Deutsche Wohnen und Co enteignen: ein Jahr nach dem erfolgreichen Volksentscheid

Wilhelm Schulz, Arbeiter:innenmacht Berlin und aktiv im DWE-Kiezteam Reinickendorf-Wedding, Neue Internationale 267, September 2022

Vor knapp einem Jahr wurde im politischen Berlin stark an den Verhältnissen gerüttelt. 59,1 % der abstimmenden Berliner:innen votierten für die Enteignung und Verstaatlichung großer Immobilienkonzerne. Doch liegt die Macht über das „Wie weiter?“ in den Händen des Berliner Senats. Die Initiative belässt es mehrheitlich dabei, dass die Unterstützer:innen des Volksentscheids eigenständig daraus schlussfolgern, dass Senat und Staat kein Interesse an der Umsetzung der Enteignung großer Akteur:innen des Immobilienkapitals hegen. Sie weigert sich, diesen Klassenstaat als Hüter des Privateigentums zu entlarven. Dies ist ein Spiel mit dem Feuer, ist doch die Gefahr der Demoralisierung und des Rückzugs ins Private groß und tritt eine Radikalisierung nicht automatisch ein, wie die Geschichte mehrfach bewiesen hat.

Der Weg zum Status quo

Die Sammelphasen des Volksentscheids zeigten dessen Massenpotenzial. Mindestens 1.500 Aktivist:innen waren regelmäßig auf den Straßen und in den Mietskasernen unterwegs, um für die Enteignung großer Immobilienkonzerne zu werben. Hunderttausende Flugblätter, Zeitungen, Unterschriften und Gespräche wurden ausgetauscht. Doch die praktische Perspektive, die wir an den Haustüren den Mieter:innen mitgaben, war auf eine Unterschrift und Stimmabgabe begrenzt. Bestenfalls konnten sie in diesem oder jenem Kiezteam aktiv werden. Zu keinem Zeitpunkt war die DWE-Mehrheitsposition darauf ausgelegt, kampffähige Massenorganisationen der Mieter:innen aufzubauen. Solche Maßnahmen böten die Chance, auch gegen den Willen des Senats die Enteignung unter Kontrolle der Mieter:innen durch militantere Aktionsformen zu erreichen wie massenhafte Besetzungen und Zurückhaltung der Miete (kollektiver Mietboykott).

Kurzum hat die Initiative diese Möglichkeit einstweilen verpasst. Doch hätte dies eine andere Haltung gegenüber ihren Bündnispartner:innen erfordert. So hätten Parteien wie DIE LINKE, Gewerkschaften, Berliner Mieterverein und Berliner Mietergemeinschaft aufgefordert werden müssen, gemeinsame Versammlungen ihrer Mitglieder im Sinne des Aufbaus einer gemeinsamen kampffähigen Struktur mit uns zu organisieren. Das wiederum hätte praktische Herausforderungen für diese und inhaltliche Konfrontationen mit ihnen bedeutet. Andererseits hätte den Mieter:innen deutlich gemacht werden müssen, dass die Enteignung harte Überzeugungsarbeit voraussetzt, um ihrerseits Massenaktionen zu initiieren, die die versprochenen Ziele zu erreichen fördern.

Mit dem erfolgreichen Votum am 26. September 2022 lag der Spielball der Enteignung im Spielfeld des neuen Senats aus SPD, Grünen und Linken, in dem nur DIE LINKE den Volksentscheid voll unterstützte. In den Sondierungs- und anschließenden Koalitionsverhandlungen verriet sie aber ihre Prinzipien aus Angst, durch die FDP als Juniorpartnerin aus der Koalition gedrängt zu werden. Der Mitgliederentscheid der LINKEN Berlin fiel eindeutig für eine Regierungsbeteiligung aus, auch wenn das Nein-Lager anwuchs (Initiative Zusammen für eine linke Opposition). Es verpasste bislang, offen sichtbar zu werden und um die Führung der Partei zu fechten.

Die Expert:innenkommission

Ergebnis war eine Kommission, die binnen der ersten hundert Tage der Koalition einberufen wurde und anschließend binnen eines Jahres dem Senat einen Vorschlag zur Abstimmung vorlegen soll. In langen anschließenden Strategiedebatten beugte sich DWE zähneknirschend, aber mit deutlicher Mehrheit der Perspektive des Senats, da ein „voreiliger“ Bruch nicht vermittelbar sei. Als Arbeiter:innenmacht argumentierten wir gegen eine Beteiligung am Gremium, das keine Enteignungs-, sondern eine Verschleppungskommission sei. DWE stellte auf unser Drängen hin Forderungen an diese auf, die jedoch durch bürokratische Manöver abgeschwächt wurden. Diese waren (1) öffentliche Sitzungen, (2) Diskussion des „Wie“ und nicht des „Ob“ der Enteignung und (3) keine Beteiligung der Immobilienlobby. Daneben stand die im Raum, dass DWE 59,1 % der Sitze in der Expert:innenkommission einnehmen solle. Faktisch wurde nichts davon umgesetzt.

Parallel dazu begann die Initiative, mit LINKEN und Grünen in Verhandlungen zu treten. Das Ziel war eine gemeinsame Liste von Expert:innen. Doch letztere spielten ein gefährliches Doppelspiel und vereinbarten hinter dem Rücken der Initiative mit der SPD eine gemeinsame Liste, die das Nein-Lager in der Expert:innenkommission vergrößerte. So bestellte die SPD beispielsweise drei CDU-nahe Professor:innen und Richter:innen ein. Auch die angeblich neutrale Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin (SPD, Bundesjustizministerin a. D.) erstritt ein Stimmrecht in der Kommission, setzte neben der Frage der Sozialisierung noch „Alternativen“ auf die Tagesordnung und ist nun die 13. Expertin in einem eigentlich 12-köpfigen Gremium, das paritätisch zusammengesetzt ist[1].

Zudem finden die Treffen in der Regel im geschlossenen Rahmen statt. Abgeordneter Buchner (SPD) fasst das inoffizielle Ziel der SPD-Abgeordnetenhausfraktion trefflich zusammen: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr“. Trotz einer Schelte für diese Linie auf dem Berliner SPD-Landesparteitag, bei dem Geisel, Giffey und Saleh abgemahnt wurden, ist es wahrscheinlich, dass sich die Senatsfraktion gegen die eigene Partei durchsetzen wird, solange diese keinen internen Kampf organisiert.

Historische Beispiele des Scheiterns

In DWE wird nicht davon ausgegangen, dass es ein einheitliches Votum für Vergesellschaftung und Enteignung gibt, sondern der Senat weiterhin eine Entscheidung gegen die Umsetzung forcieren kann. Sein und der Kommission Ziel ist also, dem Volksentscheid den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Dabei gibt es bereits historische Vorbilder. Aufgrund der revolutionären Stimmung beschloss der Rat der Volksbeauftragten am 18. 11.1918, alle reifen Industrien sofort zu sozialisieren. Die MSPD setzte sich jedoch damit durch, zuerst eine Sozialisierungskommission mit namhaften Politiker:innen und Ökonom:innen einzusetzen.

Im ersten Anlauf wurden Eckpunkte zur Vorbereitung der Sozialisierung der reichsweiten Industrie und Gesetzentwürfe zur Verstaatlichung der Fischerei und des Versicherungswesens erarbeitet und im Februar 1919 ein Gesetz zur Sozialisierung des Kohlebergbaus beschlossen. Die sozialdemokratisch geführte Regierung und der bürgerliche Staatsapparat behinderten die Arbeit der Kommission und verweigerten die Umsetzung der Sozialisierung, weshalb diese ihre Arbeit im April 1919 aus Protest niederlegte.

Im zweiten Anlauf der Sozialisierungskommission wurde ein Bericht 1920 vorgelegt. Darin schlug  eine Fraktion eine Transparenz zur Festlegung der Preise, das Selbstkostenprinzip und eine schrittweise Verstaatlichung vor. Die zweite Fraktion forderte die sofortige Verstaatlichung und Kautsky sah „[…] die Ausgestaltung des Trägers der zukünftigen Kohleorganisation als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vor, in der alle an der Kohlewirtschaft Beteiligten anteilmäßig vertreten sein sollten.“. Die Arbeit der Kommission wurde von der Industrie maßgeblich behindert. Die zweite Kommission wurde 1923 ohne konkrete Ergebnisse aufgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass das Motto „Kooperation statt Konfrontation“ gegenüber den Unternehmen mit einer Verstaatlichung nicht vereinbar ist, aber auch die Rechtsform einer Anstalt öffentlichen Rechts (AöR) auf Grund ihres klassenübergreifenden staatsnahen Charakters zumindest große Risiken beinhaltet.

Ähnlich das Schiedsverfahren um die Frage des Ausbaus des Bahnhofs in Stuttgart. 2006 beschloss der Landtag in Baden-Württemberg einen entsprechenden Plan mit dem Projektnamen „Stuttgart 21. 2010 entstand eine Massenbewegung gegen die Bauarbeiten. Es lagen viele Indizien vor, dass den Kosten von 9 Milliarden Euro und Umweltschäden keine ausreichende Verbesserung der Infrastruktur gegenüberstand. Ende 2010 wurde ein Schiedsverfahren unter dem Vorsitz von Heiner Geißler begonnen. Hier frisierten die Unternehmen systematisch die Ergebnisse, um Kosten und Schäden niedrig zu rechnen und gleichzeitig den Nutzen des Projekts zu übertreiben. Auf Grund dessen wurde ein Kompromiss für einen Teilausbau vorgeschlagen. Die Protestbewegung selbst hielt später fest, dass es sich um einen strategischen Fehler gehandelt hatte, dieses Schlichtungsverfahren zu akzeptieren. Es schwächte einerseits die Protestbewegung und Kampfkraft erheblich und anderseits legitimierte es die Regierungspolitik. Selbst der Kompromissvorschlag wurde nicht umgesetzt und das Projekt S21 wurde wie geplant durchgeführt.

Das beweist: Bürgerliche Institutionen (selbst bzw. gerade unter SPD-Führung) sind weder willens noch imstande, eine Sozialisierung durchzuführen. Das strategische Augenmerk von DWE auf diese Institutionen statt auf den Aufbau unabhängiger Gegenmacht gerät zur Sackgasse.

DWE: aus der Geschichte gelernt?

All das ist in der Initiative nicht unbekannt, aber ihre Öffentlichkeitsarbeit schweigt dazu. Sie nimmt also die Demoralisierung der Volksentscheidsbefürworter:innen in Kauf, hofft lediglich auf einen Funken, der quasi aus dieser Niederlage im Zorn entspringen soll. Jedoch setzt die dominante Perspektive nach wie vor auf Verschiebung der staatlichen Möglichkeitsspielräume statt Organisation von unten – Gegenmacht. DWE entwickelt sich zu einer Art Enteignungslobby. Für diese Perspektive bedarf es einiger Strateg:innen und gut platzierter Interventionen. Mobilisierungen und Organisierungen sind günstigenfalls Beiwerk. Somit verpufft die Schlagkraft, die den Volksentscheid erst möglich machte. Diese langsame Agonie scheint eine strategische Neuorientierung auf Gegenmacht gegen Staat und Kapital, auf Selbstorganisierung und Kontrolle des Wohnraums durch Mieter:innenorganisationen immer schwerer zu machen.

Auch wenn wir denken, dass es unmöglich ist, Wohnen aus der kapitalistischen Verwertungslogik herauszulösen, ohne den Kampf gegen die gesellschaftliche Totalität zu führen, bietet diese Perspektive doch die einzige realistische Möglichkeit der erfolgreichen Enteignung, Wohnraumkontrolle und des Übergangs zum Sturz für den Kapitalismus.

Für uns stellt als nächster Zwischenschritt die Orientierung auf einen Gesetzesvolksentscheid als Mittel und Plattform für die Propagierung des Aufbaus von Gegenmacht- und Kontrollorganen eine bessere Antwort aufs strukturelle Problem der Initiative dar. Die Chance für sein Zustandekommen erscheint gering, jedoch sind objektive Situation der Mieter:innen und Aussichtslosigkeit anderer lindernden Maßnahmen gute Voraussetzungen für den Meinungsumschwung!


[1]
Unter diesem Link findet ihr Informationen seitens der Expert:innenkommission: https://www.berlin.de/kommission-vergesellschaftung/




Buchbesprechung: Wohnen im Kapitalismus als Objekt der Rendite

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 267, September 2022

Im Folgenden wollen wir eine kurze Zusammenfassung des Buchs von Andrej Holm: Objekt der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte, Dietz Verlag, Berlin 2021, präsentieren. Wir beschränken uns auf die Geschichte des kapitalistischen Wohnungsbaus und seine sich verändernde Ökonomie.

Kapitalistischer Wohnungsbau im 19. Jahrhundert

Die einschneidendsten Änderungen verursachte die industrielle Revolution. Massen von Bauern/Bäuerinnen wurden in die Kohleabbauregionen, Stahlproduktionszentren und die verarbeitende Industrie gezogen. Große Anlagen und neue Städte entstanden und manch alte erlebten eine nie gekannte Bevölkerungsexplosion. Mitte und Ende des 19. Jh. wurden in den europäischen Zentren Wohnraum massenweise (vor allem armer Schichten) vernichtet, Straßen verbreitert und neue Gebäude für bürgerliche oder adlige Schichten gebaut.

Diese vernichtende bourgeoise Wohnraumpolitik nennt Andrej Holm „revanchistisch“. Dagegen gab es mit Proudhon und mittelständischen Wohnvereinen eine kleinbürgerliche Wohnraumpolitik, die den Kleinbesitz eines Reihen- oder Einzelhauses mit Gärten für alle als Lösung propagierte. Der Sozialreformer Gustav Schmoller wies 1890 die deutsche Bourgeoisie darauf hin, dass zwangsweise soziale Revolutionen ausbrechen werden und schlug bessere Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen vor. Engels wies jedoch darauf hin, dass unter kapitalistischen Umständen die Bourgeoisie selten oder gar nicht angemessenen Wohnraum zur Verfügung stellt, da dieser als Spekulationsobjekt weit attraktiver ist.

Interessanterweise kann man konstatieren, dass je stärker die Arbeiter:innenbewegung war, sich die katastrophale Wohnsituation leicht abmilderte und die Infrastruktur (Wasserversorgung, Kanalisation) durch Staatsinvestitionen verbesserte, was sich durch die Zahl der Obdachlosen und Schlafgänger zwischen 1850 – 1920 erhärten lässt.

Das 20. Jahrhundert

Die Novemberrevolution belebte die Debatte neu. Es wurde über die Sozialisierung auch von Wohnraum nachgedacht und es gab Mietstreiks 1919. Zwar wurde das nicht erreicht, aber es gab Impulse zur Finanzierung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen auf Basis der Besteuerung Privater, die zu ersten massenhaften Wohnungsbauprogrammen führten, die heute den Kernbestand der städtischen Wohnungen ausmachen.

