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„Erfahrungen, die mich prägen und bleiben werden“

Interview mit Aktivist:in der Lützerath-Besetzung, Infomail 1213, 12. Februar 2023

Vor rund drei Wochen wurde Lützerath geräumt. Welche Eindrücke und Gedanken haben Aktivist:innen von dort mitgenommen? Eines unserer Mitglieder war selbst im Dorf und hat sich nach der Räumung und den Aktionen nochmal mit einem Menschen aus seiner Bezugsgruppe getroffen und unterhalten.

GAM: Es ist jetzt ein bisschen her, dass Lützerath geräumt wurde. Aber alle, die da waren, haben viele und intensive Erinnerungen mitgenommen. Du warst sowohl im Dorf, wurdest geräumt und bist am Samstag auf der Großdemo gewesen. Was bleibt da für dich persönlich von Lützerath?

S: Also im Großen und Ganzen habe ich eine positive Erinnerung an die Zeit in Lützerath selber. Ich habe viele tolle Menschen kennengelernt und hatte sehr gute Gespräche dort. Auch den Kampf habe ich als empowernd wahrgenommen. Wir haben gemeinsam an Barrikaden gebaut und uns zusammen in einem Haus verschanzt, um die Räumung zu verzögern. Mir gibt das generell Energie, dort diese Gemeinschaft gespürt zu haben und in ihr etwas zu erreichen. Wir sind in der ganzen Welt in die Medien gekommen, haben es geschafft, auf Lützerath und das Thema aufmerksam zu machen. Das war auch von Anfang an das Ziel. Ich denke, den meisten Aktivistis war klar, dass es nicht möglich sein wird, die Räumung zu verhindern. Aber wir haben es versucht und alle, die da waren, hatten das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Auch für mich, den Widerstand zu spüren, in dem Haus gewesen zu sein, zusammen zu kochen, zu essen, zu singen, sich auf die Räumung vorzubereiten, sich um einander zu kümmern und dann auch die Räumung gemeinsam durchzustehen. Das sind auf jeden Fall Erfahrungen, die mich weiter prägen und bleiben werden.

GAM: Ja, so ein Gefühl ein bisschen jenseits des Kapitalismus. Auf der anderen Seite der Barrikade passierte das Gegenteil, die Polizei hat RWEs Interessen mit krasser Gewalt durchgesetzt. Wie hast du das wahrgenommen?

S: Ich musste leider auch selbst Polizeigewalt erleben. Am Anfang der Räumung stand ich mit anderen in einer Menschenkette, wo dann ein Polizist auf mich zugerannt ist und mir seine Faust ins Gesicht gehauen hat, wovon ich dann eine blutige Lippe davongetragen habe. Das war unangenehm und im Endeffekt hätte er mich auch einfach zurückdrängen können. Das hätte genau die gleiche Wirkung gehabt. Ich hatte aber den Eindruck, dass er das so machen wollte. Und auch generell hatte ich den Eindruck, dass die Polizei in Lützerath Gewalt angewendet hat, wo es eigentlich nicht nötig gewesen wäre, es überstürzt um Einschüchterung ging und scheinbar auch einfach darum, Gewalt auszuleben. Für die Räumung selbst war das nicht notwendig.

Auch nach meiner Räumung wurde ich zwei Stunden im kalten Regen festgehalten, was sich auch als Gewalt bezeichnen lässt.

Im späteren Verlauf der Großdemo, nach der Räumung, wurde ich dann mit einem Schlagstock am Kopf getroffen, wovon ich eine sechs Zentimeter lange Platzwunde davongetragen habe, was für mich dann im Krankenhaus endete. Im Großen und Ganzen empfand ich das Auftreten der Polizei also sehr unangenehm und gewaltvoll.

GAM: Mhm. Wirklich vielen Aktivist:innen geht es ja so, eine wahrscheinlich dreistellige Zahl an Verletzten und Herbert Reul sagt dann noch „Zeigt euch doch!“, nur um dann noch eine Strafverfolgung hinterherzuschicken. Im Endeffekt sind dann alle mit Verletzungen dem Staat gegenüber alleine und haben nichts gegen die Polizei in der Hand.

Jetzt ist der Kampf ja auch noch nicht vorbei. Die Kohle ist noch im Boden, auch wenn Lützerath zerstört ist. Was denkst du, braucht der Protest noch, damit er erfolgreich werden kann?

S: Also ich verbuche Lützerath schon als Erfolg, einfach weil es medial weltweit und in Deutschland so stark präsent war. Nichtsdestotrotz ist es natürlich so, dass die Räumung durch RWE und Polizei innerhalb kürzester Zeit durchgezogen wurde und auch ohne größere Schwierigkeiten, abgesehen vom Tunnel. Und da kann man sich natürlich die Frage stellen, was hätte helfen können, damit die Räumung hätte verhindert werden können. Einerseits ist da natürlich die Vorstellung, was wäre, wenn Hunderttausende nach Lützerath gekommen wären. Das hätte sicherlich einen Unterschied ausgemacht. Zum andern denke ich aber, dass es einen großen Unterschied machen würde, die Arbeiter:innen von RWE auf unsere Seite zu ziehen und dann gemeinsam mit ihnen diesen Kampf zu führen. Denn sie sind letztlich diejenigen, die im Konzern RWE wirklich was erreichen können. Das  wäre natürlich ein Ziel für die Zukunft, mithilfe von Streiks und der Solidarisierung unter Aktivistis und Mitarbeitenden gegen RWE zu kämpfen.

GAM: Ja, das ist sicher eine wichtige – und große – Aufgabe für die Klimabewegung, auch weil dafür im Betrieb der Einfluss der IG-BCE-Führung gebrochen werden muss, um eine Auseinandersetzung rund um wirklichen Klimaschutz zu erreichen. Zum Schluss nochmal die Frage: Was war der positivste Moment für dich in Lützi?

S: Die Nacht vor der Räumung, sich zusammen vorzubereiten und nochmal eine gute Zeit zu haben. Das war natürlich eine aufregende Zeit, eine Achterbahn der Gefühle. Aber es war auch schön und diese Gemeinschaft wünsche ich mir natürlich manchmal zurück.

GAM: Das wünschen sich sicher viele zurück. Danke schön für das Interview und gute Besserung wegen der Kopfverletzung!

S: Danke schön!




Lützerath ist zerstört – wir sind es nicht

Leo Drais, Infomail 1211, 19. Januar 2023

Mir brutaler Gewalt haben Staat und RWE Fakten geschaffen, Lützerath innerhalb einer Woche gestürmt, geräumt und abgerissen. Hunderte Aktivist:innen wurden aus Baum- und besetzten Häusern vertrieben – Orte, die sie als Zuhause empfanden. 35.000 Klimaschützer:innen kamen am Wochenende und riefen laut: „Lützi bleibt!“ Viele rangen in Schlamm und Sturm mit der Polizei, einige mussten wegen hemmungslos prügelnder Cops ins Krankenhaus. Die Proteste gingen bis zum 18. Januar weiter, einige hundert beteiligten sich an einem dezentralen Aktionstag von Ende Gelände.

Trotzdem, und es tut weh, das zu schreiben – haben wir trotz eines großen Mobilisierungserfolgs und eines riesigen Rückhalts im ganzen Land und weltweit Lützerath an RWE verloren.

Wer noch da ist, sind wir. Wir werden Lützi nicht vergessen, und daraus lernen:

1. Besetzungen sind richtig, aber das Mittel hat Grenzen

Hambi, Danni, Lützi: drei Orte, die wie keine anderen in Deutschland für Kämpfe gegen den fossilen Kapitalismus stehen, gegen Braunkohleabbau und ein aberwitziges Verkehrssystem.

Weitgehend unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit gab und gibt es daneben eine Reihe weiterer, kleinerer Waldbesetzungen. Am 19. Januar räumte die schwarz-grüne Landesregierung Hessens den Fechenheimer Wald in Frankfurt für den Ausbau der A66. Man bleibt sich eben treu.

In Lützerath dauerte der Einsatz anstatt erwarteter bis zu vier Wochen dann doch nur einige Tage. Im Vergleich zum Danni und Hambi eine kurze Zeit (dort knapp 70 bzw. 35 Tage), obwohl die Anzahl der Besetzer:innen ähnlich hoch war. Klarer Weise liegt dieser Unterschied darin, dass ein kleines Dorf leichter zu räumen ist und die Polizei den Ort mit RWE abgesperrt hatte, während im nicht absperrbaren Dannenröder Wald viele Aktivist:innen, die heute geräumt wurden, morgen wieder vor Ort waren.

Dass die Polizei in Lützerath von einer Räumungsdauer von bis zu vier Wochen ausging, liegt sicher auch daran, dass sie mehr militante Gegenwehr erwartet hatte. Doch die Gewalt blieb auf Seiten der Aktivist:innen fast komplett aus, ging wesentlich nur von den Bullen aus, die dabei wiederholt Menschenleben gefährdeten.

Auch wenn es nur wenige Tage dauerte – Lützerath zu besetzen und zu verteidigen, war richtig. Jeder Kampf braucht wirkmächtige Symbole, und Lützi ist so eins. Viele Menschen wurden um diesen Kampf mobilisiert, entwickelten sich politisch weiter, brachen mit den Grünen und hinterfragen einen Staat, der ihnen auf die Fresse gab. Für viele, die durch FFF politisiert wurden, war das die erste größere Konfrontation mit organisierter Polizeigewalt.

Auch wenn die Räumung gelang, so ging das Ziel, die Bewegung zu spalten, nicht auf. Im Gegenteil: Die Repression führte zu einer massiven Solidarisierung mit der Besetzung, einem Gefühl der Gemeinsamkeit aller Demonstrant:innen, ob nun radikaler Linker, entschlossener Aktivist:innen, Gewerkschafter:innen, Mitgliedern von Umweltverbänden, der Linkspartei oder enttäuschten Basismitgliedern von Grünen und SPD. Aus Sicht antikapitalistischer Klimapolitik bedeutet Lützerath einen moralischen, inhaltlichen Sieg, weil eine breite, sich radikalisierende Massenbewegung sichtbar wurde, die nach der Räumung sicher nicht verschwinden wird.

Zudem war Lützi viel mehr als nur die Besetzung. Es gab und gibt eine breite Verankerung in der Region. Über die Grenzen Deutschlands hinweg wurden Menschen mobilisiert – weil es einen Ort, ein Symbol gab, um das sie sich sammeln konnten. Selten hat der Staat auf so einfach verständliche Weise Kapitalinteressen verteidigt, und immer mehr gerade jungen Aktivist:innen wird klar, dass es keine andere Wahl gibt, als sich dem zu widersetzen.

Lützi bedeutet aber auch die Erkenntnis, dass eine Besetzung alleine, selbst mit der Unterstützung von 35.000 Demonstrierenden, die fossile Profitimaschine nicht ausschalten kann.

2. Es knirscht in den Grünen

Lützerath bedeutet auch eine gewisse Zerreißprobe der Grünen. Die Wirkung dessen, dass schon wieder sie daran beteiligt sind, den Braunkohleabbau durchzusetzen, sollte nicht überschätzt werden. Gerade ihre Wähler:innenschaft zeichnet sich durch hohe opportune Elastizität aus, zumal es keine wirklich taugliche Wahlalternative für sie gibt. Sie sollte aber auch nicht unterschätzt werden.

Die Grüne Jugend alleine mobilisierte wahrscheinlich weit über tausend Menschen zur Großdemo und allen ist klar, dass dieser riesige Lochfraß wegen der Grünen passiert, auch wenn ihre Führer:innen noch so oft sagen, dass sie darüber nicht glücklich seien.

So was muss Spuren im Bewusstsein hinterlassen haben. Vor vier Jahren wuchsen die Grünen und besonders die Grüne Jugend auf der Welle von FFF an, auch ohne offen aufzutreten (im Hintergrund dafür umso mehr). Jetzt kommen Zweifel auf und das ist aus antikapitalistischer Sicht gut so. Denn letztlich sind die Grünen dem Kapitalismus verpflichtet, die Welt ist mit ihnen nicht zu retten. Der Bruch mit ihnen ist für alle, die ihnen Lützerath übelnehmen, notwendig und richtig.

Ob es jetzt zu größeren Brüchen mit den Grünen kommt, wird sich zeigen. Es hängt davon ab, ob die Linke eine Alternative formulieren kann und liegt auch an Figuren wie Luisa Neubauer, die dadurch, dass sie sich einerseits als Aktivist:innen verkaufen können, andererseits aber den Bruch mit den Grünen nicht vollziehen, diese Partei von links decken.

Nicht nur die Partei, auch die Ideologie vom grünen Kapitalismus, die Hoffnungen in den „Green New Deal“ der Bundesregierung wurden in Lützerath erschüttert.

So oder so. Wir bieten allen, die nach einer Alternative suchen, die offene Diskussion darüber an, wie wir gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlage kämpfen und gewinnen können.

3. Gewalt, die so nicht heißen darf

Alle, die in und um Lützerath unterwegs waren, nehmen auch eine gewaltvolle Erfahrung mit, die in der bürgerlichen Presse entweder sehr stark relativiert oder uns gleich ganz in die Schuhe geschoben wird.

Dabei belegen unzählige Videos, wie brutal die Polizei gegen uns vorgegangen ist. Viele tragen Platzwunden, Prellungen oder Knochenbrüche davon.

