Krise der NaO: Revolutionäre Einheit oder plurale Beliebigkeit?

Martin Suchanek, Neue Internationale 201, Juli/August 2015, Revolutionärer Marxismus 47, September 2015

Die Krise des NaO-Prozesses ist offensichtlich. Wenn es auch sonst wenig Einigkeit geben mag – dass der Prozess schon länger in der Krise ist, darüber gibt es wohl wenig Dissens.

Damit ist es mit der Einigkeit auch vorbei. Trotz beachtlicher politischer Initiativen ist der Prozess an einem Scheideweg angelangt. Ende 2013 war die NaO durch die Verabschiedung eines Gründungs-Manifests und im Februar 2014 durch die Gründung der Berliner NaO als Ortsgruppe von einer Aufbruchstimmung geprägt.

In Berlin und auch bundesweit erlangte die NaO eine gewisse Ausstrahlungskraft. Sie wuchs nicht nur in Berlin und einzelnen Städten, sie konnte auch über ihre formelle Größe hinaus andere Strömungen in Diskussion ziehen oder wurde von diesen als Referenzpunkt betrachtet – und sei es durch die Notwendigkeit der Abgrenzung.

Die positiven Seiten zeigten sich in der Annahme eines vorläufigen Manifests und der darin enthaltenen Verpflichtung, auf eine revolutionäre Vereinigung hinzuarbeiten. Der strömungsübergreifende Charakter der NaO wurde nicht als Ziel an sich, sondern als Mittel zur Schaffung einer größeren, schlagkräftigeren revolutionären, anti-kapitalistischen Organisation betrachtet.

So heißt es im NaO-Manifest: “Dieses Manifest stellt die Grundlage für das Handeln der NAO, die Basis für unseren Aufbau dar. Es ist jedoch noch weit davon entfernt, ein Programm einer revolutionären Organisation darzustellen, in der die politischen Differenzen der jeweiligen Strömungen überwunden wären. Die Erfahrungen der antikapitalistischen Organisationen in anderen Ländern haben gezeigt, dass Differenzen nicht totgeschwiegen oder hinter Formelkompromissen versteckt werden dürfen. Gerade in einer Umbruchperiode werden Anti-KapitalistInnen rasch vor politische und programmatische Fragen gestellt, die in Zeiten längerfristig relativ stabiler Entwicklung in weiter Ferne schienen.

Eine Aufgabe der NAO wird sein, an der Diskussion und Überwindung dieser Differenzen und an der Ausarbeitung eines Aktionsprogramms zu arbeiten. Für uns steht diese Arbeit nicht im Gegensatz zur gemeinsamen Praxis und zum Aufbau – vielmehr sollen und können diese einander wechselseitig befruchten.“ (Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, www.nao-prozess.de)

Erfolge

Auf die Gründung der NaO erfolgten unserer Meinung nach wichtige politische und praktische Initiativen und Fortschritte.

  • Die NaO nahm mehrere revolutionäre Stellungnahmen zur Ukraine, zum Kampf gegen das Kiewer Regime, zum Massaker in Odessa und zur Unterstützung des anti-faschistischen und sozialen Widerstands an. Sie initiierte und organisierte Veranstaltungen mit Genossen von Borotba und Demonstrationen gegen die Ukraine-Politik der Bundesregierung und der westlichen Imperialisten.
  • Sie unterstützte den Kampf gegen die rassistische Politik des zionistischen Staates und die Soli-Demos im Sommer 2014 sowie Solidaritätsdemonstrationen und -aktionen zum Nakba-Tag in Berlin und Stuttgart.
  • Am revolutionären Ersten Mai in Berlin trat die NaO als eine zentrale Kraft hervor. Wir prägten 2014 und 2015 die Demonstrationen entscheidend mit und schafften es auch, ihren Bezug zum internationalen Klassenkampf gegen Krise und Krieg ins Zentrum der Mobilisierung zu rücken.
  • Gruppen aus der NaO waren im Refugee-Schulstreik sehr aktiv wie auch im Kampf gegen die rassistischen Ableger der Pegida.
  • Wir initiierten die Kampagne „Waffen für die YPG/YPJ! Solidarität mit Rojava!“, waren bei zahlreichen Mobilisierungen aktiv und entwickelten zugleich unsere Position zum Kampf um nationale Befreiung und zur Rolle der PYD/PKK in Kurdistan.
  • Zu Griechenland war die NaO nicht nur an Solidaritätsaktivitäten beteiligt. Wir entwickelten auch eine Position, die eine sozialistische Perspektive für Griechenland vertritt, sich gegen den deutschen und internationalen Imperialismus, aber auch gegen die politische Ausrichtung der Syriza/Anel-Regierung wendet, den Bruch mit der rassistischen Anel fordert und für eine ArbeiterInnenregierung eintritt.
  • Die NaO organisierte regelmäßig Veranstaltungen, tw. mit hunderten TeilnehmerInnen, und sehr erfolgreiche „Internationalismustage“ im Herbst 2014.

Ursachen der Krise

Diese Liste ließe sich fortsetzen. Wichtig ist es jedoch zu sehen, worin die Ursachen für die aktuelle Krise der NaO liegen.

Sie erklärt sich z.T. aus der geringen Dynamik des Klassenkampfs in Deutschland, die es  erschwert, eine neue anti-kapitalistische revolutionäre Organisation zu schaffen, zumal der größte Teil der „radikalen Linken“ politisch nach rechts ging. Nicht nur die Linkspartei steht dafür, sondern auch ein großer Teil des „postautonomen Spektrums“.

Die politischen Schritte vorwärts, v.a. die Positionen zur Ukraine und  zu Griechenland, rückten auch die Differenzen in der NaO in den Vordergrund. Von Beginn an standen der RSB (aber auch die ISL, also beide Sektionen der sog. „Vierten Internationale“) dem Aufbau einer aktiven Mitgliederorganisation und der verbindlichen Teilnahme der Mitglieder der NaO-Gruppen an deren vereinbarten Aktivitäten, vorsichtig ausgedrückt, skeptisch gegenüber.

Die Bildung der NaO Berlin bedeutete aber auch, dass eine Ortsgruppe und eine Koordinierung geschaffen wurden, die nur aufgebaut werden können, wenn sich die NaO zu wichtigen politischen Fragen laufend positioniert. Nur so kann sie gemeinsame Handlungsfähigkeit erzielen und zugleich auch einen Schritt zur Überwindung politischer Differenzen und Herstellung von Gemeinsamkeiten leisten.

Dieser Prozess ist unvermeidlich immer auch mit der Möglichkeit des Gegenteils – der Verfestigung von Differenzen und des Bruchs – verbunden. Es gibt zu ihm aber keine realistische Alternative, es sei denn, man betrachtet Inaktivität und Schweigen als solche.

Daher entwickelten sich die Berliner NaO und deren Koordinierung praktisch bundesweit zur maßgeblichen Gruppierung. Andere Ortsgruppen folgten entweder deren politischen Initiativen oder verhielten sich mehr oder minder passiv.

In jedem Fall spitzen sich die Konflikte in der NaO massiv zu. In der Frage der Ukraine oder Griechenlands, der Haltung zum Maidan oder zum Widerstand gegen das Kiewer Regime, zur Anel-Koalition und zur Frage der ArbeiterInnenregierung in Griechenland vertreten die GenossInnen von Arbeitermacht und Revolution einen klaren, proletarischen Klassenstandpunkt – ISL/RSB, wie die ganze „Vierte Internationale“, jedoch nicht.

Hier handelt es sich nicht um „Stilfragen“ oder Fragen von mehr oder weniger Rücksichtnahme, sondern um grundlegende Klassenpositionen, wo es auch keinen Spielraum für Kompromisse geben kann. Da die NaO-Mehrheit in den grundlegenden politischen Fragen eine linke Position einnahm, stimmen ISL und RSB beim NaO-Aufbau mit den Füßen ab. Statt eine Auseinandersetzung zu suchen, wichen sie den politischen Fragen aus.

Die Krise der NaO liege ihrer Meinung nach nicht in den grundlegenden Differenzen, wo sich die NaO eben für diese oder jene Richtung entscheiden muss, sondern in der „Dominanz“ der GAM und von REVOLUTION, in deren „Stil“.

Ginge es nur darum, wären die Probleme der NaO leicht zu lösen. In Wirklichkeit ist damit eine weitere, grundlegende Differenz verbunden, die wir nicht nur zu ISL/RSB, sondern auch zu den GenossInnen der ARAB und etlichen aus der ehemaligen SIB in der NaO haben. Es geht darum, worin eigentlich das Ziel des Prozesses besteht, was aus der NaO schließlich werden soll?

Ziel und grundlegende Fragen der Umgruppierung

Für uns war immer klar (und wir haben das immer klar formuliert): Die NaO ist ein Mittel zum Zweck beim Aufbau einer größeren revolutionären Organisation auf Basis eines revolutionären Programms.

Programm und Aktivität sind dabei für uns nicht entgegengesetzt, sondern ergänzen sich. Letztlich muss aber die NAO ihren Wert darin behaupten, ob sie eine richtige politische Orientierung liefern kann und mit dieser auch auf andere Milieus, Gruppen, Umgruppierungsprojekte einwirkt und so eine breitere Umgruppierung voranbringt.

Der rechte Flügel der NaO sieht das anders. Er hat sich vor kurzem als Strömung „NaO Wolken“ formiert, praktisch eine Anti-GAM/REVO-Fraktion.

Die politische Grundlage der „Wolken“ ist rein negativ. Bei allen Unterschieden wollen sie keine politisch ausgewiesene, genuin revolutionäre Organisation. Die meisten von ihnen wollen weniger „Aktivismus“, also eine weitere Reduktion des öffentlichen Profils der NaO. Und sie wollen gar keinen ernsthaften Versuch der Überwindung politischer Differenzen. Statt dessen beschwören sie den „politischen Kompromiss, die Suche nach Konsens“. Man müsse das „Gemeinsame“ vor das „Trennende“ stellen.

Diese Formeln erwiesen sich anhand jeder wichtigen aktuellen politischen Frage als leer, als vollkommen unzureichend. Jede politische Organisation braucht zu grundlegenden Fragen wie zu Kernfragen des Klassenkampfes eine einheitliche Position. Der Versuch, in einer tiefen Krisenperiode diese Fragen durch „Formelkompromisse“ oder durch die Beschränkung auf einige Aktionslosungen zu lösen, bedeutet unvermeidlich, dass eine solche Organisation den an sie objektiv gestellten Anforderungen nicht gerecht werden und auch keine revolutionäre, anti-kapitalistische Alternative zum Reformismus entwickeln kann.

Das verweist auf die Kerndifferenz mit den NaO Wolken. Sie wollen eine „plurale“, breite, antikapitalistische Organisation, die kein revolutionäres Programm hat und das auch gar nicht anstreben soll. Die politische Vereinheitlichung eines Umgruppierungsprozesses, dessen Bestandteile aus unterschiedlichen Traditionen und Strömungen kommen, halten sie für unmöglich. Programmatische Klarheit würde zur Verengung führen.

Das Gegenteil ist richtig. Der Verzicht auf politische Klärung führt inhaltlich unwillkürlich zur Anpassung an den Reformismus, allenfalls zu einer schwankenden zentristischen Politik, die im „extremsten“ Fall ultra-linke Abenteuer mit biederer Routine verbinden mag. Eine solche Ausrichtung würde unwillkürlich zum Scheitern der NaO führen und den Bruch mit der im Manifest der NaO enthaltenen Idee bedeuten, eine revolutionäre Organisation auf Basis eines gemeinsamen Aktionsprogramms zu schaffen.

Dieser Weg mag, ja wird über eine ganze Reihe von Vermittlungsschritten führen – sein Ziel erreichen kann er nur, wenn er aktive politische Außenorientierung mit programmatischer Klärung verbindet.




5 Jahre NaO – Bilanz und Lehren eines Umgruppierungsprojekts

Wilhelm Schulz, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Das Projekt „Neue Antikapitalistische Organisation“ (NaO) ist nach gut fünf Jahren gescheitert. Das stellt sie selbst in ihrer Auslösungserklärung fest, die wir im Anhang dokumentieren. Knapp und korrekt wird darin benannt, woran dieser Versuch gescheitert ist, eine größere und schlagkräftige revolutionäre Organisation zu bilden:

„Der zweite, zentrale Grund für die Stagnation der NaO ist in den politischen Differenzen zu sehen. Sie sind der Grund nicht nur für die numerische Stagnation, sondern auch dafür, dass die in der NaO organisierten politischen Kräfte sich nach anfänglicher Konvergenz wieder mehr und mehr auseinanderentwickelt haben.“ (1)

Diese Einschätzung steht am Ende eines langen, manchmal nervigen und ernüchternden, immer aber auch politisch lehrreichen Prozesses. Im Folgenden werden wir wesentliche Momente dieser Entwicklung nachzeichnen und Wendepunkte bewerten. Es geht uns dabei um keine Geschichte der NaO, wohl aber darum, zu verdeutlichen, worin ihre Potentiale bestanden und warum diese leider nicht realisiert wurden.

Ausgangspunkt

Die Krise von 2008 stellt bekanntlich einen historischen Wendepunkt dar. Der Kapitalismus ist in eine systemische, weltweite Krisenperiode eingetreten, die nicht nur mit einer chronischen Instabilität, sondern auch einer tiefen Erschütterung des gesamten gesellschaftlichen Gefüges einhergeht.

Die Krise stellt auch die „radikale Linke“, also alle jene Kräfte, die sich selbst als anti-kapitalistisch, revolutionär oder kommunistisch verstehen, vor die Aufgabe, wie sie eine Alternative zum Reformismus aufbauen können und politisch wirkungsmächtig werden. Die „Anti-Krisenbewegung“ hatte in Deutschland gezeigt, dass sie im Verbund mit LinksreformistInnen und linken GewerkschafterInnen zwar Zehntausende auf die Straße bringen konnte. Trotz dieser sektoralen Mobilisierungsfähigkeit, trotz der Erschütterung der bürgerlichen Herrschaft und ihrer ideologischen Begründungen nach 2008 blieb der Einfluss der „radikalen Linken“ jedoch politisch marginal. Die Durchsetzung einer relativen Stabilisierung des deutschen Imperialismus, die erst jetzt ihrem Ende entgegengeht, ging mit einer Desorientierung und teilweisen Demoralisierung einher, aber auch mit der Einsicht bei etlichen Organisationen und Linken, dass eine Diskussion um die organisatorische und politisch-programmatische Neuausrichtung der „radikalen Linken“ auf der Tagesordnung stand.

Das war Ausgangspunkt für eine Reihe von programmatisch losen Blöcken linker Organisationen wie der Interventionistischen Linken, dem [… Ums Ganze!]-Bündnis oder dem 3A-Bündnis.

Die NaO war ein Versuch, eine gemeinsame Antwort auf diese sich regelmäßig überschlagenden Probleme zu finden. Sie war der gemeinsame Anspruch, eine kämpfende Organisation aufzubauen, die eine programmatische Diskussion und Klärung mit gemeinsamer Praxis kombinieren sollte. Kurz gesagt: Der Vorstoß zur Gründung einer NaO war der Versuch, eine Antwort zu den konkreten Problemen der radikalen Linken und in Bezug auf die Führungskrise der ArbeiterInnenbewegung zu geben – wenn auch die daran Beteiligten von Beginn an unterschiedliche Vorstellungen hatten, um welche Organisation es sich dabei genau handeln sollte. In jedem Fall gab dieser Prozess einer kleinen revolutionären Organisation wie der Gruppe ArbeiterInnenmacht die Möglichkeit, aktiv um die politische Ausrichtung und Formierung des Projekts zu kämpfen und es zu einem Attraktionspol für andere Gruppierungen und Individuen zu machen.

Entstehung des NaO-Prozesses

Im März des Jahres 2011 veröffentlichte die „Sozialistische Initiative Schöneberg“, später „Sozialistische Initiative Berlin“ (SIB) genannt, das sogenannte „Na endlich“-Papier (2). Darin beschreibt sie die radikale Linke in ihrer fortwährenden Marginalisierung und kritisiert ihr Versagen, auf die historische Krise des Kapitalismus gemeinsame Antworten zu entwickeln. Gleichzeitig sieht sie unterschiedliche Gruppierungen, vor allem Avanti, Mitglied der Interventionistischen Linken (IL), die Frage nach Programm und Organisation anstoßen.

