Wieso, weshalb, warum? Eine Antwort an:  Wir // Jetzt // Hier

Jaqueline Katharina Singh, Infomail 1237, 22. November 2023

Nach dem Parteitag der Linkspartei in Augsburg veröffentlichen „Linke aus verschiedenen Teilen der Zivilgesellschaft“ den Beitrag „Wir // Jetzt // Hier“ und kündigen ihren Eintritt in DIE LINKE an.

Wer im letzten Jahrzehnt die Politik der radikalen Linken in Deutschland verfolgen musste, den erinnern darin viele Formulierungen und Inhalte an die Interventionistische Linke und andere postautonome Gruppierungen. Diese ist seit Corona erstaunlich stumm, zum Ukrainekrieg lässt sie sich kaum blicken und zu Palästina hat sie praktisch nichts zu sagen.

Aber es bleibt letztlich nur eine Mutmaßung, woher die Autor:innen genau kommen, die schreiben. In einer Telegram-Gruppe haben die Initiator:innen über 500 Menschen gesammelt, am 20. November sollten möglich alle in die Partei eintreten. Doch das Schreiben wirft in vielerlei Hinsicht mehr Fragen auf, als es klärt. Deswegen fragen wir zurück und freuen uns auf eine Antwort.

Wieso?

Die stetig voranschreitende Klimakrise, der scheinbar unaufhaltsame Rechtsruck – all das scheint unerträglich ohne eine linke Alternative, insbesondere für Aktivist:innen, die „sich der parlamentarischen Politik nie verbunden gefühlt haben.“ Stattdessen haben sie „protestiert, blockiert, gestreikt und Politik und Kultur von unten“ organisiert. So weit so verständlich.

Im späteren kommt dann die weitere Erklärung: „Durch den Abgang des Wagenknecht-Lagers kann sie sich entweder als eine solche verbindende Organisation neu aufstellen oder in der Bedeutungslosigkeit versinken.“ Aber schreibt der Abgang von Wagenknecht wirklich die Geschichte der Linkspartei neu?

Weshalb?

Nein, eigentlich nicht. Denn Wagenknecht sitzt nicht in Thüringen, Bremen oder Mecklenburg-Vorpommern an der Regierung und schiebt dort auch nicht ab. Wagenknecht war auch nicht dafür verantwortlich, dass es keine Kampagne für offene Grenzen gegeben und man nicht versucht hat, mit den Gewerkschaftsmitgliedern der Partei dafür zu kämpfen, dass Geflüchtete in diese aufgenommen werden, man dort gemeinsam Arbeitskämpfe führen könnte, die rassistische Vorurteile abbauen und Verbesserungen für alle mit sich bringen.

Dass das nicht stattgefunden hat, ist vor allem das Werk des Flügels der Regierungssozialist:innen. Mit diesen hat kein Bruch stattgefunden, vielmehr hat sich die Bewegungslinke aus Angst vor dem Untergang an ihn geklammert und selbst angefangen, „Rebellisches Regieren“ auf ihre Fahne zu schreiben. Doch das wisst ihr selber. Deswegen schreibt ihr: „Es gibt kein ,rebellisches Regieren‘ mit SPD und Grünen. Das zeigt die zunehmende Abschiebepraxis in Thüringen ebenso wie die Blockade des Volksentscheids ,Deutsche Wohnen & Co enteignen‘ unter Rot-Rot-Grün in Berlin“ und „DIE LINKE hat sich mit diesen Regierungsprojekten für eine Koalitionsfähigkeit verbogen und sich zur Komplizin des rot-grünen Mitte-Extremismus gemacht.“

Das wollt ihr stoppen, das wollt ihr verändern und deswegen tretet ihr nun in die Partei ein. Aber wie genau das vonstattengehen soll, das verschweigt ihr. Mit dieser Entscheidung und ohne Plan lauft ihr Gefahr, einfach nur die neue Bewegungslinke zu werden. Ihr nehmt den Streit, der seit Gründung der Linkspartei stattfindet, auf. Aber bei Deutsche Wohnen & Co enteignen, da hattet ihr selber keinen Plan, wie man die Bewegung voranbringt, Druck auf die Linkspartei ausübt, damit sie nicht ihre eigene Regierungsbeteiligung über den Erfolg der Bewegung stellt. Was macht euch so sicher, dass es jetzt ganz anders läuft? Denn es war nicht Wagenknecht, die in Berlin den Volksentscheid blockiert hat.

Für eine Partei der Arbeiter:innen?

Die Forderungen nach einem durchschnittlichen Facharbeiter:innengehalt und auch nach begrenzten Amtszeiten für Abgeordnete sind super. Wir unterstützen diese. Aber eine Partei für Arbeiter:innen macht mehr aus, als dass Mandatsträger:innen Arbeiter:innen sind und einen Teil ihrer Gehälter abgeben. Das ist ein Mittel, das verhindern soll, dass eine Schicht von Fuktionär:innen entsteht, die sich verselbständigt und im Interesse ihrer eigenen ökonomischen Stellung handelt. Das reicht aber nicht aus.

Mandatsträger:innen müssen ihrer Basis gegenüber auch rechenschaftspflichtig – und zur Not auch abwählbar – sein. Passiert das nicht, können sich Bundestagsabgeordnete mit ihrem Mandat nicht nur aus dem Staub machen, sondern Mandatsträger:innen können soziale Bewegungen und Arbeiter:innenkämpfe verraten, ohne unmittelbar Konsequenzen zu tragen.

Und auch das reicht nicht, um eine Partei der Arbeiter:innen zu sein. Busfahrer:innen und Krankenpflegende können im Bundestag sitzen – das ist cool und notwendig –, aber inhaltlich trotzdem keine Politik machen, die den Kapitalismus überwindet. Darum geht’s doch hoffentlich. Das ist eine Annahme, denn ja, es ist wichtig, wie ihr schreibt, „eine radikale, linke Sprache der Gegenwart zu entwickeln“. Aber es hilft nicht, alles scheinbar Angestaubte zu ersetzen, wenn man niemand mehr weiß, ob man denn nun transformieren, zerschlagen oder doch nur reformieren will. Klare Inhalte und Vorhaben einfach verständlich zu kommunizieren, findet nicht dadurch statt, dass man schöne Umschreibungen für Worte wie „Arbeiter:innenklasse“ oder „Sozialismus“ findet. Es geht um konkrete Ideen, die man mit entsprechender Politik umsetzen will. Denn das Wort „Enteignung“ hat z. B. die Mehrheit der Berliner Bevölkerung beim Volksentscheid auch nicht verschreckt.

Warum?

Mit der Krise der Interventionistischen Linken ist es still um weite Teile der postautonomen Linken geworden. Dabei war ihre Stagnation ein Resultat der Krise der Linkspartei. Über Jahre ging dieser Teil der „radikalen Linken“ eine Art Arbeitsteilung mit ihr ein, die Luxemburg-Stiftung und andere Finanzquellen dienten als Verbindungsstück. Nun steht dieses Verhältnis in Frage, denn wenn DIE LINKE aus dem Bundestag und den Landesparlamenten verschwindet, versiegen auch diese Geldquellen. Und das trifft ganz offenkundig auch Linke, die sich ansonsten die Hände nicht schmutzig machen wollten im parlamentarischen Geschäft, wenn es heißt: „Soziale und ökologische Bewegungen brauchen ein ökonomisches Zuhause.“

Deswegen überrascht es nicht, dass Teile aus diesem Spektrum sich entscheiden, das was sie letzten Endes immer gewesen sind, nun auch zu formalisieren. Es ist keine große, neue Veränderung, sondern eine Konsolidierung der alten Kräfte. Eventpolitik kann nun unter einem neuen Banner betrieben werden – und das hält zusammen. Das ist schade, denn die Krise der Linkspartei muss genutzt werden, um über Strategien zu reden und aus vergangenen Fehlern zu lernen.

Denn für sozialistische Politik in der Linkspartei zu kämpfen, das haben schon andere versucht in den letzten Jahren. Die Resultate sind bescheiden: marx21 hat sich im Oktober in mehrere Teile gespalten, die SAV letztes Jahr, wenn auch aus anderen Gründen. Die Antikapitalistische Linke ist kaum wahrnehmbar. Also was ist es, was euch unterscheidet? Was ist es, das verspricht, dass ihr es tatsächlich besser macht? Was ist der Plan? Wenn ihr diese Fragen nicht genügend beantworten könnt, werdet ihr nur ein neues linkes Feigenblatt für eine Partei, die vielleicht dynamischer wird, ein paar schöne Kampagnen fährt – aber letzten Endes schweigt, wenn es darum geht, Deutsche Wohnen & Co zu enteignen.

Euer Aufruf fällt dabei hinter die Einschätzungen oben genannter Gruppierungen zur Linkspartei weit zurück. So heißt es: „Für alle, die es ernst meinen mit dem Klimaschutz, dem Feminismus, dem Antirassismus sowie dem Kampf gegen Antisemitismus, für LGBTIQA+-Rechte und andere umwelt- und gesellschaftspolitisch fortschrittliche Anliegen kann dieses Zuhause nur in einer antikapitalistischen Partei liegen. Die Parteispitze hat ihren Willen zu einer Erneuerung der Partei und einer Öffnung hin zu den sozialökologischen Bewegungen wiederholt deutlich gemacht.“

So weit her ist es mit dem Antikapitalismus der Linkspartei bekanntlich nicht. Und den Willen zur Erneuerung? Worin besteht der? Bloße „Öffnung“ und Wachstumspläne ändern am Inhalt, Programm und an der seit Jahren eingeübten bürgerlichen Reformpolitik in Parlamenten, Kommunen, Stadträten, von Landesregierungen und Bürgermeister:innen nichts.

Was also tun?

Keine linke Alternative zu haben, während die Rechten immer stärken werden, macht Angst. Die Klimakrise und Kriege tun ihr Restliches dazu und man fühlt sich ohnmächtig. Aber diese Angst sollte nicht dazu führen, dass der „Kampf für Demokratie“ und eine „Transformation“, unter der sich alle vorstellen können, was sie gerade wollen, wichtiger ist als der für Sozialismus. Wer das anders sieht, der hat nicht verstanden, warum die AfD immer stärker geworden ist und weiß letztlich keinen Ausweg, wenn es darum geht, den Rechtsruck zu bekämpfen.

Denn die aktuelle Hetze, die wir erleben, kommt nicht nur von der AfD, sondern wird von allen ach so demokratischen Kräften mitgetragen. Sie ist Ausdruck einer sich international verschärfenden Konkurrenz, die den Kampf um die gewaltvolle Neuaufteilung der Welt vorbereitet und gleichzeitig die Sparmaßnahmen im Innern zu übertünchen versucht.

Um effektiv dagegen vorzugehen, kann man nicht sagen: „Hey, wir brauchen eine Linke, weil es eine Rechte gibt, wir müssen diffus über Umverteilung reden und für eine geile Sozialpolitik eintreten!“ Denn die aktuelle Situation lässt nicht zu, dass genügend Geld für eine geile Sozialpolitik einfach da ist. Selbst für solche Umverteilungsforderungen muss man den Klassenkampf mit Streiks forcieren und diese mit der Eigentumsfrage verbinden. Dementsprechend müssen Kämpfe für Lohnerhöhung, Verbesserungen der Lebensbedingungen immer mit einer Perspektive zur Überwindung des kapitalistischen Systems aktiv und deutlich verbunden werden. Ansonsten rennen wir ins Leere, erfahren Niederlagen und schaffen es nicht, eine gesellschaftlich linke Perspektive sichtbar zu machen.

Das heißt nicht, dass man sagen soll: „Hey, lass‘ für höhere Löhne kämpfen und ach, vergiss nicht, gegen den Kapitalismus musst du auch sein!“ sondern, dass man es schafft, Forderungen aufzustellen, die eine Brücke weisen vom Kampf für unmittelbare Ziele zu dem gegen das System, welches diese in Frage stellen. Beispielsweise „Hey, lass uns für höhere Löhne kämpfen, die automatisch an die Inflation angepasst werden und deren Erhöhung von den Lohnabhängigen selbst kontrolliert wird. Das ist doch besser, als bei jeder Schwankung streiken zu müssen und zu hoffen, dass man dann ein bisschen was abbekommt. Und sinnvoll ist auch, dass ihr dann ein Komitee gründet, was kontrolliert, dass das auch umgesetzt wird.“ Das kann man nur durchsetzen, wenn man eine gewerkschaftliche Basisopposition gegen die Bürokratie organisiert, Bewegungen so aufbaut, dass sie Selbstermächtigungsorgane der Klasse (Komitees an Schulen, Unis und Betrieben, Vorformen von Räten also) schafft und in diesen für eine Politik der Zuspitzung, der gesellschaftlichen Veränderung eintritt.

Und irgendwie bleibt beim Lesen des Textes, das Gefühl, dass es eher die Angst vor rechts ist, die euch planlos in DIE LINKE treibt, ohne Weg zurück.  Also, was ist euer Plan?




Ukrainekrieg: Pazifismus zusehends hilflos

Jürgen Roth, Neue Internationale 263, April 2023

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine dauerte erst wenige Tage an, da löste sich die Schockstarre. Der größte Friedensprotest seit dem Irakkrieg 2003 führte europaweit mehrere Millionen Teilnehmende auf die Straßen, darunter mehr als eine halbe Million allein am 27. Februar in Berlin. Fast zeitgleich kündigte Kanzler Scholz nur wenige hundert Meter entfernt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte an. Wahrlich eine Zeitenwende, die auch an Friedensbewegung und DIE LINKE nicht spurlos vorübergehen wird!

Alle Redner:innen befürworteten Sanktionen seitens der Bundesregierung. Eine Sprecherin aus der Ukraine forderte, ganz im Einklang mit der Linie ihrer Regierung, Waffen. Viel interessanter war, was in allen Reden nicht einmal benannt wurde. Es fiel kein Wort über die just zuvor beschlossene massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Osterweiterung der NATO und ihre Manöver an der belarussischen und ukrainischen Grenze. Auch die jüngere ukrainische Geschichte seit den Euromaidanprotesten war keine Erwähnung wert. Den Ruf nach Sanktionen schluckte die Mehrzahl der Friedensbewegten also bereits. Damit meinte sie, sich weiterhin offensichtlich genug vom Militarismus abgrenzen zu können, schließlich stand das der Forderung nach Waffen (und deutscher Kriegsbeteiligung) und somit ihrem pazifistischen Image förderlich entgegen – einstweilen!

Dilemma des Pazifismus

Wir sehen also, dass der Pazifismus in letzter Konsequenz gegen sein eigenes Mantra verstoßen muss, sobald der erste Schuss fällt. Pazifist:innen teilen alles Bürgerliche – außer Kriegsgewalt. Diese erscheint ihnen nicht als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, als aus den Widersprüchen der Klassengesellschaft erwachsen, sondern als unerklärlicher Betriebsunfall der Geschichte, Sieg des Bösen über das Gute im Menschen.

Bricht der Krieg entgegen allen pazifistischen Formeln doch aus, so bleibt entweder das letztlich abstrakte Beschwören des Friedens – oder man schließt sich notgedrungen jener Seite an, die das „Gute“ zu verkörpern scheint, in unserem Fall der Bundesregierung und der NATO. Damit begibt sich der Pazifismus auf die Rutschbahn nach rechts – zum Chauvinismus und entwaffnet sich trotz aller Friedensbekundungen vor dem Kriegstreiben der „eigenen“ Regierung.

Die reformistischen Parteien (SPD, Linkspartei) und viele zentristische Organisationen der Arbeiter:innenbewegung teilen entweder Chauvinismus oder Pazifismus bzw. schwanken zwischen diesen, weshalb wir auch von Sozialchauvinismus bzw. -pazifismus sprechen. Geht ersterer spätestens mit Kriegsausbruch offen ins Regierungslager über, appelliert letzterer an den Willen zum Friedensschluss – mitten im Krieg! Der Status quo ante soll also wieder hergestellt werden, das Pulverfass der imperialistischen Widersprüche unversehrt voll bleiben – nur ohne Lunte! Eine unabhängige Klassenpolitik, die auf die Niederlage der „eigenen“ Regierung keine Rücksicht nimmt, lehnt der Sozialpazifismus ab. Der Logik „töten oder getötet werden“ kann er sich nicht entziehen. Er gerät damit zu einer „alternativen“ Form der Vaterlandsverteidigung, die große Teile bald auf die Abgleitfläche zur echten rutschen lässt.

Allerdings müssen wir zwischen dem ehrlichen, berechtigten Pazifismus Lohnabhängiger aus Angst vor Krieg und in Solidarität mit den ukrainischen Massen und dem heuchlerischen der Kirchenfürst:innen, Politiker:innen und Journalist:innen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil wir unter ihnen unsere Verbündeten im Kampf gegen die Kriegsgräuel suchen müssen, nicht in Parlamenten, Amtsstuben und Militär. Dazu ist jedoch ein politischer, geduldiger Kampf gegen die grundlegenden Fehler und Schwächen dieser Ideologie unerlässlich.

Anders als die (Sozial-)Pazifist:innen unterscheiden wir zwischen fortschrittlichen und reaktionären Kriegen. So ist der Bürger:innenkrieg zur Erringung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse ebenso zu unterstützen wie der Kampf einer unterdrückten Nation um Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf Abtrennung von Gebieten, wenn deren Bevölkerungsmehrheit das will. Im imperialistischen Krieg treten wir dagegen für den revolutionären Defaitismus ein, den Klassenkampf ohne Rücksicht auf die Niederlage der „eigenen“ Regierungen.

Aber sollten die Arbeiter:innen nicht einen reaktionären Krieg verhindern? Ja, unbedingt! Aber mit eigenen Mitteln des Klassenkampfes, nicht mit zahnlosen Appellen an die Regierungen!

Katalysator Kriegsfrage

In Zeiten verschärften Konflikts um die Neuaufteilung der Welt geraten auch die halbkolonialen Länder wie die Ukraine zusehends ins Gravitationsfeld der einen oder anderen imperialistischen Machtkonstellation. Das gilt leider auch für den (Sozial-)Pazifismus. Kann der Ausbruch eines Kriegs nicht verhindert werden, ist das Friedenslatein schnell am Ende. Jetzt ist der Klassenkampf noch unmöglicher als zuvor geworden, scheint es. Sind nicht die jungen Arbeiter:innen an der Front? Gebietet nicht der Krieg die Einstellung aller unabhängigen Klassenaktivität? Denn diese könnte doch die Niederlage der „eigenen“ Regierung heraufbeschwören? Und wäre das nicht gleichbedeutend, einseitig das Werk der Kriegsgegner:innen zu verrichten?

Da Imperialismus die Konzentration des Kapitals und herrschende Politik konzentriertester Ausdruck gesamtkapitalistischer nationaler Interessen bedeuten, spitzt der Krieg alle Widersprüche zu. Das ist der Hintergrund, warum Pazifist:innen ins (sozial-)chauvinistische Lager überlaufen müssen, wenn sie nicht die Niederlage der „eigenen“ Regierung in Kauf nehmen wollen.

DIE LINKE: haltloser Pazifismus

Das Milieu, aus dem sich Friedens- wie manch andere humanitäre Bewegung (Seebrücke, NGOs) vorrangig rekrutieren einschließlich der Linkspartei, wird ein politisches Erdbeben erleben.

So diskutierte die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am ersten Märzwochenende und deren Co-Vorsitzender Carsten Schatz forderte: „Sofortiger Rückzug der russischen Truppen!“ Die richtige Forderung wird freilich zur Anpassung an die Bundesregierung, wenn jede Kritik an der NATO-Politik ausbleibt. Kultursenator Lederer bezichtigt Putin des „offensiven Bruchs mit der europäischen Friedensordnung“, für die Deutschland und die EU Verantwortung zu übernehmen hätten.

Ohne Namen zu nennen, geht er ans vermeintliche Eingemachte der Partei: antimilitaristische Haltung, Position zur NATO, zu Russland: „Lasst es einfach weg!“ Pankows Bezirksbürgermeister Benn sieht ein „Selbsterschrecken“ in den eigenen Reihen, ein tiefes „Selbstbefragen einer ganzen Reihe von Positionen“ am Horizont aufziehen. Sozialsenatorin Kipping legt nach: „Keine Verharmlosung von Putin mehr. Putin ist nun mal Feind der Linken.“

Für die Ex-Parteivorsitzende steht der Hauptfeind exklusiv im anderen Land. Mögen ihr beim alljährlichen Gedenkritual an die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs die Nelken in der Hand verdorren! Tobias Schulze bemerkt scheinheilig: „Was für die Rüstung geht, geht offenbar für die städtische und soziale Infrastruktur nicht, nämlich die Schuldenbremse auszusetzen.“ Gäbe es also die Schuldenbremse nicht, so drängt sich auf, wäre die Aufrüstung für DIE LINKE zustimmungsfähig. Welch‘ prinzipienfester Antimilitarismus!

Die Abgrenzung von wirklichen oder vermeintlichen „Putinversteher:innen“ erfüllt beim rechten Flügel der Linkspartei längst nicht mehr allein die Funktion einer Kritik an der Verharmlosung des russischen Imperialismus – vielmehr sollen so alle Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die an einer angeblichen starren NATO-Ablehnung festhalten wollen. Es ist damit zu rechnen, dass der starke „Reformer“-Flügel um die sog. Regierungssozialist:innen, welcher sich offen prowestlich und hinter vorgehaltener Hand pro-NATO aufstellt, zum Angriff auf die in die Jahre gekommenen traditionslinken, sozialpazifistischen Grundsätze blasen wird, denen er sich bislang unterordnen musste. Die Ukrainekrise bringt nun neue Bewegung in den Transformationsprozess der Linkspartei nach rechts, während der linke Flügel noch weiter in die Defensive gerät. Es rächt sich heute, dass über Jahre Pazifismus, humanitäre Friedensphrasen und das Beschwören von Völkerrecht und UNO als Ultima Ratio der internationalen Ordnung als „Antimilitarismus“ verklärt wurden. In Wirklichkeit wurde nur das Fehlen einer antiimperialistischen und internationalistischen Politik schöngeredet, was heute dem rechten Flügel der Partei in die Hände spielt.

Interventionistische Linke (IL)

Doch nicht nur die reformistische Linke gerät in schweres Fahrwasser. Auch die größte Organisation der „radikalen Linken“, die IL, gerät ins Studeln.

In ihrem Aufruf vom März 2022 verurteilt sie den russischen Angriff. Gleichzeitig lehnt sie eine Parteinahme im Konflikt ab: „Wir lehnen die falschen Alternativen ab, weil die behauptete Alternativlosigkeit jeden Raum für Widersprüche und Kritik verschließt. [ … ] Wir entziehen uns der Identifikation mit staatlicher Macht. Stattdessen sind wir mit jenen parteilich, die unter dem Krieg leiden und sich ihm widersetzen [ … ], wenn sie fliehen, desertieren, zivilen Ungehorsam leisten oder kämpfen.“

Leider „entzieht“ sich die IL auch einer klaren revolutionären Antwort, wie der Krieg gestoppt werden kann. Sie spricht sich für die Unterstützung der „Menschen vor Ort“ aus? Doch worin soll diese bestehen? Welche Politik sollen die Arbeiter:innenklasse und Linke in Russland oder in der Ukraine vertreten? Über diese Fragen schweigt sich die IL aus und verbleibt letztlich bei einer sicherlich löblichen, politisch aber unzureichenden humanitären Unterstützung von Opfern des Krieges.

Darüber hinaus wendet sie sich gegen kapitalistische Geopolitik und westliche Doppelmoral, bezeichnet den Krieg „als vorläufige[n] negative[n] Höhepunkt von weltweit immer schärfer werdenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konflikten.“ Sie tritt zu Recht gegen die Aufrüstung der Bundeswehr ein, für Solidarität mit Geflüchteten aller Hautfarben und Herkunft aus der Ukraine, Kriegsdienstverweiger:innen, Friedensaktivist:innen, Frauen und LGBTIQ, Genoss:innen der sozialen, linken, sozialistischen und anarchistischen Bewegungen aus beiden kriegführenden Ländern.

Richtig ist auch ihre Aufforderung, aktiv zu werden, eine Bewegung gegen Militarismus und Krieg aufzubauen, die lebendig, links und internationalistisch agieren soll. Doch für die Grundlage eines solchen Antikriegsbündnisses macht sie keinen Vorschlag. Stattdessen prophezeit sie (fälschlich): „Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung finden in der Klimagerechtigkeitsbewegung einen neuen, starken Gegner. [ … ] Bringen wir zusammen, was zusammengehört: die Kämpfe gegen alle Grenzen, gegen Imperien und Kriege, gegen Klimakrise, Patriarchat und Kapitalismus.“ Mit dämlichen Parolen wie „Heizung runter für den Frieden!“, „Pullover statt Erdgas!“, am 24. März zu sichten, dürfte das Zusammenbringen arg schwierig ausfallen.

So wenig selbst blau-gelbe Pullover eine Antwort auf drohende Energiearmut liefern, so großzügig sieht die IL über die Untauglichkeit einer Bewegung im Sog des Vaterlandsverteidigungstaumels für ein Antikriegsbündnis hinweg. Die IL spielt ein Chamäleon, das hinter „Bewegungen“ unkritisch hinterher trabt, statt ihnen eine antikapitalistische Perspektive anzubieten. Die Farbe Rot verblasst gerade, wenn’s drauf ankommt!

Dahinter steckt nicht nur ein mehr oder weniger hoffnungsfroher „Optimismus“ – es wird auch das Fehlen jeder Klassenpolitik deutlich. Die Frage, wie die Lohnabhängigen, wie Gewerkschafter:innen, die reformistisch dominierte Arbeiter:innenbewegung für eine Antikriegsbewegung gewonnen werden können, stellt sich die IL erst gar nicht. Den Spitzenbürokrat:innen im DGB, bei der Linkspartei und erst recht in der SPD wird’s recht sein. Uns nicht.




Protest und Widerstand gegen die Räumung der Köpi-Wagenburg

Jan Hektik, Infomail 1167, 16. Oktober 2021

Giffey und Geisel sind schockiert ob der Gewalt. Gemeint sind damit natürlich nicht die fast 2.000 Bullen, die den Wagenplatz unter Einsatz von Räumpanzern und anderem Gerät räumten, die dutzende DemonstrantInnen und Protestierende seit den Morgenstunden festnahmen und das Räumungurteil am 15. Oktober durchsetzten.

Schließlich handelten diese ja nach den geplatzten Verhandlungen mit der (kommunalen) Wohnungsbaugesellschaft Howoge rechtens, also aufgrund eines Räumungsurteils. Schließlich will sie das Gelände neben der Köpi für ihre Profitinteressen nutzen – und die darauf stehende Wagenburg muss dafür samt allen BewohnerInnen weichen.

Gegen die Umsetzung dieses gerichtlichen Entscheides hatten sich BewohnerInnen und UnterstützerInnen verbarrikadiert oder an Bäumen angekettet. Bereits am frühen Morgen versammelten sich einige hundert Menschen, um dies zu verhindern bzw. dagegen zu demonstrieren.

Eine Verhinderung der Räumung war angesichts der Abriegelung ganzer Straßenzüge um die Köpenicker Straße und des massiven Polizeiaufgebots von 2.000 Einsatzkräften plus Fuhrpark wohl nicht zu erwarten. Die bürgerliche Presse, die Polizei und Leute wie Giffey und Geisel stilisieren jedoch schon das Befestigen von Zäunen, Anketten und das Nicht-Freiwillig-Gehen zum gewaltsamen Angriff. Dabei wird unter den Teppich gekehrt, wie weit mittlerweile die Straftat Widerstand gegen VollstreckungsbeamtInnen gefasst werden kann. So kann die Weigerung wegzugehen bereits eine Straftat darstellen. Gleichzeitig wird dabei natürlich auch unterschlagen, dass es wohl kaum verwunderlich ist, wenn sich Menschen, die mit Räumpanzern, Schlagstöcken und Pfefferspray aus ihrem Zuhause vertrieben werden, dagegen zur Wehr setzen.

In Wirklichkeit werden diese gewaltsam vertrieben und zu Obdachlosen gemacht – in der schönen Welt der Polizei, der Presse und des scheidenden und wohl auch zukünftigen Senats werden diese Verhältnisse aber auf den Kopf gestellt.

Das trifft natürlich auch auf die Solidaritätsdemonstration am Abend des 15. Oktober zu. Gegen 20 Uhr versammelten sich da mehrere tausend Menschen – selbst die Bullen sprachen von 7.000 bis 8.000 – zur wahrscheinlich größten Demonstration der autonomen Szene in Berlin. Die Polizei redete von äußerster Aggressivität. Tatsächlich waren die Menschen natürlich wütend und empört – zu Recht. Angesichts der Brisanz der Situation, in Anbetracht der Größe und des versammelten politischen Spektrums, das über die Szene hinausging, waren die Empörung und der kämperische Charakter der Demonstration wohl nicht verwunderlich.

Die Presse stilisierte jedoch den „Kontrollverlust“ der Polizei gezielt hoch, einen „Kontrollverlust“, der sich darauf beschränkt, nicht alle Sachbeschädigungen verhindert zu haben.

Rolle des Senats

In Wirklichkeit geht der scheidende Senat, getrieben von der Immobilienlobby und ihren Frontleuten im Innensenat, seit Jahren gegen die noch vorhandenen besetzen Häuser systematisch vor. Der Linkspartei, der SPD-Linken und auch den Grünen gefällt das zwar nicht – aber gegen Geisel vorgehen tun sie nicht. Dabei ist diese Räumung nur das neueste Glied in einer Kette von Wegnahmen linker Freiräume durch den rot-rot-grünen Senat. Nach der Liebig34, dem Syndikat, der Meuterei und Potse/Drugstore erkennt selbst ein/e Blinde/r einen systematischen Angriff. Wer dann zusammenhanglos die daraufhin entstehenden Proteste und die Wut als „Angriff auf den Rechtsstaat“ und „blinde Zerstörungswut“ (Geisel) bezeichnet, verdreht die tatsächlichen Verhältnisse auf geradezu widerwärtige Art.

Sicherlich sollte niemand der Illusion anhängen, dass die autonomen Taktiken das Kräfteverhältnis drehen können. Natürlich werden auch zerschlagene Glasscheiben dem Senat wenig anhaben können. Gegen die Angriffe des bürgerlichen Staates können noch so militante Szenedemonstrationen letztlich wenig bis nichts ausrichten.

Die Stilisierung der Proteste, einzelner zerbrochener Scheiben oder gar von Bengalos bei den Demos zum „Gewaltexzess“ hat nicht nur nichts mit der Realität zu tun, sie soll vor allem den Boden für eine weitere Verschärfung von Polizeigesetzen, für noch mehr Überwachung und brutalere Durchsetzung des Rechts der Immobilienhaie bereiten. Gegen diese Hetze und Verleumdung ist Solidarität nötig und angesagt mit allen, die gegen die Räumung Widerstand geleistet haben und weiter leisten werden.

Wer zu den wirklichen Angriffen des Staates schweigt, erledigt letztlich den Job der Wohnungskonzerne, von AfD, FDP und CDU und der ScharfmacherInnen im alten und wohl auch zukünftigen Senat. Während Giffey und Geisel gegen die BesetzerInnen – und damit letztlich gegen alle, die von Räumungen bedroht sind – hetzen, halten Grüne und vor allem auch die Linkspartei die Füße still.

Es ist schon bezeichnend, dass ausgerechnet am 15. Oktober, dem Tag der Räumung der Köpi-Wagenburg, SPD, Grüne und Linkspartei bekanntgaben, gemeinsam in Koalitionsverhandlungen zu treten. Für die MieterInnen und für die HausbesetzerInnen verheißt das nichts Gutes. So sollen die Polizei aufgerüstet und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden. Die Enteignung der Immobilienkonzerne soll hingegen auf eine ExpertInnenrunde verwiesen, also auf die lange Bank geschoben werden. Obwohl 57,6 % für die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co. gestimmt haben, will der zukünftige Senat das Mehrheitsvotum weiter ignorieren. So sieht die rot-grün-rote Demokratie aus!

