Antikriegsbewegung aufbauen: Klassenkrieg dem Krieg!

Martin Suchanek, Neue Internationale 263, April 2022

Die Invasion des russischen Imperialismus in die Ukraine hat eine neue Phase der Weltpolitik eingeläutet. Der Krieg offenbart nicht nur den reaktionären Charakter von Putins Regime, dessen barbarischer Kriegsführung Tausende zum Opfer gefallen sind – und täglich zum Opfer fallen werden.

Millionen Menschen fragen sich: Wie kann das Morden gestoppt werden? Millionen tragen ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine Woche für Woche auf die Straße.

Die Unterstützung der Opfer der russischen Invasion ist ein Gebot der Stunde. Doch zugleich droht der sich seit Jahren verschärfende Kampf um die Neuaufteilung der Welt zwischen den „alten“ imperialistischen Mächten, den USA und jenen in Westeuropa, einerseits sowie den „neuen“ wie China und Russland andererseits, zu einem heißen Krieg zu eskalieren.

Eine internationale Antikriegsbewegung muss daher sowohl ihre Solidarität mit den Opfern von Putins barbarischem Krieg zum Ausdruck bringen wie auch der akuten globalen Kriegsgefahr Rechnung tragen.

In den westlichen Ländern – so auch in Deutschland – kommt es darauf an zu verhindern, dass die NATO von der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Unterstützerin der ukrainischen Regierung zu einer direkten Kriegspartei wird, der globale Konflikt zum offenen, Dritten Weltkrieg ausartet.

Die Gefahr ist real. Die Politik der USA, der NATO-Mächte und der Bundesregierung, die extremen ökonomischen Sanktionen gegen Russland und die massive Aufrüstung sind kein Akt der „Verteidigung der Demokratie“ und Menschenrechte, wie es die Regierung und Opposition im Bundestag predigen. Vielmehr werden so nur die imperialistischen Interessen im Kampf um die Ukraine verkleidet.

Für eine Antikriegsbewegung ergeben sich daher mehrere wichtige Schlussfolgerungen.

1. Aufdecken der Interessen des „eigenen“ Kapitalismus – Ablehnung jeder Form des nationalen Schulterschlusses

Deutschland und der Westen verteidigen nicht das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine, sondern verfolgen vielmehr das Ziel, Russland als imperialistischen Konkurrenten auszuschalten und die Ukraine dauerhaft zu ihrer Halbkolonie zu machen. Die Behauptung, dass es den herrschenden Klassen Deutschlands oder seiner NATO-Verbündeten um einen Kampf zwischen Demokratie und Diktatur, zwischen Willkür und Menschenrechten ginge, ist eine Lüge. Sie soll nur die Bevölkerung auf Aufrüstung, NATO-Expansion nach Osten, Unterstützung der Sanktionen und ggf. ein direktes militärisches Eingreifen ideologisch vorbereiten und einstimmen.

  • Nein zu jeder NATO-Intervention! Gegen alle Sanktionen, Aufrüstung, NATO-Truppenverlagerungen und Waffenlieferungen! Gegen NATO-Ausweitung, sofortiger Austritt aus der NATO!

2. Keinen Cent für die imperialistische Politik

Auf den neuen Kurs, auf die „Zeitenwende“ eines Olaf Scholz sollen die Lohnabhängigen nicht nur ideologisch eingeschworen werden. Sie sollen auch dafür zahlen – sei es durch höhere Preise infolge der Sanktionen, sei es durch zukünftigen Sozialabbau, Kürzungen und Steuererhöhungen, um die Aufrüstung der Bundeswehr zu finanzieren.

  • Keinen Cent für die imperialistische Politik, für die Bundeswehr! Nein zum 100-Milliarden-Programm der Ampel-Koalition!
  • Die Kosten der Preissteigerung müssen die Herrschenden zahlen! Enteignung des Energiesektors und anderer Preistreiber:innen unter Arbeiter:innenkontrolle! Übernahme gestiegener Lebenshaltungskosten der Arbeiter:innenklasse, der Rentner:innen, von Erwerbslosen durch Besteuerung des Kapitals! Verstaatlichung der Rüstungsindustrie und Konversion unter Arbeiter:innenkontrolle!

3. Nein zu Putins Angriffskrieg! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und Antikriegsbewegung in Russland!

Eine Antikriegsbewegung, die diesen Namen verdient, muss die Invasion in der Ukraine verurteilen, den sofortigen Abzug der Truppen und die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine fordern (genauso wie von der Ukraine jenes der Krim und des Donbass zu verlangen ist). Eine Bewegung, die glaubwürdig gegen die Politik der NATO-Mächte kämpfen will, darf zum russischen Imperialismus nicht schweigen.

  • Sofortiger Abzug der russischen Armee! Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung, Anerkennung ihres Rechts auf Selbstverteidigung gegen die Invasion!
  • Solidarität mit der Antikriegsbewegung und der Arbeiter:innenklasse in Russland; Verbreitung der Aktionen gegen den Krieg; Freilassung aller Festgenommen!
  • Aufnahme aller Geflüchteten, Bleibe- und Staatsbürger:innenrechte für alle – finanziert durch den Staat; Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt, Aufnahme in die Gewerkschaften!

4. Politischer Massenstreik und Massendemonstrationen gegen jede direkte NATO-Intervention!

Sollten die NATO-Länder zu einer direkten militärischen Intervention z. B. durch die Errichtung von Flugverbotszonen schreiten, muss die Arbeiter:innenklasse unmittelbar gegen diese Eskalation hin zum direkten Krieg imperialistischer Mächte mobilisiert werden, um mit einem politischen Streik bis hin zum Generalstreik die gefährliche Katastrophe zu verhindern, um die Kriegstreiberei durch den Klassenkrieg zu stoppen!