Um diesen zeitweise nach links gehenden Gruppen, die sich entweder in Umorientierung oder einer tiefgehenden inneren Krise befinden, anzusprechen, schlägt die SIB eine politische KampfpartnerInnenschaft in einem gemeinsamen Block mit dem Ziel vor, eine Organisation links von der Linkspartei aufzubauen. Dieser soll Teilen der kämpfenden ArbeiterInnen und Jugendlichen sowie allen jenen Linken, die nicht bloß in der reformistischen Linkspartei auf politisch bessere Zeiten hoffen wollen, eine Perspektive bieten. Zentrale Grundlagen dieser Umgruppierung sollten dabei die folgenden fünf Punkte sein: 1. Konzept des revolutionären Bruchs, 2. Keine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise, 3. Klassenorientierung, 4. Einheitsfront-Methode, 5. (Eine gewisse) organisatorische Verbindlichkeit.

Unterschiedlichste Linke verhalten sich zu diesem Papier, wie beispielsweise Avanti, die Revolutionär Sozialistische Organisation (RSO), die Revolutionär Internationalistische Organisation (RIO).

Andere wie die Internationale Sozialistische Linke (isl), der Revolutionär Sozialistische Bund (RSB), die Internationalen KommunistInnen (InterKomm), International Bolshevik Tendency (IBT), paeris, Sozialistische Koordination (SoKo), Marxistische Initiative (MI), Revolutionäre Initiative Ruhrgebiet (RIR), die Partei der Sozialistischen Neugründung (SYKP), die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB), Teile des Palästina-Solidaritätskomitees Stuttgart sowie REVOLUTION und ArbeiterInnenmacht werden sich in den kommenden Jahren mehr oder minder aktiv am Prozess beteiligen, einige davon als BeobachterInnen, andere als Mitgliedsorganisationen.

Im Mai 2012 wurde ein Selbstdarstellungsflugblatt veröffentlicht, welches den bisherigen Stand der Debatte beschrieb und eine Veröffentlichung des bisherigen UnterstützerInnenkreises darstellte (SIB, SoKo, RSB, InterKomm, später die Online-Zeitung Scharf-Links) (3). Anfang 2012 traten wir als BeobachterInnen der NaO bei, um dann zur Sommerdebatte im August des Jahres Mitglied des Prozesses zu werden.

Im Unterschied zu konkurrierenden Projekten hatte das der NaO den Vorzug, dass es nicht nur auf gemeinsame Kampagnen oder einzelne Positionspapiere zielte, sondern auch anerkannte, dass es einer programmatischen, inhaltlichen Grundlage zum Aufbau einer neuen anti-kapitalistischen Organisation bedarf. Natürlich war uns von Anfang an klar, dass es tiefe politische Differenzen dazu in der NaO gab, aber dies war mit einer ernstzunehmenden Bereitschaft zur politischen Diskussion verbunden. Die SIB, deren Kern aus der Tradition der Vierten Internationale kam, bewegte sich eindeutig nach links. Das traf teilweise auch auf den RSB zu. Dieser erschien am Beginn wie ein Zugpferd des NaO-Prozesses (und agierte bis Anfang/Mitte 2013 auch noch so). Allerdings wurde mit der Zeit immer deutlicher, dass sich der RSB schon zur Gründung der NaO in einer Existenzkrise befand, die ständig tiefer wurde, so dass die Mehrheit der Organisation offenkundig die Fusion mit der isl als einzige Rettung betrachtete.

Innere Krisenhaftigkeit war letztlich ein Kennzeichen aller Gruppen im NaO-Prozess außer der GAM und später REVOLUTION. Die Bereitschaft, sich auch mit einer Organisation wie der GAM auf politisch-programmatische Diskussionen einzulassen und sich an einer Initiative zum Aufbau eine neuen anti-kapitalistischen oder gar revolutionären Organisation zu beteiligen, war letztlich selbst ein Resultat nicht nur „besserer Einsicht“, sondern einer Krise, die die Grenzen ihrer bisherigen Politik aufzeigte.

Das ist grundlegend für alle Umgruppierungsprozesse kleinerer zentristischer oder „links-radikaler“ Gruppierungen, also von Gruppen, die zwischen Reform und Revolution, Sektierertum und Opportunismus schwanken. Innere Krisen  – letztlich selbst das Resultat objektiver Entwicklungen – bedeuten, dass Teile von ihnen nach links gehen wie auch diese Organisationen politisch in Fluss geraten.

Das schafft die Bedingungen dafür, dass sich RevolutionärInnen auf solche Prozesse positiv beziehen können, ja es schafft die Voraussetzungen, dass sich RevolutionärInnen an solchen Prozessen aktiv beteiligen müssen.

So boten sich über die NaO einige Möglichkeiten wie die zur Verbreitung des Kreises (inklusive von politisch erfahrenen Kadern), den unsere  Positionen erreichen, wie zur Intervention in einen möglichen Aufbau- und Zerfallsprozess zugleich und zur Sammlung einiger wichtiger Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit eingefleischten ZentristInnen für uns und unsere internationale Strömung. Auch wenn wir uns darüber im Klaren waren, dass mit zentristischen Kadern keine revolutionäre Partei aufzubauen ist, sofern sie nicht bewusst mit ihrer Position brechen, war es unsere Aufgabe einen Kampf um die politische Ausrichtung und das potentielle Umfeld dieses Prozesses zu führen.

In diesem Zeitraum entschieden wir uns als ArbeiterInnenmacht dazu, Mitgliederorganisation innerhalb der NaO zu werden. Auf der Sommer-Debatte im August 2012 diskutierten wir somit erstmals intensiv über Schlüsselfragen.

  • Die Frage der Frauenunterdrückung, wobei sich hier ernste Differenzen, die sich später auch im NaO-Manifest zeigen sollten, abzeichneten. Entscheidend war dabei die Frage des Verhältnisses von Frauenunterdrückung und Ausbeutung.
  • Die ökologische Frage, wobei es hier innerhalb der späteren NaO-Gruppen weniger offenkundige Differenzen gab, wohl aber mit der nur als „Beobachter“ teilnehmenden RSO, die für den Ausbau der Atomkraft im Sozialismus eintrat.
  • Außerdem zeigten sich Differenzen in der Frage der Einheitsfront und des Reformismus. So bestritten einige GenossInnen, ob diese Taktik für kleine Gruppen heute überhaupt anwendbar sei. Andere wiederum wollten von allzu viel Kritik an den BündnispartnerInnen nichts wissen. Hinzu kamen ein unterschiedliches Verständnis des Reformismus, der „bürgerlichen ArbeiterInnenpartei“ – eine in Deutschland jeden Diskussionsprozess umtreibende Frage.
  • Schließlich zeigten sich wichtige Differenzen bezüglich der Einschätzung von „breiten“ Umgruppierungsprojekten, die jedoch offen und auch problemorientiert besprochen wurden. Es gab einerseits Konsens darüber, dass RevolutionärInnen darin intervenieren und offen die Gefahren dieser Projekte aufzeigen müssten. Wie offen das zu geschehen habe, darüber schieden sich jedoch die Geister, vor allem aber an der Frage: War und ist das Ziel des Projekts, eine revolutionären Organisation zu schaffen auf Grundlage eines solchen Programms oder kann es letztlich nur in einem zentristischen Programm bestehen?

Beim Beitritt zur NaO waren wir uns dieser Differenzen nicht nur bewusst, wir erklärten das auch offen und transparent:

„Es wird wesentlich sein, wie die NaO programmatische Klärungen auch in die Praxis umsetzt. Eine NaO, die ‚nur‘ diskutiert, wird dem ‚Zirkelwesen‘ der radikalen Linken eben kein Ende setzen können, genau wie eine NaO ohne programmatische Klärung zur Minimal-Alternative zur Linkspartei verkommen könnte bzw. dieser letztlich nichts entgegensetzen würde. Wenn wir über eine Organisation links von der LINKEN sprechen, dann müssen wir an die Traditionen des revolutionären Kommunismus anschließen, auch wenn hierzulande nicht allzu viele präsent sein mögen. Es muss in NaO um Rätedemokratie, Revolution und Kommunismus gehen – diese Alternative ist notwendig!

Die Gruppe Arbeitermacht will diesen Prozess konstruktiv, d. h. auch kritisch voranbringen – programmatische Klärung und gemeinsame Praxis müssen dabei Hand in Hand gehen. Unser Ziel ist es, in der BRD wieder eine starke revolutionäre Kraft, eine kommunistische Partei aufzubauen, die tatsächlich den herrschenden Reformismus in weiten Teilen der Klasse herausfordern kann. Wir brauchen keine nächste IL o. a. vermeintlich radikalen Bündnisse oder Blöcke, die zwar gern vom Kommunismus sprechen, sich aber in der politischen Realität dann doch immer nur den Spitzen der LINKEN oder des DGB unterordnen und es ablehnen, eine systematische Programmatik zu erarbeiten.“ (4)

Auch wenn die NaO heute gescheitert ist, so sind wir davon überzeugt, dass es richtig war, diesem Prozess beizutreten.

Er stellte die richtigen Fragen bezüglich der Organisierung von RevolutionärInnen. Es war kein Prozess, der sich nur mit „Netzwerkerei“ begnügte. Er gab sich auch nicht der letztlich opportunistischen Illusion hin, dass eine gemeinsame revolutionäre Organisation nur oder in erster Linie aus der gemeinsamen Praxis erwachsen könne. Genau das ist bei Diskussionsprozessen zwischen kleinen Gruppen grundsätzlich nicht möglich, weil sie selbst die Richtigkeit ihre Politik nicht unmittelbar im Klassenkampf beweisen können. Sie können aber sehr wohl die Erfahrungen des Kampfes verallgemeinern und daraus theoretische und programmatische Folgerungen ziehen.

Ob eine wirklich gemeinsame Organisation – also eine, wo es keine verschiedenen Mitgliedschaften mehr geben wird – zustande kommt, hängt deshalb letztlich entscheidend davon ab, ob ein gemeinsames Programm entwickelt werden kann.

Die NaO bot 2012 und in den folgenden Jahren konkret die Möglichkeit, im Zuge eines Diskussionsprozesses und gemeinsamen Handelns einen Block zu bilden, der insgesamt oder in Teilen entweder zu einer größeren gemeinsamen revolutionären Organisation wird oder scheitert und wieder zerfällt.

Dass die NaO wieder zerfallen ist, auch wenn wir, was für eine kleine kämpfende Propagandagruppe nicht unwichtig ist, einige Kader näher an uns ziehen konnten, spricht nicht gegen diese Taktik. Erstens ist die Gewinnung oder das Heranziehen von Kadern für eine kleine Gruppierung durchaus ein wichtiger Schritt vorwärts. Zweitens ist die Chance des Scheiterns bei jedem Umgruppierungsprozess größer als die seines Gelingens, wie auch die Erfahrung der trotzkistischen Bewegung in den 30er Jahren zeigt. Der Kampf um programmatische Einheit und Überwindung von Differenzen erscheint dabei sowohl dem Sektierer wie dem Opportunisten als schier unüberwindliches Hindernis.

„Die Lösung dieses Dilemmas besteht darin, taktische Flexibilität, Offenheit gegenüber Neuformierungsprozessen – also im Grunde nichts anderes als Offenheit gegenüber anderen Teilen der Arbeiterbewegung – mit Prinzipienfestigkeit, mit dem Kampf für das eigene, revolutionäre Programm zu verbinden.

Sektierer und Opportunisten lehnen das gleichermaßen ab, nicht zuletzt, weil sie eine Grundposition teilen: beide halten Einheit auf revolutionärer Basis letztlich für unmöglich.

Der Sektierer hat es ‚schon immer gewusst‘, erklärt die Diskussion für erledigt, bevor sie begonnen hat. Für ihn ist daher jeder Teilschritt nur ein weiterer ‚Beweis‘ dafür, dass nur seine Sekte das Programm behüten kann (und sei es um den Preis, den heiligen Gral vor der Welt zu verbergen).

Der Opportunist ‚weiß‘ auch, dass nur ein Kompromiss möglich ist, dass nie ein revolutionäres Programm erarbeitet werden kann. Aber er zieht den umgekehrten Schluss. Ihm ist die Zahl heilig (oder jedenfalls die Hoffnung darauf). Für ihn ist jede Sekte ‚Beweis‘ der Nutzlosigkeit – nicht nur des Sektierertums, sondern des Programms und der Prinzipien, die in den Händen des Sektierers allerdings zum Fetisch werden.“ (5)

Es ist kein Zufall, dass sowohl die Sektierer wie die Opportunisten an allen Wende- und Krisenpunkten der NaO immer wieder der GAM den Vorwurf machten, sich überhaupt mit anderen Strömungen in der NaO abzugeben (statt „für sich“ zu bleiben) oder aber zu wenig „kompromissbereit“ zu sein, also keine programmatischen, inhaltlichen Zugeständnisse zu machen.

In allen Debatten verdeutlichten wir unsere Position, dass alle Entwicklungsschritte, Organisationen und Strukturen auf dem Weg zu einer revolutionären ArbeiterInneninternationale für uns taktische Zwischenschritte sind. Taktische Zwischenschritte, deren politischer Wert sich daran zu messen hat, ob und wie sehr sie diesem eigentlichen politischen Ziel näher kommen. Daher war für uns der NaO-Prozess auch kein Ziel an sich, sondern nur ein Mittel auf diesem Weg, zu diesem Zweck. Ein Mittel, das nun an seine Grenzen gestoßen ist und begonnen hat zu faulen. Weshalb und wieso, werden wir im letzten Teil dieses Zeitstrahls verdeutlichen.

Jedoch muss ebenfalls klar gesagt werden, dass wir es immer ablehnten, die revolutionäre Organisation in der Form eines Ultimatums zu präsentieren. Uns ist bewusst, dass es dazu eines längeren Diskussionsprozesses bedarf – eines Diskussionsprozesses, der unter Strömungen und GenossInnen geführt wird, der langjährige wichtige politische Differenzen betrifft, die bislang einer Vereinigung der verschiedenen Gruppierungen entgegenstanden. Zu diesem Zeitpunkt und auch darüber hinaus war diese Möglichkeit gegeben.

2013 – ein verlorenes Jahr

Auf der Sommerdebatte 2012 war verabredet worden, dass rasch ein Manifest des NaO-Prozesses (noch kein Programm) verfasst und beschlossen werden sollte, das die vorläufigen Grundlagen des Diskussionsprozesses wie die Ziele und weiteren Aufgaben der NaO als Aufbauprojekt öffentlich darlegen sollte. Doch dieser Prozess zog sich hin einerseits wegen politischer Divergenzen der Entwürfe, die von GAM, RSB und SIB kamen, zum andern aber auch, weil ein Teil der Gruppen auf die politische Bremse trat.

Das Jahr 2013 war leider keines der nach außen gerichteten Arbeit bei gleichzeitiger politischer Annäherung. Mitgliedsorganisationen oder aktive BeobachterInnen waren in diesem Zeitraum die SIB, isl, RSB, SoKo, RIR, REVOLUTION (ab Januar 2013 BeobachterIn, mit Verabschiedung des NaO-Manifests Mitgliederorganisation), InterKomm, MI, Paeris, IBT und ArbeiterInnenmacht.

Etliche der Kleinstgruppen (insb. IBT, InterKom, Paeris, aber auch Einzelpersonen um DGS in der SIB) verband dabei hauptsächlich eines: die Vorstellung, dass zuerst alle Streitpunkte zwischen den unterschiedlichen Organisationen beseitigt werden müssen, bis es zu gemeinsamen Interventionen nach außen kommen könnte. Dieser Prozess beschränkte sich weitgehend auf endlose Debatten über die oben erwähnten „5 unverhandelbaren Punkte“ und etwaige Ergänzungen im NaO-Diskussionsblog, oftmals Essentials genannt. Dies nahm dem Prozess stark die äußere Dynamik, da es sich hierbei vielmehr um einen Debattierclub handelte, der sich erst als „fertiges revolutionäres Projekt“ nach außen wagen konnte. Hierbei muss angemerkt werden, dass die MI sich stetig für die Notwendigkeit der Aktionseinheit aussprach, jedoch keine eigene Dynamik entwickelte dies umzusetzen und die IBT stetig die schiere Unmöglichkeit betonte, eine gemeinsame Programmatik zu entwickeln.