1945 – 1990 wurde die massenhafte Versorgung der Bevölkerung in den Zentren ebenfalls durch kommunale Wohnungsgesellschaften und Baugenossenschaften durchgeführt. Im Rahmen von privatem Wohnungsneubau unter dem Label des Sozialbaus erfolgte hauptsächlich eine doppelte Subventionierung des privaten Sektors: erstens, da die Sozialbindung nach einer gewissen Frist entfiel (damals: 30 Jahre, heute in Berlin: 10 Jahre) und die Mieten zu einem Zeitpunkt, wo die Baukosten der Gebäude bereits refinanziert waren, nicht mehr preisgebunden waren und zweitens, weil die Zuschüsse und Steuererleichterungen einen erheblichen Anteil einnahmen und teilweise größer als die Gesamtkosten waren.

Nach der deutschen Einheit: Berliner Mietenmonopoly

Nach Wegfall der Systemkonkurrenz im Osten wurde die Privatisierung der kommunalen Gesellschaften 1990 durch dem Wegfall der Wohnraumgemeinnützigkeit vorbereitet. Kommunale Träger und Genossenschaften verloren ihre Steuervorteile. Die steuerlichen Mehrkosten wurden auf die Mieter:innen umgelegt. Eine Welle der Mietpreiserhöhung folgte. Bis dahin war der Mietpreisanstieg sehr schwach, halbwegs linear und entsprang aus den leicht steigenden Realkosten inkl. Inflation.

In den 2000er Jahren wurden in Berlin die Wohnraumförderung eingestellt, etwa 250.000 kommunale Wohnungen durch den „rot-roten“ Senat privatisiert und für sehr geringe Beträge an Private verkauft.

2007 platzte eine Immobilienblase auf dem US-Finanzmarkt. Aus dieser nationalen Immobilien-entwickelte sich die globale Finanzkrise. Da die normale Warenproduktion auf Grund des tendenziellen Falls der Profitrate nicht mehr ausreichend Gewinne realisierte, drängte anlagesuchendes Kapital auf andere Märkte. Im Gegensatz zu Investitionen in hochriskante Finanzprodukte wurden langfristige mit gesicherten Gewinnen attraktiver. Die größten Gewinne versprach man sich, wo der Rent-Gap am größten war: zum Kauf stehende ehemalige Werks- und kommunale Wohnungen. Niedrigzinspolitik so wie Deregulierung unter Schröder verstärkten den Trend.

Holm spricht hier ebenfalls von einer revanchistischen Raumvorstellung, die nicht nur in Privatisierung, Auswertung und Gentrifizierung mündete, sondern Zerstörung sozialer Leben, brutale Vertreibung, die marginalisierte Gruppen wie prekäre Arbeiter:innen, Migrant:innen, Wohnungslose am härteten trafen und mit Polizeigewalt durchgesetzt worden sind. Der Prozess, der London in den 1980er und New York in den 1980er und 1990er Jahren heimsuchte, erreichte ab 2000 Berlin und intensivierte sich in der Folgezeit.

In den letzten Jahren gab es ganze Wellen von Zwangsräumungen von Arbeiter:innen, Migrant:innen, linken Hausprojekten und Kneipen, wo ganze Straßenabschnitte unter polizeilichen Belagerungszustand gestellt, Anwohner:innen systematisch schikaniert worden sind.

Finanzorientierte und industrielle Wohnkonzerne

Bis in die 2000er Jahre war der Wohnungs- vom Finanzsektor relativ abgeschlossen. Natürlich wurden Kredite von Banken aufgenommen, um Wohnungen zu kaufen oder zu bauen, und diese mit der Zeit durch die Mieter:innen abgezahlt. Aber weitere Verflechtungen waren selten.

Anfang dieses Jahrtausends begannen Banken und Finanzdienstleister in Deutschland damit, nicht nur Geld für Wohnungsunternehmen zur Verfügung zu stellen, sondern mit diesem Kapital selbst Firmen zu gründen und in eigener Regie zu investieren (z. B. die Gründung von Deutsche Wohnen durch die Deutsche Bank 1998). Diese finanzmarktorientierten Wohnungskonzerne begannen, Kapital in Form von Private Equity Fonds zu sammeln, Wohnungen zu erwerben und diese wie ihre Unternehmensanteile wie moderne Finanzprodukte zu handeln. Diese absorbierten auch, begünstigt durch die Liberalisierung unter Schröder, Kapitale aus Rentenfonds, Versicherungen, mittelgroße Anleger:innen. Vor allem zogen Wohnungen mit einem hohen Rent-Gap dieses private Kapital an.

In den 2000er Jahren kauften diese Unternehmen etwa 230.000 ehemals kommunale Wohnungen auf. Damit wurden sie, die bis dahin einer zumindest geringen öffentlichen Kontrolle unterlagen und ein Gut mit öffentlich-sozialer Zweckbestimmung darstellten und nur geringe Renditen erzielten, systematisch in Finanzprodukte umgewandelt, wo größte Renditen durch große Mietsteigerungen möglich waren und der Finanzmarkt herrschte.

Nach der Finanzkrise 2007 strömte verstärkt auch internationales Kapital auf den deutschen Wohnungsmarkt. Ab 2010 haben finanzorientierte Wohnungskonzerne ihre Interaktion mit Banken und Investor:innen geändert. Wo anfangs Kapital für Unternehmungen zur Verfügung gestellt worden ist und diese Schulden mit den Mieten sukzessive abbezahlt worden sind und in Folge dessen ebenso wie Zinsen sanken, werden diese nicht mehr abbezahlt, sondern stattdessen Geschäftsanteile des Unternehmens an Investor:innen ausgegeben. Dadurch, dass die Schulden nicht bedient werden, steigen diese zusammen mit den Zinsen. Zinsen sind umlagefähig. So steigen die Mieten zusätzlich. Gleichzeitig wird die Bauindustrie für Projekte finanziert, um durch Wertsteigerungen der unmittelbaren Umgebung dortige Mieten anzukurbeln. Diese Bauindustrie verkaufte die Gebäude, erwarb aber gleichzeitig Anteile am kaufenden Unternehmen. Dadurch verschmolzen das in den Gebäuden gebundene Kapital der Wohnungsunternehmen, das Finanzkapital und die Bauindustrie zu dem, was Holm und Unger finanzindustrielles Kapital nennen.

Diese finanzindustriellen Wohnkonzerne zeichnet neben den o. g. Merkmalen weiter aus: Hoher Grad der Automatisierung bei ihren Geschäftsabläufen, aktuelle Werte und Mietsteigerungspotenziale werden ermittelt, damit potenzielle Investitionen, Abrechnungen oft absichtlich fehlerhaft erstellt.

Gleichzeitig werden die Strukturen dezentralisiert und verschachtelt. Wo damals dem/r Mieter:in ein/e Vermieter:in oder eine Firma gegenüberstanden, existiert ein Geflecht von Firmen. Der Vorteil dieser Struktur liegt darin, dass diese Firmen sich für ihre Dienstleistungen hohe Rechnungen ausstellen, diese einerseits auf die Mieter:innen umgelegt werden können und andererseits als hohe Betriebsausgaben in geringere Steuern münden. So ist das sog. „Insourcing“ eine übliche Praxis, die Betriebskosten künstlich in die Höhe zu treiben. Es beschreibt das Ausgliedern ehemals firmeneigener Handwerker:innen und Reinigungskräfte bzw. Gründen von Handwerks- und Reinigungsunternehmen, Beauftragung dieser durch die Hausverwaltung, Ausstellen hoher Rechnungen und deren Umlage auf die Mieter:innen.

Eine Firma tritt auf der untersten vertikalen Ebene als Eigentümerin auf. Auf der mittleren Ebene fallen diese Firmen mit Geschäftsanteilen anderer Eigentümer- oder Holdinggesellschaften zusammen und auf höheren Ebenen ist der Konzern international und branchenübergreifend aufgestellt. Die Gewinne zentralisieren sich früher oder später nach oben in der Eigentümervertikalen und laufen bei Aktionär:innen, Banken oder internationalen Investmentgruppen wie BlackRock zusammen.

Die Mieter:innen zahlen alle Ausgaben inkl. Instandhaltung. Ein weiterer Trick ist hier, nicht instand zu halten und Beschwerden wie erforderliche Mietsenkungen schlicht und ergreifend zu ignorieren, sie stattdessen mit Forderungen, Inkasso- und Gerichtsverfahren zu überziehen. Es wird dadurch gleichzeitig auch versucht, das Gebäude so in der Bausubstanz verkommen zu lassen, bis eine Sanierung notwendig wird. Deren Kosten sind umlagefähig. Sind sie amortisiert, also durch die Miete abbezahlt, wird sie jedoch nicht auf den vorherigen Zustand gesenkt.




DWE-Enteignungskonferenz: Mieter:innenbewegung bundesweit koordinieren!

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 265, Juni 2022

Der Kampf von Mieter:innen hat in den letzten Jahren eine neue Qualität angenommen. Angesichts der Verschärfungen, denen sie sich v. a. in den Großstädten gegenübersehen, bricht dieser Trend vermutlich nicht so schnell ein. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen (DWE) verfolgt dabei eine politische Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage im Sinne der einfachen Mieter:innen, die Enteignung großer Immobilienkonzerne und die Verstaatlichung des enteigneten Bestandes unter ihrer (Mit-)Kontrolle. Doch die Orientierung darauf, die tagtäglichen Probleme der Mieter:innen durch den Druck auf staatliche Institutionen zu lösen ohne den Aufbau kampffähiger Mieter:innenstrukturen, bringt das Vorhaben ins Stocken. Die Frage, wie wir gegen den Senat und die Gerichte den Mehrheitswillen der Mieter:innen umsetzen können, bleibt unbeantwortet.

Der Volksentscheid DWE gilt über die Berliner Landesgrenze hinaus als nachahmenswertes Beispiel. Für den Mietprotest, der oftmals lokal und vereinzelt abläuft, wird die Perspektive eines überregionalen Protests immer dringlicher und deutlicher, doch wie?

Als Gruppe Arbeiter:innenmacht sind wir aktiv in der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Hiermit möchten wir unsere Einschätzung zur Lage der einfachen Mieter:innen und ein paar Vorschläge für die Perspektive der Bewegung äußern. Wir hoffen, dass die Enteignungskonferenz nicht nur den Charakter eines Wissens- und Erfahrungsaustausches annimmt, sondern Ausgangspunkt für eine bundesweit koordinierte und schlagkräftige Mieter:innenbewegung wird. Dieser Text soll ein Vorschlag dafür sein.

Lage auf dem Wohnungsmarkt in Deutschland

Laut statistischem Bundesamt sind die durchschnittlichen Immobilienpreise in Deutschland zwischen Oktober und Dezember 2021 um 12,2 % im Vorjahresvergleich gestiegen. Der durchschnittliche Kaufpreis für Ein- und Zweifamilienhäuser stieg zwischen 2010 und 2020 um etwa 65 %. Das Preisniveau in den deutschen Städten wird als überbewertet eingeschätzt, zwischen 15 und 40 %. Der EU-Risikorat kalkuliert das Blasenrisiko auf „mittel“. Ein Platzen einer solchen Blase könnte einen hohen Anteil an ausfallenden Renditen mit sich bringen, den Marktwert der Unternehmen senken, die Zinsen auf Kredite erhöhen und auf andere Sektoren der Wirtschaft aufgrund zunehmender Verwobenheit zurückwirken. Und das nicht nur für Deutschland, sondern auch Österreich, Bulgarien, Kroatien und Ungarn. In Deutschland trifft das Problem in besonderer Form zu, da es unter den OECD-Staaten einen hohen Anteil an Mieter:innen hat (ca. 57,9 % im Jahr 2018). Währenddessen verharren die Eigenkapitalanteile beim Ankauf von Immobilien weiterhin im Keller und viele Kredite sind an variable Zinssätze gebunden.

Die systematische Veränderung in der Immobilienwirtschaft wird als Finanzialisierung bezeichnet. Der Begriff beschreibt einerseits den Trend zunehmender privater Finanzanlagen im Immobiliensektor, andererseits auch den verstärkten Einfluss des Finanzsektors und seiner Erwartungen auf die Wohnungswirtschaft. Seit der Finanzkrise von 2007/08 erleben wir eine massive Niedrigzinspolitik der Zentralbanken (Quantitative Easing) – eine Ausgangssituation, die Tür und Tor für ein Jahrzehnt des Renditenbooms u. a. in deutschen Großstädten folgen ließ. Nicht primär, weil Kapitalanlagen in Wohnraum grundlegend hohe Erträge versprechen, sondern mangels besserer Alternativen im produzierenden Gewerbe. Die Renditen in sogenannten Spitzenstandorten wie Berlin und Hamburg liegen auf einem Tief (2,5 und 2,6 %). Das vergangene Jahrzehnt war durch geringe Reinvestitionsraten des Kapitals in den Sektor, in welchem die Profite erzeugt wurden, geprägt. Die großen Akteur:innen des Immobiliensektors sind dementsprechend immer deutlicher mit dem Finanzkapital verwoben.

Immer mehr einfache Mieter:innen müssen einen größer werdenden Teil ihres monatlich zur Verfügung stehenden Geldes somit für Mietzahlungen ausgeben. Die durchschnittliche Mietbelastungsquote privater Haushalte in Deutschland betrug 2018 27,2 . Die Tendenz ist dabei steigend. Diese Kennzahl erscheint geringer, da die Ausprägung der Mietbelastungsquote regional sehr ungleichzeitig ist. In Berlin ist sie bei Neuvermietungen im Bundesdurchschnitt mittlerweile am höchsten. Im August 2021 wird sie auf 37,3 % datiert, bei einer 65 m²-Wohnung (durchschnittlich 930 Euro Warmmiete) und einem durchschnittlichen Einkommen von 2.491 Euro. Die Mietbelastungsquote sagt aus, wie hoch der Anteil der Miete am monatlichen Nettolohn ist.

Gleichzeitig lassen sich angesichts der Coronapandemie und des Krieges in der Ukraine bereits deutlich die Konturen und heftigen Ausmaße der Krise erkennen, die sich kaum noch beziffern lassen. Die Inflation ist dabei bereits jetzt ein relevanter Faktor. Seit Jahresbeginn sind ebenfalls die Bauzinsen massiv angestiegen: für einen Baukredit über 15 Jahre Laufzeit durchschnittlich von 1,2 auf 2,87 %. Parallel dazu erleben wir eine voranschreitende Zentralisation des Immobilienmarktes. Vergangenes Jahr versuchten Vonovia und Deutsche Wohnen zu fusionieren. Akelius hat seine 14.000 Wohnungen im deutschsprachigen Raum an Heimstaden verkauft.