Doch die Tausende, die in Solidarität mit der Köpi-Wagenburg auf die Straße gingen, die in der Enteignungsbewegung aktiv geworden sind und die mehr als eine Million Ja-Stimmen beim Volksentscheid zeigen auch, dass der zukünftige Senat nicht einfach durchregieren wird können. Sie zeigen, dass das Potential für eine Massenbewegung von MieterInnen und BesetzerInnen, die Gewinnung von Hunderttausenden MieterInnen, für die Aktivierung der Mitglieder von MieterInnenvereinen, Gewerkschaften wie auch der Basis der Senatsparteien existiert.

  • Solidarität mit dem Widerstand und allen von Repression Betroffenen!
  • Enteignet die Immobilienhaie!



DWE, der Umgang mit sexuellen Übergriffen und die bürgerliche Presse

Tomasz Jaroslaw, Infomail 1162, 13. September 2021

Der Wahlkampf läuft auf Hochtouren – jedenfalls jener der Kampagne Deutsche Wohnen und Co.  enteignen (DWE). Kiezteams konzentrieren sich auf einen Häuserkampf, vor allem in den Außenbezirken, um die Menschen auch zur Abstimmung zu bringen und eine Mehrheit zu erringen.

Die Chancen am 26. September stehen trotz Millionen, die die Immobilienlobby in Gegenkampagnen steckt, nicht schlecht. Nach aktuellen Umfragen stehen 47 % der BerlinerInnen hinter der Forderung nach Enteignung, 43 % lehnen sie ab. Die jüngsten Erhebungen zeigen außerdem, dass mittlerweile auch eine Mehrheit der SPD-AnhängerInnen beim Volksentscheid mit Ja stimmen will.

Wie mit Vorwürfen sexueller Übergriffe umgehen?

Zugleich durchzog und durchzieht die Kampagne seit Ende Juni ein heftiger innerer Konflikt. Zu diesem Zeitpunkt wurde von einer Aktiven gegen einen Sprecher der Kampagne der Vorwurf der sexuellen Nötigung erhoben.

Dieser Vorwurf und der Umgang damit zogen weite Kreise, nicht nur in der Kampagne und deren Umfeld selbst, sondern erreichten auch die Medien. Neben dem Neuen Deutschland berichteten auch Tagesspiegel und Die Welt. Weitere werden wahrscheinlich folgen. Letzteren beiden – das wird schon bei einer oberflächlichen Lektüre deutlich – geht es natürlich nicht um die Sache. Vielmehr versuchen sie, den Vorwurf und den Umgang damit zu nutzen, um die gesamte Kampagne und die Vergesellschaftung an sich politisch zu delegitimieren. Doch bevor wir darauf näher eingehen, kurz zum Hergang der Auseinandersetzung in DWE selbst.

Der mutmaßliche Übergriff soll am 21. Juni am Rande einer öffentlichen Kundgebung der Linkspartei auf dem Rosa-Luxemburg-Platz stattgefunden haben, wo diese etwa 30.000 Unterschriften zum Volksbegehren an DWE übergeben hatte. Es gibt die Aussagen der beschuldigenden Person, was vorgefallen war. Der Beschuldigte dementiert diese Vorwürfe. Bis heute gibt es viele Gerüchte, die sicherlich keiner Aufklärung dienlich sind.

Richtigerweise nahm die Kampagne die Vorwürfe von Beginn an sehr ernst, der Umgang damit erwies sich jedoch aus verschiedenen Gründen als schwierig.

Erstens hatte DWE selbst zu diesem Zeitpunkt kein gemeinsames, anerkanntes Verfahren, wie mit einem Vorwurf eines sexuellen Übergriffs umzugehen ist. Das kann der Kampagne sicher nur bedingt vorgeworfen werden, zumal es ja auch keine allgemein anerkannte Sicht in der ArbeiterInnenbewegung oder der Linken gibt.

Zweitens und damit verbunden prallten von Beginn zwei miteinander unvereinbare Vorstellungen aufeinander.

Ein Teil der Kampagne, der sich letztlich durchsetzte, vertrat die Konzepte von „Definitionsmacht“ und „absoluter Parteilichkeit“. Diese besagen, dass nicht nur der Vorwurf ernst zu nehmen und der Betroffenen möglichst große Unterstützung zu geben sei, sondern auch, dass die Behauptung  der beschuldigenden Person selbst als Beweis für die Tat gilt. Dem Konzept der Definitionsmacht zufolge steht es nämlich nur der betroffenen Person zu, zu definieren, ob ein sexueller Übergriff oder eine Grenzüberschreitung vorlag. Alles andere gilt als Täterschutz. Letztlich ist dabei nur die subjektive Empfindung der beschuldigenden Person ausschlaggebend. Selbst die Frage danach, was „tatsächlich“ vorgefallen ist, gilt schon als Relativierung des Vorwurf und der Tat.

Diese Position wurde vor allem von Menschen aus postautonomen und kleinbürgerlich-akademischen Milieus vertreten. Insbesondere die stärkste politische Organisation in der Kampagne, die Interventionistische Linke (IL), die vor allem in diesen Milieus verankert ist und eine dominante Rolle im Ko-Kreis spielt, machte von Anfang an diese Ideologie zum Referenzpunkt des Umgangs innerhalb der Kampagne und versuchte, dieser zu Beginn einfach ihre Methode aufzuzwingen.

Probleme der Defintionsmacht

Das wurde richtigerweise kritisiert. Nachdem Transparenz und ein geregeltes demokratisch-legitimiertes Verfahren eingefordert worden waren, legte der Koordinierungskreis einen Verfahrensvorschlag zur Abstimmung vor, der weiterhin deutlich von Definitionsmacht und Parteilichkeit geprägt war.

Der Strömung um die IL trat eine durchaus heterogene Reihe von GenossInnen entgegen, die die Definitionsmacht zu Recht und grundsätzlich ablehnten, da diese Ideologie dem Beschuldigten kategorisch jedes Recht auf Verteidigung und Beibringen von Beweisen oder Indizien für seine Unschuld abspricht. Ein solcher Umgang in einer breiten Massenkampagne würde somit hinter Errungenschaften des bürgerlichen Rechts (v. a. das auf Verteidigung) zurückfallen.

GenossInnen der Gruppe ArbeiterInnenmacht brachten wie auch andere KritikerInnen des Konzepts der Definitionsmacht Änderungsvorschläge zum Entwurf des Ko-Kreises ein, die in der Substanz alle von der Mehrheit um die IL abgelehnt wurden. Wir und andere KritikerInnen traten dafür ein, dass eine Untersuchungskommission gebildet werden solle, die, so weit dies möglich ist, den Vorwürfen auf den Grund geht und eine Empfehlung für das weitere Vorgehen der Kampagne ausarbeitet. Darüber hinaus war es Konsens, dass der Beschuldigte für die Zeit der Untersuchung nicht öffentlich für die Kampagne in Erscheinung treten sollte und sein Ämter ruhen würden.

Während am Beginn versucht wurde, das Konzept der Definitionsmacht einfach durchzusetzen, so müssen  wir – wenn auch in der Abstimmung unterlegen – festhalten, dass die Entscheidung nach mehreren Diskussionen demokratisch zustande kam.

Selbst wenn wir das Konzept der Definitionsmacht und seine identitätspolitischen Grundlagen grundsätzlich ablehnen, so müssen wir festhalten, dass sich auch die Gegenseite mit einigen Argumenten keinen Gefallen erwiesen, sondern durch Ton und Inhalt ihrer Argumente schwankende Personen eher verprellt hat. Als Argument gegen die Vorverurteilung wurde oft vorgebracht, dass der Beschuldigte ein verdienter Genosse und tragendes Mitglied der Kampagne sei und über Fähigkeiten und Kontakte verfüge, die wir weiterhin dringend bräuchten. Auch wenn alle positiven Beschreibungen zutreffen, kann das kein Freispruch sein und muss gerade angesichts einer Korrelation zwischen Machtposition und Missbrauchsmöglichkeit die Beschuldigung genau untersucht werden. In gewisser Weise haben damit leider die GegnerInnen der Definitionsmacht die Gegenposition bekräftigt. Auch Vorwürfe der Manipulation oder des Machtmissbrauchs gegen IL und Ko-Kreis wurden gegen Ende zu scharf und zu lange erhoben. Am Anfang haben Ko-Kreis bzw. IL in der Tat Entscheidungen getroffen, die nicht legitimiert waren, wie den Ausschluss des Beschuldigten und die Verlegung des DWE-Büros. Im weiteren Verfahren wurde sich aber um ein formal korrektes und demokratisches Vorgehen bemüht, auch wenn das Ergebnis am Ende inhaltlich falsch war.

Mit der Definitionsmacht und Parteilichkeit fällt DWE nicht nur hinter die Errungenschaften der Aufklärung und bürgerlichen Gesellschaft zurück, sondern bietet keine Perspektive für einen Umgang mit sexuellen Übergriffen für eine linke, proletarische Bewegung. Diese Ideologie bildet auch politisch keineswegs die Breite und Heterogenität ab, die DWE ausmachen und auch für den Erfolg verantwortlich sind. Durch die Entscheidung wurde diese Stärke aufs Spiel gesetzt.

Es ist grundsätzlich legitim von IL & Co., ihre programmatischen und ideologischen Vorstellungen in die Kampagne einzubringen und ihre Position dahingehend auszunutzen. Das heißt jedoch keineswegs, dass dies strategisch gesehen für sie selbst oder die Kampagne klug war. Viele AktivistInnen haben ihr Engagement sofort runtergefahren oder sind nicht mehr für DWE tätig. Damit gehen nicht nur personelle Ressourcen in Zeiten schwerer Wahlkämpfe und nach dem Volksbegehren verloren, sondern auch Netzwerke in Richtung MieterInneninitiativen, -verein und Gewerkschaften. Die VertreterIn der IG Metall Berlin hatte ein Statement vorgelesen, das eindeutig das Missfallen der IGM kundtat, wie DWE mit dem Vorfall umgegangen ist. Reiner Wild, Vorsitzender des MieterInnenvereins hat DWE ebenfalls dafür kritisiert. Alles wichtige BündnispartnerInnen! Wie die anderen Gewerkschaften und die SPD-Linke damit umgehen, bleibt abzuwarten. Es ist jedoch kein Zufall, dass Organisationen und AktivistInnen, die strukturell oder politisch der ArbeiterInnenklasse nahestehen, dieses Ergebnis kritisiert haben. Fakt ist, dass man sie und alle BündnispartnerInnen für den Sieg an der Urne, aber auch für den tatsächlichen Kampf für die Vergesellschaftung danach braucht. Der Umgang mit dem Verfahren schwächte aber dieses gemeinsame Ringen, nicht nur weil es dem/r GegnerIn „Futter“ gibt, sondern die eigene Kampagne schwächt. Dieser politischen Verantwortung müssen sich die IL  und ihre UnterstützerInnen stellen. Zugleich müssen wir aber auch sagen: Ein Rückzug aus DWE, ein Fallenlassen der Kampagne ist der falsche Schritt. Er nützt letztlich nur jenen, die immer schon gegen die Enteignung der Immobilienhaie eintraten.

Bürgerliche Hetze

Die Artikel in Der Tagesspiegel und Die Welt belegen das. Sie haben den Konflikt und das Rechtsverständnis der Definitionsmacht aufgegriffen – nicht weil es ihnen um die Sache geht, sondern um die Kampagne selbst madig zu machen.

So wird eine anonyme Gewerkschafterin bemüht, die die „Interventionistische Linke“ als „wohlstandsverwahrloste Narzissten-Truppe“ und deren Aktivisten und Aktivistinnen als „eitle Berufsquatscher“ denunziert. In Wirklichkeit soll mit solcher Rhetorik die gesamte Initiative diskreditier werden – frei nach dem Motto, nur Verrückte Linksradikale und „Sekten“ wollen Unternehmen enteignen. So weiß der Tagesspiegel auch von rechtschaffenen Leuten zu berichten, die es bereuen, an der Kampagne teilgenommen zu haben: „Zumindest in ver.di sagen einzelne nun, man hätte sich auf die in der Kampagne aktiven ‚Sekten’ nie einlassen sollen.“

Die Stimmungsmache verfolgt einen Zweck. „Noch ist es Zeit zur Umkehr!“, legen Tagesspiegel und Die Welt im Subtext nahe. Die MieterInnenvereine, die Gewerkschaften, DIE LINKE, die allesamt DWE unterstützen, sollen sich am besten laut und vor dem 26. September zurückziehen. Bisher hat ihnen noch niemand den Gefallen getan.

So erklärt die ver.di-Sekretärin Jana Seppelt gegenüber dem Neuen Deutschland vom 1. September richtigerweise, dass dem Vorwurf des sexuellen Übergriffs natürlich nachgegangen werden müsse. Vor allem aber stellt sie klar: „Gleichzeitig gibt es für mich keinen Anlass, die Ziele der Initiative nicht zu unterstützen. Wir haben dazu klare Beschlüsse in der Organisation: Die Mieten fressen die Löhne auf und die Kampagne hat überzeugende Konzepte.“

Das ist die richtige Antwort auf alle jene Bürgerlichen, die jetzt versuchen, politisches Kleingeld aus einem politischen Fehler der Kampagne zu schlagen und die Kampagne und ihre UnterstützerInnen zu spalten. Der gemeinsame Kampf gegen Mietwucher, für Enteignung und für niedrige Mieten kann und muss trotz ideologischer Differenzen weiter gemeinsam geführt werden. Daher: Gewerkschaften, MieterInnenvereine, Linkspartei, linke SPD-lerInnen – tretet weiter für ein Ja beim Volksentscheid ein! Es geht letztlich um eine klassenpolitische Konfrontation, nicht um durchaus schwere, aufzuarbeitende und zu korrigierende Fehler der Kampagne. Daher noch einmal: Unterstützung die Kampagne! JA zur Enteignung, stimmt JA beim Volksentscheid!




Zum wohnungspolitischen Programm der Interventionistischen Linken (IL): Das Rote Berlin als blinder Fleck

Michael Eff, Wem gehört die Stadt? ArbeiterInnenmacht-Broschüre, Mai 2021

Angesichts der sich zuspitzenden Wohnungsmisere in Berlin hat die IL ein wohnungspolitisches Programm vorgelegt. Der Titel der Broschüre lautet: „Das Rote Berlin (Strategien für eine sozialistische Stadt)“. Ein solches Programm vorgelegt zu haben, das erkennen wir an, ist an sich bereits verdienstvoll. Die Broschüre ist durchaus gut aufgebaut. Es werden, in sprachlich ansprechender Form, weite Themenfelder der Wohnungsfrage abgedeckt, und dabei werden zutreffende Beschreibungen der Berliner Wohnungssituation vorgenommen. Es gibt informative Zusatzinformationen, z. B. über die Geschichte des Berliner Baufilzes, und die wohnungspolitischen Forderungen können wir zu einem großen Teil durchaus unterschreiben.

Auch orientiert man sich an basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen (hier der MieterInnen), allerdings, und hier kommt unser erster Einwand, durchgehend nur in einem vorgegebenen gesetzlich-institutionellen Rahmen. Rätestrukturen sehen anders aus und kommen auch anders zustande. Und auch bei der, zunächst durchaus positiv zu sehenden, Ausrichtung auf außerparlamentarische Kämpfe der Betroffenen kommt die Parlamentsfixierung, wie wir später sehen werden, durch die Hintertür wieder herein.

Trotzdem bleibt positiv festzuhalten, dass die IL sich nicht damit begnügt, begründete Forderungen zur Lösung der Wohnungsmisere zu formulieren, sondern das Ganze eingebettet ist in eine strategische Orientierung, nämlich in „Strategien für eine sozialistische Stadt“. Aber spätestens hier, bei der strategischen Orientierung, beginnen auch die Probleme.

Staatstreue

Während die IL in einem Selbstverständnispapier betont, dass ihre Politik „grundsätzlich antagonistisch zum Staat“ stehe, ist die Strategie in der Wohnungsbroschüre der IL durchweg anders ausgerichtet. Der Weg zum Sozialismus führt hier über die Reformierung und Demokratisierung der vorhandenen staatlichen Einrichtungen. (S. 8) Und das alles natürlich durch Gesetze. So fordert man z. B. den Umbau der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) zu einer „Vergesellschaftungsagentur“. Oder auch, dass börsennotierte Unternehmen in öffentliches Eigentum „überführt“ werden sollen, und ihre Neubildung soll „durch gesetzliche Regelungen unterbunden werden.“ (S. 20)

Das Ganze atmet den Geist gesetzlich-bürokratischer (die IL würde sagen „demokratischer“) Neuregelungen innerhalb des bestehenden Staates.

Selbst wenn die IL von „Mieter*innen-Räte“ spricht, meint sie damit nicht Organe demokratischer Selbstermächtigung in notwendiger Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat und kapitalistischem Eigentum, sondern Formen von Selbstverwaltung innerhalb vorgegebener Institutionen.

So ist es denn auch kein Wunder, dass die IL zufrieden feststellt: „Die meisten dieser Ziele (des rot-rot-grünen Berliner Koalitionsvertrages, d. V.) stimmen ohnehin eins zu eins mit langjährigen Forderungen der stadtpolitischen Bewegung überein.“ (S. 39) Allerdings fehlt ihr im Koalitionsvertrag „die Vision für ein anderes Berlin“ (??) (S. 10). Alles klar?

Die IL fasst ihre Kampfausrichtung für den Sozialismus folgendermaßen zusammen: „…der Charakter des Ganzen (Kampfes, d. V.) muss außerparlamentarisch sein. Dennoch muss mit Parteien diskutiert werden. Parteien sind Teil des Staates, und wenn wir Teilziele umsetzen wollen, müssen sich Parteien und Abgeordnete dafür einsetzen.“ (S. 39)

Hier also, gewissermaßen durch die Hintertür, kommt die Parlamentsfixierung wieder herein, denn der Gesetzgeber ist bei uns das Parlament. Nicht dass es per se illegitim wäre, das Parlament von außen unter Druck zu setzen, um Forderungen durchzusetzen, aber als strategische Orientierung so den Sozialismus erkämpfen zu wollen („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!), ist doch reichlich illusorisch.

Auch kommt es einem in diesem Zusammenhang schon merkwürdig vor, dass in einer Broschüre von 43 Seiten die Wohnungsprivatisierungspolitik des rot-roten Senats 2002 bis 2011 in ganzen dreieinhalb Zeilen abgehandelt wird.

Die IL entpuppt sich somit immer mehr, zumindest in wohnungspolitischer Hinsicht, als außerparlamentarischer Arm der Linkspartei.

„Das Rote Wien“ als Leit(d)bild

Vieles an der Wohnungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren in Wien war, gemessen am übrigen kapitalistischen Europa, sicherlich beeindruckend, aber Wien war keineswegs eine „sozialistische Stadt“, sondern der reformistische Versuch, eingegrenzt auf das Feld der öffentlichen Versorgung (insbes. Wohnen), den Kapitalismus lediglich einzudämmen. Wien war eben keine „sozialistische Insel“ in einem kapitalistischen Land, sondern (bei aller Sympathie für die Wohnungspolitik) eine kapitalistische Hauptstadt eines kapitalistischen Landes!

Und eines zeigt sich an diesem Beispiel ganz klar: Ein wie auch immer geartetes „antikapitalistisches Wohnungsprogramm“ kann nur funktionieren, wenn es eingebettet ist in ein Gesamtprogramm der sozialistischen Revolution bzw. eine Strategie der Machtergreifung und Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht. Solange die Staatsmacht nicht zerschlagen ist, ist keine einzige Errungenschaft gesichert.

Bei der IL dagegen heißt es: Vergesellschaftung „ gelingt nur durch eine Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung und durch die radikale Demokratisierung der bestehenden (!!!, d. V.) staatlichen Institutionen.“ (S. 8).

Es war aber genau diese reformistische Sichtweise der Sozialdemokratie auf die Gesellschaft, die die Zerschlagung des „Roten Wiens“ ermöglicht hat und die Machtergreifung des „Austrofaschismus“ 1934 nach sich zog.

Diese Schlussfolgerung zieht die IL aber nicht, ihre Kritik bleibt halbherzig und verkürzt.

Bei der IL sieht die Bilanz dieser „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ Wiens wie folgt aus: „Das ,Rote Wien‘ war damals und ist heute ein beeindruckendes Symbol, dass auch unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen die Lösung der Wohnungsfrage möglich ist. Die SDAPÖ kam allerdings über ein konsequentes Umverteilungs- und Wohlfahrtsprogramm nicht hinaus. Die Auswirkungen des zugrunde liegenden Interessensgegensatz der Klassen (!, welche?, d. V.) und der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt wurden abgemildert und durch nicht-kapitalistische soziale Infrastruktur ergänzt. Die abwartende Haltung der Sozialdemokratie wurde ihr dabei zum Verhängnis. Dennoch ist bis heute ihr Vermächtnis eine Inspirationsquelle mit internationaler Ausstrahlung.“ (S. 12)

Dass die „abwartende Haltung“ (inwiefern?, womit?) integraler Bestandteil jeder „reformistisch-antikapitalistischen“ Strategie ist, kommt der IL nicht in den Sinn.

Nebenbei, auch die Wohnungspolitik der Sozialdemokratie im Berlin der zwanziger Jahre wird als „Vorgriff auf eine sozialistische Gesellschaft“ (S. 28) gesehen. Aber leider, leider, beklagt die IL: „Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 (in Berlin und Wien, d. V.) abgebrochen (!!, d. V.).“ (S. 10)

Das Ende der „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ in den Katastrophen von 1933 und 1934 theoretisch derartig zu verharmlosen und zu verkürzen, ist kaum zu fassen, ist aber angesichts der eigenen strategischen Ausrichtung nur folgerichtig.

Auf reformistischem Schleichweg zum Sozialismus

Es handelt sich beim IL-Wohnungsprogramm um eine Reformstrategie mit der „Perspektive der Vergesellschaftung. Wohnraum darf keine Ware am Markt sein, sondern Gemeingut in demokratischer Verwaltung.“ (S. 6) Die IL macht aus ihrer gradualistisch-kleinschrittigen (Reform-) Strategie auch gar kein Hehl. Zur Verdeutlichung seien ein paar Aussagen zitiert,

da heißt es z. B.:

„Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes… durch eine Reihe von Reformen…Schritt für Schritt“ (S. 7);

„ Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung“ (S. 8);

„…weiter treibende Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für öffentliches und kollektives Eigentum erweitern“ (S. 12);

 „Daher muss erst mal kräftig Sand ins Getriebe der privaten Immobilienspekulation, bevor (!,d. V.) wir über Rekommunalisierung reden können.“ (S. 19);

„…schrittweise Zurückdrängung von privatem Wohnungseigentum“ (S. 33).

Es wird natürlich auch positiv Bezug auf das Grundgesetz genommen, das ja Enteignung zulässt, die vorgeschriebene Entschädigung wird dabei prinzipiell akzeptiert (S. 34).

Dazwischen, völlig unvermittelt und nicht weiter erklärt, heißt es an einer Stelle: „Die sozialistische Stadt wird nicht konfliktfrei und als reine Reform durchgeführt werden können.“ (S. 34) Aber dann geht’s gleich munter weiter mit den Reformen:

„Demokratisierung“ als „langer Prozess“ und „Nach und nach muss der Aufbau von lokal verankerten Strukturen, die Punkte des Widerstands schaffen…“ (S. 36) Usw. usf., die Liste ist beileibe nicht vollständig.

Zusammengefasst kann man sagen: Die IL hat die Vorstellung/Strategie von einer allmählichen Ausweitung nichtkapitalistischer Freiräume, die sich zunehmend vernetzen, die bestehenden staatlichen Strukturen demokratisieren, alles natürlich „kämpferisch“ und „von unten“, was dann irgendwie (hier gibt es nicht zufällig eine absolute Leerstelle) die „sozialistische Stadt“ (was immer das auch sei) ergeben soll.

Aber: So verläuft Klassenkampf nicht, und so ist er auch noch nie verlaufen. Teilerfolge sind zwar durchaus möglich, sind aber keine sicheren „Stützpunkte“, von denen ausgehend dann „Schritt für Schritt“ eine weitere Ausdehnung erfolgen könnte.

Solange die kapitalistische Staatsmacht besteht, sind Teilerfolge immer gefährdet. Das Hin und Her im Klassenkampf verläuft nie geradlinig – und schon gar nicht immer in eine Richtung. Hier gibt es tiefe Brüche, Erfolge und Rückschläge. Dass man der herrschenden Klasse die Macht stückweise bzw. allmählich entreißen könnte, ist naiv und eine klassische Vorstellung jeder reformistischen Strategie.

Klassenkampf?

Wer kämpft eigentlich? Die Betroffenen natürlich, – die MieterInnen! Richtig, aber niemand ist nur MieterIn, schon gar nicht in der kapitalistischen Gesellschaft. Bei der IL ist etwas dubios die Rede von „Schmieden von breiten Bündnissen“, „breiter Bewegung mit verschiedenen Formen des Widerstands“, „Hineinwirken in die Gesellschaft“, von „Kultur des zivilen Ungehorsams“ etc.

Klassenkampf und ArbeiterInnenklasse gibt es nicht. Gewerkschaften auch nicht. Nun verlangen wir von der IL nicht, dass sie unseren Klassenbegriff teilt, aber etwas genauere Ausführungen darüber, wer aufgrund welcher Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft BündnispartnerIn sein kann und wer nicht, und – wenn ja – wie und wohin „Kampfzonen“ über den Wohnungsbereich hinaus ausgeweitet werden können oder auch nicht, das kann man von einer Broschüre, die eine strategische Orientierung bieten will, erwarten.

Hier passt auch ins Bild, dass offensichtlich niemand verschreckt werden soll. Während es an anderer Stelle in einem Selbstverständnispapier bei der IL erfreulich klar heißt, dass die IL „das staatliche Gewaltmonopol bestreitet“, wird in der Broschüre kirchentagskompatibel versichert: „Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher,…“ (S. 43) Wie man dieses Prinzip, z. B. bei dem Versuch, eine Zwangsräumung zu verhindern, durchhalten will, ist uns schleierhaft.

Auch ist es vermutlich in diesem Zusammenhang kein Zufall, was in der Broschüre fehlt. Z. B. die Forderung nach Beschlagnahme von untergenutztem Wohnraum. Als die Flüchtlingszahlen hoch gingen und die Flüchtlinge in unwürdige Massenquartiere gepfercht wurden, hätte es sich doch angeboten, durch Berlins Villenviertel zu ziehen mit der Forderung „Hier ist Wohnraum genug – Beschlagnahme!“ Man hätte auf diese Weise dem rassistischen Diskurs „Innen gegen Außen“ den revolutionären Diskurs „Oben gegen Unten“ entgegengesetzt. Aber damit lässt sich gegenwärtig natürlich kein „breites Bündnis“ aufbauen.

Nun ist die Wohnungsfrage besonders dafür geeignet, die Klassenfrage auszuklammern, denn ArbeiterInnenklasse und Kleinbürgertum sind beide von der Wohnungsmisere betroffen. Es ist daher kein Zufall und typisch für kleinbürgerliche Bewegungen, in einem Bereich außerhalb der unmittelbaren kapitalistischen Produktionssphäre (Schaffung von Mehrwert) die „soziale Frage“ („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!); lösen zu wollen. Darauf hat schon Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ hingewiesen.

Die IL bleibt aber auch hier nebulös. Unter „nicht-kapitalistischer Organisation von Wohnen“ kann man sich ja vielleicht noch einiges vorstellen, aber was „nicht-kapitalistische“ Organisation „von Stadt“ sein soll, (S. 8) müsste man schon erklären. Die Arbeitswelt gehört aber offensichtlich nicht dazu.

Überhaupt wird die Wohnungswirtschaft gewissermaßen rein sektoral betrachtet, als ein von der übrigen Gesellschaft streng abgrenzbarer Bereich und auch als eigenständiges Kampffeld. Das hat in gewissen Grenzen auch seine Berechtigung, aber es muss zumindest angedeutet werden, wo diese Grenzen überschritten werden (müssen).

Und es fehlen hier kurze Erklärungen zur polit-ökonomischen Herleitung und Verortung des Wohnungskapitals, z. B. die Punkte: Was ist Miete überhaupt?, Grundrente, Verschmelzung der Wohnungswirtschaft mit Finanz- und Industriekapital, Verhältnis zur Mehrwertproduktion, Aufteilung des Profits, Bedeutung der Miete für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft, und damit gesamtkapitalistische Interessen an der Wohnungsfrage und dabei die Rolle des Staates etc.

Fazit: Das alles muss man nicht immer, wenn man sich zur Wohnungsfrage äußert, oberlehrerhaft ausbreiten und man kann sich hier auch kurz halten. Aber in einer Broschüre, die den Anspruch stellt, eine strategische Orientierung zu geben, gehören Ausführungen darüber schon dazu.

Ja! Ein revolutionäres Programm!

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch RevolutionärInnen haben nichts gegen reformistische Forderungen, aber sie müssen eingebettet sein in ein wohnungspolitisches Programm, das folgende drei Prinzipien berücksichtigt:

1. Ökonomisch-gesellschaftlich muss der Wohnungssektor in den Forderungen ansatzweise überschritten werden (z. B. entschädigungslose Enteignung von Banken, Finanzierungsgesellschaften, der Bauindustrie usw.). Es gibt nämlich kein isoliertes Wohnungskapital, das Kapital insgesamt ist der Feind.

2. Klassenorientierung (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften, denn schließlich beeinflussen die Mieten die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft und damit Lohnkämpfe).

3. Organisierung der MieterInnen in räteähnlichen Strukturen und nicht in bürokratisch-gesetzlich vorgegebenen Gremien (was einzelne Verbesserungen in gesetzlichen gegebenen Gremien nicht prinzipiell ausschließt, aber das sollte man nicht als Schritt zum Sozialismus verkaufen). Der bürgerliche Staat ist nicht die freundliche Spielwiese, sondern der Feind.

Fazit

Wenn die IL vertritt, dass der herrschenden Klasse die Macht stückweise, „Schritt für Schritt“ zu nehmen sei, so trägt sie dazu bei, reformistische Illusionen zu wecken und zu verbreiten.

Aber immerhin, dass die IL in ihrer Einleitung zu ihrem Selbstverständnis schreibt: „Wir sagen, was wir tun – und wir tun, was wir sagen.“ (S. 6) ist berechtigt. Ihr Reformismus in der Wohnungsfrage wird offen und ehrlich dargelegt.




Revolte im Gemüsebeet – Eine Kritik an „Der kommende Aufstand“

Hannes Hohn, Revolutionärer Marxismus 43, Oktober 2011

Anfang 2011 sorgte die deutsche Übersetzung der Broschüre „Der kommende Aufstand“ für Furore. Per Internet und Kopierer verbreitete sich das Pamphlet in der linken und alternativen Szene wie ein Lauffeuer. Selbst im bürgerlichen Feuilleton wurde es breit behandelt. Schon in Frankreich, woher die Autoren (die anonym bleiben und sich „Unsichtbares Komitee“ nennen) stammen, verbreitete sich das Büchlein, das dort 2007 unter dem Titel „L´insurrection qui vient“ rasend schnell.

Der Grund für diese schnelle Verbreitung ist v.a. darin zu suchen, dass die von den Autoren sehr grundsätzlich gemeinte Kapitalismus-Kritik auf eine Stimmung traf und trifft, die sehr direkt damit konfrontiert ist, dass die „negativen“, krisenhaften Aspekte des Kapitalismus immer deutlicher zutage treten und auch in den imperialistischen Metropolen immer mehr Menschen ins soziale Abseits gedrängt werden. „Die Zukunft hat keine Zukunft mehr“, beschreiben die Autoren diese Situation im Vorwort.

Motivation und Ausgangspunkt ihres politischen Manifests waren, wie sie selbst sagen, die „Feuer vom November 2005, (die) unaufhörlich ihre Schatten auf jedes Bewußtsein“ werfen. Diese Feuer waren v.a. die Aufstände der (überwiegend immigrantischen) Jugendlichen in den Banlieus von Paris u.a. französischen Großstädten.

Ein Blick auf die Klassenkämpfe der letzten Jahre in Frankreich – wie auch in Europa und weltweit – zeigt, dass die vom „Unsichtbaren Komitee“ registrierten Feuer immer höher aufflammen und die tiefe Krise des Kapitalismus immer greller beleuchten. Kein Wunder, dass das Interesse der Menschen, die sich sozialen Angriffen gegenüber sehen oder in Streiks, Protesten, Blockaden aktiv waren, für Schriften, die politische Analysen und Antworten versprechen, groß ist. Das erklärt zum erheblichen Teil die Wirkung des „Kommenden Aufstands“.