Die Ablehnung jeder Klassenzusammenarbeit, jeder Unterstützung der Regierung und ihrer militärischen und wirtschaftlichen Interessen ist nicht nur unerlässlich im Kampf gegen den „eigenen“ Imperialismus, den Hauptfeind im eigenen Land. Sie schafft zugleich auch die besten Voraussetzungen für den Aufbau einer internationalen Antikriegsbewegung – insbesondere auch in Russland und in der Ukraine. Wenn sich die Lohnabhängigen in Deutschland und anderen westlichen Ländern gegen ihre eigene Regierung stellen, so untergräbt das auch den reaktionären völkisch-nationalistischen großrussischen Nationalismus.

Antikriegsbündnis aufbauen!

Die Gruppe Arbeiter:innenmacht und REVOLUTION beteiligen sich gemeinsam mit anderen internationalistischen, sozialistischen, klassenkämpferischen und gewerkschaftsoppositionellen Strömungen aktiv am Aufbau einer Antikriegsbewegung unter den Losungen „Gegen die Aufrüstung! Nein zum Krieg! Weder Putin noch NATO!“

Gemeinsam intervenierten wir auf den großen Ukraine-Solidaritätsdemonstrationen wie z. B. am 13. März in Berlin. Zugleich organisieren wir eigene Antikriegsdemonstrationen und Kundgebungen wie z. B. am 9. April in Berlin, 14.00 Uhr vor der russischen Botschaft (Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße). Wir versuchen, dafür Lohnabhängige und Gewerkschafter:innen, Schüler:innen, Studierende dort zu organisieren, wo sie arbeiten oder lernen. Wir halten dies für strategisch notwendig, wenn wir eine Antikriegsbewegung aufbauen wollen, die sich auf die Arbeiter:innenklasse stützt, Kriegstreiber:innen, Kapital und Kabinett durch ihre Aktionen wirklich stoppen kann, um die Kräfte für einen Kurswechsel in den Gewerkschaften, aber auch in den reformistischen Parteien zu sammeln.

Um eine Antikriegsbewegung aufzubauen, brauchen wir Aktion und Diskussion. Daher schlagen wir eine Aktionskonferenz Anfang Mai vor, um gemeinsam darüber zu diskutieren, wie wir die Bewegung voranbringen können. Eine solche muss zugleich auch grundlegende Fragen des Kampfes gegen Imperialismus und Krieg diskutieren, um die politische Klärung innerhalb der Bewegung und der Linken voranzubringen. Es gilt, jene Kräfte zu formieren, die nicht nur eine Bewegung, ein Bündnis aufbauen, sondern auch eine revolutionäre Organisation und Internationale bilden wollen – mit dem Ziel, den drohenden imperialistischen Krieg zum Klassenkrieg gegen den Kapitalismus zu transformieren.




Sanktionen gegen Russland: Friedlich getarnte Kriegsmittel

Leo Drais, Neue Internationale 263, April 2022

Russlands niederträchtiger Überfall auf die Ukraine hat die Angst vor dem Krieg in unser mitteleuropäisches Leben zurückgebracht. Er ist allgegenwärtig, ohne, dass wir ihn hier selbst erleiden. Aber wir sehen ihn im Internet, im Fernsehen, in den Zeitungen, jeden Tag. In Bahnhöfen begegnen wir Geflüchteten, spenden, helfen. Und wir fühlen – die Sprengköpfe sind auch auf uns gerichtet. Der Dritte Weltkrieg, das nukleare Ende sind Möglichkeiten, die in den Alpträumen, Fantasien und Vorstellungen vieler, nicht nur sensibler Menschen bereits ausbrechen.

Eine große Mehrheit betrachtet daher vor allem die Sanktionen gegen Russland als gerechtfertigt. Einerseits, weil Russland hier als der eindeutige Aggressor dasteht, als die Macht, die zuerst gefeuert hat. Andererseits, weil es die verbreitete und ignorante, da Afghanistan, Irak und Kosovo vergessende, Illusion über den Westen als demokratischen Verteidiger der Menschenrechte gibt, der nun der Ukraine unter die Arme greift – ganz selbstlos anscheinend. Diese Faktoren, gepaart mit friedliebender Hoffnung, angstgetriebener Wut und gefühlter Machtlosigkeit haben innerhalb der deutschen Bevölkerung für eine Stimmung gesorgt, die die Sanktionen bejaht und begrüßt.

Verständlich, aber nur auf den ersten Blick: Russland würde für seinen Krieg gerecht bestraft und das auch noch mit friedlichen Mitteln. Aber so einfach ist die Sache leider nicht, denn:

1) Sanktionen sind für sich genommen ein diplomatisches, wirtschaftliches oder politisches Zwangsmittel. Aber ein Mittel ist nichts ohne seinen Zweck, und den bestimmt, wer sanktioniert.

2) Sanktionen treffen vor allem die einfache Bevölkerung und die Arbeiter:innenklasse.

3) Wer Sanktionen ausspricht, muss sie auch durchsetzen können – notfalls militärisch.

Mittel und Zweck

Zum ersten Aspekt. Sanktionen sind hier nur ein anderes Mittel für denselben Zweck. Viele, sehr viele glauben, ein Sieg der Ukraine wäre ein Sieg der Demokratie, Souveränität und Unabhängigkeit gegen den Despotismus.

Aber ist dem wirklich so? Wenn Kiew den Krieg gewinnen sollte – und nichts anderes sollen die Sanktionen bewirken – würde die Ukraine wesentlich eine Halbkolonie der EU und der USA bleiben, weiterhin abhängig von der NATO, westlichem Kapital und unter Peitsche des Internationalen Währungsfonds IWF – soviel zur realen Souveränität.

Was die Demokratie angeht, ist die Ukraine nach wie vor ein Staat mit einer mächtigen Oligarchie an der Spitze, die sich eine enge Bindung an die EU und die USA wünscht. Auch fragt sich mindestens, was die Krim und den Donbass angeht, ob – selbst bei lupenreinen Wahlen – die ukrainische Regierung ein Selbstbestimmungsrecht einschließlich Loslösungsmöglichkeit dieser Gebiete anerkennen würde. Wohl eher nicht.

