Antidogmatismus als Attitüde

Michael Eff,
Infomail 1065, 20. August 2019

Eine kurze Replik zu Manuel Kellners „Wortmeldung“ „Zum Aufbau revolutionärer Organisationen heute“, (scharf links, 12.8.19)

Zugegeben,
das Thema ist umfassend, und es ist durchaus legitim, öffentlich einige
Gedankensplitter zu dieser Problematik zu äußern, ohne gleich ein
„Aufbaukonzept“ aus der Tasche ziehen zu müssen. Aber M. K. hat hier einen ganz
eigenwilligen Argumentationsstil unfreiwilliger Komik entwickelt. Wie geht er
vor?

Zunächst einmal wird versichert: „Es geht nicht um Rechthaberei. Wir so
wenig wie Karl Marx (eine leicht größenwahnsinnige Bezugnahme, M. E.) wollen
hören oder sagen: ,Hier ist die Wahrheit, hier knie nieder!‘ “

Was
sich so bescheiden gibt, entpuppt sich sehr schnell als rituelle Floskel, denn
dann zieht M. K. vom Leder:

Alle Gruppen mit „revolutionärem Anspruch“ (ob sie sich nun selbst für
eine revolutionäre Partei oder nur für einen der Kerne einer zukünftigen
revolutionären Partei halten) – „Alle diese Gruppen irren sich“, verkündet
unser Gegner von Rechthaberei. Und dann erklärt er uns, „was sie in Wahrheit
sind“ (wie sich ihre Mitglieder darstellen und was sie tun):

  • ein
    Trotzki aus der Tube
  • Lenin
    aus der Westentasche
  • ein
    Liebknecht im Reichstag
  • diese
    Gruppen leisteten eine „Interpretation der Überlieferung als einer Enzyklopädie
    von zutreffenden Behauptungen“, die selbstständiges, kritisches Denken ersetze
  • in
    blinder Nachahmung der Bolschewiki „brandmarken“ „Samuel Sekterisch und Kumbert
    Kleingruppenhäuptling“ die „zentristischen und reformistischen Weicheier“
  • der
    Zweifel sei unangebracht
  • „Marx
    und andere komplizierte Sachen müssen sie nicht lesen, kennen sie doch die
    zutreffenden Kurzfassungen“
  • sie
    stünden an Ständen und erzählten den Leuten „ungefragt einen vom Pferd“
  • man
    dürfe die „Kontrolle“ nicht verlieren, „Hauptsache, die eigene
    Selbstreproduktion geht nicht hops und die eigenen Hauptamtlichen bleiben im
    Brot.“
  • wer
    solche Gruppen führe, dem gehe es darum, dass sein „Fußvolk dir aufs Wort
    glaubt“
  • Mitglieder
    müssten „in ihren öffentlichen Äußerungen immer einer Meinung sein“
  • es
    würden „Mitglieder scheinrevolutionärer Gruppen in das Hemd von Verrätern
    gesteckt“, wenn sie Meinungsverschiedenheiten öffentlich machten
  • die
    Mitglieder müssten „strammstehen“
  • gleichsam
    „kanonisierte Texte“ vergangener Erfahrungen dienten als „Blaupausen für das,
    was heute zu… machen ist“
  • sie
    „erziehen neue RekrutInnen so, dass sie ihren FührerInnen zustimmen“
  • die
    Gruppen pflegten mit ihrer Schulungsarbeit „ein hagiographisches
    Geschichtsbild“
  • bestenfalls
    seien diese Gruppen (vorgeblich ,trotzkistischer‘ und vergleichbarer Gruppen)
    ein „Flohzirkus“ und „scheinrevolutionär“.