Die Autoren haben sich „zu Schreibern der Situation gemacht“. Sie meinen, es „reicht aus, das zu benennen, was einem unter die Augen kommt, und dabei nicht der Schlussfolgerung auszuweichen.“ Wir wollen sehen, wie sie die Situation beschreiben, welche Schlussfolgerungen sie ziehen und welchen Aufstand sie kommen sehen.

In sieben „Kreisen“ behandeln die Autoren bestimmte Seiten der (französischen) bürgerlichen Gesellschaft, bevor sie in den letzten vier Kapiteln darauf eingehen, wie wir uns „finden“ und uns „organisieren“ müssen, um den „Aufstand“ durchzuführen. Zweifellos: ein großer Anspruch, dem das Komitee gerecht werden will!

Erster Kreis

Thema ist hier das bürgerliche Individuum, die „Personalisierung der Masse“ . Die Autoren beschreiben den Wahn, die Illusion, die Konkretisierung der „Individualität“ im Kapitalismus. Sie sehen sie kritisch, als instrumentalisiert von Herrschaft. „Die Suche nach sich selbst, mein Blog, meine Wohnung, der letzte angesagte Scheiß (…) was es an Prothesen braucht, um ein Ich zusammenzuhalten.“ Und weiter: „Es sollen wohl abgegrenzte, wohl getrennte Ichs aus uns gemacht werden, zuordenbar und zählbar nach Qualitäten, kurz: kontrollierbar (…)“. So weit, so treffend.

Doch es bleibt bei der Feststellung, dass die Persönlichkeit im Kapitalismus verbogen ist, dass die individuelle Freiheit zum großen Teil eine Farce ist. Das ist nicht neu, da wird nur Altbekanntes eingekreist.

Zugleich begegnen wir schon beim ersten Kreis einem methodischen Problem, das sich durch das gesamte Manifest zieht. Die Autoren denunzieren den verlogenen Charakter der bürgerlichen Freiheit – sie bleiben aber eine Antwort darauf schuldig, warum die bürgerliche Gesellschaft immer wieder den Ruf nach „Freiheit“ hervorbringt, was den zwieschlächtigen Charakter dieser „Freiheit“ ausmacht.

Daher bleiben auch wichtige, spannende Fragen außen vor: Was ändert sich an den Bedingungen, in die „das Ich“ gezwungen ist? Welche Freiheiten bietet die bürgerliche Gesellschaft auch? Denn anders, als es unsere Autoren etwas eindimensional sehen, bietet der Kapitalismus im Vergleich zu vorhergehenden Klassengesellschaffen auch reale Freiheiten und Lebensmöglichkeiten, von denen frühere Generationen nur träumen (vielleicht auch albträumen) konnten.

Bezeichnend für die Analyse unserer Autoren ist, dass bei ihnen die sozialen Differenzierungen der „Ichs“ überhaupt keine Rolle spielen, von Klassenverhältnissen oder der Frage, wie sich die Klassenlage(n) verändern, ganz zu schweigen. Immerhin gehört die Mehrheit derer, die in den Vorstädten Barrikaden bauen, die ihre Schulen und Unis bestreiken, die gegen die Angriffe von Staat und Kapital protestieren, zur Arbeiterklasse. Wie ist die Lage des Ichs als „doppelt freier Lohnarbeiter“?

Unsere Autoren umkreisen ihr Thema, ohne den Kern der Sache zu begreifen. Sie verstehen offenbar nicht, dass der Kapitalismus aufgrund des Fetischcharakters der Warenproduktion für die Masse der ausgebeuteteten LohnarbeiterInnen nicht anhand des Offenbaren einfach durchschaut werden kann. Ihre Illusionen in die „Freiheit“ fußen auf den Illusionen des bürgerlichen Rechtshorizonts, auf den verschleierten Lohnarbeits- und Ausbeutungsbeziehungen im Kapitalismus. Unsere Autoren beschreiben die Lage des „Ichs“, sie kritisieren dessen Konstitution, doch sie verhelfen niemandem zu einem wirklichen Verständnis der widersprüchlichen gesellschaftlichen Beziehungen, in denen das „Ich“ sich befindet.

Hinzu kommt außerdem, dass die Freiheiten – also die demokratischen Rechte – der Masse der Bevölkerung in der bürgerlichen Gesellschaft nie „automatisch“ zustande gekommen sind. Sie mussten vielmehr erkämpft werden durch gesellschaftliche Massenbewegungen, v.a. durch die Arbeiterbewegung, aber auch die Frauenrechtsbewegung, Bewegungen der Unterdrückten (wie die Bürgerrechtsbewegung in den USA usw.); ja diese demokratischen Freiheiten mussten oft genug mit revolutionären Mitteln erkämpft werden – sei es in den bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts oder als „Nebenprodukt“ der proletarischen Bewegungen z.B. nach der Novemberrevolution 1918.

Für einen großen Teil der Menschheit sind diese Freiheiten bis heute nicht existent. Der Kapitalismus in seiner Niedergangsepoche zeigt außerdem zunehmend die Tendenz, diese Freiheiten weiter einzuschränken.

Genau darin besteht ja auch ein Aspekt der Perfidie der „Freiheit“ – einerseits wird ihr realer Zuwachs in Form immer größerer Warenmengen, immer größeren Reichtums zur Schau gestellt, andererseits werden die realen Möglichkeiten der Masse der Bevölkerung in jeder Hinsicht immer mehr eingeschränkt. Das führt uns jedoch im Unterschied zu den Autoren des „Kommenden Aufstands“ dazu, dass der Kampf für diese demokratischen Rechte ein wichtiger Bestandteil auch des Klassenkampfes, ja des revolutionären Kampfes – siehe die Massenbewegungen im Nahen Osten und Nordafrika – ist. Es reicht daher nicht, den imaginären Charakter der Freiheitsversprechen der bürgerlichen Gesellschaft zu denunzieren, sondern es gilt zugleich, den Kampf um die Verteidigung und Ausweitung realer demokratischer Freiheit gegen die herrschende Klasse mit Kampf um den revolutionären Sturz der bestehenden Ordnung zu verknüpfen.

Zweiter Kreis

Dieser Teil trägt den Titel „Unterhaltung ist ein Grundbedürfnis“, befasst sich jedoch weniger mit der Unterhaltung, sondern u.a. mit Immigration und Entfremdung.

Gleich zu Anfang erfahren die verdutzten LeserInnen, dass es keine „Frage der Immigration“ gebe. Begründet wird diese These u.a. mit Aussagen wie: „Wer wächst noch da auf, wo er geboren wurde? Wer wohnt noch da, wo er aufgewachsen ist?“ usw. usf. So richtig der Verweis auf die allgemeine Tendenz der Globalisierung, der Dynamisierung des Lebens ist, so falsch ist die Ansicht, dass es ein spezielles Problem der Immigration deshalb nicht gebe, weil diese Tendenz alle betrifft.

Schließlich findet diese Tendenz nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen einer imperialistischen Weltordnung statt, nicht in einem grenzüberschreitenden System, sondern auf dem Boden eines Systems von Nationalstaaten. Und spätestens diese sortieren Menschen nach Herkunft, Geburtsland usw. dergestalt, dass die rassistische Unterdrückung von MigrantInnen zunimmt. Und natürlich sind dabei v.a. die Armen oder Lohnabhängigen besonders betroffen, die als billige und entrechtete Arbeitskräfte Objekt imperialistischer Überausbeutung sind.

Die Missdeutung des wichtigen gesellschaftlichen Problems der Immigration verwundert umso mehr, als gerade die Revolten migrantischer Jugendlicher in Frankreich die schwärende rassistische Wunde des demokratischen Frankreich offenbarten. Wir fragen uns, wie weltfremd ein Komitee von Schreibern sein muss, um zu einer solchen Fehleinschätzung zu kommen?! Natürlich – und das zeichnet den gesamten Text aus – sind die Autoren somit auch außerstande, konkrete Antworten zu geben, wie die besondere Unterdrückung von MigrantInnen bekämpft und wie deren tw. isolierter Widerstand mit den Kämpfen der Jugendlichen und der ArbeiterInnen verbunden werden kann.

Weiter wird im zweiten Kreis die allgemeine Entfremdung der Menschen im Kapitalismus dargestellt. „Wir wurden unserer Sprache enteignet durch die Schule, unserer Lieder durch die Hitparade, unseres Fleisches durch die Massenpornographie, unserer Stadt durch die Polizei, unserer Freunde durch die Lohnarbeit.“ Gewiss doch, aber auch das ist nur eine Seite der Medaille. Bei aller Instrumentalisierung von Schule, Kultur usw. für die Herrschafts- und Verwertungszwecke der bürgerlichen Gesellschaft übersehen die Autoren den Doppelcharakter der zivilisatorischen Errungenschaften des Kapitalismus. Wie auch die Lohnarbeit nicht nur Quelle von Mehrwert und also Profit ist, sondern auch einen Gebrauchswert, also praktischen Nutzen hat, so verhält es sich auch insgesamt mit der Gesellschaft. Schule indoktriniert nicht nur, sie vermittelt auch Wissen und Fähigkeiten. Sicher, Konkurrenz untereinander und kapitalistische Arbeitsorganisation sind keine Freundeskreise von Beschäftigten, doch gerade seine Konzentration in der modernen industriellen Produktion konstituiert auch das Proletariat als Klasse, bietet auch einen Boden für ihre kollektive Aktion und Machtentfaltung als Klasse.

Wo die Autoren nur Negativa, nur Probleme sehen, erkennen MarxistInnen auch die Chancen, die Bedingungen für den Befreiungskampf des Proletariats. Wo das „Unsichtbare Komitee“ nur soziale Verwerfungen beklagt, erkennt der Dialektiker auch die widersprüchlichen Bedingungen, aus denen heraus sich eine neue Gesellschaft entwickeln kann. Wo die Verfasser nur die Negation im Auge haben, sehen RevolutionärInnen die Möglichkeit und Notwendigkeit der Aufhebung des Kapitalismus im Kommunismus.

Dritter Kreis

Dieser Teil behandelt einen zentralen Fragenkomplex: die Arbeit, die ArbeiterInnen sowie die Frage, welche soziale Rolle die Arbeiterklasse spielen kann.

Genaues, d.h. Analysen oder wenigstens Fakten über die Arbeitswelt erfahren wir natürlich auch hier nicht. Das grundsätzliche Manifest ist hier – wieder einmal – grundsätzlich oberflächlich. Gleichwohl glauben sich die Autoren auf ihrem theoretisch sehr schwankenden Grund zu sehr sicheren Schlussfolgerungen in der Lage.

So präsentieren sie uns die wunderliche Feststellung, dass in Frankreich „die industrielle Macht stets der staatlichen unterworfen“ war. Für MarxistInnen ist der Staat vor allem einmal das Machtinstrument der herrschenden Klasse, für unser Komitee aber wedelt der Schwanz mit dem Hund, d.h. der Staat dominiert das Kapital. Wie aber erklären sie sich dann, dass z.B. jede bürgerliche Verfassung das Recht auf Privateigentum an Produktionsmitteln – auch gegenüber dem Staat – garantiert? Nach Ansicht der Autoren wäre Frankreich also eine Art staatskapitalistisches Land – und Grönland liegt am Äquator.

Ebensolche Verwirrung ärgert uns auch beim Versuch des Komitees, Arbeit im Kapitalismus zu definieren. „Der Begriff der Arbeit umfasste schon immer zwei gegensätzliche Dimensionen: Eine Dimension der Ausbeutung und eine Dimension der Teilnahme.“ Wenn Arbeit Produktionstätigkeit ist, dann steht die Frage, was produziert wird. Im Kapitalismus ist Arbeit Quelle von (Tausch)wert und Gebrauchswert. D.h. Arbeit ist einerseits ein nützlicher, (lebens)notwendiger Prozess der Auseinandersetzung mit der Natur, andererseits ein Ausbeutungsprozess zur Erzeugung von Profit. Unsere Autoren verwirren die ganze Sache nun dadurch, dass sie Äpfel mit Birnen vergleichen. Die Ausbeutung der Arbeit, d.h. deren einer Nutzen, wird auf eine Zweck-Ebene gehoben mit der „Teilnahme“. Wenn Teilnahme aber einen Nutzen hätte, der nicht die Gebrauchswertschaffung wäre, dann doch wohl offenbar den, dass ArbeiterInnen gemeinsam am Produktionsprozess  teilnehmen – so wäre es einfach eine Tautologie: Teilnahme, um teilzunehmen. Wenn die Verfasser unter „Teilnahme“ Kooperation im Arbeitsprozess verstehen, ist das zunächst korrekt, verliert aber jeden Sinn, weil Kooperation bezeichnet, wie ein Arbeitsprozess organisiert ist, während die Ausbeutung v.a. darauf verweist, zu welchem Zweck er erfolgt. Wer aber Form und Zweck nicht auseinander halten kann, dessen Analysen gegenüber sollte man mehr als skeptisch sein.

Doch flugs folgt auf diesen theoretischen Galimathias die forsche Folgerung, dass „die Arbeiter der marxistischen Rhetorik, welche die Dimension der Teilnahme leugnet, ebenso“ gleichgültig “begegnen wie der Rhetorik der Manager, welche die Dimension der Ausbeutung leugnet.“

Wir wissen nicht, welche Art Marxismus unsere Experten kennen, der Marxismus, der von Marx kommt, jedenfalls leugnet nicht, dass Produktion unter „Teilnahme“ von LohnarbeiterInnen stattfindet. Auch die Annahme, dass „die Arbeiter“ den Argumenten der Manager gleichgültig gegenüberstehen würden, ist – leider – ein Märchen. Wie anders wäre der durchaus weit verbreitete Glaube vieler ArbeiterInnen an Standortdenken, nationale Vorurteile usw. zu erklären?

Nach dem Missverständnis über die Arbeit tischen uns die Verfasser gleich den nächsten Unfug auf. „Die Arbeit hat restlos über alle anderen Formen der Existenz triumphiert, genau zu der Zeit (?), in der die Arbeiter überflüssig geworden sind.“ Was sind die „anderen Formen der Existenz“, die offenbar keine Arbeit darstellen?!

Wenn damit eine Existenz gemeint sein soll, die sich nicht aus Arbeit nährt, sondern von der Aneignung der Arbeit anderer, so fällt uns hier die des Kapitalisten ein. Warum die Arbeit gar „restlos“ über diese andere Form der Existenz „triumphiert“ haben soll, verstehe wer will. Doch gerade das behaupten die Autoren mit obigem Satz, auch wenn sie es wahrscheinlich selbst nicht wissen. Denn letztlich fassen die Autoren Kapital und Arbeit damit nicht als ein Widerspruchsverhältnis, sondern setzen die beiden identisch – womit sie natürlich auch die revolutionäre Lösung dieses Widerspruchs notwendigerweise aus dem Blick verlieren müssen.

Im selben Satz wird auch ohne jeden Beleg die kühne These aufgestellt, die „Arbeiter (sind) überflüssig geworden“. Die Entwicklung der Produktion sei so weit fortgeschritten, „dass sie die Menge an lebendiger (…) Arbeit, auf beinahe nichts reduziert (hat).“

Dumm nur, dass die Zahl der lohnabhängig Beschäftigten – bei allen Schwankungen – weltweit nicht sinkt, sondern steigt. Derzeit beträgt die Zahl der Erwerbstätigen in den OECD-Staaten 526,6 Millionen. Im Jahr 2000 waren es erst 489,1 Millionen, 1990 erst 439 Millionen. Von diesem Trend ist auch Frankreich nicht abgekoppelt. Von der absoluten Zahl abgesehen, ist das soziale Gewicht der Arbeiterklasse noch zusätzlich dadurch gewachsen, dass der Anteil der Wertschöpfung des industriellen Bereichs am gesellschaftlichen Gesamtprodukt steigt.

Dass im Kapitalismus tendenziell lebendige Arbeit durch Maschinerie ersetzt wird (steigende organische Zusammensetzung des Kapitals) wissen wir schon seit Marx. Doch daraus folgt eben nicht eine absolute Abnahme der Zahl der ArbeiterInnen: Erstens, weil neue Branchen neue Beschäftigung anziehen bzw. schaffen; zweitens, weil durch Arbeitslosigkeit, prekäre oder Teilzeitarbeit zwar die Arbeitszeit pro Beschäftigten, nicht jedoch die Zahl der Beschäftigten selbst sinkt oder zwangsläufig sinken muss.

Aber all das interessiert unsere Autoren sowieso nicht wirklich. Auch bezüglich der Organisation und der Differenzierung der Arbeit werden einfach Behauptungen aufgestellt, ohne dass auch nur der Hauch eines Beweises oder empirische Belege vorhanden wären.

„In den Unternehmen teilt sich die Arbeit immer offensichtlicher in hochqualifizierte Arbeitsplätze (…) und in entqualifizierte Arbeitsplätze“. Das ist nicht neu und wurde schon von Lenin dargestellt, als er auf die Herausbildung einer besonderen, relativ privilegierten Schicht innerhalb der Arbeiterklasse hinwies: die sich v.a. aus der Facharbeiterschaft rekrutierende Arbeiteraristokratie. Zu der durchaus interessanten Frage, ob sich das quantitative Verhältnis zwischen diesen Beschäftigtengruppen verschiebt, erfahren wir im Manifest nichts.

Über die „unteren“ Arbeiterschichten heißt es dort: „Diese flexible, undifferenzierte Arbeitskraft, die von einer von einer Aufgabe zur nächsten wechselt und nie lange in einem Unternehmen bleibt, kann sich nicht mehr zu einer Kraft verdichten. Dies, weil sie nie im Mittelpunkt des Produktionsprozesses steht, sondern wie pulverisiert ( ist)“. „Der Leiharbeiter ist die Figur dieses Arbeiters“.

Natürlich entspricht die Lage vieler LeiharbeiterInnen dieser Beschreibung. Viele andere jedoch sind sehr wohl im Kernbereich der Produktion tätig – und zwar als gut ausgebildete Fachkräfte. Sicher ist diese Situation in Deutschland stärker ausgeprägt als in Frankreich oder anderswo, doch eine solche Generalisierung, wie sie unsere Autoren hier vornehmen, geht am Kern der Sache vorbei und bleibt – völlig unbewiesen – pure Behauptung.

Darüber hinaus bietet das Manifest – obwohl es hier richtigerweise einen Wandel der Struktur der Arbeiterklasse feststellet – auch hier keine Perspektive für die LeiharbeiterInnen. Es beklagt lediglich, dass sie „keinen Beruf mehr“ haben, sondern ausschließlich „Fähigkeiten, die er bei seinen Einsätzen verkauft“. Die AutorInnen beschreiben hier auf einer abstrakten Ebene die Notwendigkeit von allen Lohnabhängigen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, schaffen es jedoch nicht, die spezifischen Probleme von LeiharbeiterInnen herauszuarbeiten. Für das Kapital bietet Leiharbeit den großen Vorteil von Flexibilität. Kündigungsschutz und andere gewerkschaftlich erkämpfte Rechte sind weitgehend ausgehebelt. Die Lösung für dieses Problem muss u.a. der Kampf um die Eingliederung in die sogenannten „Stammbelegschaften“ beinhalten. Übersieht man diese politischen Forderungen macht man es sowohl den KapitalistInnen als auch den GewerkschaftsbürokratInnen nur leicht, die „Stammbelegschaften“ gegen die LeiharbeiterInnen auszuspielen.

Bemerkenswert – und für die Bewertung des gesamten Pamphlets wichtig – ist an diesen Aussagen, welche Rolle dem Proletariat zugeschrieben wird. Die „undifferenzierte Arbeitskraft (…) kann sich nicht mehr zu einer Kraft verdichten.“  Über den anderen Teil der Klasse und dessen Möglichkeiten, sich „zu einer Kraft zu verdichten“, wird gleich gar nichts gesagt. Doch der gesamte Text lässt keinen Zweifel darüber zu, wie die Autoren zur Arbeiterklasse stehen. Sie bedauern sie mehr oder weniger als ausgebeutete Schicht, sehen sie jedoch nicht als jene Klasse, die nach wie vor durch ihre Zahl, durch ihre Konzentriertheit und Organisiertheit, durch ihre enge Verbindung mit den modernen Produktivkräften das entscheidende Subjekt jeder größeren sozialen Veränderung – eine revolutionäre Klasse ist.

Sie verkennen zudem, dass die Tendenzen der Differenzierung und der Atomisierung, der vielfältigen Spaltungen der Klasse durch Staat und Kapital bewusst erzeugt und dafür genutzt werden, um die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen und sie zu spalten. Sie sehen überhaupt nicht, dass es eine zentrale Frage des politischen Kampfes ist, diese Spaltungen zu überwinden. In letzter Instanz ist das nur im Klassenkampf möglich. Gerade dafür gibt es aber im gesamten Text des „Kommenden Aufstands“ keinen einzigen Vorschlag. Das ist umso bemerkenswerter, als es gerade in Frankreich in den letzten Jahren zahlreiche Klassenkämpfe gab, in denen die Gewerkschaften und die Lohnabhängigen, v.a. des Öffentlichen Dienstes, im Transportsektor (Bahn) oder bei den Raffinerien, eine entscheidende Rolle spielten.

Diese Kämpfe werfen allerdings auch die Frage auf, warum die millionenstarken Proteste und Streiks bisher keinen durchschlagenden Erfolg hatten und Kapital und Regierung ihre Macht behalten konnten. Auf die Frage, welche reformistischen Führungen und Konzepte die Mobilisierungen letztlich ausverkauften und deren Zuspitzung verhinderten, erhalten wir ebensowenig irgendeine substantielle Auskunft.

Am Schluss des dritten Kreises lassen die Autoren die Katze aus dem Sack: „Sich darüber hinaus und gegen (sic!) die Arbeit zu organisieren, kollektiv vom Regime der Mobilisierung zu desertieren, (…) ist die einzige Art, die zu überleben.“ Nicht die Veränderung der Arbeitswelt, nicht deren grundsätzliche Umwandlung infolge und im Zuge einer sozialistischen Revolution, nicht die Aufklärung, Mobilisierung und Organisierung des Proletariats – und v.a. dessen „schwere Bataillone“ in den industriellen Zentren – ist das mutige Ansinnen des Manifests. Sein ärmliches „Credo“ ist das Desertieren, die Flucht aus der Arbeit und der Arbeitswelt. Um Missverständnissen vorzubeugen: Damit ist nicht so etwas wie ein Streik, ganz zu schweigen von einer Produktionskontrolle durch die ArbeiterInnen gemeint.

Diese Orientierung ist gleich in mehrfacher Hinsicht absurd. 1. versetzt sie die Bourgeoisie nicht gerade in Schrecken, denn diese hat allemal genug Arbeitslose, die arbeiten müssen, um leben zu können, um ein paar vom kommenden Aufstand träumende Aussteiger ersetzen zum können. 2. würde die Aussteiger-Perspektive überhaupt nur einen Sinn machen und sozialen Druck erzeugen, wenn sie massenhaft befolgt würde und nicht nur individuell. Doch wie das erreicht werden könnte, welche politischen und organisatorischen Implikationen das hätte – selbst vor dieser Frage, die sich unser Komitee stellen müsste, wenn es wenigstens seine eigenen Ideen ernst nehmen würde, ergreift man die Flucht. 3. werden die meisten Lohnabhängigen (und umso mehr Arbeitslose) die Flucht-Vorschläge unserer „akademischen“ Sozialrevoluzzer als bitteren Scherz empfinden, wenn sie daran denken, sich und ihre Familien durchzubringen. Denn: gerade weil der Kapitalismus alles verwertet – also Alle ohne Geld ein Niemand sind -, was die Autoren seitenweise selbst beklagen, sind sie eben gezwungen, ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen.

Das politisch-methodische Fazit des „Kommenden Aufstands“ ist jedenfalls klar: Nicht Kampf mit und um die Arbeiterklasse, sondern Flucht von und aus ihr heißt das Rezept! Wohin die Flucht führen soll, werden wir noch sehen.

Vierter Kreis

In diesem Teil beschreiben die Autoren näher, was ihre Auffassung von „Widerstand“ ist. Es heißt dort:

„Die erste Geste, damit etwas mitten in der Metropole hervorbrechen kann, damit sich andere Möglichkeiten eröffnen, besteht darin, ihr Perpetuum Mobile zu stoppen. Das ist es, was die thailändischen Rebellen verstanden haben, die Umspannwerke hochgehen lassen. Das ist es, was die Anti-CPE verstanden haben, die die Universitäten blockierten, um dann zu versuchen, die Wirtschaft zu blockieren. Das ist es auch, was die im Oktober 2002 streikenden amerikanischen Hafenarbeiter verstanden haben, die für den Erhalt von 300 Arbeitsplätzen zehn Tage lang die wichtigsten Häfen der West-Küste blockierten. Die amerikanische Wirtschaft ist von den kontinuierlichen Flüssen aus Asien derart abhängig, dass sich die Kosten der Blockade auf eine Milliarde Euro am Tag beliefen. Mit zehntausend Leuten kann man die größte Wirtschaftsmacht ins Wanken bringen. Hätte die Bewegung noch einen Monat länger gedauert, wäre es laut mancher ‚Experten‘ zu einer ‚Rückkehr der USA in die Rezession und einem wirtschaftlichen Albtraum für Süd-Ost-Asien‘ gekommen.“

Diese Passage lohnt, genauer betrachtet zu werden, weil sie viele Fehler der politischen Methode des „Kommenden Aufstands“ fokussiert.

Erstens zeigt dieser Abschnitt, v.a. der richtige Verweis auf die soziale Kraft des Proletariats in Gestalt der streikenden amerikanischen Docker, dass – entgegen der sonstigen Intention des Textes – die Arbeiterklasse auch heute noch (in Wahrheit heute umso mehr) die entscheidende Macht ist, das System ins „Wanken“ zu bringen oder gar zu stürzen.

Zweitens verrät der Text aber eben auch das Unverständnis der Autoren vom Klassenkampf. Da wird ein Streik in einem strategischen Sektor der Wirtschaft der USA oder die Blockaden von Unis, Schulen und des Verkehrs in Frankreich auf eine Stufe gestellt mit der Sprengung eines Umspannwerkes in Thailand. Streiks wie Massenbewegungen sind immer Aktionen, die eine bestimmte Form von Organisation von Massen und ihre Bewußtseinsbildung implizieren. So spielten bei den amerikanischen Dockern wie bei der Anti-CPE-Bewegung in Frankreich Gewerkschaften bzw. betriebliche u.a. Basisstrukturen sowie tw. die Linke eine zentrale Rolle, während die Sprengung eines Umspannwerkes durch „Rebellen“ – also die geheime Aktion einer kleinen Verschwörergruppe oder gar eines Einzelnen – etwas ganz anderes ist. Wie „effektiv“ und politisch „sinnvoll“ solche Anschläge sind, zeigte sich 2011 in Berlin, als irgendwer (vielleicht animiert durch die Lektüre des „Kommenden Aufstands“?) eine zentralen Kabelbaum kappte. Der Ausfall von Zügen, das Erlöschen des Lichts im OP-Saal und das Steckenbleiben im Fahrstuhl hat die Leute jedoch nicht zum Aufstand und auch nicht zu antikapitalistischen Einsichten geführt, sondern nur deren verständliche Wut über ein paar Idioten angefacht.

Drittens. Mit „zehntausend Leuten“  kann man eine Wirtschaftsmacht tatsächlich  „ins Wanken“ bringen – doch kippen wird sie nicht. Auch nicht, wenn der Streik in den West-Küsten-Häfen der USA noch länger gedauert hätte. Was unsere Autoren unterschätzen, ist ganz einfach, dass die Wirtschaft nicht einfach zusammensackt, wenn so und so viele Milliarden Schäden durch Streiks entstehen. Was wäre denn geschehen, wenn der Streik auch nur ein paar Tage länger gedauert hätte? Ganz einfach: der US-amerikanische Staat hätte die Nationalgarde, eventuell die Army und auf jeden Fall einige tausend Streikbrecher eingesetzt, um die Häfen wieder in Gang zu bringen. Die Möglichkeiten, die Absicht, den rechtlichen Rahmen und die Medien dazu hat der Staat.

Was unsere Autoren vergessen, ist, dass Klassenkampf immer auch einen politischen Kampf darstellt, dass der Konflikt einiger Sektoren immer auch ein Gesamt-Klassenverhältnis widerspiegelt.

Viertens zeigt sich in diesem Zitat, dass das Komitee keine Ahnung davon hat, wie ein Klassenkampf gewonnen werden kann respektive, warum er verloren gehen oder mit einem Kompromiss enden kann. Wenn der erwähnte Docker-Streik oder die Bewegung gegen CPE wirklich erfolgreich sein soll, dann muss der Kampf über einzelne Sektoren ausgedehnt werden und zu Massen- oder Generalstreiks führen, um Staat und Kapital zum Nachgeben zwingt. Und auch nur solche  Massenaktionen werfen wirklich die Machtfrage auf – ohne sie jedoch automatisch zu lösen.

Solche Massenaktionen sind aber nicht durchführbar, ohne dass starke Parteien oder Gewerkschaften sie vorbereiten, ausrufen und organisieren. In den USA gibt es noch nicht einmal eine reformistische Arbeiterpartei und die Gewerkschaftsbe-wegung ist schwach, zersplittert und oft nicht gerade sehr kämpferisch; in Frankreich dagegen gibt es gleich mehrere reformistische Parteien (KP, SP), Gewerkschaften (CGT, CFDT, FO u.a.) sowie einige linke Organisationen, die über einigen Einfluss verfügen (z.B. die NPA).

Während in den USA der Hafenstreik nicht zu größeren Solidaritätsaktionen anderer Bereiche führte, war die Bewegung gegen CPE u.a. in den letzten Jahren eine landesweite, die mehrfach mit Generalstreiks verbunden war und tw. sehr militant geführt wurde. Trotzdem hat auch sie Regierung und Kapital nur „ins Wanken gebracht“, aber nicht gestürzt. Warum?

Wir wollen hier – im Unterschied zum Komitee, das nur über das „Wanken“ schwärmt, ohne zu sagen, wie daraus ein Stürzen werden könnte – zwei zentrale Gründe dafür anführen, warum die Bewegung nicht weiter ging. Zum einen fehlte der Bewegung eine Kampfführung, welche die Bewegung bewusst weiter führen wollte und dafür einen Plan hatte. Die refomistischen Spitzen von KP, SP und Gewerkschaften waren nur daran interessiert, Druck aufzubauen, um Zugeständnisse zu erzwingen und zugleich ihre Rolle als Führer und Unterhändler zu legitimieren, um die Bewegung dann wieder zu demobilisieren. Jedem Kampf um die Macht oder gar für Sozialismus weichen sie aus. Warum lassen die Massen das zu? Weil sie über keine alternativen Führungen und Organisationen verfügen, weil sie über keinen alternativen Plan für den Kampf oder gar für die Machtergreifung verfügen. Genau darum geht es aber für all jene, die den Kapitalismus nicht nur bekämpfen, sondern ihn auch besiegen wollen: um ein revolutionäres Programm und eine darauf gegründete revolutionäre Arbeiterpartei und -internationale.

Dieser Schlussfolgerung auf über 80 Seiten Text nicht einmal nahe gekommen zu sein, ist ein  Hauptmanko des „Kommenden Aufstands“.

Die Kreise fünf bis sieben

Auch aus Platzgründen wollen wir auf diese Abschnitte nicht näher eingehen, jedoch einige Bonmots zitieren, die verständlich machen, warum „Der kommende Aufstand“, obwohl er politisch eine sehr dünne Suppe bietet, doch einige schmackhafte Häppchen enthält und von vielen Leuten verschlungen wird.

Zur Ökologie – gemeint ist die ökologische Bewegung – lesen wir sehr treffend: „Das gegenwärtige Paradox der Ökologie ist es, das sie unter dem Vorwand, die Erde zu retten, lediglich das Fundament dessen rettet, was aus ihr dieses verödete Gestirn gemacht hat.“ Das zu lesen, wäre für alle Grünen sinnvoll.

