstreiks und gingen auf die Straße, so dass man auch als Kund:in etwas merken konnte.

Fünf Millionen Beschäftigte

5 Millionen Menschen sind im Handel beschäftigt, wobei die Tarifverträge für den Einzel- und Großhandel regional unterschiedlich ausfallen. Gegen diese große Masse der Beschäftigten stehen auf der anderen Seite etliche der reichsten Menschen in Deutschland, die mit ihren Handelsketten enorme Profite aus denen ziehen, die in ihrer überwältigenden Mehrzahl alle am unteren Ende der Lohnskala stehen.

Die Gewerkschaft ver.di, die diese Branche vertritt, organisiert nur einen Bruchteil der Beschäftigten. In den Unternehmen herrscht eine hohe Fluktuation. Die einzelnen Läden sind eher kleine Einheiten, Kaufhäuser verschwinden. Allerdings bieten die großen Verteilzentren gute Möglichkeiten zum Aufbau gewerkschaftlicher Macht.

Ver.di hat es aber auch seit zwanzig Jahren versäumt, mehr kampffähige Strukturen aufzubauen. Der Trend zu Gewerkschaften, die sich selbst als „Dienstleisterinnen“ verstehen, ist für Branchen mit niedrigem Lohnniveau und hoher Fluktuation besonders verheerend. Wenn dann noch Betriebsratsgremien – so sie überhaupt existieren – in Regionalbüros sitzen und einmal im Jahr pro Laden vorbeikommen, dann hat das sehr viel mit Bürokratie und wenig mit Bewegung zu tun. Gerade in solchen Betrieben sind Basisaktivist:innen, die über Rechte und Tarifverträge Bescheid wissen, nötig. Sie brauchen ein Netz – eine Betriebsgruppe oder Vertrauensleutestruktur – um Widerstand, Solidarität und Hilfe zu organisieren. Solche Strukturen sind fast überall zurückgegangen, aber gerade für den Handel ist das besonders schlimm. Dass es auch anders gehen kann, haben die Kolleg:innen z. B. im Gesundheitswesen in den letzten Jahren gezeigt.

Tarifrunden-Taktik

Die Unternehmen im Handel und deren Dachverband HDE (Handelsverband Deutschland – Einzelhandel) haben jetzt beschlossen, bereits terminierte Tarifverhandlungen abzusagen, und wollen stattdessen in einer Spitzenrunde verhandeln. Ihr Angebot ist lächerlich. Für 2023 bieten sie nach drei Nullmonaten eine tabellenwirksame Erhöhung von durchschnittlich 5,3 Prozent im Einzelhandel und nach vier Nullmonaten eine von 5,1 Prozent im Groß- und Außenhandel an. Das Angebot für 2024 fällt noch niedriger aus. Ver.di fordert 2,50 Euro mehr pro Stunde sofort.

Die Kapitalist:innen haben auch begonnen, in den großen Konzernen (Rewe, Aldi, Lidl, Kaufland und der Otto-Gruppe) freiwillige Entgelterhöhungen auszuzahlen, die aber natürlich nicht bindend sind und bleiben, solange sie in keinem Vertrag stehen. So versuchen sie, die sich entwickelnde Kampfkraft zu unterminieren.

Die Verhandlungschefin ver.dis, Leiterin des Fachbereichs Handel und Bundesvorstandsmitglied Silke Zimmer, empört sich darüber, aber in ihrer Entrüstung schwingt schon die Bereitschaft mit, darauf einzugehen. „Ver.di verweigere sich keinen Gesprächen, egal auf welcher Ebene“, heißt es in einer Pressemitteilung vom 6. November, aber, so Zimmer: „Voraussetzung ist, dass die Tarifverhandlungen fortgeführt und die gemeinsam vereinbarten Verhandlungstermine wahrgenommen werden“. Zugleich droht sie mit Streiks während des Weihnachtsgeschäfts.

Diese Drohung ist sicher angebracht. Wenn sie ernst gemeint ist, dann muss unbedingt daran gearbeitet werden, die Kampfkraft zu erhöhen. Derzeit sind eigentlich nur Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin ernsthaft streikfähig.