Es ist zynisch, dass wir in der Schule lernen mussten, der Staat verfüge über das Gewaltmonopol, aber wenn er es in aller Schärfe anwendet, soll die Gewalt nur von den anderen ausgegangen sein. Die Gewalt der Bullen wird nicht beim Namen genannt.

Zudem wird unser Protest auf die Frage der Rechtmäßigkeit gelenkt – und damit weg von unseren eigentlichen Forderungen und Zielen, einem effektiven Klimaschutz. Es heißt, die Bullen haben das Recht, Gewalt anzuwenden, RWE habe das Recht, die Kohle abzubaggern, wir hätten kein Recht, uns dem entgegenzustellen. Aber alles, was damit gesagt wird, ist, dass das bürgerliche Recht eben eines ist, das die Zerstörung von Dörfern und Wäldern für Profite zulässt. Es ist das Recht der Kapitalist:innen, ihre Macht zu behalten.

Dagegen zu protestieren, ist legitim, genauso wie, dagegen organisiert Widerstand zu leisten, solange wir untereinander Rücksicht nehmen und Gewalt kein Selbstzweck ist. Dann kann dieser auch der Arbeiter:innenklasse vermittelt, von dieser mitgetragen werden.

4. Antikapitalismus rocks, aber er braucht Klimaklassenkampf!

Womit wir wieder bei der Frage sind: Was sind eigentlich die Mittel, die uns das nächste Lützerath erfolgreich verteidigen lassen?

Eine Besetzung alleine ist es nicht, auch wenn, wie oben beschrieben, es verkürzt wäre, Lützi nur auf die Besetzung zu reduzieren. Wie auch im Danni hätte es sie nie ohne die breite Unterstützung insbesondere vor Ort gegeben.

Es gibt eine gewisse Geschichte von Protesten gegen Umweltzerstörung, die sogar als Massenbewegung auftraten, die – teilweise auch dank roher Polizeigewalt – sogar eine breite moralische Unterstützung genossen und die Umweltschäden trotzdem nicht verhindern konnten. Dazu zählen die Proteste gegen die Startbahn West Frankfurt, Stuttgart 21, die A49 (Danni) oder eben Lützerath. Gorleben und Wackersdorf waren demgegenüber zumindest halb erfolgreich, wobei keineswegs ein schnellstmöglicher Ausstieg aus Atomstrom erreicht wurde und auch nicht, dass die Energiekonzerne die Kosten für Endlagerung und Rückbau der Meiler zahlten.

Alle diese Proteste hatten zumindest zeitweise tausende, teilweise sogar über 100.000e Menschen mobilisiert. Aber warum wurden sie nicht von Erfolg gekrönt trotz aller Entschlossenheit, die Aktivist:innen vor Ort an den Tag legten? Der Kampfgeist vieler anarchistischer Klimaaktivist:innen oder Ende-Gelände-Teilnehmer:innen ist etwas, wovon sich große Teile der sozialistischen Linken eine Scheibe abschneiden könnten.

Aber auch das allein reicht noch nicht. Wir müssen uns klarmachen, dass ohne die Beschäftigten von RWE und anderen Energieunternehmen sowie generell aus der Großindustrie der Kampf gegen diese Kapitale kaum gewonnen werden kann. Auch wenn diese oft jene Schichten der Arbeiter:innenklasse verkörpern, die nicht als erste gegen die Umweltzerstörung aktiv werden, auch wenn sich etliche aus Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz an die Seite „ihres“ Unternehmens stellen, so ist dies kein Naturgesetz. Im Gegenteil: Viele Arbeiter:innen fragen sich selbst, was in Zukunft überhaupt für wen produziert werden soll. Vielen dämmert es längst, dass die ökokapitalistische Transformation der Ampelregierung und EU ein Schwindel ist, der auf ihrem Rücken ausgetragen wird.

Hinzu kommt, dass diese Beschäftigten eine Schlüsselrolle nicht nur bei der Enteignung dieser Konzerne spielen müssen, sondern vor allem bei der Reorganisation der gesamten Energieproduktion unerlässlich sind. Schließlich reicht es nicht, wenn nach einer etwaigen Verstaatlichung von RWE und Co. Staatsbeamt:innen anstelle kapitalistischer Manager:innen den Laden kontrollieren.

Entscheidend ist vielmehr, welche Klasse die Energieproduktion lenkt. Eine Kontrolle durch die Arbeiter:innenklasse – die Beschäftigten wie Vertreter:innen aller Lohnabhängigen, also im Grunde die gesamte Gesellschaft – lässt sich nur mit den Arbeiter:innen von RWE, Vattenfall, LEAG, eon usw. ausüben. Sie sind es, die wir gewinnen, davon überzeugen müssen, dass nicht sie die Energiewende durch Jobverlust bezahlen sollen, sondern sie diese selbst gestalten und vollziehen können.

Die Hürden dafür sind hoch, insbesondere weil mit den Führer:innen der größten Gewerkschaft des Sektors, der IG BCE, große Verfechter:innen fossiler Energien in die Arbeiter:innenklasse wirken. Aber vielleicht müssen wir auch gar nicht dort anfangen, die Verbindung zur Arbeiter:innenklasse zu suchen. Der Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, der eine große Interessenüberschneidung mit der Klimabewegung aufweist, bietet sich vielleicht eher als Anknüpfung.

Nächstes Jahr steht dort eine Tarifrunde an. Wir sollten nicht einfach nur eine arbeitsteilige Unterstützung anbieten, sondern mit den Kolleg:innen diskutieren – zum Beispiel darüber, wie ein kostenloser Nahverkehr erreicht werden kann. Hier liegt vielleicht ein Ansatz für Klimaklassenkampf: Arbeitskämpfe nicht nur für höhere Löhne, sondern auch für Streckenausbau und kostenlosen Nahverkehr.

Aber – das wäre ja ein politischer Streik?! Stimmt! Denn Lützi lehrt uns, dass es nicht darauf ankommt, was erlaubt ist und was nicht, sondern auf das, was richtig und wirksam ist.




Großer Alarm in Lützi: Cops stürmen den Ort

Leo Drais, Infomail 1210, 11. Januar 2022

Es wird endgültig Ernst. Heute Morgen wurden die Bewohner:innen und Aktivist:innen in Lützerath  von einem Großaufmarsch der Polizei geweckt. Eine endlose Schlange Bullenwannen zog sich durch den Tagebau Garzweiler. Ihr Ziel ist für heute wohl, einen Zaun um den Ort zu errichten und Barrikaden zu beseitigen. Damit sie dafür freie Hand erhalten, haben sie den Ort gestürmt. Die Besetzer:innen haben sich auf Baumhäusern und Häusern verschanzt, Tripods und Konstruktionen sind besetzt, Sitzblockaden wurden gebildet. Die Polizei arbeitet sich mit Schweißbrennern und schwerem Werkzeug an einbetonierten Stahlträgern ab, Klettercops räumen Strukturen.

Wir lassen uns nicht spalten!

Ideologische Helferin der Bullen und damit von RWEs Profitinteressen ist die Presse, insbesondere die aus dem Haus Springer und anderer Privater. Während im WDR eine Reporterin ihrem Kollegen im Studio noch versucht zu widersprechen, als dieser meinte, im Studio hätte man noch nichts von Polizeigewalt gehört, gibt es für WELT-Abonnent:innen die erwartbare einseitige Berichterstattung. Steinwürfe und Molotowcocktails von Aktivist:innen sind Gewalt. Prügeln, Pfeffern, Schmerzgriffe, Schläge, Stürmen, Schubsen – alles gegenüber friedlichen Aktivist:innen – werden nicht beim Namen genannt: Gewalt, ganz zu schweigen von der Brachialgewalt, die von Räumpanzern, Wasserwerfern, Abrissbaggern bis hin zu den Schaufelradbaggern RWEs ausgeht.

Diese Zerstörung Lützeraths und damit unserer Lebensgrundlagen ist nichts anderes als rohe kapitalistische Gewalt, deren Soldat:innen die Cops sind. Im Fernsehen und Internet wurden heute morgen auch gewerkschaftliche Vertreter:innen der Bullen interviewt. Es soll der Anschein entstehen, sie machen da nur ihren Job, so wie andere Beschäftigte auch. Aber Bullshit! Cop sein ist keine Arbeit wie alle anderen. Sie ist weder politisch neutral (die Politik war‘s, die entschieden hat, Lützerath zu räumen) noch demokratisch (oder gibt es irgendeine zivile Kontrolle über die Polizei?). Sie ist eine hörige gewalttätige Vollstreckerin der Manager:innen von RWE und deren Lakai:innen in der Berufspolitik, die wie schon im Danni und im Hambi Leben gefährdet. um die gewinnbringende Zerstörung der Erde voranzutreiben. Und daher: Bullen raus aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund – ihr seid keine Arbeiter:innen!

Die ganze Unterscheidung zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit dient nur dazu, den Protest zu spalten. Herbert Reul forderte völlig zynisch bei der Einweihung einer Polizeiwache, dass sich „die, die das Klima und nicht Chaoten schützen wollen“ von den „Randalierenden distanzieren sollen“! Fallen wir nicht darauf rein! Reul und seine Knüppelgang sind es, die gerade in Lützerath randalieren und Strukturen angreifen!

Lützi ist ein solidarischer Ort. Ob Sitzblockade, Lockon oder auch, wenn Menschen aktiven Widerstand leisten (also Militanz, aka Gewalt), ist legitim und Lützerath hat Platz für alle, solange Rücksicht aufeinander genommen wird. Denn durch Lützi läuft die 1,5-Grad-Grenze. Ihre Verteidigung ist für viele Menschen überlebensnotwendig!

Viele Menschen waren in den letzten Tagen in Lützi, aber haben es wieder verlassen müssen, weil sie zur Arbeit müssen, sich Verhaftungen und Repression nicht leisten können, schlicht Angst vor behelmten Gewalttäter:innen haben. Aber sie waren da, haben sich eingebracht, sind immer noch da, unterstützen das „Unser aller Camp“ in Keyenberg, was nun zum Rückgrat von Lützi wird. Oder sie sind in Gedanken bei den Aktivist:innen, unterstützen sie finanziell oder planen ihre Anreise zur Großdemo am 14. Januar. Alles das ist wichtig! Lützi ist viel mehr als die Bilder, die die Presse zeigt! Es ist eine Bewegung, die sich von der Regierung und insbesondere von den Grünen verraten fühlt. Es sind Anwohner:innen des Tagebaus, die vielleicht selbst in ihrer Vergangenheit vertrieben wurden. Es sind die, denen FFF nicht genug war.

Wie gewinnen wir?

Wer es noch kann – auf nach Lützi! Es wird auch vom Camp in Keyenberg aus immer wieder Aktionen geben, um die Besetzung zu unterstützen. Wer sich da verständlicherweise nicht rein traut – auch kein Problem! Es gibt viele andere Aufgaben: Küfa, Shuttle fahren, Camp aufbauen und vieles mehr.

Die Klimabewegung geht mit Lützi einen wichtigen Schritt. Viele verlieren das Vertrauen in die Grünen, die hier ihre lange Tradition klimazerstörender, bürgerlicher Realpolitik fortsetzen. Der Danni und der Hambi grüßen genauso wie der Plan, eine Erdgasinfrastruktur hochzuziehen, die uns auf Jahre weiter an fossile Energie binden wird. Ob‘s die Welt ruiniert, ist den Grünen egal. Hauptsache es kommt nicht aus Russland!

Zurecht pragert die Vorsitzende der Linkspartei, Janine Wissler, den neuerlichen und sicher nicht letzten Verrat der Grünen (und natürlich auch der SPD) an. Doch sie schweigt sich darüber aus, dass auch Berliner Bullen trotz rot-grün-roter Landesregierung an der Räumung beteiligt sind. Wir fordern die Linkspartei auf, mit diesen Halbheiten zu brechen und den Kampf ohne Wenn und Aber voll zu unterstützen!

Viele Klimaaktivist:innen haben zudem in den letzten Jahren ihren Weg zum Antikapitalismus gefunden. Gut so, denn ohne diesen ist jeder Versuch eines Klimaschutzes im Endeffekt nur Zeit Schinden oder Greenwashing. Es gibt keinen grünen Kapitalismus. Dass Lützi auch den Versuch darstellt, eine andere, solidarische und rücksichtsvollere Art des Zusammenlebens im Kleinen umzusetzen, ist deswegen auch nur konsequent.

Aber Lützi alleine reicht leider nicht. Wir brauchen Klimaklassenkampf! Wir brauchen politische Streiks, die die Forderung nach einer schnellstmöglichen Energiewende durchsetzen – ohne die Kohle unter Lützi! Wir brauchen Betriebsbesetzungen, die für eine nachhaltige Produktion eintreten  (passiert gerade in Italien in einer kleinen Autoteilefabrik bei Florenz).

Die Gewerkschaftsspitzen von IG BCE oder IG Metall wollen davon natürlich nichts wissen. An den Tischen von RWE und VW frisst es sich gut. Umso wichtiger ist es, dass kämpferische Gewerkschafter:innen sich gegen diese Machenschaft organisieren, in den Gewerkschaften eine (klima-)klassenkämpferische Opposition aufbauen. Und umso wichtiger ist es, dass Lützerath auch einen Schritt hin zu einer engen, organischen Verbindung zwischen Klimabewegung und Arbeiter:innenbewegung setzt. Möglichkeiten gibt es viele: Dieses Jahr stehen Tarifrunden bei der Bahn, der Post und im öffentlichen Dienst an. Klimaaktivist:innen sollten hier den Kontakt und den Austausch suchen und Arbeitskämpfe unterstützen, sie politisieren. Besonders im Transportbereich von Bahn und Post bietet es sich an, Themen rund um die Klimakrise einzubringen. Umgekehrt stellt jetzt Lützerath eine große Chance dar. Alle Gewerkschaftslinken sollten sich auf den Weg dorthin machen, wenn sie können. Überlassen wir das Thema nicht den Bossen unserer Gewerkschaften!