Oder: „Die Abgeschmacktheiten der Weihnachtsmärkte lassen sich mit immer mehr Wachleuten und Stadtpolizeistreifen bezahlen.“ Oder: „Das Abendland, das ist heute ein GI, der in einem Abraham M1 Panzer nach Falloudja rast und volle Pulle Hardrock hört.“

Ja, als Feuilleton hat der Text seine Reize, als politisches Pamphlet, als das er sich – schon nach dem Titel – versteht, ist er allenfalls aufreizend, jedoch nicht erhellend. Wir sehen das v.a. auch in den Schlusskapiteln, die mit „Auf geht´s!“, „Sich finden“, „Sich organisieren“ und „Aufstand“ überschrieben sind.

„Sechzig Jahre der Befriedung, ausgesetzter historischer Umwälzungen (…) demokratischer Anästhesie und Verwaltung der Ereignisse haben in uns (…) geschwächt (…) den parteilichen Sinn für den laufenden Krieg.“

Ein Hoch auf die Geschichtsschreibung! Die letzten 60 Jahre, also die gesamte Menschheitsgeschichte seit 1947, grob gesagt also seit Konstituierung der Nachkriegsordnung, können die Autoren bloß als „Stillstand“ der Geschichte fassen. Allein eine kurze Erinnerung an den französischen Mai ‘68 führt dieses Zerrbild jedoch ad absurdum. Der Befriedung ging damals bekanntlich eine revolutionäre Situation voraus. Die mögliche historische Umwälzung wurde nicht „ausgesetzt“, sondern es war die aktive Rolle der reformistischen Führung der französischen Arbeiterklasse, allen voran der Verrat der KP, der zur Niederlage der Revolution führte. Den 12 Millionen, die sich am Generalstreik beteiligten, mangelte es damals nicht am „parteilichen Sinn für den laufenden Krieg“, sondern an einer revolutionären Führung, die sie zum Sieg hätte führen können. An „parteilichem Sinn“ mangelte es auch nicht den damals rasch entstandenen trotzkistischen und maoistischen Gruppierungen, wohl aber fehlte all diesen zentristischen Organisationen ein klares revolutionäres Programm, eine Strategie und Taktik, mit der sie den Einfluss des Reformismus brechen und die Führung der Massenbewegung hätten erlangen können.

Noch viel absurder wird die „Zusammenfassung“ der Nachkriegsgeschichte, wenn wir die vielen großen Umwälzungen vor Augen halten, die Siege von Befreiungsbewegungen, Arbeiterkämpfe, Revolutionen einerseits wie imperialistische Interventionen, strategische Angriffe auf die Lohnabhängigen, Konterrevolutionen andererseits. Sie übten immer einen nachhaltigen Einfluss aus: auf die Bewusstseinsentwicklung und Kampffähigkeit, in Phasen des Niedergangs und des Aufschwungs, bei Radikalisierung oder bei der Befriedung oder gar bei Demoralisierung und Resignation.

Gemeinsam war all diesen Phasen jedoch, dass sie immer auch mit dem Kampf verschiedener politischer Klassenkräfte innerhalb der Bewegungen der Unterdrückten und Ausgebeuteten einhergingen; gemeinsam ist den verschiedenen Phasen, Kämpfen, Bewegungen auch, dass sie von nicht-revolutionären (reformistischen, nationalistischen, stalinistischen) Kräften dominiert und geführt wurden.

Die Gretchenfrage ist daher, wie dieser Zustand überwunden werden kann – und dazu gelangt das Manifest zu einer durchaus überraschenden – und bezeichnenden – Schlussfolgerung:

„Es ist vergeblich, auf legalem Wege gegen die vollendete Implosion des legalen Rahmens zu protestieren. Entsprechend muss man sich organisieren.“

Falsch daran ist erstens, dass der legale Rahmen verschwunden wäre. Im Gegenteil: Zumindest in den imperialistischen Zentren ist er der Normalfall der Form bürgerlicher Herrschaft. Noch absurder ist, anzunehmen es wäre „vergeblich“, auf legalem Wege zu kämpfen. Nicht nur, dass fast jede Form von Protest und Widerstand sich im legalen Rahmen bewegt oder zumindest darin beginnt (Demonstrationen, Streiks); es ist einfach Unsinn, zu behaupten, legale Kämpfe würden nichts bringen. Die Geschichte des Klassenkampfes kennt tausende Beispiele dafür, wie „ganz legal“ Staat und Kapital bestimmte Zugeständnisse und Erfolge abgerungen wurden.

Richtig ist sicher, dass Kämpfe und Kampfmethoden oft den legalen Rahmen überschreiten müssen, wenn sie Erfolg haben wollen – zudem der Klassengegner bei Bedarf als erster auf die Demokratie, auf die Verfassung usw. pfeift. Doch auf legale Mittel von vornherein zu verzichten, heißt auch, von vornherein auf zwei wesentliche Faktoren im Kampf zu verzichten: auf die Massen und alle legalen – also die Mehrzahl aller – Kampfmethoden in „normalen“ Situationen, also in nicht-revolutionären Momenten. In der Endkonsequenz bedeutet die uns hier empfohlene „Taktik“ für alle solche Situation – Verzicht auf den Klassenkampf überhaupt!

Nach diesem Ruf an die Massen „Kämpft nicht!“ folgt der Rat „Organisiert Euch nicht!“ Ein, angesichts der Kapitelüberschriften, seltsam anmutender Rat – und doch geht es genau darum.

„Es gibt keinen Grund“, beginnt die nächste Empfehlung, „sich (…) zu engagieren, in dieser oder jener Sackgasse der radikalen Linken“, denn „alle Organisationen, die vorgeben, die gegenwärtige Ordnung anzufechten, haben selbst wie Marionetten die Form, Sitten und die Sprache von Miniaturstaaten.“ Was immer das heißen soll, können wir nur ahnen. Wissen können wir allerdings, dass wir dieser Pauschalverurteilung von in jeder Hinsicht sehr unterschiedlichen linken Strukturen gegenüber äußerst argwöhnisch sein sollten – wie gegenüber jeder Pauschalisierung. Außerdem vergessen unsere neunmalklugen Linken-Kenner, dass diese bösen linken Gruppen immerhin oft eine sehr aktive Rolle in jenen Kämpfen spielen, welche unser kritisches Komitee so gut findet, weil diese mitunter das System ins „Wanken“ bringen. Sollen sie selbst mit diesem Widerspruch herumschlagen.

Mit der kategorischen Ablehnung linker Organisierung geht hier die Weigerung einher, sich ernsthaft mit den Diskussionen innerhalb der „radikalen Linken“ auseinanderzusetzen. Wenngleich man auch viele Momente linker Politik kritisieren kann – unter ihnen sowohl Sektierertum als auch Opportunismus – so ist es doch billig, sich gar nicht erst auf eine Diskussion einzulassen.

Damit ignorieren die AutorInnen grundlegende Aufgaben linker Politik im Verhältnis zu Bewegungen. Denn Proteste wie jene gegen den CPE beginnen und werden, solange sie sich im Rahmen bürgerlicher Verhältnisse bewegen und nicht zu einer revolutionären Lösung kommen, ab einem bestimmten Punkt auch wieder zu Ende gehen. Die Aufgabe von revolutionärer Politik verstehen wir dabei nicht nur darin, in solchen Bewegungen aktiv mitzuarbeiten und sie mit aller Kraft aufzubauen, sondern vor allem darin, ein langfristiges politisches und organisatorisches Angebot zu machen, um in- wie außerhalb konkreter Bewegung den Aufbau einer kommunistischen Partei voranzutreiben. Das Komitee hat jedoch eine andere Logik: In letzter Instanz gilt es – so oft sie auch in radikaler Wortwahl bestehende Kämpfe wertschätzen – sich von solchen Protesten fernzuhalten, um alternative Inseln aufzubauen, die jedoch das Bestehende unangetastet lassen.

Nach diesen politischen Einschätzungen wundert es uns nun nicht mehr, dass unsere Helden des „Kommenden Aufstands“ sich – wie alle wirklichen Gutmenschen – von der Welt verlassen fühlen: „Wir gehen aus von einem Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht. Alles ist (daher) aufzubauen im aufständischen Prozess.“

Sicher, auch wir gehen davon aus, dass die historische Kontinuität der revolutionären Arbeiterbewegung in jeder Hinsicht seit Jahrzehnten – genauer seit dem Zerfall der revolutionären IV. Internationale Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre – abgerissen ist. Wir gehen deshalb davon aus, dass eine neue, die Fünfte Internationale aufgebaut werden muss. Wir wissen, dass das viel theoretische und organisatorische Arbeit erfordert und die Verbindung von revolutionärer Politik mit realen Klassenkämpfen.

Doch wir beginnen dabei keinesfalls beim Punkt Null. Wir verfügen über die praktischen Erfahrungen und die theoretischen Errungenschaften von rund 150 Jahren Klassenkampf, Marxismus und kommunistischer Bewegung. Vor allem aber können und müssen wir an real vorhandene Kämpfe, Strukturen und Organisationen anknüpfen – das bedeutet Kooperation im Klassenkampf genauso wie politischen Kampf gegen Bürgerliche aller Couleur, gegen Reformismus, Zentrismus usw.

Wer, wie das „Unsichtbare Komitee“ von einer „extremen Ohnmacht“ spricht, der muss in einer  anderen Welt leben – in einer Welt, in der sich niemand wehrt, in der es keine Proteste und Kämpfe gibt. Ob Kampf gegen CPE, Proteste gegen Sparpakete, Widerstand gegen imperialistische Besatzung oder die revolutionären Aufstände in der arabischen Welt – wer glaubt, daran nicht anknüpfen zu können oder zu wollen, der kann sich nur noch selbst aufknüpfen.

Doch schauen wir, was die Autoren uns als ihre organisatorischen Vorschläge unterbreiten. Klar ist jedenfalls, dass alle vorhandenen Organisationen nichts taugen. „Ihr wiederholter Verrat (…) hat sie am meisten von der Verbindung zu ihrer Basis entfremdet.“ Das ist richtig, wirft aber die Frage auf, warum das so ist bzw. wer oder was dafür verantwortlich ist. Wir würden sagen: der Reformismus. Das Komitee meint dazu – nichts. Doch wie immer ziehen sie aus einer dürftigen Analyse einen umso deftigeren Schluss: „Nichts von den Organisationen erwarten“, oder – als Krönung des individuellen Widerstands – einen „konsequenten Austritt“ vollziehen.

Hier stolpern unsere antikapitalistischen Helden in die erstbeste Falle der Reformisten. Die sind nämlich immer sehr froh darüber, wenn niemand Forderungen an sie stellt, sich keine/r in ihre Bürokraten-Belange mischt oder ihnen gar das Handwerk legt. Auch die stille Hoffnung des Komitees, dass alle aus den bürokratischen Massenorganisationen austreten, wird sich nicht erfüllen. Erstens wäre das nach über hundert Jahren vorherrschenden Reformismus schon lange passiert und zweitens muss es offenbar ein paar gute Gründe für Millionen Lohnabhängige geben, trotzdem – freiwillig – in Gewerkschaften Mitglied zu sein. Doch es fällt uns schon schwer genug, dem Komitee das ABC erklären zu müssen, wir wollen nicht auch noch die Tinte analysieren.

Erwähnt sei aus dem Abschnitt „Sich finden“ nur noch ein schlagendes Beispiel dafür, wie politische Blindheit sich mit Frechheit paart: „Alle Milieus (gemeint sind hier Organisationen, d.A.) sind konterrevolutionär, da ihr einziges Anliegen der Erhalt ihrer miesen Bequemlichkeit ist.“

Das große Zauberwort, mit dem alle Fragen, wie man sich organisieren muss, gelöst werden, ist der Begriff „Kommune“. Natürlich wird darunter nicht etwa das verstanden, was die Kommune historisch ursprünglich war, ein in sich demokratisches, aber in der Funktion (allerdings nur aufgrund der Dominanz von RevolutionärInnen darin) revolutionäres Kampf- und Machtorgan des Proletariats, zuerst in der Pariser Kommune von 1871, später dann u.a. in den Sowjets in der Russischen Revolution von 1917. Nein, natürlich verstehen unsere AutorInnen das darunter, was sie darunter verstehen wollen. Auch hieran zeigt sich ihre durchaus idealistische und unhistorische Methode. Sie jonglieren mit Begriffen, die ihnen in ihrem Ungeschick dann auch noch ständig aus den Händen rutschen.

Trotz vieler Worte wird nie ganz klar, was eine Kommune für sie wirklich ist, wie sie entsteht und nach welchen Prinzipien sie arbeitet. Die Kommune-Konzeption des Komitees ist – wohlwollend ausgedrückt – etwas schillernd. Immerhin erfahren wir aber u.a., dass „Jeder wilde Streik (…) eine Kommune, jedes kollektiv besetzte Haus (…), die Aktionskomitees von 68“ usw. eine Kommune sind. Unterm Strich: jede kollektive oppositionelle Struktur kann also eine Kommune sein. Bezeichnend ist allerdings schon, dass ein wilder Streik eine Kommune sein kann, ein organisierter aber nicht!

Nun ist es aber so, dass die wirklich effektiven Streiks meist Massenstreiks- oder Generalstreiks (z.T. politische) waren. Gerade die sind aber eben fast immer keine wilden Streiks und können es auch gar nicht sein. Doch das ficht unsere, offenbar außerhalb jeder historischen Erfahrung denkenden, Kommune-Experten nicht an.

Zur Funktion der Kommune erfahren wird dann u.a. auch: „Der Anspruch der Kommune ist es, für alle so viel Zeit wie möglich freizumachen.“ Mit Zeit ist hier v.a. die Zeit, „die frei von lohnabhängiger Ausbeutung“ ist, gemeint. Daher ist auch der Abschnitt „Sich organisieren“ mit dem Slogan „Sich organisieren, um nicht mehr arbeiten zu müssen“ untertitelt.

„Die Kommune ist die elementare Einheit der Realität der Partisanen.“ Nur, wer von Partisanenkampf oder Bürgerkrieg nicht die geringste Ahnung hat, kann glauben, dass das kleinbürgerliche Puppenstuben-Modell der autonomen „Kommune“ des Komitees die elementare Einheit von irgendetwas sein kann, schon gar nicht des bewaffneten Kampfes.

Die systemsprengende Kraft der Kommune soll sich gerade dadurch entfalten, dass diese a) nicht die Mehrheit, sondern immer nur die Minderheit organisiert; dass sie b) fern von der Arbeiterklasse existiert als eine Kommune von Arbeitslosen, was nicht despektierlich gemeint ist, sondern nur darauf verweist, dass c) diese Kommune eben wenig oder keine Möglichkeiten hat zu streiken oder die Produktion zu kontrollieren und umzugestalten.

Wer wirklich glaubt, dass diese Art von „Kommune“ eine geeignete Struktur ist, um einen „kommenden Aufstand“ vorzubereiten oder gar durchzuführen, der glaubt auch, aus Heringsbrühe wird Wein, wenn sie nur in Flaschen gefüllt wird.

Was tut eine solche Kommune mit ihrer gewonnenen Zeit? „Plündern, anbauen, herstellen“, gibt eine Zwischenüberschrift die Richtung an. Wenn einzelne Habenichtse sich was klauen, um leben zu können, ist das in Ordnung. Wenn eine ganze Klasse, wenn Millionen diese Alternative wählen, kann das aber nicht funktionieren. Aber dem Komitee geht es ja, wie wir inzwischen gemerkt haben, auch gar nicht um die Gesellschaft – es sei denn als Gegenstand, die Misere zu beklagen – sondern um die „Befreiung“ jener Minderheit von „aufgeklärten Antikapitalisten“, die sich in einer Kommune organisieren wollen und können, die containern gehen, um sich zu ernähren – nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es als „alternativ“ ansehen. Der arme Schlucker in der „Dritten Welt“, der wirklich im Abfall wühlen muss, um zu überleben, hätte ganz sicher eine sehr andere Ansicht von einer „alternativen“ Lebensweise als unsere Aufständler.

Die Ausgestaltung der selbstgewählten lumpenproletarischen Mini-Idylle nimmt überhaupt breiten Raum bei der Vorbereitung des “Kommenden Aufstands“ ein. „Wie können wir die betonierten Räume in städtische Gemüsegärten verwandeln, wie das Cuba tat“? Die Versorgungsnot, die v.a. der Unfähigkeit der kubanischen Stalinisten, eine Planwirtschaft zu organisieren, geschuldet ist, wird von unseren kleinbürgerlichen Weltverbesserern noch als Tugend hingestellt.

Die Kommune müsse „Auf Dauer die Fähigkeit erlangen, sich (ihre) grundlegende Versorgung selbst zu schaffen …“. Während man im Garten Unkraut zupft, wird überlegt, wie man hernach noch den Kapitalismus ausreißt.

Über die Funktionsweise der Kommune erfahren wir u.a.: „Die Versammlung ist nicht für die Entscheidung gemacht, sondern für das Palaver, für das freie, ziellos (sic!) ausgeübte Wort.“ Nein, das ist kein Scherz, das ist ernst gemeint! Sollte eine Bewegung oder Organisation tatsächlich nach diesem Rezept handeln, wäre das tatsächlich ein Schuss ins eigene Knie. Jeder Klassenkampf, ja das Leben überhaupt würde verunmöglicht, wenn Menschen (und umso mehr Gruppen) keine Absprachen treffen würden, die natürlich auch eine Verbindlichkeit haben müssen.

In der politischen Praxis erleben wir oft genug „Libertäre“, die mit ihrer Konsens-und-Anti-Beschluss-Orientierung jede Bewegung und jede Aktion ruinieren. Dabei ist es natürlich nicht etwa so, dass dann etwa keine Beschlüsse gefasst würden, sie werden nur ohne Öffentlichkeit, ohne Mehrheit, ohne demokratische Legitimation von einem selbsternannten informellen Klüngel getroffen.

Zur Frage der Strategie, dazu, was der kommende Aufstand nun genau ist, kommen die Autoren an keiner Stelle des nicht ganz kurzen Textes. Für MarxistInnen jedenfalls sind Revolution und Aufstand nicht dasselbe. Aber auch das hat das Komitee von seinem politischen Wolkenkuckucksheim aus „übersehen“.

Immerhin verweist wieder eine Zwischenüberschrift auf so etwas wie „Strategie“. Es gelte nämlich, lesen wir da, „Alle Hindernisse umzustürzen, eins nach dem anderen.“ Wenn das überhaupt etwas bedeuten kann, dann das: Vorwärts in kleinen Schritten, nach und nach, oder – um es mit Hegel zu sagen – Anhäufung von Quantitäten. Damit ist indirekt der qualitative Sprung einer Revolution ausgeschlossen. Die Autoren können sich zwar nicht genug über die traditionellen Strukturen, Milieus, Organisationen usw. erregen – was ihnen aber selbst strategisch einfällt, ist auch nichts anderes als – Reformismus. Hier fällt uns ein, wie einst Lenin treffend die Anarchisten nannte: Liberale mit Revolver.

Es überrascht nicht, dass die hier präsentierte Aufstands- und Kommune-„Konzeption“ völlig von der Realität des Klassenkampfes und von der Dynamik der sozialen und wirtschaftlichen Prozesse im Kapitalismus abgekoppelt ist. Nach dem Motto „Ich will, also bin ich“ stellen die Autoren Widerstand und Organisation als reinen Willensakt dar. Schon in jenen Passagen, wo es um die Ausnutzung oder Nichtausnutzung der Demokratie und der Legalität geht, war es ihnen völlig egal, unter welchen objektiven Bedingungen man zu kämpfen gezwungen ist, dass es davon abhängig also sehr unterschiedliche Formen und Methoden des Kampfes – legale wie illegale – geben kann und muss.

Bezeichnend für die Substanz der Ansichten des Komitees ist auch, dass es die Widersprüche in seiner eigenen Argumentation überhaupt nicht bemerkt. Einerseits wird fast enthusiastisch über Streiks, Proteste, Blockaden usw. geschrieben, wie z.B.: „Es liegt meist an den sozialen Bewegungen, den Ablauf des normalen Desasters zu unterbrechen.“ Andererseits finden wir Sätze wie diese: „Alle Bündnisse sind da überflüssig, wo man sich verbündet, die Organisationen sind immer da zuviel, wo man sich organisiert.“ Ja, was nun?! Hier liebt unser Komitee das Feuer, nur gegen den Rauch hat es was.

Und – natürlich – wird an keiner Stelle analysiert, was genau an der Art der Organisation, an der Kampftaktik oder an den Bündnispartnern etwa falsch ist. So genau nimmt man´s da nicht, insofern ist die „radikale“ Kritik an Organisationen, Bündnissen usw. nichts als eine hohle Geste.

Im letzten Abschnitt „Aufstand“ wird – wer hätte das auch erwartet?! – nichts über den Aufstand gesagt, nichts darüber, wie er von wem wie vorbereitet und durchgeführt wird. Der Marxismus spricht vom Aufstand als eines sehr spezifischen Akts einer Revolution, er spricht vom Aufstand als einer „Kunst“ (Lenin), der den Punkt der direkten Übernahme der Macht markiert. Von unserem aufständischen Komitee erfahren wir dazu gar nichts. Ihr „Kunstverstand“ besteht allenfalls darin, eventuell zu ahnen, dass es wohl Noten und Instrumente geben könnte …

Fazit

Was ein politischer Text taugt, muss daran gemessen werden, was er zur Weiterentwicklung des Verständnisses von Kapitalismus, Arbeiterklasse, Widerstand und Klassenkampf beiträgt. Er muss v.a.  daran gemessen werden, was er konkret vorschlägt, um die vorhandenen Kämpfe, Programme, Führungen, Taktiken usw. zu verbessern.

Was „Der kommende Aufstand“ an Analyse, an Theorie, an Empirie bringt, geht gegen Null. Lediglich ein Übermaß an – verständlichem – Abscheu gegen den Kapitalismus kann ihm positiv attestiert werden. Das ist für 80 Seiten jedoch etwas wenig!

Insoweit er überhaupt Handlungsorientierungen gibt, laufen die allesamt nur auf eines hinaus – auf Desertion! Verlasst die Organisationen, meidet Bündnisse, flieht die Betriebe, haltet euch von der Arbeiterklasse fern, verhindert Beschlüsse, ignoriert Mehrheiten! Das sind die „Ratschläge“, um einen „kommenden Aufstand“ vorzubereiten.

Das gesamte Verständnis von Widerstand, Organisation – oder besser: Nichtorganisation -, von  Kommunen entlarvt sich auf jeder Seite des Pamphlets als kleinbürgerlich, individualistisch. Soweit es auch anarchistisch und autonomistisch ist, dann ist es ein Anarchismus und Autonomismus der billigsten Sorte. Von Marxismus haben die Autoren sowenig Ahnung wie der Hering von der Wüste. Allenfalls einige Versatzstücke glauben sie verstanden zu haben – davon, dass der Marxismus auch eine Wissenschaft vom Klassenkampf ist, haben sie nichts begriffen.

Das – angesichts des schmalen Inhalts – erstaunlich breite Interesse am „Kommenden Aufstand“ zeugt v.a. vom Interesse an Ideen, die sich auf sehr grundsätzliche Art gegen den Kapitalismus wenden.

Das ist aber nur ein Grund für seinen Erfolg. Die eigentliche Ursache ist darin zu finden, dass die aktuelle Krise des Kapitalismus zu einer Verelendung, ja tendenziellen Deklassierung von Teilen der Bevölkerung, v.a. der Jugend führt. Mehr und mehr verunmöglicht die herrschende Gesellschaftsordnung einem Teil der Ausgebeuteten, sich selbst als LohnarbeiterInnen zu reproduzieren, sie werden selbst in den imperialistischen Ländern zu „prekär“ oder oft überhaupt nicht Beschäftigten. Ein Teil dieser Schicht bildet ein überausgebeutetes, oft migrantisches (Sub)proletariat, ein anderer sinkt mehr und mehr Richtung Lumpenproletariat ab.

Zugleich ist auch ein immer größerer Teil der Intelligenz – v.a. die studentische Generation – von sozialem Abstieg bedroht. Die reformistischen Parteien und Gewerkschaften bieten keine Perspektive, ergehen sich in Halbheiten, Kompromissen oder in direkter Zusammenarbeit mit Staat und Kapital bei den Angriffen auf die Massen.

Die AutorInnen des „Kommenden Aufstands“ gehören dieser Intelligenz an und erblicken das zukünftige Heil in den spontanen Revolten des Subproletariats und verwandter Klassen (deklassiertes Kleinbürgertum und Lumpenproletariat). So berechtigt diese „Aufstände“ sind – so sehr sind sie begrenzt. Die Autoren idealisieren und fetischisieren jedoch diese „Brüche“.

Für die AutorInnen des „Kommenden Aufstandes“ ist die sozialistische Revolution kein bewusster Akt der Befreiung, der einer politischen Vorbereitung und Organisierung bedarf, sondern letztlich ein automatischer Prozess, den es nur zu konstatieren gilt, dessen „natürliche“ Entfaltung allenfalls frei vom störenden Einfluss der „Organisationen“ zu machen ist. Dabei übersehen sie, dass der Kapitalismus ein Gesellschaftssystem ist, das sich nicht nur mittels eines Repressionsapparates an der Macht hält, sondern seine Existenz auch durch eine Verschleierung seiner wahren Ausbeutungsverhältnisse absichert.

Sie begreifen daher auch den Charakter historischer Krisenperiode nicht, die die Zusammenbruchstendenz des Kapitalismus und die Notwendigkeit seiner revolutionären Überwindung zum Ausdruck bringen. Diese Notwendigkeit kann jedoch nur durch eine bewussten, revolutionären Akt – die proletarische Weltrevolution – Wirklichkeit werden, sie kann nur zum Sieg und endgültigen Durchbruch dringen, wenn es eine bewusste revolutionäre Kraft, eine kommunistische Partei und Internationale gibt, die die Arbeiterklasse zur Errichtung ihrer Herrschaft und zur sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft führen kann.

Damit glauben sie zugleich auch, alle strategischen und taktischen, programmatischen und organisatorischen Probleme jeder wirklich revolutionären proletarischen Bewegung und Organisation zu „lösen“ – indem sie diese einfach negieren. Das dialektische Verhältnis von Reform und Revolution wird in der Entsagung an jede Reform (freilich, wie wir gesehen haben, auch an jede wirkliche Revolution) „gelöst“. Der Kampf um demokratische und effektive Kampfstrukturen, Massenorganisationen usw. wird durch die Absage an jede Organisationsform „gelöst“. Der reformistischen oder zentristischen Partei wird nicht der Kampf um eine revolutionäre Kampfpartei entgegengestellt, sondern die politische Enthauptung und Atomisierung der Arbeiterklasse wird als der „revolutionären“ Weisheit letzter Schluss präsentiert.

Doch jene, die praktisch gegen den Kapitalismus, seine Auswirkungen und seine diversen Agenturen kämpfen – ob in Palästina oder in Afghanistan, in Libyen oder Ägypten, in Athen oder in Madrid – diese Millionen brauchen andere Antworten darauf, wie sie ihre Kämpfe effektiv führen können, welche Taktiken, welche Organisationen, welche Führungen, welche Programme und welche Bündnispartner sie brauchen. Auf die Ratschläge von kleingärtnernden Revoluzzern können sie dabei getrost verzichten!

 




“Das Rote Berlin” als blinder Fleck

Zum wohnungspolitischen Programm der Interventionistischen Linken (IL)

Michael Eff, Neue Internationale Sondernummer gegen Wohnungsnot, September 2018

Angesichts der sich zuspitzenden Wohnungsmisere in Berlin hat die IL ein wohnungspolitisches Programm vorgelegt. Der Titel der Broschüre lautet: „Das Rote Berlin (Strategien für eine sozialistische Stadt)“. Ein solches Programm vorgelegt zu haben, das erkennen wir an, ist an sich bereits verdienstvoll. Die Broschüre ist durchaus gut aufgebaut. Es werden, in sprachlich ansprechender Form, weite Themenfelder der Wohnungsfrage abgedeckt, und dabei werden zutreffende Beschreibungen der Berliner Wohnungssituation vorgenommen. Es gibt informative Zusatzinformationen, z. B. über die Geschichte des Berliner Baufilzes, und die wohnungspolitischen Forderungen können wir zu einem großen Teil durchaus unterschreiben.

Auch orientiert man sich an basisdemokratischen Entscheidungsstrukturen (hier der MieterInnen), allerdings, und hier kommt unser erster Einwand, durchgehend nur in einem vorgegebenen gesetzlich-institutionellen Rahmen. Rätestrukturen sehen anders aus und kommen auch anders zustande. Und auch bei der, zunächst durchaus positiv zu sehenden, Ausrichtung auf außerparlamentarische Kämpfe der Betroffenen kommt die Parlamentsfixierung, wie wir später sehen werden, durch die Hintertür wieder herein.

Trotzdem bleibt positiv festzuhalten, dass die IL sich nicht damit begnügt, begründete Forderungen zur Lösung der Wohnungsmisere zu formulieren, sondern das Ganze eingebettet ist in eine strategische Orientierung, nämlich in „Strategien für eine sozialistische Stadt“. Aber spätestens hier, bei der strategischen Orientierung, beginnen auch die Probleme.

Staatstreue

Während die IL in einem Selbstverständnispapier betont, dass ihre Politik „grundsätzlich antagonistisch zum Staat“ stehe, ist die Strategie in der Wohnungsbroschüre der IL durchweg anders ausgerichtet. Der Weg zum Sozialismus führt hier über die Reformierung und Demokratisierung der vorhandenen staatlichen Einrichtungen. (S. 8) Und das alles natürlich durch Gesetze. So fordert man z. B. den Umbau der BImA (Bundesanstalt für Immobilienaufgaben) zu einer „Vergesellschaftungsagentur“. Oder auch, dass börsennotierte Unternehmen in öffentliches Eigentum „überführt“ werden sollen, und ihre Neubildung soll „durch gesetzliche Regelungen unterbunden werden.“ (S. 20)

Das Ganze atmet den Geist gesetzlich-bürokratischer (die IL würde sagen „demokratischer“) Neuregelungen innerhalb des bestehenden Staates.

Selbst wenn die IL von „Mieter*innen-Räte“ spricht, meint sie damit nicht Organe demokratischer Selbstermächtigung in notwendiger Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat und kapitalistischem Eigentum, sondern Formen von Selbstverwaltung innerhalb vorgegebener Institutionen.

So ist es denn auch kein Wunder, dass die IL zufrieden feststellt: „Die meisten dieser Ziele (des rot-rot-grünen Berliner Koalitionsvertrages, d. V.) stimmen ohnehin eins zu eins mit langjährigen Forderungen der stadtpolitischen Bewegung überein.“ (S. 39) Allerdings fehlt ihr im Koalitionsvertrag „die Vision für ein anderes Berlin“ (??) (S. 10). Alles klar?

Die IL fasst ihre Kampfausrichtung für den Sozialismus folgendermaßen zusammen: „…der Charakter des Ganzen (Kampfes, d. V.) muss außerparlamentarisch sein. Dennoch muss mit Parteien diskutiert werden. Parteien sind Teil des Staates, und wenn wir Teilziele umsetzen wollen, müssen sich Parteien und Abgeordnete dafür einsetzen.“ (S. 39)

Hier also, gewissermaßen durch die Hintertür, kommt die Parlamentsfixierung wieder herein, denn der Gesetzgeber ist bei uns das Parlament. Nicht dass es per se illegitim wäre, das Parlament von außen unter Druck zu setzen, um Forderungen durchzusetzen, aber als strategische Orientierung so den Sozialismus erkämpfen zu wollen („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!), ist doch reichlich illusorisch.

Auch kommt es einem in diesem Zusammenhang schon merkwürdig vor, dass in einer Broschüre von 43 Seiten die Wohnungsprivatisierungspolitik des rot-roten Senats 2002 bis 2011 in ganzen dreieinhalb Zeilen abgehandelt wird.

Die IL entpuppt sich somit immer mehr, zumindest in wohnungspolitischer Hinsicht, als außerparlamentarischer Arm der Linkspartei.

„Das Rote Wien“ als Leit(d)bild

Vieles an der Wohnungspolitik der österreichischen Sozialdemokratie in den zwanziger Jahren in Wien war, gemessen am übrigen kapitalistischen Europa, sicherlich beeindruckend, aber Wien war keineswegs eine „sozialistische Stadt“, sondern der reformistische Versuch, eingegrenzt auf das Feld der öffentlichen Versorgung (insbes. Wohnen), den Kapitalismus lediglich einzudämmen. Wien war eben keine „sozialistische Insel“ in einem kapitalistischen Land, sondern (bei aller Sympathie für die Wohnungspolitik) eine kapitalistische Hauptstadt eines kapitalistischen Landes!