Außerdem lehnten diese Gruppen eine individuelle Mitgliedschaft innerhalb der NaO ab, was die Gewinnung kämpfender ArbeiterInnen und Jugendlicher, ja generell von Einzelpersonen schier unmöglich gemacht hätte. Dieser Prozess war jedoch ein notwendiger Schritt, um die Mehrheit der SIB-GenossInnen, sowie SoKo, RSB und isl, wenn leider auch nur zeitweise, von einer gemeinsamen nach außen gerichteten Kampagnenfähigkeit zu überzeugen. Zeitgleich nahm diese fehlende Interventionsfähigkeit auch die weiterreichende Ausstrahlungskraft des „Na endlich“-Papiers und bot somit schwankenden und zaudernden Elementen die Möglichkeit, die grundlegende Notwendigkeit der Umgruppierung oder die Fähigkeit der NaO, dieses zu erfüllen, in Frage zu stellen.

Dabei zeigten propagandistische Erfolge wie z. B. eine Veranstaltung mit Besancenot und anderen, die von 300 Menschen im Berliner IG Metall-Haus besucht wurde, dass es ein echtes Potential für die Gewinnung von Interessierten gab, was jedoch im Inneren der NaO blockiert wurde.

So kam es im zweiten Teil des Jahres 2013 zum Bruch mit Gruppen wie InterKomm, Paeris, IBT, MI (wenn auch bei letzterer eher aufgrund des kommentarlosen Fernbleibens) und Einzelpersonen bzw. Ex-SIB-Mitgliedern wie DGS und Systemcrash. Wir sehen in dem zu langen Ausharren dieser beiden Flügel innerhalb des NaO-Prozesses eine zentrale Ursache für die danach geschwächte NaO als Ganzes. Wir ziehen hieraus die Lehre in Zukunft, unfruchtbare Diskussionsprozesse mit linksradikalen Sekten rechtzeitig zu beenden zugunsten der politischen und praktischen Weiterentwicklung der kämpfenden und dynamischeren Elemente in solchen Umgruppierungsprojekten.

Ebenfalls in der zweiten Hälfte von 2013 wurde das NaO-Manifest von den verbliebenen Gruppen diskutiert und im Dezember 2013 kurz nach der NaO-Winterdebatte veröffentlicht. Klar formuliertes Ziel war es jedoch immer, dieses auszuarbeiten und ein konkretes Aktionsprogramm für Deutschland zu erstellen. Im selben Zeitraum begannen wir mit regelmäßigen Treffen zwischen den NaO-Mitgliedsorganisationen in Berlin, wo Mitte Februar 2014 die erste und schlagkräftigste NaO-Ortsgruppe gegründet wurde, die über 60 Mitglieder hatte. Weitere folgten in Bremen, Kassel, Köln, Potsdam und Stuttgart, mit Ansätzen in Frankfurt/Main, Hamburg und München.

Das Manifest der Neuen antikapitalistischen Organisation

Das Manifest stellte einen wichtigen Schritt für die NaO dar. Es war kollektives Ergebnis einer Arbeitsgruppe aus Delegierten von SIB, isl, RSB, GAM und REVOLUTION.

„Dieses Manifest stellt die Grundlage für das Handeln der NaO, die Basis für unseren Aufbau dar. Es ist jedoch noch weit davon entfernt, ein Programm einer revolutionären Organisation darzustellen, in der die politischen Differenzen der jeweiligen Strömungen überwunden wären. Die Erfahrungen der anti-kapitalistischen Organisationen in anderen Ländern haben gezeigt, dass Differenzen nicht totgeschwiegen oder hinter Formelkompromissen versteckt werden dürfen.“ (6)

„Dieses Manifest ist keine Gründungserklärung für eine bundesweite Neue antikapitalistische Organisation (NaO), sondern ein erster Schritt zu einer späteren Organisation.“ (7)

Vielmehr diente das Manifest einer gemeinsamen Gesellschaftsanalyse auf Basis derer programmatische Schlussfolgerungen, aber auch trennende Punkte erkannt werden konnten. Auf Basis dieses Diskussionsstandes forderte die NaO programmatisch dazu auf sich ihr anzuschließen. Dies geschah in 11 Kapiteln mit den Überschriften: Die Krise heißt Kapitalismus, Klassengesellschaft Deutschland, Die Zerstörung der Lebensgrundlage durch die kapitalistische Marktlogik, So einfach und so schwer zu machen!, Welche Demokratie?, Der Kampf für Frauenbefreiung (in zwei unterschiedlichen Versionen von SIB und GAM), Jugendunterdrückung im Kapitalismus, Für ein Europa von unten – für einen neuen Internationalismus, Gemeinsam kämpfen, Warum und welche Organisation. Im Folgenden möchten wir die äußerst gewinnbringenden Ergebnisse des Manifests der NaO kurz darstellen.

Das Manifest beginnt mit der grundlegenden Übereinstimmung, dass es sich bei der kapitalistischen Krise von 2007/08 nicht um eine zyklische Überproduktionskrise, sondern um eine „andauernde strukturelle Verwertungskrise des Kapitals“ (8) handle, diese Krise ist eine „Krise der planlosen, unsinnigen und schädlichen Überproduktion und Überakkumulation“ (9). Diese Krise zwingt uns in eine „neue Ära im Kampf um die Neuaufteilung der Welt“ (10). Um diesem Kampf der systematischen reaktionären Zerstörung der Lebensgrundlagen vor allem der ArbeiterInnen, aber auch der Menschheit als Ganzes, etwas entgegenzustellen, bedarf es einer Organisierung des revolutionären Subjekts. „Für eine antikapitalistische, revolutionäre Organisation ist der Bezug auf die lohnabhängige Bevölkerung und die politische Verankerung in ihr zentral“ (11). Somit brauchen wir einen „radikalen Bruch mit dem kapitalistischen System auf Weltebene“ (12). Jedoch war den NaO-Gruppen ebenfalls klar, dass „die organisierten und aktiven Teile der Klasse […] von reformistischen Vorstellungen geprägt (sind). Wir sind uns daher bewusst, dass die Klasse der Lohnabhängigen mit ihrem heutigen Bewusstseinsstand noch weit davon entfernt ist, ihre eigenen Möglichkeiten zu erkennen“ (13). Um dieses Bewusstsein aufzubrechen, bedarf es der „größtmöglichen Einheit in der Aktion“, also der Einheitsfront, die ihren „Gebrauchswert“ „nicht in erster Linie durch Entlarvung in der Aktion“, sondern vor allem in den „aktuellen Kämpfen für konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt“ erweist (ebd., S. 25).  Doch in den heutigen Kämpfen werden die Notwendigkeit und Mittel des Kampfes der ArbeiterInnenklasse immer deutlicher. Schon in der „Abwehr von Angriffen auf (den) Lebensstandard und (die) demokratische(n) Rechte oder der Kampf um Reformen (erfordern) Mittel wie Generalstreik oder Aufstand. So zeigt sich die dringliche Notwendigkeit eines auch militanten Selbstschutzes gerade in Griechenland“, denn die bürgerliche Herrschaft wird „durch Massenmobilisierungen und revolutionäre Umwälzung abgeschafft“ (14). Hierbei kämpft die NaO „für ein System der Rätedemokratie“ (15). Dabei kämpft die NaO „gegen eine Mitverwaltung der kapitalistischen Krise“ (16), dies findet seinen deutlichsten Ausdruck im Verhältnis zu der eigenen imperialistischen Bourgeoisie und ihren Projekten, darauf antwortet die NaO mit „der Hauptfeind steht im eigenen Land“ und „die EU ist ein imperialistisches Projekt und nicht zu demokratisieren oder zu reformieren, sondern zu bekämpfen“ (17).

Das Manifest stellte auch klar, welche Fragen kontrovers sind und noch weiter zu diskutieren. Das trifft erstens den Teil zur Frauenunterdrückung.

Teile des RSB und der SIB vertraten hierbei die Position, dass das Patriarchat ein eigenständiges und vom Kapitalismus unabhängiges Herrschaftssystem sei. Somit forderten sie eine Loslösung der Geschlechterfrage von der Klassenfrage und leugneten, dass jedes Unterdrückungsverhältnis den herrschenden Produktionsverhältnissen angepasst wird. Dies gipfelte in zwei unterschiedlichen Positionen zur Frage der Frauenunterdrückung innerhalb der NaO.

Dieser Gegensatz lässt sich in den beiden Grundausrichtungen der Manifestkapitel beschreiben. So schrieben wir als ArbeiterInnenmacht in unserem Positionspapier „Auch wenn der Kapitalismus historisch ältere Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse aufnimmt, so werden diese nicht einfach ‚eingefügt‘ als ein weiteres apartes Verhältnis neben der kapitalistischen Ausbeutung. Vielmehr erhalten sie – und so auch die Frauenunterdrückung – eine spezifische Form.“ (18) Dagegen lag der Schwerpunkt von Teilen der SIB auf der Auflösung der Geschlechterverhältnisse. „Aufgabe revolutionärer Politik ist es, diese bipolaren und stereotypen Zuschreibungen anzugreifen, da sie Unterdrückung und Diskriminierung stützen und Solidarität verhindern.“ (19)

Zum anderen verweist das Manifest selbst darauf, dass es noch kein Programm einer fertigen Organisation ist. Das Manifest der NaO schreibt im letzten Absatz folgendes: „Eine Aufgabe der NaO wird sein, an der Diskussion und Überwindung dieser Differenzen und an der Ausarbeitung eines Aktionsprogramms zu arbeiten“ (20).

Auch wenn das Manifest hier und an anderen Stellen sehr klar ist, was es ist und was nicht, wurde es von verschiedensten Gruppen gern als fertiges Programm betrachtet und charakterisiert. So geht RIO vor, so gehen im Nachgang auch ehemalige GenossInnen der NaO vor, die eine Erklärung auf scharf-links veröffentlicht haben. Beide bezeichnen das Manifest als „zentristisch“, auch wenn das die einen als Kritik, die andern als Lob versehen mögen. Alle diese KritikerInnen verzichten jedoch darauf, inhaltlich konkret zu zeigen, was zentristisch am Manifest wäre.

Oder ist allein die Tatsache, dass die GAM im Zuge eines Umgruppierungsprozesses ein gemeinsames Manifest mit ZentristInnen veröffentlicht hat, das als Schritt zur Schaffung einer politisch vereinheitlichten, schlagkräftigeren Organisation dienen soll, schon zentristisch? Wenn das so wäre, dann wären auch die Gründungserklärung des „Block der Vier“ oder die Inauguraladresse der Ersten Internationale „zentristische“ Dokumente gewesen.

Letztlich würde eine solche Herangehensweise jede Blockbildung, jede Blocktaktik verunmöglichen oder jedenfalls die Veröffentlichung aller programmatischen Erklärungen unterhalb der Veröffentlichung eines vollständigen Programms. Allenfalls könnte sie auf rein interne Diskussion beschränkt bleiben. Damit würde sie aber gerade ihrer Anziehungskraft für andere beraubt werden, aber auch des Aspekts der gemeinsamen Diskussion und Aktivität der Mitglieder der verschiedenen Gruppen.

Die NaO hatte aber richtigerweise den Schritt vollzogen, nicht nur ein Manifest zu erarbeiten, sondern in Berlin auch eine NaO-Gruppe mit individueller Mitgliedschaft und politischer Praxis nach außen zu etablieren. Es ist kein Zufall, dass von dieser der größte Teil der „NaO-Dynamik“ im Jahr 2014 und auch 2015 ausging. Sicherlich kam dem zugute, dass in Berlin GAM, SIB und REVOLUTION aktiv waren und damit eine Basis für Aktivismus vorhanden war. Vor allem wollten die drei Gruppen wie auch die meisten, die später dazukamen, bei allen Unterschieden, etwas erreichen. In anderen Städten war die Dynamik immer geringer, teilweise wegen der geringeren Zahl, teilweise weil nur eine Gruppe aus der NaO vorhanden war, vor allem aber auch, weil RSB und v. a. isl ihre Verpflichtungen zum Aufbau überhaupt nicht ernst nahmen (21).

Nach der Gründung einer arbeitsfähigen NaO

Ab Mai 2014 begann das NaO-Berlin zu wachsen. Dies aus zwei Quellen: 1) AktivistInnen aus linken Gruppen/Zusammenhängen (ARAB, Einzelpersonen von Podemos Berlin, Ex-Linkspartei, Ex-SAV im Umfeld); 2) Linke, die lange nicht oder nur individuell aktiv waren, jedoch erfahrene Kader, vor allem aus ehemaligen trotzkistischen Organisationen, verkörperten. Auch ein Scheinriese kam mit der Gründung der NaO und der Verabschiedung des Manifests hinzu, die SYKP (Partei der sozialistischen Neugründung, später eine türkische Mitgliederorganisation der HDP).

Diese beteiligte sich über circa ein halbes Jahr mehr oder minder aktiv, bis sie auf Berliner Ebene innerlich zerbrach und ihre aktiven Teile weitgehend in die HDP übergingen, eine Zusammenarbeit, die uns in vielen Situationen schlagkräftige, wenn auch unstete PartnerInnen im Kampf bot. Doch vor allem war die NaO von diesem Moment an gezwungen, die Phase der Reißbrettdebatten zu beenden und sich den unmittelbar aufkommenden Fragen des Klassenkampfes zu stellen, was bereits wenige Wochen nach der Gründung geschah.

Auch wenn die NaO nie das im Manifest gegebene Versprechen eingelöst hat, ein Aktionsprogramm zu erarbeiten, so hat sie zu wichtigen Fragen des Klassenkampfes programmatische Positionen entwickelt und in einigen Bereichen wichtige Interventionen geleistet. Es waren zugleich diese Interventionen, vor allem aber die programmatischen Differenzen, die letztlich zum Bruch der NaO geführt haben.

Ukraine – die erste Erprobung der NaO in der Praxis

In der Ukraine fanden sich die Mitgliedsorganisationen sinnbildlich auf zwei unterschiedlichen Barrikaden wieder. So vertraten die isl und später auch der RSB mit der Mehrheit der Vierten Internationale eine sozial-pazifistische Position und fetischisierten die Maidan-Bewegung. So wurde der reaktionäre, pro-westliche Putsch als Erfolg der Massenbewegung hingestellt, der Einfluss von Faschisten und des Imperialismus wie auch die Errichtung einer Koalition aus bürgerlichen, neo-liberalen und faschistischen Kräften verharmlost.

ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION sowie die Mehrheit der NaO Berlin lehnten die westlich befeuerte Machtübernahme von Poroschenko und Co. ab. Wir solidarisierten uns mit dem berechtigten Widerstand der ArbeiterInnen und russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine und kritisierten zugleich den Einfluss des und Illusionen in den russischen Imperialismus.

Unter dem Titel „Solidarität mit den ArbeiterInnen und Linken in der Ukraine!“ (22) veröffentlichte die Berliner NaO eine ausführliche Stellungnahme zur Ukraine. Diese hatte einen revolutionären Gehalt und gehört zu den besten Texten, die die deutsche Linke zur dieser Frage publiziert hat. Kurz darauf wurde ein gemeinsames Flugblatt von NaO Berlin und ARAB herausgeben, die sich im Sommer 2014 der NaO anschloss.

Die NaO Berlin hob deutlich die Aufgabe hervor, sich gegen den deutschen Imperialismus zu positionieren: „Für die Linke in Deutschland gilt es, v. a. gegen die Ukraine-Politik der eigenen Regierung Stellung zu beziehen, Aufklärung zu betreiben und zu mobilisieren. Das heißt zuerst, eine Reihe von Lügen zu zerstören wie jene, dass die Faschisten nur ein ‘Nebenfaktor’ der Bewegung wären. Es bedeutet vielmehr die Zusammenarbeit von Regierung, zweifelhaften ‘Demokraten’ und Faschisten – bis hin zum Shake-Hand des Sozialdemokraten Steinmeier mit den Faschos vom Maidan – zu brandmarken.“ (23)

Es blieb nicht nur bei Positionierungen. In Deutschland wurde dieser Kampf mit gemeinsamen Mobilisierungen gegen den Krieg in der Ukraine und das Massaker von Odessa sowie einer bundesweiten Veranstaltungsreihe mit Borotba unterstützt.

Diese Politik stieß jedoch auf den heftigen und hinhaltenden Widerstand eines sich formierenden rechten Flügel der NaO um die isl. Diese Differenz sollte nur ein Startschuss für zunehmende Gegensätze zu zentralen Fragen des Klassenkampfes zwischen den innerhalb der NaO vertretenen Organisationen sein. Die Entwicklungen in der Ukraine sind dabei als eine qualitative Weiterentwicklung des imperialistischen Kampfes um die Neuaufteilung der Welt im Zuge der historischen Krise des Kapitalismus zu betrachten. Daher hatte diese Differenz eine grundlegende Bedeutung.