Damit sollen weder Putins Regime noch das Selbstbestimmungsrecht einer Nation relativiert werden. Es soll bloß heißen, dass die bürgerliche Demokratie selbst nur sehr begrenzten Einfluss für die Bevölkerung bedeutet und im Großen und Ganzen immer noch eine verschleierte Klassenherrschaft der Kapitalist:innen ist. Das trifft auch auf die BRD zu. Oder haben wir etwa irgendeine demokratische Kontrolle darüber, ob die Regierung 100 Milliarden für Rüstung rausballert oder nach zwei Jahren Corona endlich mal das Gesundheitssystem verbessert? Auch nicht.

Im Namen der Demokratie haben NATO-Staaten viel Leid produziert und glorreiche Demokratien wie in Afghanistan oder den Irak geschaffen. Das Ding mit der Demokratie ist mehr Ideologie zu unserer Einbindung in Staatspolitik der BRD, als dass es wirklich darum ginge, in der Ukraine eine lupenreine Demokratie zu schaffen.

Deutschland, die EU und die USA sind auch in der Ukraine keine selbstlosen Helfer:innen, die Russland nur für den Krieg bestrafen wollen. Es geht darum, dass alle kriegerisch oder nicht unmittelbar kriegerisch beteiligten kapitalistischen Großmächte in Konkurrenz zueinander stehen und keinen uneigennützigen Gefallen kennen. Für die westlichen Unterstützer:innen der Ukraine geht es nicht um deren Selbstbestimmung, sondern um das genaue Gegenteil – die Kontrolle ihrer Ressourcen, ihre Einbindung in den westlichen Block.

Vor allem die USA, aber auch die EU sehen in Moskaus Krieg die Chance, Russland als Konkurrenten zu schwächen, wenn nicht aus dem Weg zu räumen. Es geht um die Neuaufteilung der Welt und um die der Ukraine – zwischen der NATO einerseits und Russland (und in gewisser Weise China) andererseits.

Am Ende dienen die Sanktionen also nicht der Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine, sondern der Ausweitung des wirtschaftlichen und politischen Herrschaftsbereichs der EU-Mächte und der USA. Dass sich die ukrainischen Arbeiter:innen gegen die russische Okkupation zur Wehr setzen, ist zweifellos unterstützenswert. Das darf aber nicht mit einer Unterstützung des Regimes Selenskyj verwechselt werden, das selbst die Lohnabhängigen unterdrückt und erst vor kurzem reihenweise politisch oppositionelle Parteien und Organisationen verbot, weil sie angeblich „prorussisch“ wären. Schon gar nicht darf es mit einer Unterstützung der westlichen imperialistischen Kriegsziele und deren Mittel wie wirtschaftlicher Kriegsführung gleichgesetzt werden.

Die falschen Ziele

Zum zweiten Aspekt. Sanktionen sind nicht nur abzulehnen, weil sie diesem reaktionären Ziel dienen, sondern auch, weil sie schlicht die Falschen treffen. Während russische Reiche und die Putinclique weiterhin aus vollen Tellern tafeln und, sofern sie nicht mit persönlichen Sanktionen belegt sind, über Dubai oder Katar auch weiterhin in die Welt fliegen können, stehen russische Arbeiter:innen vor leeren Supermarktregalen und explodierten Preisen. Als Internationalist:innen, die in ihnen mögliche Verbündete im Kampf gegen den Krieg sehen, lehnen wir daher auch aus diesem Grund Sanktionen ab. Egal, ob sich IKEA aus Russland zurückzieht und die Beschäftigten auf die Straße setzt oder die Lohnabhängigen wegen des SWIFT-Ausschlusses Russlands Geldprobleme bekommen – die Sanktionen treffen vor allem die Massen.

Und noch was. Angeblich sollen sie ja auch bewirken, die russische Bevölkerung gegen Putin aufzubringen. Möglich ist aber auch das Gegenteil: Putins Propagandahoheit findet nun reichlich Futter, um antiwestliche Stimmung zu verbreiten und den Krieg umso mehr zu rechtfertigen. Alle, die auf den Aufstand der russischen Zivilbevölkerung gegen Putin warten, sollten sich darüber klar werden, dass ein/e äußere/r Gegner:in ein Land im Inneren auch zusammenschweißen kann.

Krieg und Frieden

Zum dritten Aspekt. Sanktionen eskalieren bis hin zum Krieg. Das Mittel, das erstmal so friedlich erscheint, ist in Wirklichkeit ein Teil der Konfrontation, die die Gefahr eines direkten Krieges zwischen der NATO und Russland erhöht, wobei es vermutlich das atomare Potential beider ist, das diesen großen Knall derzeit verhindert.

Wer „Sanktionen“ sagt, muss in gewisser Weise auch „Krieg“ sagen. Denn nicht alle Sanktionen sind nur wirtschaftlich, diplomatisch oder politisch durchsetzbar. Mindestens die Drohkulisse von Waffengewalt ist nötig, um Russland davon abzuhalten, diverse Sanktionen zu brechen oder militärisch auf sie zu antworten. Die Diskussion um eine Flugverbotszone über der Ukraine, an die sich Putin wahrscheinlich nicht halten würde, verdeutlicht genau das.

Darüber hinaus müssen die Sanktionen nicht nur gegenüber Russland durchgesetzt werden, sondern auch anderen Staaten, die sich nicht daran halten, also z. B. russisches Öl und Gas kaufen würden.

Sanktionen funktionieren auch dort nur in Verbindung mit ökonomischen Drohungen und potentieller militärischer Gewalt. Manche würden hier in Anlehnung an das Gleichgewicht des Schreckens vielleicht sagen: „Na klar, wer Frieden will, der rüste zum Krieg!“ Schade nur, dass weder die Geschichte noch die Dynamik einer kapitalistischen Welt das bestätigen. Im Lostreten eines Krieges regiert und konzentriert sich das ganze Irrationale dieser Gesellschaft. Daher gilt, dass alle, die den Dritten Weltkrieg verhindern wollen und Angst vor ihm haben, in Sanktionen eine gefährliche, eine falsche Hoffnung setzen!