Und eines zeigt sich an diesem Beispiel ganz klar: Ein wie auch immer geartetes „antikapitalistisches Wohnungsprogramm“ kann nur funktionieren, wenn es eingebettet ist in ein Gesamtprogramm der sozialistischen Revolution bzw. eine Strategie der Machtergreifung und Zerschlagung der bürgerlichen Staatsmacht. Solange die Staatsmacht nicht zerschlagen ist, ist keine einzige Errungenschaft gesichert.

Bei der IL dagegen heißt es: Vergesellschaftung „ gelingt nur durch eine Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung und durch die radikale Demokratisierung der bestehenden (!!!, d. V.) staatlichen Institutionen.“ (S. 8).

Es war aber genau diese reformistische Sichtweise der Sozialdemokratie auf die Gesellschaft, die die Zerschlagung des „Roten Wiens“ ermöglicht hat und die Machtergreifung des „Austrofaschismus“ 1934 nach sich zog.

Diese Schlussfolgerung zieht die IL aber nicht, ihre Kritik bleibt halbherzig und verkürzt.

Bei der IL sieht die Bilanz dieser „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ Wiens wie folgt aus: „Das ,Rote Wien‘ war damals und ist heute ein beeindruckendes Symbol, dass auch unter politisch und wirtschaftlich schwierigen Bedingungen die Lösung der Wohnungsfrage möglich ist. Die SDAPÖ kam allerdings über ein konsequentes Umverteilungs- und Wohlfahrtsprogramm nicht hinaus. Die Auswirkungen des zugrunde liegenden Interessensgegensatz der Klassen (!, welche?, d. V.) und der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt wurden abgemildert und durch nicht-kapitalistische soziale Infrastruktur ergänzt. Die abwartende Haltung der Sozialdemokratie wurde ihr dabei zum Verhängnis. Dennoch ist bis heute ihr Vermächtnis eine Inspirationsquelle mit internationaler Ausstrahlung.“ (S. 12)

Dass die „abwartende Haltung“ (inwiefern?, womit?) integraler Bestandteil jeder „reformistisch-antikapitalistischen“ Strategie ist, kommt der IL nicht in den Sinn.

Nebenbei, auch die Wohnungspolitik der Sozialdemokratie im Berlin der zwanziger Jahre wird als „Vorgriff auf eine sozialistische Gesellschaft“ (S. 28) gesehen. Aber leider, leider, beklagt die IL: „Vieles ging nicht weit genug, die Aufbrüche wurden 1933/34 (in Berlin und Wien, d. V.) abgebrochen (!!, d. V.).“ (S. 10)

Das Ende der „reformistisch-antikapitalistischen Kommunalpolitik“ in den Katastrophen von 1933 und 1934 theoretisch derartig zu verharmlosen und zu verkürzen, ist kaum zu fassen, ist aber angesichts der eigenen strategischen Ausrichtung nur folgerichtig.

Auf reformistischem Schleichweg zum Sozialismus

Es handelt sich beim IL-Wohnungsprogramm um eine Reformstrategie mit der „Perspektive der Vergesellschaftung. Wohnraum darf keine Ware am Markt sein, sondern Gemeingut in demokratischer Verwaltung.“ (S. 6) Die IL macht aus ihrer gradualistisch-kleinschrittigen (Reform-) Strategie auch gar kein Hehl. Zur Verdeutlichung seien ein paar Aussagen zitiert,

da heißt es z. B.:

„Abschaffung des privaten Wohnungsmarktes… durch eine Reihe von Reformen…Schritt für Schritt“ (S. 7);

„ Ausweitung von Ansätzen kollektiver Selbstverwaltung“ (S. 8);

„…weiter treibende Reformen, die schrittweise den Handlungsspielraum des Immobilienkapitals einschränken, die Spielräume für öffentliches und kollektives Eigentum erweitern“ (S. 12);

„Daher muss erst mal kräftig Sand ins Getriebe der privaten Immobilienspekulation, bevor (!,d. V.) wir über Rekommunalisierung reden können.“ (S. 19);

„…schrittweise Zurückdrängung von privatem Wohnungseigentum“ (S. 33).

Es wird natürlich auch positiv Bezug auf das Grundgesetz genommen, das ja Enteignung zulässt, die vorgeschriebene Entschädigung wird dabei prinzipiell akzeptiert (S. 34).

Dazwischen, völlig unvermittelt und nicht weiter erklärt, heißt es an einer Stelle: „Die sozialistische Stadt wird nicht konfliktfrei und als reine Reform durchgeführt werden können.“ (S. 34) Aber dann geht’s gleich munter weiter mit den Reformen:

„Demokratisierung“ als „langer Prozess“ und „Nach und nach muss der Aufbau von lokal verankerten Strukturen, die Punkte des Widerstands schaffen…“ (S. 36) Usw. usf., die Liste ist beileibe nicht vollständig.

Zusammengefasst kann man sagen: Die IL hat die Vorstellung/Strategie von einer allmählichen Ausweitung nichtkapitalistischer Freiräume, die sich zunehmend vernetzen, die bestehenden staatlichen Strukturen demokratisieren, alles natürlich „kämpferisch“ und „von unten“, was dann irgendwie (hier gibt es nicht zufällig eine absolute Leerstelle) die „sozialistische Stadt“ (was immer das auch sei) ergeben soll.

Aber: So verläuft Klassenkampf nicht, und so ist er auch noch nie verlaufen. Teilerfolge sind zwar durchaus möglich, sind aber keine sicheren „Stützpunkte“, von denen ausgehend dann „Schritt für Schritt“ eine weitere Ausdehnung erfolgen könnte.

Solange die kapitalistische Staatsmacht besteht, sind Teilerfolge immer gefährdet. Das Hin und Her im Klassenkampf verläuft nie geradlinig – und schon gar nicht immer in eine Richtung. Hier gibt es tiefe Brüche, Erfolge und Rückschläge. Dass man der herrschenden Klasse die Macht stückweise bzw. allmählich entreißen könnte, ist naiv und eine klassische Vorstellung jeder reformistischen Strategie.

Klassenkampf?

Wer kämpft eigentlich? Die Betroffenen natürlich, – die MieterInnen! Richtig, aber niemand ist nur MieterIn, schon gar nicht in der kapitalistischen Gesellschaft. Bei der IL ist etwas dubios die Rede von „Schmieden von breiten Bündnissen“, „breiter Bewegung mit verschiedenen Formen des Widerstands“, „Hineinwirken in die Gesellschaft“, von „Kultur des zivilen Ungehorsams“ etc.

Klassenkampf und ArbeiterInnenklasse gibt es nicht. Gewerkschaften auch nicht. Nun verlangen wir von der IL nicht, dass sie unseren Klassenbegriff teilt, aber etwas genauere Ausführungen darüber, wer aufgrund welcher Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft BündnispartnerIn sein kann und wer nicht, und – wenn ja – wie und wohin „Kampfzonen“ über den Wohnungsbereich hinaus ausgeweitet werden können oder auch nicht, das kann man von einer Broschüre, die eine strategische Orientierung bieten will, erwarten.

Hier passt auch ins Bild, dass offensichtlich niemand verschreckt werden soll. Während es an anderer Stelle in einem Selbstverständnispapier bei der IL erfreulich klar heißt, dass die IL „das staatliche Gewaltmonopol bestreitet“, wird in der Broschüre kirchentagskompatibel versichert: „Jede Gewalt gegen Personen verbietet sich daher,…“ (S. 43) Wie man dieses Prinzip, z. B. bei dem Versuch, eine Zwangsräumung zu verhindern, durchhalten will, ist uns schleierhaft.

Auch ist es vermutlich in diesem Zusammenhang kein Zufall, was in der Broschüre fehlt. Z. B. die Forderung nach Beschlagnahme von untergenutztem Wohnraum. Als die Flüchtlingszahlen hoch gingen und die Flüchtlinge in unwürdige Massenquartiere gepfercht wurden, hätte es sich doch angeboten, durch Berlins Villenviertel zu ziehen mit der Forderung „Hier ist Wohnraum genug – Beschlagnahme!“ Man hätte auf diese Weise dem rassistischen Diskurs „Innen gegen Außen“ den revolutionären Diskurs „Oben gegen Unten“ entgegengesetzt. Aber damit lässt sich gegenwärtig natürlich kein „breites Bündnis“ aufbauen.

Nun ist die Wohnungsfrage besonders dafür geeignet, die Klassenfrage auszuklammern, denn ArbeiterInnenklasse und Kleinbürgertum sind beide von der Wohnungsmisere betroffen. Es ist daher kein Zufall und typisch für kleinbürgerliche Bewegungen, in einem Bereich außerhalb der unmittelbaren kapitalistischen Produktionssphäre (Schaffung von Mehrwert) die „soziale Frage“ („Strategien für eine sozialistische Stadt“!!); lösen zu wollen. Darauf hat schon Engels in seiner Schrift „Zur Wohnungsfrage“ hingewiesen.

Die IL bleibt aber auch hier nebulös. Unter „nicht-kapitalistischer Organisation von Wohnen“ kann man sich ja vielleicht noch einiges vorstellen, aber was „nicht-kapitalistische“ Organisation „von Stadt“ sein soll, (S. 8) müsste man schon erklären. Die Arbeitswelt gehört aber offensichtlich nicht dazu.

Überhaupt wird die Wohnungswirtschaft gewissermaßen rein sektoral betrachtet, als ein von der übrigen Gesellschaft streng abgrenzbarer Bereich und auch als eigenständiges Kampffeld. Das hat in gewissen Grenzen auch seine Berechtigung, aber es muss zumindest angedeutet werden, wo diese Grenzen überschritten werden (müssen).

Und es fehlen hier kurze Erklärungen zur polit-ökonomischen Herleitung und Verortung des Wohnungskapitals, z. B. die Punkte: Was ist Miete überhaupt?, Grundrente, Verschmelzung der Wohnungswirtschaft mit Finanz- und Industriekapital, Verhältnis zur Mehrwertproduktion, Aufteilung des Profits, Bedeutung der Miete für die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft, und damit gesamtkapitalistische Interessen an der Wohnungsfrage und dabei die Rolle des Staates etc.

Fazit: Das alles muss man nicht immer, wenn man sich zur Wohnungsfrage äußert, oberlehrerhaft ausbreiten und man kann sich hier auch kurz halten. Aber in einer Broschüre, die den Anspruch stellt, eine strategische Orientierung zu geben, gehören Ausführungen darüber schon dazu.

Ja! Ein revolutionäres Programm!

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Auch RevolutionärInnen haben nichts gegen reformistische Forderungen, aber sie müssen eingebettet sein in ein wohnungspolitisches Programm, das folgende drei Prinzipien berücksichtigt:

  1. Ökonomisch-gesellschaftlich muss der Wohnungssektor in den Forderungen ansatzweise überschritten werden (z. B. entschädigungslose Enteignung von Banken, Finanzierungsgesellschaften, der Bauindustrie usw.). Es gibt nämlich kein isoliertes Wohnungskapital, das Kapital insgesamt ist der Feind.
  2. Klassenorientierung (z. B. durch Einbeziehung der Gewerkschaften, denn schließlich beeinflussen die Mieten die Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft und damit Lohnkämpfe).
  3. Organisierung der MieterInnen in räteähnlichen Strukturen und nicht in bürokratisch-gesetzlich vorgegebenen Gremien (was einzelne Verbesserungen in gesetzlichen gegebenen Gremien nicht prinzipiell ausschließt, aber das sollte man nicht als Schritt zum Sozialismus verkaufen). Der bürgerliche Staat ist nicht die freundliche Spielwiese, sondern der Feind.

Fazit

Wenn die IL vertritt, dass der herrschenden Klasse die Macht stückweise, „Schritt für Schritt“ zu nehmen sei, so trägt sie dazu bei, reformistische Illusionen zu wecken und zu verbreiten.

Aber immerhin, dass die IL in ihrer Einleitung zu ihrem Selbstverständnis schreibt: „Wir sagen, was wir tun – und wir tun, was wir sagen.“ (S. 6) ist berechtigt. Ihr Reformismus in der Wohnungsfrage wird offen und ehrlich dargelegt.




Imperialismus, Rassismus und die deutsche Linke

Anne Moll/Martin Suchanek, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Der Rassismus ist der Sozialismus der dummen Kerls – so könnte Friedrich Engels‘ Bemerkung über den Antisemitismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts auf die aktuelle Periode übertragen werden. Zweifellos gehören staatliche Selektion von MigrantInnen und Flüchtlingen, rassistische Ideologien und Vorstellungen untrennbar zur bürgerlichen Gesellschaft.

In den letzten Monaten und Wochen erleben wir jedoch nicht nur in Deutschland und Österreich, sondern in ganz Europa ihr massives Anwachsen. Übergriffe gegen Geflüchtete, MigrantInnen, Anschläge auf Unterkünfte nehmen in erschreckendem Ausmaß zu. Mit der AfD etabliert sich eine rechts-populistische Partei, in Österreich ist die rassistische FPÖ zur stärksten Partei geworden.

Die „Willkommenskultur“ der Regierung Merkel – verlogen wie sie immer schon war – ist nach einem Jahr einer permanenten Verschärfung von Gesetzen, Abriegelung der EU-Außengrenzen, forcierten Abschiebung gewichen. Wenn die Herrschenden von „Integration“ sprechen, meinen sie ein demütigendes Anpassungs- und Selektionsprogramm. Der Anti-Islamismus wird zugleich als „populärer“ Rassismus unserer Zeit befeuert, sexuelle Gewalttaten und reaktionäre dschihadistische Anschläge werden „den“ Flüchtlingen in die Schuhe geschoben. Zugleich dient er als Rechtfertigung für weitere imperialistische Interventionen im Nahen Osten, Zentralasien und Afrika, für die Militarisierung der Außenpolitik, Aufrüstung im der globalen Konkurrenz, Ausbau des Überwachungsstaates und die Aufhebung demokratischer Rechte im Inneren.

In einer Periode der kapitalistischen Krise ergreift Rassismus nicht nur das vom Abstieg bedrohte Kleinbürgertum und die Mittelschichten, sondern auch größere Teile der ArbeiterInnenklasse. Nicht nur der „normale“ bürgerliche Nationalismus und die Konkurrenz tragen dazu das Ihre bei. Die vorherrschende nationalstaatliche, am „eigenen“ Wirtschaftsstandort sozialpartnerschaftlich ausgerichtete Politik von Gewerkschaften und Sozialdemokratie hat das Ihre dazu beigetragen, dass große Teile der Lohnabhängigen anfällig werden für chauvinistische und rassistische Hetze. Große Teile der ArbeiterInnenklasse, die dem Rechtsruck entgegentreten wollen, stehen heute politisch perspektivlos, hilflos, ratlos da.

Dabei war die Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten im Sommer 2015 eine der größten gesellschaftlichen Bewegungen der letzten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung – Schätzungen gehen von bis zu 7 oder 8 Millionen Menschen aus, die sich an Unterstützungsaktivitäten beteiligten – hieß Hunderttausende nicht nur willkommen, sondern zeigte in zahlreichen lokalen Initiativen und Vereinigungen, dass der Rechtsruck keineswegs eine „unvermeidbare“ oder „natürliche“ Entwicklung ist. Schon davor hatten GewerkschafterInnen wie z. B. in Hamburg Initiativen ergriffen, Geflüchtete in die Gewerkschaften aufzunehmen, um ihre Solidarität zu demonstrieren und aufzuzeigen, dass diese in die ArbeiterInnenbewegung integriert werden können und müssen. Noch wichtiger war, dass sich in den letzten Jahren auch eine politische Bewegung unter den Geflüchteten gebildet hat, die mit Protestmärschen und Besetzungen ihre Anliegen öffentlich machte.

Materiell erreicht haben diese Initiativen bislang zwar nur wenig. Verbesserungen wie eine Lockerung der Residenzpflicht, die sie in einigen Bundesländern erzwangen, sollen nun wieder im Namen der „Sicherheit“ kassiert werden. Die meisten UnterstützerInnen für Geflüchtete agierten mehr als humanitäre und karitative NothelferInnen, wo sich staatliche Stellen aufgrund von Kürzungen, politischem Unwillen und auch Kalkül als unfähig erwiesen, die elementare Versorgung der Geflüchteten sicherzustellen. Trotz ihrer großen Zahl fehlte ihen eine politische Perspektive.

Aber all das verdeutlicht, dass es ein großes gesellschaftliches Potential gab und weiter gibt, das sich aktiv dem Rechtsruck entgegenstellen will. So wie die AfD, rassistische Straßenmobilisierungen bis hin zu neo-faschistischen Gruppierungen das Unterste der Gesellschaft formieren und radikalisieren, so gibt es durchaus auch ein Potential für eine aktive, antirassistische Massenbewegung. Das zeigt im Übrigen auch die Teilnahme von 500 bis 800 Menschen an „antirassistischen Aktionskonferenzen“ in den letzten beiden Jahren.

Allein: Damit diese Potentiale ausgeschöpft und zu einer wirklichen gesellschaftlichen und politischen Kraft werden, braucht es eine politische Konzeption, die den Kampf gegen den Rassismus als Bestandteil des Kampfes gegen soziale und politische Angriffe, als integralen Teil des Klassenkampfes begreift und diese Aktivitäten um konkrete Forderungen herum bündelt. Es erfordert ein Verständnis des Rassismus, seiner gesellschaftlicher Wurzeln wie auch politischer Strategie und Taktik.

Genau daran mangelt es jedoch der deutschen Linken. Während der Mainstream der bürgerlichen, staatlich integrierten ArbeiterInnenbewegung, vor allem die SPD und das Gros der Gewerkschaften, ihr Heil in einer rein bürgerlichen Politik suchen, der „Humanismus“ für die Geflüchteten mit selektiver Migration kombiniert, geben auch immer größere Teile des Linksreformismus diesem Druck nach. Die SPD und die Grünen stimmen Gesetzesverschlechterungen offen zu. Die Landesregierung Thüringens schiebt unter dem „linken“ Ministerpräsidenten Ramelow in aller Stille ab. Andere wie Lafontaine und Wagenknecht spekulieren darauf, der AFD mit offen sozialchauvinistischen Äußerungen das Wasser abzugraben – und helfen doch nur, das AfD-Schiff flott zu machen.

Aber auch die „radikale“ Linke verfügt über kein klares Verständnis, was Rassismus überhaupt ist, geschweige denn, wie er zu bekämpfen wäre. Ihre Politik schwankt zwischen Opportunismus und Sektierertum, zwischen einer „Verallgemeinerung“ der Kleingruppenpolitik der Antifa und dem Beschwören klassenübergreifender Bündnisse. Versuche, den Rassismus als Element der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu begreifen, werden losgetrennt vom Kampf gegen Imperialismus und vom Bezug auf den Klassenkampf. Andere sind zwar gegen „Obergrenzen“ für Geflüchtete, distanzieren sich aber gleichzeitig von der Forderung nach offenen Grenzen. Zu all diesen politischen Irrungen gesellt sich ein manifestes Unvermögen – wenn nicht ein Unwille -, ein bundesweites Aktionsbündnis gegen die RassistInnen und RechtspopulistInnen wie gegen den staatlichen Rassismus aufzubauen.

Es ist daher kein Wunder, dass die Rechten heute in der Offensive sind. Der Aufschwung der AfD ist auch durch innere Zerwürfnisse und Skandale um offene Antisemiten wie im Stuttgarter Landtag nicht zu stoppen. Regierung und EU haben es geschafft, die Festung Europa wieder dicht zu machen. Nun sollen jene, die es 2015 und 2016 geschafft haben, die Festungsmauern zu überwinden, sortiert werden in „nützliche Flüchtlinge“ mit „Integrations- und Bleibeperspektive“ und andere, die so rasch wie möglich abgeschoben oder zur „freiwilligen Rückkehr“ in Länder wie Afghanistan „ermutigt“ werden sollen. Zugleich richtet sich der Rassismus – insbesondere in Form des Anti-Islamismus – zunehmend gegen MigrantInnen, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben und nach wie vor als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.

Im Folgenden werden wir daher kurz das marxistische Verständnis des Rassismus skizzieren und illustrieren, wie sich die Lage der MigrantInnen in den letzten Jahren verschlechtert hat. Im zweiten Schritt werden wir auf zentrale politische Probleme und Schwächen verschiedener Teile der deutschen Linken eingehen. Wir werden uns dabei nicht mit allen Strömungen, wohl aber mit wichtigen Streitfragen beschäftigen, die für das Verständnis und den Kampf gegen den Rassismus heute von Bedeutung sind. Wir verweisen außerdem auf die Resolution „Internationale Solidarität statt Nationalismus und Festung Europa“ (siehe diese Ausgabe S. 136), die von ArbeiterInnenstandpunkt und ArbeiterInnenmacht Ende März 2016 veröffentlicht wurde und die Strategie und Taktik unserer Organisationen zu Schlüsselforderungen im Kampf gegen den Rassismus darlegt.

Was ist Rassismus?

Nationalismus, Rassismus und Imperialismus sind historisch eng miteinander verflochten. Rassistische Ideologien sind kein Produkt des „menschlichen Wesens“, nicht Ausdruck einer „tief verwurzelten, archaischen Angst vor dem Fremden“, oder was es sonst noch an psychologistischen Verharmlosungen des Rassismus gibt. Richtig ist zwar, dass die Milderung der Klassengegensätze der eigenen Gesellschaft durch die Umlenkung des Kampfes auf die Auseinandersetzung mit fremden Gesellschaften eines der „bewährtesten“ Mittel aller Klassengesellschaften gewesen ist (siehe die Auseinandersetzung mit den „Barbaren“ in der Sklavenhaltergesellschaft oder mit den „Heiden“ in der Feudalgesellschaft). Doch der Rassismus zeitigt einige Besonderheiten, die erst mit der kapitalistischen Epoche möglich wurden und mit dem Entstehen bürgerlicher, imperialistischer Nationalstaaten zusammenhängen.

Erst die Bourgeoisie schuf sich aus ihrem Bedürfnis nach einem geeigneten „Binnenmarkt“ heraus den politischen Überbau des Nationalstaates. Erst der Kapitalismus brachte einen allgemeinen Weltmarkt hervor, in dem die entwickelten kapitalistischen Nationen die Bedingungen diktieren. Schon die Entstehung der bürgerlichen Nationen ist verbunden mit der Ausplünderung der Reichtümer und Nutzung der Arbeitskräfte von anderen Völkern. So beruht die ursprüngliche Akkumulation in den USA zu einem großen Teil auf der Arbeit der schwarzen Sklaven.

Als der Kapitalismus im 19. Jahrhundert zur Überwindung seiner beständigen Überproduktionskrisen gezwungen war neue Märkte zu gewinnen, entwickelte er eine Kolonialisierungspolitik, die an Gewalt und Ausmaß alles Bisherige in den Schatten stellte. Erst dies war die Geburtsstunde des Märchens von den „großen“ Nationen, die der Welt ihre „Zivilisation“ bringen. Mit der Beständigkeit der Ausbeutung der Bevölkerung der Kolonialländer wuchs der Bedarf an Erklärungen, die die Unzivilisierbarkeit dieser Menschen feststellten und sie so zu ewigen „Dienern des weißen Mannes“ machten. So war der Boden bereitet für die pseudo-wissenschaftliche Erklärung ihrer „Minderwertigkeit“ durch den Rassebegriff.

Der Nationalismus spielt von Beginn der kapitalistischen Ära an eine Schlüsselrolle. Er richtet sich nicht nur gegen die feudale Ordnung oder gegen Unterdrückung durch andere Nationen, er ist auch die Ideologie, die in Wirklichkeit unversöhnliche Klasseninteressen scheinbar im „nationalen Wohl“, im nationalen „Gesamtinteresse“ versöhnt. Anders als vorhergehende Gesellschaftsformationen präsentiert sich der bürgerliche Staat als eine Gemeinschaft formal gleicher und freier WarenbesitzerInnen, von StaatsbürgerInnen, hinter der die reale Ungleichheit, die auf dem Klassenantagonismus beruht, verschleiert wird.

Es ist daher kein Zufall, dass die kleinbürgerlichen Schichten, die „Mittelklassen“ der Gesellschaft oft die begeistertsten AnhängerInnen des Nationalismus sind. Auch wenn Rassismus und Nationalismus keineswegs ein- und dasselbe sind, so findet der Rassismus doch seinen Nährboden im Nationalismus.

Die Geschichte der Klassengesellschaft war immer überlagert durch eine Geschichte ethnischer Gegensätze. Die jeweiligen ökonomischen Möglichkeiten einer Klassengesellschaft schufen die Voraussetzung für die Bildung immer größerer gesellschaftlicher Einheiten, in denen das allgemeine Gefäß der Klassengesellschaft mit Leben gefüllt wurde. Erst in diesen Einheiten wird die Lebenswelt ihrer Mitglieder umfassend bestimmt, während das Prinzip der Klassengesellschaft nur die allgemeinen Grundzüge festlegt. Im Gegensatz zur Klassenzugehörigkeit haftet den ethnischen Institutionen (Sprache, kulturelle Überlieferung, besondere Rollenverständnisse etc.) etwas „Konventionelles“ an. Die zentrale Bestimmung des Individuums ergibt sich aus dem Klassenantagonismus und damit aus seiner Klassenzugehörigkeit. Das zeigt sich auch bei der Frage der Migration. Während es für Angehörige der KapitalistInnenklasse relativ wenige Schwierigkeiten gibt, auch in die meisten imperialistischen Länder zu reisen, so ist ein Visum für die Masse der Bevölkerung schwer erhältlich, ohne extreme Hürden kaum zu meistern. Die Einreise von ArbeitermigrantInnen ist eng an ihre Verwertbarkeit am Arbeitsmarkt gebunden. Ebenso ist die „Integration“ in die vorherrschende bürgerliche Kultur des imperialistischen Landes klassenspezifisch bestimmt.

Rassismus und Nationalismus kehren die Verhältnisse genau um. Für sie bleibt ein/e TürkIn immer ein/e TürkIn, auch wenn sie/er schon jahrzehntelang in einem anderen Land lebt. Wer auf die doppelte Staatsbürgerschaft nicht verzichten will, gilt schon als „illoyal“, wenn nicht als potentieller „Terrorist“. Der Rassismus geht sogar weiter als die Festlegung eines Individuums durch Sprache oder kulturelle Herkunft. Er macht sich zunutze, dass „man den Menschen ja ansieht, woher sie kommen“. Phänotypische Merkmale (Kopfform, Hautfarbe etc.) werden hergenommen, um die wesentliche Gruppenzugehörigkeit eines Menschen festzulegen.

Der Rassenbegriff ist dabei ein besonders bequemes Instrument der bürokratischen Grenzziehung und der demagogischen Mobilisierung. Auch wenn heute eine kulturalistische Begründung oft vorherrscht, so ist der Weg zur Schädellehre auch in den letzten Jahrzehnten keineswegs so weit gewesen, wie die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft sich gern vormacht. So wurden Anfang der 90er Jahre AussiedlerInnen aus Polen auf ihre Schädelmaße hin untersucht, um festzustellen, ob sie denn noch „wirklich“ Deutsche wären. Wir leben in einer Zeit, in der moderne Kommunikationsmittel die Distanz zwischen Kontinenten zu einer Nebensächlichkeit machen und die Wissenschaft sich einer immer perfekter werdenden universellen Sprache – der Mathematik und Logik – bedient. Trotz aller Möglichkeiten im Transport- und Kommunikationswesen, die wir heute hätten, unser Leben in eine andere Region zu verlegen, entscheiden über Verwirklichung eines solchen Wunsches oft Maßstäbe, deren reaktionäre Dummheit nicht einmal das Wort „mittelalterlich“ verdient.

Manchmal wird die Anwendung des Begriffes Rassismus auf die Unterdrückung der Arbeitsmigrantinnen als unpassend angesehen. Er gilt oft als ein Extremwort, das mit „Pogrom“ oder „Apartheid“ assoziiert wird. Dabei wird übersehen, dass er auch viel einfachere Formen hat, die den Alltag des Imperialismus mitbestimmen. Es muss nicht so weit gehen, dass jemand wegen einer pseudo-wissenschaftlichen Feststellung seiner „Rassenzugehörigkeit“ staatlich unterdrückt wird. Auch die Zuteilung verschiedener Rechte, je nachdem, ob man einer „rückständigen“ oder einer „zivilisierten“ Nation oder Nationalität zugeordnet wird, ist Rassismus. Sein Sinn ist nämlich genau dies: die positive Bewertung der ethnischen Zugehörigkeit zu einem imperialistischen „Staatsvolk“ und die negative für alle anderen. Grundsätzlich ist dabei Rassismus immer mit einer Abwertung von Angehörigen unterdrückter Nationen verbunden, auch wenn er sich in bestimmten Situation ebenfalls gegen Angehörige imperialistischer Nationen wenden kann (z. B. gegen italienische MigrantInnen in den 50er/60er Jahren oder gegen die Bevölkerung des Kriegsgegners in imperialistischen Kriegen). Die Abwertung von Angehörigen unterdrückter Nationen ist keinesfalls auf die imperialistischen Länder beschränkt, sondern prägt auch viele halb-koloniale Länder (siehe z. B. den Rassismus gegenüber Schwarzen und der indigenen Bevölkerung in Lateinamerika).

Der Tatsache, dass Rassismus und Nationalismus allgemeines „Volksgut“ in den imperialistischen Ländern geworden sind, liegt jedoch ein langwieriger politischer und sozialer Prozess zugrunde. Noch im kommunistischen Manifest schrieben Marx und Engels „(…) die moderne industrielle Arbeit, die moderne Unterjochung unter das Kapital, dieselbe in England wie in Frankreich, in Amerika wie in Deutschland, hat ihm (dem Proletarier) allen nationalen Charakter abgestreift. Die Gesetze, die Moral, die Religion sind für ihn ebenso viele Vorurteile, hinter denen sich ebenso viele bürgerliche Interessen verstecken.“ (1)

Doch mit dem Anwachsen der ArbeiterInnenbewegung und der Enttäuschung revolutionärer Erwartungen in den Jahren 1848 und 1870 änderte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Situation. Einerseits waren die Herrschenden gezwungen, gegen den wachsenden Druck der ArbeiterInnenbewegung auch mit sozialen Kompromissen vorzugehen. Aufgrund der imperialistischen Superprofite konnte man es sich aber auch leisten, einer gewissen Schicht der ArbeiterInnenklasse einen bescheidenen Wohlstand zuzugestehen.

Andererseits begannen sich diese Schichten der ArbeiterInnenbewegung in ihrem neuen kleinbürgerlichen Glück wohlzufühlen und wurden zugleich zur sozialen Basis für die Entstehung einer eigenen, abgesonderten ArbeiterInnenbürokratie an der Wende zur imperialistischen Epoche. Diese, den Rest der ArbeiterInnenklasse ideologisch dominierenden Schichten, begannen ihren Erfolg mit dem der „eigenen“ deutschen, englischen und französischen Industrie zu identifizieren. Damit hörte der Nationalismus auf, nur eine Ideologie der herrschenden Eliten und des Kleinbürgertums zu sein. Er fand Eingang unter die Masse der arbeitenden Bevölkerung. In dieser Zeit bildete sich der soziale und politische Kompromiss heraus, der noch heute die imperialistischen Länder bestimmt: über „demokratische“ Institutionen erhalten reformistische ArbeiterInnenorganisationen politische Mitspracherechte, anderseits bilden sich die verschiedenen Institutionen einer „Sozialpartnerschaft“ zwischen den ArbeiterInnenbürokraten und „ihren“ Unternehmern, in denen ein „angemessenes“ Stück vom Kuchen der imperialistischen Gewinne für die „eigenen“ ArbeiterInnen verlangt wird. Das Symbol dieses Kompromisses ist der „Sozialstaat“, der von Anfang an ein nationalistisches Konzept ist, in dem nur die ArbeiterInnen des Staatsvolkes Anspruch auf seine Segnungen haben.