  • Lützi bleibt, damit die 1,5-Grad-Grenze bleibt!

  • Freiheit für alle Aktivist:innen – Klima schützen ist kein Verbrechen!

  • Kein Zaun um Lützerath – sofortiger Abbruch des Polizeieinsatzes!

  • Kolleg:innen von der IG BCE: Brecht mit RWE!

  • Kommt am 14. Januar zur Großdemo nach Lützerath!

Unterstützung aus der Ferne

Spendet an die Bewegung vor Ort: Kontoinhaberin: Lützerath lebt, IBAN:  DE24 4306 0967 1204 1870 01, Verwendungszweck: Lützi Lebt.

Oder via PayPal: nutzt gerne den Weg der Überweisung, da wir bei Paypal Gebühren an Elon Musk zahlen müssen: https://cutt.ly/OJAyBsa

Achtet auf Solidemos in Euren Städten!

Macht Solifotos und schickt sie an https://luetzerathlebt.info/ticker/




Lützi bleibt! Tagebuch von Aktivist:innen

Genoss:innen von Arbeiter:innenmacht und REVOLUTION beteiligen sich an den Aktionen und Demonstrationen gegen die Räumung von Lützerath. Hier ihre Eindrücke vor Ort.

Sonntag, 15.1.23: Wir kehren Lützi nicht den Rücken, wir tragen es nun in die Betriebe

Nach einer Woche gemeinsamen Zusammenlebens, gemeinsamen Kampfes in Lützi und in Keyenberg geht nun eine wichtige Zeit der gemeinsamen Erfahrung für unsere Genoss:innen zu Ende. Wir kehren in unsere Heimatstädte, an unsere Arbeitsplätze, Schulen und Universitäten zurück.

Es ist uns wichtig zu betonen: Wir gehen nicht, weil wir denken, die Auseinandersetzung sei vorbei. Die Genoss:innen sagten heute auf der Pressekonferenz von Lützi Bleibt vollkommen zu Recht, dass, egal ob das Dorf falle oder nicht, wir weiter um jeden Zentimeter Erde und damit gegen weitere Erderwärmung kämpfen würden. Genoss:innen – und das richten wir hier auch ganz explizit an unsere anarchistischen Genoss:innen in Lützerath – wir schätzen euren Mut und euer Engagement. Haltet durch, verzagt nicht!

Es sind unsere eigenen Umstände, die uns zwingen zu gehen. In Gedanken bleiben wir bei euch, jenen, die nach wie vor in und um Lützerath ausharren. Auch ihr seid bei uns, während wir versuchen, den Klimaklassenkampf im Bundesgebiet weiter voranzubringen.

An alle, die sich ihrer Verantwortung bewusst werden, ihre eigene Zukunft in die Hand zu nehmen, und erkennen, dass die kapitalistische Regierung und ihre Freund:innen in Banken und Konzernen es nicht tun werden: Schließt euch den Aktionen am 17. Januar im Bundesgebiet an!

Lasst uns noch einen Schritt weiter gehen, lasst uns gemeinsam unsere Kolleg:innen und ihre Gewerkschaften, unsere Mitschüler:innen und die Klimabewegung für die notwendigen Mittel gewinnen: für Massendemonstrationen und politische Massenstreiks, um die Enteignung von RWE und aller Engeriekonzerne unter Arbeiter:innenkontrolle zu erzwingen.

Unser Ziel ist es, eine ökologische Transformation in Gang zu setzen, die ihren Namen wirklich verdient: ine ökologische Planwirtschaft, für deren Aufbau die Reichen und nicht die Arbeiter:innen und Menschen des globalen Südens zahlen müssen.

Samstag, 14.1.23: Zehntausende gegen RWE!

Heute versammelten sich 35.000 Menschen um Lützerath. Sie wurden in dieser Woche aus Lützi verdrängt, sind aber noch vor Ort, reisten in den letzten Tagen ins Unser Aller Camp nach Keyenberg oder stießen heute aus dem Bundesgebiet und  Ausland zu uns. Jedes Gesicht war willkommen im gemeinsamen Kampf um Lützi.

Die Polizei bezifferte ursprünglich die Zahl auf 8.000 Demonstrant:innen und hat damit so unverschämt gelogen wie über alle anderen Verbrechen an Mensch und Natur, die sie in den letzten Tagen im Namen RWEs beging. Doch weder ihre Lügen und die wütende Hetze der rechten Presse noch Starkwind, strömender Regen und die Abgelegenheit Lützeraths hielten die Bewegung davon ab, ihre zahlenmäßige Stärke zu demonstrieren. Das allein ist ein Achtungserfolg.

Anarchist:innen liefen Schulter an Schulter mit Kommunist:innen. Jung lief neben Alt. Eltern waren mit ihren Kindern gekommen. Großeltern hatten ihren Enkeln Taschengeld mitgegeben, um für deren Zukunft zu kämpfen.

Auch die Slogans nach Klimagerechtigkeit und System Change sind konkreter geworden.

Populäre Slogans vergangener Tage wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ wurden erneut von tausenden Stimmen erhoben. Neben sie traten neue wie „Alle Dörfer bleiben, RWE enteignen“. Sie finden ihr Echo in einer breiten Bewegung, nicht nur in den Köpfen einiger weniger. Herbert Reuls Gespenst des Antikapitalismus macht sich breit in der Klimabewegung.

Mit großem Mut und immenser Opferbereitschaft kämpften vorwiegend junge Menschen darum, die Ketten der Cops und ihre Absperrungen zu durchbrechen. Ihr Ziel war, die Gewalt gegenüber den verbliebenen Bewohner:innen Lützis zu beenden.

Sie kämpften aber auch für sich. Das spürte man. Es geht nicht nur um den Kampf für eine manchmal scheinbar ferne Utopie. Es geht darum, die unmittelbar bevorstehende Dystopie zu verhindern. Das gibt der Bewegung eine große moralische und argumentative Kraft.

Dieser Opferwille wurde mit massiver Gewalt durch die Polizei beantwortet. Tausende psychopathischer Kräfte, die ganz eindeutig auf Verletzung und „Zerstörung“ der Demonstrationsteilnehmer:innen eingepeitscht wurden, forderten ihren Tribut. Mindestens eine Person musste per Hubschrauber in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Viele weitere hatten grauenhafte Wunden. Währenddessen feierte die Polizeiführung ihre eigene Gewalt im Welt-TV als „vorbildlichen Einsatz nach Handbuch“.

Wir möchten aber auch zwei Dinge zur Diskussion stellen. Wer Dörfer wie Lützerath in einer Situation wie in der vergangenen Woche verteidigen will, braucht neben Mut, Solidarität und vielen Innovationen der Bewegung zwei weitere Zutaten.

Einerseits eine Massenbewegung, die mehr als nur dazu in der Lage ist, groß zu mobilisieren. Denn das ist uns gelungen. Wir müssen diese Bewegung gleichzeitig in den Gewerkschaften verankern. Und zwar gegen den Widerstand einer von SPD und Grünen kontrollierten Bürokratie, die den Kapitalismus und die Eigentumsrechte der Reichen als Naturgesetz begreifen. Das ist harte Arbeit. Aber wir wissen, dass viele in der Bewegung sich nicht vor solcher scheuen. Es ist eine Frage der Strategie und taktischen Vorgehens.

Zweitens ist es vollkommen legitim, Proteste zu schaffen, an denen alle teilnehmen können, die die großen Ziele der Bewegung teilen. Die Mutter, das Kleinkind, der Großvater und die Jugendliche, die Kranken, die Ängstlichen, die Mutigen. Für sie alle muss Platz sein. Es darf keinen Gewaltfetisch geben. Aber das heißt eben auch, es nicht einfach aus Prinzip abzulehnen, sich gegen die Gewalt der Unterdrücker:innen zu wehren. Sich gegen einen bewaffneten Staat durchzusetzen, der Unrecht tut, ist nie friedlich passiert.

Das ist einfach eine deutsche Ideologie. Im Übrigen auch eine, die in eurozentrischer Manier die Kämpfe des globalen Südens verdreht.

Nicht Gandhis Ideologie brachte die Unabhängigkeit vom Kolonialismus, sondern Massenbewegungen, die Generalstreiks kannten, in denen Kolonialbeamt:innen zunehmend um ihre eigene Haut fürchten mussten und die zum Beispiel in Indien 1946 in Matrosen- und Soldatenaufstände mündeten. Es war gerade die halbe Revolution, die von den Bürgerlichen wie Gandhi ausgebremst wurde, die viele damalige nationale Revolutionen „akzeptabel und friedlich“ für die westliche herrschende Klasse gestaltete, die diese Länder weiter in der Abhängigkeit vom Imperialismus hielt und dementsprechend heute besonders anfällig für den globalen Klimawandel machte.

Von solchen Zuständen sind wir in Deutschland weit entfernt. Aber es würde helfen, wenn die, die in den ersten Reihen stehen, nicht dafür gescholten werden, dass sie sich wehren, wenn der behelmte schwarze Block mit Schusswaffen, Knüppeln, Giftgas und Vollkörperausrüstung sich zwischen sie und eine lebenswerte Zukunft stellt.

Der Tag wird Zehntausenden in Erinnerung bleiben. Als ein Tag der Solidarität, des Mutes und vielleicht auch als ein Tag, aus dem wir gemeinsam für die Zukunft lernen können, um die wir kämpfen.

Freitag, 13.1.23: Können wir Lützerath zurückgewinnen?

Diese Frage stellen sich heute alle, die sich um Lützerath aufhalten oder auf dem Weg hierher sind. Wir sagen: ja, wenn wir uns gut organisieren und entschlossen sind!  Während wir auf den morgigen Tag und die Großdemo hoffen, geht die Polizei brutal in Lützerath vor und versucht nicht nur das Morgen sondern unsere gesamte Zukunft im Namen der Profite von RWE zu zerstören. Einige mutige Aktivist:innen harren aber nach wie vor in Lützi aus, so wie Pinky und Brain, die mit ihrem Tunnel versuchen, den Kapitalismus, immerhin aber den Polizeieinsatz vorübergehend zu untergraben.

In Keyenberg sind mittlerweile viele, viele neue Gesichter und Menschen angekommen, wie auch viele, die aus Lützi geräumt wurden. Dass wir viele sind, gibt uns Hoffnung. Wir nehmen Greta Thunberg beim Wort, die heute aus Lützerath aufrief, sie morgen vor Ort zu sehen! Wir sind froh über die Solidarität in vielen deutschen Städten und aus dem Ausland. Die Besetzung der Grünen Büros ist absolut gerechtfertigt, Habecks Aussage, dass der „Kohlekompromiss“ ein Erfolg sei, ist Heuchelei. Dem Klima ist es egal, ob dank den Grünen Garzweiler II verkleinert wurde oder nicht, wenn Lützi fällt, fallen die 1,5 Grad – Versprechen gebrochen! Diese Leute verraten offenen Auges. Sie wissen das, wir wissen das.

Wer eine lebenswerte Zukunft will, kann nicht auf Habeck, Baerbock und Co. hoffen. Wir müssen die Grünen ablehnen, alle die auf der Welle von FFF in die Grünen eintraten und jetzt enttäuscht sind, sind das mit Recht. Sie sollten die Partei verlassen! Zwar ist es lobenswert, dass Luisa Neubauer und andere versuchen, in den Grünen für ihre Prinzipien zu kämpfen, aber es ist hoffnungslos in einer Partei, die auf bürgerliche Regierungsbeteiligung statt auf Klimaschutz pocht. Solange Luisa Neubauer und Co. weiter in dieser Partei ist, ist auch ihre Sitzblockade und ihr sich von den Cops- wegtragen-lassen letztlich unglaubwürdig und inkonsequent.

Wir brauchen mehr: eine revolutionär-sozialistische Partei, die sich internationalistisch organisiert und die es schafft, die Arbeiter:innen in Deutschland wieder gegen den Hauptfeind zu organisieren: Das deutsche Kapital und den deutschen Staat. Nicht weniger schulden wir Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die am 15. Januar 1919 umgebracht wurden, von der gleichen Klasse, die auch heute unsere Zukunft zerstört!

Donnerstag, 12.1.23: Polizei zerstört und gefährdet Leben im Namen von RWE

Seit Mittwoch morgen ist die Polizei in Lützerath, räumt und zerstört auch nachts. Sie missachtet dabei auch ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen: Es gab Fälle, wo Tripods laut Einschätzung der Kletterercops nur sicher mit Kränen geräumt werden könnten. Andere Polizist:innen fanden, dass “dies viel zu lange dauere” und legten selbst Hand an! Damit RWE schneller räumen und mehr Profite machen können, gehen die Cops für das Kapital auch über Leichen, wir haben den Hambi nicht vergessen!

Auch bei der Rodung neben Bäumen mit Baumhäusern riskieren sie Leben: Bei Starkwind sind nun etliche nicht mehr durch eine erste Reihe Bäume geschützt, die den Wind abfängt. Die jetzt umgestürzten Bäume könnten zusammenbrechen, ganz davon abgesehen, dass bei den Rodungen keine Sicherheitsabstände eingehalten wurden!