Von Rüstungs- und Entlastungspaketen: 100 Milliarden Gründe gegen Scholz

Wilhelm Schulz, Neue Internationale 263, April 2022

In stürmischen Zeiten des Krieges in der Ukraine und weltumspannender Sanktionsprogramme sitzt das Portemonnaie der Bundesregierung recht locker. Ende Februar brachte der Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr in Höhe von 100.000.000.000 Euro auf den Weg. Ende März einigte sich die Ampelkoalition auf ein Entlastungsprogramm, um die Preissteigerungen des Krieges abzufedern. Hier möchten wir einen Einblick in die beiden Milliardenprogramme der Bundesregierung geben und diese bewerten.

Mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen und einer geplanten Erhöhung des Jahresbudgets für Verteidigung auf das von der Nato vorgegebene 2 %-Ziel des Bruttoinlandsprodukts, somit auf mehr als 70 Milliarden Euro, nehmen die Rüstungsausgaben einen gigantischen Kostenfaktor im Bundeshaushalt ein. Olaf Scholz liegt richtig, wenn er diesen Schritt als Zeitenwende bezeichnet.

Größtes Rüstungsprogramm

Denn nicht nur vom Geldvolumen her, auch bezogen auf die Anschaffungen haben wir es hier mit einer Wende in der zukünftigen militärischen Stellung zu tun. Der neue deutsche Militarismus soll die „Truppe“ im Ausland interventionsfähiger machen. Auch Verteidigungssysteme wie das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome könnten angeschafft werden.

#DerAppell, eine Petition gegen die Aufrüstungspläne der Bundesregierung, macht klar, welche Dimension das Sondervermögen im Gesamthaushalt einnimmt. „Diese Summe (des Sondervermögens) entspricht den Ausgaben mehrerer Bundesministerien, darunter so wichtige Ressorts wie Gesundheit (16,03 Mrd.), Bildung und Forschung (19,36 Mrd.), Innen, Bau und Heimat (18,52 Mrd.), Familie, Senioren, Frauen und Jugend (12,16 Mrd.), Wirtschaft und Energie (9,81 Mrd.), Umwelt (2,7 Mrd.), Zusammenarbeit und Entwicklung (10,8 Mrd.) sowie Ernährung und Landwirtschaft (6,98 Mrd.).“ Der Jahresetat der Bundesregierung lag ursprünglich bei 443 Milliarden Euro, inklusive Corona-Hilfen. Finanzminister Lindner kündigte an, dass an anderer Stelle Kürzungen für dieses Sondervermögen erfolgen müssten.

Aktuell besteht ein Streit zwischen Finanzministerium und Unionsfraktion über das Gesamtvolumen der Rüstungsausgaben bis zum Ende der Legislaturperiode. Lindner will neben den 100 Milliarden Euro den jährlichen Verteidigungsetat auf der aktuellen Höhe deckeln (50 Milliarden Euro). Mit diesen Maßnahmen würde die Erhöhung selbst über das Zwei-Prozentziel hinaus durch die 100 Milliarden im Sondervermögen ermöglicht werden, jedoch weniger übererfüllt, als es sich die Union wünscht.

Welche Kriegsgeräte?

Die genauen Bestellscheine sind noch nicht fertig geschrieben, denn eines ist klar: Die 100 Milliarden Euro entsprechen weniger einem klaren Rüstungsprogramm, als dass sie ein politisches Statement darstellen. Diese Erhöhung als Abschreckung zu verstehen, wäre ein verkürztes Urteil. Es handelt sich um eine Umrüstung des deutschen Imperialismus hin zu einer kriegsfähigen Kraft auf dem Erdball. Das NATO-Jahresbudget (30 Mitgliedsstaaten) überstieg schon zuvor um ein Zwanzigfaches den russischen Rüstungsetat. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) dementierte, dass es sich um ein militaristisches Aufrüstungsprogramm handle und markiert es als notwendige Ausstattung für eine wehrhafte Demokratie. Wir aber sagen: Ein demokratischer Bomber bleibt ein Bomber.

Es ist eine Zeitenwende, die den deutschen Imperialismus wieder zu einer kriegsfähigen Nation gestalten soll. Dass der hochgerüstete deutsche Imperialismus Blockführer in zwei Weltkriegen war, muss dafür in den Hintergrund geraten.

Konkret steht die Anschaffung von atomwaffenfähigen F-35-Kampfflugzeugen, bewaffnete Kampfdrohnen und Schwertransporthubschraubern im Raum. Die Anschaffung eigener nuklearer Sprengköpfe wird vorerst umschifft. Im Kriegsfall sollen die in Deutschland gelagerten US-amerikanischen Atombomben genutzt werden – nukleare Teilhabe. Der FAZ ist das schon nicht mehr genug. Sie forderte bereits mehr oder weniger offen ein Atomwaffenprogramm Europas, in dem die BRD mit führend ist.

Das aktuell erfolgreichste Kampfmittel auf Weltebene seitens der USA und europäischer Staaten ist das Sanktionsprogramm, welchem das Ziel wirtschaftlichen Schadens für Russland in bislang ungeahntem Ausmaß innewohnt. Die Sanktionen und die weltweite Inflation sowie die stetige Gefahr, dass der Krieg zu einem weltweiten Flächenbrand auswächst, wirken sich global auf die Preise aus. Weltweit droht eine Hungerkatastrophe vor allem in den Ländern des Südens. Die Ukraine und Russland liefern rund 30 % des weltweiten Weizenexports. Eine erste Krise zeichnet sich bereits in Ägypten ab, dessen Währung einerseits in den letzten Wochen um 15 % im Vergleich zum Dollar abgefallen ist und das zu 80 % seinen Weizen aus Russland importiert. Die Regierung hat vorerst den Brotpreis gedeckelt.

Und das Entlastungspaket?

Um die Folgen dessen in der Bevölkerung der BRD abzufedern, hat die Bundesregierung ein Entlastungsprogramm auf den Weg gebracht. Es umfasst folgende Aspekte: Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und Reduktion der ÖPNV-Ticketpreise auf 9 Euro für 90 Tage, 300 Euro Energiepauschale für Erwerbstätige, 100 für Sozialleistungsempfänger:innen und 100 pro Kind als Familienzuschuss.