Im Jahr 1914 riefen die sozialdemokratischen Parteien fast aller Nationen die ArbeiterInnen zur Unterstützung ihres jeweiligen Staates im Weltkrieg auf. Die Vorstellung, ArbeiterInnen könnten ihre Interessen am besten durch ihren „eigenen“ Staat durchsetzen, hatte sich in der Zweiten Internationale endgültig über den Internationalismus als dominierendes Prinzip hinweggesetzt. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts hatten sich führende deutsche Sozialdemokraten für den Erwerb von Kolonien in Afrika und repressive Maßnahmen gegen die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte ausgesprochen. Die Vorstellung, diese seien ein Problem oder eine Bedrohung für Deutsche, der deutsche Imperialismus verkörpere dagegen eine zivilisatorische Wohltat für die unterdrückten Völker der Welt, wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts auch in der ArbeiterInnenbewegung vorherrschend. Die Grundlage für das Eindringen rassistischer Vorurteile in breite Schichten der Gesellschaft war somit geschaffen.

Die Erfahrung zweier Weltkriege, die faschistische Diktatur und die Festigung des imperialistischen Sozialkompromisses durch den langen Boom nach dem Zweiten Weltkrieg sowie die Schwäche des Proletariats aufgrund der historischen Niederlage und des Fehlens einer revolutionären Partei haben dazu geführt, dass der Nationalismus heute wesentlich tiefer verwurzelt ist als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Immerhin gab es noch in den 1920er Jahren einflussreiche kommunistische Parteien und, nach deren stalinistischer Degeneration, die auch mit einer nationalistischen Wende einherging, oppositionelle Strömungen, die der chauvinistischen Ideologie der offiziellen ArbeiterInnenparteien eine internationalistische Politik der ArbeiterInnensolidarität entgegensetzten. Heute dagegen ist jeder ArbeiterInnenfunktionär „staatstragend“, ein „Patriot“ – und kaum jemand findet das anstößig. Die Vorstellung, einen deutschen Arbeiter verbinde mehr mit einem deutschen Unternehmer als mit ausländischen ArbeiterInnen, gilt heute als selbstverständlich.

In vielen reformistisch geprägten Kreisen, ist der Begriff „Rassismus“ bis heute nicht gebräuchlich. Stattdessen wird oft von „Fremdenfeindlichkeit“ gesprochen. Dem liegt die verharmlosende Tendenz zugrunde, die Diskriminierung der ArbeitsmigrantInnen aus imperialisierten Ländern auf ein rein psychologisches Problem zu reduzieren. Tiefverwurzelte Vorurteile und Feindbilder würden „die Menschen“ dazu treiben „fremdenfeindlich“ zu handeln. Dies würde bedeuten, dass man dem Problem mit „Aufklärung“ und kultureller Aktivität begegnen kann. Mit Kulturveranstaltungen und Festen könnte die „Berührungsangst“ vor dem Fremden genommen werden und die Idee einer „multi-kulturellen Gesellschaft“ um sich greifen.

Dieser Ansatz verkennt, dass der Rassismus kein Problem „fehlender Aufklärung“ ist, sondern tief im gegenwärtigen Herrschaftssystem verankert. Nicht nur, dass der Rassismus ein notwendiges ideologisches Element des Imperialismus ist. Die materielle Basis des Rassismus in der ArbeiterInnenklasse ist der oben dargestellte soziale Kompromiss auf Kosten der Massen in den Halbkolonien, der einem Teil der ArbeiterInnenklasse in den imperialistischen Ländern einen gewissen Wohlstand zu garantieren scheint. Dass dieser Kompromiss nur begrenzt ausdehnbar ist, macht diese Schichten daher leicht zu VerfechterInnen einer nationalistischen Politik. Wenn schließlich die Krise den Kompromiss endgültig als Illusion entlarvt, wird dieser Nationalismus zur Basis noch schärferer Spaltungen der ArbeiterInnenklasse.

Eine anti-rassistische Politik muss grundlegend anti-nationalistisch und anti-imperialistisch sein. Es geht darum, dass der/die ArbeiterIn in den imperialistischen Ländern nicht wegen seiner/ihrer migrantischen KollegIn entlassen wird, die Miete erhöht oder die Sozialleistungen gekürzt bekommt. Anti-Rassismus beinhaltet den Kampf gegen die Illusionen, über die Unterstützung der „eigenen“ Industrie und des „eigenen“ Staates ein gutes Auskommen zu erhalten. Insbesondere SozialdemokratInnen und StalinistInnen, die wir für den anti-rassistischen Kampf zu gewinnen versuchen, werden an dieser Grenze halt machen. Sogar ihre linkesten Elemente fürchten, dass sie sich mit einer solchen Politik von der Mehrheit der „einheimischen“ ArbeiterInnen isolieren. Sie kapitulieren also vor den nationalistischen und rassistischen Tendenzen in der ArbeiterInnenklasse, die gerade ein Produkt ihrer Politik des „historischen Kompromisses“ sind. Auf diese Weise entlarven sich die ReformistInnen selbst vor den Augen fortschrittlicher ArbeiterInnen.

Zur politischen Ökonomie des Rassismus

Verschiedene Teile der ArbeiterInnenschaft gegeneinander auszuspielen, gehörte schon immer zu den Instrumenten unternehmerischer Strategie. Die nationalistische Entsolidarisierung mit den ArbeitsmigrantInnen führte nach Beginn des Einwanderungsbooms aus den vom Imperialismus beherrschten Ländern zur besonderen rechtlichen und sozialen Stellung der ArbeitsimmigrantInnen. Die FührerInnen der bürgerlichen ArbeiterInnenparteien und der Gewerkschaften hatten diesen Versuchen in den letzten Jahrzehnten wenig entgegenzusetzen, indem sie ArbeitsimmigrantInnen ähnlich wie proletarische Frauen und Jugendliche sowie Lesben und Schwule an den Rand der ArbeiterInnenbewegung drängten beziehungsweise gar nicht in diese hineinließen.

Der heutige Imperialismus greift zwar wieder mehr auf unmittelbare neo-koloniale militärische Gewalt zurück. Er funktioniert aber vor allem über indirekte ökonomische Zwänge: die Produktion der unterentwickelten Länder wird über Kapitalexport und Tauschbedingungen in Sektoren abgedrängt, die letztlich auf die Verwertungsbedürfnisse der imperialistischen Monopole ausgerichtet sind. Das mag zwar zur Entwicklung ganzer Industrien führen, ändert aber nichts an der globalen Arbeitsteilung, in die diese eingebunden sind. Durch diesen Prozess werden einerseits die Unterentwicklung der Gesamtökonomie der vom Imperialismus dominierten Länder festgeschrieben, andererseits Extraprofite an die imperialistischen Zentren abgeliefert.

Durch diese ungleiche Entwicklung der verschiedenen Wirtschaftssektoren verlieren aber auch massenhaft Arbeitskräfte aus dem ländlichen Bereich ihre Existenzbedingung. Sie ziehen in die Metropolen ihres Landes, ohne dass die unterentwickelte Industrie dort alle diese Arbeitskräfte aufnehmen könnte. Wir haben es daher mit riesigen Migrationsbewegungen zu tun, die oft Binnenmigration sind, zur Bildung von „Mega-Städten“ führen und zugleich zu einer Entstehung riesiger Schichten des Halb- und Subproletariats.

Dies ist auch eine der Triebkräfte, die zu einer grundlegenden Veränderung der Migrationsbewegung in der imperialistischen Epoche verglichen mit dem 19. Jahrhundert führten. Arbeitskräfte migrieren nun aus der sog. „Dritten Welt“ in die „Zentren“ der Welt, vorher war es umgekehrt.

Die Unternehmer der imperialistischen Länder waren in der Zeit das großen Booms auch sehr an einer Aufstockung ihrer industriellen Reservearmee interessiert. Umgekehrt sind die Regierungen der Halbkolonien – denken wir nur an Osteuropa nach der Wiedereinführung des Kapitalismus, aber auch an die Türkei – daran interessiert, frei gesetzte Arbeitskräfte abzubauen. Daher ist seit dem Zweiten Weltkrieg eine selektive, staatlich gesteuerte Migration vorherrschend, die den Zuzug der Arbeitskraft flexibel regulieren soll. Die migrantische Arbeit soll nur zeitweilig auf dem Arbeitsmarkt auftreten, danach soll sie wieder in ihr Herkunftsland verschwinden.

Ein zusätzliches Hindernis stellten für die Arbeitsmigration nach dem Zweiten Weltkrieg oft die ArbeiterInnenbürokraten dar, die den sozialen Kompromiss durch die unbeschränkte Einreise von „LohndrückerInnen“ in Gefahr sahen. So flossen schon zu Beginn der „AusländerInnenpolitik“ zwei verschiedene Interessen ineinander: einerseits das Interesse der ArbeiterbürokratInnen an einem „Schutz des inländischen Arbeitsmarktes“ durch AusländerInnenbeschäftigungsgesetze, andererseits das Interesse bürgerlicher PolitikerInnen an der rechtlichen Absicherung von Rassismus und Nationalismus durch die Schaffung polizeilicher Sonderrechte bei der Behandlung von ArbeitsmigrantInnen und die Gewährleistung ihrer politischen Rechtlosigkeit. Dies waren die Bedingungen, unter denen zu Beginn der 60er Jahre in der BRD und Österreich zwischenstaatliche Abkommen mit der Türkei und Jugoslawien über die „Einfuhr“ von Arbeitskräften abgeschlossen und die Ausländergesetze geschaffen wurden.

Der Grundsatz dieser Gesetze ist es, dass es den ImmigrantInnen so schwer wie möglich gemacht werden soll, ein vollwertiges Mitglied der jeweiligen Gesellschaft zu werden. Der von den Gesetzgebern angestrebte Status wird am entlarvendsten durch den Begriff „Gastarbeiter“ zum Ausdruck gebracht. Auch wenn jemand schon Jahrzehnte hier arbeitet, soll es rechtlich möglich sein, ihn/sie abzubauen, sprich in die alte Heimat abzuschieben. Die Schaffung eines zweiten, kapazitätsabhängigen Arbeitsmarktes war immer schon ein Traum der UnternehmerInnen für die Organisierung der industriellen Reservearmee. So meinte schon 1895 eine Studie des preußischen Handelsministeriums: „Beschränkte man die Industrie auf inländische Arbeiter, so würde bei einem Rückgang der Industrie eine große Anzahl von Arbeitern brotlos und vermehrten sich dadurch die unzufriedenen Elemente. Dagegen könne man ausländische Arbeiter in einem solchen Falle ohne weiteres abstoßen.“

Der Imperialismus konnte nach dem Zweiten Weltkrieg diesen „Traum“ von einer weltweiten Organisierung der industriellen Reservearmee realisieren. In den Slums der „3. Welt“, in den halbkolonialen Ländern, gibt es genug Reserven, die man bei entsprechender Konjunkturlage hereinholen und bei schlechterer Lage wieder zurückschicken kann. Rassismus und sozialchauvinistische ArbeiterInnenparteien sorgen dafür, dass dies vom Großteil der ArbeiterInnen in den imperialistischen Ländern hingenommen wird und der soziale Kompromiss nicht von einigen übereifrigen Unternehmern überzogen wird.

Doch ganz so perfekt funktioniert das System natürlich nicht. Inzwischen gibt es bestimmte Sektoren des Arbeitsmarktes, die auf ArbeitsimmigrantInnen angewiesen sind. Dies trifft besonders auf bestimmte Arbeiten im Gastgewerbe, am Bau oder bei besonders lärmbelasteter und gesundheitsgefährdender Tätigkeit zu sowie auf Beschäftigung mit prekären Arbeitszeiten, z. B. Altenpflege im privaten Bereich.

Aufgrund ihrer unsicheren Stellung im „Gastland“ und der beständigen Bedrohung mit Abschiebung sind die ArbeitsimmigrantInnen oft gezwungen und „bereit“, besonders schlechte Arbeits- und Lohnbedingungen in Kauf zu nehmen. Diejenigen, die schärfere Bestimmungen gegen AusländerInnen fordern, schneiden sich also ins eigene Fleisch: AusländerInnen nehmen ihnen ja nicht die Arbeitsplätze weg, sondern sie nehmen Arbeitsplätze zu umso schlechteren Bedingungen in Kauf, je schärfer sie durch AusländerInnengesetze bedroht werden. Solche Gesetze verschärfen also nur Lohndruck und Spaltung.

Die ArbeiterInnenklasse braucht dagegen eine vorwärtsgewandte, auf die internationale Solidarität abzielende Perspektive, denn es gibt keinen modernen Kapitalismus ohne Arbeitsimmigration.

Rassistische Gesetzesverschärfungen in Deutschland und der EU

Ebenso wenig gibt es Imperialismus ohne Fluchtbewegungen. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1948 schreibt zwar fest, dass Verfolgte Schutz genießen würden. Alle 28 Mitgliedstaaten der EU haben das unterzeichnet. In der Realität wurde dieses Recht immer mehr zur leeren Hülle.

Wird heute vom Asylrecht gesprochen, so geht im „zivilisierten“ Europa vor allem die Angst vor dessen „Missbrauch“ um. Schon seit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Migration so reguliert, dass Not, Elend, Hunger und erst recht die Suche nach einem besseren Leben nicht als legitime Fluchtgründe anerkannt wurden.

Das drückte sich insbesondere in der Regulierung der Arbeitsmigration aus, besonders beim Arbeits-, Aufenthalts- und Sozialrecht. Das Ausländergesetz wurde 1965 verabschiedet, nachdem mit verschiedenen Staaten wie der Türkei, Griechenland, Italien sogenannte Anwerbeabkommen abgeschlossen worden waren, die dazu dienten, für eine befristete Zeit ArbeiterInnen aus diesen Ländern nach Deutschland zur Lohnarbeit zu bringen.

Das Ausländergesetz hat sich heute zum Aufenthaltsgesetz für Ausländer entwickelt und ist zusammen mit dem Asylgesetz (2015 um das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ergänzt) das wesentliche Element des deutschen Ausländerrechts.

Das Recht auf Asyl, im Grundgesetz §16 festgeschrieben, wurde 1993 mit dem § 16a stark eingeschränkt und seither noch mehr zur Makulatur gemacht. Dort wurde festgelegt, dass Menschen praktisch nur ein Recht auf Asyl haben, wenn sie nicht über einen sicheren Drittstaat einreisen. Das trifft auf alle Nachbarstaaten zu. So ist es nur möglich per Flugzeug nach Deutschland einzureisen, um hier ein Recht auf Asyl zu haben. An den Flughäfen wurden dafür Außenstellen der Grenzbehörde eingerichtet, in denen im Schnellverfahren über Asylanträge eingereister MigrantInnen entschieden und, bei negativem Bescheid, die Einreise untersagt wird (Asylgesetz § 18a, Verfahren bei Einreise auf dem Luftwege).

Die Dublin II-Verordnung von 2003, seit 2013 in reformierter Fassung als Dublin III gültig, ist ein Beschluss des Europaparlaments. Dort ist festgelegt, wer in der EU für welche Asylverfahren zuständig ist (die sogenannte Drittstaatenverordnung). Vor allem geht es um Datenerfassung der MigrantInnen und EU und länderübergreifende Zusammenarbeit.

Eurosur ist ein Grenzüberwachungssystem der Europäischen Union, das seit Dezember 2013 aktiv ist. Die Grenzüberwachungssysteme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union sollen zusammengeführt werden, um Informationen auszutauschen. Als Hauptziele werden die Verhinderung von grenzüberschreitender Kriminalität und die Flüchtlingshilfe in Seenot proklamiert. Für die Überwachung ist die Agentur Frontex zuständig, deren Hauptsitz sich in Warschau befindet. FRONTEX ist für die Koordinierung von Grenzschutzsystemen zuständig sowie für die sechs Bereiche: Ausbildung von Grenzschutzbeamten, Risiko-Analyse der Grenzübergänge, Technologische Unterstützung, Koordinierung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke, Unterstützung bei Abschiebungen, Informationsaustausch zwischen den nationalen Grenzpolizei-Einheiten. EUROSUR wurde 2013 von der Europäischen Union eingeführt, Frontex wurde bereits 2004 errichtet und ist seit 2005 aktiv. Praktisch handelt es dabei um zentrale Institutionen zur Abschottung der EU-Außengrenzen gegen Flüchtlinge.

Die sogenannte Flüchtlingskrise hat seit 2015 weitere Gesetze in Deutschland und allen anderen EU-Mitgliedstaaten hervorgebracht.

Das Asylpaket II und die Asylrechtsnovelle kamen 2016 Schlag auf Schlag. Und immer werden sie in der Öffentlichkeit dargestellt als bessere Integrationsmöglichkeit, als „Fördern und Fordern“ und im Sinne der „Ordnung“, die besonders in Deutschland heilig zu sein scheint. Tatsächlich geht es aber um Begrenzung, Abschottung einerseits und Verschlechterung der Lebensbedingungen der Geflüchteten und der MigrantInnen andererseits. Es werden immer mehr Länder als „sichere“ Herkunftsländer „ausgewiesen“ und damit den Menschen aus diesen Ländern die Möglichkeit genommen, auch nur einen Antrag auf Asyl zu stellen.

Das neueste Gesetz, das in Deutschland eingeführt werden soll, ist das „Integrationsgesetz“. Dieses Gesetz teilt MigrantInnen in neue (legale) Gruppen ein: In Asylberechtigte, in anerkannte Flüchtlinge, in subsidiär Schutzberechtigte und in AsylbewerberInnen mit guter Bleibeperspektive. Letztere sind Menschen, die aus den Ländern Iran, Irak, Syrien, Eritrea und Somalia stammen. Der Begriff „Bleibeperspektive“ erscheint als etwas Positives, tatsächlich ist damit gemeint, dass Menschen aus diesen Ländern wohl nicht in den nächsten Jahren dorthin zurückgeschickt werden können, da ihre Lebensgrundlagen total zerstört sind oder jedes Überleben durch Kriege bzw. militärische Auseinandersetzungen extrem bedroht ist. Der Begriff beinhaltet aber ausdrücklich nicht, dass diese Menschen aus diesen Ländern ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Alle Geflüchteten werden individuell geprüft. Sie müssen glaubhaft machen, tatsächlich aus gefährlichen Regionen zu kommen und auch ihren Fluchtweg beschreiben. Wenn sie schon in einem anderen EU-Staat registriert worden sind, können sie dorthin zurückgeschickt werden.

Das neue Integrationsgesetz wird uns von der Bundesregierung als „Fordern und Fördern“ der ImmigrantInnen präsentiert und setzt sich aus 7 „Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen“ (FIM) zusammen: 1. Verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen, 2. Rechtssicherheit während der Ausbildung, 3. Bessere Steuerung durch Wohnsitzregelung, 4. Verzicht auf Vorrangprüfung, 5. Ausbildung ermöglichen, 6. Niederlassungserlaubnis hängt von „Erfolgreicher Integration“ ab, 7. Einheitliche Regelung zur Aufenthaltsgestattung.

Zuallererst wird aber klargestellt, wer von diesen Maßnahmen ausgeschlossen ist: AsylbewerberInnen aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten und vollstreckbar Ausreisepflichtige werden nicht in den „Genuss“ besonderer Integrationsmaßnahmen kommen.

Die Menschen mit „Bleibeperspektive“ haben die Möglichkeit, für 6 Monate eine Arbeitsgelegenheit aufzunehmen, der gegenüber Ein-Euro-Jobs noch gut bezahlt sind: bis zu 30 Stunden pro Woche für 80 Cent die Stunde. Diese Maßnahme ist befristet bis 2020. Das Gesetz erlaubt außerdem die Kürzung der Asylbewerberleistungen, wenn Arbeitsgelegenheiten oder Integrationskurse ohne wichtigen Grund abgelehnt oder abgebrochen werden.

Bei Maßnahmen zur Ausbildung und Vorrangprüfung ist mindestens eine Duldung Voraussetzung und natürlich die „Eigenverantwortung“, selber einen Ausbildungsplatz bzw. eine Arbeitsstelle zu finden. Die Vorrangprüfung ist außerdem eine Kann-Regelung und je nach Bedingungen am Arbeitsmarkt von der Agentur für Arbeit umzusetzen oder auch nicht.

Insgesamt führt dies Gesetz zu einer weiteren Verschlechterung der Lage von Geflüchteten und zur weiteren Spaltung der ImmigrantInnen in Integrationswillige und -unwillige und zu mehr repressiven Maßnahmen, sobald sich ImmigrantInnen nicht so anpassen wie gefordert.

Dies ist nur ein grober Überblick über die neuen Gesetze und Regelungen. Sie verdeutlichen, dass die Bundesregierung weit entfernt von einer „Willkommenspolitik“ für die Geflüchteten ist. Vielmehr wurden, seitdem die Geflüchteten 2015 die EU-Außengrenzen zeitweilig durchbrechen konnten, die Gesetze drastisch verschärft. Gerade das „Integrationsgesetz“ zeigt, dass es überhaupt nicht um Integration, sondern rassistische Selektion und Abschottung geht. Es verdeutlicht zugleich, wie viel Energie die imperialistischen Staaten aufwenden, um ihren Reichtum abzusichern.

Imperialistische Politik und Flucht

Der Hauptgrund für die Zunahme von Flüchtlingen im Jahr 2015 ist leicht zu finden. Die meisten kamen aus den Ländern des Nahen Ostens, vor allem aus Syrien, sowie aus den nord- und zentralafrikanischen Staaten und Afghanistan. Die wichtigsten Fluchtgründe sind militärische Auseinandersetzungen, Bürger- oder Bandenkriege im Land. In den Nachbarländern dieser Staaten gibt es schon große Flüchtlingscamps, die nur gerade ein Überleben ermöglichen, aber keinerlei Perspektive bieten können. Auch die absolut minimale Versorgung ist in den ersten Monaten 2016 in einigen Camps zusammengebrochen, weil das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen kein Geld mehr hatte, da etliche Länder ihre Einzahlungen verzögerten.

Dabei befanden sich weltweit noch nie so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Konflikten und Verfolgung wie heute. Ende 2015 waren es weltweit 63,5 Millionen Menschen. Im Vergleich dazu waren es ein Jahr zuvor 59,5 Millionen, vor zehn Jahren waren es 37,5 Millionen Menschen.

15 Konflikte in den letzten 5 Jahren treiben die Zahl der Menschen auf der Flucht nach oben. Aus Syrien flohen 4,9 Millionen Menschen, 6,6 Millionen sind Inlandsflüchtlinge. 2013 hatte Syrien 22,85 Millionen EinwohnerInnen. Es mussten also fast 50 % aller SyrerInnen ihre Heimat verlassen. Andere Länder, die stark zu Fluchtbewegungen beitragen, sind: Irak, Sudan und Südsudan, Zentralafrikanische Republik, Demokratische Republik Kongo, Burundi, Jemen, Ukraine, Myanmar, Somalia und Afghanistan.

Allein 2015 stieg die Zahl der Menschen auf der Flucht um 12,4 Millionen. Im gleichen Jahr konnten nur 201.400 Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. 86 %, also 9 von 10 Flüchtlingen fliehen in Länder, die selbst unter Armut und unsicheren Verhältnissen leiden: in die Türkei (2,5 Millionen), nach Pakistan (1,6 Millionen), in den Libanon (1,1 Millionen), in den Iran (knapp ein Million), nach Äthiopien (736.000) und nach Jordanien (664.000). Die Länder mit den meisten Binnenflüchtlingen sind Kolumbien (6,9 Millionen), Syrien (6,6 Millionen), Irak (4,4 Millionen), Sudan (3,2 Millionen), Jemen (2,5 Millionen), Nigeria (2,2 Millionen), Südsudan (1,8 Millionen), Demokratische Republik Kongo (1,6 Millionen) und Afghanistan (1,2 Millionen).

Die größten Flüchtlingslager sind in Kenia das Lager Dadaab mit über einer halben Millionen Menschen und in Jordanien das Lager Zaatari mit über 100.000 Menschen. Oft gibt es nicht mehr genug zu essen, viel zu wenig Gesundheitsversorgungsangebote und auch nur sehr prekäre und viel zu wenige Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen. Die Möglichkeiten zu arbeiten tendieren gegen null. Das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab in Kenia, soll aufgelöst werden, da es überwiegend von islamischen Banden und somalischen Clans kontrolliert wird. Wir können also nicht von „Leben“ in den Lagern sprechen, höchstens von Überleben, und auch das ist schwierig, aber eben doch noch besser als in den Heimatländern der Flüchtlinge. Der Aufenthalt in einem Flüchtlingslager ist immer als kurzfristige „Lösung“ angelegt, bis militärische Konflikte beendet sind und die Menschen zurück in ihre Heimat können. Dies trifft zunehmend nicht mehr zu. Die PalästinenserInnen sind schon seit 1948 auf der Flucht und viele von ihnen bis heute in Flüchtlingslagern untergebracht. Das Schicksal teilen immer mehr Menschen. So besteht das Flüchtlingslager Dadaab schon seit 1991 und entwickelte sich zu einer kleiner Stadt. (2)

Aber die Perspektivlosigkeit für die überwiegende Zahl der Flüchtlinge bleibt und die Kapazitäten der Nachbarländer sind mehr als ausgeschöpft. Das ist ein Grund, warum mehr Menschen den überaus gefährlichen, langwierigen und teuren Weg nach Europa suchen. Der andere Grund ist, dass die Grenzabschottung der nordafrikanischen Staaten, vor allem in Libyen, zusammengebrochen ist und bis heute nicht wieder hergestellt werden konnte. Dadurch gab es endlich für hunderttausende Menschen die Möglichkeit, mit relativ „wenig Risiko“ nach Europa zu kommen. Trotzdem ist die Abschottung brutal und das Risiko groß. In den letzten 25 Jahren ertranken mehr als 25.000 Menschen, die nach Europa fliehen wollten, im Mittelmeer und an der europäischen Atlantikküste. In den ersten fünf Monaten 2016 ertranken mindestens 2500 Menschen. Die EU-Politik nimmt dies nicht nur billigend in Kauf, sie macht das Mittelmeer zum Massengrab, das abschrecken soll.

Der Weg aus dem Nahen Osten und Nordafrika ist für die meisten Flüchtenden lang und beschwerlich. An vielen Orten müssen die Menschen Zwangspausen einlegen und oft wochen- und monatelang warten, bis sie weiterziehen können. Jede Teilstrecke kostet Geld, um FluchthelferInnen zu bezahlen. Es hat sich ein System von FluchthelferInnen aufgebaut, das von den Regimes der Länder, aber vor allem von Europa unter dem fragwürdigen Begriff „Schlepperbanden“ zusammengefasst und immer als illegale und zu bekämpfende Struktur dargestellt wird.

Zugleich ist es aber zur Zeit für die meisten Flüchtenden die einzige Möglichkeit, aus ihrer lebensbedrohlichen Lage zu entkommen, und immer noch sicherer, als sich alleine auf den Weg zu machen. Die Preise sind hoch, die Transportwege oft lebensgefährlich und Banden machen damit hohe Profite auch auf Kosten von Menschenleben. Die EU-Kritik an den „Schlepperbanden“ ist jedoch zynisch und verlogen, da ihre Abschottung der Festung Europa dazu führt, dass die Geflüchteten auf solche Geschäftemacher angewiesen sind.

Dabei muss man sehen, dass die Geflüchteten selbst in das System integriert werden, anderen solange helfen, bis sie selbst genug Geld haben, um weiterreisen zu können. Alle Arbeitsmöglichkeiten der Menschen unterwegs nach Europa sind illegal, prekär und sehr gefährlich. Für Frauen gibt es oft nur die Möglichkeit der Prostitution, während Männer im Baugewerbe oder Straßenverkauf ausgebeutet werden. Und überall sind Banden, Unternehmen und Behörden im Hintergrund, die von der Situation der Flüchtlinge profitieren. In den Massenmedien ist aber ausschließlich von den „Schlepperbanden“ und ihren kriminellen Machenschaften die Rede. Das verzerrt das Bild der Situation der Menschen auf der Flucht absolut und zeigt die weltweiten Machtinteressen des Kapitals.

Diese Situation könnte durchaus verändert und verbessert werden, indem Schiffe und andere Transportmöglichkeiten für die Geflüchteten zur Verfügung gestellt werden, um die Flüchtlinge sicher und rasch in die Länder der EU zu bringen. Doch genau das ist nicht gewollt. Die jetzige Situation verlängert das Elend der Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, um eine weitere traumatisierende Erfahrung langer Flucht. Diese „Abschreckung“ ist gewollt und gemacht.

Frauen, Jugendliche, sexuelle Unterdrückung

Geflüchtete Frauen und Arbeitsmigrantinnen zählen zu den unterdrücktesten Schichten der Gesellschaft. Sie sind mehrfach unterdrückt als Frauen und als Ausländerinnen und werden als Arbeitskräfte ausgebeutet. Dabei gewinnt auch die Frauenunterdrückung ein doppeltes Gewicht. Einerseits verschärft sich hier noch der patriarchalische Zug der Familie, andererseits sind sie als ausländische Frauen noch verstärkt den unterdrückerischen Mechanismen der hiesigen Gesellschaft unterworfen.

Trotz aller staatlichen und gesellschaftlichen Schikanen blieben mehr und mehr Migranten dauerhaft. Sie wurden unterprivilegierter Teil der Gesellschaft, für den eine Rückkehr in die „Heimat“ immer mehr in die Ferne rückte. Somit entstand aber auch das Bedürfnis, die eigenen Familienangehörigen nachzuholen. Viele der Frauen waren ursprünglich in erster Linie Hausfrauen und wurden erst allmählich in den Arbeitsmarkt als häusliche Hilfs-, Teilzeit- oder ungelernte Kräfte, teilweise als Mithelfende im Betrieb von Verwandten integriert. Das trifft vor allem für aus der Türkei Eingewanderte zu. Die Arbeitsmigrantinnen aus den osteuropäischen Ländern wurden oft viel rascher als billige Arbeitskräfte integriert, ja für bestimmte Berufe v. a. im Pflegebereich werden direkt Frauen angeworben.

Wenn wir von der Lage der Arbeitsmigrantinnen sprechen, so unterscheidet sich diese zwischen verschiedenen Nationen beträchtlich, so wie auch das Ausmaß rassistischer Unterdrückung und der rechtliche Status sehr unterschiedliche Formen annehmen.

Zweifellos gibt es eine widersprüchliche Tendenz zu Verfestigung wie Aufbrechen tradierter partriarchaler Strukturen unter den MigrantInnen. Die doppelte Arbeitsbelastung im Haushalt und in 9- oder 10-Stundenjobs und das durch patriarchalischen Zwang eingeengte soziale Milieu führen dazu, dass proletarische Immigrantinnen kaum politisch oder gewerkschaftlich organisiert sind. Mit den ausländischen Frauen hat sich das Kapital eine besonders billige und wehrlose Arbeitskraftreserve erschlossen. Reaktionäre und konservative Familien, Gewalt, Unterdrückung von migrantischen Frauen tragen das Ihre dazu bei, ihren Kontakt mit anderen Frauen zu erschweren.

Das Haupthindernis für das Durchbrechen ihrer gesellschaftlichen Unterdrückung ist jedoch der Rassismus einschließlich dessen deutscher „KollegInnen“. Frauen werden von den Gewerkschaften oft noch mehr vernachlässigt als ihre männlichen Kollegen.

Jugendliche MigrantInnen und Geflüchtete, die oft auch unbegleitet kommen, sind ebenfalls einer besonderen Unterdrückung ausgesetzt. Sie stehen unter Generalverdacht, organisierte Diebstähle und Drogenhandel zu betreiben. Jugendliche MigrantInnen, die hier geboren wurden, gelten noch immer als „AusländerInnen“, selbst wenn sie mit dem Herkunftsland ihre Eltern oder Großeltern kaum noch etwas verbindet. Allein auf diese Art manifestiert sich alltäglich rassistische Ausgrenzung. Die Jugendlichen gehören zu den unterdrücktesten Schichten. In der Schule, in der Ausbildung werden sie benachteiligt. Minderjährige, unbegleitete, geflüchtete Jugendliche werden, wenn möglich, in Wohngruppen untergebracht, von der Bürokratie schikaniert und ansonsten vor allem sich selbst überlassen. Sie werden nicht in Schulen integriert, solange sie keinen „geklärten“ Status haben. Während ihnen mangelnde „Integrationsbereitschaft“ vorgeworfen wird, fehlt es an Deutschkursen und Möglichkeiten gemeinschaftlicher sportlicher und kultureller Betätigung.