DWE

Gegen die Herrschaft dieses Elends hat die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen einen Vorschlag entwickelt: die Enteignung von Immobilienkonzernen mit mehr als 3.000 Wohneinheiten im Land Berlin. Dafür hat die Initiative über Sammelphasen, Volksentscheid und Vorstufen hinaus mit Mieter:innen diskutiert, verschiedenste Aktionsformen organisiert und gezeigt, welche Dynamik eine Perspektive zur Lösung der Wohnungsfrage entfalten kann. Doch die Initiative setzt ihre Kraft auf die Umsetzung dieser Enteignung durch die Ausnützung des rechtlichen Rahmens des Staates und durch dessen Institutionen. Als taktische Forderung stellt dies eine klare Perspektive zur Vereinheitlichung des Widerstandes dar, als strategische Orientierung führt dies dazu, die Frage offenzuhalten, was folgt, wenn der Staat mitsamt dessen Verfassung, Gewaltorganen und Gerichten nicht willens und fähig ist, dies umzusetzen. Ein Staat, der ansonsten die Verhältnisse erst ermöglicht hat, indem die Erfüllung der Renditeerwartungen mehr Gewicht hat als das Bedürfnis zu wohnen. Kurz gesagt: ein Staat, dem die Vermietungs„verzinsung“ so sehr am Herzen liegt, dass etliche Mieter:innen zwangsgeräumt werden.

Die Perspektive der Enteignung greift viele Schwächen der Mieter:innenbewegung auf, bricht mit dem Anschein des Mietverhältnisses als individuellem Problem. Der Grund für diesen Anschein liegt darin, dass die Wohnungsfrage keine direkte, sondern nur eine indirekte Klassenfrage ist. Arbeiter:innen leiden unter der Anmietung von Wohnraum in Privatbesitz am meisten. Der Mietkampf leidet aber darunter, kein klares Klassensubjekt zu kennen. Ziel sollte daher sein, die Verbindung zu lohnabhängigen Mieter:innen zu schaffen. In diesem Sinne fassen wir die Eigentumsfrage auf, die DWE stellt. Eigentum und Kontrolle über die gesellschaftlich geschaffenen Werte (hier Wohnraum) sind klassische Fragen der Arbeiter:innenbewegung. Folglich ist eine kollektive Widerstandsperspektive notwendig. Das erfolgversprechend und greifbar zu machen, ist der bislang größte Achtungserfolg, den DWE errungen hat.

Doch seit dem Wahlerfolg am 26. September kehrt sich die bislang so vielversprechende Perspektive, das Mittel Volksentscheid, in einen Selbstzweck und eine Fessel um. Bislang war es eine greifbare Möglichkeit für die Mieter:innen und die Mietaktivist:innen. Doch nach dem Achtungserfolg von 59,1 % der Stimmen liegt der Ball nun im Feld des Senats und der spielt auf Verschleppung. Nun folgen wir dem Fahrplan des Senats und seiner Expert:innenkommission in Richtung Sackgasse. Diese Fallstricke waren bereits im Vorfeld erkennbar, doch jetzt ernten wir die Konsequenzen. Eine erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens der Initiative erscheint nämlich von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, wenn es keine Neuorientierung gibt.

Wie enteignen?

Durch den Volksentscheid haben wir erreicht, dass sich die verschiedenen Mietinitiativen und Massenorganisationen der Mieter:innen an uns orientiert haben. Doch haben wir es bislang nicht genügend geschafft, die Enteignungsinitiative zum Aktionsschwerpunkt aller politischen Kräfte in der Mieter:innenbewegung oder zu einer lebendigen Diskussion in den Gewerkschaften zu machen. Zwar haben uns der Berliner Mieter:innenverein, die Berliner Mieter:innengemeinschaft oder Gewerkschaften wie ver.di, IG Metall oder GEW aus Berlin unterstützt, doch waren sie nie wirklich Teile der Initiative. Ein ähnliches und damit verbundenes Problem besteht gegenüber den Mieter:innen, mit denen wir tagtäglich in Gesprächen sind und waren.

Wir brauchen eine Kampforganisation, die in der ganzen Stadt einen großen Teil der Mieter:innen umfasst, jedoch gleichzeitig kein Organ des verknöcherten sozialdemokratischen Vereinswesens ist und zu einer Art Mietschutzversicherung verkommt, sondern Mietprotest organisiert und den Kampf gegen Immobilienwirtschaft und Verschleppung des Volksentscheidergebnisses führt – bis zu kollektiven Mietboykotten und Besetzungen der Firmenzentralen. Solche Massenorganisationen wären fähig, die Enteignung und „Vergesellschaftung“ (Kommunalisierung) umzusetzen und zu verteidigen. Die Gewerkschaften stellen mit ihren Mitgliedschaften eine weitere Grundlage für solche Organisationen dar, ist jede Mieterhöhung doch letztendlich ein indirekter Lohnraub und sind die meisten Mieter:innen doch schlussendlich lohnabhängig – weshalb die Wohnungsfrage auch v. a. eine Klassenfrage ist.

Der Protest gegen den Umgang mit dem Volksentscheid, aber auch die tagtägliche Organisierungsarbeit auf der Straße und in den Häusern sollten sich nicht nur auf die Werbung für die Idee der Enteignung fokussieren, sondern müssten die Frage „Wie enteignen?“ ehrlich beantworten. Diese Organisationen existieren bisher nicht, das stimmt, doch vor vier Jahren hielt es kaum jemand für wahrscheinlich, dass wir einen Volksentscheid zur Enteignung mehrheitsfähig machen könnten. Die Gunst der Stunde gilt es, nicht zu verpassen. Und selbst wenn uns der Senat jemals die Enteignung schenken sollte, so lassen wir hierdurch lebendige Organe entstehen, die fähig sind, den Wohnraum in ihrem Interesse zu kontrollieren. Der Vorschlag eines Gesetzesvolksentscheids (GVE) geistert seit Monaten durch die Reihen von DWE. Ein solcher böte einen Rahmen, um gemeinsam eine solche Struktur aufzubauen. Ein inhaltsleeres, zielloses Kiezorganisationsprojekt würde sicherlich eine widerspenstige Mieter:innenschaft erreichen können, jedoch einen Schritt weg vom Ziel der Enteignung und Überführung in städtisches Eigentum darstellen.

Wie bundesweit schlagkräftig werden?

Mieten müssen wir ja nicht nur in Berlin zahlen, auch in anderen Städten regiert der Mietwahnsinn. Die Enteignungskonferenz ist ein richtiger Schritt in Richtung einer Zusammenführung des Mietkampfes aus allen Ecken und Enden Deutschlands. Lasst uns gemeinsam aus der Konferenz heraus konkrete Aktionsperspektiven entwickeln! Regelmäßige Konferenzen, der gemeinsame Plan, kampfkräftige Mieter:innenorganisationen aufzubauen, zentrale Forderungen und damit verbundene Proteste sollten ihr Ergebnis bilden. Initiativen wie Hamburg enteignet, die kollektiven Klageversuche gegen die Nebenkostenabzocke von Vonovia oder die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel sind Ansätze dafür. Eine reine Fokussierung auf lokale Themen lässt den Mietprotest ein saisonales Phänomen bleiben.

Mieter:innen sind, wie weiter oben bereits benannt, keine soziale Klasse. Für Linke ist daher unerlässlich, in diese Bewegung selbst einen klaren Klassenstandpunkt hineinzutragen. Nur wenn sich die Mieter:innenbewegung als Teil der Arbeiter:innenbewegung versteht, kann sie dauerhaft die Lage der Mietenden verbessern, denn in letzter Instanz bestimmen auch auf dem Wohnungsmarkt Klassenverhältnisse.

Zur Zeit macht sich dies gerade für proletarische Mieter:innen schlagend bemerkbar. Aktuell erleben wir angesichts des Krieges in der Ukraine und der anhaltenden Coronapandemie eine massive Inflation. Nicht nur die Miete stellt eine Belastung für Lohnabhängige und Arme dar. Das Kapital versucht überall, seine Mehrkosten auf uns abzuwälzen. Die Mieter:innenbewegung und allen voran DWE dürfen hier nicht passiv bleiben, sondern wir brauchen eine Diskussion über den Mieter:innenprotest hinaus, wie wir unsere Ziele erreichen können und wollen.

Forderungskatalog und kleines Aktionsprogramm

Die Mieter:innenbewegung braucht ein Programm zur Enteignung und Kontrolle von Wohnraum, für das sie kämpft – ein Aktionsprogramm das unserer Meinung nach folgende Aspekte umfassen sollte:

1. Sofortmaßnahmen gegen Mietpreiserhöhungen und für Begrenzung der Miethöhe.

2. Kampf gegen rassistische, geschlechtliche und soziale Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt.

3. Programm für den Neubau von Sozialwohnungen und günstigem Wohnraum für die Masse der Lohnabhängigen.

4. Kampf gegen Armut: für Mindestlohn und Anpassung der Löhne an die Steigerung der Mietpreise und anderer Lebenshaltungskosten.

5. Enteignung von Grund und Boden, der privaten Immobilienkonzerne und des Wohnungsbaukapitals.

6. Kontrolle durch Mieter:innen und lohnabhängige Bevölkerung.




DWE beteiligt sich an der Expert:innenkommission – aber um welchen Preis?

Kommentar von Wilhelm Schulz, KiezTeam Reinickendorf-Wedding, Infomail 1187, 6. Mai 2022

„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ beteiligt sich an der Expert:innenkommission des Senats. Am 12. April fand ein Sonderplenum der Initiative statt, an dem mehr als 200 Personen teilnahmen. Beachtliche 82 % der Abstimmenden sprachen sich für eine Beteiligung aus und lediglich 15 % votierten dagegen – in Zahlen: 29 Personen. Am Folgetag wurden auf einer Pressekonferenz der Initiative die Expert:innen, die für DWE in die Kommission gehen, vorgestellt: zwei Jurist:innen und eine Sozialwissenschaftlerin, allesamt (Vertretungs-)Professor:innen, öffentlich anerkannte Wissenschaftler:innen ihrer Disziplinen. Aber auch allesamt ohne Verbindung zur Berliner Mieter:innenbewegung, ohne besonderes Wissen über die Situation in Berlin oder Anbindung an die Initiative DWE. Konkret handelt es sich um Susanne Heeg, Professorin für Humangeografie an der Universität Frankfurt am Main, Anna Katharina Mangold, Professorin für Europarecht an der Universität Flensburg und Tim Wihl, Professor für öffentliches Recht der Universität Erfurt. Wir haben als DWE keine wirkliche Kontrolle über diese Expert:innen und können sie nicht mal abziehen.

Der Weg zur Expert:innenkommission war geprägt von einem sehr undemokratischen und intransparenten Vorgehen der Verhandlungsgruppe. In DWE macht sich damit eine fortschreitende Trennung von Hand- und Kopfarbeit breit und die Kampagne läuft ernsthaft Gefahr, dass eine DWE-Bürokratie an ihrer Spitze entsteht: Menschen, die von DWE leben oder die Kampagne als etwas begreifen, das ihren Lebenslauf schreiben soll. Aber es geht bei DWE um etwas anderes: die Berliner Mieter:innen.

Signal

Die Intention der Verhandlungsgruppe im Prozess hin zur Expert:innenkommission mag vielleicht gewesen sein, sich von Staat und Presse nicht in die Karten schauen zu lassen. Wir müssen aber eingestehen, dass wir schlicht keine Geheimabsprachen führen können, und sollten daher unsere Debatten selbst für die Öffentlichkeit nachvollziehbar machen, bevor es der „Tagesspitzel“ tut. Am Beginn der Plena einfach nur darauf hinzuweisen, dass die Presse nicht willkommen ist, schreckt sie nicht ab. Wir sollten uns eingestehen, dass wir zu groß sind, um Geheimhaltung und Basisdemokratie unter einen Hut zu bekommen. Eines muss zum Wohle des anderen tendenziell geopfert werden.

Als Arbeiter:innenmacht haben wir gegen eine Beteiligung an der Expert:innenkommission gesprochen und gestimmt. Weiterhin halten wir die Beteiligung für einen politischen Fehler (siehe den Artikel Keine Beiteiligung an der Expert:innenkommission auf unserer Websteite), denn die Expert:innenkommission macht schlussendlich aus der großen politischen Frage der Enteignung und Verstaatlichung eine kleine juristische der Vereinbarkeit mit der herrschenden Ordnung. Dabei ist es doch  Fakt: Überhaupt nur als Ausdruck eines politischen Kräfteverhältnisses hat es die Enteignungsfrage auf die Agenda des Senats geschafft.

Sich auf die Expert:innenkommission – die nicht mal ein Gesetzgebungsverfahren einleitet –  zu orientieren, gibt ein klares Signal an die Berliner Mieter:innen, nämlich, dass wir der Umsetzung durch Giffey und Geisel vertrauen. Dabei geht die Initiative mehrheitlich davon aus, dass die Expert:innenkommission nichts umsetzen wird, sondern vielmehr es sich bei ihr um eine Verschleppungstaktik handelt. Dieses gemeinsame Lippenbekenntnis nützt jedoch reichlich wenig, solange wir keine gemeinsamen Konsequenzen daraus ziehen. Als Arbeiter:innenmacht haben wir dafür argumentiert, dass wir den Mieter:innen mit all unseren Schritten klarmachen müssen, dass sie selbst sich für ihre Ziele zusammenschließen, den Senat und die Gerichte unter Druck setzen sowie Kampfmaßnahmen wie kollektive Mietboykotte und Besetzungen umsetzen müssen. Sie müssen über den Rahmen des Volksentscheids hinausgehen, damit dieser umgesetzt wird. Indem wir uns an der Kommission beteiligen, legitimieren wir schlussendlich die Verschleppung, provozieren wir die drohende Demoralisierung tausender Unterstützer:innen und möglicherweise hunderter Aktivist:innen.

Schwächen der Initiative

Die Beteiligung ist Ausdruck einer Schwäche der Initiative. Die große Zustimmung zur Mitarbeit in der Kommission drückt dies teilweise mit aus. Schlussendlich hat DWE keinen Plan B. Die gesamte Initiative steht und fällt mit der (Nicht-)Umsetzung des Volksentscheides. In der Sammelphase und im Wahlkampf, wo wir mit zehntausenden Mieter:innen in Kontakt kamen, konnten wir kein weiteres Angebot vorstellen, als bei DWE mitzuarbeiten, zu unterschreiben und – falls es das rassistische und altersdiskriminierende Wahlrecht zulässt – für uns abzustimmen. Statt ein Mobilisierungs- und Organisierungsmoment zu werden, ist der Volksentscheid ein Versuch, sozialreformerisch die Möglichkeitsspielräume des Staates auszuweiten – ohne eine systematische Diskussion über seinen Klassencharakter führen zu wollen.