Das Maßnahmenpaket folgt einer Gießkannenlogik. Dieser zufolge sollen alle ein bisschen gefördert werden, unabhängig von eigenen finanziellen Rücklagen oder regelmäßigen Einnahmen. Natürlich halten wir es für einen Erfolg, wenn indirekte Massensteuern wie die auf Kraftstoffe zurückgenommen werden. Wir stellen dem eine direkte progressive Steuer entgegen, die Reiche und Konzerne be- und die ärmeren Lohnabhängigen entlastet, die schärfer von Massensteuern betroffen sind wie beispielsweise der Mehrwertsteuer. Faktisch wird hier ein höherer Verbrauch mehr subventioniert.

Unter dem Deckmantel der auf den Individualverkehr angewiesenen ländlichen Bevölkerung werden SUV-Fahrer:innen in der Stadt mit bezuschusst. Dass Sozialleistungsempfänger:innen mit einer Einmalzahlung von 100 Euro abgefrühstückt werden, zeigt, wie unsozial dieses Programm ist. Das ÖPNV-Ticket sollte kostenlos sein, es wäre ein sinnvolles verkehrspolitisches Werkzeug für eine Mobilitätswende, auch wenn eine solche nur durch den massiven, flächendeckenden Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs erfolgreich sein kann. Darüber hinaus unterstützen wir die Initiative verschiedener Verkehrsminister:innen der Länder und aus einigen Kommunen, die für ein kostenfreies Ticket werben. Selbst für den Staat dürfte das günstiger sein, da Verfahrenskosten und Kosten für Verkehrskontrollen eingespart werden könnten.

Fazit

Das Rüstungsprogramm lehnen wir kategorisch ab. Es dient nicht nur der imperialistischen Blockkonfrontation, es bereitet diese Nation darauf vor, wieder kriegsfähig zu werden. Für imperialistische Nationen bleibt der Krieg das letzte Mittel im Kampf um das begrenzte Territorium, das im Widerspruch zu unbegrenzter Kapitalanhäufung steht.

Gegenüber dem Entlastungspaket ist unsere Haltung etwas komplexer. Schließlich ist es für die Masse der Bevölkerung eine wirkliche wirtschaftliche Hilfe. Wir lehnen die allgemeine Förderung ab. Auch wenn wir die Streichung von Massensteuern prinzipiell befürworten – vermögende Haushalte und Konzerne brauchen keinen Cent an Subventionen! Sie sollten viel eher durch Progressivsteuern und Sonderabgaben belastet werden. Denn an welcher Stelle gekürzt werden wird, um die Milliardenförderung (und die Aufrüstung!) zu ermöglichen, das bleibt unklar. Es zeichnet sich langsam ab, dass die Mittel u. a. bei der Pandemiebekämpfung eingespart werden.

Gleichzeitig offenbart die Fokussierung auf Kraftstoffe, welchen Blickwinkel diese Bundesregierung auf soziale Fragen hat. Drückt sich die Verteuerung doch bereits seit Pandemiebeginn in den Lebensmittelpreisen und weiter steigenden Mieten aus. Aber nein, die BILD schreit vor allem: Der Sprit ist zu teuer! Der arme deutsche Zweieinhalbtonnenstraßenpanzerfahrer! Real sind die Spritpreise auch Machwerk der Raffineriekartelle, die sie massiv, weit über die Verteuerung des Rohölpreises hinaus angehoben haben und nun Milliardengewinne erzielen. Die Preiskontrolle über diese Kartelle würde eine reale Entlastung mit sich bringen. Doch gegen das eigene Kapital wird es keinen Kampf durch die Ampel geben. Diese Aufgabe steht u. a. den Gewerkschaften zu, die angesichts von Pandemie und Krieg aus ihrer sozialpartnerschaftlichen Servilität überhaupt nicht mehr herauskommen.

Für Revolutionär:innen ergeben sich hier also zwei Ansatzpunkte in der sich verschärfenden Krise. Erstens der Kampf gegen die Aufrüstung, zweitens um die Frage der Preiskontrolle durch Organe der Arbeiter:innenbewegung:

  • Kein Cent, kein Mensch für die Bundeswehr!
  • Wir zahlen nicht! Weder für Pandemie, noch Krieg!



Umweltbewegung: Der Krieg bringt die Energiewende?

Joshua Kornblum, Neue Internationale 263, April 2022

Während es noch bis Anfang diesen Jahres angeblich keine Möglichkeiten, kein Geld, keine Mehrheiten für ein klimaneutrales Deutschland gab, scheint nun die Zeit dafür gekommen. Der Grund der angekündigten Energiewende ist aber nicht die schon lange bekannte Klimakrise, sondern der Krieg. Das Ziel ist keine schnellstmögliche klimaneutrale Welt, sondern eine Energieunabhängigkeit Deutschlands – unabhängig zumindest von der imperialistischen Konkurrenzmacht Russland.

Die Grünen

So plant die Bundesregierung, die BRD zwar schon 2035 „fast vollständig“ aus erneuerbaren Energien zu versorgen. Konkreter lautende Pläne sprechen jedoch von Flüssiggas aus Katar, von Öl aus dem Iran. Man fragt sich zu Recht, wie solche Alternativen humaner als der Import von Gas aus Russland via Nord Stream sein sollen. Moralisch müsse man nach Habeck jedoch zwischen einem „nicht-demokratischen Staat mit einer problematischen Menschenrechtssituation“ und einem „autoritären, kriegstreibenden Staat wie Russland“ unterscheiden.

Dass Katar den Krieg im Jemen tatkräftig unterstützt und der Iran die kurdischen Gebiete im Nordirak attackiert, solche Tatsachen entgehen der bürgerlichen Moral gerne mal. Die Alternative – aufwendig verschifftes Frackinggas aus den USA, bei dessen Gewinnung Methan freigesetzt wird, welches für das Klima 87 Mal schädlicher als Kohlendioxid ist – kann man auch nur äußerst heuchelnd dem 1,5-Grad-Klimaschutzpfad zuordnen.