Von den Konvergenzen zu einer NaO der zwei Geschwindigkeiten

Auf diese Polarisierung antwortete die Minderheit der NaO, v. a. die isl, nicht mit einer politischen Auseinandersetzung, sondern vor allem mit sinkender Aktivität. Denn bis zu diesem Zeitpunkt existierte von Seiten der isl das Angebot, die programmatische Diskussion anhand von von beiden Seiten vorgeschlagenen Texten zu führen, ein Angebot freilich, das nach dieser Auseinandersetzung leider nie erneuert wurde.

Der Charakter der Ukraine-Debatte war nicht stark geprägt von einem Ringen um Mehrheiten innerhalb der NaO oder eines nach außen gerichteten Kampfes des Minderheitsflügels, sondern stellte vielmehr einen Ausgangspunkt für die Blockade des bundesweiten Aufbaus dar. In dieser Situation gingen wir jedoch noch davon aus, dass die unterschiedlichen ideologischen Strömungen einen konsequenten Kampf um die Ausrichtung innerhalb des Umgruppierungsprojektes ausfechten würden. Doch statt klarer Positionierungen seitens isl und RSB und aktiver Auseinandersetzung erlebten ein Ausharren und Abwarten als Methode. Ab diesem Moment hätten wir noch entschiedener eigenständiger in die NaO hinein solche Positionierungen aktiv einfordern und einbringen sollen. Dies hätte zwar sicher nicht die Dynamik von isl/RSB gesteigert, wohl aber dazu geführt, dass die NaO schneller und klarer mit Positionen an die Öffentlichkeit getreten wäre.

Es war nämlich zunehmend klar, dass die NaO nur eine Zukunft haben würde, wenn sie andere Kräfte anzog und sich nicht an die zögerlichsten und langsamsten Teile bindet. Im Zuge dieser Auseinandersetzung und der daraus folgenden Passivität seitens isl und RSB wurde viel mehr deutlicher, dass wir es hierbei mit einer NaO der zwei Geschwindigkeiten zu tun hatten. Uns war schon damals klar, dass ein konsequenter Aufbau der NaO eine zeitgleiche Zuspitzung vor allem mit der isl bedeuten würde. Die isl selbst beruht im Inneren auf  Unverbindlichkeit, so dass verschiedene Mitglieder gleichzeitig ihre unterschiedliche Politik verfolgen können – einschließlich entgegengesetzter Positionen. Der innere Spagat der isl wird vor allem in der Linkspartei deutlich. Ein Teil, womöglich die Mehrheit, wollte nie die NaO aufbauen, sondern setzte auf die Arbeit in der Antikapitalistischen Linken (AKL). Für diesen Teil war die NaO immer nur ein linksradikaler Störfaktor. Der innere Zusammenhalt („Spagat“) der isl konnte letztlich jedoch dadurch aufrechterhalten werden, dass isl-Beschlüsse für ihre Mitglieder und die Gesamtorganisation letztlich keine Verbindlichkeit haben.

Auf die Verringerung der Aktivität seitens der isl folgte auch der erschwerte bundesweite Aufbau der NaO, weshalb ein Löwenanteil der Bilanz auf den Reaktionen der unterschiedlichen NaO-Mitgliedsorganisationen auf die Aktivitäten in Berlin beruht. Auch der RSB war immer weniger an diesem Prozess beteiligt, was an politischen Differenzen, an seinen inneren politischen Konflikten, Zerfallserscheinungen sowie der Fokussierung auf der Fusions-Diskussion mit der isl lag.

Opportunismus und die Einstaatenlösung in Palästina

Im Sommer 2014 beteiligte sich die NaO an den Mobilisierungen gegen die Bodenoffensive des israelischen Apartheidregimes in Palästina. Das warf aber auch mit Teilen der Ex-SIB-GenossInnen die Debatte um die Ein- oder Zwei-Staatenlösung auf, eine Diskussion, die auf den Internationalismustagen 2014 öffentlich geführt wurde.

Wir argumentieren, dass die Abhängigkeit, Unterordnung und massive Enteignung der PalästinenserInnen im Rahmen einer Zweistaatenlösung nicht beseitigt werden kann. Damit bleibt die nationale Unterdrückung und somit auch ihr ideologischer Einfluss auf die israelischen sowie palästinensischen ArbeiterInnen bestehen. Die Durchsetzung der demokratischen Rechte der palästinensischen Massen ist letztlich unmöglich, ohne die rassistischen Grundlagen des zionistischen Staates anzugreifen – und das heißt für einen gemeinsamen Staat Palästina zu kämpfen und das zionistische Apartheidregime zu zerschlagen.

Einige MitdiskutantInnen teilten die Position, wollten sie jedoch nicht in Beschlussform bringen, um die Minderheitsflügel zu integrieren. Auch wenn die NaO-Position klar Partei ergriff gegen die zionistische Unterdrückung und Besatzung und aktiv an der Nakba-Demonstration 2015 teilnahm, so zeigte sich in der Frage des Apartheidstaates Israel eine politische Schwäche bei Teilen der NaO, die die politische Zusammenarbeit mit und Gewinnung von antiimperialistischen migrantischen Gruppen erschwerte. Nach dem Ende der NaO konnten wir diese Kooperation zumindest in Berlin weiter ausbauen. Auf der anderen Seite zeigt dies auch den lokalen Fokus der NaO auf Berlin auf. In Stuttgart, wo die NaO die dortige GAM-Ortsgruppe sowie das Palästina-Solidaritätskomitee umfasste, stand der Kampf für einen einheitlichen Staat nie in Frage.

Waffen für Rojava

Die Offensive des sogenannten Islamischen Staates gegen die fortschrittlichen Kräfte in Rojava in West-Kurdistan unter der Führung der PYD, der syrisch-kurdischen Schwesterorganisation der PKK, drohte zur Vertreibung und Vernichtung der Bevölkerung in Kobanê und anderen kurdischen Siedlungsgebieten zu führen. Auf diese Situation antworteten wir mit dem wahrscheinlich erfolgreichsten Kampagnenprojekt der NaO – die Kampagne „Waffen für PYD/YPG/YPJ! Solidarität mit Rojava!“.

Hiermit konnten wir bundesweit als Mitgliedsorganisationen an Bekanntheit gewinnen, haben auf unserer zentralen Veranstaltung in Berlin über 350 TeilnehmerInnen gehabt, die teilweise vor der Tür stehen mussten und durch die Fenster die Veranstaltung begleiteten. Auch in Kassel konnten wir darüber gemeinsame Solidaritätsaktionen mit dem kurdischen Studierendenverband YXK durchführen. In Dresden, wo sich vor kurzem eine REVOLUTION-Ortsgruppe gründete, hat ebenfalls diese Kampagne die Zusammenarbeit mit Ciwanên Azad beflügelt. Auch konnten wir andere Organisationen, wie die Frankfurter Gruppe Perspektive Kurdistan sowie die Anti-kapitalistische nicht-weiße Gruppe (ANG) aus Berlin für die Kampagne gewinnen.

Ende Januar 2016 betrug die Summe des an die Verteidigungskräfte in Rojava übergebenen Geldes 113.590 Euro. Im Zuge dieser Kampagne konnten wir ebenfalls mit der Losung nach Aufhebung des Verbots der PKK intervenieren und unsere Perspektive bezüglich des kurdischen Befreiungskampfes weit über unseren regulären LeserInnenkreis hinaustragen. Leider ist diese Kampagne nicht repressionsfrei an uns vorbeigezogen, so sind mittlerweile 8 Konten gesperrt worden.

Jedoch spitzte die Kampagne ebenfalls den Konflikt mit der ARAB zu, welche die Kritik an der kurdischen Bewegung für interne Debatten aufsparen wollte. Ursprung dessen ist die Nachtrabpolitik, die der Entwicklung des Bewusstseins der kurdischen Bevölkerung und ihrem organisatorischen Ausdruck den Rahmen der Kritik vorgeben lässt, also ein opportunistischer Kurs aus Sorge um die möglichen BündnispartnerInnen. Die Aufgabe von RevolutionärInnen ist es demzufolge nicht, revolutionäres Bewusstsein in die Klassenkämpfe zu tragen und eine Perspektive hin zur Beendigung der kolonialen Unterdrückung der KurdInnen durch den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei aufzuzeigen, sondern allenfalls als wohlmeinende BeraterInnen der Unterdrückten zu fungieren.

Auch hier blieben isl und RSB weitgehend still. Teilweise unterstützten isl-GenossInnen sogar die Kampagne der Interventionistischen Linken, um sich öffentlich nicht zur Forderung nach Waffen äußern zu müssen.

Internationalismustage als Podium

Zu Lebzeiten der NaO wurden zweimal die Internationalismustage veranstaltet. Im Oktober 2014 und im Februar 2016 fanden sie mit 150 und 120 TeilnehmerInnen, unterschiedlichen Workshops und Podien statt. Die Zielsetzung der Veranstaltung war hierbei die Fortsetzung der inneren Debatten der NaO auf einer öffentlichen Basis und Ansprechen neuer Gruppierungen sowie InteressentInnen.

So konnten wir auf den ersten Internationalismustagen beispielsweise die Debatte zur Frage der Ein- oder Zweistaatenlösung in Bezug auf den Konflikt in Palästina fortführen und eine umfassende Debatte über die Frage der Schulden in Griechenland führen, über die wir in engeren Kontakt mit den GenossInnen von Antarsya Berlin treten konnten – ein Kontakt, der weiterhin anhält. Für uns ein voller Erfolg, da wir hierbei unsere Positionen vor einem Publikum verbreiten konnten, das über unsere regulären Mobilisierungen hinausging.

Erster Mai und die Entwicklung der autonomen Linken in Berlin

Die Perspektivlosigkeit und weitreichende innere Zersetzung der subjektiv-revolutionären Linken drückt sich natürlich stark in den einzelnen Gruppen und ihrer Dynamik aus. Die innere Krise der radikalen Linken zeigt sich stark in Bezug auf ihre traditionellen Events. So ist der revolutionäre Erste Mai in Berlin eine der größten, aber auch heterogensten anti-kapitalistischen Mobilisierungen, in denen sich die teilnehmenden Gruppen nur selten auf gemeinsame Schwerpunkte einigen können. Der Erste Mai ist eine Heerschau innerhalb der radikalen Linken.

Mit der NaO konnten wir in genau diese Zersetzung ideal intervenieren. Dies geschah auf zwei Ebenen – politisch und personell. Politisch konnten wir dem revolutionären Ersten Mai, im Bewusstsein vieler autonomer Kräfte eine Kiezdemo, die auf die isoliert betrachteten regionalen Probleme reagiert, zurück zu einem internationalistischen Anspruch verhelfen, der sich nach außen mit den sozialen Kämpfen im Zuge der Krise solidarisierte. Hierbei war der organisatorische Schulterschluss mit der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB) ein äußerst gewinnbringender Faktor, aufgrund der relativ guten Verankerung in Teilen der Berliner autonomen Linken.

Ergebnis der Intervention der NaO in den Ersten Mai war es, dass wir 2013 den ersten Block der Demonstration und 2014 und 2015 den jeweils zweiten Block stellten. Dabei konnten wir einen Einfluss auf die politische Ausrichtung des Ersten Mai nehmen, in dem die NaO eine führende politische Rolle spielte.  Wir organisierten teilweise Blöcke mit mehreren hundert TeilnehmerInnen in den organisierten Reihen und über 6000, die sich dem lautstarken Block anschlossen.

Insgesamt wuchs der Erste Mai in diesem Zeitraum von seiner TeilnehmerInnenzahl her massiv an, wobei seine politische Ausrichtung sicher auch ein Faktor für diesen Erfolg war. Im Jahr 2013 fand der erste revolutionäre Erste Mai seit längerer Zeit statt, der seine angestrebte Endkundgebung auch erreichen konnte. Die Rolle, die wir als NaO, ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION dabei einnehmen konnten, zwang die unterschiedlichen Kräfte in der radikalen Linken dazu, sich uns gegenüber zu verhalten; ob 2013 auf Hetzplakaten von AnarchistInnen, die den Charakter des revolutionären Ersten Mai als Mittel der Propaganda der Tat gefährdet sahen, oder durch Polarisierung zwischen autonom geprägter und internationalistischer Ausrichtung, wobei wir diese Auseinandersetzung punktuell für uns gewinnen konnten. Ebenfalls konnten wir weitere Kräfte wie die HDP, ANG, MLPD, DESTAN, Antarsya und weitere für den sich stetiger etablierenden Block auf der Demonstration gewinnen.

Griechenland und die Kapitulation von Syriza

Im Juni 2015 fand die letzte bundesweite Delegiertenkonferenz statt. Hier vertrat die NaO-Minderheit um isl und RSB die Position, in der Griechenlandfrage jedwede öffentliche, marxistische Kritik an der Syriza-ANEL-Volksfrontregierung zu unterlassen. Vielmehr sollten sich Linke auf „reine Solidarität“ beschränken. Einige bezeichneten diese Regierung gar als „alternativlos“.

Anhang der „Griechenland“-Frage spitzten sich die Gegensätze in der NaO entscheidend zu. Da es sich hier um eine zentrale Frage des Klassenkampfes in Europa handelte, war es auch nicht möglich, irgendwelche „halben“ Lösungen zu finden.

Die Berliner NaO hatte schon von Beginn an eine Politik vertreten, Syriza und die griechische Regierung gegen Angriffe des Imperialismus und der griechischen Bourgeoisie zu verteidigen, ohne jedoch politische Unterstützung zu geben. Die Koalitionsbildung mit der ANEL wurde offen kritisiert und, ganz auf der Linie des NaO-Manifests, ein Bruch mit den Rechten gefordert:

„Wo, wie in Griechenland, in einer zugespitzten Klassenkampfsituation die Bildung einer Linksregierung möglich werden kann, fordern wir von diesen die Bildung einer Regierung ohne bürgerliche Parteien und Maßnahmen, die einen wirklichen Bruch mit dem System einleiten. Eine solche Regierung würden wir gegen jeden reaktionären Umsturzversuch verteidigen – ohne unsere Kritik an ihren Fehlern zu verheimlichen.“ (24)

Am Beispiel Griechenlands konnten wir auf Berliner Ebene unsere Diskussion über das Verständnis der Einheitsfrontmethode verbessern, die nicht nur Grundlage für die unmittelbare Verbesserung des Lebensstandards der ArbeiterInnen und Armen ist, sondern auch ein Mittel im Kampf um die Führung der Klasse. So schrieben wir im NaO-Berlin-Flugblatt vom Februar 2015 folgendes:

„Reformvorhaben wie der Mindestlohn, Besteuerung der Reichen, Entlastung der Armen und der Stopp der Privatisierungen sind begrüßenswert. Tsipras und die neue griechische Regierung versuchen dabei, die Gegensätze unter den herrschenden Klassen in der EU zur Durchsetzung eines keynesianischen Wirtschaftsprogramms auszunutzen, das sowohl die griechische Wirtschaft ankurbeln, die soziale Lage der Bevölkerung verbessern und längerfristig die Bedienung eines Teils der Staatsschulden sichern soll.

Aber diese Politik der Regierung wird sowohl im Inneren als auch im Verhältnis zur EU schnell an Grenzen stoßen. Eine neue Etappe des Klassenkampfs ist eröffnet und die Fragen der Macht rücken in den Vordergrund. Regierungsgewalt und tatsächliche Macht sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Ein Zusammenstoß ist unvermeidbar.

Wir wollen mit allen Kräften der anti-kapitalistischen und revolutionären Linken – ob nun in oder außerhalb von Syriza – möglichst eng politisch zusammenarbeiten, die diese Perspektive teilen. Dies schließt ein, Syriza gegen die herrschende Klasse in Griechenland und die Troika zu verteidigen und mit der griechischen und europäischen Linken einen offenen Dialog über die Aufgaben der internationalen Solidarität und den Aufbau einer revolutionären, anti-kapitalistischen Kraft in Europa zu diskutieren. Der Wahlsieg Syrizas hat uns weder besoffen gemacht, noch stehen wir abseits, wenn es um die Verteidigung dieser Regierung gegen die reaktionären Kräfte in Europa und den deutschen Imperialismus geht.“ (25)

Gleichzeitig kam hierbei vermehrt die Frage auf, inwiefern wir als kleiner Kreis von Gruppen und AktivistInnen mit einem solch kleinen Einflussspielraum nach außen intervenieren können. Dazu schrieben wir im selben Flugblatt „Im Zentrum internationaler Solidarität sollte die Frage der ersatzlosen Schuldenstreichung stehen.“ (ebd.) Dies taten wir im vollen Wissen, selbst nicht in der Lage zu sein, solche Kampagnen anstoßen zu können. Wir warfen die Forderung jedoch trotzdem in unserer Propaganda auf, um unsere Vorschläge für den europäischen Klassenkampf darzulegen.