Die Möglichkeit, einen Gesetzesvolksentscheid als neues Mobilisierungsmoment und Organisationsrahmen der Mieter:innenbewegung (nicht als juristische/n Heilsbringer:in) vor einem Ende der Kommission einzuleiten, gar vor dem Ende des finalen Scheiterns des Volksentscheides, wird immer schwerer vermittelbar. Faktisch geraten wir jeden Tag mehr und mehr in Vergessenheit. Die politischen Aktivitäten der Initiative in den kommenden Monaten verkommen notwendig zum Schatten des Staates, angesichts der Perspektive, dass die Umsetzung durch die Expert:innenkommission, anschließend durch den Senat und abschließend durch die Gerichte bestimmt wird. Wenn dieser Weg zum Einkassieren des Ziels führen sollte, dann kriegt es die Initiative sicherlich hin, die Wut auf die Straße zu bringen, doch mehr als ein affektorientierter Protest wird dies nicht sein. Denn die Initiative setzt nicht auf den Aufbau einer systematischen Gegenmacht, sondern auf Mitverwaltung und Diskurs(ohn)macht. Das wird die Gesellschaft aber nicht transformieren, denn schlussendlich handelt es sich beim Staat und der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur um eine Idee, sondern um materielle Gewalt. Gewalt, die tagtäglich Menschen zwangsräumt, die ihr Gesetz wehrhaft verteidigt und deren Enteignungsoptionen (Gemeinwohlorientierung im Grundgesetz § 15) Ausdruck eines Kräfteverhältnisses nach dem 2. Weltkrieg waren und zur Integration der Sozialdemokratie und Arbeiter:innenbewegung in den Staat dienten.

Natürlich ist es prinzipiell möglich, kleine Zugeständnisse durch den Grundgesetzparagraphen zu erhalten. Jedoch kann nur die generelle Aufhebung der Eigentumsordnung langfristig die Lage der Mieter:innen verbessern, alles andere sind kosmetische Verbesserungen. Und darin drückt sich die zentrale Differenz aus, denn wir sehen auch die Initiative als sozialreformerisch an. Die Frage ist für uns die: Nutzen wir den Kampf um Sozialreform zum Aufbau einer Gegenmacht, die in der Lage ist, die herrschenden Verhältnisse aus den Angeln zu heben, oder um die sozialen Verhältnisse wieder ein wenig zu befrieden? Natürlich zeigt die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung, dass ersteres keine Aufgabe von Monaten oder wenigen Jahren ist. Doch verabschieden sich DWE bzw. die dominierenden Ideologien innerhalb der Initiative gänzlich von dieser Perspektive und lassen eine darüber hinausgehende auf scheinbar kämpferische Sonntagsreden beschränkt!

Wir werden uns als Arbeiter:innenmacht trotzdem weiterhin an DWE beteiligen. Wir tun dies, weil wir ihre Errungenschaften verteidigen und voranbringen wollen. Wir schlagen deshalb allen Menschen, die gegen die Expert:innenkommssion sind oder trotz krampfhafter Bauchschmerzen zähneknirschend für sie gestimmt haben und es bereuen, ein Zusammenkommen vor, wo wir darüber diskutieren können, wie der Kampf um Enteignung in Berlin gewonnen werden kann – ohne unkontrollierbare Expert:innenkommission, ohne naives Staatsvertrauen, dafür mit den Mieter:innen dieser Stadt!

Die Debatte um Beteiligung an der Expert:innenkommission zeigte deutlich, dass wir einerseits eine politische Perspektive auch gegen diese formulieren und greifbar machen müssen. Ebenso offenbarte sie, dass das Lager der Nichtbeteiligung klein und nicht formiert ist. Wir stehen daher vor einer doppelten Aufgabe: Wir müssen solidarisch an der nach innen und außen gekehrten Arbeit konstruktiv mitarbeiten, während wir zugleich Diskussionsformate für einen Plan B kampagnenintern schaffen sollten. Bisher scheint die Initiative für einen Gesetzesvolksentscheid eine solche Klammer darzustellen. Wenn diese auch bisher kaum die Frage des Aufbaus einer Gegenmacht aufwirft, so leistet sie zumindest eine Rückbesinnung auf die aktivistischen und nach außen gerichteten Momente der Initiative.




DWe: Keine Beteiligung an der Expert:innenkommission!

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Kokreis DWe), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Bündnispartner:innen, Kokreis DWe), Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf), Infomail 1182, 28. März 2022

Nachdem ein halbes Jahr in Sachen Enteignung sich nichts Richtung Umsetzung bewegt hat, wird es in Berlin nun langsam ernst: Der neue Senat bildet eine Expert:innenkommission, die darüber entscheiden soll, ob und wie der Volksentscheid vom 26. September umsetzbar ist, in dem sich über eine Million Berliner:innen dafür entschieden, große private Wohnungskonzerne zu enteignen und zu vergesellschaften. Dieses Statement soll unsere Meinung zur Debatte von „Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWe)“ darlegen, warum wir denken, dass eine Beteiligung an der Expert:innenkommission weder der Initiative des Volksentscheides noch den Berliner Mieter:innen etwas bringt. Wir sind allesamt aktiv in DWe und denken, dass wir als Initiative mit Hinterzimmerdebatten nichts gewinnen können. Unsere Kontroversen müssen offen und ehrlich sein. So können wir u. a. für Berliner Mieter:innen unsere Entscheidungen nachvollziehbar machen.

In diesem Zusammenhang verweisen wir auch auf die folgenden zwei Artikel:

Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Senatsspiele

Es gibt viele sehr unterschiedliche Argumente, die für oder gegen eine Teilnahme von DWe an der Expert:innenkommission des Senats sprechen. Die Kampagne hat bereits Zugeständnisse gemacht wie die prozentuale Beteiligung von DWe entsprechend dem Abstimmungsergebnis des Volksentscheids. Die letzten Monate haben wir in aller Deutlichkeit sehen müssen, dass wir nach dem erfolgreichen Entscheid am 26.9. keine eigenständige Perspektive hatten. Wir haben unsere Initiative von Geisel und Giffey treiben lassen. Jetzt haben wir die Chance, damit zu brechen und wieder an Schlagkraft zu gewinnen.

Denn den Charakter der Kommission bestimmt der Senat. Hier sieht das Kräfteverhältnis so aus, dass die SPD mitsamt Bürgermeisterin Umbridge-Giffey und Bausenator Geisel-Nehmer (zwei Freund:innen der Immolobby) von Anfang an betont hat, dass es mit ihr keine Vergesellschaftung geben wird. Für die Grünen war diese als Wahlkampfvehikel ganz geil. Bettina Jarasch hat sogar mit Ja gestimmt, aber nur, weil „die Enteignung das letzte Mittel ist“ – eine Floskel, auf der es sich bequem liegt, denn wann alle anderen Mittel versucht wurden, hat sie nicht gesagt. Jarasch nutzt ihr opportunistisches Stimmverhalten, um den Auftrag des Volksentscheids umzuinterpretieren. Nicht die Enteignung und Vergesellschaftung seien das Ziel, sondern eine Möglichkeit unter vielen. Die LINKEN sind einfach mal umgefallen. Anstatt die Enteignung zur Bedingung für ihren Koalitionseintritt zu machen, wurden DWe und der Volksentscheid geopfert und die Koalition ohne Bedingungen gebildet.

Aus der versprochenen gemeinsamen Besetzungsliste von DWe, den Grünen und den LINKEN für die Expert:innenkommission wurde auch nichts – weil lieber im Hinterzimmer eine Liste mit der SPD ausgekungelt wurde, an uns vorbei! Die LINKE wird zugunsten des Koalitionsfriedens jede Kröte schlucken. Eine Partei, die ihre Absprachen mit den engsten Bündnispartner:innen wie DWe und ihre Versprechungen ihren Wähler:innen gegenüber nicht einhält, hilft uns nicht weiter. Parteilinke, die gegen diesen Kurs und diese Koalition gestimmt haben, müssen in und über die Partei hinaus sichtbar werden und für einen Kurswechsel fraktionell um die Parteiführung kämpfen. DWe würde in dieser Kommission ihre Kraft nicht nutzen können, politisch isoliert sein. Wir sollten uns nicht von dieser Augenwischerei ablenken lassen, dass DIE LINKE es versucht, als Erfolg zu verkaufen, dass es keine direkte Beteiligung von Eigentümer:innen von Wohnungskonzernen oder ihren Bediensteten gibt. Nur weil DIE LINKE das verhindert hat. Es ist zweitrangig, wer ihre Gehälter bezahlt, wenn sie auch kostenlos für das Immobilienkapital lobbyieren.

Und an dieser Expert:innenkommission sollen wir uns beteiligen?

Wir müssen Verantwortung übernehmen, die Vergesellschaftung umzusetzen, bspw. im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheides, und uns nicht an deren Verschleppung beteiligen. Die Tücken und Fallstricke eines Vergesellschaftungsgesetzes werden mit oder ohne unsere Beteiligung in der Kommission diskutiert. Eine Bewegung auf der Straße, in den Häusern und Betrieben kann viel mehr Einfluss darauf nehmen als das Verhandlungsgeschick von drei Expert:innen. Im Übrigen Expert:innen, die DWe nur sehr begrenzt kontrollieren kann. Jede Hoffnung auf vorzeitige Exitstrategien muss dieses Problem ausklammern: Es ist keine basisdemokratische Kommission, sondern ein Organ der repräsentativen Demokratie.

Nutzen kann die Beteiligung an der Kommission nur, wenn sie entweder eine definitive Umsetzungskommission für den Volksentscheid wäre oder wenn wir sie durch Beteiligung von DWe wenigstens als Verschleppungskommission vor den Augen der Berliner:innen entlarven können. Möglichkeiten, die Kommission als solches zu entlarven, gab es bereits einige. Doch solange DWe keine klare Position zur Expert:innenkommission einnimmt, weiß die Initiative auch nicht, zu welchem Zweck und in welchem Ton diese angegriffen werden soll. Unsere aktuelle Praxis führt nicht dazu, dass die Berliner:innen sehen, dass die Kommission nicht für, sondern gegen die Enteignung und Vergesellschaftung arbeiten soll, geht es nach dem Berliner Senat.

Es ist unwahrscheinlich, dass die Kommission einen Impuls zur erfolgreichen Umsetzung liefern wird. Bausenator Geisel hat deutlich gemacht, was die Expert:innenkommission ist – sie überprüft erst mal, OB Vergesellschaftung möglich ist und OB es wirtschaftlich sinnvoll ist. Und das OB wird das WIE vorwegnehmen. Aus der zweiten Reihe der SPD legte der Abgeordnete Buchner die Karten noch offener auf den Tisch: „Der Volksentscheid interessiert in einem Jahr eh keine Sau mehr.“ Das ist dann die unverhohlene Ankündigung der Verschleppung – und an der sollte sich DWe niemals beteiligen. Der Charakter der Kommission zeichnet sich immer klarer ab. Unsere Aufgaben müssen sein, diesen den Mieter:innen klarzumachen und diese Kommission wie den Senat politisch zu delegitimieren.

Für die Umsetzung braucht man die richtige Strategie!

Die SPD benannte CDU-nahe Jurist:innen. Denen ist privates Eigentum das Allerheiligste. Eine Umsetzung ist wenig wahrscheinlich. Und selbst wenn die Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass unter Umständen die Vergesellschaftung nach bürgerlichem Recht und durch horrende Entschädigungen möglich ist – was dann?  Dann ist das zunächst nur eine Empfehlung und der Senat hat die Entscheidungsgewalt. Eine Bürgermeisterin, die eine Gegnerin des Volksentscheids ist, und Koalitionsparteien, die mit der Namensliste gezeigt haben, wem sie politisch folgen werden: nicht uns, sondern der SPD und den Wohnungskonzernen. Am Ende landet das Ganze wahrscheinlich trotzdem wieder in Karlsruhe. Wenn wir dann keine schlagkräftige Mieter:innenbewegung aufgebaut haben, dann ist der Erfolg, aus diesem Angriff gestärkt hervorzutreten, ein Münzwurf und dem Zufall sollten wir unsere Strategie nicht überlassen! Wir dürfen nicht vergessen, wie einseitig das Bundesverfassungsgericht zugunsten der Miethaie in der Mietendeckelfrage entschieden hat. Und da galt es nur, privates Eigentum zu regulieren.

Auch wenn es in der Debatte um die Expert:innenkommision oft so wirkt – aber der Volksentscheid und seine Fortsetzung im juristischen Ringen mit dem Senat sind nicht das Ende des Vergesellschaftungskampfes. Von allen Mitteln, die eine Enteignung bewirken können, ist es ein eher schwaches. Denn der Kampf ist eine Frage des Kräfteverhältnisses, und das drückte sich bisher leider nur auf einigen Demos und eben am 26. September 2021 aus. Auch dass die Möglichkeit der Vergesellschaftung im Grundgesetz stand, war Ausdruck eines solchen Kräfteverhältnisses und hatte das Ziel, Teile der Arbeiter:innenbewegung in den Staat zu integrieren, mit Erfolg!

Es ist eine Illusion zu glauben, dass juristische Argumente oder Sachfragen eine entscheidende Rolle spielen: Der bürgerliche Staat ist eine politische Organisation zum Schutz des Privateigentums. Zugeständnisse werden durch Kämpfe erzielt, nicht durch Integration in den Staat und seine Unterorgane. Daher muss es unsere Hauptaufgabe sein, Kämpfe zu führen, Mieter:innen zu organisieren und damit das gesellschaftliche Kräfteverhältnis zugunsten der einfachen Mieter:innen zu verschieben. Dadurch schafft man eine Grundlage für die Umsetzung der Vergesellschaftung durch einen zweiten Volksentscheid oder – unter ganz spezifischen Umständen – unter diesem Senat. Nur wenn Enteignung und Vergesellschaftung dem Senat als kleineres Übel erscheinen, wird er sie selbst anpacken, dann jedoch mit dem Ziel, Schlimmeres zu verhindern.