Es muss ein klarer Plan her, wie die Verhandlungsverschleppung seitens des Kapitals mit einer systematischen Mobilisierung bisheriger weißer Flecken und dem Aufbau stabiler Strukturen beantwortet wird. Nur so können neue Mitglieder auch gehalten werden. Es gibt genug Kampfformen, die in der Vergangenheit erfolgreich eingesetzt worden sind und jetzt zur Anwendung kommen müssen:

  • Soli-Aktionen von Kolleg:innen aus anderen Branchen, die in oder vor den Läden oder Kaufhäusern die Streiks unterstützen.

  • Viele Läden in Fußgängerzonen zugleich bestreiken und mit Beschäftigten und Unterstützer:innen diese Passagen in Streikversammlungen verwandeln.

  • Gerade Samstage und Weihnachten eignen sich dafür gut.

Statt also um „eine Entgelterhöhung als Respekt und Wertschätzung für ihre geleistete Arbeit“ zu betteln, wie es ver.di tut, ist Kampf angesagt. Die Initiative dafür muss wohl von unten kommen. Aber viele Streiks in den letzten Jahren haben gezeigt, dass unter den Beschäftigten immer wieder gute Initiativen entwickelt wurden.

Deshalb sagen wir, dass es die Basis ist, die über Streiks und Streikformen entscheiden muss!

  • Aktions- und Streikkomitees wählen – in den Betrieben, aber auch in den Konzernen, damit gute Erfahrungen verbreitert werden können!

  • Öffentliche Verhandlungen! Abstimmung über die Verhandlungsergebnisse durch die Mitglieder.

  • Soli-Komitees in den Städten bilden!

  • Jeder Abschluss muss die Inflation der Vergangenheit und Zukunft voll ausgleichen!



Hamburg: HHLA-Streit und Streik

Bruno Tesch, Infomail 1237, 16. November 2023

Bei der Hafenbetreiberin Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) brodelt es, und das nicht erst seit den letzten Wochen. Schon vor Jahren wurde über private bzw. fremdstaatliche Investitionsinteressen in Form von Beteiligungen oder gar Übernahmen spekuliert. Hochgekocht ist die trübe Gerüchtebrühe durch die Bekanntgabe, dass ein Kaufangebot der Mediterranean Shipping Company (MSC) über Anteile von 49,9 % an der HHLA vorliegt, über das am 20.11. entschieden werden soll. Diese Nachricht wiederum löste am 6.11. eine spontane eintägige Arbeitsniederlegung der HHLA-Belegschaft aus. MSC ist die weltweit größte Containerreederei mit Sitz in Genf und über Tochterunternehmen auch im Kreuzfahrt- und Fährgeschäft engagiert.

Hintergründe zum Hafen-Deal

Der Hafen als Image für die Weltoffenheit der Hansestadt war seit jeher von herausragender Bedeutung, vor allem aber hat der Güterumschlag das Portfolio der Handelsmetropole prall gefüllt. Seit 20 Jahren jedoch hat sich der Wind gedreht. Hamburg liegt jetzt im Lee und ist im Vergleich mit den europäischen Seeumschlagplätzen und erst recht mit Konkurrent:innen weltweit auf den 20. Rang zurückgedrängt worden.

Der große Nachteil gegenüber Rotterdam und Antwerpen, dass der Hamburger Hafen nur einen vermittelten Zugang zum Meer hat und Belgien und die Niederlande ozeanografisch leichter anzufahren sind, lässt sich auf natürlichem Wege einfach nicht ausgleichen. Da helfen auch keine Maßnahmen wie die Elbvertiefung, um größere Pötte einlaufen zu lassen.

Kürzere Fahr-, Liege- und Warenumschlagszeiten zählen heute doppelt. So ist es auch erklärlich, dass im Containerbereich die Hamburger Umsätze bereits seit einiger Zeit stagnieren, ja im ersten Halbjahr 2023 befanden sie sich sogar im beschleunigten Krebsgang von -11.7 %.

Das war vermutlich auch das Signal für den Hamburger Senat, in Verhandlungen mit einer potenten Investorin einzutreten. Man glaubte, sie in MSC gefunden zu haben. Dieser Konzern, in italienischem Privatbesitz und mit Geschäftssitz in der „Seefahrtnation“ Schweiz, kann damit repräsentieren, als mittlerweile global größte Reederei zu gelten, die gleichermaßen die Sparten maritimer Güterverkehr und die besonders einträgliche Kreuzschifffahrt bedient. Mit Hilfe der MSC, die über ein weitgespanntes und expandierendes Netz an Geschäftsverbindungen verfügt, hofft Hamburg, seine Investitionsvorleistungen wie Bau der Hafen-City mit ihren eigens angelegten Verkehrswegen und Gewerbeflächen amortisieren zu können und den Hafen wieder auf Volle-Kraft-voraus-Kurs zu bringen.