Während die rechte Presse von Randalen und Sinnlosigkeit seitens der Klimabewegung spricht, schweigt sie sich darüber aus, wie die Polizei Lützerath zerstört.

Von Keyenberg startete am Morgen eine Demo mit rund 600 Personen in Richtung Lützerath. Es gab von einem Teil der Demonstrant:innen den Versuch, über die Felder in Richtung des Dorfes zu gehen, einige blockierten längere Zeit eine Zufahrtsstraße der Polizei.

Ein Genosse von Revolution wurde dabei aus der angemeldeten Demonstration festgenommen und einer Identitätskontrolle unterzogen, in der er mehr als 3 Stunden in Wind und Regen stehen musste. Grund: Er hatte eine Fahne!

Trotz allem war die Solidarität unter den Aktiviti sehr groß. Es wird sich geholfen und freundlich begegnet, trotz widriger Umstände.

Besonders zynisch übrigens: Während große Teile des geretteten Keyenbergs und umliegender Dörfer RWE gehören und leer stehen, sind Geflüchtete in Notunterkünften und nicht in eigentlich vorhandenem Leerstand untergebracht. RWE enteignen heißt um Garzweiler also auch, Wohnraum zur Verfügung stellen, der von Menschen gebraucht wird!

Jetzt am Abend gehen die Cops in das Camp in Keyenberg und versuchen Personenkontrollen durchzuführen! Wenn Ihr her kommen wollt, passt auf Euch auf! Checkt den Lützi-Ticker!

Wir hoffen vor allem auf Unterstützung am Wochenende, um das Blatt erneut zu wenden!

Lützi bleibt – im Baumhaus und im Tunnel, in Keyenberg im UAC, in der besetzten Geschäftsstelle der Grünen!

Mittwoch, 11.1.23: Es wird ernst

Es wird ernst! Heute hat die Polizei mit der eigentlichen Räumung begonnen. Am Morgen wurde das Dorf gestürmt, über 1000 Cops sind da und versuchen mit RWE Lützerath einzuzäunen. Barrikaden und Strukturen werden geräumt, außerdem die großen Hallen.

Die Presse – an der Spitze WELT, Bild und Co – versucht dabei, den legitimen Protest zu diffamieren und als gewalttätig darzustellen. Die Gewalt geht hier aber eindeutig von den Cops und RWE aus! Schmerzgriffe, Pfeffer, Schubsen, Schlagen und mit Brachialmaschinen Lützi platt machen, was ist das anderes als rohe kapitalistische Gewalt??

Wir lassen uns nicht spalten! Solange aufeinander acht gegeben wird, haben alle Formen des Protestes Platz, ob friedlich oder „anderweitig“, ob in Lützi selbst, im UAC (Unser aller Camp) in Keyenberg oder in deiner Stadt!

Kommt ins „Unser aller Camp“, kommt nach Lützi, kommt am Samstag zur Großdemo gegen Polizei, RWE, die Landesregierung und die Grünen, die das hier mitzuverantworten haben!

Info zu den Aktionen und Protesten: https://luetzerathlebt.info/

Spendenkonto: https://luetzerathlebt.info/spendenkonto/

Dienstag, 10.01.23: Die Polizei provoziert: erfolglos.

Die Polizei hat begonnen, Strukturen im Tagebauvorfeld und auf der Landstraße 277 zu räumen, mit dem Ziel, ihre Zauntrasse zu errichten. Währenddessen befestigen Straßenbaumaschinen die Wege für Räumfahrzeuge.

Aus 14 Bundesländern reisen Polizist:innen an. Die Räumung des Orts wird ab morgen oder übermorgen vermutet. Aktuell ist aber der Zugang nach Lützerath weiterhin physisch offen. Gleichzeitig stoppt und schikaniert die Polizei Reisende mit Trekkingrucksäcken und Zelten bis zu Bahnhöfen in Düsseldorf.

Auch in und um Lützerath kam es zu Provokationen der Polizei, die mit Schubsen und Schlägen versuchte, Sitz- und Stehblockaden einzuschüchtern oder aufzubrechen.

Gerade im Angesicht der breiten öffentlichen Solidarität und der inneren Widersprüche in der schwarz-grünen Landesregierung ist die Taktik von Polizei und Regierung vermutlich, ein Narrativ zu schaffen, in dem wir Besetzer:innen „den ersten Stein“ warfen, um die folgende und bereits jetzt geplante massive Brutalität bei der Räumung Lützeraths zu rechtfertigen. Vorerst ist dieses Kalkül nicht aufgegangen.

Wir betonen an dieser Stelle ausdrücklich, dass die systematische Gewalt von dem Konzern RWE ausgeht, der dutzende von Quadratkilometern Land zerstören und Millionen Tonnen Kohle für seine Profite verfeuern will. Dies versucht die Landesregierung, durch den Einsatz und die Vorbereitung eines millionenschweren und brutalen Polizeieinsatzes durchzusetzen. Widerstand ist legitim und gerechtfertigt.

Montag, 09.01.23: Die Ruhe vor dem Sturm

Die Polizei baut weiter im Tagebauvorfeld ihr Lager auf. Bisher tut sie dies eher vorsichtig. Es gibt vorrangig ein Abtasten der Kräfte und der Situation, keine ausgedehnten Konfrontationen.

Zwei Tripods direkt vor der Polizei konnten so den ganzen Tag gehalten werden. Überall entstehen Barrikaden und Strukturen zur Verhinderung der Räumung. Es gibt etliche Baumhäuser und verschanzte Höfe.

In der lokalen Bevölkerung herrscht viel Unterstützung – ein Umstand, der aktuell kaum in den Medien erwähnt wird.

Ab Mittwoch wird mit dem offiziellen Beginn der Räumung gerechnet. Dies ist natürlich eine Vermutung, kein gesicherter Fakt. Eventuell ist der Zutritt zu Lützerath auch danach noch möglich, wenn auch unter erschwerten und kriminalisierten Bedingungen.

In jedem Fall steht nun aber das zweite Camp in  Keyenberg, das als Rückzugsort und alternativer Ausgangspunkt für Protest dient.

Die Stimmung ist motiviert. In Lützerath haben sich vorwiegend jene Jugendlichen versammelt, die vor vier Jahren mit Fridays for Future begannen, aktiv zu werden. Viele von ihnen haben sich über ihre Erfahrungen und Überlegungen antikapitalistischen Ideen zugewandt.

Sonntag, 08.01.23: Belagerungszustand und Volksfest – Lützerath vor der Räumung

Nach der Ausrufung des Tags X fand heute der letzte Dorfspaziergang nach Lützerath statt. 5.000  – 7.000 Menschen nahmen daran teil.

Die Unterstützung ist sehr breit aufgestellt. So haben auch prominente Kulturschaffende wie Jan Böhmermann und Henning May in den letzten Tagen ihre Solidarität mit dem Widerstand in und um Lützerath erklärt.

Das zeigte sich auch am heutigen Tag. Durch Shuttlebusse herangebracht und von der Küche für Alle versorgt, konnten so viele Leute wie nie zuvor durch Lützerath ziehen.

Während die zentrale Kundgebung stattfand, musste der nahe Kohlebagger stillstehen, da sich zu viele Menschen im Tagebauvorfeld befanden.

Währenddessen wurden im Dorf und auf den Zubringerstraßen zahlreiche Barrikaden errichtet. Nicht nur zahlenmäßig, sondern auch moralisch scheint der Widerstand nach diesem Wochenende so stark zu sein wie nie zuvor.

Die Stimmung im Ort war friedlich und kämpferisch. Neben Jugendlichen in Maleranzügen und Vermummung arbeiteten angereiste Familien gemeinsam am Aufreißen des Pflasters oder dem Ausheben von Gräben, um Räumfahrzeuge zu stoppen.

Der große Andrang drängte auch die Polizei zurück. Am Abend wurde die Lage unübersichtlich.

Der heutige Tag hat uns Kraft und Zuversicht gegeben. Wenn sich die Stimmung, die heute an der Abbruchkante herrschte, auf das Bundesgebiet überträgt, können wir gewinnen und Lützerath bleibt!

Weitere Artikel zu Lützerath auf unserer Website

Tag X: Lützerath verteidigen

Lützerath, die Umweltbewegung und die Grünen

„Nix bliev wie et wor“: Lützerath verteidigen!

Auf geht’s, ab geht’s: Welche Strategie brauchen wir als Klimabewegung in Zeiten von Krieg & Krise?




Tag X! Lützerath verteidigen!

Aufruf der Gruppe Arbeiter:innenmacht, Infomail 1209, 4. Januar 2023

Lützerath hat den Tag X ausgerufen. Dies kommt als Reaktion auf Maßnahmen von RWE und der Polizei. Diese haben damit begonnen, Strukturen anzugreifen, die von den Bewohner:innen des Dorfes aufgebaut wurden, um es zu erhalten. Ebenfalls wurden eine Zufahrtsstraße für schweres Gerät und Wälle aufgeschüttet als auch Zäune zur Abschirmung des Dorfes aufgestellt.

Das heißt: Die Räumung des besetzten Weilers hat begonnen. Unsere Anstrengungen, diese zu verhindern, müssen nun ebenfalls verstärkt werden. Wir als Arbeiter:innenmacht möchten hierfür einen Beitrag leisten.

Wir möchten betonen: Wir stehen nicht vor einer selbstverständlichen Niederlage nach einem langen Kampf. Es gibt gute Grundlagen für eine Verteidigung. Die Aktivist:innen vor Ort haben diese zwei Jahre lang mit ehrlicher, harter politischer Arbeit vorbereitet. Hierfür muss ihnen von allen Spektren der Linken und der Klimabewegung Respekt gezollt werden.

Diese neuen Einwohner:innen Lützeraths sind bereit, den Ort, den sie mittlerweile ihr Heim nennen, und mit diesem die 1,5-Grad-Grenze zu verteidigen. Es gibt eine breite Verankerung und Unterstützung in der Region, im Kreis Heinsberg, unter den Dörfern an der Kante. Hunderte weitere Aktivist:innen sind bereits vor Ort. Tausende sollten sich in den nächsten Tagen anschließen. Voraussichtlich bis zum 09.01. wird es möglich sein, legal zur Mahnwache und damit in das Dorf zu gelangen. Es sollte unser Ziel sein, dass Zehntausende an der Großdemonstration in der Region am 14. Januar teilnehmen.

Vor einer Entscheidung

Aber die Situation drängt auf eine Entscheidung. Die Gegenseite weiß dies und so wird die Schlinge zugezogen: von der schwarz-grünen Landesregierung, von RWE und der willfährigen Polizei.

Es bahnt sich hier eine Entscheidung an, welche für die künftige Klimabewegung konstitutiv und für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels zentral sein dürfte. Dennoch, Lützerath ist für uns keine Offenbarung, auch wenn dies für viele so sein mag, die große Hoffnungen auf einen Richtungswechsel unter einer grünen Bundesregierung legten. Es handelt sich auch nicht um einen Fehler der Grünen, wie Luisa Neubauer sagt.

Die Räumung des Weilers und die Ausdehnung des Kohletagebaus Garzweiler II nennt sich in der Welt dieser Partei schlicht Realpolitik. Ein integraler Teil davon sind zwangsläufig auch die regelmäßigen Beteuerungen, dass man diese eigentlich nicht betreiben wolle. Sie wollten auch die A49 nicht und lassen sie bauen. Sie wollten auch Stuttgart 21 nicht und lassen es bauen. Ach, sie wollten so vieles nicht. Aber noch viel mehr wollen sie Teil dieses Systems sein. Die Grünen haben eine grundlegende Transformation vollzogen, in der sie nicht mehr in erster Linie als grüne, sondern als bürgerliche Partei glaubwürdig sein wollen. Ihr vorderstes Ziel ist es, Teil der bürgerlichen Regierung zu sein.

Das aber bedeutet, dass sie für eine Klimabewegung keine – gar keine! – Glaubwürdigkeit, kein Vertrauen mehr besitzen darf, die ihren eigenen Slogan ernst nimmt, System Change statt Climate Change zu erwirken! Lützerath fällt nicht, weil die Grünen einen Fehler machen, sondern weil sie aktiv die Räumung Lützeraths vorantreiben. Eine Partei, die den Kapitalismus verteidigt, muss auch RWEs Interessen durchsetzen.

Aber was muss passieren, damit Lützerath nicht zur Realdystopie wie der Danni und Hambi wird? Reicht unsere jetzige Verteidigung? Wir werden es sehen. Aber selbst wenn bis zum Ende der Räumungs- und Rodungssaison durchgehalten wird, selbst wenn der Einsatz noch so teuer wird – was passiert dann? RWE wird nicht nachlassen, hat Lützerath sowieso fast schon zur Hälfte umbaggert, koste es was wolle. Im Hambi nahm man auch den Tod in Kauf. Individuelle Militanz, verklebte Fingerkuppen und Entschlossenheit alleine, so sehr sie moralisch gerechtfertigt sind, sind auf Dauer nicht genug. Was also hilft da?

Klimaklassenkampf!

Was uns bisher fehlt, ist: Klimaklassenkampf, eine Stilllegung von RWEs Tagebau durch die, die dort arbeiten, ein wirklicher Klimastreik: Autobänder, Bahnen, Rüstungsfabriken anhalten, damit Lützerath bleibt, damit wir das 1,5-Grad-Ziel einhalten. Weil es das nicht gibt, ist die Besetzung natürlich das aus der Not geborene Mittel der Wahl, bewundernswert, definitiv unterstützenswert, aber gegen die Macht von Staat und Konzernen strategisch unterlegen.