Erstens sind die Umstände, dass wir in dieser Kommission die Vergesellschaftung umsetzen können, mit diesen Parteiführungen, diesem Senat und dieser Besetzung jedoch nicht gegeben. Zweitens ist der Fokus auf die Expert:innenkommission eine strategische Sackgasse. Diese schließt organisch die Breite der Aktiven von der Partizipation aus, erschwert Mobilisierung und Organisierung der einfachen Mieter:innen an der Basis und ist daher ein Hindernis, das Kräfteverhältnis zu verschieben. Ohne politischen Druck gibt es bei Gerichtsentscheidungen keine Zugeständnisse und die Entscheidung wird, wie zuvor, im Interesse der Immolobby und Miethaie getroffen. Unsere Arbeit würde schlussendlich den Anschein erwecken, dass Senat und Expert:innenkommission das Subjekt der Vergesellschaftung und Enteignung seien. In Wirklichkeit sind das jedoch Mittel zur Verschleppung. Unser Eintreten in diese Sackgasse würde die Illusion unter Berliner Mieter:innen in diese Gremien weiter schüren und unseren parallelen Aufbau von Gegenmachtorganen über eine Organizing-Kampagne schwächen. Unsere Praxis muss den Mieter:innen zeigen, dass sie selbst für die Vergesellschaftung und Enteignung aktiv werden müssen und eben nicht abwarten dürfen!

Organizing mit dem Ziel einer längerfristigen Mieter:innenorganisation (bspw. einer Mietgewerkschaft), Gesetzesvolksentscheid, Mieter:innenräte, Massendemonstrationen und politische Streiks, Mietboykotte – das sind die schweren und vielversprechenden Waffen für Enteignung und Vergesellschaftung, auch wenn, das ist uns klar(!), sie viel Arbeit und Ausdauer bedeuten. Aber einfacher werden die Bedingungen, dies zu ermöglichen, nicht von selbst und erst recht nicht nach weiteren Monaten der Perspektivlosigkeit, Zermürbung und Versanden in der Kommission. Die Zeit arbeitet nicht für, sondern gegen uns! Eine strategische Orientierung auf außerparlamentarische Bewegung und vom Staat unabhängige Organisierung ist alternativlos. Unser zentrales Ziel bleibt der Kampf um Vergesellschaftung und Enteignung. Dies können wir nur durch eine Massenbewegung der einfachen Mieter:innen und Lohnabhängigen erreichen.

Die Teilnahme an einer Kommission fördert dagegen die Illusion, dass die Kommission ein alleiniges Umsetzungsinstrument sein könnte, steigert die politische Autorität des Senats, schürt Hoffnungen, die enttäuscht werden müssen und schwächt die Politisierung und Kampfkraft der Mieter:innen. Auch das Argument, dass wir beides tun können, stimmt vielleicht für die Arbeitsressourcen, die wir aktuell haben. Jedoch ist es für Mieter:innen, die nicht regelmäßig mit uns diskutieren, schwer nachvollziehbar. Dieser falsche Pluralismus fördert schlussendlich die Expert:innenkommission und unser Organizing wäre nur eine Begleiterscheinung. Ohne die strategische Orientierung auf den außerparlamentarischen Kampf bleibt die Expertinnenkommission im Fokus der Medien und der Kampagne. Die Kiezteamarbeit und das Organizing gerät zu einer davon abgetrennten reinen Beschäftigungstherapie für die Kampagnenbasis. Unsere Teilnahme wird zu unserer Niederlage in der Kommission, im AGH und bei Gerichten führen. Die Teilnahme hat also mehr Nach- als Vorteile. Bis jetzt hat sich die SPD in ganzer Linie durchgesetzt. Geisel rief daher nicht zu Unrecht: „Wir haben gewonnen“. Allerhöchste Zeit, ihm nicht mehr weiter zuzuarbeiten!

Daher rufen wir alle Aktivist:innen in DWe dazu auf, für eine neue Strategie und gegen eine Teilnahme an der Expert:innenkommission einzutreten. Gleichzeitig ist das eine Diskussion, die nicht mit einer einzigen Abstimmung abgeschlossen sein wird und kann!




Strategiekonferenz „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen“ – Wie weiter?

Diskussionsbeitrag zur Strategie von DWe von Wilhelm Schulz (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Petra Hundert (Kiezteam Reinickending-Weddorf, Taskforce Organizing im KT R-W), Tomasz Jaroslaw (Taskforce Strategiekonferenz, Taskforce Argumente), Infomail 1177, 3. Februar 2022

Am 26. September hat „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen (DWE)“ im Volksentscheid mit 59,1 % der gültigen Stimmen einen großen Sieg errungen. Nach Jahrzehnten unternehmensfreundlicher Politik in Richtung Privatisierung, Mietsteigerung und Profitmaximierung wurde mit der Losung der Enteignung und Vergesellschaftung ein großes Statement dagegengesetzt. Die BerlinerInnen machten eine klare Ansage und sprachen sich für die Enteignung der Deutschen Wohnen, Vonovias und Co. aus. Die Eigentumsfrage und damit verbunden die Frage der demokratischen Kontrolle sind die zentralen Fragen der derzeitigen Situation.

In den letzten 3 Jahren wurde viel erreicht:

  • Ein Beschlusstext wurde erarbeitet, der die programmatische Basis der Kampagne bildet. Dieser wurde immer wieder überarbeitet.
  • Ein Treffen verschiedener AktivistInnen hat sich Anfang 2019 zum offenen Plenum als zentrales Organ der Kampagne entwickelt.
  • Zum Tragen der Kampagne wurde ein weitverzweigtes Netz von Strukturen aufgebaut:  Sieben AGen, diverse Taskforces und Unter-AGen, ein Koordinierungskreis und Kiezteams, die sich von einer Struktur zum Sammeln der Unterschriften zur lokalen Basis der Kampagne weiterentwickelten.
  • Hunderte AktivistInnen und noch mehr GelegenheitsaktivistInnen arbeiteten in den heißen Phasen im Sommer und Herbst 2021 für die Kampagne.
  • Viele kleine Initiativen wie auch größere und Massenorganisationen (z.B. Linkspartei, Berliner MieterInnenverein, Gewerkschaften) wurden als UnterstützerInnen gewonnen.

DWE konnte die Debatte in der Stadt auf diese Weise prägen und die Wohnraumfrage als eine zentrale Frage im Wahlkampf zur Berliner Abgeordnetenhauswahl aufwerfen. Die Stärke der Kampagne ist dabei vor allem, dass sie an den Kernproblemen der breiten Bevölkerung ansetzt und objektiv ein Massenpotenzial anspricht. Sie greift politische Elemente und Ziele aus der ArbeiterInnenbewegung auf, und bringt sie in eine Form, die dem aktuellen Bewusstsein und der aktuellen Diskussionskultur entsprechen und macht sie somit einer Vielzahl von Menschen zugänglich. Erreicht wurde dies auch durch die Verwendung von leicht zugänglichen Kommunikationsstrukturen und einer populären Sprache.

Institutionen des bürgerlichen Rechts (§15 GG Vergesellschaftungsparagraph, Volksbegehren) wurden taktisch geschickt verwendet. Aber hier zeigt sich die Problematik, die Grenzen dieser Mittel nicht ausreichend zu reflektieren. Es ist zwar vollkommen richtig im ‚Gegebenen‘ anzusetzen. Wenn es jedoch keine Strategie gibt, aus diesen gegebenen Institutionen herauszufinden und durch eine demokratische Mobilisierung eine außerparlamentarische Gegenmacht aufzubauen, bleibt die Umsetzung in den engen Grenzen der Institutionen stecken und verbleibt bei den politischen Entscheidungsträgern, die seit Jahrzehnten Politik im Interesse der privaten Immobilienkonzerne betrieben haben.

Taktik = Strategie?

Um langfristig bestehen und weiterhin nachhaltig Einfluss nehmen zu können, ist es zentral, dass DWE eine einheitliche strategische Ausrichtung entwickelt. Die Diskussion dazu wurde in den letzten Jahren vernachlässigt, weshalb der Kampagne nach dem Sieg im Volksentscheid ein weiteres zielgerichtetes Handeln fehlt. Dies führt dazu, dass der politische Gegner faktisch über den weiteren Verlauf entscheiden kann und der neue Senat mit der Verschleppungstaktik „ExpertInnenkommission“ initiativ werden konnte.

Ebenso wurde die Frage des Klassenstandpunkts in der Kampagne vernachlässigt. Die hohen Zustimmungsraten unter den Lohnabhängigen zeigen deutlich, dass sich die Kampagne hauptsächlich auf die ArbeiterInnenklasse stützt. Auf der anderen Seite befinden sich die großen Konzerne und Lobbys, deren Interessen von bürgerlichen Parteien (AfD, CDU, FDP, Grüne), der SPD-Spitze sowie staatlichen Institutionen in Gestalt des Senates oder des Verfassungsgerichtes vertreten werden. Das zeigt relativ klar die Klassenlinien in der Mietdebatte. Diese Klassenlinien wurden leider durch Begriffe wie die der „Stadtgesellschaft“ (was ähnlich zum Volksbegriff die Gesamtheit aller Klassen meint) aus taktischen Gründen bewusst vernebelt, um Attraktivität beim linken KleinbürgerInnentum zu erzeugen. Das ging aber auf Kosten einer strategischen Orientierung auf die Schichten, mit denen die Vergesellschaftung langfristig steht oder fällt: einfache MieterInnen und Lohnabhängige. Die Folgen davon waren bzw. sind, dass es keine oder keine ausreichende Debatte in der gesamten Linken, MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung, aber auch in der Kampagne gibt, wie die Vergesellschaftung mit eigenen Mitteln, aus eigener Kraft umgesetzt werden könnte.

Stattdessen wurde die Debatte hauptsächlich auf taktische Fragen des unmittelbaren Wahlkampfs konzentriert. Zwar wurde teilweise und wird versucht MieterInnen und ArbeiterInnen zu erreichen. Aber im Rahmen einer rein-parlamentarischen Strategie muss sich deren Rolle letztlich auf die des passiven, das Kreuzchen setzenden Objekts reduzieren. Das Potenzial dieser sozialen Milieus, als Subjekt die Enteignung selbst durchzusetzen, wird mit dieser Strategie verschenkt.

Natürlich war die Wahlkampforga notwendig. Aber ohne den gemeinsamen Rahmen (Strategie) und ein Ziel, aus dem sich konkrete Werkzeuge (Taktik) ableiten, bedeutet das nun, dass DWE vom Senat übertölpelt wird. Denn wenn man auf der oberflächlichen Ebene der Taktik und technischen Orga verbleibt, wird die Frage der Strategie von außen beantwortet. Dies geschieht jedoch ohne bewussten, demokratischen und selbstbestimmten Prozess innerhalb der Kampagne mit Wirkung auf die gesamte Linke, sondern unbewusst im Rahmen des Gegebenen, also der bürgerlichen Institutionen, ohne Diskussion und Reflexion bezüglich möglicher Alternativen. Ohne Diskussion und ohne Perspektive außerhalb der bürgerlichen Institutionen wird es dem politischen Gegner wie Giffey-Geisel einfach gemacht, DWE die Ebene der politischen Auseinandersetzung und letztlich unsere Strategie zu diktieren.

Verschärft wurde diese strategische Schwäche der Kampagne dadurch, dass systematisch taktische und organisatorische Fragen als Strategie bezeichnet wurden. Planungen waren meist nur kurz- und mittelfristiger Natur und bedeuteten nach dem 26. September: Planlosigkeit. Die Kampagne beschränkt sich seitdem darauf, die Politik des Senates zu kommentieren und im Rahmen einer „Eskalationsstrategie“ Druck auf den Senat aufzubauen. Giffey und Geisel wurde die politische Initiative für die Frage der Umsetzung überlassen. Somit ist der aktuell einzige skizzierte Weg zur Umsetzung des Volksbegehrens an die „ExpertInnenkommission“ gekoppelt, einem Organ was vom SPD-geführten Senat eingesetzt wird. Die Entscheidung zur Besetzung der Kommission und Umsetzung liegt rechtlich und faktisch beim Senat. Die Umsetzung der Vergesellschaftung in diesem Rahmen ist sehr unwahrscheinlich.

Auseinanderdriften

Darüber hinaus führt die strategische Unschärfe zum Auseinanderdriften der Kampagne. Persönliche, politische Konflikte und Polarisierungen zwischen verschiedenen Strukturen innerhalb der Kampagne entwickelten sich daraus (z.B. Kokreisstrukturreform). Das ist unvermeidlich, wo unterschiedliche politische Kräfte aufeinandertreffen. Problematisch ist jedoch, wenn das nur auf einer oberflächlichen, persönlichen oder rein organisationstechnischen Ebene gesehen wird und entsprechend nicht gelöst, sondern nur aufgeschoben wird. Die Frage, ob die Kampagne eine gemeinsame Strategie hat, die in verschiedenen Arbeitsbereichen umgesetzt wird, oder ob die Kampagne einfach eine Summe völlig unterschiedlicher Unterkampagnen ist, ist weder geklärt noch der Kampagne ausreichend bewusst. Einerseits gibt es die Teile, die mit dem Senat verhandeln wollen, sich in der Kontakt- und Verhandlungsgruppe engagieren und die ExpertInnenkommission bespielen wollen. Andererseits gibt es diejenigen, die ihren Schwerpunkt auf die Kiezteamarbeit legen wollen. Das Fehlen einer gemeinsamen strategischen Ausrichtung bedeutet das Fehlen eines zielgerichteten und wirksamen Handelns der Kampagne. Verschiedene Teile ziehen nicht mehr am gleichen Strang, sondern steuern in unterschiedliche Richtungen.

Der Fokus auf die vom Senat zur Verschleppung des Volksentscheids eingesetzte ExpertInnenkommission befördert den oben erläuterten Zersetzungsprozess. Es besteht die Gefahr, dass sich die politische Führung in der Verhandlungsgruppe konzentriert und verselbstständigt, während die Basis ohne essentielle Bedeutung im Rahmen einer gemeinsamen Strategie zur bloßen „Handarbeit“ herangezogen wird. Diese politisch-strategische Abkoppelung der Kampagnenbasis kann zur Lähmung führen (wie beim Volksbegehren 2015) – trotz einer rein strukturellen Aufwertung im Kokreis. Ohne eine aktivistische Basis gibt es allerdings keine Verankerung der Kampagne bei den MieterInnen vor Ort. Es können weniger AktivistInnen und MieterInnen mobilisiert werden und somit kein Druck auf den Senat ausgeübt werden. Ohne eine aktive Basis verliert die Kampagne an Stärke und die Waffen gegen den Senat und die Immobilienhaie werden noch stumpfer. DWE befindet sich mit dem aktuellen Debattenstand in einer strategischen und strukturellen Sackgasse, die aufgebrochen werden muss, wenn wir den Sieg vom 26. September fortführen wollen. Die Strategiekonferenz am kommenden Wochenende muss hier die notwendigen Weichenstellungen liefern.