Vermutlich ist die Liste nicht vollständig.
Nicht, dass es die angesprochenen Probleme gar nicht gäbe (das Papier selbst
beweist es ja…), aber nirgendwo wird etwas belegt, nirgendwo wird beispielhaft
illustriert und vor allem bleibt man im Vagen, weil nirgendwo Ross und ReiterIn
beim Namen genannt werden. Diese Methode des selbsternannten Gegners der
Rechthaberei ist perfide. So pauschal formuliert, so unspezifisch adressiert
bleibt nur eine Einordnung: Es handelt sich um blanke Verleumdungen.

Differenzierung ist nicht sein Ding. Er kann
nur pauschal „alle“ meinen. Doch halt, Rettung naht – es gibt eine
Ausnahme: der eigene Verein:

  • Unsere Vierte Internationale heute schafft
    es…zur gemeinsamen Reflexion, Positionsbildung und Bildungsarbeit auf hohem
    Niveau zusammenzuführen
  • Sie verbreitet nicht die Fiktion, ihre
    führenden Mitglieder hätten die marxistische Weisheit mit Löffeln gefressen
  • Wir haben keine Obermacker
  • Weil wir nicht in doktrinärer
    Selbstgewissheit auftreten
  • Wir geben nie auf und kämpfen bis zum letzten
    Atemzug (wörtlich!! M. E.)

Dort die verspinnerten DoktrinärInnen (eben alle anderen), – hier die
undogmatischen HeilsbringerInnen. M. K. ist um sein schlichtes Weltbild zu
beneiden.

Die Sache hat aber durchaus Methode. Wie schon bei seiner Bilanz der NaO
ersetzen die Verleumdungen anderer die inhaltlichen Auseinandersetzungen
mit ihnen. Auf acht Seiten wird zum Thema „Aufbau revolutionärer Organisationen“
kein einziges inhaltliches/programmatisches Wort verloren. Wir verlangen ja
keine „Lösungen“, aber die wichtigsten Probleme in der Welt und in unserer
Zeit, um deren Klärung (wie unvollständig und vorläufig auch immer) sich
revolutionär verstehende Organisationen bemühen müssten, sollten schon benannt
werden.

In seinem Papier gib es einen Abschnitt mit der Überschrift „Der Umgang
mit der Überlieferung“. Dort werden zwei historische Beispiele angeführt.

1. Die Bedenken, die führende USPD-Mitglieder (Crispien, Dittmann)
äußerten über die Art und Weise, wie die KomIntern organisiert bzw. geführt
werden solle. Da wird´s dann bei M. K. kryptisch. Einerseits lässt M. K. seine
Sympathien (angesichts der späteren Entwicklungen) für diese Bedenken durchblicken,
andererseits heißt es: „Natürlich empfinden wir gleichwohl die Argumente und
Positionen der damaligen Revolutionäre und Revolutionärinnen…für in der Tendenz
(?? M. E.) die besseren.“ Alles klar???

2. Der Fall Paul Levi. Ich persönlich teile Paul Levis Kritik an der
„Märzaktion“ im Wesentlichen. Auch die Umgangsweise der KomIntern mit Levi
halte ich für falsch. Jedenfalls kann man das diskutieren. Aber wozu versteigt
sich M. K.? „…wenn das Denken von überhaupt jemandem dieser Zeit auch heute
noch danach schreit…in Hinblick auf Probleme, die sich Linken heute stellen,
ausgewertet zu werden, dann seines.“ So eine Aussage kann man nicht einfach in
den Raum stellen, ohne zumindest anzudeuten, wieso Paul Levi so ein seltenes
und überragendes Exemplar ist. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Vermutlich haben die ritualhaften Zeremonien des „Undogmatischen“, das
Vermeiden inhaltlicher Auseinandersetzungen, die Sympathien mit eher
rechtskommunistisch und linkssozialdemokratischen Strömungen ihre Wurzel in der
eigenen Praxis. Auffällig ist jedenfalls, dass in dem Abschnitt des Papiers
„Linke Neuformierung“ über die brasilianische PT diese Partei lobend erwähnt
wird, weil sie „…eine Vielfalt linker Strömungen zum gemeinsamen politischen
Handeln und zur gemeinsamen Meinungs- und Positionsentwicklung zusammenführte.“
Wie harmonisch, aber leider muss auch M. K. konstatieren: „Bekanntlich ist auch
die PT gescheitert.“ Dass dies auch etwas mit der von ihm so gefeierten
Struktur der PT und ihrer inhaltlichen Ausrichtung zu tun haben könnte, kommt
M. K. nicht in den Sinn. Jedenfalls ist in diesem Papier kein Wort davon zu
finden (aber immerhin die Aufforderung, die Gründe für das Scheitern zu analysieren).