Von einer tatsächlichen Wende in der Energieversorgung ist nichts zu erkennen.  Die Grünen verkünden nun: Kohlekraftwerke länger laufen zu lassen, soll kein Denktabu sein; Gas gilt jetzt als Übergangstechnologie. Außerdem regen sich Stimmen für ein verzögertes Ende des Atomausstiegs.

Der Krieg dient also als Vorwand dafür, konkrete Maßnahmen für den Klimaschutz zu blockieren, und wird gleichzeitig als Gelegenheit dargestellt, dieselben Maßnahmen endlich umsetzen zu können. Was aber Krieg in Wahrheit mit den menschlichen Lebensgrundlagen in Verbindung bringt, ist nicht deren Rettung, sondern Vernichtung! Und das Klima ist nur eine der Lebensgrundlagen, die diesem zum Opfer fallen.

Und die Klimabewegung?

Während Fridays for Future eine tatsächliche Energiewende, weg von Kohle, Öl oder Gas fordert, steht ihre Position zum Krieg momentan im Einklang mit der des NATO-Imperialismus. So fordert FFF Deutschland auf Twitter ein #EmbargoForPeace und tritt daher ebenfalls für Sanktionen gegen Russland ein.

Positiv zu bemerken ist aber ihre Position zum Thema Aufrüstung. Im Gegensatz zu der gerade in Deutschland herrschenden Kriegsstimmung und der damit einhergehenden mehrheitlichen Unterstützung für Investitionen in die Bundeswehr spricht sich FFF Deutschland zusammen mit Ende Gelände und dem Netzwerk Abolish Frontex gegen das 100-Millarden-Aufrüstungspaket aus und fordert richtigerweise, das Geld stattdessen für Klimaschutz, Pflege und Bildung einzusetzen. Im Gegensatz dazu wollen sich aber wohl weder FFF noch Ende Gelände gegen Waffenlieferungen in die Ukraine positionieren.

Wer zahlt?

Lebensmittel, Sprit, Gas, Strom: Die Preise schnellen aufgrund der Sanktionen im Zuge des Krieges zusätzlich in die Höhe. Die Energie- und Mineralölkonzerne werden unmittelbar von den Auswirkungen des imperialistischen Konfliktes getroffen und wälzen die Kosten auf die Arbeiter:innenklasse ab oder nutzen die Situation mit absurd teuren Spritpreisen schamlos aus, um ordentlich Profite zu kassieren.

Als Trost soll es von der Regierung ein Entlastungspaket geben, welches wohl, wenn überhaupt, nur einen Bruchteil der entstandenen Kosten von Berufstätigen erstatten würde, die dieses am Ende doch wieder aus Steuern usw. begleichen sollen. Diejenigen, deren finanzielle Situation am prekärsten ist, bekommen am wenigsten.

So sind Rentner:innen wie Studierende (nicht inbegriffen diejenigen, die Löhne oberhalb des steuerfreien Betrags beziehen) komplett ausgenommen und Hartz-IV-Empfänger:innen „gönnt“ die Bundesregierung einen schäbigen Zuschuss von 100 Euro. Zynisch brüstet sich die Ampelkoalition noch damit, sie „handle auch in schwierigen Zeiten“.

Damit nicht genug, werden die Leidtragenden von den Kriegstreiber:innen der Grünen gebeten, ihren Energieverbrauch zu senken. Nicht um Geld zu sparen oder für Klimaschutz, was auch höhnisch und von zweifelhafter Auswirkung aufs Klima ist, sondern um der russischen Konkurrenz zu schaden.

Auf die Arbeiter:innenklasse kommen nicht nur weiter steigende Strom- und Gaspreise zu, sondern auch eine allgemein steigende Inflation. Außerdem wird schon jetzt verkündet, dass aufgrund der erhöhten Rüstungsausgaben verschiedene Mehrausgaben im Sozialbereich wie z. B. die Rentenerhöhung wahrscheinlich „nicht realisierbar“ sind.

Fazit

Grundsätzlich ist die Forderung nach einer schnellstmöglichen Energiewende natürlich zu befürworten. Es darf aber nur eine im Interesse der Arbeiter:innenklasse und nicht des deutschen Kapitals werden. Derzeit passiert das Gegenteil, in jeder Hinsicht: Von einer Energiewende kann mit katarischem Gas keine Rede sein, zumal wir die Mehrkosten für den aufwendigen Transport zahlen sollen! Was die Grünen gerade wieder einmal probieren, ist, den deutschen Imperialismus im Ringen mit dem russischen Konkurrenten grün anzustreichen.

Wer es ernst meint mit dem Kampf für Frieden und gegen den Klimawandel, sollte nicht nur die 100 Milliarden für die Bundeswehr ablehnen, sondern auch gegen Sanktionen und Waffenlieferungen eintreten – denn es gilt, mit dem grünen deutschen Imperialismus zu brechen. Der Umgang der Grünen, aber auch der Umweltbewegung mit dem Krieg wird uns die Energiewende nicht entscheidend und schnell genug näher bringen. Eine antikapitalistische Politik, die Gazprom, Shell und RWE enteignet und unter Arbeiter:innenkontrolle verstaatlicht, dagegen schon.




Solidarität mit der Antikriegsbewegung in Russland

Jaqueline Katharina Singh, Neue Internationale 263, April 2022

Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine gibt es weltweit Proteste – auch in Russland selbst. Ihnen ist dieser Artikel gewidmet.

Die Aktivist:innen selber begegnen dabei seit dem ersten Tag des Krieges einer massiven Repression seitens des russischen Staates. Es drohen Haftstrafen von bis zu 15 Jahren sowie Geldstrafen bis zu 5 Millionen Rubel (nach derzeitigem Kurs ca 50.000 Euro).