Bruch mit ExpertInnenkommission

Unmittelbar notwendig ist es, mit der ExpertInnenkommission des Senats zu brechen. Mit Geisels Klarstellung, dass die Kommission ausschließlich ein Gremium des Senats ist und es keine dem Volksentscheid entsprechende Mehrheitsbeteiligung von DWE in der Kommission geben wird, hat der Bau- und Wohnsenator die Fronten mehr als klar gemacht. Er wird mit der Immobilienlobby reden, es wird nicht öffentlich das „Wie enteignen“, sondern hinter verschlossener Tür das „Ob“ rechtlich und wirtschaftlich geprüft. Das ist die Geisel-Haft für den Volksentscheid! Wir tun uns keinen Gefallen mit dem Geisel-Nehmer zu verhandeln, schon gar nicht zu diesen Bedingungen. Es wäre sogar direkt schädlich. Erhebliche Ressourcen DWEs würden im Rahmen der ExpertInnenkommission gebunden, ohne dass dies zur Vergesellschaftung führen würde. Dafür kann sich der Senat mit unserer Teilnahme profilieren und seine Entscheidungen legitimieren. Ungewollt würden wir zum Teil einer Politik, welche die Vergesellschaftung verhindert und massive Subventionen des privaten Sektors auf Kosten der MieterInnen verfolgt.

Unter diesen Bedingungen ist es eine Illusion, dass wir eine Mitarbeit taktisch ausnutzen könnten. Unsere Teilnahme wären vielmehr ein politisches Feigenblatt für die Politik von Geisel/Giffey. Daher müssen wir unsere Forderungen an die Kommission als rote Haltelinien begreifen und so formulieren, dass wir den Bruch öffentlich vermitteln. Es muss also öffentlich klar gemacht werden, was der Zweck der Kommission ist: Das Scheitern der Umsetzung des Volksentscheids. Wir sollten die wahrscheinlich dennoch stattfindenden Treffen der ExpertInnenkommission dazu nutzen, die UnterstützerInnen des Volksentscheides – über eine Million Berliner MieterInnen! – zu einer Großdemo zu mobilisieren und somit die Wiederbelebung der Kampagne zu starten! Motto: „Umsetzung statt ExpertInnenkommission“.

Auch in Hinblick auf die Gewinnung rechtlicher Expertise wird die ExpertInnenkommission keinen Beitrag leisten. Für die Weiterentwicklung unseres Gesetzesentwurfes müssen wir zusammen mit unseren Verbündeten aus SPD, Linkspartei, Gewerkschaften, Mietverein usw. auf eigene Formate setzen, wie der Vergesellschaftungskonferenz und Vergesellschaftungskommission. Nur so kann mit unseren Verbündeten und vergesellschaftungsfreundlichen ExpertInnen rechtlich substanziell über die Umsetzung diskutiert und unserer Entwurf so weiterentwickelt werden, dass er einer formalen und verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten könnte.

Weg vom Senat – hin zum Stadtteil, Straße und Betrieb!

Der Senat wird die Vergesellschaftung nicht umsetzen. Eine Strategie, die über das Kommentieren der Senatspolitik hinausgeht, ist daher dringend notwendig. Die einzige soziale Größe, die ein Interesse an der Umsetzung hat, sind mind. 1,6 Millionen MieterInnen in Berlin und die einfachen Lohnabhängigen. Anstatt sich auf seine Spielchen und Tricks einzulassen, brauchen wir einen Plan darüber, wie die UnterstützerInnen der Vergesellschaftung politisch zusammengefasst, unterstützende Organisationen gebündelt und ein Weg zur Umsetzung aufgezeichnet werden kann, wo nicht Giffey-Geisel entscheiden, sondern die MieterInnen. Entsprechend muss der Fokus auf Organisierung von MieterInnen und Lohnabhängigen liegen und auf die Einbindung der vorhandenen Massenorganisationen in die außerparlamentarischen Kämpfe. Nur so kann sich die Kampagne zur Erreichung des Ziels sinnvoll einsetzen: die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne unter demokratischer Kontrolle der MieterInnen zur Schaffung einer Gemeinwirtschaft im Wohnungswesen. Dafür schlagen wir folgende Werkzeuge vor:

  • Organizing! Zunächst brauchen wir eine Organizing-Kampagne in den Kiezteams, wo MieterInnen für die Kampagne gewonnen werden. Dabei dürfen MieterInnen und Lohnabhängige nicht als bloßes Mittel zum Zweck (Objekt) begriffen werden, mit denen Druck auf die Regierung geübt werden soll, sondern als das eigentliche, handelnde Subjekt zur Umsetzung der Vergesellschaftung. Nicht der Senat soll über die Vergesellschaftung entscheiden, sondern die MieterInnen selbst!
  • Gemeinschaftlicher Mietboykott! Wir müssen ernsthaft eine Debatte darüber beginnen, mit welchen direkten Mitteln wir die Vergesellschaftung erzwingen können. Zur Umsetzung der Vergesellschaftung sind kollektive Mietboykotte und der Aufbau einer MieterInnengewerkschaft als Massenorganisation notwendig. Dafür müssen existierende Massenorganisationen der MieterInnen und ihre Mitglieder für dieses Vorhaben gewonnen werden. Dafür braucht es die gesamte MieterInnenbewegung und Linke.
  • Kämpfe der ArbeiterInnenklasse! Jeder Erfolg bei Tarifkämpfen wird durch steigende Mieten mehr als aufgefressen. Von daher stellt sich die Frage einer politischen Verzahnung des Kampfes für bessere Lebensbedingungen, gegen Mietwucher und für die Vergesellschaftung der großen privaten Wohnkonzern mit dem Kampf für bessere Arbeitsbedingungen, gleitende Lohnerhöhungen der Inflation entsprechend und für Vergesellschaftung auch anderer, großer privater Konzerne. Politische Proteste entfalten nur einen beschränkten Druck. Wir müssen daher mit den Gewerkschaften in eine Diskussion treten, wie die Frage der Umsetzung der Vergesellschaftung und Preiskontrolle in die Tarifkämpfe integriert werden kann, wie also aus ökonomischen Kämpfen politische Streiks für die Enteignung werden können. Auch hierbei gilt es: Direkt in den Betrieben, mit der Basis sprechen und sie gewinnen! Die Gewerkschaftsführungen sind aufgrund ihrer privilegierten Position oft genug das, was die SPD-Spitze für die Immobilienkonzerne ist – ein Handlanger der Bosse, die Schiss vor politischen Streiks haben und zu dem sich höchstens auf dem Papier bekannt wird. Wir dürfen daher unsere Bündnispolitik nicht auf Absprachen mit den Führungen beschränken, sondern müssen uns mit den Forderungen, gemeinsam in Aktion zu treten, direkt an die Vorstände und Mitglieder der Gewerkschaften wenden.
  • MieterInnenkontrolle von unten! Eine wirkliche MieterInnenkontrolle würde nicht mal dann entstehen, wenn ein Gesetz zur Einrichtung der AöR beschlossen würde, in die die Wohnungen der privaten Konzerne überführt werden sollen. Diese Struktur wäre „von oben“ installiert. Was das bedeutet? Die BVG ist ebenfalls eine AöR, trotzdem haben weder Beschäftigte noch die NutzerInnen der öffentlichen Verkehrsmittel irgendeine Entscheidungsgewalt bei Fahrpreisen oder Fahrplänen. Deshalb müssen wir Strukturen der MieterInnen- und ArbeiterInnenbewegung „von unten“ aufbauen – und zwar unverzüglich! MieterInnenräte können Kämpfe koordinieren und folgende politische Forderungen eigenständig in einem zielgerichteten Kampf artikulieren und überwachen: Umsetzung der Vergesellschaftung, Kontrolle des Gemeineigentums, der Geschäftsbücher und der Mietpreise, einen bundesweiten Mietenstopp, öffentlich geförderten, sozial gebundenen und unbefristeten Neubau und die Legalisierung von Mietstreiks.
  • Gesetzesvolksentscheid! Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Beschlussvolksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides aktuell in den Händen von Staat und Senat. In der Frage der Gesetzgebung müssen wir auch auf eigene Formate setzen: einen neuen, diesmal verbindlicheren Gesetzesvolksentscheid! Aber auch einem Gesetzesvolksentscheid alleine sind Grenzen gesetzt: Falls ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird. Daher ist der Aufbau einer außerparlamentarischen Gegenmacht zur Regierung notwendig, die die Umsetzung des Gesetzes erzwingen kann.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann helfen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die die Umsetzung der Enteignung erzwingen kann. Für den Gesetzesvolksentscheid als taktisches Mittel in der aktuellen Legislaturperiode im Aufbau einer MieterInnenbewegung spricht, dass

  • er einen Weg darstellt, den wir stärker selbst beeinflussen können, da sein Inhalt für den Senat rechtlich bindend wäre. Die Wahrscheinlichkeit des Inkrafttretens eines Gesetzes im Rahmen eines Gesetzesvolksentscheids ist größer als im Rahmen einer ExpertInnenkommission. Damit wäre die Vergesellschaftung nicht automatisch umgesetzt, würde aber die Bewegung in eine günstigere Lage bringen und gleichzeitig den Spielraum für Sabotage durch die Regierung verringern.
  • wir im Rahmen eines Volksentscheides UnterstützerInnen, verbündete Initiativen und Organisationen integrieren können und die gesamte Kampagne gefragt ist (im Gegensatz zu Verhandlungen mit dem Senat);
  • ein Volksentscheid Menschen massenhaft in die Bewegung bringen und organisieren kann (auch das können Verhandlungen und ExpertInnenkommission nicht).

Die Schaffung einer sozialen Gegenmacht zur Regierung durch die Organisierung der MieterInnen sollte immer im Zentrum der Strategie stehen. Der Aufbau von MieterInnenräten, die mit Hilfe von Massenprotesten und Mietboykotts dem Unwillen der Immobilienkonzerne und der Regierung etwas entgegensetzen können, in Kombination mit einem Gesetzesvolksentscheid, stellt eine Möglichkeit dar, wie die Vergesellschaftung unabhängig vom Willen des Senats umgesetzt werden kann.

Die Organisierung von MieterInnen bietet einen sinnvollen Rahmen für die gesamte Kampagne und bindet alle AktivistInnen mit ein. Alle Arbeitsbereiche der Kampagne sollen sich aus dieser Strategie ableiten. Beispielsweise sollte die Ressourcenverteilung und technische Organisation streng dieser Strategie folgen. Denkbar wäre, dass ein größerer Fokus auf Arbeitsbereiche wie Kiezteams, der Starthilfe, Aktionen und Bündnisarbeit gelegt wird.

Die Kiezteams müssen anstreben, tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert zu sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenräten zusammenführen.  Vertrauen auf die eigene Kraft und Misstrauen in den Staatsapparat, Justiz und Parlament sind angebracht.

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine gut vernetzte, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf der Vergesellschaftungskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




DWe und der Berliner Senat: Sackgasse ExpertInnenkommission

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 262, Februar 2022

Seit dem durchschlagenden Erfolg am 26. September 2021 ist es in der Berliner Öffentlichkeit einigermaßen still geworden um den Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ (DWe). Wie kommt das? Was ist los mit der Speerspitze der Berliner MieterInnenbewegung? Kurz gesagt hat der neue Berliner Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei der Enteignungskampagne die Initiative aus der Hand reißen können.

Falle …

Im Herbst haben 59 % der BerlinerInnen eine klare Ansage getätigt, nämlich: Enteignen! Damit hatte der Volksentscheid mehr Stimmen als alle Koalitionsparteien des Senats zusammen bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus bekommen. Die Entwicklung seitdem beweist, dass die Monate des Unterschriften Sammelns und Wahlkampfes der leichtere Teil im Enteignungskampf waren. Seitdem besteht die Gefahr, dass sich die Kampagne festfahren lässt. Zuerst knickte die Linkspartei ein und ließ die Umsetzung des Volksentscheides als Bedingung ihrer Regierungsbeiteilung fallen – damit ließ sie nicht nur die Kampagne im Stich, sondern vor allem Millionen MieterInnen, die sich mit dem Ja zur Enteignung eine Entspannung auf dem Wohnungsmarkt erhofften. Schließlich wählte das Abgeordnetenhaus den neuen Senat und nun steht mit Andreas Geisel ein bürgerlicher Hardliner im Amt des Stadtentwicklungs-, Bau-, und Wohnungssenators.

Nun heißt es: Volksentscheid in Geisel-Haft!

Wir können nun viel lernen. Es war schon vor dem Volksentscheid klar, dass die Giffey-Geisel-Immobilienlobby-SPD eine Enteignung niemals umsetzen würde. Was kratzt die Sozialdemokratie ein WählerInnenwille denn noch nach der Wahl? Nun sehen wir, wie genau der Senat versucht, den Volksentscheid zu lähmen. Völlig ignorieren kann Geisel den Druck nicht, und so sagt er sich: „Habe ich meine eigene Mission, gründe ich eine ExpertInnenkommission.“ Sie soll nicht etwa schnellstmöglich zur Enteignung der Immobilienhaie voranschreiten, sondern ein Jahr (!) lang prüfen, ob das Ganze rechtlich und wirtschaftlich machbar ist.

DWe hat sich unterdessen mehrheitlich darauf eingelassen und will sich daran beteiligen. Auf gewisse Weise musste es das sogar tun, andernfalls hätte der Senat bequem auf die Kampagne zeigen und sagen können: „Die wollen nicht reden – so gibt das mit der Enteignung nichts.“

Das Ganze ist natürlich nichts anderes als eine geschickt gestellte Falle, die die Umsetzung des Volksentscheids verschleppen und sabotieren und die DWe-Kampagne – den radikaleren und bestorganisierten Teil der MieterInnenbewegung Berlins – durch Einbindung schwächen soll. Nun gilt, es dem Geisel-Nehmer nicht auf den Leim zu gehen.

 … nicht reintappen, DWe!

Wir sollten nichts, gar nichts von einer solchen ExpertInnenkommission erwarten. Es kann nur darum gehen, sie als Verschleppungstaktik des Senats zu entlarven und zu Fall zu bringen, anstatt selbst darauf hereinzufallen.

Geisel selbst hat mehr als deutlich gemacht, dass die ExpertenInnenkommission dem Senat unterstellt ist – und sonst niemand. DWe hatte gefordert, dass dem Abstimmungsergebnis entsprechend 59 % der Kommissionsplätze aus der Kampagne kommen sollen. Abgelehnt! Geisel verhandelt nicht darüber. DWe wird zwar eingeladen werden, aber die Konditionen bestimmt der Senat, der selbstverständlich die Wohnungskonzerne mit an den Tisch holen wird.

Es gilt, die ExpertInnenkommission vor den Augen der BerlinerInnen zu enttarnen: Am 26.9. ist das „Ob Enteignen“ entschieden worden und über das „Wie Enteignen“ liegt ein Gesetzesentwurf vor. Das Votum der BerlinerInnen respektieren heißt nicht nur, es umzusetzen, sondern DWe mindestens auch die Mehrheit der Sitze in der ExpertInnenkommission anzubieten. Die Immobilienlobby hat dort gar nichts verloren!