Über die unmittelbaren praktischen Aufgaben einer Besetzung hinaus brauchen wir die Debatte, wie wir jene gewinnen können, die den Profit der Klimakiller erarbeiten. Etliche von ihnen wollen in ihrer Rolle als Lohnabhängige dieser Konzerne nichts von der der Klimabewegung wissen. So erscheint es zumindest. Das ist definitiv auch Schuld von Gewerkschaftsführungen, die selbst am fossilen Tropf hängen, allen voran die IG BCE und die IG Metall.

Vielen ist aber vollkommen klar, dass das, was sie jeden Tag bauen, produzieren oder konstruieren, nichts mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Allerdings gibt es keine alternative Strategie, die Arbeitsplätze erhält oder neue schafft und das mit sozialer Sicherheit verbindet, die nicht von den Beschäftigten, sondern den Kapitalist:innen bezahlt wird. Immerhin, es gibt erste Sektoren unter Beschäftigten bei Bus und Bahn oder bei regenerativen Energiebetreibern, aber auch in der Metallindustrie, die beginnen, die Verhältnisse in Frage zu stellen.

Das bisher größte Problem in unserem Kampf bleibt aber, dass es eine weitgehende Trennung zwischen der Klimabewegung und denen gibt, die täglich im fossilen Kapitalismus arbeiten müssen. Wie viele fuhren zu Ende Gelände nach Hamburg und wollten von den Hafenstreiks nichts wissen? Wie viele kämpferische Gewerkschafter:innen kommen nicht darauf, selbst mal eine Besetzung in Augenschein zu nehmen, den Austausch mit Aktivist:innen auf Klimacamps zu suchen. Wir sollten deswegen nicht glauben, dass viele Klimaaktivist:innen nicht selbst Lohnabhängige sein mögen oder umgekehrt. Es gibt aber bisher keine organischen und organisatorischen Verbindungen, die über die Bekenntnis zum gemeinsamen Kampf hinausgehen.

Wir als Arbeiter:innenmacht sehen uns als Organisation, die diese Verbindungen schaffen und dies gemeinsam mit allen tun möchte, die dieses Ziel teilen. Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass dies ein Unterfangen ist, dass letztlich nur gegen den Widerstand der konservativsten Elemente sowohl in der Gewerkschafts- als auch der Umweltbewegung durchgesetzt werden kann.

Es braucht aber auch Sofortmaßnahmen.

  • Wir rufen euch auf: Bringt euch und eure Organisationen jetzt in die Verteidigung Lützeraths ein!

  • Beteiligt euch massenhaft an der Besetzung vor Ort! Unterstützt sie finanziell, logistisch oder medial, insbesondere, wenn ihr nicht selbst in Lützerath sein könnt!

  • Beteiligt euch an der Demonstration nach Lützerath am 14. Januar! Beteiligt euch auch an Solidaritätsaktionen, Demonstrationen und Kundgebungen im Bundesgebiet! Wo möglich plädieren wir insbesondere für das Mittel politischer Betriebsversammlungen, die sich gegen die Räumung aussprechen.

Aktuelle Infos unter: https://luetzerathlebt.info

Vor allem muss die Verteidigung Lützeraths einen kollektiven Charakter annehmen. Bringt Erklärungen in Gewerkschaftsgliederungen, Mietervereinen, sozialen Verbänden, Parteien und Vereinen ein, die den Erhalt Lützeraths fordern, die Rodungen verurteilen und Maßnahmen eurer Organisation ankündigen! Sendet diese Erklärungen auch an die Landesregierung in NRW! In ihnen sollten eure Organisationen oder Gliederungen sich aber auch dazu verpflichten, dem Kampf gegen die Rodung finanziell, logistisch, medial, rechtlich und/oder durch die Mobilisierung von Protesten zu helfen.

Die Beteiligung an der Besetzung und an der Demonstration am 14. Januar ist eine wichtige Sache. Aber wir werden Rodung und Räumung nicht allein vor Ort stoppen können. Wir müssen den politischen Preis für die schwarz-grüne Landes-, für die Bundesregierung und für RWE durch große und vor allem koordinierte bundesweite Proteste in die Höhe treiben. Gegen die Räumungsversuche sollten in Düsseldorf, in Berlin und weiteren Städten möglichst große Aktionen auf die Beine gestellt werden. Hierfür sollten wir nicht nur den linken Flügel der Klimabewegung und der linken Bewegungen gewinnen. Wir sollten auch die Grünen, die SPD und die Gewerkschaftsführungen auffordern, für Lützerath zu mobilisieren – gerade um die inneren Widersprüche in diesen Organisationen voranzutreiben und durch Aktion und gemeinsame Erfahrung jene an der Basis für eine alternative Politik zu gewinnen, die sich zunehmend von der Politik der regierenden Parteien verraten fühlen.

Lützerath ist eine der vielen Chancen, die Trennung zwischen Klimaaktivist:innen und Arbeiter:innenklasse zumindest im Ansatz zu überwinden, Militante für Klimaklassenkampf zu gewinnen. Besser, wir nehmen sie wahr. Noch drei Jahre, bis die 1,5 Grad gerissen werden könnten, eine Grenze, die zwischen den Baggern und Lützi verläuft.

  • Solidarität mit Lützerath! Alle Dörfer bleiben! Klima schützen ist kein Verbrechen!



End Fossil: Occupy! Was können wir von den Unibesetzungen lernen?

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Zwischen September und Dezember 2022 sollten unter dem Namen „End Fossil: Occupy!“ weltweit hunderte Schulen und Unis besetzt werden. Auch in Deutschland sind in über 20 Städten Uni- und Schulbesetzungen angekündigt. Startpunkt für die Aktionen war Uni Göttingen, an der wir uns am 24. Oktober auch beteiligten. Weitere folgten an der Technischen Universität Berlin oder in Frankfurt/Main. Aber was fordern die Aktivistist:innen von End Fossil: Occupy! eigentlich?

Ziele

Im Großen und Ganzen richtet sich End Fossil: Occupy! – wie der Name der Kampagne richtig vermuten lässt – gegen jede Form der fossilen Produktion. So heißt es auf der internationalen Website: „Unser Ziel ist es, das System zu verändern, indem wir die fossile Wirtschaft auf internationaler Ebene beenden. Je nach lokalem Kontext können die Forderungen variieren: Beendigung des Abbaus fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Brennstoffe, Beendigung der Finanzierung fossiler Infrastrukturen oder andere.“

Vom deutschen Ableger werden dabei weitere spezifischere Forderungen aufgeworfen. Im Fokus steht dabei die Beendigung der profitorientierten Energieproduktion mittels Übergewinnsteuer aller Energieträger und langfristiger Vergesellschaftung der Energieproduktion insgesamt. Ebenso tritt die Initiative für die Verkehrswende für alle ein, da der Verkehrssektor 18,2 % der jährlichen deutschen Treibhausgasemissionen ausmacht. Um dies zu ändern, braucht es laut Aktivist:innen  einen regelmäßigen, für alle erreichbaren ÖPNV sowie einen massiven Ausbau des überregionalen Schienennetzes. Damit er auch von allen genutzt werden kann, wird darüber hinaus ein 9-Euro-Ticket gefordert und langfristig ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr angestrebt. Daneben schließt sich End Fossil: Occupy! auch den Forderungen von Lützi bleibt!, Debt for Climate und Genug ist Genug an. Zusätzlich erheben viele Besetzungen auch lokale Forderungen, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.

Und wie soll das erreicht werden?

End Fossil: Occupy! ist eine Ansammlung von Aktivist:innen aus der Umweltbewegung, von denen ein guter Teil von Fridays for Future geprägt wurde. Diverse Organisationen unterstützen die Initiative, aber im Stil der Umweltbewegung gibt es keine offene Unterstützer:innenliste, um sich nicht zum „Spielball“ unterschiedlicher Interessen zu machen und „unabhängig“ zu bleiben. Darüber hinaus fallen weitere Ähnlichkeiten mit der bisherigen Klimabewegung auf. So wird auf der Website recht eindeutig gesagt, dass End Fossil: Occupy! von „unzähligen historischen Beispielen, wie der Pinguin Revolution 2006 in Chile, der Primavera Secundarista 2016 in Brasilien, der weltweiten Mobilisierung in und nach 1986 und vielen anderen“ inspiriert ist. Daran ist erstmal nichts verkehrt. Gleichzeitig muss aber bewusst sein, dass sowohl die Proteste in Chile 2006 als auch die  Bildungsstreikproteste in Brasilien, bei denen in kürzester Zeit über 100 Universitäten im ganzen Land besetzt wurden, in einer wesentlich anderen Ausgangslage stattgefunden haben. Bei beiden Beispielen gab es konkrete Angriffe auf das Bildungssystem. Die Besetzungen waren die Antwort von Schüler:innen, Studierenden und teilweise Lehrenden, um diese aktiv abzuwehren.

Aufbauend auf diesen Bezugspunkten setzt die Kampagne jedenfalls mehrere Prinzipien für ihre eigenen Aktionen fest:

„Die Besetzungen sind organisiert von jungen Menschen. Der politische Rahmen hinter den Besetzungen ist der der Klimagerechtigkeit. Wir wollen ein Ende der fossilen Industrie, um Klimaneutralität und weltweite soziale Gerechtigkeit zu erreichen. Unser Ziel wollen wir durch einen globalen und sozial gerechten Prozess erreichen. Unsere Intention ist es, (Hoch-)Schulen an verschiedensten Orten zu besetzen und so das öffentliche Leben zu stören, bis unsere Forderungen umgesetzt sind.“

Kurzum, die Besetzung soll Druck auf Institutionen aufbauen. Diese müssen dann den Forderungen der Aktivist:innen zustimmen und so sollen der fossilen Produktion Stück für Stück Absatzmärkte entzogen werden.

Unibesetzungen

Besetzungen stellen hier also ein zentrales Mittel zur Veränderung der Lage dar. Gemäß aktuellem Kräfteverhältnis folgt allerdings eher dem Muster der direkten Aktion, also mit dem Hintergedanken, dass Menschen durch eine radikale Tat selbst in Aktivität gezogen werden. Vor Ort, also an den Unis oder Schulen, gibt es unter den Studierenden eigentlich keine systematische Vorbereitungsarbeit. Die Masse soll vielmehr durch die unmittelbare Besetzung und ihre mediale Bewerbung so inspiriert werden, dass sich mehr und mehr Leute spontan anschließen. Dabei gibt es jedoch mehrere Probleme, auf die wir im Folgenden eingehen wollen.

Schulen und Universitäten sind keine oder nur im sehr begrenzten Rahmen – z. B. wenn die Forschung direkt mit industrieller Entwicklung verbunden ist – Orte der Mehrwertproduktion. Das heißt, Streik hier wirkt anders als beispielsweise in Sektoren wie der Bahn oder Autoindustrie. Dementsprechend ist es zwar logisch, von „Störung des öffentlichen Lebens“ zu sprechen, gleichzeitig sorgt sie aber auch dafür, dass diese Auseinandersetzungen länger ausgesessen werden können und weniger Druck erzeugen als Betriebsbesetzungen. Das sollte einem bewusst sein, insbesondere, wenn die Gegner multinationale Konzerne sind.

Heißt das, dass wir das alles schwachsinnig finden? Nein, im Gegenteil. Grundsätzlich halten wir die Initiative für sinnvoll und glauben, dass sie Potenzial entfalten kann. Deswegen haben wir Besetzungen, wo wir vor Ort sind, auch aktiv mit unterstützt und wollen dies künftig weiter tun. Gleichzeitig halten wir es sinnvoll, eine offene Debatte über die Strategie der Klimabewegung zu führen, um so aus den Initiativen sowie Fehlern der Vergangenheit zu lernen und unserem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Besetzungen stellen ein wichtiges Kampfmittel der Student:innenbewegung, von Schüler:innen, Indigenen, Bauern/Bäuerinnen, aber vor allem auch der Arbeiter:innenbewegung dar und bieten in diesem Rahmen eine Menge Potenzial. Bevor wir dazu kommen, wollen wir uns jedoch anschauen, was für uns Besetzungen bedeuten.

Was steckt eigentlich hinter einer Besetzung?

Für uns Marxist:innen sind Besetzungen ein recht starkes Mittel im Klassenkampf. Auch wenn dies manchen Leser:innen als altbacken daherkommen mag, wollen wir an der Stelle einen kurzen Abschnitt aus dem Übergangsprogramm Trotzkis zitieren:

„Die Streiks mit Fabrikbesetzungen, eine der jüngsten Äußerungen dieser Initiative, sprengen die Grenzen der ‚normalen’ kapitalistischen Herrschaft. Unabhängig von den Forderungen der Streikenden versetzt die zeitweilige Besetzung der Unternehmen dem Götzenbild des kapitalistischen Eigentums einen schweren Schlag. Jeder Besetzungsstreik stellt praktisch die Frage, wer der Herr in der Fabrik ist: der Kapitalist oder die Arbeiter.“

Das heißt, Besetzungen werfen unmittelbar die Fragen auf: Wer kontrolliert das besetzte Gebäude, die besetzte Unternehmung? Damit stellen sie die Verfügungsgewalt des Privateigentums und/oder etablierte kapitalistische Herrschaftsstrukturen infrage. Der besetzte Betrieb ist eine lokal begrenzte Form der Doppelmacht. Selbstverwaltete Strukturen von Arbeiter:innen und Unterdrückten existieren parallel und im Gegensatz zum eigentlich staatlich gesicherten Privateigentum.