Vereinzelt ist es auch zu Hausdurchsuchungen gekommen sowie Fällen von Folter wie bei dem baschkirischen Umweltaktivisten Aytugan Sharipov. Dieser wurde stundenlang Elektroschocks ausgesetzt wegen der Versendung von Antikriegs-Nachrichten auf WhatsApp. Darüber hinaus spricht die massive Zahl der Festnahmen für sich. Seit Beginn der Invasion wurden laut Tagesschau bis zum 13. März rund 14.000 Menschen festgenommen. Häufig enden diese in 10 – 15 Tagen „Ordnungsverwahrung“.

Deutlich wird die Härte, wenn man sich die Festnahmen nur vom Aktionstag am 6. März genauer anschaut. In Moskau demonstrierten ca. 2.500 Menschen, in St. Petersburg 1500. Verhaftet wurden in Moskau 1.700 aufgrund der Teilnahme an einer „nicht genehmigten Kundgebung“, in St. Petersburg 750. Also rund die Hälfte bis zwei Drittel jener, die sich auf die Straße gewagt haben. Ein weiteres großes Problem stellt die  Informationsblockade an sich dar. Fast alle unabhängigen sowie viele westliche Medien und soziale Netzwerke sind blockiert oder geschlossen, während staatliche Stellen Desinformationen über die „militärische Sonderoperation“ verbreiten.

Grober Überblick

Als unmittelbare Reaktion auf den Einmarsch gab es mehrere Petitionen und Positionierungen von bekannten Personen der russischen Öffentlichkeit gegen den Krieg. So unterzeichneten mehr als 30.000 Techniker:innen, 6.000 Mediziner:innen, 3.400 Architekt:innen, mehr als 4.300 Lehrer:innen, über 17.000 Künstler:innen, 5.000 Wissenschaftler:innen und 2.000 Schauspieler:innen, Regisseur:innen und andere Kreative offene Briefe, in denen sie Putins Regierung aufforderten, den Krieg zu beenden.

Etliche Unterstützer:innen der Petitionen gegen die Invasion verloren ihren Arbeitsplatz. Es folgten Aktionen von Künstler:innen wie beispielsweise aus dem Kollektiv Nevoina aus Samara. Diese veranstalteten eine Aktion mit dem Titel „Ein Wort an die Toten“. Die Aktivist:innen zogen sich schwarze Säcke an und formten auf dem Eis der Wolga eine Linie aus ihren Körpern aus, um die Opfer des Krieges zu symbolisieren. Andere Protestformen zeigt die anonyme Bewegung „Krankschreibung gegen den Krieg“ auf. Darüber hinaus gibt es viele Guerilla-Aktionen und „stille Mahnwachen“ als Alternative zu Straßenprotesten.

Den Höhepunkt der Proteste bilden bisher jedoch die zwei zentralen Aktionstage gegen den Krieg am 6. und 13. März.

Frauen und Jugend voran!

Präsent war bei den Protesten der „Feministische Widerstand gegen Krieg“. Eine der Gründerinnen gab an, dass Antimilitarismus ein integraler Bestandteil des Feminismus sei, denn dieser wende sich gegen alle Formen von Gewalt, einschließlich militärischer Aggression. Das Netzwerk fokussiert sich im Rahmen der Proteste vor allem darauf, die Informationsblockade zu überwinden, bspw. durch virale WhatsApp-Nachrichten oder Guerilla-Straßenaktionen.

Auch zu erwähnen ist die Jugendbewegung Vesna. Sie ist Teil der Europäischen Liberalen Jugend und hat mit zu beiden Aktionstagen aufgerufen, wo sie klar sagte, dass Putin nicht nur gegen die Ukraine, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung Krieg führe. Den nächsten Aktionstag hat sie für den 2. April ausgerufen.

Wesentlich kleiner ist die Initiative „Studierende gegen den Krieg“. Diese hat am 18. März auf ihrem Telegram-Kanal (3.100 Follower) zu Aktionen an den russischen Universitäten aufgerufen, nachdem sie zwischen dem 9. und 12. März versuchten, dort Bildungsstreiks durchzuführen. Sie riefen dazu auf, sich mit Dozierenden in Verbindung zu setzen, die gegen den Krieg sind und diesen in Seminaren zu thematisieren, Flugblätter und Aufschriften gegen die Informationsblockade zu hinterlassen und Studierenden zu helfen, die von Exmatrikulation bedroht sind. Darüber hinaus sollen Hochschulrektor:innen aufgefordert werden, ihre Unterschrift auf Unterstützungsschreiben für den Krieg zurückzuziehen.

Russische Linke

Die Kommunistische Partei Russlands KPRF (mit 43 Sitzen zweitgrößte Partei in der Staatsduma nach Putins „Einiges Russland“ – 334 Sitze) ist als „kremltreu“ zu begreifen und ordnet sich dem russischen Imperialismus unter. Trotzdem gibt es Bewegung gegen deren Führung. So entstand die Initiative „KPRF/KOMSOMOL-Mitglieder gegen den Krieg” mit der sich mehrere Abgeordnete der Staatsduma für die Beendigung des Krieges einsetzen. Darüber hinaus gibt es ein Schreiben von 462 Mitgliedern der KPRF, das die „die sofortige Beendigung des Bruderkriegs zwischen den Völkern Russlands und der Ukraine“ und ein Programm für die Veränderung Russlands und der Welt nach dem Krieg fordert. Dieses soll auf allen Ebenen der Partei diskutiert werden. Ebenso positiv hervorzuheben ist, dass der Krieg Russlands klar als imperialistischer bezeichnet wird.

Die Föderation der Unabhängigen Gewerkschaften Russlands (FNPR) mit mehr als 27 Millionen Mitgliedern wiederum ist stark in den Putinismus eingebunden. Eine Partnerin gegen den Krieg ist sie unter ihrer bürokratischen Führung nicht. Diese steht stramm hinter dem russischen Überfall, wobei eine Führung nicht mit der Basis verwechselt werden darf.