Der zu entrichtende Preis wäre jedoch eine Reduktion des stadtstaatlichen Anteils an der HHLA von 69 % auf 50,1 %. Daraus ergibt sich, dass die Hamburger Regierung einen kompakten Klotz an Aktienminorität am Bein herumschleppen müsste, der ihr nicht nur die HHLA, sondern auch infrastrukturelles Hafenumfeld betreffend, Zugeständnisse im MSC-Interesse abringen könnte.

Der Deal muss von der Hamburger Bürgerschaft noch abgenickt werden. Proteste für seine Entscheidung erntete der Hamburger SPD-geführte Senat sowohl von den alteingesessenen Reedereien wie Hapag-Lloyd, die sich konkurrenzmäßig übergangen fühlten, wie auch von der CDU-Opposition, die den „grotesk niedrigen“ Übernahmepreis bemängelte und meinte, bei einer öffentlichen Ausschreibung hätte wesentlich mehr herausgeschlagen werden können.

Schwierigkeiten ganz anderer Art mit diesem Senatsdeal haben allerdings die HHLA-Beschäftigten. Der Terminalbetreiber Eurogate hat bereits vor einigen Jahren in einer internen Studie die mangelnde Automatisierung und daraus resultierend den um 25 % geringeren Containerumschlag im Hamburger Hafen moniert. Wenn denn an den natürlichen Gegebenheiten nicht gerüttelt werden kann, so ist der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft jedoch eine veränderbare Größe. Das weiß sicher auch die MSC, ohne diese Studie kennen zu müssen, und sie wird auf Verschlankung der Produktion, sprich Entlassungen, drängen. Das haben auch die Arbeiter:innen bei der HHLA als elementaren Knackpunkt erkannt und sind daraufhin am 6. November in den Ausstand getreten. Sie fürchten um ihre Arbeitsplätze und die Verschlechterung von Arbeitsbedingungen!

Kampfperspektive

Am Nachmittag des 6. November legten 150 Hafenarbeiter am Burchardkai ihre Arbeit nieder, die Abfertigung an dem Terminal wurde eingestellt. Die nächsten vier Schichten schlossen sich dem wilden Streik an.

Der Streik wurde schnell von der „neutralen“ Justiz einkassiert und als „illegal“ kriminalisiert, weil er sich nicht an das Tarifrecht, das Politisierung untersagt, gehalten habe. Dies bot die Handhabe für etliche Abmahnungen durch die HHLA-Geschäftsführung. Die Streikenden hatten um unverzügliche Gespräche mit dem Senat über den Deal gebeten. Diese Bitte wurde ihnen jedoch von den zuständigen Vertreter:innen abschlägig beschieden, weil sie mit der Arroganz der Macht dem Streik die Legitimität absprechen wollten.

Das Vorgehen der Klassenfeind:innen in Politik, Justiz und Unternehmen hat Empörung dagegen und Solidaritätsbekundungen mit den Kolleg:innen von Seiten zumeist gewerkschaftlicher Arbeiter:innenorganisationen im In- und Ausland hervorgerufen. Die Gewerkschaft ver.di veröffentlichte Forderungen nach:

  • Kein Verkauf der HHLA an MSC oder andere private Investor:innen!

  • Keine Privatisierung öffentlichen Eigentums – insbesondere im Bereich der kritischen Infrastruktur!

Aber die dringlichste Forderung ließ sie vermissen:

  • Sofortige Rücknahme der Abmahnungen und keine weiteren Repressalien gegen die Streikbeteiligten!