Die zentralen Bruchpunkte gegenüber der Kommission sollten sein: Definitive und sofortige Umsetzung, öffentliche Tagungen und Transparenz sowie Mehrheit für die MieterInnenbewegung in ihr. Sollten diese Forderungen nicht eingehalten werden, ist die Teilnahme an dem Format schädlich, da sich der Senat mit DWe in der Kommission profilieren kann, aber wir auf der anderen Seite weder ein konstruktives Ergebnis erhalten noch unsere Teilnahme politisch zum Bruch mit ihm und für Alternativen nutzen können. DWe macht sich dann zum linken Feigenblatt einer Politik, die die Enteignung verschleppt und verhindert!

Mit Geisels Absage an eine DWe-Mehrheit in der Kommission ist eigentlich schon Grund genug gegeben, mit dem Senat und seinen Spielchen zu brechen. So oder so sollten wir den ersten Tag der Kommission mit einer Großdemo begleiten.

Klassenkampf statt Geisel-Haft!

Seit dem 26. September zeigen sich die engen Grenzen des Volksentscheids. Jenseits der Haustürgespräche und der Wahlkampfstände liegt das wahre Schicksal des Volksentscheides in den Händen von Staat und Senat!

Trotzdem unterstützen wir den Vorstoß von vielen in DWe, unmittelbar einen Gesetzesvolksentscheid (GVE; für den Senat wäre dieser bindend) vorzubereiten. Wir sollten uns aber auch im Klaren sein, dass die staatlichen Grenzen dafür fast genauso eng sind wie jetzt. Wenn ihn der Senat nicht verschleppt, ist es gut möglich, dass er vom Verfassungsgericht kassiert wird.

Ein Gesetzesvolksentscheid kann nur dazu dienen, das zu mobilisieren und aufzubauen, was wir im letzten Jahr verpasst haben: Eine MieterInnenbewegung, die aus sich heraus die Enteignung erzwingen kann. Sie muss weit über das hinauskommen, was heute die Kiezteams repräsentieren. Sie muss tatsächlich in Stadtteilen und Betrieben verankert sein und MieterInneninitiativen, Gewerkschaften und die Kampagne in MieterInnenkomitees zusammenführen, die Ernst machen können – mit kollektivem Mietboykott und politischem Streik für die Enteignung. Im Unterschied zum bisherigen Volksentscheid darf DWe seine Blauäugigkeit diesmal nicht wiederholen: Es muss davor warnen, das Schicksal seiner Umsetzung (im Erfolgsfall) wieder letztendlich dem bürgerlichen Staat und seiner Justiz zu überlassen. Vielmehr müssen wir betonen, dass eine erneute Volksentscheidskampagne den Schwerpunkt auf Mobilisierung und Organisierung der MieterInnen und ArbeiterInnenbewegung mittels o. a. Klassenkampfmethoden hin zu ihrer Transformation in eine wirksame Gegen- und Kontrollmacht über den Wohnungssektor legen muss. Vertrauen auf die eigene Kraft, Misstrauen in Staatsapparat, Justiz und Parlament sind diesmal angesagt!

Das Mietendeckeldebakel hat außerdem gezeigt, dass eine vereinheitliche, bundesweite MieterInnenbewegung entstehen muss. Notwendig ist dafür, alle bundesweit vorhandenen MieterInnenorganisationen, Initiativen und Vereine, zudem die mit der Regierungs- und Senatsbeteiligung Unzufriedenen aus SPD und LINKE sowie kämpferische GewerkschafterInnen auf einer Aktionskonferenz zusammenzubringen. So können wir es nicht nur mit dem Geisel-Nehmer, sondern auch der Immo-FDP-Ampel aufnehmen!




Protest und Widerstand gegen die Räumung der Köpi-Wagenburg

Jan Hektik, Infomail 1167, 16. Oktober 2021

Giffey und Geisel sind schockiert ob der Gewalt. Gemeint sind damit natürlich nicht die fast 2.000 Bullen, die den Wagenplatz unter Einsatz von Räumpanzern und anderem Gerät räumten, die dutzende DemonstrantInnen und Protestierende seit den Morgenstunden festnahmen und das Räumungurteil am 15. Oktober durchsetzten.

Schließlich handelten diese ja nach den geplatzten Verhandlungen mit der (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaft Howoge rechtens, also aufgrund eines Räumungsurteils. Schließlich will sie das Gelände neben der Köpi für ihre Profitinteressen nutzen – und die darauf stehende Wagenburg muss dafür samt allen BewohnerInnen weichen.

Gegen die Umsetzung dieses gerichtlichen Entscheides hatten sich BewohnerInnen und UnterstützerInnen verbarrikadiert oder an Bäumen angekettet. Bereits am frühen Morgen versammelten sich einige hundert Menschen, um dies zu verhindern bzw. dagegen zu demonstrieren.

Eine Verhinderung der Räumung war angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge um die Köpenicker Straße und des massiven Polizeiaufgebots von 2.000 Einsatzkräften plus Fuhrpark wohl nicht zu erwarten. Die bürgerliche Presse, die Polizei und Leute wie Giffey und Geisel stilisieren jedoch schon das Befestigen von Zäunen, Anketten und das Nicht-Freiwillig-Gehen zum gewaltsamen Angriff. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, wie weit mittlerweile die Straftat Widerstand gegen VollstreckungsbeamtInnen gefasst werden kann. So kann die Weigerung wegzugehen bereits eine Straftat darstellen. Gleichzeitig wird dabei natürlich auch unterschlagen, dass es wohl kaum verwunderlich ist, wenn sich Menschen, die mit Räumpanzern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus ihrem Zuhause vertrieben werden, dagegen zur Wehr setzen.

In Wirklichkeit werden diese gewaltsam vertrieben und zu Obdachlosen gemacht – in der schönen Welt der Polizei, der Presse und des scheidenden und wohl auch zukünftigen Senats werden diese Verhältnisse aber auf den Kopf gestellt.

Das trifft natürlich auch auf die Solidaritätsdemonstration am Abend des 15. Oktober zu. Gegen 20 Uhr versammelten sich da mehrere tausend Menschen – selbst die Bullen sprachen von 7.000 bis 8.000 – zur wahrscheinlich größten Demonstration der autonomen Szene in Berlin. Die Polizei redete von äußerster Aggressivität. Tatsächlich waren die Menschen natürlich wütend und empört – zu Recht. Angesichts der Brisanz der Situation, in Anbetracht der Größe und des versammelten politischen Spektrums, das über die Szene hinausging, waren die Empörung und der kämperische Charakter der Demonstration wohl nicht verwunderlich.

Die Presse stilisierte jedoch den „Kontrollverlust“ der Polizei gezielt hoch, einen „Kontrollverlust“, der sich darauf beschränkt, nicht alle Sachbeschädigungen verhindert zu haben.

Rolle des Senats

In Wirklichkeit geht der scheidende Senat, getrieben von der Immobilienlobby und ihren Frontleuten im Innensenat, seit Jahren gegen die noch vorhandenen besetzen Häuser systematisch vor. Der Linkspartei, der SPD-Linken und auch den Grünen gefällt das zwar nicht – aber gegen Geisel vorgehen tun sie nicht. Dabei ist diese Räumung nur das neueste Glied in einer Kette von Wegnahmen linker Freiräume durch den rot-rot-grünen Senat. Nach der Liebig34, dem Syndikat, der Meuterei und Potse/Drugstore erkennt selbst ein/e Blinde/r einen systematischen Angriff. Wer dann zusammenhanglos die daraufhin entstehenden Proteste und die Wut als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und „blinde Zerstörungswut“ (Geisel) bezeichnet, verdreht die tatsächlichen Verhältnisse auf geradezu widerwärtige Art.

Sicherlich sollte niemand der Illusion anhängen, dass die autonomen Taktiken das Kräfteverhältnis drehen können. Natürlich werden auch zerschlagene Glasscheiben dem Senat wenig anhaben können. Gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates können noch so militante Szenedemonstrationen letztlich wenig bis nichts ausrichten.

Die Stilisierung der Proteste, einzelner zerbrochener Scheiben oder gar von Bengalos bei den Demos zum „Gewaltexzess“ hat nicht nur nichts mit der Realität zu tun, sie soll vor allem den Boden für eine weitere Verschärfung von Polizeigesetzen, für noch mehr Überwachung und brutalere Durchsetzung des Rechts der Immobilienhaie bereiten. Gegen diese Hetze und Verleumdung ist Solidarität nötig und angesagt mit allen, die gegen die Räumung Widerstand geleistet haben und weiter leisten werden.

Wer zu den wirklichen Angriffen des Staates schweigt, erledigt letztlich den Job der Wohnungskonzerne, von AfD, FDP und CDU und der ScharfmacherInnen im alten und wohl auch zukünftigen Senat. Während Giffey und Geisel gegen die BesetzerInnen – und damit letztlich gegen alle, die von Räumungen bedroht sind – hetzen, halten Grüne und vor allem auch die Linkspartei die Füße still.

Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet am 15. Oktober, dem Tag der Räumung der Köpi-Wagenburg, SPD, Grüne und Linkspartei bekanntgaben, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für die MieterInnen und für die HausbesetzerInnen verheißt das nichts Gutes. So sollen die Polizei aufgerüstet und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Die Enteignung der Immobilienkonzerne soll hingegen auf eine ExpertInnenrunde verwiesen, also auf die lange Bank geschoben werden. Obwohl 57,6 % für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt haben, will der zukünftige Senat das Mehrheitsvotum weiter ignorieren. So sieht die rot-grün-rote Demokratie aus!

Doch die Tausende, die in Solidarität mit der Köpi-Wagenburg auf die Straße gingen, die in der Enteignungsbewegung aktiv geworden sind und die mehr als eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid zeigen auch, dass der zukünftige Senat nicht einfach durchregieren wird können. Sie zeigen, dass das Potential für eine Massenbewegung von MieterInnen und BesetzerInnen, die Gewinnung von Hunderttausenden MieterInnen, für die Aktivierung der Mitglieder von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften wie auch der Basis der Senatsparteien existiert.

  • Solidarität mit dem Widerstand und allen von Repression Betroffenen!
  • Enteignet die Immobilienhaie!



Volksentscheid: Deutsche Wohnen und Co. enteignen – jetzt!

Tomasz Jaroslaw, Neue Internationale 259, Oktober 2021

Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ (DWe) war auch in seiner dritten Phase ein voller Erfolg. 56,4 %, in absoluten Zahlen 1.034.709 Wahlberechtigte, stimmten beim Volksentscheid am 26. September mit Ja.

Was wir nun brauchen, ist eine „vierte“ Phase, in der wir den Druck auf das Abgeordnetenhaus bis zur erfolgreichen Umsetzung aufrechterhalten und parallel die MieterInnenbewegung organisieren.

Auf der Wahlparty von DWe versammelten sich am 26. September mehr als 400 Aktive. Auch wenn viele Umfragen auf einen knappen Sieg hindeuteten, waren Spannung und Ungewissheit spürbar, verstärkt durch das Auszählungsdebakel des Landes Berlin und die verheerenden Verluste der Linkspartei, der einzigen, die sich öffentlich hinter den Volksentscheid stellte. Gesteigert wurde all dies noch dadurch, dass das erste Ergebnis, das um 21 Uhr von der Landeswahlleitung gemeldet werden sollte, weiter auf sich warten ließ. Und dann kam es um etwa 21:50 Uhr: Nach Auszählung von etwa 20 Prozent der Wahlkreise zeichnete sich eine klare Mehrheit ab, am Abstimmungssieg gab’s keine Zweifel mehr. Hunderte jubelten, fielen einander in die Arme.

Abstimmungstrends

Mit diesem Ergebnis ist nun der Senat beauftragt, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um große private Immobilienkonzerne auf Grundlage des Artikels 15 Grundgesetz zu vergesellschaften. Dabei spielte das Resultat die Mehrheit nur unzureichend wider, sind doch hunderttausende Berliner MieterInnen aufgrund eines nationalistischen und undemokratischen Wahl- und Referendumrechts ausgeschlossen. Alle, die keinen deutschen Pass haben, durften nicht wählen oder abstimmen, selbst wenn sie jahre- oder jahrzehntelang in der Stadt wohnen. Auch wenn dieser Beschluss im Gegensatz zum Gesetzesvolksentscheid nach Auffassung des Innensenats rechtlich nicht bindend ist, ist der politische Druck aufgrund dieses klaren Ergebnisses enorm. Schließlich hat die Initiative mehr Stimmen hinter sich vereinigt als jede einzelne Partei oder jeder Zweiparteienblock.

Abstimmungsergebnis nach Bezirken

Aus den Stadtteilergebnissen lässt sich annähernd die Klassenzusammensetzung der Abstimmenden ableiten:

Innenbezirke mit einer massiven Mietpreissteigerung von ca. 100 % in den letzten 10 Jahren und klassische ArbeiterInnenbezirke tendierten zur Annahme. Demgegenüber waren die Ergebnisse in bürgerlich-konservativen Bezirken unterdurchschnittlich, in Ostbezirken besser als vergleichbare im Westen. Damit kann man sagen, dass der Fokus des Abstimmungskampfs auf die östlichen Außenbezirke eine Wirkung entfaltete und die ArbeiterInnenklasse und progressive Teile des Kleinbürgertums dazu tendierten, den Volksentscheid zu unterstützen.

Hetze bis zur letzten Minute

Der Erfolg ist umso bemerkenswerter, als er gegen die vielfältigen politisch motivierten Blockadeaktionen (Polizei, Innensenat, Landesmedienanstalt), Halbwahrheiten und Irreführungen (Notwendigkeit zur Entschädigung zum Marktwert, privater Neubau als Alternative) sowie  Falschinformationen (Enteignung von Einzelbesitz und Wohnungsgenossenschaften) des bürgerlichen Staates, von Parteien und Medien, der Immobilienlobby und auch der SPD-Führung und der Wohnungsgenossenschaften errungen wurde.

Dies wurde am Wahlkampf, wo alle Parteien u. a. an Schulen eingeladen worden sind, um sich bei der Wahl darzustellen, DWe aber nicht, sichtbar. Auch hatten die Parteien die Möglichkeit, bei den öffentlichen Fernseh- und Radiosendern Wahlwerbespots kostenfrei zu senden. DWe hatte welche vorbereitet und versuchte, ebenfalls im Sinne der Gleichbehandlung entsprechende „Slots“ zu bekommen. Die Landesrundfunkanstalt hatte dies jedoch untersagt.