Zur Frage der Koalition von Syriza mit ANEL äußerte sich die Berliner NaO wie folgt: „Jedes Herunterspielen der Bedeutung dieser Koalitionsbildung wäre für die Massen und für die anti-kapitalistische und revolutionäre Linke fatal. (…)

Syriza hatte durchaus eine Alternative: Eine Minderheitsregierung bilden und die KKE massiv unter Druck setzen, sie gegen die bürgerlichen Parteien zu unterstützen! (…)

Stattdessen treten wir für eine Syriza-Minderheitsregierung oder eine Koalition mit der KKE ein, die sich auf die Mobilisierung der Massen stützt. In den letzten Jahren ist die Bewegung auf der Straße und in den Betrieben stark zurückgegangen. (…)

Wir fordern daher den Bruch mit ANEL und den Rauswurf des Verteidigungsministers aus der Regierung.“ (26)

Die Position der NaO-Berlin wurde bundesweit angenommen. Die weitere Entwicklung hat deutlich bestätigt, wie richtig die Warnung vor einem möglichen Verrat der Syriza-geführten Regierung war. Die Koalition mit ANEL brachte für alle deutlich die Bereitschaft von Tsipras und Co. zum Ausdruck, ihre Politik an die Zustimmung von bürgerlichen Kräften, in diesem Fall einer rechten, extrem nationalistischen Partei, zu binden. Es ist bemerkenswert, dass auch heute, wo sich die Richtigkeit der Position erwiesen hat, die AnhängerInnen der damaligen Minderheit weiter an ihrem Fehler festhalten.

Die Tatsache, dass die NaO mehrheitlich im Juni 2015 für die Positionen der NaO-Berlin stimmte, hat die politische Ehre der NaO gerettet. Sie hat aber auch die Unüberbrückbarkeit der Differenzen vor Augen geführt und das Ende des Prozesses praktisch besiegelt (27).

Das Ende der NaO

Eigentlich hatte sich die NaO schon im Sommer, spätestens im Herbst 2015, überlebt. Es wurde zwar mit der Vorbereitung und Mobilisierung zu den Internationalismustagen 2016 noch ein letzter Versuch gestartet, die NaO wieder auf die Beine zu bringen, aber dieser war letztlich zum Scheitern verurteilt und führte schließlich zur Einstellung der NaO.

Die NaO-Berlin veröffentlichte zwar noch eine klare Position zur Flüchtlingskrise, wie es auch in ihren Positionen gegen die zunehmende rassistische Hetze und einem Redebeitrag auf der Berliner Anti-AfD-Demonstration unter dem Motto „Refugees welcome – Pegida, AfD und staatlichem Rassismus entgegen treten!“ zum Ausdruck kam.

Diese Initiativen zeigten zwar, dass die NaO immer noch in der Lage war, Initiativen zu ergreifen, aber sie hat es nicht geschafft, diese weiter zu verfolgen. Hinzu kam, dass Einzelpersonen die weit gezogenen demokratischen Rechte von NaO-Mitgliedern zur Polemik gegen die von der NaO verteidigte Position der offenen Grenzen und zu sozial-chauvinistischen Ergüssen nutzten. Aber das zeigt, dass die NaO politisch am Ende ihres Lebens angekommen war.

Das Herausbilden von Flügeln

In Bezug auf das Anfang Juni 2015 stattgefundene bundesweite Delegiertentreffen bildete sich auf Berliner Ebene und darauffolgend bundesweit eine Fraktion gegen die Mehrheitspolitik von ArbeiterInnenmacht und REVOLUTION, genannt die lila Wolken und bundesweit NaO-Wolken. Nach einer diffusen Gründungserklärung und einem Treffen in Berlin, wo die größte Gemeinsamkeit die Ablehnung der klaren nach außen gerichteten Positionierung war, welche einer breitestmöglichen NaO im Wege stehe, folgte nichts mehr.

Die NaO-Wolken fußten auf Stagnation in der politischen Entwicklung unter dem Vorwand des Pluralismus. Sie suchten vielmehr den politischen Kompromiss beziehungsweise den Konsens. Somit ist die Umgruppierung nicht mehr Mittel, sondern reiner Selbstzweck. Der rechte Flügel weigerte sich, eine Organisation aufbauen, die exemplarische Politik macht und damit geschlossen in Kämpfe interveniert, um den dort fortschrittlichen Elementen eine revolutionäre Perspektive anzubieten. Die heterogene Anti-GAM-Koalition agierte zwar blockierend, aber sie kämpfte nicht um die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse.

Dies stand völlig im Widerspruch zu unserem Verständnis von Fraktionen. Denn Fraktionen bilden sich im Widerspruch zur vorherrschenden Politik innerhalb einer Organisation und haben den Anspruch, sie gemäß ihren Zielen zu verändern. Dafür streben sie die Führung der Organisation an, indem sie anhand der Kritik an der Theorie und Praxis der Mehrheit Perspektiven hin zur angestrebten Ausrichtung aufzeigen. Dafür müssen Treffen zwischen den Mitgliedern dieser Fraktion abgehalten werden, auf denen sich auf einen Kurs verständigt wird. Je nachdem wie groß der Anteil der Fraktion innerhalb einer Organisation ist, sollten ihr dabei Plätze innerhalb der Leitung gewährt werden, um die Debatte zu intensivieren. Dies hängt jedoch davon ab, inwiefern die Differenzen als überwindbar betrachtet werden.

Nichts davon fand jemals statt. Dies war aber auch der letzte Beweis dafür, dass sich die NaO überlebt hatte. Ab diesem Moment war der Bruch unvermeidbar, jedoch galt es, die anderen Kräfte davon zu überzeugen, dass ein kollektives Beenden des Prozesses, eine letzte geschlossene Positionierung notwendig ist, um die Taktik der Umgruppierung nicht noch weiter in den Schmutz zu ziehen.

Differenzen im Aufbau

Insgesamt lässt sich sagen, dass aus den zunehmenden Differenzen innerhalb der Umgruppierung eine konsequent zunehmende Passivität das Ergebnis war. Unsere Organisation hat, wo möglich gemeinsam mit REVOLUTION, beim Aufbau in Potsdam, Berlin, Kassel, Bremen, Stuttgart und München aktiv mitgewirkt und oftmals eine tragende Rolle gespielt. Dies war unsere politische und organisatorische Konsequenz aus der Verabschiedung des Manifests. Große Teile der SIB und Teile der ARAB konnten eine teilweise darauf ausgerichtete Praxis aufweisen.

Jedoch ist die reine Darstellung der Aktivität als Grundlage der Beendigung des NaO immer eine unzureichende Analyse. Während der Phase um die Erstellung des Manifests war die NaO von einer Tendenz zur politischen Annäherung gekennzeichnet, aber mit der Ukraine-Krise traten die Differenzen scharf hervor, einige Teile nährten sich weiter an, andere entfremdeten sich politisch.

Dieser Prozess hatte also am Beginn zwei Aspekte. Die isl und auch der RSB entwickelten sich mehr und mehr nach rechts und/oder leisteten passiven Widerstand. Andererseits machte die NaO in Berlin 2014 noch deutliche Fortschritte, wuchs nach dem Ersten Mai, konnte neue Gruppen und GenossInnen gewinnen.

Eine NaO der zwei Geschwindigkeiten war geboren. In Kombination mit den politischen Differenzen verschärfte die positive, starke Seite der Berliner NaO, nämlich ihre Dynamik, Außenorientierung und die Fähigkeit, in einzelnen Fragen zu einem politischen Faktor zu werden, das Auseinanderdriften der NaO. Auch wenn vieles an der „Dominanz“ und dem „Durchstimmen“ der GAM – letztlich also daran, dass ihre und die Mitglieder von REVOLUTION aktiver waren – festgemacht wurde, so hatte die Tatsache, dass die Berliner NaO von der Öffentlichkeit als die bundesweite NaO wahrgenommen wurde, zur Folge, dass die linkeren Positionen automatisch mehr Außenwirkung hatten. Die Passivität des rechten Flügels führte unwillkürlich auch dazu, dass er nur als Abweichung wahrgenommen wurde (und damit auch andere abschreckte). Der rechte Flügel sah die NaO zunehmend als Gruppe von „Hyperaktiven“, die den passiven RSB und die opportunistische isl in „Geiselhaft“ nahmen.

Auch daraus erklärt, sich warum VertreterInnen beider Gruppen der Berliner NaO immer wieder vorwarfen, eine zu hohes Aufbautempo anzuschlagen.

Daher steckt neben den oben angeführten Punkten vor allem aber eines: eine unterschiedliche strategische Ausrichtung. Letztlich zerfiel die NaO in zwei Lager.

a) Der zentristische Flügel

Dieser verfolgte letztlich das Ziel, dass die NaO zu einer programmatisch losen Organisation auf einem/r zentristischen Programm/Grundlage werden sollte. Die programmatische Klärung wurde letztlich als Hindernis auf diesem Weg betrachtet, „Pluralismus“ und politisch-ideologische Heterogenität als Ziel. Uns war von Beginn des Prozesses an klar, dass diese Auffassung, die ja auch der Generallinie der Vierten Internationale entspricht, von vielen Gruppen im NaO-Prozess vertreten wurde. Aber wir sehen auch die Bereitschaft, sich auf den Aufbau und die Diskussion um eine programmatisch definierte, neue anti-kapitalistische Organisation ernsthaft einzulassen, als Möglichkeit, diese Organisationen oder jedenfalls Teile davon oder unorganisierte Individuen in der Diskussion und aufgrund der praktischen Erfahrungen des Umgruppierungsprozesses für unsere Position zu gewinnen.

b) Revolutionäre Einheit als Ziel

Wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass für uns die Überwindung der politischen Differenzen und die Schaffung einer politisch vereinheitlichten Organisation das Ziel war. Wir leiten das nicht aus einem abstrakten Gebot ab, sondern weil die Erfahrung – und nicht zuletzt auch jene der NaO – lehrt, dass revolutionäre Gruppierungen beständig vor die Notwendigkeit gestellt werden, sich zu grundlegenden Fragen zu positionieren, konkret ihre Strategie, ihre Losungen, ihre Taktik zu bestimmen. Nachdem wir nicht nur eine lokale oder nationale Gruppe aufbauen wollen, schließt das notwendigerweise internationale Fragen ein. Hinzu kommt, dass eine politische Umbruchperiode wie die aktuelle dazu führt, dass sich auch das politische Leben verändert, intensiviert. Nicht wir bestimmen, wozu wir uns verhalten müssen, sondern die Krise der Gesellschaft, was beinhaltet, dass sich rasch Kämpfe verschärfen, Möglichkeiten entstehen wie auch reaktionäre Gefahren.

In einer solchen Lage braucht die revolutionäre Linke einen politischen Kompass, eine Anleitung zum Handeln, ein Programm, das auf einer wissenschaftlich fundierten Einschätzung der Lage beruht und versucht, diese mit den aktuellen Anforderungen zu verbinden.

isl, RSB, ARAB lehnten das entweder ab oder hofften die Frage mit einem „Kompromissprogramm“ zwischen Reform und Revolution, mit einem zentristischen Programm zu lösen. Die Beispiele der Ukraine, Griechenlands und etliche andere zeigen jedoch, dass es einen solchen „Kompromiss“ bei Schlüsselfragen nicht gibt, nicht geben kann. Es muss hier Farbe bekannt werden – ansonsten bleibt eine Gruppierung in der Regel nicht irgendwo „in der Mitte“ stehen, sondern ergreift letztlich Partei für die Gegenseite. Die Politik von isl/RSB führte dazu, dass sie in Griechenland die Politik der Syriza-ANEL-Regierung vor revolutionärer Kritik verteidigten, in der Ukraine den Maidan hofierten und damit die Politik des deutschen Imperialismus beschönigten.

Die NaO hat uns eines deutlicher denn je aufgezeigt: Ein Löwenanteil der deutschen Linken lehnte eine programmatische Diskussion nicht nur ab, sondern begreift sie als Hindernis hin zum politischen Aufbau. Somit wird die Frage des Programms in den Klassenkämpfen weitgehend abgelehnt, ein großes Hemmnis im Kampf um die Führung der Klasse.

Diese Erkenntnis trifft jedoch nicht ausschließlich auf reformistische und (post)autonome Kräfte zu, sondern auch auf jene mit trotzkistischem Anspruch. Diese Gruppen beweihräuchern sich und erklären das Scheitern der NaO anhand von angeblich verfrühten Handlungen, da die Avantgarde der Klasse sich momentan angeblich verstärkt auf die Partei Die Linke beziehe, wie SAV und marx21 argumentieren würden. Andere wie RIO, RSO und SAS bestehen auf ökonomistischen/workeristischen Konzeptionen, die davon ausgehen, dass die „programmatische Einheit“ aus der „gemeinsamen Praxis“ erwachse und nicht aufgrund einer politisch-programmatischen und theoretischen Verallgemeinerung ebendieser Praxis.

Unsere Alternative besteht in der Kombination von taktischer und organisatorischer Flexibilität, Verbindlichkeit bei der Umsetzung von Beschlüssen bei gleichzeitiger Unnachgiebigkeit in programmatischen und prinzipiellen Fragen. An diese Richtschnur haben wir uns in der Arbeit in der NaO gehalten – und wir werden in zukünftigen weiteren Umgruppierungsprozessen mit derselben Methode agieren.

Endnoten

(1) NaO, Erklärung zur Auflösung der neuen antikapitalistischen Organisation, 4. April 2016

(2) www.trend.infopartisan.net/trd0311/t550311.html

(3) nao-prozess.de/gemeinsame-texte/selbstdarstellungs-flugblatt-vom-mai-2012/

(4) Tobi Hansen, Neue Anti-kapitalistische Organisation (NaO): Eine neue Chance, www.arbeitermacht.de/ni/ni173/nao.htm

(5) Martin Suchanek, Umgruppierungsprozesse, Möglichkeiten und Gefahren, www.arbeitermacht.de/ni/ni181/umgruppierungsprozesse.htm

(6) Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, S. 31

(7) ebd., S. 7

(8) ebd., S. 4

(9) ebd., S. 12

(10) ebd., S. 5

(11) ebd., S. 7

(12) ebd., S. 12

(13) ebd., S. 7

(14) ebd., S. 13

(15) ebd., S. 14

(16) ebd., S. 27

(17) ebd., S. 23

(18) ebd., S. 17

(19) ebd., S. 21

(20) ebd., S. 31

(21) Das bringt auf seine flapsige Art auch Manuel Kellner in seiner „Bilanz“ der Nao zum Ausdruck. Kellner, Manuel: Die Neue antikapitalistische Organisation (NaO) ist aufgelöst – Woran ist sie gescheitert?, http://www.islinke.de/nao_bilanz.htm, 01.06.2016 Er verweist selbst-ironisch, aber letztlich zustimmend auf den „Spagat“ der isl, gleichzeitig an gegensätzlichen Projekten zu werkeln, während er der GAM vorwirft, ihre Figuren auf dem „NaO-Schachbrett“ zu konzentrieren. Eine solch alberne Kritik kann nur von Menschen kommen, die nichts aufbauen wollen. Oder wäre die NaO besser vorangekommen, wenn die GAM das gleiche Maß an Inaktivität und Unverbindlichkeit an den Tag gelegt hätte wie die isl?

(22) www.arbeitermacht.de/infomail/733/stellungnahme.htm

(23) ebd.

(24) Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, S. 28

(25) NaO-Berlin-Flugblatt, Februar 2015: Troika abgewählt – Solidarität mit der griechischen Bevölkerung! Ersatzlose Streichung der Schulden – keine Zugeständnisse an Merkel/EU!

(26) ebd.

(27) Es ist bemerkenswert, dass sich in der NaO, nicht nur RSB, isl, ARAB gegen eine klare Positionierung wandten, sondern auch der spätere Mitkämpfer der RCIT, der das Vorhaben der GAM und REVOs, ihre Position zur Abstimmung zu bringen, scharf kritisierte, weil das den ohnedies fragilen Prozess gefährden würde. Es gehört offenkundig zur politischen „Bilanz“ solcher pseudo-radikaler Gruppen diese erz-opportunistische eigene Politik tunlichst zu verschweigen.