Ver.di zieht sich offenbar auf eine Vermittlerposition für Gespräche mit dem Senat zurück und hat zu einer Kundgebung am Hamburger Rathaus aufgerufen. Ein Appell an die Regierenden reicht bei weitem nicht aus. Verhandlungen und Entscheidungen von solcher Tragweite – gerade in Hamburg hängen mit Infrastruktur, Zulieferbetrieben usw. schätzungsweise zehntausende Existenzen von Hafen und Umgebung ab – müssen von der Arbeiter:innenbewegung öffentlich kontrollierbar gemacht und gegebenenfalls zurückgenommen werden können. Zusätzlich muss die nationale Binnenkonkurrenz unter den deutschen Seehäfen – z. B. Tiefwasserhafen Wilhelmshaven mit weiterer Elbvertiefung –, aber auch die europaweite zugunsten eines planvollen Konzepts für eine rationale Verkehrswende im Sinne einer integrierten bundesweiten und kontinentalen öffentlichen Infrastruktur zu Land, Wasser und in der Luft unter Arbeiter:innenkontrolle und -planung aufgehoben werden. Im Zusammenspiel mit einem staatlichen Außenhandelsmonopol würden auf diese Weise der Güterverkehr auf sein rationales menschliches wie ökologisches Maß schrumpfen und die gleichmäßigere Auslastung der Häfen erreicht werden können.

Um die Fragen der Knebelung des Streikrechts und Forderung nach Arbeiter:innenkontrolle über die Entscheidungen zu öffentlichen Einrichtungen muss eine bundesweite Kampagne entfaltet werden. Ansätze bieten sich, dies in den Rahmen einer jetzt angelaufenen kämpferischen Tarifrunde der Länder zu stellen.

Nicht außer Acht gelassen werden darf außerdem, dass gerade in der jetzigen internationalen Situation Seehäfen einen neuralgischer Punkt für den Versand von Kriegsmaterial, v. a. an die israelische Armee, bilden. Solche Waffenlieferungen müssen verhindert werden, und dies ist v. a. eine Aufgabe der internationalen Arbeiter:innenbewegung.




Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder 2023: Wie erfolgreich kämpfen?

Helga Müller, Neue Internationale 278, November 2023

Am 26. Oktober 2023 fand die erste Verhandlungsrunde für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten der Länder im öffentlichen Dienst – davon rund 1,2 Millionen Tarifbeschäftigte und 1,3 Millionen Beamt:innen – statt. Dass die Verhandlungsführung der Länder nicht von einer normalen Tarifrunde ausgeht, hat sie bereits vor Beginn der ersten Verhandlung klar gemacht. Ihre Vertreter:innen faseln von leeren Kassen, für die Forderungen der Kolleg:innen nach 10,5 % bzw. 500 Euro sei kein Geld da. Wie immer seien sie maßlos überzogen.

Gab es in der Tarifrunde von Bund und Kommunen noch eine unerwartet hohe Mobilisierung – sogar höher als in der Tarifrunde von 1992 unter Ägide der ÖTV –, versuchen die Arbeit„geber“:innen jetzt die Gunst der Stunde zu nutzen, um in der Ländertarifrunde einen noch höheren Lohnverlust durchzusetzen als den bei Bund und Kommunen – wohl wissend, dass ver.di und die anderen Gewerkschaften in diesem Bereich über weniger Kampfkraft verfügen als dort.

Kampfansage

Das ist eine Kampfansage an ver.di, GEW und Belegschaften. Sie wollen in dieser Runde einen Einbruch in die Gehaltsstrukturen erreichen. Das ist nichts anderes, als die Kolleg:innen für die Kosten der Milliardenausgaben für die Unterstützung der Unternehmen während der Pandemie und für die Hochrüstung zahlen zu lassen. Dagegen reicht ein Jammern der ver.di-Verhandlungsführerin Christine Behle, dass die Arbeit„geber“:innen der Länder noch nicht verstanden hätten, wie dramatisch die Arbeitssituation der Kolleg:innen ist, nicht. Nein, liebe Christine, die wissen das sehr genau und Du weißt das auch! Sie wollen tatsächlich diese Tarifrunde nutzen, um hier einen größeren Einbruch in das Lohngefüge der Kolleg:innen zu erreichen. Und da hilft kein Hoffen auf die Einsicht bei den Arbeit„geber“:innen. Es geht nicht um „Sachargumente“ im luftleeren Raum, sondern gegensätzliche Klasseninteressen, die auch im öffentlichen Dienst ausgetragen werden.

Die Beschwörung der „Einheit“ aller im öffentlichen Dienst, von Arbeit„geber“:innen und Beschäftigten, hat nie zu einem Erfolg geführt – auch nicht in der letzten Tarifrunde bei Bund und Kommunen mit einer gigantischen Mobilisierung, auf die gestützt ein Durchsetzungsstreik möglich gewesen wäre.