Und am Abstimmungstag wurde die Parteinahme gegen das Volksbegehren sehr plastisch symbolisiert, als der rbb „fragende BürgerInnen“ präsentierte – und dabei „zufällig“ nur auf GegnerInnen der Enteignung stieß.

CDU, FDP und AfD haben immer klargemacht, dass für sie, unabhängig vom Ergebnis des Volksentscheids, keine Enteignung in Frage komme. Während sich FDP und CDU als Parteien der Immobilienlobby und EigentumsfanatikerInnen bei ihrer Kernklientel eher profilieren konnten, trug die mieterInnenfeindliche Haltung der AfD wohl auch dazu bei, dass sie in Berlin 6,2 % ihrer Zweitstimmen verlor und zur größten Wahlverliererin wurde.

Kommentare der Senatsparteien

Die bisherigen Senatsparteien hingegen sind gezwungen, auf das Ergebnis Rücksicht zu nehmen, sei es aus Überzeugung oder Opportunismus.

Der Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, erwartet die Umsetzung dieses Beschlusses, egal welche Regierung sich konstituiert. Dass sich DIE LINKE als einzige Partei hinter das Volksbegehren gestellt hat, führte sicherlich dazu, dass sie in Berlin weit weniger Stimmen verlor als bei den Bundestagswahlen.

Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Grünen, die zuvor eigentlich „gemeinwohlorientierte“ Abmachungen mit den Konzerne bevorzugte und Enteignung nur als letztes Mittel ansah, erklärt die Frage zum Bestandteil von Koalitionsverhandlungen.

Franziska Giffey, Spitzenkandidatin der SPD mit enger Verbindung zur Immobilienwirtschaft, lehnt die Enteignung ab. Vor der Wahl definierte sie dies noch als „rote Linie“. Jetzt verspricht sie, das demokratische Votum „zu respektieren“, damit „verantwortungsvoll“ umzugehen. Sie sagt ferner: „Aber dieser Entwurf muss dann eben auch verfassungsrechtlich geprüft werden“.

Was wird der Senat tun?

Aus diesen Aussagen wird deutlich, dass der überwältigende Sieg des Volksentscheides die bisherigen Regierungsparteien unter Druck setzt. Aber klar ist auch, dass Giffey alles dafür tun wird, eine Umsetzung abzuwehren, indem entweder gerichtlich festgestellt wird, dass diese unverhältnismäßig ist oder KoalitionspartnerInnen ausgesucht werden, mit denen jede Gesetzesinitiative in diese Richtung im Keim erstickt wird. Der schwarze Peter wäre dann bequem an bürgerliche Gerichte oder offen ablehnende bürgerliche Parteien weitergereicht. Die SPD wäre, jedenfalls Giffeys Kalkül zufolge, fein raus und bräuchte selbst nicht eine Millionen WählerInnen zu betrügen.

Giffey hält Rot-Grün-Rot für ein Auslaufmodell. Das Wahlergebnis macht den Bruch mit der bisherigen Koalition aber schwerer als erhofft. Jedoch lässt die Zusammenstellung ihres Sondierungsteams mit VertreterInnen des rechten Parteiflügels darauf schließen, dass eine weitere Koalition mit Grünen und Linken nicht angestrebt wird. Linke und Grüne schlagen vor, R2G fortzusetzen.

Doch viele haben für den Volksentscheid gestimmt in der Hoffnung, dass ein rot-grün-roter Senat diesen Beschluss auch umsetzt. Wir lehnen eine Fortsetzung der Koalition durch die Linkspartei allerdings aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sollte sie jedoch als einzige Unterstützerin des Volksentscheids in Koalitionsverhandlungen eintreten, so muss von ihr gefordert werden, seine Umsetzung zur Bedingung einer Koalition zu machen. Selbst darauf sollte sich niemand verlassen, schließlich hat die Partei auch in den letzten Jahren die Blockadepolitik der SPD-SenatorInnen gegenüber dem Volksbegehren im Interesse des Koalitionsfriedens geduldet.

Unter Giffey und Saleh wird die Parteirechte in der SPD eher noch forscher agieren. Ihr Ziel ist nach wie vor das Scheitern des Gesetzentwurfs. Daher müssen die Linken und VolksbegehrensunterstützerInnen in der SPD (Jusos, Bezirksverbände Mitte, Neukölln, Charlottenburg-Wilmersdorf) selbst die Sache zuspitzen. Entweder die SPD-Führung bekennt sich zum Volksentscheid oder die Entscheidung muss auf dem Landesparteitag gegen die SPD-Führung ausgefochten werden.

Was ist zu tun?

DWe muss daher weiter massiv Druck auf die Abgeordneten ausüben, ohne Wenn und Aber den Volksentscheid umzusetzen. Zugleich darf es sich darauf keineswegs verlassen. Richtig erklärte Rouzbeh Taheri von DWe dazu: „Wir akzeptieren weder Hinhaltestrategien noch Abfangversuche. Wir kennen alle Tricks“. Und Kalle Kunkel aus dem gleichen Bündnis ergänzt: „Wir lassen nicht locker, bis die Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen umgesetzt ist.“

Natürlich bedeutet die Lage auch, dass eine Reihe von Taktiken erwogen werden muss, wie dieser Druck erhöht werden kann. So kann bei fortgesetzter Blockade und mit der gewonnenen Expertise, wenn nötig, eine weitere Volksinitiative in Form eines verbindlichen Gesetzesvolksentscheids eine mögliche sinnvolle Ergänzung verkörpern. Im Schatten des aktuellen Erfolgs, einer hohen Zustimmung in der Stadt, bestehenden Strukturen sowie einer bereits existierenden kleinen Armee von motivierten AktivistInnen stünden die Chancen gut. Dieser zweite Volksentscheid kann aber nur mit einer organisierenden Perspektive rund um Arbeitskämpfe und Mietboykotts erfolgreich sein.

Diese taktischen, technischen, rechtlichen und organisatorischen Fragen sind aber letztlich zweitrangig. Denn Giffey und Saleh werden mit uns nur reden, weil der Volksentscheid gezeigt hat, dass hinter der Losung der Vergesellschaftung breite Teile der Bevölkerung stehen. Es existiert also eine reale soziale Basis, die in eine Bewegung oder organisierte Macht umgesetzt werden und in der Folge den politischen Führungsanspruch des sozialdemokratischen Spitzenduos untergraben kann. Das zwingt sie dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Sie werden aber alles tun, um die Enteignung zu verhindern.

Klar ist also: Am 26. September haben wir einen wichtigen Teilsieg errungen. Der Kampf muss jetzt weitergeführt, ja zugespitzt werden. Dazu schlagen wir vor:

a) Die Kiezteams sollen ihre Arbeit als Rückgrat der Kampagne fortsetzen, MieterInnen im Stadtteil organisieren und Keime der zukünftigen MieterInnenräte nicht erst per erhofftes Enteignungs- und Vergesellschaftungsgesetz von oben, sondern in der kommenden Phase von unten aufbauen. Diese MieterInnenräte können als Gremien der Vernetzung mit anderen Sektoren (MieterInneninitiativen, -verein, -gewerkschaft und lokalen Gliederungen von Gewerkschaften, UnterstützerInnen aus Linkspartei, SPD usw.) und der Mobilisierung dienen.

b) Die Vernetzung mit Betriebs- und Gewerkschaftskämpfen wird ausgebaut. DWe soll zu Treffen von Betriebsgruppen der einzelnen Gewerkschaften, bei Infoveranstaltungen und Vollversammlungen eingeladen werden, für Vergesellschaftung (in Gestalt von Kommunalisierung) eintreten, um die Grundlage für Massenmobilisierung und politische Streiks vorzubereiten und zu verbreitern, Druck auf Senat, Abgeordnetenhaus, Landes- und Bundesverfassungsgericht zu ermöglichen.

c) In Kooperation mit DWe, MieterInneninitiativen und -vereinen müssen eine Auseinandersetzung zur Umwandlung der Massenorganisationen der Mietenden der Stadt geführt und neue aktive Mitglieder für diese gewonnen werden. Wenn in einem Haus, Straßenzug oder Unternehmen ein ausreichender Organisationsgrad erreicht ist (50  %), sind kollektive Mietboykotte für die Vergesellschaftung durchzuführen. Warum sollten wir den EnteignungskandidatInnen auch nur einen weiteren Cent zahlen?

d) Die gigantische Ausstrahlung von DWe birgt das Potenzial, für einen bundesweiten Mietendeckel zu kämpfen. Wir brauchen daher eine vorzugsweise bundesweite Aktionskonferenz, die sowohl die Perspektive aus dem Resultat des Volksentscheids diskutiert als auch Maßnahmen zum Mietendeckel bestimmt.

Diese Eckpunkte können das Kräfteverhältnis nach dem Volksentscheid weiter zugunsten der Lohnabhängigen und einfachen MieterInnen verschieben. Es ist nicht nur notwendig, den Druck aufrechtzuerhalten, sondern die BefürworterInnen zu einer Massenkraft in Richtung Kampf-, Veto- und Kontrollorgane zu organisieren. Mit diesen neuen Kampfmitteln und Organisationen ist es möglich, die Kommunalisierung konsequent umzusetzen – auch gegen den Senat.




Berliner Immobilienkegeln: Vonovia und Heimstaden – die neuen großen Player

Jürgen Roth, Infomail 1165, 3. Oktober 2021

Ene, mene, muh – und raus bist du!

Die Konzentration auf dem Berliner Wohnungsmarkt nimmt Fahrt auf. Diesmal dürfen Deutsche Wohnen (DW) und Akelius ihre Plätze räumen. Ende Mai berichteten wir über die geplante Übernahme von DWs Berliner Wohnungsbestand durch Vonovia. Der Deal sollte mit einem Verkauf von 15.000 Wohneinheiten an landeseigene Immobiliengesellschaften verkettet werden und wurde in stolzer Eintracht mit dem Regierenden Bürgermeister Müller und Finanzsenator Kollatz vor der Presse verkündet.

Doch wir waren in puncto Übernahme zu voreilig, jedenfalls etwas. Vonovia, Europas größter Wohnungskonzern, scheiterte im Frühjahr noch überraschend am 2. Anlauf zur Erlangung der Aktien- und Stimmenmehrheit bei der Nr. 2 auf dem deutschen Immobilienmarkt. Am 24.9.2021 gelang jetzt aber im 3. Versuch die DW-Übernahme, teilte der Bochumer Branchenriese mit. Er übernimmt die 115.000 DW-Wohnungen in der Hauptstadt, damit den dortigen größten in Privathand befindlichen Bestand. Als zuvor zweitgrößter Eigentümer mit 43.000 Wohnungen verfügt er jetzt über 143.000 Mietobjekte.

Bezüglich des Deals mit den beiden Senatsgranden waren wir nicht zu voreilig: 15.000 Wohnungen des DW-Portfolios wurden für 2,46 Mrd. Euro an Landesunternehmen verhökert, macht pro Einheit 164.000 Euro. Damit liegt der Kaufpreis auf Höhe der vom scheidenden Senat ehedem kalkulierten Entschädigungssumme für den Fall der Enteignung infolge des Volksentscheidergebnisses, die rein zufällig dem Marktwert entspricht. Für 143.000 Einheiten würde das ca. 22,5 Mrd. Euro ausmachen. Vorauseilenden Gehorsam nennt man das.

Die neue Nr. 2 in der Hauptstadt

In der Wahlnacht drehte sich das Roulette ein zweites Mal. Der skandinavische Konzern Akelius zieht sich komplett aus der Spreemetropole zurück und vertickt bis Ende diesen Jahres seinen Bestand von 14.000 Wohnungen an Heimstaden, das bisher rund 5.500 hält, die erst vergangenes Jahr in einem Megadeal erworben wurden. Akelius war durch aggressive Luxussanierungen berüchtigt, die zu Mietpreisen bis zu 40 Euro pro m² führten. Zudem hat der Konzern einen erheblichen Teil seiner Bestände aufgeteilt und letztes Jahr als Eigentum zu Preisen bis über 10.000 Euro/m2 zum Verkauf angeboten. Angesichts der befürchteten zunehmenden Regulierung waren der Abschied des Konzerns aus Berlin und die Umstrukturierung seiner deutschen Bestände von InsiderInnen schon länger vermutet worden, was seine ChefInnen bis Juni 2021 aber bestritten.

Die gemeinsame Erklärung der MieterInnenvernetzung beider Konzerne aus Berlin und Hamburg, wo Heimstaden von Akelius 3.600 Wohnungen übernimmt und erstmals Fuß fasst, mutmaßt, der Zeitpunkt der Übernahme sei geschickt gewählt. Die politisch Verantwortlichen seien schließlich auf mehreren Ebenen mit Regierungsneubildung befasst – und die kann sich lange hinziehen.

Der international agierende Finanzkonzern Heimstaden rückt damit zum Immobilienhai Nr. 2 in der Hauptstadt auf mit knapp 20.000 Einheiten.

Schöne Grüße aus Norwegen!

Der skandinavische Hai gibt sich betont mieterInnenfreundlich. Deutschlandchefin Caroline Oelmann textet in einem „Offenen Brief“ an die BewohnerInnen der Akeliushäuser, Servicequalität, Erreichbarkeit und Kundenzufriedenheit stünden bei ihnen an erster Stelle. Hinter diesem wie bei der Zahnpastareklame verbreiteten strahlend weißen Lächeln verbirgt sich das gar nicht so freundliche Konzerntreiben in seiner Heimat.

In Oslo wurde das Vorkaufsrecht der Kommune zu umgehen versucht. Der Polizei in Norwegens Metropole bot man Häuser als Übungsgelände für Drogenspürhunde an. In Berlin mussten Senat, Bezirke und MieterInnenbewgung große Anstrengungen unternehmen, um den Konzern zur Unterzeichnung von Abwendungsvereinbarungen für das 2020 erworbene Paket zu zwingen. Die Vernetzung der MieterInnen aus Berlin und Hamburg fordert im Falle Heimstadens die sofortige Umsetzung des Auftrags aus dem Volksentscheid und fürchtet in den bereits aufgeteilten Gebäuden den Weiterverkauf von Wohnungen an einzelne AnlegerInnen.

Das Beispiel zeigt uns, wie berechtigt das „& Co.“ im Namen der Kampagne für das jüngste Mietenreferendum platziert war. Mag sich nach der Übernahme von DW auch der Name vor dem Kürzel ändern müssen, so bleibt das Ziel – die Enteignung sämtlicher Immobilienhaie genauso aktuell. Verdrängung ist manchmal nicht nur Schicksal vieler MieterInnen. Lassen wir die Kugel aus der erfolgreichen Kampagne mit Schwung weiter rollen – bis alle Kegel – möglichst entschädigungslos – gepurzelt sind! Gut Holz!