Dann kommt er, so nehme ich an, zum Kern seiner Motivation, der Arbeit
in der Linkspartei. Nachdem er, wie ich finde, weitgehend richtig, die beiden
klassischen Ausformungen der Taktik des Entrismus dargestellt hat und beide für
sich zurückweist, folgt seine strategische Ausrichtung: „Die Partei Die Linke
und natürlich ganz besonders ihre antikapitalistisch und mehr oder weniger
revolutionär gesonnenen Strömungen sind keine ,feindliche Umgebung‘, sondern
einfach Teil der zeitgenössischen Neuformierung der Linken, wenn auch unter
starkem Anpassungsdruck (??, M. E.). Wer dazu beitragen möchte, diesem
Anpassungsdruck (?) zu widerstehen, tut gut daran, die Partei und diese
Strömungen mit aufzubauen und zugleich in deren Mitgliedschaft kritische
Reflexion zur genannten Problematik anzuregen und zu befördern.“

Ich habe da einen Präzisierungsvorschlag zu machen, nämlich mit der
„kritischen Reflexion“ des Scheiterns der PT zu beginnen. Vielleicht führt das
ja zur „kritischen Reflexion“ der eigenen Vorgehensweise.

Nur um nicht missverstanden zu werden. Ich bin der Meinung, dass es
durchaus Situationen gibt, in denen es für RevolutionärInnen richtig sein kann,
in der Linkspartei mitzuarbeiten, aber dann mit Sicherheit nicht, um gemeinsam
„kritisch zu reflektieren“.

Eine Stärke hat allerdings das Papier von M. K., nämlich wenn er
verkündet, dass der Gründungsanspruch „ der IV. Internationale endgültig passé
ist, nämlich den offiziellen Kommunismus…als die authentisch
revolutionär-marxistische Führung abzulösen.“ Rechthaberisch, wie wir sind,
möchten wir dazu nur bemerken, dass wir das seit Jahrzehnten wissen.

Am verblüffendsten an M. K.s Papier ist allerdings der Schlussteil „Zur
Assoziierung revolutionärer organisierter Strömungen“. Nachdem er uns auf den
ersten Seiten belehrt hat, dass „Organisationen mit revolutionärem Anspruch“
grundsätzlich falsch lägen, denn „Alle diese Gruppen irren sich…in Hinblick auf
das, was sie sind“, nachdem kübelweise Verleumdungen auf Gruppen „mit
revolutionärem Anspruch“ ausgekippt wurden, ohne Ross und ReiterIn zu nennen,
kommt folgender Vorschlag: „Vielleicht sind Formen der Assoziierung solcher
organisierter Zusammenhänge (,kleine Strömungen der revolutionär gesonnenen
Linken‘) möglich, die die Besonderheiten der verschiedenen Gruppen
respektieren…“ Wer, bitte schön, soll denn das sein, nachdem man alle
Organisationen mit revolutionärem Anspruch für politisch nicht ganz
zurechnungsfähig erklärt hat??

Auch eine Assoziierung (sofern denn so etwas möglich wäre) bräuchte doch
auch einige inhaltliche Gemeinsamkeiten. Es müsste doch geklärt werden,
was man vertagen könnte und was unabdingbar wäre. Dazu von M.
K. kein einziges Wort. Kein Wunder, man müsste sich ja inhaltlich
positionieren.