Die NaO in der Endbetrachtung

Tobi Hansen, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Zum Ende der NaO (Neue antikapitalistische Organisation) veröffentlichen wir bereits einen längeren Artikel in dieser Ausgabe, welcher den Verlauf, die methodischen und taktischen Unterschiede und die Gründe für das Scheitern der NaO erklärt. Hier wollen wir auf die Statements der ehemaligen GenossenInnen von der isl, dem RSB und der „Strömung Wolken“  (in Berlin: „Lila Wolken“) eingehen.

Wir werden uns hierbei hauptsächlich auf die Polemiken gegenüber der GAM beziehen. Dies beinhaltet aber auch, z. B. zur Griechenland-Diskussion, bestimmte grundsätzliche politische Fragen nochmals aufzurollen.

Im Zerfallsprozess der NaO, welcher seit 2015 sichtbarer wurde, war vor allem die Diskussion zu Griechenland wie auch zur Positionierung der NaO Berlin dazu entscheidend.

Die deutliche Positionierung gegen die Koalition mit ANEL, die Analyse, was diese Koalition praktisch für den griechischen Klassenkampf und den Widerstand gegen Troika und Austerität bedeutet, war ein Gradmesser dafür, ob und wie sich eine NaO weiterentwickeln kann.

Im Sommer 2015 bildete sich eine Strömung in der NaO, welche hauptsächlich die Bekämpfung der dortigen GAM-Positionen zum Ziel hatte. Dies wäre an und für sich kein Problem, nur fehlten meistens die eigenen ausformulierten Gegenpositionen. Zur Koalition von Syriza mit der rechtspopulistischen ANEL finden wir im „Abschiedsstatement“ der „NaO Wolken“ (in Berlin hieß diese Strömung „Lila Wolken“):

„Wer nach dem SYRIZA-Wahlsieg eine Regierung wollte, die wenigsten vorhatte, sich der Troika zu widersetzen, musste erkennen, dass es zur Koalition mit ANEL keine parlamentarische Alternative gab – auch wenn das unbestreitbar eine für Linke ziemlich ‚unappetitliche‘ Partei ist.“ (1)

Ob der Begriff „unappetitlich“ mehr erklärt als die Begrifflichkeiten Volksfront, Querfront, oder auch, was denn eine ArbeiterInnenregierung wäre, sei mal dahingestellt. Zumindest zeigte die Syriza-Führung um Tsipras schon mal, wie sie sich Widerstand gegen die Austeritätspolitik vorstellte. Die NaO Berlin war der Taktik der GAM gefolgt, dass wir klar auch diese Regierung gegen jede Sparpolitik aus Berlin und Brüssel verteidigen, dass wir auch solidarisch mit allen progressiven Maßnahmen dieser Regierung sind, dass wir aber genauso klar erwähnen müssen, dass die Koalition mit ANEL der Anfang vom Ende der fortschrittlichen Rolle von Syriza ist. Dementsprechend forderten wir die Linken in Syriza und außerhalb von ihr auf, mit ANEL zu brechen und dem Widerstand gegen die Austeritätspolitik eine klassenkämpferische Basis zu geben, die eben nicht auf eine parlamentarische Volksfrontregierung setzt.

Das war den Wolken damals und ist auch in ihrem jetzigen Statement dann möglicherweise doch zu viel „Abstraktion“. Aber wenn eine antikapitalistische, vielleicht sogar revolutionäre Politik und Methode wirksam werden sollen, dann sollte auch klar, dass wir nicht allein der parlamentarischen Arithmetik folgen können, sondern genau darüber hinaus Perspektiven entwickeln müssen. Dass die „Linke“ in Syriza dann erst später mit der Partei brach, eine „Volkseinheit“ mit altem Syriza-Programm auflegte und praktisch keine Bedeutung erreichen konnte – ähnlich ging es Antarsya, die manche gewerkschaftlichen Bastionen errang, aber diesen zugespitzten Sommer 2015 so gut wie gar nicht zur eigenen Verstärkung nutzen konnte -, lag auch an einer fehlenden revolutionären Perspektive und Taktik gegenüber dieser Regierung. Wenn dies die Blaupause für den Umgang mit dem Reformismus ist, dann brauchte auch von den „Wolken“ niemand darüber zu fabulieren, dass es in Deutschland eine objektive Aufgabe ist, den organisierten Reformismus herauszufordern. Dann wird eben niemand konkreter, als dass wir die angeblichen „Zwänge“ des Reformismus auch noch von links verteidigen. Dass die NaO Berlin mit ihren Statements auf dem Boden des NaO Manifests zu stehen vorgibt, entbehrt dann auch nicht einer gewissen Ironie, zeigt aber auch den „flexiblen“ Umgang von zentristischen Strömungen mit programmatischen Texten an und für sich.

Dazu das NaO-Manifest:

„Wo, wie in Griechenland, in einer zugespitzten Klassenkampfsituation die Bildung einer Linksregierung möglich werden kann, fordern wir von diesen die Bildung einer Regierung ohne bürgerliche Parteien und Maßnahmen, die einen wirklichen Bruch mit dem System einleiten. Eine solche Regierung würden wir gegen jeden reaktionären Umsturzversuch verteidigen – ohne unsere Kritik an ihren Fehlern zu verheimlichen.“ (2)

Zur Rolle der GAM und zum Ende der NaO hier noch zwei weitere Zitate:

„Immerhin hat die GAM mit dem ‚NaO-Manifest‘ ein aus ihrer Sicht ‚zentristisches‘ Dokument unterzeichnet. Und immerhin haben die GAM-Kader (aber auch die jungen REVO-Aktivisten!) engagiert, loyal und zuverlässig viel für den NaO-Aufbau geleistet (was man leider nicht von allen NaO-Gruppen behaupten kann).“ (3)

„Aber nochmal: Nur mit ‚GAM-Bashing‘ alleine würden wir es uns viel zu einfach machen. Die GAM konnte im NaO-Prozess nur deshalb so dominant werden, weil die ‚Anderen‘ nichts oder nur wenig zustande gebracht haben. Wir haben es einfach nicht geschafft, in nennenswertem Umfang bislang unorganisierte AntikapitalistInnen in unseren Prozess hineinzuziehen.“ (4)

Bemerkenswert ist schon diese Art „Einsicht“, dass „andere“, darunter auch die „Wolken“ selber, unheimlich wenig zumindest an Anschein von Positionierung hatten. Dies wurde dann gerne mit „Konsens“, „Position finden“ etc. umschrieben, gerade wenn es eigentlich keine eigene gab, außer dass die GAM-Vorschläge abgelehnt wurden. Wären sie allerdings konsequent, hätten sie schreiben müssen, dass ihr ganzes Verhalten darauf hinauslief, einen politischen Vereinheitlichungsprozess zu blockieren und auch letztlich den Kampf um Positionen, Methoden und Taktiken sang- und klanglos abzulehnen.

Was die organisatorische Seite des politischen Lebens angeht, so ist schon bemerkenswert ähnlich, was GAM und Revolution – im Vergleich zu fast allen anderen Organisationen und Einzelpersonen – geleistet haben. Dies würden wir auch mit „engagiert, loyal und zuverlässig“ beschreiben, eben wie es sich für einen politischen Block wie NaO für alle daran Beteiligten geziemt!

Zum Verhältnis zu isl und RSB

Dass sowohl RSB und isl wie auch die GAM als „Schwergewichte“ in der NaO agieren konnten, zeigt sicherlich, dass diese Initiative Schwierigkeiten hatte, überhaupt in gewisse Spektren hineinzuwirken bzw. auch die beteiligten Gruppen damit, die NaO in ihren bisherigen Arbeitsfeldern überhaupt einzubringen, dort auch „Werbung“ für sie zu machen. Es wäre sicherlich interessant gewesen, in einen politischen Diskurs mit der AKL der Linkspartei zu kommen, wenn z. B. die dort ebenfalls vertretene isl dies überhaupt gewollt hätte. Von einem aktiven Kampf für NaO-Positionen innerhalb der AKL gegen die anderen Strömungen (z. B. marx21, SAV) war die isl erst recht weit entfernt.

In ihrem Statement versteigt sie sich stattdessen zu arroganter Geringschätzung unserer Gruppe:

„Wenn Deutschland ein Schachbrett wäre, dann wäre die GAM darin nicht einmal der Schatten eines Bäuerchens. Im Schach ist es klug, die vorhandenen Kräfte auf einen Brettabschnitt zu konzentrieren, wo die eigene Partei Übergewicht erlangen kann. Das war für die GAM die NaO, und besonders die NaO Berlin.“ (5)

Der Schatten der kleinsten Schachfigur hat zumindest mehr Einfluss aufs Spiel als die isl Kellners, die „fragend vorwärts schreiten“ will und in ihrer Politik die Regeln des Mikadospiels beherzigt: „Wer etwas bewegen will, hat schon verloren!“

Immerhin gesteht der Autor ein, dass die eigenen Organisationsleistungen zumindest „überschaubar“ waren. Wir bevorzugen die Kategorien Sabotage und Liquidatorentum für die Beschreibung des Verhaltens der isl.

„RSB und isl haben keine Veranlassung, von oben herab auf das Scheitern der NaO zu blicken. Auch ihnen ist es nicht gelungen, eine positive Dynamik im NaO-Prozess auszulösen. Das mag mit den geringen investierten Kräften zusammenhängen oder auch mit der Unfähigkeit, in dem mit dem NaO-Prozess gegebenen Zusammenhang überzeugende und mitreißende Perspektiven zu formulieren. Jedenfalls waren isl- und RSB-Mitglieder in diesem NaO-Zusammenhang nicht die entscheidenden Akteure.“ (6)

Dazu noch der RSB:

„Viel lag an der mangelnden Dynamik, weil es außerhalb von Berlin keine wirkliche Unterstützung von außerhalb der wenigen Kleingruppen gab. In Berlin konnte NaO sich in der Linken einen Namen machen und auch ein gewisses interessiertes Umfeld aufbauen. Aber selbst hier blieb die Zahl derjenigen, die sich aktiv in den Prozess selbst einbringen wollten, doch sehr beschränkt. Für den bundesweiten Prozess galt dies noch mehr.“ (7)

Der RSB hat in seinem Statement sehr ruhig, äußerst unpolemisch über das Ende der NaO geschrieben. Allerdings fehlten auch dem gesamten Engagement des RSB hier und da der nötige rote Pfeffer bzw. die Bereitschaft, sich politisch und organisatorisch einzubringen. Wenn anfangs über die sozio-pyschologischen Zustände in der deutschen Linken geschrieben wird (Zustand der Depression), so müssen wir auch leider feststellen, dass wir sogar bei zeitweiligen Bündnissen oft mehr Engagement, Aktivität und allgemeine Bereitschaft vorfinden, als es die beiden Sektionen der 4. Internationale in diesem Umgruppierungsveruch gezeigt haben.

Jetzt kann der GAM daraus ein Vorwurf gemacht werden, dass wir in Berlin mit unserer Ortsgruppe zumindest einen kleinen, aber sichtbaren Akteur stellten. Was wir aber nicht rechtfertigen müssen, und das wird in der Nachbetrachtung immer seltsamer, ist, dass wir eine Perspektive, eine Politik und eine Richtung für die NaO vorgeschlagen haben. Dies entspricht unserem Mindestverständnis von Politik allgemein. Dass dies auch anders geht, haben wir ebenfalls in der NaO lernen dürfen. So agiert die isl als eine Sektion der 4. Internationale schließlich nach folgendem „Prinzip“:

„Für die isl war die Teilnahme Teil des für sie üblichen ‚Spagats‘, und im Übrigen war sie in ihren Reihen umstritten: ein Teil ihrer Mitglieder arbeitet in der Partei Die Linke und in deren antikapitalistischem Flügel mit, auch zur IL im Werden bzw. später zur IL bestanden und bestehen Verbindungen unterschiedlicher und wechselnder Intensität; eine Reihe von Mitgliedern der isl räumten dem NaO-Prozess von Anfang an wenig bis keine Erfolgschancen ein und fanden die Teilnahme daran eine Kräfte- und Zeitverschwendung.“ (8)

Und so ist es auch für die isl unerheblich, ob eine Konferenz ihrer Organisation beschlossen hat, den NaO-Aufbau zu unterstützen. Wichtig bleibt allein, wer den „Spagat“ als Organisationspolitik verkauft, dann aber anderen noch erzählen möchte, wie Politik überhaupt funktioniert. Immerhin fiel auch der isl auf, dass die NaO Berlin in den Jahren 2014/15 eine gute Rolle in der radikalen Linken Berlins einnahm, dass die Kampagne „Waffen für Rojava“ über 100.000 Euro sammeln konnte. Ist vielleicht für die isl nur eine Randnotiz, zeigt aber auch, wie wenig beteiligt sie am Geschehen war, es sogar schaffte, diese Kampagne nicht bundesweit zu unterstützen.

„Die NaO Berlin spielte eine bedeutende und positive Rolle bei zwei aufeinanderfolgenden ‚Revolutionären 1. Mai-Demos‘ in Berlin, organisierte ein um das andere Mal Veranstaltungen mit einigen hundert TeilnehmerInnen und sammelte schließlich 50.000 Euro oder mehr für ‚Waffen für Rojava‘ (wobei dies schon Ausdruck einer gewissen Einengung des politisch Blickwinkels war und einer selbstgewissen Positionierung in internationalen Konflikten, die eine Überschätzung der eigenen Urteilskraft mit beinhaltete).“ (9)

Inwieweit diese Kampagne eine Einengung des Blickwinkels war, oder wer wie warum seine Urteilskraft überschätzte, hat uns die isl im NaO-Prozess leider nicht erklärt. Wenn sie die Unterstützung der syrischen Revolution gemeint hat, so hätte die isl bei der GAM damit ein offenes Ohr gefunden. Aber leider brachte die isl diese Inhalte nicht in der NaO selbst vor. Es blieb bei weitläufigen Beobachtungen, die wir mit der isl diskutierten. Auf jeden Fall teilte die übergroße Mehrheit der NaO Berlin wie auch der bundesweiten Gruppen nicht die Urteilskraft der isl bezüglich des Putsches in der Ukraine, welchen sie uns lange Zeit als „Aufstand der Demokraten“ verkaufen wollte. Auch eine weitergehende Diskussion zum syrischen Bürgerkrieg wurde von der isl nicht angestoßen.

Ein ganz besonderes Niveau zeigt der Genosse Kellner, auch Autor eines Buches mit dem Titel „Trotzkismus“, noch bei der Beschreibung der GAM-GenossInnen im NaO-Prozess. Wahrscheinlich werden auch bald jene verunglimpft, welche das Kommunistische Manifest, Das Kapital von Marx oder auch „Was tun“ von Lenin als Bezugsquellen ihres politischen Bewusstseins benennen, stören doch diese Schriften offensichtlich die Organisation des Genossen Kellner beim „fragend vorwärts Schreiten“.

„Diese Kader haben einen Kanon, eine Überlieferung: Die Oktoberrevolution von 1917, die Kommunistische Internationale bis 1922 und was Trotzki bis zu seiner Ermordung 1940 so gesagt und geschrieben hat.

Ihre drei Dutzend Wahrheiten können gelernt werden; ihre herausragenden Führungsfiguren gehen ziemlich souverän mit ihnen um und gruppieren sie je nach Tagesbedürfnis immer wieder neu (mit ihnen kann man sogar diskutieren, und gut); ihre mittleren Kader und Adepten aber können nur die drei Dutzend Wahrheiten artikulieren, und zwar so, wie es gerade von den Führungsmitgliedern ausgegeben worden ist. Mit ihnen (gut) diskutieren kann man nicht: Die Suggestion der verbürgten Wahrheiten ist zu stark, das Problembewusstsein für die schwer zu beantwortenden Fragen und Probleme der Gegenwart zu gering.“ (10)

Wir ersparen uns an der Stelle, dieses „Niveau“ halten zu wollen, lassen aber wissen, dass das politische Erbe Trotzkis, der Internationalen Linksopposition wie auch der Bolschewiki und der Komintern eben leider nicht in drei Dutzend Wahrheiten zusammengefasst werden kann. Es wäre im Gegenteil äußerst hilfreich, wenn mehr „TrotzkistInnen“ zumindest dieses methodische Gerüst heute verteidigen und mit Leben füllen würden und wenn sie soviel „Leninismus“ wie Trotzki verkörpern könnten. Dann gäbe es zumindest eine Möglichkeit, als politische Organisation die Fragen und Probleme der Gegenwart anzugehen und dies noch mit einer gemeinsamen Praxis zu unterlegen. Wir halten es nämlich nicht für eine überlieferte Mär, dass eine Organisation ein revolutionäres Programm erarbeiten und eine dementsprechende Praxis entwickeln kann.