Im Gegenteil, es müssen die Klassenfronten aufgezeigt werden: Wir müssen unsere Existenz – dazu gehören Einkommenserhöhungen, die die Inflation wirklich ausgleichen und die Verluste der letzten Jahre wettmachen –, in einer kollektiven harten Auseinandersetzung mit einer Vollmobilisierung und Massenstreiks durchsetzen!

Das wäre sicherlich auch ein Mittel, um Kolleg:innen, die noch zögern und meinen, man könne den Abschluss des TVöD einfach auf die Tarifrunde der Länder übertragen, davon zu überzeugen, dass konsequente Streiks notwendig sind, um die Forderungen durchzusetzen.

Das Geschwätz von den leeren Kassen

Das Geschwätz von den leeren Kassen muss durchbrochen werden. Der gesellschaftliche Reichtum ist vorhanden: Allein die Automobilindustrie, die am meisten von den Kurzarbeiter:innengeldern und anderen staatlichen Millionensubventionen während der Pandemie profitiert hat, liegt weiterhin auf Gewinnkurs. Im Jahr 2022 erzielten die deutschen Autobauer trotz Krise einen Nettogewinn von 50 Mrd. Euro (Zahlen nach ntv, 5.9.2023). Politische Forderungen wie eine Vermögensabgabe, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und vor allem eine progressive Besteuerung von Kapitalgewinnen sind jetzt nötig.

Dies ist umso dringender, weil die Bundesregierung derzeit dabei ist, einen Sparhaushalt durchzusetzen, der 30 Milliarden Einsparungen vor allem im sozialen Bereich vorsieht. Das betrifft auch die Länderhaushalte, die noch weniger abkriegen werden – wie jetzt schon. Gleichzeitig werden die 100 Mrd. an Sondervermögen und jährlichen Ausgaben für den Wehretat von mindestens 2 % des BIP für die Aufrüstung der deutschen Bundeswehr nicht in Frage gestellt. Dieser Sparhaushalt ist nichts anderes als die Umsetzung dessen, dass die Regierungen die Arbeiter:innenklasse – Arbeitende und Arbeitslose – Jugendliche, Rentner:innen und Geflüchtete für die Krise zahlen lassen wollen. Dazu gehört auch das Geschwätz von den angeblich leeren Kassen!

Deswegen ist es dringend notwendig, in dieser Tarifrunde auch diesen politischen Zusammenhang aufzuzeigen und es zu nutzen, um gegen Aufrüstung und Sparhaushalte zu mobilisieren. Die notwendigen Forderungen nach 10,5 % bzw. 500 Euro mehr müssen voll durchgesetzt werden und dies ist nur möglich, wenn eine Perspektive aufgezeigt wird, wer die Verantwortung für Krise und Aufrüstung hat und wer dafür zahlen soll!

Vorbereitung und Mobilisierung

Darauf müssen die Kolleg:innen in den Einrichtungen, Schulen, Krankenhäusern und Betrieben jetzt vorbereitet werden. Dafür ist es essentiell, flächendeckend in den Kampf zu gehen. Ver.di sagt selber immer wieder, dass die Kolleg:innen im öffentlichen Dienst der Länder einen Nachholbedarf haben sowohl gegenüber denen in Bund und Kommunen als auch – und vor allem – gegenüber denen in der Privatwirtschaft.

Dass es möglich ist, auch Kolleg:innen in Bereichen, die bisher nicht so kampfstark waren, in einen unbefristeten Durchsetzungsstreik zu führen, haben die Krankenhausbewegungen für einen Tarifvertrag Entlastung in Berlin und NRW aufgezeigt. Gerade Pflegekräfte galten ja immer als die Belegschaftsteile, die sehr schwer zu Streiks zu bewegen seien, weil sie ihre Patient:innen nicht im Stich lassen wollen. Doch sie haben gezeigt, dass das nicht stimmt.