Geflüchtete und migrantische LGBTIA-Menschen (Lesben, Schwule, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle und asexuelle Menschen) sind ebenfalls extremen Anfeindungen ausgesetzt. Sie treffen meistens auf heterosexuelle, repressive Sexualmoral und Normen von MitbewohnerInnen wie in der hiesigen Bevölkerung. So sind die in Unterkünften Unterdrückung und Gewalt ausgesetzt, die bei den Behörden reproduziert werden, vor denen sie sich outen oder denen sie ihre sexuelle Orientierung „beweisen“ müssen.

Rassismus verfestigt die Unterdrückung der Frauen, Jugendlichen, sexuell Unterdrückten – und gleichzeitig deren Ausbeutung, prekäre Lage und Stigmatisierung. Auch hier zeigt sich, dass der Kampf gegen den Rassismus ein integraler Bestandteil des Klassenkampfes ist.

Die deutsche Linke und der Kampf gegen den Rassismus

In den vorhergehenden Teilen haben wir einen Abriss der Grundlagen des Rassismus und seiner aktuellen Verschärfung dargelegt. Wir haben dabei gezeigt, dass er untrennbar mit Kapitalismus und Imperialismus verbunden ist, vor allem der politischen, ökonomischen und ideologischen Einbindung der ArbeiterInnenklasse in das politische und ökonomische Gesamtgefüge der bürgerlichen Gesellschaft. Das erklärt einerseits, wie Rassismus und Nationalismus die Lohnabhängigen spalten und verschiedene Teile gegeneinander in Stellung bringen. Es verdeutlicht aber auch, dass nur die ArbeiterInnenklasse ein objektives, materielles Interesse haben kann, diese Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, dass nur sie das Subjekt eines Kampfes sein kann, der nicht nur diese spezifische Form der Unterdrückung, sondern auch ihre sozialen Wurzeln angreift und überwindet.

Den MigrantInnen, ethnisch, national oder rassistisch Unterdrückten und den Geflüchteten kommt in diesem Kampf eine Schlüsselrolle zu. Damit die ArbeiterInnenklasse überhaupt zur führenden Kraft des Kampfes gegen Rassismus werden kann, müssen auch alle Hindernisse überwunden werden, die die besonders unterdrückten Teile der Lohnabhängigen in ihren eigenen Organisationen, v. a. in den Gewerkschaften benachteiligen und diskriminieren. Daher ist der Kampf gegen Sozialchauvinismus, rassistische Vorurteile sowie gegen alle Hindernisse für die gleiche Teilnahme an der Bewegung (z. B. fehlende Übersetzung und Informationen in den verschiedenen Sprachen) ein unverzichtbarer Bestandteil einer solchen Politik. Dazu sind auch besondere Maßnahmen notwendig, seien es Übersetzungen bei Sitzungen und Versammlungen, sei es das Recht auf gesonderte Treffen (Caucus) der MigrantInnen in den Organisationen der ArbeiterInnenbewegung.

Vor allem aber muss sich jede linke Strategie, jede Bündnispolitik auch daran messen lassen, wie sie Anti-Rassismus in einen anti-kapitalistischen Kontext stellt, ob und wie sie die ArbeiterInnenklasse dabei zur führenden Kraft machen will. Nur so kann die These, dass der Kampf gegen Rassismus wie gegen jede Form der Unterdrückung integraler Bestandteil des Klassenkampfes ist, mit Leben gefüllt werden.

Die Linkspartei – vorwärts zum Sozialstaat zurück

Es ist eine gängige Mode geworden, die Linkspartei und ihre Politik anhand der sozialchauvinistischen Ergüsse von Wagenknecht und Lafontaine zu kritisieren oder aufgrund der Umsetzung des „üblichen“ Programms des staatlichen Rassismus durch die Thüringer und Brandenburger Landesregierungen. Wir wissen außerdem auch alle, dass für die Spitzen der Linkspartei Abschiebungen kein Hinderungsgrund sind, in eine Regierungskoalition einzutreten oder diese zu dulden. Antirassismus ist für die Linkspartei sicher keine „Haltelinie“, wenn es ums Mitverwalten der Krise und des Kapitalismus geht.

Immerhin gibt es in der Partei Widerspruch zu dieser Politik, die vor allem vom linken Flügel der Linkspartei kommt und der sich auch in den Beschlüssen von Parteitagen oder Verlautbarungen der Parlamentsfraktion wiederfindet. Nachdem die Antikapitalistische Linke (AKL) Sahra Wagenknecht lange mit Samthandschuhen angefasst hat, hat sie sich schließlich von deren ständig wiederkehrenden „missverständlichen“ Rufen nach Begrenzung der Migration und mehr polizeilicher Überwachung distanziert. Dass es einige Schwachköpfe gibt, die dennoch weiter Unterschriften für Wagenknecht (!) sammeln, zeigt zwar, welche Leute sich am rechten Rand der „Linken“ tummeln, ist aber zum Glück politisch nebensächlich.

Es ist aber auch eine gängige Methode, dass viele Linke diesen Schandtaten entgegenhalten, dass die Linkspartei eigentlich gute Positionen im Kampf gegen den Rassismus vertreten, dass es sich bei Wagenknecht und Ramelow um „Ausrutscher“ handeln würde. Richtig daran ist, dass deren Handlungen durch keine Parteitagsbeschlüsse gedeckt sind – was allerdings auch die Frage aufwirft, warum diese, von der rituellen Empörung abgesehen, regelmäßig folgenlos bleiben. Ein Grund dafür ist, dass auch die Linkspartei über keine an die Wurzeln gehende Kritik und Analyse des Rassismus verfügt, geschweige denn über eine konsequente Programmatik.

Das verdeutlicht auch der Beschluss des Magdeburger Parteitages „Für Demokratie und Solidarität! Gegen den Rechtsruck!“ (3) vom 28./29. Mai 2016. Dort heißt es:

„Die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität, die Fundamente sowohl der Aufklärung als auch der Demokratie, sind in Europa bedroht wie nie zuvor. Auch die Bundesrepublik steht am Scheideweg. Rückt sie politisch weiter nach rechts, werden die demokratischen und humanistischen Grundlagen der Gesellschaft weiter abgebaut, dann droht eine Entwicklung wie in Ungarn und Polen, Dänemark und Frankreich. Als LINKE setzen wir dem unsere Vision einer offenen, menschlichen und egalitären Gesellschaft entgegen, gegen die Positionen des rechten Kulturkampfes streiten wir für eine solidarische Alternative.“ (4)

An anderer Stelle erklärt die Linkspartei, dass die Bundesregierung und generell die neo-liberale kapitalfreundliche Politik in der EU die soziale Spaltung der Gesellschaft vertiefen und für das Wachstum von Rassismus und Rechtspopulismus verantwortlich sind.

„Das Agieren der Großen Koalition in ihrer Flüchtlings-, Integrations-, Infrastruktur- und Sozialpolitik führt dazu, dass Konflikte und Spaltungen in der Gesellschaft immer weiter zunehmen. Gesellschaftliche Gruppen werden gegeneinander ausgespielt und in Konkurrenz um Arbeitsplätze, Löhne, Wohnungen und Sozialleistungen gesetzt. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihren Auftrag an, die Gesellschaft sozial zusammenzuhalten, in öffentliche Infrastruktur und Soziales zu investieren, bezahlbare Wohnungen zu bauen und leerstehende zur Verfügung zu stellen, für ausreichend Personal zu sorgen, Kommunen zu entlasten und auskömmliche Sozialleistungen zu garantieren, geschweige denn auszubauen, um Konflikte in der Gesellschaft abzubauen. Die Bundesregierung ist in erster Linie Sachwalterin von Kapitalinteressen.“ (5)

Hier gibt sich die Partei schon fast radikal und, wer hätte das gedacht, „entlarvt“ die Große Koalition als Sachwalterin der Kapitalinteressen.

Die Linkspartei erkennt zwar an, dass es eine kapitalistische Wirtschaftsordnung gibt. Dass diese jedoch aus ihrer eigenen Widersprüchlichkeit zur Krise treibt, dass auch die „sozialste“ und „demokratischste“ Regierungspolitik diese nicht aufhalten kann – davon will sie nichts wissen.

Zwar kritisiert sie die Regierung dafür, dass sie Kapitalinteressen verfolgt. Die staatlichen Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft und vor allem „die Demokratie“ erscheinen ihr jedoch als die geeigneten Mittel, um die Spaltung der Gesellschaft zu mildern, wenn nicht gar zu überwinden.

„Wir haben ein Problem mit Rassismus und Rechtspopulismus. Es an der Wurzel zu packen, heißt, die soziale Spaltung der Demokratie zu bekämpfen. Nur so können demokratische Institutionen wieder gestärkt werden. Immer mehr sind draußen, immer weniger gehören dazu.“ (6)

Und weiter unten:

„DIE LINKE fordert eine soziale Offensive für alle, die Investitionsprogramme für öffentliche Infrastruktur und Integration auflegt, den Staat handlungsfähig macht mit mehr Personal im öffentlichen Dienst, bezahlbaren Wohnraum schafft, Armut bekämpft, Sozialstaat und Daseinsvorsorge stärkt, Kommunen und Länder entlastet, den gesetzlichen Mindestlohn ausnahmslos für alle auf zwölf Euro anhebt und endlich auch die Reichen und Steuerflüchtlinge ins Steuer- und Sozialversicherungssystem integriert. Geld ist genug da, aber völlig ungerecht verteilt. Uns ist bewusst, dass eine soziale Offensive nicht dafür sorgt, dass es auch nur eine Rassistin oder einen Rassisten weniger in Deutschland gibt! Eine soziale Offensive ist ein erster notwendiger Schritt, um die soziale Schieflage zu beseitigen und Gesellschaft zu stabilisieren. Um Menschen zu ermutigen, sich an der Demokratie zu beteiligen, muss ihnen die Angst vor dem sozialem Abstieg genommen werden.“ (7)

Konkrete Forderungen nach Verbesserungen sind sicher korrekt. Gesetzlicher Mindestlohn, Armutsbekämpfung, Besteuerung der Reichen, Infrastrukturausbau, bezahlbarer Wohnraum – all das sind richtige Kampfziele, für die alle Organisationen der ArbeiterInnenklasse gemeinsam kämpfen sollten.

Aber die Linkspartei kombiniert diese Forderungen mit einer illusorischen Hoffnungsmacherei. Die „soziale Offensive“ würde die Gesellschaft stabilisieren, mehr soziale Rechte würden so den Menschen die „Angst vor sozialem Abstieg nehmen“. Den Kapitalismus zu überwinden, eine sozialistische Revolution durchzuführen, zu verteidigen und die Gesellschaft auf Grundlage einer räte-demokratischen und planwirtschaftlichen, an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Planung zu reorganisieren, ist schwer. Auch ein revolutionärer Umsturz und die Machtergreifung des Proletariats werden den Menschen nicht mit einem Schlag ihre Ängste vor sozialen Verwerfungen nehmen. Aber eine sozialistische Revolution, so schwer sie sein mag, ist möglich, ja notwendig.

Eine kapitalistische Marktwirtschaft, in der es keine Angst vor sozialem Abstieg geben soll, ist jedoch einfach utopisch, ein Ding der Unmöglichkeit, zumal in einer globalen Krisenperiode. Dass sich der deutsche Kapitalismus von der Rezession 2008 relativ rasch erholte und als sehr konkurrenzfähig erwies, hat er auch seiner enormen produktiven und finanziellen Basis zu verdanken, die auf extremer Produktivität und Ausbeutung, Ausweitung des Billiglohnsektors und imperialistischen Extraprofiten beruht.

Es ist zwar möglich, dass auch in Krisenperioden Verbesserungen erkämpft werden, aber diese werden bei der nächsten Gelegenheit von der herrschenden Klasse in Frage gestellt werden. Substanzielle Reformen spitzen die gesellschaftlichen Widersprüche weiter zu, weil sie erstens den Spielraum der herrschenden Klasse einengen und zweitens eine umfassende Klassenmobilisierung der Lohnabhängigen und Unterdrückten erfordern, also eine Zuspitzung des Klassenkampfes. Kurzum, sie bringen nicht mehr Stabilität, sondern Instabilität.

Die Linkspartei streut ihren AnhängerInnen und wohl auch sich selbst Sand in die Augen. Sie verspricht eine Restabilisierung des Kapitalismus, eine Rückkehr zur angeblich guten alten sozialen Marktwirtschaft, zu einer bestimmten Phase des sozialstaatlich vermittelten Klassenkompromisses, dessen ökonomische Basis jedoch längst und unwiederbringlich erodiert ist.

So wie die Linkspartei dem Kapitalismus und seinen Gesetzmäßigkeiten die Rückkehr zu einer imaginierten sozial regulierten Marktwirtschaft gegenüberstellt, indem sie die negativen Seiten dieser Produktionsweise von ihren „positiven“ betrennt, so erscheint ihr auch der politische und staatliche Überbau, der auf eben dieser Eigentumsordnung fußt, als das Mittel, den Kapitalismus zu zähmen. Die „schlechten“ Seiten erblickt sie in einer falschen Politik. Die Lösung besteht in einer „Umkehr“ zu einer Politik für alle Klassen.

Der Staat und die Bürokratie erscheinen ihr nicht als Herrschaftsinstrumente des Kapitals, sondern als Instrumente, die grundsätzlich allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zur Verfügung stünden. Der Staat müsse nur „ausgebaut“, ausfinanziert und den „richtigen“ politischen Imperativen untergeordnet werden.

Im politischen Arsenal der Linkspartei kommt daher die Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse, der Kampf auf der Straße und in den Betrieben zur Umsetzung ihrer Forderungen nicht oder allenfalls am Rande vor. Sie präsentiert kein Programm des Klassenkampfes, sondern der „vernünftigen“, für alle Klassen der Gesellschaftlich akzeptablen Organisation des Kapitalismus.

Auch wenn sich die Linkspartei für das Asylrecht ausspricht und gegen Abschiebungen und „Obergrenzen“, so will sie doch bei der Organisierung der „Flüchtlingsbetreuung“ nicht auf die repressiven staatlichen Institutionen verzichten (Polizei, Ausländerbehörden, …), deren struktureller Rassismus hinlänglich bekannt ist. Die Linkspartei setzt hier ohne Wenn und Aber auf den bürgerlichen Staat und seine Organe, die allenfalls „demokratisiert“ und „politisch korrekt“ ausgerichtet werden sollen.

Die Partei stellt zwar eine Reihe sozialer und demokratischer Forderungen auf, über den Ausbau der bürgerlichen Demokratie geht sie aber nicht hinaus. Das trifft auf die „Demokratisierung“ oder „Wiederherstellung“ demokratischer Institutionen zu. Das zeigt sich aber auch bei ihrer Vision einer „Wirtschaftsdemokratie“, die auf dem Boden einer, allenfalls erweiterten, „Mit“bestimmung stehen bleibt.

Nirgendwo wirft sie die Frage nach Kontrolle z. B. des Wohnungsbaus durch Komitees von MieterInnen, Gewerkschaften, Flüchtlingen auf, ja es gibt nicht einmal Überlegungen, wie ein gemeinsamer Kampf geführt werden könnte, der sich vor allem auf die ArbeiterInnenklasse stützt.

Besonders deutlich wird das, wenn es um Fragen der Sicherheit der Geflüchteten, von MigrantInnen wie auch von linken UnterstützerInnen geht. Dabei ist das angesichts zunehmender Überfälle, Brandanschläge auf Einrichtungen, Wohnheime, Wohnungen und Personen eine unmittelbar praktische Frage. Hier kritisiert die Linkspartei letztlich nur, dass bei der Polizei und bei der Überwachung der Rechten zu viel gespart würde. Von organisierter Selbstverteidigung, von Plänen zur Mobilisierung von Beschäftigten in Betrieben oder aktiven AntirassistInnen in den Wohngebieten im Fall von Übergriffen oder größeren Überfällen und Mobilisierungen von Rechten – also alles Fragen, wo AntirassistInnen aufhören, sich auf die rassistische Polizei zu verlassen – will die Linkspartei nichts wissen.

Daher wären genau das Formen der direkten Organisierung in Nachbarschaftskomitees, gemeinsame Aktionsstrukturen, die zugleich mit der Selbstorganisation von Geflüchteten und UnterstützerInnen einhergingen. Eine solche Perspektive könnte in Betriebe und Gewerkschaften getragen werden, indem einzelne Belegschaften, deren VertreterInnen (Vertrauensleutekörper, Betriebsräte) oder eigens geschaffene Aktionskomitees direkt Verbindung mit Flüchtlingen aufnehmen. Solche müssten natürlich nicht nur auf die Verteidigung gegen Übergriffe von Nazis, RassistInnen oder der Polizei beschränkt bleiben, sondern könnten auch zu Strukturen werden, um gemeinsam für soziale Forderungen einzutreten.

Ein solches, breites Bündnis auf einer soliden Klassenbasis streben wir letztlich an. Wir wissen, dass es nicht nur „von unten“ entstehen wird, auch wenn lokale Initiativen und Ansätze dazu eine wichtige Beispielwirkung entfalten könnten. Dies müsste aber mit der beständigen Forderung an alle Organisationen der ArbeiterInnenklasse, vor allem an die Gewerkschaften, verbunden werden, ein bundesweites Aktionsbündnis zu schaffen.

Die Linkspartei will jedoch einen anderen Kurs einschlagen:

„Um eine breite Gegenbewegung gegen die politische Rechte anzustoßen, müssen sich die Kräfte bündeln. Bundesweite Initiativen sind entstanden, die beides noch enger zusammenbringen: Geflüchtete willkommen – Rassisten entgegentreten! Wir brauchen ein gesellschaftliches Bündnis gegen rechts, eine breite antirassistische Koalition aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften, Wohlfahrtsverbänden, Studierenden, Migrantinnen und Migranten, Flüchtlingsinitiativen, Künstlerinnen und Künstlern und antifaschistischen Organisationen.“ (8)

Was der Linkspartei hier vorschwebt, ist keine ArbeiterInneneinheitsfront gegen Rassismus, sondern ein „breites Bündnis“, das Parteien und Vereinigungen aller Klassen beinhalten soll – bis hin zur FDP oder auch der CDU/CSU.

Zweifellos ist es richtig, dass es gegen die RassistInnen, RechtspopulistInnen und die staatliche rassistische Politik eine Massenbewegung, ein Bündnis von Massenorganisationen braucht. Wenn die ArbeiterInnenklasse zum entscheidenden Subjekt des Kampfes werden soll und muss, müssen RevolutionärInnen diese Forderungen aber an alle Parteien und Organisationen richten, die sich historisch und sozial auf diese Klasse stützen, aus der ArbeiterInnenbewegung kommen und diese zu vertreten beanspruchen. Daher ist es unserer Meinung nach notwendig, diese Forderung auch an die Gewerkschaften, die Linkspartei und die SPD zu richten – nicht weil wir denken, dass diese dem bereitwillig folgen werden, sondern weil das ein unerlässliches Mittel ist, die reformistischen und gewerkschaftlichen Führungen in den Augen ihrer AnhängerInnen und Mitglieder dem Praxistest zu unterziehen.

Wir halten es für falsch, diese Ausrichtung auf offen bürgerliche Parteien zu erweitern oder auf die Kirchen. Natürlich geht es nicht darum, deren Mitgliedern oder einzelnen RepräsentantInnen die Teilnahme an anti-rassistischen Aktionen und Demonstration zu „verbieten“. Aber es geht darum, dass es keine politischen Zugeständnisse, keine Unterordnung unter diese geben darf, nur um eine „einheitliche“ Aktion hinzukriegen.

Es geht vielmehr darum, die Einheit einer Klasse herzustellen und diese auch mit den sozialen Forderungen zu verbinden – nicht, weil dann alles wieder gut und stabil wird, sondern weil so eine soziale Kraft entsteht, die den Rechten und ihrem rabiaten Rassismus Paroli bieten und deren Behauptung praktisch und öffentlich entlarven kann, dass Rechtspopulisten wie die AfD, Bündnisse wie Pegida, die „antisystemische“ Kraft wären.

Die strategische Einheit von Linken mit allen staatstragenden Kräften, das Bündnis bis zur CDU und zum Bundespräsidenten geht nicht nur unvermeidlich mit dem Verzicht einher, den staatlichen Rassismus zu bekämpfen und auf alles zu verzichten, was den Legalismus der Versammlungsbehörden überschreitet. Noch wichtiger ist, dass so die rechten Demagogen auf der Klaviatur ihres eigenen Populismus spielen können. Der Rechts-Populismus, dessen Anwachsen wir in ganz Europa erleben, geriert sich als eine „antisystemische“ Kraft, die gegen „das Kartell“ und die „Lügenpresse“ antreten würde. Klassenübergreifende Bündnisse, wie sie von den reformistischen und gewerkschaftlichen Führungen angestrebt werden, wirken nur als Bestätigung der rechten Propaganda. Letztlich, wird jeder rechte Stammtischhetzer vorbringen, paktieren die Linken mit Kapital und Establishment gegen die „WutbürgerInnen“, die ArbeiterInnenorganisationen mit ihren Ausbeutern.

Das zeigt, dass ohne Klassenorientierung dem Rechts-Populismus einer AfD letztlich nicht beizukommen ist, vor allem sobald er angefangen hat, größere, wenn auch politisch rückständige Teile der Lohnabhängigen zu ergreifen.

„Aufstehen gegen Rassismus“

Das Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ wird von der Linkspartei offiziell unterstützt und gemeinsam mit linken Gewerkschaften, linker Sozialdemokratie, Attac und post-autonomen Kräften (Interventionistische Linke) prägt sie dieses Bündnis.

Zweifellos ist es notwendig und richtig, sich an den Aktionen von „Aufstehen gegen Rassismus“ zu beteiligen wie auch von diesem zu fordern, sich zusammen mit anderen Bündnissen in eine bundesweite Einheitsfront zu transformieren. Doch davon ist „Aufstehen gegen Rassismus“ leider noch weit entfernt.

Erstens teilt das Bündnis die klassenübergreifende Konzeption, die auch die Linkspartei in ihrem Parteitagsbeschluss vertritt. „Wir rufen alle Menschen, zivilgesellschaftliche Akteure und Bündnisse, Gewerkschaften, Jugendorganisationen, Kulturschaffende, Religionsgemeinschaften und Parteien dazu auf, mit uns gemeinsam die Demonstration und das Konzert am 3.9. in Berlin zu mobilisieren und durchzuführen.“ (9)

Zweitens fällt auf, dass der Aufruf kaum konkrete Forderungen enthält.

„Wir werden weiterhin Geflüchtete mit offenen Armen empfangen. Denn Asyl ist Menschenrecht.

Wir werden uns stark machen für gleiche politische und soziale Rechte für alle Menschen.

Wir stehen an der Seite der Muslime und aller anderen, die rassistisch diskriminiert und bedroht werden.

Wir wenden uns gegen jede gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Antiziganismus und jede andere Form des Rassismus, Homophobie und Frauenfeindlichkeit.“ (10)

Das sind Absichtserklärungen oder allgemeine Formeln. Um ein Bündnis zu schaffen, wären aber konkrete Forderungen viel wichtiger wie zum Beispiel: Gegen alle Abschiebungen! Nein zu den sog. „Integrationsgesetzen“! Für sozialen Wohnbau, finanziert durch Unternehmensgewinne, Kontrolle der Mietpreise durch Mieterkomitees und Beschlagnahme leer stehenden Wohnraums zur Unterbringung von Geflüchteten wie allen anderen Wohnungssuchenden.

Der Satz „Wir stehen an der Seite der Muslime und aller anderen, die rassistisch diskriminiert und bedroht werden“ müsste durch die Losung der organisierten Selbstverteidigung und ihrer Unterstützung durch das Bündnis ergänzt werden. Ansonsten verkommt er zu einem folgenlosen Lippenbekenntnis.

Vor allem aber beschränkt sich ‚Aufstehen gegen Rassismus‘ fast ausschließlich auf die Mobilisierung gegen die AfD, während die verstärkten Angriffe der Bundesregierung, die Abriegelung der EU-Außengrenzen, die schäbigen Deals mit der Türkei und mit afrikanischen Staaten zum Stopp der Geflüchteten unerwähnt bleiben.

Statt konkrete Forderungen gibt es Allerweltsphrasen: “Wir stehen für eine offene und gerechte Gesellschaft. Wir lassen nicht zu, dass Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Wir wollen Solidarität, Zusammenhalt und ein besseres Leben für alle!“ (11)

„Aufstehen gegen Rassismus“ begreift sich nicht in erster Linie als Aktionsbündnis, sondern als „Aufklärungskampagne“. Daher ist neben Konferenzen und einzelnen Demos ihr Hauptinstrument die Ausbildung von AufklärerInnen, im eigenen Jargon: „StammtischkämpferInnen“.

„Eines der Herzstücke der ‚Aufstehen gegen Rassismus‘-Kampagne sind unsere Ausbildungen zu StammtischkämpferInnen. Dafür brauchen wir Trainer_innen!“ (12) Diese sollen Menschen, die mit rassistischen Äußerungen konfrontiert sind, in Seminaren Folgendes vermitteln:

„Hier wollen wir ansetzen und mit den Schulungen Menschen in die Lage versetzen, die Schrecksekunde zu überwinden, Position zu beziehen und deutlich zu machen: Das nehmen wir nicht länger hin!

Dazu wollen wir in Trainings uns mit Strategien beschäftigen, die uns ermöglichen, den Parolen der AfD und ihrer Anhänger Paroli zu bieten, wir wollen gängige rechte Positionen untersuchen und wir wollen gemeinsam üben, das Wort zu ergreifen und für solidarische Alternativen zu streiten statt für Ausgrenzung und Rassismus.“ (13)

Sicherlich ist es notwendig, dass Menschen lernen, wie sie rassistischen Äußerungen Paroli bieten und wie sie darauf schlagfertig antworten. Eine Strategie, der AfD, rassistischen oder faschistischen Organisationen den Boden zu entziehen, ist das aber nicht.

Der Kampf gegen den stärker werdenden Rassismus ist im Grund eine Frage, welche Klasse einen Ausweg aus der tiefen Krise der gegenwärtigen Gesellschaft zu bieten vermag, welche Klasse eine Antwort auf die Zerrüttung der Lebensverhältnisse gibt. Die „Mitte“ hat immer weniger zu bieten. Die Linkspartei und letztlich auch „Aufstehen gegen den Rassismus“ orientieren aber darauf, den „Zusammenhalt“ der Gesellschaft, den es früher gegeben haben soll, wiederherzustellen.

Das ist aber utopisch. Es ist daher notwendig, Aktionsbündnisse um konkrete soziale und demokratische Forderungen herum zu schaffen. Allgemeine „Aufklärungsparolen“ greifen hier zu kurz. Werden sie zum Kern eines „Bündnisses“ erhoben, so geht die Sache überhaupt ins Leere. Der anti-rassistische Kampf wird durch einen Seminarraum ersetzt. Rassismus wird zu einer Massenkraft nicht in erster Linie wegen fehlender Aufklärung, schlechten Schulunterrichts, sondern weil er eine reaktionäre Antwort auf den drohenden Zerfall der gesellschaftlichen Grundlagen zu bieten scheint, während die ArbeiterInnenbewegung keine Perspektive zu weisen vermag.

In diesem Kontext muss übrigens auch die strategische Bedeutung von anti-rassistischen Aktionsbündnissen der ArbeiterInnenklasse und der Unterdrückten gesehen werden. Es geht hier zum ersten natürlich darum, möglichst große Aktionen für konkrete Ziele und Forderungen durchzuführen. Es geht aber auch darum, dass in diesen Aktionen ein Bewusstsein der Gemeinsamkeit, der Einheit der Unterdrückten entsteht und so eine Basis für Kämpfe um weitergehende Ziele gelegt wird.

Die „Stammtischkämpferausbildung“ ist davon völlig losgelöst. Das zeigt sich auch darin, dass erst gar nicht in Erwägung gezogen wird, die Stärkung der Argumentationskraft als Teil des Aufbaus einer Bewegung mit betrieblichen oder lokalen Strukturen zu stellen. Die „StammtischkämpferInnen“ sind EinzelkämpferInnen, AufklärerInnen, nicht Teil einer Bewegung, die es vor allem zu schaffen gilt.

Die Interventionistische Linke (IL)

Um „Aufstehen gegen Rassismus“ gruppieren sich nicht nur reformistische und gewerkschaftliche Gruppierungen, sondern mit der IL auch eine Teil der „post-autonomen“, radikalen Linken.

In ihrem Aufruf zur Demonstration „Grenzenlos feministisch. Grenzenlos antikapitalistisch – Grenzenlos solidarisch!“ (14) betont die IL zwar die Frage der „offenen Grenzen“, der Text konzentriert sich aber fast ausschließlich auf die Frage der AfD. Durchaus pointiert greift sie deren reaktionären Gehalt an, deren Frauenfeindlichkeit und Unterstützung jeder noch so reaktionären, repressiven Marotte aus der „Herrensauna“.

Dem Aufruf der IL wie auch anderen ihrer Stellungnahmen mangelt es jedoch an Analyse und vor allem an Forderungen und Perspektive. Dem reaktionären Bezug auf die Kleinfamilie hält die IL in ihrem Aufruf das „selbstbestimmte Individuum“ entgegen: „Nicht freie, selbstbestimmte Individuen, sondern die heterosexuelle Kleinfamilie sei die Keimzelle der Gesellschaft.“ (15)

Hier wird der altbackenen, rückwärtsgewandten Ideologie des AfD-Konservativismus die ideologische Fiktion des Liberalismus gegenübergestellt, demzufolge die Gesellschaft eine Summe „freier und selbstbestimmter“ Einzelner wäre. Das „freie Individuum“, ein beschönigendes Codewort für das bürgerliche Individuum, ist selbst ein historisches Produkt, ein großer Fortschritt gegenüber vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen. Frei und selbstbestimmt ist es natürlich nur so weit, wie es KäuferIn und VerkäuferIn der Ware Arbeitskraft auf dem Boden einer verallgemeinerten Warenproduktion sein kann. Es ist kein Zufall, dass das Individuum umso „freier“ zu sein vorgibt, je mehr es dem unmittelbaren Zwang zum Verkauf seiner Arbeitskraft entbunden scheint. Es ist kein Zufall, dass eine ihrer politischen Ausrichtung nach kleinbürgerliche Gruppierung wie die IL dem „Frauenbild“ des Konservativismus das Menschheitsideal des Liberalismus entgegenhält.

Mag diese Passage auch etwas unüberlegt in den Aufruf der IL gekommen sein, so enthält sie doch einen zentralen Gesichtspunkt, der ihre politische Strategie und Vorstellung vom anti-rassistischen Kampf prägt.

Das Subjekt gesellschaftlicher Veränderungen ist nicht die ArbeiterInnenklasse. Vielmehr ist deren Existenz wie die Verwendung des Klassenbegriffs für Post-Autonome ohnedies fragwürdig geworden. Eine Bewegung ist für sie vor allem eine Bewegung von einzelnen, von möglichst „selbstbestimmten Individuen“.

Auch wenn die IL aus einem anderen Begründungszusammenhang kommt als die Linkspartei, so tritt auch sie für „möglichst breite“ Bündnisse ein. Nennt die Linkspartei noch die Akteure als kollektive Akteure, sind es bei der IL vor allem „die Menschen“:

„Sollen wir also nicht mehr blockieren, demonstrieren? Nein – PEGIDA und ähnliche Phänomene müssen auf der Straße gestoppt werden, in breitestmöglichen Bündnissen. Doch die Begründung darf nicht eine des ökonomischen Kalküls sein. Im Gegenteil: Protest gegen Pegida muss Protest sein gegen die Logik der herrschenden Verhältnisse:

– Gegen Niedriglohn und Prekarisierung in Deutschland

– Gegen den Export dieses Sozialkahlschlags durch Austeritätspolitik in Europa

– Gegen das Sterben an den Außengrenzen der EU, organisiert von ‚demokratischen‘ Regierungen

– Gegen Militäreinsätze von NATO und EU-Staaten, die wie in Libyen Flüchtlingselend erzeugen.“ (16)

Die IL erhebt hier zwar einige Forderungen, diese bleiben aber insgesamt recht allgemein. Das trifft vor allem auf ihren Aufruf zum ersten 3. September zu:

„Unsere Alternative: Grenzenloser Feminismus!