Deswegen können sich Besetzungen je nach Lage der gesamten Situation recht schnell auch zuspitzen, wie man in der Vergangenheit sehen konnte, beispielsweise von französischen Arbeiter:innen, die ihm Rahmen von Streiks Raffinerien besetzten. Solche Situationen können aber nicht ewig bestehen bleiben, da die eine Struktur immer wieder die Legitimität der anderen in Frage stellt und beide letzten Endes auch Ausdruck zweier unversöhnlicher Interessen sind.

Das heißt: Im klassischen Marxismus geht es bei Besetzungen nicht nur darum, „die Normalität zu stören“, sondern sie sind ein Mittel, um den Klassenkampf bewusst zuzuspitzen. Auf der anderen Seite sind sie auch ein Ausdruck vom Kräfteverhältnissen. D. h., die Lohnabhängigen müssen selbst eine gewisse Entschlossenheit, Bewusstheit, also auch politische und organisatorische Vorbereitung sowie ein Wissen über den/die Gegner:in besitzen, um eine solche Aktion gezielt durchzuführen und den Kampf weiterzutreiben. Ansonsten bleibt eine spontane Besetzung leicht bloßer Ausdruck von Verzweiflung und kann nicht länger gehalten werden.

Dieses Verständnis erklärt übrigens, warum isolierte Besetzungen in der Regel nicht erfolgreich sein können. Sie greifen das kapitalistische System nur an einem Punkt an und steht dem von Besetzer:innenseite keine massive, dauerhafte Mobilisierung entgegen, verfügt der/die Kapitalist:in bzw. der etablierte, bürgerliche Staat, der sein/ihr Privateigentum schützt, über weitaus mehr Ressourcen, diese zu räumen. Heißt das im Umkehrschluss, dass man nur Besetzungen machen sollte, wenn man eine Basisverankerung vor Ort hat? Die Antwort ist: Kommt drauf an, was man erreichen will. Als symbolischer Protest kann eine Besetzung auch genutzt werden, um Basisarbeit aufzunehmen. Das heißt, in diesem Sinne kann es durchaus zweckmäßig sein, dass „die Normalität gestört wird“. Wenn es aber darum geht wie im Hambacher Forst, im Dannenröder Wald oder auch bei End Fossil:Occupy!, aktiv Errungenschaften zu verteidigen oder zu erkämpfen, dann bedarf es unbedingt vorheriger Basisarbeit an dem Ort, der besetzt werden soll. Dann muss dafür auch in den bestehenden gewerkschaftlichen oder studentischen Strukturen gekämpft werden. Im Folgenden wollen wir skizzieren, wie das aussehen kann.

Wir glauben, dass Besetzungen, die mehr als einen symbolischen Charakter haben, erfolgreich sind, wenn eine Massenbasis bzw. eine Verankerung besteht, beispielsweise wenn man gesamte Gebäude einer Universität statt einzelner Hörsäle oder gar Betriebe besetzen will. Werden diese Besetzungen nicht von den Studierenden oder Arbeiter:innen getragen, werden sie schnell geräumt oder im Falle der Unis geduldet, bis die Besetzer:innen nicht mehr können.

Das heißt, sie sind ebenfalls eine bewusste Entscheidung für die Besetzung durch die Mehrheit aller, zumindest aber durch die aktiven Student:innen. Ansonsten ist sie letztlich auf Dauer nicht zu halten, organisiert keine Basis, sondern spielt faktisch Stellvertreter:innenpolitik.

Wie kommt man nun zum Ziel? Vollversammlungen sind ein sinnvolles Mittel wie beispielsweise bei der Besetzung der TU Berlin. Wichtig dabei ist, dass man a) für diese gezielt mobilisiert, indem man beispielsweise Forderungen, die man vor Ort aufstellt, präsentiert und b) die Anwesenden aktiv in die Debatte einbindet und so die Besetzung auch zu ihrer kollektiven Entscheidung gestaltet.

Letzteres ist dort leider nicht passiert und eine der Ursachen dafür, warum die Besetzung auf eine kleine Gruppe und einen Hörsaal beschränkt blieb. Die „gezielte Mobilisierung“ ist für eine wirkliche Besetzung, die das bestehende Kräfteverhältnis in Frage stellt, unumgänglicher, essentieller Teil der Vorbereitung. Das bedeutet praktisch: wochenlanges Flyern, Plakatieren, mit dem Megaphon vor der Mensa zu stehen und Gespräche mit Studierenden bzw. der Belegschaft vor Ort zu führen. Dabei kann man Termine vorschlagen, um den Kreis der Vorbereitenden zu erhöhen und mehr Aktivist:innen in die Arbeit einzubeziehen, und wenn gewollt, auch weitere kreative Mobilisierungsformen entwickeln.

Zentral ist dabei, diese mit Forderungen zu verbinden, die lokale Probleme aufzeigen bzw. thematisieren, wie es positiver Weise an der TU Berlin geschehen ist. So wurden unter anderem die Transparenz über Fördermittel sowie weitere Geldquellen der TU Berlin und  Abkehr von fossiler Finanzierung gefordert. Dabei sollten „alle Einnahmen und sonstige finanziellen Unterstützungen durch Unternehmen transparent und übersichtlich aufgeschlüsselt werden, um sowohl die Verwendung der Gelder als auch den Einfluss der Unternehmen auf akademische Strukturen für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen.“

Dies gleicht der Offenlegung der Geschäftsbücher, die wir unterstützen, und bietet beispielsweise auch die Möglichkeit, um mit Beschäftigten an der Uni ins Gespräch zu kommen, was die Höhe ihrer eigenen Gehälter angeht und dass die Unterstützung der Besetzung letzten Endes in ihrem Interesse liegt.

Dies sind alles kleine, mühselige Schritte – aber notwendig, wenn wir Erfolg und Besetzungen nicht bloß einen symbolischen Charakter haben sollen.




Solidarität ist keine Einbahnstraße: Klimaschutz heißt Klassenkampf!

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Viel wird über die strategische Ausrichtung der Klimabewegung gesprochen. Das nächste Jahr bringt die praktische Möglichkeit mit sich, den vielen Worten Taten folgen zu lassen. Was ist damit gemeint? Im Januar beginnt die Tarifrunde Öffentlicher Dienst für Bund und Kommunen, im Herbst die für die Länder. Weitere finden bei der Deutsche Bahn AG und anderen Verkehrsbetrieben statt.

Wir schlagen Akivist:innen der Klimabewegung vor, nicht nur gemeinsame Blöcke auf größeren Veranstaltungen zu organisieren, um die Frage des Klimaschutzes in Arbeitskämpfe hineinzutragen, sondern die Kolleg:innen aktiv in ihren Kämpfen zu unterstützen. Ziel muss es sein zu zeigen, dass wir auf ihrer Seite stehen. Denn die Inflation treibt die Preise für Wohnen, Lebensmittel und die Energiekosten in die Höhe. Als Klimabewegung dürfen wir nicht schweigen und tatenlos zusehen, sondern müssen verdeutlichen, dass Klimaschutz eben nicht bedeutet, dass wir kollektiv frieren oder weniger essen. Deswegen sollten wir die Forderungen nach Lohnerhöhungen tatkräftig unterstützen und zeitgleich eigene aufstellen wie eine Übergewinnsteuer auf Energiepreise sowie die Verstaatlichung von Energieunternehmen unter Arbeiter:innenkontrolle. Denn: Es geht nicht nur darum, solidarischen Austausch untereinander zu schaffen, sondern die Grundlage zu legen, gemeinsame Kämpfe zu führen – was auch bedeutet, für politische Forderungen zu streiken.

Was bedeutet das konkret?

Beispielsweise könnten gemeinsame Vollversammlungen in Betrieben einberufen werden, in denen die Situation der Kolleg:innen sowie der Streikverlauf besprochen werden. Darüber hinaus können dann seitens der Umweltbewegung obige Forderungen eingebracht und diskutiert werden. Ebenso können aktive Unterstützung bei Streikposten oder genereller Mobilisierung im Betrieb helfen, aktiv in Gespräche mit Beschäftigten zu kommen.

Wichtig dabei ist, keine Illusionen in die Gewerkschaftsbürokratie zu schüren. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Abschlüsse bei Tarifrunden geht. Statt alles abzunicken, um zu Wort zu kommen, gilt es Basisstrukturen der Beschäftigten selbst zu stärken und auch aktiv an die Führungen heranzutreten, wenn es darum geht, selbst gesteckte Ziele wie z. B. aufgestellte Tarifforderungen zu erreichen, diese tatkräftig zu unterstützen. Um dies zu unterstützen, halten wir es für sinnvoll, in Strukturen wie der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) aktiv zu sein und diese mit der Klimabewegung zu verzahnen. Wenn ihr Interesse habt, solche Initiativen voranzutreiben, meldet euch bei uns!




Bundesweite Razzia gegen „Letzte Generation“: Wer ist der Klimaterrorist?

Georg Ismael, Infomail 1206, 13. Dezember 2022

Seit diesem Jahr ist die Klimabewegung in Deutschland um eine neue Organisation und Aktionsform bereichert worden. Sie ist in aller Munde. Natürlich ist von der „Letzten Generation“ die Rede. Ihre Unterstützer:innen begannen sich auf Straßen und an Gemälden festzukleben. Ihre ursprünglichen zwei Forderungen: sofortige Durchsetzung eines Tempolimits von 100 km/h und allgemeine Durchsetzung eines 9-Euro-Tickets.

In den letzten Wochen begann eine Kampagne, insbesondere getragen von der rechten und konservativen Presse sowie von Politiker:innen der AfD und CDU, die die „Letzte Generation“ und ihre Aktionsformen als Klimaterrorismus denunzierten. NRWs Innenminister Reul und andere Gleichgesinnte in Politik und Staat stellten sie einer kriminellen Vereinigung gleich. Unter diesem Verdacht können mit den Paragraphen 129 a und b Organisationen und Vereinigungen in Deutschland mit massiver Repression und Überwachung überzogen werden. Effektiv heben sie den sogenannten Rechtsstaat in Bezug auf die Betroffenen auf.

Hausdurchsuchungen

Nun entschied sich die Staatsanwaltschaft in Neuruppin, Untersuchungen unter diesem Paragraphen aufzunehmen. Das dortige Amtsgericht billigte Hausdurchsuchungen und mit großer Sicherheit auch Überwachung, Abhörungen und die Aufhebung des Postgeheimnisses durch die Polizei gegenüber realen oder angenommenen Mitgliedern der „Letzten Generation“. Heute, am 13.12., durchsuchte die Polizei mit zum Teil dutzenden Beamt:innen die Wohnungen von mindestens 11 Personen. In einem der „Neue Internationale“ bekannten Fall aus Berlin wurde ein Aktivist in Stahlhandschellen abgeführt.

Wir lehnen diese Repression ab. Unsere volle Solidarität gilt den Festgenommenen und der „Letzten Generation“ insgesamt. Wir fordern die sofortige Freilassung aller Festgenommenen, die Einstellung aller Verfahren und Rücknahme aller mit dem Paragraphen 129 verbundenen Schritte. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen kommen tatsächlich einer Aushebelung demokratischer Rechte gleich.

Es gilt aber an dieser Stelle weiterzugehen in der Kritik und Analyse. Der immer wieder aufgebrachte Vorwurf oder die „Fragestellung“ angeblicher Expert:innen der vergangenen Wochen war, ob und inwiefern die „Letzte Generation“ eine neue „Klima-RAF“ sei. Diese Frage so zu stellen, stellt bereits eine Form des Geschichtsrevisionismus dar. Die „Letzte Generation“ war in keinerlei Aktivitäten verwickelt, die jener der RAF gleichkämen.

Reaktionäres Narrativ

Viel entscheidender ist aber, was diese Expert:innen und die bürgerliche Presse, die dieses Narrativ fördert, verschweigen. Ab den 1968ern gab es eine wachsende und für antikapitalistische Ideen offene Jugendbewegung in Deutschland. Diese fand sich allerdings zwischen Hammer und Amboss wieder. Der Hammer waren insbesondere Politiker:innen der CDU, der FDP, aber auch der SPD sowie der Staatsapparat. Der Amboss war im wahrsten Sinne eine unbewegliche Arbeiter:innenbewegung. Die Gewerkschaften unter Führung der SPD verweigerten sich weitestgehend der Solidarität mit der Studierendenbewegung und verschlossen ihre Türen gegenüber den aktiven und motivierten Jugendlichen, die gemeinsam mit den Arbeiter:innen gegen das Kapital kämpfen wollten.

Begleitet wurde diese Entwicklung von einer massiven Hetzkampagne, insbesondere durch die Springerpresse. Diese war maßgeblich mit dafür verantwortlich, dass sich Rechte ermutigt fühlten, den Studentenführer Rudi Dutschke anzuschießen und Polizisten ohne Konsequenzen den Studenten Benno Ohnesorg erschießen konnten. Etliche weitere wurden durch die Berichterstattung in den persönlichen Ruin getrieben.

Wer einen Blick in Zeitungen wie die Welt, BILD oder auch „seriöse“ Publikationen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung wirft, wird feststellen, dass diese eben nicht nur den oben beschriebenen Staatsterror gegenüber der „Letzten Generation“ befürworten und erbeten, sondern in ihren Kommentarspalten auch den diskursiven Nährboden für rechten Terror gegenüber der Klimabewegung legen.