Dieses Beispiel gilt es, auch im Bereich der Länder aufzugreifen. Sicherlich wurden auch hier Tarifbotschafter:innen bestimmt. Diese müssen aber auch auf ihre Rolle als Träger:innen der Mobilisierung für Streiks und öffentliche Aktionen und vor allem als diejenigen, die auch über die Vorgehensweise zusammen mit den Kolleg:innen in den Dienststellen, Einrichtungen und Betrieben diskutieren und entscheiden, vorbereitet werden. Die Kolleg:innen müssen den Kampf unter ihre Kontrolle bekommen und z. B. auf Streikversammlungen über die Verhandlungen transparent und regelmäßig informiert werden. Vor allem aber brauchen sie die Entscheidung und nicht die Bundestarifkommission, wie der Kampf fortgeführt werden kann. Dafür sind der Aufbau von Streikkomitees, die Delegierte aus den Abteilungen umfassen, die auch jederzeit abwählbar sind, wenn sie ihre Aufgabe nicht erfüllen, sinnvoll und notwendig.

Uns ist bewusst, dass es sehr schwer wird, die Forderungen im öffentlichen Dienst durchzusetzen. Warnstreiks und ein paar Verhandlungsrunden werden nicht ausreichen. Notwendig ist, dass wir unsere gesamte Kampfkraft in die Waagschale werden und so schnell wie möglich die Urabstimmung über einen Vollstreik einleiten. Gegen die mediale Hetze und das Märchen von den leeren Kassen müssen wir gemeinsame Aktionen mit anderen Gewerkschaften und Solidaritätskomitees im Kampf aufbauen. Wenn Geld für Kitas, Schulen, öffentliche Verwaltung angeblich nicht vorhanden ist, dann müssen wir es uns bei den Reichen, Großkonzernen und Banken holen.




Stimmen aus der Tarifrunde-Länder: Erwartungen drücken oder Perspektiven geben?

Ein ver.di-Mitglied aus Berlin, Neue Internationale 278, November 2023

Seit einigen Monaten bin ich als Tarifbeschäftigter im TV-L in der Vorbereitung der Tarifrunde der Länder aktiv. Ich gehe mit Kolleg:innen auf Veranstaltungen wie tarifpolitische Konferenzen, Branchenkonferenzen, regionale wie überregionale, Tarifbotschafter:innentreffen, Fachbereichskonferenzen und vieles mehr. Alle verlaufen nach einem gewissen Schema F., auch wenn diese partizipativer ablaufen mögen als viele andere Gewerkschaftsveranstaltungen, da mein Fachbereich in Berlin-Brandenburg, FB C, stark durch die Krankenhausbewegung geprägt wurde und Organizing hier beliebt ist. Das Schema F bleibt aber, um die Erwartungen auf einen erfolgreichen Arbeitskampf zu dämpfen.

Überall wird gesagt, dass wir zu schwach organisiert sind. Christine Behle, stellvertretende ver.di-Vorsitzende, sagte beim ersten bundesweiten Treffen der Tarifbotschafter:innen direkt, dass wir nicht sofort von tabellenwirksamen Entgelterhöhungen ausgehen dürfen. Frank Werneke setzte gleich noch nach und führte das neue Mantra ein, dass die Krise ausgeblieben sei. Was uns hiermit bedeutet werden soll, ist, dass wir schuld sind, wenn ein schlechtes Ergebnis herauskommt. Und dass die Teuerungen der letzten beiden Jahre, die im Durchschnitt bei über 14 % liegen, gar nicht so wild sind.

Nur eines fehlt mir bei diesen Analysen: die Perspektive! Es stimmt, wir brauchen eine bessere Streikfähigkeit. Es stimmt, die Länder sind wenig verhandlungswillig. Denn sie lügen sich die Taschen voll und damit die Kassen leer, während die Steuereinnahmen hochkorrigiert werden mussten. Und das stört mich. Ich erwarte, dass mir die Gewerkschaftsführung einen Plan vorlegt, wie die Schwäche gebrochen werden kann. Ich erwarte, dass ich in meiner Gewerkschaft einen Raum bekomme, gerne auch mit demokratischen Möglichkeiten, wo wir über eine Streikausrichtung diskutieren und beschließen können, die auch den Erfolg ermöglicht. So wäre die Bedingung von 12 Monaten Laufzeit des Vertrags eine, denn dann könnten wir im öffentlichen Dienst zusammen streiken mit den Tarifbeschäftigten des TVöD bei Bund und Kommunen oder auch mit den Kolleg:innen der GDL. Aber nein: Wer Verbündete wie den Gewerkschaftsapparat hat, braucht keine Gegner:innen.