Die Erarbeitung und Verabschiedung des NaO Manifests, die Praxis einzelner NaO-Gruppen haben gezeigt, dass der Versuch einer Umgruppierung Chancen hatte. Sicherlich helfen weder eine relativ stabile Lage im deutschen Klassenkampf noch ein mangelndes Verständnis, wie denn die Vormachtstellung des Reformismus in der Klasse gebrochen werden kann, real bei einer Umgruppierung, die eine revolutionäre Organisation mit entsprechendem Programm und Praxis zum Ziel haben sollte. Wenig hilfreich sind auch PartnerInnen in der Umgruppierung, die dieses gar nicht zum Ziel haben bzw. glauben, dass sich mit möglichst langem Warten und Passivität etwas verändert, bzw. die überhaupt Umgruppierung mit einem weiteren Netzwerk oder Spagataktivität verwechseln.

Die GAM sieht weiterhin die Notwendigkeit, mit anderen Organisationen, Strömungen, Netzwerken etc. über eine klassenkämpferische Praxis und Programmatik zu diskutieren, und steht dafür zur Verfügung. Dies ist eine wichtige objektive Aufgabe für die nächsten Jahre in Deutschland.

Endnoten

(1) Siehe http://www.scharf-links.de/266.0.html?&tx_ttnews[tt_news]= 56981&tx_ttnews[backPid]=265&cHash=44883da714

(2) Manifest für eine Neue antikapitalistische Organisation, S. 28

(3) Siehe http://www.scharf-links.de/266.0.html?&tx_ttnews[tt_news]= 56981&tx_ttnews[backPid]=265&cHash=44883da714

(4) Ebda.

(5) Kellner, Manuel: Die Neue antikapitalistische Organisation (NaO) ist aufgelöst – Woran ist sie gescheitert?, http://www.islinke.de/nao_bilanz.htm, 01.06.2016

(6) Ebda.

(7) Siehe http://www.rsb4.de/content/view/5723/88/

(8) Kellner, a. a. O.

(9) Ebda.

(10) Ebda.




Erklärung zur Auflösung der neuen antikapitalistischen Organisation

Neue anti-kapitalistische Organisation, 4. April 2016, Revolutionärer Marxismus 48, August 2016

Seit der Verabschiedung des NaO-Manifests sind bald zwei Jahre vergangen, in denen die NaO als Prozess und Organisation die Möglichkeit hatte, sich weiterzuentwickeln. Seit Beginn 2014 gründete sich die NaO in Potsdam, Berlin, Kassel, Bremen, Stuttgart und Köln; in Hamburg und München gab es Anläufe zur Gründung.

Heute können wir im NaO-Prozess bestenfalls von einer Stagnation sprechen und schon dies wäre eine optimistische Formulierung. Im Aufbau einer Mitgliederorganisation, die links von der Linkspartei ihr Programm vertritt, ist die NaO gescheitert.

Es sind keine neuen Gruppen dazugekommen, die während des Prozesses Kontakt mit der NaO aufgenommen haben. In Berlin und Stuttgart stehen wir weiterhin mit Mitgliedsgruppen in Kontakt, aber die NaO hat keine Attraktivität und Dynamik entwickeln können, um ihre „Basis“ zu verbreitern. Stattdessen ist die Aktivität insgesamt seit Sommer 2015 nochmals runtergegangen, wie auch die Debatte innerhalb der NaO.

Für den Niedergang der NaO sind unserer Meinung nach drei Faktoren ausschlaggebend:

a) Die relative Stabilität des deutschen Kapitalismus in den letzten Jahren, was nicht zuletzt ein Resultat der Fähigkeit war, den Lohnabhängigen wie anderen Staaten und deren Bevölkerung die Kosten für die Krise aufzuzwingen, also Resultat eines zunehmend aggressiveren Kurses des deutschen Imperialismus und der Dominanz des Sozialchauvinismus in der ArbeiterInnenbewegung. Die deutsche „radikale“ Linke selbst befindet sich in dieser Lage in Desorientierung, Rückzug und verweigert mehrheitlich eine politische Auseinandersetzung.

b) Der zweite, zentrale Grund für die Stagnation der NaO ist in den politischen Differenzen zu sehen. Sie sind der Grund nicht nur für die numerische Stagnation, sondern auch dafür, dass die in der NaO organisierten politischen Kräfte sich nach anfänglicher Konvergenz wieder mehr und auseinanderentwickelt haben. Beim letzten bundesweiten Treffen im Juni 2015 in Berlin gab es größtmögliche Differenzen zur Einschätzung der Syriza/ANEL-Regierung und vor allem, wie sich die NaO dazu verhalten soll. Als die NaO Berlin nach der Oxi-Abstimmung und den Neuwahlen weiterhin Position dazu bezogen hatte, blieb dies im gesamten bundesweiten Prozess eigentlich undiskutiert. Dadurch werden sicherlich keine Differenzen ausgeräumt oder geklärt bzw. sich darauf verständigt, was eine NaO vertreten könnte.

c) Nicht zuletzt litt die NaO an einer mangelnden Verbindlichkeit, was unterschiedliche Aufbauvorstellungen und Zielsetzungen widerspiegelte. Während die einen eine Mitgliederorganisation wollten, wollten andere nur ein Netzwerk von Gruppen. Während die einen die NaO als Schritt zu einer größeren revolutionären Organisation mit ebensolchem Programm betrachteten, wollten sie andere auf dem Stand eines programmatisch pluralen Netzwerkes halten.

Selbst wenn sich politische Strömungen gebildet haben, hat dadurch weder die politische Debatte zugenommen, geschweige denn die Klärung politischer Differenzen. Das ist insofern für uns eigentümlich, da wir von Strömungen und Fraktionen erwarten würden, dass diese eine andere Vorstellung zum Prozess als Ganzem bzw. zu einzelnen politischen Positionen zumindest in die NaO einbringen, aber auch diese Auseinandersetzung findet nicht statt.

Die vereinbarte weitere programmatische Diskussion wurde im NaO-Prozess nicht geführt. Dadurch ist nach unserem Verständnis letztlich auch der Prozess zum Erliegen gekommen.

Unserer Meinung nach lässt sich dieser Prozess nicht wieder beleben, auch wenn die „Internationalismustage 2016“ ein Erfolg waren. Wir halten es für vernünftiger und für zukünftige Umgruppierungsprozesse zweckdienlicher, den Prozess einvernehmlich zu beenden, statt so zu tun, als würde aus der NaO bundesweit oder auch an einzelnen Orten eine neue Organisation erwachsen.

Wir denken, dass es trotz seines Scheiterns richtig war, das NaO-Projekt in Angriff zu nehmen. In seiner Geschichte konnte es sowohl inhaltlich einige richtige Positionen entwickeln (Manifest), positionierte sich auf einer internationalistischen Basis zur Ukraine, zur Solidarität mit dem kurdischen Volk, zum Klassenkampf in Griechenland. Aber die dabei auftauchenden politischen Differenzen paralysierten den NaO-Prozess zunehmend und untergruben auch seine Anziehungskraft nach außen.

Zweifellos haben die verschiedenen Strömungen in der NaO unterschiedliche Gründe für dieses Scheitern, die sie sicher auch öffentlich darlegen werden. Aber es macht keinen Sinn, das Label nur um seiner selbst willen fortzuführen und mit sich selbst „Umgruppierung“ zu spielen.

Wir schlagen vor, weiter gemeinsam politisch zu arbeiten bei:

a) bundesweiten, internationalen wie lokalen Mobilisierungen (Anti-Rassismus, Gewerkschaftsopposition, internationale Solidarität, Erster Mai),

b) Organisierung von Diskussionsforen zu grundlegenden Fragen der ArbeiterInnenbewegung und der Linken,

c) Fortführung der „Internationalismustage“ als eines strömungsübergreifenden, internationalistischen Diskussionswochenendes.

Wir halten jedoch eine Beendigung des NaO-Prozesses an dieser Stelle für notwendig, weil seine Fortführung ein zukünftiges Ringen um Einheit von RevolutionärInnen und Anti-KapitalistInnen auf einer klaren, politischen Grundlage und gemeinsamer, dynamischer und verbindlicher Außenaktivität mehr beschädigen denn fördern würde.

Mehrheitlich beschlossen von der bundesweiten Koordinierung, 4. April 2016




Debatte im NAO-Prozess: Zur Frage der “Überwindung des Geschlechterverhältnisses”

Helga Müller / Markus Lehner, Neue Internationale Frauenzeitung, März 2013

Seit Mitte 2012 beteiligt sich die Gruppe Arbeitermacht aktiv an der Formierung einer „Neuen antikapitalistischen Organisation“ (NAO). In der Diskussion um deren politische Grundlagen nimmt die Frage des Geschlechterverhältnisses zu recht einen zentralen Stellenwert ein. Einigkeit besteht darin, dass der Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen wie gegen Sexismus und die Zuschreibung reaktionärer Geschlechterrollen eine zentrale Frage jeder Organisation bilden muss, die ernsthaft als antikapitalistisch, revolutionär und emanzipatorisch gelten will.

Aber zugleich zeigt sich, dass es im NAO große Differenzen bezüglich des Verständnisses der Ursachen der Frauenunterdrückung gibt. Im folgenden wollen wir anhand einzelner Fragestellungen unsere Haltung genauer darstellen, tw. in bewusster Abgrenzung zu „de-konstruktivistischen“ Theoriesträngen oder Grundannahmen.

Wie kann sexistisches Verhalten überwunden werden – allein durch ständige Aufklärungsarbeit und entsprechende Verhaltensänderung von Männern?

Sexistisches Verhalten ist auch nach Dekaden von „Aufklärungsarbeit“, kritischer „Dekonstruktion“ verschiedenster noch so versteckter Naturalisierungs-Ideologien in Bezug auf Geschlechterrollen, selbstkritischer Überwindung von „Identitätspolitik“ etc. nicht im Abnehmen begriffen – weder gesellschaftlich, noch in linken Organisationen. Tatsächlich sind reaktionäre Frauenbilder und Rollenzuschreibungen in den letzten Jahren (und speziell mit der Verschärfung der kapitalistischen Krise) auch in den Metropolen wieder auf dem Vormarsch. Um das zu sehen, bedurfte es nicht erst der Brüderle-Episode.

Die Vorstellung, durch bloße „Dekonstruktion“ und Analyse der versteckt sexistischen Einstellungen, der Entlarvung von scheinbar natürlichen Geschlechterverhältnissen als „gesellschaftliche Konstrukte“ ließe sich praktisch etwas verändern, ist letztlich eine zutiefst idealistische Illusion. Die dialektische Analyse von „naturwüchsigen“ oder sich als „natürlich“ verschleiernden gesellschaftlichen Verhältnissen kann nicht bei der Aufdeckung dieser ideologischen Täuschung stehen bleiben – sie muss auch die materielle Gewalt dieser Illusion, die Notwendigkeit, mit der sich diese Täuschung den Subjekten aufzwingt, darstellen.

So reichte es Marx nicht, mit dem Warenfetisch offenzulegen, dass die Warenform zur Verkleidung eines gesellschaftlichen Verhältnisses als sachliches, scheinbar „naturgesetzlich“ bestimmtes dient. Er zeigte zugleich die objektiven Bedingungen (die ungeplante unmittelbare Gleichsetzung von abstrakt-allgemeiner Arbeit mit gesellschaftlicher Arbeit in einer Gesellschaft verallgemeinerter Warenproduktion), die diese Illusion nicht nur hervorbringen, sondern auch im täglichen Verhalten als immer schon vorausgesetzt notwendig machen. Im Alltag kapitalistischer Gesellschaften werden selbst noch so große Kritiker des Warenfetischs wie selbstverständlich sich so verhalten, als sei Geld mit einem sachlichen Anspruch auf „absolute Wahlfreiheit“ auf alles und jedes (die Ware an sich)  verbunden. Die Illusionen über das Kapitalverhältnis, ob sie sich auf Waren, Lohn, Zinsen oder sonstiges beziehen, verschwinden eben nicht durch noch so gute Kritik oder „Dekonstruktion“.

Sie werden durch die immanenten Widersprüche im Kapitalverhältnis immer wieder erschüttert, können durch den Kampf zur Überwindung des Kapitalverhältnisses schrittweise zu Bewusstsein gebracht werden – zum Verschwinden aber nur, durch seine Aufhebung und die Überwindung ihrer materiellen Ursachen durch die geplant/bewusste Wiederherstellung des Zusammenhangs von konkretem und gesamtgesellschaftlichem Arbeitsprozess.

Ähnlich sind sexistische Verhaltensweisen, die Missachtung von Frauen, reaktionäre Rollenbilder, die Naturalisierung von Geschlechterverhältnissen etc. nicht durch deren kritische Aufdeckung und Entlarvung ihrer „Falschheit“ zu überwinden, oder durch moralische Appelle an Verhaltensänderung. So wenig wie der Warenfetisch als falsches Bewusstsein, das die Menschen zu absurden warenfetischistischen Verhaltensweisen bringt, das Kapitalverhältnis erzeugt, so wenig ist der Sexismus eine Ideologie, die erst die Frauenunterdrückung hervorbringt.

Umgekehrt: das bestehende Geschlechterverhältnis beruht auf objektiven, materiellen Vorteilen eines Teils der Gesellschaft und erst auf dieser Basis entsteht sexistische Ideologie und Verhaltensweise und wird dann zum wesentlichen Transmissionsriemen der Frauenunterdrückung.

Die objektive gesellschaftliche Unterdrückung von Frauen zumindest seit der Entstehung von Klassengesellschaften ist eine zweifache: eine Beherrschung der weiblichen Sexualität als Eigentum des Familienvaters oder Patriarchen zwecks eindeutiger Vererbung des angeeigneten Reichtums. Die Einschränkung der sexuellen Promiskuität wird dabei nur für Männer durch Institutionen wie die Prostitution relativiert (Doppelrolle Mutter/Hure). Die Funktion in der patriarchalen Familie der jeweils herrschenden Klasse strahlt mehr oder weniger auf die anderen Schichten der Gesellschaft aus. Zweitens beruht das Unterdrückungsverhältnis auf dem Kommando über die den Frauen zugeordnete Reproduktionsarbeit; auf ein Herr/Magd-Verhältnis, das sich besonders seit dem Feudalismus auch in den unterdrückten Klassen ausgeprägt hat (Hausfrau/Magd-Rolle).

Diese grundlegenden Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse bestimmen die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung, führen aber auch in nur indirekt betroffenen Gebieten zu einem Machtgefälle in der Arbeitswelt. Schließlich setzt sich dies auch im gesellschaftlichen Überbau (Recht, Ideologie, Kultur, Wissenschaft, Politik) durch und wurde über Jahrhunderte verfestigt, verfeinert und institutionalisiert.

Da es sich um ein gesellschaftliches Machtverhältnis handelt, das sich auch auf das Gebiet der menschlichen Sexualität unmittelbar auswirkt, wirkt es auch prägend auf die Persönlichkeitsentwicklung der nachfolgenden Generationen. Wie die Psychoanalyse gezeigt hat, sind die gesellschaftlichen Prägungen der frühkindlichen bis jugendlichen Sexualität derart stark, dass auch noch so bewusst-bemühtes Entgegensteuern die „naturalisierten“ Geschlechterverhaltensweisen kaum verändern kann und selbst eine tiefgehende Therapie bloß pathologische Extremausschläge abmildern kann. Von daher sind sexistische Verhaltensweisen wie auch viel schlimmere Formen der Gewalt gegen Frauen Bestätigungs- und Befestigungsakte für das bestehende Machtgefälle zwischen Männern und Frauen.

Dies heißt nicht, dass dieses Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnis bruchlos funktioniert und nicht auch im bestehenden Gesellschaftssystem Änderungen erzwungen werden könnten. Sowohl das Herr/Magd-Verhältnis wie auch die sexuelle Beherrschung von Frauen führen zu Entfremdungs- und Abhängigkeitsverhältnissen, die auch für Männer letztlich nicht befriedigend und für ein gutes Leben Grundlage sein können. Dazu kommt, dass verschiedene Klassengesellschaften unterschiedliche Bedingungen für die Entwicklung der Frauenunterdrückung bedeuten und auch Unterschiede derselben je nach sozialer Lage hervorbringen.