Es war eine solche politische Atmosphäre, die in den 1970er Jahren einige verzweifelte Revolutionär:innen in den Linksterrorismus trieb. Unabhängig davon, dass dies nicht die Strategie von uns Kommunist:innen ist, muss dieser Umstand anerkannt werden, um die Möglichkeiten für die heutige Entwicklung zu bewerten.

Die Geschichte muss sich aber nicht immer und immer wieder gleich entwickeln. Sie kann es tatsächlich auch nicht, denn sie ist zum Besseren und Schlechteren von den Tätigkeiten der gesellschaftlich handelnden Menschen bestimmt, wird immer wieder von Zeitgenoss:innen neu geschaffen.

Neue Situation

Auch heute, im Jahr 2022, sind die zwei relevanten Hindernisse, mit denen sich bereits die demokratische und antikapitalistische Student:innenbewegung der 1968er konfrontiert sah, der metaphorische Hammer und Amboss, nach wie vor präsent. Gleichzeitig gibt es auch äußere Bedingungen, die sich maßgeblich unterscheiden. Es gibt eine tiefgreifende wirtschaftliche Krise. Es gibt eine zunehmende imperialistische Konkurrenz zwischen den USA, China, Russland und europäischen Industriestaaten wie Deutschland. Diese sind mittlerweile mit kriegerischen Auseinandersetzungen wie in der Ukraine verbunden. Und es gibt eine immer offensichtlicher werdende Klima- und Umweltkatastrophe.

Diese Faktoren werden nicht nur von Aktiven in der Klimabewegung zunehmend gesehen und diskutiert. Sie werden auch von der Arbeiter:innenklasse in Deutschland wahrgenommen. Es gibt eine wirkliche Möglichkeit, diese beiden Bewegungen zu einer Kraft zu verbinden, die echten Systemwechsel, also antikapitalistische Politik und Aktion ermöglicht. Dafür ist es aber unvermeidlich, die Politik der SPD und der Gewerkschaftsbürokratie in Frage zu stellen, die die Arbeiter:innenbewegung im Dornröschenschlaf gegen ihre eigenen Ausbeuter:innen hält und eine wirkliche Verbindung wie den Einsatz des effektivsten Kampfmittels, nämlich des politischen Streiks, mit aller Kraft blockiert.

Das wissen und fürchten letztlich auch die bürgerlichen Politiker:innen und das Kapital. Das ist der eigentliche Grund für die massive Hetzkampagne. Hier arbeiten die Herrschenden erneut an einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Kleine, von der Masse isolierte Gruppen lassen sich viel leichter stigmatisieren, auch oder gerade, wenn sie zu Verzweiflungstaten im Stile des individuellen Terrorismus greifen sollten. Was sie wirklich fürchten und verhindern wollen, ist eine antisystemische Verbindung zwischen Jugend und Arbeiter:innen.

Wir hingegen stehen an der Seite der Aktivist:innen der „Letzten Generation“, um diese geschichtliche Entwicklungsmöglichkeit zu eröffnen.

Ein Postskriptum sei noch angebracht. Die Bezeichnung Klimaterrorist stellt den kümmerlichen Charakter der herrschenden deutschen Ideologie zum Besten, die die Dinge immer wieder aufs Neue von den Füßen auf den Kopf stellt. So wie jene, die in Deutschland ihre Arbeit zum Verkauf anbieten, im öffentlichen Diskurs Arbeitnehmer:innen genannt werden, werden nun jene, die das Klima schützen wollen, als Klimaterrorist:innen diffamiert.

Die Wahrheit ist aber: Es ist der deutsche Imperialismus, es sind deutsche Banken, deutsche Unternehmen und die deutsche kapitalistische Gesellschaft, die die natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören drohen. Die arme, halbkoloniale Welt spürt dies bereits massiv. Wenn etwas Klimaterrorismus verkörpert, dann doch wohl, dass Länder wie Deutschland pro Kopf 15 Mal mehr zum globalen Ausstoß von Treibhausgasen beitragen als z. B. Pakistan. Gleichzeitig sind es letztere, die am stärksten betroffen sind. In Pakistan wurden 33 Millionen Menschen im Juni diesen Jahres aufgrund historischer Fluten zu Inlandsflüchtlingen. Währenddessen steigen die Nahrungsmittelpreise durch die Schuldendiktate u. a. des Internationalen Währungsfonds, in dem Deutschland drittgrößter Akteur ist, ins Unermessliche. Während nach wie vor Millionen Menschen allein in Pakistan obdachlos bei Wintereinbruch in Zelten ausharren, stieß Deutschland in diesem Jahr erneut eine Rekordmenge an Treibhausgasen aus. Wenn jemand sich des Klimaterrorismus schuldig macht, dann jene Politiker:innen, die von sich und ihren eigenen Schandtaten ablenken, indem sie jene Aktivist:innen denunzieren, die versuchen, sich dem Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen, entgegenzustemmen.




Fahrplanwechsel: 0,1 % Verkehrswende und ein halbes Stuttgart 21

Leo Drais, Infomail 1206, 11. Dezember 2022

Alle Jahre wieder treten zum zweiten Dezembersonntag neue Netzfahrpläne für Busse und Bahnen in Kraft. Wohin geht die Reise? Etwa in Richtung Verkehrswende? Ein Eisenbahner skizziert.

Mehr und teuerere Züge

Natürlich ist hier nicht der Raum, auf jede Regionalbahn, jeden Bus einzugehen (das merkt mensch ja auch selbst bei der täglichen Fahrt). Vielmehr geht es darum, einen allgemeineren Blick zu werfen, konkret: Gibt es mehr oder weniger ÖPNV (Öffentlichen Personennahverkehr) und SPFV (Schienenpersonenfernverkehr)? Was sollen sie kosten und wo liegen deren Probleme?

Im Fernverkehr werden einzelne Verbindungen verlängert, die Vergrößerung der Flotte wird fortgesetzt. Zwischen Stuttgart und Ulm wird eine Schnellfahrstrecke in Betrieb genommen, dazu unten mehr. Die Preise werden im Schnitt um 5 Prozent erhöht – bei 10 % Inflation kann das eigentlich niemanden überraschen.

Im Nahverkehr, der Sache von Verkehrsverbünden, sprich Ländern und Kommunen einerseits sowie Verkehrsunternehmen andererseits, ändert sich lokal unterschiedlich viel. In Berlin und Brandenburg tauschen beispielsweise ODEG und DB Regio verschiedene Linien. Erfahrungsgemäß können solche Umstellungen glattgehen oder wochenlang knirschen.

Egal, wie gut es laufen wird: Die Vergabe von Strecken an unterschiedliche Eisenbahnverkehrsunternehmen im Wettbewerb ist und bleibt eine Sinnlosigkeit, die einem Gesamtsystem Bahn schadet, und damit auch Reisenden. Es spricht kaum was gegen die Anschaffung neuer Züge (außer, dass es die bisher eingesetzten Fahrzeuge auch oft noch sehr gut tun), mit denen das Ganze oft garniert wird. Wohl aber sprechen viele gesamtgesellschaftliche Argumente gegen Wettbewerb im ÖPNV. Entgegen neoliberaler Fantasien bringt er keinen günstigeren Verkehr. Als Beispiel sei hier Abellio in Baden-Württemberg erwähnt, das mit einem unterfinanzierten Angebot Ausschreibungen gewonnen hatte – und dann insolvent ging. Der Staat sprang ein und half mit Steuergeldern. Ein anderes Beispiel aus den letzten Jahren ist das der S-Bahn Hannover: Weil DB-Regio hier die lukrative Ausschreibung verlor, wurde durch alle Instanzen geklagt – auch wieder auf Kosten von Steuergeldern. Zu guter Letzt bedeuten solche Umstellungen immer auch eine Belastung für Beschäftigte – bis hin zum Jobverlust oder Arbeitsortswechsel.

Überhaupt ist der Nahverkehr in Deutschland ein Zahlungsgerangel sondergleichen.

Die eine Hälfte sollen Fahrscheine einbringen, die andere Subventionen, also auch wieder: Steuergelder! Aus wessen Tasche die vor allem kommen? Immerhin sind Mehrwert- und Lohn-/Einkommensteuer, also Massensteuern, die größten Einnahmequellen. Bei all dem ist der Nahverkehr chronisch unterfinanziert, was auch alle Kolleg:innen in Bus, Tram und Zug in der eigenen Tasche spüren genauso wie die Bewohner:innen von Kleinkleckersdorf, die mit jedem neuen Verkehrsvertrag bangen, ob Zug oder Bus demnächst noch bei ihnen halten.

Jetzt soll das 49-Euro-Ticket als schlechter Ersatz fürs 9-Euro-Ticket kommen – nicht zum Fahrplanwechsel, sondern mit Glück vielleicht im Mai, dafür aber dauerhaft.

Auch hier gab‘s das übliche Finanzierungsgerangel zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Sollten letztere auf Finanzierungslücken sitzen bleiben, wird das Ticket zum Gegenteil aller Absichtsbekundungen führen: Dann werden Linien und Leistungen abbestellt, die Kleinkleckersdörfer:innen fahren Auto oder laufen.

Trotzdem: Zunächst mal ist das 49-Euro-Ticket im Vergleich zum tariflichen Flickenteppich, der seit dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets wieder herrscht, sicher ein Fortschritt, auch wenn es für Geringverdiener:innen viel zu teuer und von einer preislichen Verkehrswende weit weg ist. Einen wirklichen Fortschritt hätte eine Fortführung des 9-Euro-Tickets darstellen können oder noch besser: ein kostenloser Nahverkehr (das hätte übrigens auch viel gespart: Fahrkartenautomaten z. B.).

Wendlingen – Ulm: im Betonrausch

Die größte Änderung im deutschen Schienennetz stellt die Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke zwischen Wendlingen und Ulm dar. Für Reisende verkürzt sich damit die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Ulm um 15 Minuten – vorausgesetzt sie sitzen in einem Zug mit passender Zugsicherung. Weil auf der Strecke das Zugbeeinflussungssystem ETCS (European Train Control System) verbaut ist, kann der TGV Paris – München hier z. B. noch nicht fahren – seine Software passt nicht zu der der Strecke.

Lichthauptsignale hat man hier gespart genauso wie auf den Strecken Leipzig/Halle – Erfurt – Nürnberg vor einigen Jahren bereits. Solange ETCS funktioniert – kein Problem. Wenn es ausfällt, gibt es kein technisches Alternativsystem, es bleiben nur betriebliche Rückfallebenen.

Die Rennstrecke durch die Schwäbische Alb („durch“ im wahrsten Sinne) ist beispielhaft für die Art und Weise, wie Schienennetzausbau in Deutschland läuft. Während er ermöglicht, dass Fernzüge die enge, steile und langsame Geislinger Steige umgehen können, trifft das für Güterzüge nicht zu – die neue Strecke ist noch steiler als die alte. Das hat Tradition und ist zugegeben kein rein deutsches Phänomen. Sowohl die ICE-Neubaustrecken Köln – Frankfurt, Nürnberg – Ingolstadt wie auch Ulm – Wendlingen weisen eine zu große Längsneigung für Güterzüge auf. Zwischen Nürnberg und Leipzig wird es je nach Zuglast ziemlich früh auch eng.

Dabei stellt sich grundsätzlich die Frage, wie gesamtgesellschaftlich und ökologisch sinnvoll der milliardenschwere Schnellfahrstreckenbau überhaupt ist, vor allem, da er der einzige Neubau ist, den die Deutsche Bahn kennt.

Um 74 km wächst das deutsche Schienennetz in diesem Jahr – darunter die 60 km Wendlingen – Ulm. Letztes Jahr wuchs das Schienennetz gerade mal um 4,2 km, zwei kleine Nadelöhre in Frankfurt und Berlin wurden beseitigt. Im selben Jahr wuchs das Straßennetz um 10.000 km (Neu- und Ausbau).

Das Schienennetz ist seit der Bahnreform deutlich geschrumpft. Dem schleppenden Halbausbau des Kernnetzes steht der rapide Rückzug aus der Fläche gegenüber. Während die Güterverkehrsleistung seit 1994 auf der Schiene um 83 Prozent zunahm, schrumpfte das Netz um 15 %. Gleichzeitig wuchsen die Tunnelkilometer – allein seit 2015 um 70 km auf über 500 km im deutschen Netz.

Mitunter sind Tunnel natürlich unvermeidbar, besonders im Bahnbetrieb und hier besonders im Schnellverkehr. Zur Betrachtung gehören aber auch noch zwei andere Größen: Tunnelbau ist beton- und damit CO2-intensiv; und – mit jedem weiteren Kilometer steigt das statistische Risiko von Unfällen und Bränden in deren Röhren, dem Alptraum schlechthin. Bei vergangenen Unfällen war bereits viel Glück im Unglück dabei. Auch die neue Strecke ist tunnelreich.

Wem diese Art des Streckenbaus natürlich besonders viel bringt, ist der Bauindustrie. Im Ländle Baden-Württemberg sitzt mit Herrenknecht einer der Weltmarktführer im Geschäft mit Tunnelvortriebsmaschinen. Er war und ist einer der größten Fans von und Verdiener am tunnelintensiven Stuttgart 21. Das ist zwar offiziell ein eigenständiges Projekt, aber nur damit macht die Führung der neuen Strecke über Wendlingen überhaupt erst richtig Sinn. Eine Beseitigung der Geislinger Steige wäre mit deutlich weniger Tunnelstrecke und sogar für schwere Güterzüge einfacher möglich gewesen.