Gleichberechtigung herrscht weder in Deutschland noch anderswo. Geschlecht und sexuelle Orientierung sind viel zu wenig anerkannte Fluchtgründe. Betroffene von Zwangsheirat, Genitalverstümmelung, mangelndem Zugang zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch verlangen unsere Solidarität – egal wo auf der Welt. Mehrheitlich weiße linke Bewegungen arbeiten seit Jahren an antirassistischen Praktiken, die kritisch mit den eigenen Privilegien umgehen. Wir wollen noch mehr. Wir fordern alle zu internationaler feministischer Solidarität, zum Kampf für das Recht auf körperliche, ökonomische und sexuelle Selbstbestimmung und Gleichberechtigung auf – auch und gerade eine patriarchal sozialisierte, männlich dominierte Antifa.

Die AfD stellt sich eine Gesellschaft vor, in der alle feministisch erkämpften Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wieder zurückgenommen werden, in der Geburtenzwang, die Verpflichtung auf die Kernfamilie und ein immer breiterer gender pay gap herrschen. Feminismus ist unser zentraler Gegenentwurf. Wir sehen uns in der Tradition feministischer Kämpfe weltweit. Wir profitieren von den Errungenschaften der europäischen Frauenbewegung in Bezug auf Bildung, Familienrecht und Strafrecht, wollen aber nicht hier stehenbleiben.

Eure Frauenquote in den Aufsichtsräten könnt ihr behalten – wir wollen die Hälfte einer Welt ohne börsennotierte Unternehmen.

Unser Feminismus bleibt antirassistisch!“ (17)

Zu Recht hebt die IL die Rechte von Frauen und deren Verbindung mit antirassistischen Kämpfen hervor. Zugleich bleibt der Text aber sehr unkonkret. Soll aber eine Bewegung aufgebaut oder um obige Zielsetzungen erweitert werden, braucht es konkrete, bestimmte Forderungen, die dann auch europaweit, global oder in Deutschland erkämpft werden können. Hier liegt aber eine grundlegende Schwäche aller post-autonomen wie der meisten „anti-kapitalistischen“ Kräfte.

Ein zweiter Schwachpunkt liegt in einem spontaneistischen Verständnis von Bewegung. Ein kurzer Auszug dem Artikel „Die soziale Frage ist offen. Lassen wir sie nicht rechts liegen!“ verdeutlicht das: „Oft haben wir in den letzten Jahren nach Griechenland oder Spanien geschaut und waren sehr beeindruckt. Dort sind unter den Bedingungen der von der Austeritätspolitik verursachten Not selbstorganisierte Solidaritätsnetzwerke entstanden, die sich zu politischen Akteuren direkt-demokratischer Vergesellschaftung weiterentwickelt haben.“ (18)

Die IL legt den Fokus auf die Selbstorganisierung. Aber sie blendet die Bedingungen aus, unter denen sie entsteht und unter denen sie, sollten sie zu keiner politischen Bewegung werden, eben nur gesellschaftlicher Notbetrieb sein können. Die „Solidaritätsnetzwerke“ zeigen zwar, dass sich die Menschen auch in der Not nicht unterkriegen lassen wollen. Die Interpretation, dass das der Weg zur „ direkt-demokratischen Vergesellschaftung“ wäre, ist jedoch vollkommen naiv und unterstellt, dass sich daraus Schritt für Schritt neue Organisationsformen einer zukünftigen Gesellschaft entwickeln könnten, ohne dass die Staatsmacht direkt heraufgefordert werden müsste. Das Gegenteil ist aber der Fall. Wenn es nicht gelingt, der herrschenden Klasse und der hinter ihr stehenden Troika die Macht zu entreißen, so müssen die lokalen Initiativen zu Organisationen werden, die nur den Mangel und die Not verwalten.

Es geht gerade darum, das Bewusstsein in diesen Netzwerken auf die Frage des politischen Kampfes zu richten und nicht den bestehenden Zustand zu romantisieren. Eine Grundlage für eine andere Form der Vergesellschaftung (einschließlich der Verallgemeinerung rudimentärer Ansätze, die in Krisenperioden aus der Not entstehen können) kann letztlich nur durch die Eroberung der Staatsmacht geschaffen werden, sie erwächst nicht graduell im Inneren der kapitalistischen Gesellschaft.

So wie die IL die Aktivitäten in Südeuropa überhöht, so macht sie das auch mit den Geflüchteten und den Supportern. Diese leisten zweifellos beachtliche Arbeit und haben auch eine beeindruckende Bewegung gebildet. Die IL geht in ihrer Einschätzung jedoch viel weiter:

„Diese Initiativen (die freiwilligen HelferInnen in der Flüchtlingsarbeit; Anm. der Red.) sind eine neue, starke und beeindruckende soziale Bewegung. Komplementär zur derjenigen der Flüchtenden selbst. Auch viele Blockupy- Aktivist_innen sind jeweils Teil solcher Solidaritätsstrukturen vor Ort, von Lesbos bis Malmö. Wir teilen nun ähnliche Erfahrungen, sind Teil eines gemeinsamen Kampfes, ganz praktisch. Hierin scheint auf, was die europäische Kommune sein kann, von der wir in letzter Zeit häufiger gesprochen haben.“ (19)

Für die IL braucht es kein revolutionäres Subjekt, keine Strategie, keine Taktik, um den Kapitalismus zu stürzen. Vielmehr entstehen in den Kämpfen, in der Organisierung durch HelferInnen der Flüchtlingsarbeit wie in der Bewegung der Refugees selbst die Konturen einer zukünftigen anderen Gesellschaft, der „europäischen Kommune“. Schon wär’s.  In Wirklichkeit ist das reine, reformistische Utopie. Anders als der klassische Reformismus oder generell die bürgerliche ArbeiterInnenpolitik will die IL dem Staat nicht schrittweise Reformen abringen oder die Gesellschaft mittels parlamentarischer Mehrheiten „transformieren“, sie will nicht einmal die Verstaatlichung der großen Unternehmen.

Die Kommune erwächst vielmehr aus der Not, die zukünftige „andere“ Gesellschaft wird durch die Verallgemeinerung der Hilfe von sehr engagierten Menschen spontan gebildet. Im Grunde ist das nur eine Spielart des Genossenschaftssozialismus, der eine neue, sozialistische (und „auf der Kommune“ basierende) Produktionsweise schrittweise in der bürgerlichen Gesellschaft entwickeln will. Dummerweise ist die objektive Entwicklung des Kapitalismus durch die gegenteilige Tendenz – immer stärkere Vergesellschaftung unter dem Kommando des großen Kapitals – gekennzeichnet. Diese Vergesellschaftung, der zunehmende gesellschaftliche Charakter der Arbeit bleibt aber den bornierten Zwecken von Privateigentümern an den Produktionsmitteln unterworfen, der Profitmaximierung. Dies kann nur durchbrochen werden durch die politische Machtergreifung der ArbeiterInnenklasse und die Zentralisation der Produktionsmittel in ihren Händen, in dem von ihr geschaffenen Rätestaat.

Die IL hingegen unterschiebt den Refugees wie den UnterstützerInnen eine politische Tendenz, die sie nicht haben. Die meisten von ihnen haben von der „europäischen Kommune“ nichts gehört – und das ist auch gut so. RevolutionärInnen müssen vielmehr erkennen, dass die enorme Energie der UnterstützerInnen nicht von Dauer sein kann, noch kann es die Perspektive sein, dass die Bevölkerung einen ständigen Hilfsbetrieb dafür leistet, dass Staat, Kommunen usw. nicht ausreichend Mittel zur Versorgung der Geflüchteten bereitstellen. Die Bewegungen der UnterstützerInnen wie der Refugees müssen daher zu einer Bewegung um Forderungen wie Bleiberechte, volle demokratische Rechte, offene Grenzen, Bewegungsfreiheit, ausreichende finanzielle Ausstattung, Recht auf Arbeit und Wohnraum freier Wahl werden, zu einer Kraft, die für reale Verbesserungen kämpft und diese durchsetzen kann.

Mit ihrer Vorstellung, dass ohnedies schon die „europäische Kommune“ wachsen würde, versagt die IL vollkommen darin, der Bewegung eine Perspektive zu weisen. Ihr spontaneistisches Konzept ist letztlich die pseudo-radikale Kehrseite ihrer realen Nachtrabpolitik hinter der Linkspartei.

Ums Ganze – zwischen Antifa und breitem Bündnis

Das anti-national und anti-deutsch ausgerichtete Bündnis „Ums Ganze“ (UG) ist bei seinem Kampagnentext „Nationalismus ist keine Alternative“ (20) schon vorsichtiger als die große post-autonome Schwester, die IL.

Wie wir und alle Anti-RassistInnen erkennt UG den Erfolg der Geflüchteten an, als sie im Sommer 2015 die Mauern der Festung Europa zeitweilig durchbrechen konnten:

„Zwar sind so viele Menschen wie nie in der Geflüchtetenunterstützung und bei antirassistischen Aktionen aktiv. Gleichzeitig greifen aber RassistInnen und Nazis fast täglich Flüchtlingsunterkünfte an, feiern rechte Parteien ungeahnte Erfolge, verschärfen die bürgerlichen Parteien das Asylrecht, steht Europa im Zeichen einer umfassenden nationalen Abschottung.“ (21)

Weit mehr als die IL verbindet der Text tatsächlich die sog. „Flüchtlingskrise“ mit jener des Kapitalismus: „Die sogenannte Flüchtlingskrise ist die Folge eines allmählichen Zusammenbruchs der vom globalen Kapitalismus politisch oder ökonomisch verwüsteten Peripherie der kapitalistischen Welt ist.“ (22)

Freilich blendet UG die Verbindung der aktuellen Krise zu Imperialismus und imperialistischer Neuordnung der Welt aus. Wird auch viel vom Kapitalismus und der Wertform, von völkischem Denken und Nationalismus gesprochen, so mag das anti-nationale Bündnis vom Imperialismus bzw. von der imperialistischen Epoche nichts wissen. Daher bleibt der Zusammenhang von Expansion des Kapitals, Sicherung von Märkten und Investitionsgebieten mit der Frage der ArbeiterInnenaristokratie ebenso außen vor wie die Notwendigkeit der Unterstützung sozialer, demokratischer und nationaler Befreiungskämpfe in den vom Imperialismus beherrschten Ländern.

Überhaupt bleibt das Bündnis sehr dürftig, wenn es um die Frage der strategischen Ausrichtung geht.

Konkrete Forderungen, wie Geflüchtete, MigrantInnen, UnterstützerInnen zu einer Bewegung werden könnten, wie die Masse der Lohnabhängigen dafür gewonnen werden könnte, fehlen vollständig.

Die Kapitalismuskritik der UG speist sich theoretisch aus dem Fundus der sog. „Wertkritiker“. Bei aller mitunter auch recht treffenden Bemerkung über Fetischisierungsformen, über die Widerspiegelung der Krise im Bewusstsein der Gesellschaftsmitglieder, teilt UG die fundamentale Schwäche der Wertkritiker. Sie kennt kein revolutionäres Subjekt der Veränderung, keine ArbeiterInnenklasse. Allenfalls kommt sie als „prekäre Arbeiterschaft“ vor, die vor der verrohten Bürgerlichkeit bei der AfD ihre neue politische Heimat suche. In der Nation ist die ArbeiterInnenklasse längst untergegangen. Das Subjekt der Veränderung sind hier allenfalls die Individuen in den Helfergruppen:

„Die Aufgabe linksradikaler antirassistischer Gruppen muss sein, nach dem initialen Moment des humanistischen Helfens das Engagement mittels einer kritischen Analyse zu politisieren und praktisch zuzuspitzen. Der Übergang von Charity zu Solidarity wäre, wo die Helfenden ein Interesse entwickeln, nicht mehr nur Symptomlinderung zu betreiben, sondern die Bedingungen zu überwinden, welche die gegenwärtige Situation der Mangelverwaltung überhaupt erst produziert haben.“ (23)

Bei aller Unterschiedlichkeit im Jargon enden die beiden „post-autonomen“ Strömungen, IL und UG, beim gleichen Subjekt der Veränderung. Wenn die Klassen schon längst passé sind, bleibt nur noch das (bürgerliche) Individuum. Der Linksradikale entpuppt sich als liberales Schaf im Wolfspelz.

Daher endet der Aufruf auch mit einer Mischung aus autonomen Standards und pragmatischer Befürwortung klassenübergreifender „breiter“ Bündnisse.

„Den Rechtsruck zur Renovierung der Festung Europa und den Wiederaufbau nationaler Grenzen in ihrem Inneren wollen wir stoppen. Dafür braucht es eine Menge unterschiedlicher Aktivitäten. Die sozialen Auseinandersetzungen um Wohnraum und den Zugang zur öffentlichen Infrastruktur mit denjenigen, die schon hier sind, gemeinsam aufzunehmen, und breite Bündnisse gegen rassistische Anschläge und Aufmärsche gehören bestimmt dazu. Doch für sich genommen bleibt es zu wenig, wenn es nicht bald gelingt, den Einpeitschern der Abschottung am rechten Rand wie ihren technokratischen Organisatoren in der ‚Mitte der Gesellschaft‘ aktiv in die Parade zu fahren. Zufälligerweise hat die radikale Linke aber einige politische und kreative Methoden im Angebot, um den Preis für die Abschottung und die Entrechtung der ‚Anderen‘, egal ob aus völkischen oder ökonomischen Gründen, in die Höhe zu treiben. Und das könnte auch eine gute Gelegenheit sein, um Anlaufpunkte für die vielen Leute zu schaffen, die sich jetzt politisiert haben und die nach Gelegenheiten suchen, sich antirassistisch einzubringen.“ (24)

Das UG-Bündnis redet hier einer Arbeitsteilung das Wort, die das ganze Elend der autonomen Politik sichtbar macht. Gegen Anschläge und große Aufmärsche sollen „breite Bündnisse“ mit Gott und der Welt, mit allen möglichen Parteien und Kirchen her. Ein Klassenbezug fehlt natürlich. Wenn es um die „Masse“ geht, kennt auch UG die „Einheit der Demokraten“.

Gegen den staatlichen Rassismus wird aber erst gar keine Massenbewegung angestrebt. Dafür sollen „politische und kreative Methoden“, also individuelle Kleingruppenaktivität, „den Preis für die Abschottung und die  Entrechtung (…) in die Höhe treiben.“ Hier tritt uns der elitäre Charakter des autonomen „Kämpfertums“ entgegen.

In beiden Fällen geht es nicht darum, wie die Lohnabhängigen überzeugt und politisch gewonnen werden können. Einmal wird es hingenommen, dass sie in breiten Bündnissen mit allen möglichen bürgerlichen Parteien marschieren und im demokratischen Einheitsbrei der Nation aufgehen, wo jeder Unterschied zwischen jenen, die sich auf die ArbeiterInnenklasse stützen, und den offen bürgerlichen verschwindet. Für die „radikalen“ Aktionen ist anderseits die „radikale Linke“ zuständig. Organisierte Militanz, politisches Vorgehen, Selbstverteidigung kann für diese Gruppierung offenkundig überhaupt keine Bindung zu einer Massenbewegung haben. Genau das müsste das Ziel von revolutionären KommunistInnen sein. Natürlich sind z. B. zur Verhinderung von Abschiebungen militante Aktionen notwendig. Unser Ziel ist es jedoch, diese als Aktivitäten zu konzipieren, die von einer Masse getragen werden, die z. B. mit Mitteln des Streiks im Transportsektor geführt werden. Zur Durchführung solcher Aktionen ist daher vor allem eine politische Vorbereitung und die politische Gewinnung der Aktiven wie auch größerer Teile der Klasse notwendig.

Dieser Gedanke taucht beim post-autonomen Flügel der Bewegung allerdings gar nicht erst auf. Wer von der Existenz einer ArbeiterInnenklasse nichts wissen will, braucht sich folgerichtig auch nicht den Kopf zu zerbrechen, wie deren Bewusstsein erhöht, wie sie zum Subjekt gesellschaftlicher Veränderung werden kann.

Die Frage der „offenen Grenzen“

Immerhin treten IL und UG und auch andere Teile der radikalen Linken für offene Grenzen ein, sprechen sich gegen alle Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für MigrantInnen aus.

Umgekehrt erscheint diese Forderung großen Teilen der reformistischen und gewerkschaftlichen Linken, aber auch einigen zentristischen Organisationen oder Teilen der DKP als „utopisch“ oder „kleinbürgerlich.

Linksparteimitglieder wie Sahra Wagenknecht bringen das ganz offen zum Ausdruck. So erklärte sie am 27. Juli 2016 in einer Pressemitteilung: „Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“

Hier ruft sie ganz unverhohlen zur vermehrten polizeilichen Überwachung der Flüchtlinge auf. Wer sich hier „illegal“ aufhält, der muss um sein „Gastrecht“ bangen. Wagenknecht macht kein Hehl daraus, dass sie für die Begrenzung der Zahl von Flüchtlingen, für kontrollierte Migration ist.

Bei aller Distanzierung, die aus der Linkspartei kommt, drückt die Partei selbst sich um die Frage der „offenen Grenzen“ herum. Sie ist gegen Beschränkungen für Geflüchtete. Aber sie stellt nicht die Forderung nach einer Abschaffung aller Zuzugsbeschränkungen auf. Eine „grenzenlose“ Gesellschaft vertritt sie keinesfalls. Sie will Gleichberechtung für MigrantInnen, sie stellt aber keinesfalls die Forderung nach Abschaffung aller „Ausländergesetze“ auf, die den selektiven Zuzug von ArbeitsmigrantInnen regulieren. Damit reproduziert sie letztlich die Trennung von politischen und „Wirtschaftsflüchtlingen“.

Die Frage der Selektion ist aber unwillkürlich mit jeder Form der Beschränkung von Zuzug verbunden. Wer nicht für offene Grenzen für alle ist, muss logisch auch Kriterien angeben, nach denen Menschen ins Land gelassen und abgewiesen werden, nach denen Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel wieder abgeschoben werden. Das ist die unvermeidliche Logik der Ablehnung von offenen Grenzen für alle.

Dabei werden gegen offene Grenzen eine Reihe von letztlich sozialchauvinistischen oder staatstragenden Argumenten vorgetragen, die wir teilweise schon im ersten Teil behandelt haben.

1. Behauptung: „Offene Grenzen“, unkontrollierte Migrationsströme würden die Arbeitslöhne drücken. Oft wird das noch damit ergänzt, dass die Kapitalisten für mehr Zuzug wären.

Diese These ist politisch kurzsichtig und in mehrfacher Hinsicht falsch. Erstens unterstellt sie einen direkten Zusammenhang von Migration und Höhe des Arbeitslohns, der so nicht existiert, selbst wenn wir nur den nationalen Arbeitsmarkt betrachten. Wenn wir annehmen, dass er stimmen würde, so müssten umgekehrt bei einer Abschottung des nationalen Arbeitsmarktes die Arbeitslöhne auch steigen. Das verkennt erstens die Ursachen für Arbeitslosigkeit, zweitens aber auch, dass Arbeitslohn letztlich eben nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern durch den Wert der Ware Arbeitskraft bestimmt wird – und der steigt natürlich nicht, weil es weniger ArbeiterInnen gibt.

Zweitens geht diese Argumentation gänzlich von einer nationalen Sicht der Interessen der ArbeiterInnenklasse aus. Sie übersieht, dass nationalstaatliche Grenzen selbst immer schon Mittel zur Selektion sind, dass die Entrechtung und Benachteiligung der migrantischen Arbeit bis hin dazu, dass sie in die Illegalität gezwungen werden, gerade ein Mittel zur Spaltung der Klasse sind.

Die Befürwortung von Einreise- und Arbeitsbeschränkungen ist daher eine Zustimmung zu einem Mittel der Spaltung der Klasse und der ideologischen und politischen Rechtfertigung jener Grenzen, die die v. a. die imperialistischen Staaten der Welt auferlegen.

Schließlich hat die Ausschließung von migrantischen ArbeiterInnen vom Arbeitsmarkt im Namen der „etablierten ArbeiterInnen“ immer einen chauvinistischen Kern, ähnlich der Ausschließung von Frauen vom Arbeitsmarkt im 19. Jahrhundert.

Das trifft auch auf alle anderen Behauptungen zu wie, dass MigrantInnen weniger Klassenbewusstsein hätten, womöglich reaktionäre Kräfte wie die Islamisten stärker würden. All das unterscheidet sich nicht grundsätzlich von den chauvinistischen Argumenten männlicher Arbeiter im 19. Jahrhundert, die befürchteten, dass die proletarischen Frauen konservativer wählen würden als der Durchschnitt.

Einem bestimmten Teil der ArbeiterInnenklasse wird damit wie bei allen chauvinistischen oder rassistischen Ideologien unterstellt, dass sie „von Natur“ aus rückständiger wären.

2. Behauptung: Es können nicht „unbegrenzt viele“ aufgenommen werden.

Erstens wird hier immer gern mit Phantasiezahlen hantiert. Die meisten Geflüchteten sind Flüchtlinge, die von einem Land der „Dritten Welt“ in ein anderes fliehen, oder Binnenflüchtlinge.

Zweitens steht dahinter immer auch eine Entschuldung des Imperialismus, zumal der eigenen herrschenden Klasse. Dieses System bringt durch Überausbeutung, direkte Plünderung, Unterstützung von Despotien, Krieg und Interventionen jene Bedingungen hervor, die Millionen und Abermillionen zur Flucht zwingen. Einreisekontrollen, bedeuten, dass die Staaten der imperialistischen Bourgeoisien und ihrer Verbündeten festlegen, wie viele der von ihr Ruinierten, zur Flucht Getriebenen in ein Kernland der Weltbeherrschung dürfen oder nicht.

In der gegenwärtigen Lage wäre es sogar recht leicht möglich, die Flüchtlinge in Europa in die hiesigen Gesellschaften zu integrieren. Ob die Integration realiter klappen kann, ist aber eine Frage des Klassenkampfes. Die herrschende Klasse und die Regierungen organisieren die „Flüchtlingspolitik“ und die Migrationspolitik bewusst so, dass sie Geflüchtete und MigrantInnen gegen die anderen Lohnabhängigen ausspielen und in einem permanenten Zustand der Unterdrückung und Benachteiligung halten. Essentielle Momente von Integration – wie gleicher Zugang zu Arbeit, Wohnen und Bildung – werden ihnen vorenthalten.

Die Integration auf dem Arbeitsmarkt wäre natürlich rasch möglich durch ein Beschäftigungsprogramm gesellschaftlich nützlicher Arbeit und Arbeitszeitverkürzung auf 30 oder weniger Stunden pro Woche. Wäre das mit einer sofortigen Anhebung des Mindestlohns auf 12,- Euro netto kombiniert, wären wenigstens die Reproduktionskosten aller gedeckt.

Auch hier zeigt sich, dass Migration und Flucht, Grenzen usw. eine Klassenfrage sind.

3. Behauptung: Offene Grenzen sind blauäugig und gehen mit einer Verharmlosung reaktionärer Eigenschaften von MigrantInnen einher

Dieser Konnex ist eine reine Konstruktion und in sich überhaupt nicht logisch. Natürlich gibt es unter MigrantInnen auch Reaktionäre, Menschen, die sexistisch, homophob, nationalistisch usw. sind. Das trifft aber auch auf die Deutschen zu. Der Kampf für volle StaatsbürgerInnenrechte bedeutet überhaupt nicht, dass die ArbeiterInnenbewegung oder die politische Linke reaktionäre Einstellungen von MigrantInnen nicht bekämpfen sollten.

In Wirklichkeit ist es jedoch die bürgerliche Politik, die bewusst reaktionäre Kräfte unter MigrantInnen fördert, beispielsweise um den Einfluss fortschrittlicher zu bekämpfen. Wenn heute Bürgerliche über Erdogans Einfluss unter türkischen MigrantInnen jammern, so sollten wir wenigstens nicht vergessen, dass bürgerliche, nationalistische und auch islamische Vereine unterstützt wurden, um den Einfluss von kurdischen und türkischen Linken zu schwächen.

All das zeigt, dass die Kritik, dass InternationalistInnen „blauäugig“ gegenüber reaktionären Tendenzen wären, verlogen ist. Es geht bei dieser Kritik auch nicht darum, ob diese Tendenz bekämpft werden soll. Vielmehr soll der Kampf gegen die rassistische Unterdrückung von MigrantInnen, für deren uneingeschränktes Bleiberecht, für volle StaatsbürgerInnenrechte, gegen Bespitzelung und Überwachung usw. delegitimiert und staatlicher Rassismus relativiert und gerechtfertigt werden.

Schließlich verkennen diese KritikerInnen der „offenen Grenzen“ und des konsequenten Anti-Rassismus die grundlegend fortschrittlichen Tendenzen der Arbeitsmigration. Die ArbeiterInnenklasse ist ihrem Wesen nach eine internationale, keine nationale Klasse. Die KapitalistInnen werden natürlich versuchen, neue Schichten, die zur ArbeiterInnenklasse stoßen, gegen andere auszuspielen. Gelingt es jedoch, diese Spaltung zu durchkreuzen, so zeigt sich immer wieder, dass das Infragestellen von „Selbstverständlichkeiten“ der ansässigen ArbeiterInnen, das Kennenlernen und Verschmelzen zu einer Bewegung ein extrem befruchtender Prozess ist, weil er neue Kampf- und Lebenserfahrungen bringt und auch „kulturelle Gewissheiten“, die oft einen konservativen Charakter tragen, in Frage stellt.

4. Behauptung: Das ist der ArbeiterInnenklasse nicht vermittelbar.

Das ist eigentlich kein Argument, sondern eine politische Kapitulationserklärung vor dem (vermeintlich) vorherrschenden Bewusstsein. Es ist letztlich eine Ausrede von vorgeblichen InternationalistInnen, gegen den vorherrschenden Chauvinismus in der Klasse zu argumentieren.

Das treibt nicht nur reformistische Organisationen um, sondern auch zentristische. So schreibt Hannah Sell von der Socialist Party (England und Wales) auf der Webseite der SAV:

„Gleichzeitig ist es aufgrund des Bewusstseins in der Arbeiterklasse nicht möglich, einfach eine simple Parole ‚für offene Grenzen‘ oder ‚für Abschaffung der Kontrollen bei der Einwanderung‘ aufzustellen. Das würde es nur erschweren, ArbeiterInnen für ein sozialistisches Programm zu gewinnen – sowohl was die Frage der Einwanderung als auch andere Punkte angeht. Eine solche Forderung würde die große Mehrheit der Arbeiterklasse zunächst abschrecken. Das gilt auch für viele bereits seit Jahren im Land lebende EinwandererInnen, die das als Bedrohung für ihre Arbeitsplätze, Löhne und Lebensbedingungen verstehen würden.“ (25)

Der Verzicht auf eine klare, anti-rassistische Losung erleichtert mitnichten, die ArbeiterInnen für ein sozialistisches Programm zu gewinnen, weil er das Programm selbst kompromittieren und ein Abgleiten zur staatlichen rassistischen Selektionspolitik bedeuten würde. Wer gegen offene Grenzen ist, ist letztlich für Obergrenzen der Migration. Darum kommt auch die SAV nicht rum.

Dass die Losung der offenen Grenzen größere Teile der ArbeiterInnenklasse abschreckt, mag zutreffen. Umgekehrt gibt es sehr wohl Situationen, wo ganze Schichten der Klasse und v. a. der Jugend in diese Richtung tendieren oder sogar offen dafür eintreten. Das trifft auf die Solidaritätsbewegung mit den Geflüchteten in Griechenland zu, aber auch die UnterstützerInnen der Geflüchteten im letzten Jahr gingen teilweise in diese Richtung. Genau diese Kräfte sind es, die zu einer bewussten Vorhut werden können, wenn es RevolutionärInnen schaffen, ihnen Argumente zu Hand zu geben und sie zu einer Bewegung zu formieren, die Bewusstsein in die ArbeiterInnenklasse trägt.

Die Position, dass die ArbeiterInnenklasse für die Forderung der „offenen Grenzen“ nicht gewonnen werden könnte, ist daher nicht nur eine Anpassung an die rückständigeren „weißen“, oft arbeiteraristokratischen Teile der Klasse. Sie führt auch dazu, dass jene Teile, die in diese Richtung drängen, politisch zurückgezerrt werden.

An der Frage der „offenen Grenzen“ zeigen sich freilich grundlegende Fragen zur Haltung zu unserer Gesellschaft. Erstens markiert sie eine Scheidlinie zwischen jenen, die den bestehenden bürgerlichen Staat bekämpfen, die in der eigenen Bourgeoisie ihren Hauptfeind erblicken – und ihr daher auch jedes Recht absprechen, darüber zu entscheiden, welche Menschen hier leben dürfen oder nicht, und den anderen „Linken“.

Zweitens markiert sie eine Scheidelinie zwischen Internationalismus oder einer nationalen Perspektive sozialer Veränderung. Vom Standpunkt einer sozialen Transformation in einem Land hin zu einem reformierten, sozialen Kapitalismus oder zu einem nationalen Weg zum Sozialismus hat die Befürwortung eines mehr oder minder selektiven Grenzregimes logisch Sinn. Vom Standpunkt der internationalen Revolution stellt es nur ein Hindernis für die Einheit der ArbeiterInnenklasse dar.

Schluss

MigrantInnen sind ein zentraler Bestandteil der Arbeiterklasse. In etlichen Betrieben sind sie Teil der kämpfenden Vorhut. In der Gesellschaft – oft auch in den ArbeiterInnenorganisationen – sind sie jedoch BürgerInnen zweiter und dritter Klasse. Vielen von ihnen werden elementare demokratische Rechte vorenthalten, z. B. das Wahlrecht. An Schulen, Unis, in der Ausbildung werden sie benachteiligt. Auch bei gleicher Qualifikation sind sie härter von Arbeitslosigkeit und Armut bedroht.

Hinzu kommt rassistische Hetze nicht nur von Faschisten und Rechtsextremen, sondern auch aus der „Mitte“ der Gesellschaft von Hetzern wie Sarrazin und vom bürgerlichen Staat.

Die Frage eines Verständnisses der Wurzeln des Rassismus, seines Verhältnisses zum Klassenkampf und der notwendigen Taktiken zu seiner Bekämpfung sind daher heute Schlüsselfragen für die ArbeiterInnenbewegung und die radikale Linke. Die Einheit in der Aktion und der Aufbau einer bundesweiten antirassischen Massenbewegung sind heute zentrale Aufgaben, um den Rechtsruck zu bekämpfen und die Angriffe der Regierung zurückzuschlagen. Wie wir gezeigt haben, versteht sich das jedoch nicht von selbst. Ein richtiges Verständnis der Bewegung, die wir aufbauen wollen, erfordert auch eine Kritik an den Fehlern von ReformistInnen, Post-Autonomen, ZentristInnen. Nur auf Grundlage einer solchen Klärung wird es möglich sein, den anti-rassistischen Kampf mit dem gegen den Kapitalismus zu verbindenl.

 

Endnoten

(1) Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 472, Berlin 1964

(2) https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/fluechtlinge/zahlen-fakten

(3) https://www.die-linke.de/partei/organe/parteitage/magdeburger-parteitag-2016/ beschluesse-und-resolutionen/fuer-demokratie-und-solidaritaet-gegen-den-rechtsruck/

(4) Ebenda

(5) Ebenda

(6) Ebenda

(7) Ebenda

(8) Ebenda

(9) https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/3-september/

(10) Ebenda

(11) Ebenda

(12) https://www.aufstehen-gegen-rassismus.de/aktuelles/train-the-trainer-seminar-nord-ost/

(13) Ebenda

(14) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/grenzenlos-feministisch

(15) Ebenda

(16) Pegida – schon wieda?, http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/pegida-schon-wieda

(17) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/grenzenlos-feministisch

(18) http://www.interventionistische-linke.org/beitrag/die-soziale-frage-ist-offen-lassen-wir-sie-nicht-rechts-liegen

(19) Ebenda

(20) https://umsganze.org/kampagnentext-2016/

(21) Ebenda

(22) Ebenda

(23) Ebenda

(24) Ebenda

(25) https://www.sozialismus.info/2013/01/kapitalismus-globalisierung-und-migration/