Es ist richtig, dass das abstrakte Kapitalverhältnis an sich nicht unmittelbar mit Frauenunterdrückung verbunden ist. Sicher ergreift die Verallgemeinerung der Warenform auch die sexuell verdinglichten Frauenrollen, um sie in der Porno-, Werbe- oder Prostitutions- Industrie profitabel verwerten zu können. Wesentlicher ist jedoch, dass das Kapital die kostenlose, nicht-vergesellschaftete Reproduktionsarbeit, die es als „traditionelle Frauenarbeit“ geerbt hat, aufgegriffen hat, und ganz zentral zur Senkung der notwendigen Arbeitszeit (Reproduktion der Ware Arbeitskraft) und damit zur Gewinnung von Mehrwert benötigt. Insofern wird der Druck auf das Arbeitseinkommen im Sinne der nur teilweisen monetären Begleichung der Reproduktionskosten in den Familien der Lohnabhängigen speziell zum Druck auf Frauen – entweder ganz zu Hause zu bleiben oder der Doppelbelastung von Familie und Arbeit ausgesetzt zu werden. Diese Feststellung hat nichts mit einer Akzeptanz von traditionellen Frauenrollen zu tun, sondern erklärt den für lohnabhängige Frauen scheinbar objektiven Zwang, durch den sie wiederum in diese Rollen gedrängt zu sein scheinen.

Diese Verhältnisse sind auch insofern brüchig, als Frauen ihnen tatsächlich Widerstand entgegensetzen können.

Warum Frauen aufgrund der Prägung der Männer bzw. der daraus folgenden „Machtgefälle“ sich notwendigerweise in bestimmten Formen unabhängig organisieren müssen (und nicht den Männern auch noch die Frauenbefreiung überlassen können)

Sexismus ist eine männliche Verhaltensweise, die sich über tausende von Jahren verfestigt hat, dieser ist in allen Klassen präsent, auch in der Arbeiterklasse. De facto dienen der Sexismus und die Unterdrückung der Frau in der Gesellschaft insgesamt dazu, die Arbeiterklasse entlang der Geschlechterlinien zu spalten. Trotzdem ist aber die Arbeiterklasse die einzige Klasse, die kein objektives Interesse daran hat, dass die Unterdrückung und Diskriminierung der Frau weiter bestehen bleibt. Die Möglichkeit des Sturzes des Systems, das alle ArbeiterInnen ausbeutet und zugleich die Frauen gesellschaftlich unterdrückt, wird durch diese Spaltungen behindert. Insofern haben die männlichen Arbeiter ein historisches Interesse am Sturz des Kapitalismus und daran, dabei die Grundlage für die gesellschaftliche Unterdrückung der Frau zu überwinden. Sie sind daher die wirklichen strategischen Verbündeten der Frauen der Arbeiterklasse im Kampf gegen Unterdrückung und Ausbeutung.

Diese Spaltung führte in der Vergangenheit, aber auch noch heute zu Privilegien, die auch viele männliche Arbeiter aktiv verteidigen.

Auf der anderen Seite erhalten Frauen noch heute, obwohl sie oft schon gleich oder sogar besser qualifiziert sind als ihre männlichen Kollegen, für die gleiche Arbeit weniger Lohn und Gehalt.

Die soziale Unterdrückung der Frau hat auch eine „psychologische“ Seite: die schlechtere Stellung von Frauen in den sozialen Hierarchien schadet auch ihrem sozialen Selbstwertgefühl und befördert damit auch wiederum eine Sicht von Männern, Frauen nicht als gleichwertige Subjekte anzusehen, sondern als „Objekte“.

Damit dies durchbrochen werden kann und Frauen auch in der Arbeiterbewegung vollständig und gleichberechtigt teilnehmen können, werden sie selbst darum kämpfen müssen, dass ihre Stimme gehört wird, damit ihre Teilnahme ernst genommen wird, damit die Klasse insgesamt die Forderungen der Frauen aufgreift.

Zum zweiten müssen sich Frauen der Arbeiterklasse selbständig organisieren können, um Frauen zu erreichen, die in der Familie und außerhalb der gesellschaftlichen Produktion gefangen sind und daher leichter für rückständige Ideen gewonnen werden können.

Drittens ist eine eigenständige Organisation von Arbeiterfrauen notwendig, weil Frauen bei Aufständen oder gar revolutionären Bewegungen oft an vorderster Front gegen ihre Unterdrückung kämpfen, nicht zuletzt in der arabischen Revolution und häufig – oft neben der Jugend – die militantesten KämpferInnen innerhalb der Reihen der Ausgebeuteten bilden. Dabei haben sie schon oft die Tendenz gezeigt, eigene Organisationen zu bilden, sei es in existierenden Organisationen wie den Gewerkschaften, seien es eigene Organisationen/Komitees zur Durchsetzung ihrer Forderungen wie die Möglichkeit zur Abtreibung oder gleiche Bezahlung. Oder sie bildeten Frauenorganisationen zur Unterstützung der kämpfenden männlichen Arbeiter wie z.B. in England während des großen Bergarbeiterstreiks in den 80iger Jahren. Diese leisteten immer einen wichtigen Beitrag zur Überwindung der Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse und fördert die Klasseneinheit und Klassensolidarität. Gleichzeitig stärken die Schaffung solcher Unterstützergruppen die Fähigkeiten von Frauen zur Teilnahme am Kampf und sogar dann, wenn sie auf sexistische Ablehnung trafen.

Dies schließt auch die Notwendigkeit des Aufbaus von Frauengruppen in den Gewerkschaften mit ein, damit Frauen gerade in diesen Organisationen der Arbeiterbewegung ihre besondere Unterdrückung diskutieren und ihr Selbstvertrauen im Kampf stärken können, um mehr Frauen in die Gewerkschaften zu bringen, Klassenbewusstsein zu entwickeln und in der Praxis und Theorie zu erkennen, dass der Kampf um vollständige Emanzipation nur mit der Arbeiterbewegung möglich ist.

Warum die Frauenbewegung im 20. Jahrhundert tatsächlich wesentliche Fortschritte erzielt hat und auch gewisse soziale Umwälzungen erzielen konnte

Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist auch eine Geschichte des Kampfes für die politischen und sozialen Rechte von Frauen. Das Frauenwahlrecht existierte selbst für die Frauen aus dem Bürgertum noch nicht und musste erst in zähen Kämpfen errungen werden. Auch heute ist die rechtliche Gleichstellung der Frauen in vielen Ländern der Erde noch Zukunftsmusik.

Auch die soziale Stellung der Frauen, Beschränkungen im Arbeitsleben, Fehlen von Kinderbetreuung und sexistische Ausgrenzung konnten eingeschränkt werden. Aber diese Fortschritte waren – selbst wenn sie wie z.B. die Ausdehnung der Erwerbsarbeit der Frauen auch mit veränderten Erfordernissen der Kapitalverwertung einhergingen – immer auch das Resultat von gesellschaftlichen Kämpfen.

Die Ausweitung des Wahlrechts war in vielen Ländern ein Resultat der revolutionären Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg. Dabei ist auch bezeichnend, dass die meisten substantiellen Veränderungen als Resultat von Kämpfen herbeigeführt wurden, an deren Spitze die Arbeiterklasse stand, in der die Arbeiterinnen eine zentrale Rolle spielten.

Es ist kein Zufall, dass die russische Revolution 1917 auch ein Meilenstein für die Emanzipation der Frauen war. Das trifft nicht nur auf die Einführung des Wahlrechts, sondern auch auf die massive Erleichterung des Scheidungsrechts, den Aufbau einer proletarischen Frauenbewegung oder Schritte zur Vergesellschaftung der Hausarbeit zu. Selbst in der Roten Armee wurden Frauen als Kämpferinnen und Kommandeurinnen integriert.

Zugleich markierte der Beginn des 20. Jahrhunderts auch einen Meilenstein bei der Herausbildung einer proletarischen, einer sozialistischen und kommunistischen Frauenbewegung.

Doch diese fiel nicht von ungefähr einer inneren Konterrevolution in der Arbeiterbewegung zum Opfer. Der reformistischen Sozialdemokratie war die sozialistische Frauenbewegung einer Clara Zetkin immer schon ein Dorn im Auge – nicht zuletzt, weil sie den Kampf gegen Frauenunterdrückung mit dem Kampf gegen Kapitalismus und imperialistischen Krieg verband. Im Stalinismus wurden die politischen und sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution praktisch rückgängig gemacht. Die „sozialistische Familie“ wurde wieder in ihr Recht gesetzt, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die Mutterrolle der (Ehe)frau ideologisch und rechtlich wieder gefestigt.

Es ist kein Wunder, dass die radikal-feministische, die autonome und auch die sozialistisch-feministische Bewegung der 1960er bis 80er Jahre ein distanziertes bis ablehnendes Verhältnis zum Marxismus hatte angesichts einer durch und durch reformistischen Frauenpolitik von Sozialdemokratie und Stalinismus, aber auch großer Teile der „radikalen Linken“, die den Kampf um Frauenbefreiung nicht nur theoretisch, sondern v.a. praktisch als Nebensache verstanden.

Ohne Zweifel kommt dieser Phase der Frauenbewegung der Verdienst zu, die männlich dominierte Linke „aufgeweckt“, ihr ihren Spiegel vorgehalten zu haben, sie hat zweifellos auch erzwungen, dass sich linke Organisationen ernsthafter zur Frauenfrage verhalten mussten.

Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die radikalen und selbst die sozialistisch-feministischen Strömungen zu falschen Vorstellungen fanden, dass die Gesellschaft von zwei nebeneinander stehenden Widerspruchsverhältnissen – dem Kapitalverhältnis und dem Patriarchat – durchzogen wären, dass somit im Extremfall die Frauen aller Klassen den Männer aller Klassen als Unterdrücker gegenüberstünden.

Hier fand also ein Bruch statt mit der Tradition der sozialistischen Frauenbewegung, die korrekterweise davon ausging, dass sich die proletarischen Frauen unabhängig von der bürgerlichen Frauenbewegung politisch organisieren müssen, da die bürgerlichen Frauen (nicht unbedingt einzelne AktivistInnen) in ihrer Gesamtheit notwendigerweise ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Klassenunterdrückung und daher auch an der Spaltung des Proletariats haben mussten und müssen.

Heute stehen wir vor dem Problem, dass wir nicht von einer Massenbewegung der Frauen  sprechen können. Die feministische „Bewegung“ ist weitgehend zu einer akademischen Veranstaltung geworden.

Dabei ist der Aufbau einer kämpferischen Massenbewegung der Frauen aus der Arbeiterklasse angesichts der verschärften Angriffe in der Krise eine strategische Notwendigkeit. Nur so können die bestehenden Rechte der Frauen gesichert oder neue errungen werden.

Dabei stehen wir auch vor einer offenkundig widersprüchlichen Entwicklung. Noch nie waren so viele Frauen erwerbstätig, Frauen leisten den Großteil der Arbeit der Menschheit. In Ländern wie Indien oder in den arabischen Revolutionen treten Frauen in Massen als Kämpferinnen und Aktivistinnen in Erscheinung. Aber um ihr soziales Gewicht, ihre Masse zur vollständigen Wirksamkeit zu bringen, ist es notwendig, eine proletarische Frauenbewegung neu aufzubauen; eine Bewegung, in der alle politischen Strömungen der Arbeiterklasse vertreten sein sollen und in der revolutionäre, kommunistische Frauen um die politische Führung kämpfen müssen.

Warum viele dieser Fortschritte heute wieder in Gefahr sind, auch wenn sehr viel mehr Frauen aus der Reproduktions- in die Produktionsarbeit gewechselt sind

Auch wenn eine der Errungenschaften der Frauenbewegung der 1970er und 80er Jahre darin besteht, dass Frauen heute sehr gut qualifiziert sind, oft besser als ihre männlichen Kollegen, hat dies an ihrer grundsätzlichen gesellschaftlichen Unterdrückung nichts geändert.

Die soziale Unterdrückung der Frau hat ihre Ursache letztlich in einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der Bindung der Frau an die private Hausarbeit. D.h. dass Frauen nach wie vor die Hauptlast der Hausarbeit und der Kinderbetreuung zu tragen haben. Daran konnte auch die Frauenbewegung nichts ändern.

Die bürgerliche Familie hat für Frauen immer noch eine doppelte Unterdrückungsfunktion: Sie führt nicht nur zu einer zeitlichen und nervlichen Doppelbelastung für berufstätige Frauen, sondern dadurch werden Frauen phasenweise aus dem Berufsleben, tw. sogar aus dem gesellschaftlichen Leben überhaupt herausgerissen.

Zum anderen – und eng mit ihrer „Hausfrauenrolle“ verbunden – sind die Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten von Frauen deutlich schlechter als die der Männer.

In Krisenzeiten – wie wir sie gerade erleben – wird diese gesellschaftliche Unterdrückung der Frau auch noch durch eine reaktionäre „Frauen- und Familienpolitik“ verstärkt und alle erkämpften Errungenschaften wieder grundsätzlich in Frage gestellt. Um nur einige Beispiele zu nennen:

  • Die Kommunen sparen an sozialen Ausgaben. Als eine der ersten kommunalen Versorgungspflichten wird an der Kinderbetreuung oder bei Kinder- und Jugendeinrichtungen gespart. Bis heute kann der Anspruch auf einen Kindergartenplatz nicht umgesetzt werden. Frauen aus der Mittelschicht oder mit gut bezahlten Jobs können sich eine private Kinderbetreuung durch Tagesmütter z.B. noch leisten, Frauen aus der Arbeiterklasse weniger. Was wiederum gerade Frauen aus der Arbeiterklasse zwingt, zu Hause zu bleiben oder sich mit prekären Jobs wie z.B. als Tagesmutter durchzuschlagen.
  • Die Einführung der „Herdprämie“ gerade zur jetzigen Zeit hat zum Ziel berufstätige, Frauen wieder zurück in die Familie zu zwingen oder Frauen, die in die Berufstätigkeit drängen, zumindest zeitweilig davon abzuhalten und zementiert damit wieder die alte Rollenverteilung in der Familie.

Warum es trotz der gesellschaftlichen Prägung richtig ist, über Verhaltensregeln, Änderungen von Diskussionskultur, positive Diskriminierung etc. in verschiedensten Bereichen und speziell in linken Organisationen um Verbesserungen zu kämpfen und sexistisches Verhalten zu bekämpfen

Wie bereits erwähnt, wirkt der Sexismus auch in die Arbeiterbewegung hinein. Auch linke Organisationen sind nicht von Sexismus oder sexistischem Verhalten der männlichen Mitglieder frei, auch wenn diese Organisationen in ihrem Programm die Emanzipation der Frauen zum Ziel haben. Sexistisches Verhalten ist nicht allein durch Analyse und ein „anderes“ Bewusstsein zu überwinden, es kann immer wieder – auch unbewusst – auch in diesen Organisationen zu sexistischem Fehlverhalten kommen. Letztendlich kann die Unterdrückung der Frau nur durch den Kampf gegen deren gesellschaftlichen Ursachen überwunden werden.

Gerade weil linke Organisationen sich auf die Befreiung der Frau berufen und sich diese ernsthaft zum Ziel setzen, müssen sie den Sexismus auch in ihren eigenen Reihen bekämpfen – nicht nur innerhalb der Arbeiterklasse. Um dies zu leisten, müssen sie spezielle Maßnahmen ergreifen, um Frauen innerhalb der Partei/Organisation – und in der Klasse – zu stärken und zu unterstützen.

Sie müssen das Recht auf gesonderte Treffen von Frauen haben, bei denen sie sich z.B auf bestimmte Treffen aller Mitglieder vorbereiten oder bei denen sie besondere Maßnahmen für die Förderung von Frauen besprechen, um auch Führungs- oder verantwortliche Positionen übernehmen zu können oder sexistisches Verhalten zu überprüfen und Maßnahmen dagegen zu diskutieren etc.

Die Organisation muss eine Kinderbetreuung organisieren, um auch Müttern die Teilnahme an politischen Veranstaltungen zu ermöglichen. Solange die Hausarbeit und das Aufziehen von Kindern nicht vergesellschaftet sind, sind Männer politisch und moralisch verpflichtet, sich an diesen Tätigkeiten entsprechend zu beteiligen.

Auch wenn Frauen diese Rechte garantiert sein müssen, geht es nicht darum, dass die Frauen gesondert und ausschließlich „ihren Kampf“ organisieren müssten, da sie allein die subjektive Erfahrung ihrer Unterdrückung hätten. Die Unterdrückung der Frauen und ihr Verhältnis zur Klassengesellschaft wird nicht durch subjektive Erfahrung allein entdeckt (ebenso wenig wie die Ausbeutung der Arbeiterklasse), sondern erst durch eine bewusste politische Aneignung dessen, was die Ursachen dieser Unterdrückung sind. Dafür müssen sie den Kampf um Befreiung auch innerhalb einer revolutionären Organisation führen.