Blick in die Röhre: S21

Überhaupt, S21. 2025 soll es tatsächlich in Betrieb gehen. Der Bau mag ingenieurtechnisch noch so spektakulär (und pannenhaft) sein, bahnbetrieblich bleibt er problematisch bis schwachsinnig (Kapazitätsverringerung, Bahnsteigeigung, Gleisneigung in den Tunneln, ETCS ohne Lichthauptsignale als Rückfallebene, schwieriger Brandschutz, noch mehr schwer zu evakuierende Tunnel, Kappung der Gäubahn, Entfremdung des Reiseerlebnisses in der Unterwelt, kaum Ausweichmöglichkeiten im Störungsfall, so gut wie keine bahnbetriebliche Flexibilität, … ).

Von dem Projekt haben mittlerweile alle Verantwortlichen gesagt, dass sie es heute nicht mehr bauen würden. Gebaut wird‘s trotzdem! Man kann nicht anders, denn wo kämen wir hin, brächen wir laufende Verträge?

Dabei ist das Projekt weder zwangsläufig noch alternativlos. Bis heute werden von Ausbaugegner:innen sogar solche formuliert, die am Baustand ansetzen. Aber das ist alles längst gesagt im Autoland Deutschland. Geht S21 in Betrieb und wird der jetzige Bahnhof abgerissen, darf sich Stuttgart über den Status einer im Stadtbild eisenbahnfreien Großstadt freuen – insbesondere im Hause Daimler und Porsche wird das so sein.

Kleine und große Baustellen

Das allermeiste bleibt nach dem Fahrplanwechsel, wie es ist: gestört, verbaut und verspätet. Der Bahnbetrieb wie überhaupt der Nahverkehr sind unterfinanziert, und wo Geld ausgegeben wird, wird es im schwäbischen Boden vergraben.

All das ist eine politische Frage, denn das Geld ist da. Es müsste nur der Autoindustrie weggenommen werden, deren Enteignung nach wie vor eine Voraussetzung für eine echte Verkehrswende darstellt. Mit der FDP im Verkehrsministerium ist das natürlich unmöglich.

Bezeichnenderweise stellte VW (Volker Wissing) neulich die Finanzierung des zweigleisigen Ausbaus der Weddeler Schleife zwischen Braunschweig und Wolfsburg inmitten der Arbeiten daran (!) in Frage. Ist halt keine Autobahn …

Die aktuellen Probleme sind in Wirklichkeit dauerhafte, die eher noch größer werden. Bei der Bahn gehen in den nächsten 10 Jahren etwa 70 % der Betriebspersonale in Rente. Das aufzufüllen, wird der Staatskonzern DB mit seiner Vergütung und Personalpolitik nicht schaffen. Warum soll ich zur Bahn in den Schichtdienst, wenn ich bei BMW in der Fabrik das Doppelte kriege?

Gäbe es bei der Bahn nicht so extrem viele Schienennerds und Herzbluteisenbahner:innen, den Karren würde keine:r mehr aus dem Dreck ziehen.

Daneben lahmt der Netzausbau oder wird weiter nur in Projekten gedacht, die jenem unter der Alb ähneln (tunnelintensive Schnellfahrstrecke Hanau – Fulda – Gerstungen (vielleicht entsteht hier der längste Tunnel Deutschlands); Hannover – Bielefeld; Fernbahntunnel Frankfurt … ).

Dazu kommen planungsrechtliche Bremsen. Wenn z. B. das von der Bundesregierung formulierte und unzureichende Ziel einer 75 %igen Elektrifizierung im Schienennetz bis 2030 erfüllt werden soll, bedeutet das, 500 km Strecke jährlich mit Oberleitung zu versehen. Davon sind wir ewig weit entfernt. Das Problem geht hier bereits damit los, dass eine elektrische Aufrüstung rechtlich als Neubau gilt, ergo das komplette, langwierige Planfeststellungsverfahren durchlaufen werden muss. Wäre diese Regierung ernsthaft eine klimafreundliche, würde sie hier sofort ansetzen, das Planungsrecht für Elektrifizierungen entsprechend vereinfachen.

Aber sie ist keine Klimaregierung, wie der Kapitalismus auch kein klimafreundliches System ist.

System Bahn, in der Tat eine Systemfrage

Das Netz ist voll und kollabiert eigentlich täglich irgendwo. Eine Verkehrswende ist mit diesem Schienennetz nicht möglich. Zugleich ist die Vorstellung einer Verkehrswende auf Seiten der Konzernbosse und Regierung auch eine falsche.

Es muss nämlich nicht darum gehen, die heutigen Pendlerströme und Verkehrsmassen einfach auf die Schiene zu packen – zuerst bedeutet Verkehrswende Verkehrsvermeidung. Das aber kann nur eine demokratische Planwirtschaft leisten, eine Reorganisierung von Stadt, Land und Industrie. Alles andere bedeutet, dass ein Netz morgen immer zu klein ist. Das kapitalistische Wachstum lässt grüßen.

Der Verkehr, der dann noch bleibt, sollte die Schiene als Herzstück haben. Den Ausbau müssen Reisende, Pendler:innen und vor allem Beschäftigte demokratisch kontrollieren.

Das ist nicht so utopisch, wie es vielleicht scheint. Vorrangig braucht es nicht unbedingt Rennbahnen, sondern Knoten- und Flächenausbau. Für hohe Durchschnittsgeschwindigkeiten und Pünktlichkeitswerte in einem europäischen Netz sind entflochtene Knoten letztlich sogar entscheidender. Weniger Tunnel braucht es ebenfalls, auch wenn hier und da eine Schnellfahrstrecke Sinn machen kann, wobei sich die Frage stellt, welche Trassierungsparameter für das Gesamtsystem am sinnvollsten sind (Anbindung von Orten, Nutzung auch für Güterzüge, Vermeidung von aufwendigen Kunstbauten so weit wie möglich … ).

Die Organisierung von öffentlichen Verkehrsträgern steht näher an der Planwirtschaft als viele andere Bereiche, immerhin heißt es – Fahrplan.

Fahrdienstleiter:innen wissen genau, wo Weichen fehlen. Sie könnten Vorschläge erarbeiten, über die demokratisch entschieden wird, wo sie hingehören müssten, und dann das Ganze dem Bahnbau übergeben. Dafür braucht es keine langjährigen Planfeststellungsverfahren.

Genauso wissen Lokführer:innen, welche Umläufe und Fahrzeugbedarfe Sinn machen.

Die Liste ließe sich lange fortsetzen.

Das Ganze muss keine Wunschvorstellung bleiben, aber damit aus Träumen Realität wird. heißt es für alle Beschäftigten im Nah- und Fernverkehr heute, dass sie beginnen müssen, sich selbst in Betriebskomitees zu organisieren und nicht nur diese oder jene Wünsche und Beschwerden auszusprechen. Das nächste Jahr bietet dafür möglicherweise Gelegenheit: Sowohl EVG wie GDL haben ihre Tarifrunde und zeigen sich streikbereit. Die Gewerkschaften tun gut daran, die Verkehrswende mit der Bezahlung der Beschäftigten zu verbinden, damit das Fahrplanjahr 2023 vielleicht zu einem Startpunkt einer Bewegung für die Verkehrswende wird – Beschäftigte und Klimabewegung im Schulterschluss!




Debt for Climate – keine Klimagerechtigkeit ohne soziale Gerechtigkeit!

Gastbeitrag von Louise Wagner, Debt for Climate, Infomail 1206, 11. Dezember 2022

Die hiesige Klimabewegung ist geprägt von ihrer mehrheitlich mittelständischen Zusammensetzung, was darin resultiert, dass die Forderungen, die eine Bewegung mit einer derartigen Ausrichtung hervorbringt, der Ideologie der Mittelklasse entspricht: Forderungen nach individueller Konsummäßigung, Veränderungen der Lebensumstände, der Urlaubsplanung, des Ernährungsverhaltens etc. Forderungen, die in sich ihre Legitimität haben, jedoch zum einen zu kurz in ihrer Problemanalyse greifen und zum anderen die Entfremdung derjenigen Klassen zur Folge haben, für die Konsumverhalten keine Frage der Wahl, sondern der ökonomischen Notwendigkeit ist.

Es ist insbesondere diese Kluft zwischen der Arbeiter:innenklasse und der Klimagerechtigkeitsbewegung, die die Rechte für ihre eigenen Zwecke zu kapitalisieren weiß und dementsprechend nährt. Denn diese weiß genau, dass eine vereinte Bewegung in dem Augenblick nicht mehr aufzuhalten wäre, an dem die Arbeiter:innenklasse erkennt, dass sie der fehlende Funke in der Bewegung für eine soziale und wahrhaftig transformative Umwelt- und Klimagerechtigkeit ist. Sie kann dringend benötigte Veränderungen herbeiführen, indem sie sich auf ihre standhafte Tradition der Organisierung von Streiks besinnt und der Kapitalseite ihre „Mitwirkung“ entzieht. Und das wäre alles andere als im Interesse der menschenverachtenden Politik der Rechten.

Schuldenstreichung als verbindende Lösung

Die globale Graswurzelbewegung Debt for Climate bietet diese Verbindung an, nicht durch ein künstliches Herbeiwünschen von vereinten Kräften, sondern indem sich Gewerkschaften, indigene Widerstands-, feministische und Klimagerechtigkeitsbewegungen unter einem gemeinsamen Nenner vereinen können, der Kämpfe für soziale Gerechtigkeit wie für den Zugang zu guter Bildung und Gesundheitsversorgung, gesunden Arbeitsbedingungen und einer gesunden Umwelt für alle Menschen zusammenbringt. Und das ist die Streichung der Schulden des globalen Südens.

Schulden, als mächtiges Instrument der Enteignung der Armen und des ungleichen Vermögenstransfers von unten nach oben, sind eine existenzielle treibende Kraft hinter dem Abbau des öffentlichen Sektors, aber sie sind vor allem die Peitsche von Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, um Länder des globalen Südens zu zwingen, fossile Brennstoffe zu fördern, damit sie die Zinsen für Kredite zurückzahlen können, die sie nach Jahrhunderten kolonialer Plünderung und systematischer Ausbeutung aufnehmen mussten oder die teilweise sogar illegal aus der ehemaligen Kolonie vom Kolonisator transferiert wurden. Die Entschuldung ist eine Bedingung dafür, einen systemischen Wandel, wirkliche Veränderung zu ermöglichen.

Arbeiter:innen im globalen Norden werden die am ehesten und stärksten Betroffenen sein, wenn Umweltkatastrophen auch hier heftiger und häufiger vorkommen werden. Und sie sind es, die sich eine sogenannte Anpassung nicht leisten werden können. Dass wird niemanden von „oben“ kümmern, denn sie sind die „Entbehrlichen des Nordens“, obwohl auf ihren Schultern die gesamte Weltwirtschaft lastet. Der Kampf für eine vielfältige und lebenswürdige Umwelt ist auch der der Arbeiter:innen, denn sie haben letztendlich die Fähigkeiten und das Wissen, sowohl technisch als auch organisatorisch, um eine gerechte Energiewende tatsächlich umsetzen zu können. Allerdings kann eine globale gerechte Energiewende de facto nicht passieren, solange Länder im Süden dazu gezwungen werden, weiterhin ein Entwicklungs- und Wirtschaftsmodell zu verfolgen, was auf der Ausbeutung von Arbeiter:innen und fossilen Rohstoffen aufbaut und durch die systematische Verschuldung dieser Länder aufrechterhalten wird.

Arbeiter:innen als Protagonist:innen

Diese Forderung ist nicht nur eine, die die tatsächlichen systemischen Ursachen globaler sozialer und klimatischer Ungerechtigkeiten priorisiert statt des individuellen Verhaltens derjenigen, die es sich nicht anders leisten können. Sie nimmt nichts denjenigen weg, die eh schon nicht viel haben, sondern durchschneidet einen zukünftigen Profitstrom derjenigen, die von dem Wenigen anderer profitieren. Sie ist auch eine, die von einer Bewegung getragen wird, die Arbeiter:innen als Protagonist:innen und nicht als Antagonist:innen der Klimagerechtigkeitsbewegung anerkennt und ihre Organisationen weltweit miteinander verbindet, um die Macht einer internationalen Arbeiter:innenbewegung von unten aufzubauen, um der momentan sehr viel besser organisierten herrschenden Klasse vereint und entschlossen entgegentreten zu können. Es geht dabei nicht darum, lokale Bemühungen und Forderungen aufzugeben, sondern es geht darum, die Kämpfe, die in der Sache bereits sowieso miteinander verbunden sind, auch in ihrer Organisation miteinander zu verbinden.

Am 27. Februar 2023 wird es genau 70 Jahre her sein, dass die Schulden von Nazideutschland etwa zur Hälfte gestrichen wurden. Schuldenstreichung ist also absolut möglich, wenn sie den Interessen der Herrschenden entspricht, im Falle Deutschlands ein Instrument gegen die Verlockung des Kommunismus. Wenn die Schulden von Nazideutschland gestrichen werden konnten, um die US-Hegemonie aufrechtzuerhalten, dann können sie es für globale Gerechtigkeit allemal. Dafür müssen wir uns gemeinsam organisieren, um öffentlich das Mögliche zu fordern, auch wenn es als politisch unmöglich abgestritten wird. Organisiert euch mit uns!

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