Jedoch sieht es bei der KTR, der Konföderation der Arbeit Russlands, anders aus. Der Zusammenschluss von rund 20 Gewerkschaften hat 2 Millionen Mitglieder. Eine der Mitgliedsgewerkschaften ist die MPRA, die als kämpferische Organisation in der transnationalen Automobilindustrie (Ford, VW, BENTELER) aktiv ist. Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat sie sich durch militante Streiks ihren Platz erkämpft. Ihre Führer:innen sind immer wieder der Repression ausgesetzt und manche von ihnen vertreten sozialistische Positionen. Am 26. Februar hat die KTR ein Statement abgegeben, das zwar keine offene Ablehnung des Krieges ist, aber auffordert, dass es eine „schnellstmögliche Einstellung der Militäraktionen und die Wiederaufnahme des friedlichen Dialogs und der Koexistenz zwischen den multinationalen Völkern Russlands und der Ukraine“ geben muss.

Herausforderungen

Die Proteste gegen den Krieg ziehen sich durch ein breites Spektrum. Es gab Petitionen, Guerilla-Aktionen sowie Mobilisierungstage. Zudem darf der stille Protest tausender Menschen, die Russland nun verlassen, nicht verkannt werden. Der diffuse und weitgehend vereinzelte Charakter der Gegenwehr hängt dabei jedoch mit einer Schwäche der Linken in Russland selbst zusammen.

Das unmittelbar größte Problem für alle auf der Straße ist der massive und allgegenwärtige Repressionsapparat des Putin-Regimes. Es fehlt an Strukturen, die in dieser Situation illegale Arbeit mit der Nutzung der eng beschränkten legalen Möglichkeiten verbinden könnten.

Weiterhin fehlt eine Verankerung der radikalen Linken innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Letztere ist massenhaft vor allem in der staatstragenden Gewerkschaftsföderation organisiert und kontrolliert. Die aktuellen Proteste können sich somit richtigerweise gegen den Krieg Russlands richten, aber darüber hinaus können sie in der aktuellen Form nur die Keimform einer breiten Antikriegsbewegung darstellen. Davon, den Krieg stoppen zu können, sind sie weit entfernt, die Linke ist marginalisiert, die Arbeiter:innenklasse tritt nicht als eigenständige Kraft auf.

Die eher autonom geprägte Gruppe „Alt-Left“ geht dementsprechend in ihrer Auswertung eines Aktionstages davon aus, dass die Führung der Bewegung eine liberale Prägung habe und es in der Bevölkerung eine mehrheitliche Unterstützung für die Krimoperation und eine starke Zunahme des Nationalismus gäbe. Natürlich ist das auch ein Ergebnis von Putins Propagandahoheit, aber auch der Tiefe der historischen Niederlage, die mit der Restauration des Kapitalismus einherging, und einer Linken, die an sich selbst den Zusammenbruch des Stalinismus erfuhr und sich und die Arbeiter:innenklasse bisher nicht so reorganisieren konnte, dass sie einen alternativen gesellschaftlichen Pol gegen Putin darstellt.

Aufgaben

Revolutionär:innen und Antikriegsaktivist:innen stehen in Russland vor zwei großen Herausforderungen:

  • Sie müssen programmatische Klarheit über den imperialistischen Charakter Russlands und des Krieges entwickeln. Der Krieg ist nicht einfach ein „Bruderkrieg“, sondern einer, der die Ukraine Russland unterwerfen soll. Er ist zugleich auch ein innerimperialistischer Konflikt und eine Vorstufe zum direkten Krieg gegen die NATO, USA und EU.

Daraus leitet sich die Position ab, nicht einfach nur für einen falschen (weil imperialistischen) Frieden einzutreten, sondern offen gegen den russischen Imperialismus und seine Kriegsziele aufzutreten. In Russland muss der Kampf gegen den Krieg mit dem zum Sturz des Putin-Regimes und des russischen Kapitalismus real verbunden werden.

Es gilt dabei, demokratische Forderungen mit sozialistischen zu verbinden: Rückzug der Truppen, weg mit Putin, gegen die Abwälzung der Kosten des Krieges und der Sanktionen auf die Massen, demokratische Kontrolle über Produktion und Verteilung der Güter, Enteignung von Betrieben, für den Streik und die Sabotage des Krieges, antimilitaristische Arbeit und Agitation in der Armee.

Unbedingt Teil der Programmatik muss natürlich auch der Kampf für die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Ukraine sein. Dass das keine wilde Träumerei ist, zeigt die russische Geschichte nach der Oktoberrevolution 1917 selbst.

  • In wechselseitiger Beziehung mit der programmatischen Klärung steht die Organisierung und Kombination von illegaler und legaler Arbeit (Strukturen schaffen zum Schutz vor dem Staat und zur illegalen Publikation und Agitation, Kanäle schaffen zur offenen Diskussion, Legalität ausreizen, …)

Die Klärung der Position und das Schaffen von organisatorischen Strukturen wird umso wichtiger, wenn sich die Bewegung gegen den Krieg spontan und von sich aus verbreitert (z. B. in Streiks gegen die schlechter werdende Lebenssituation). Nur so kann sie politisch aufgefangen und in eine revolutionäre Richtung gelenkt werden.

Abschließend: Der Kampf gegen den Krieg ist auch keine Aufgabe der russischen Arbeiter:innenklasse alleine. Die Linke hierzulande muss sich solidarisch mit den existierenden Protesten zeigen und gleichzeitig die Politik der BRD gegenüber Russland bekämpfen. Es ist essenziell für den Kampf in Russland, dass wir hier gegen Aufrüstung und Sanktionen kämpfen. Damit können wir der russischen Bevölkerung zeigen, dass die internationale Arbeiter:innenklasse ihre Verbündeten ist, ihre Interessen teilt. So können wir auch dazu beitragen, Putins großrussischer nationalistischen Propaganda und damit seiner Unterstützung den Boden zu entziehen.




Belarus: Eisenbahnverbindungen zur Ukraine gekappt

Martin Suchanek, Neue Internationale 263, April 2022

Am 20. März schlossen Eisenbahner:innen aus Belarus die Bahnverbindungen in die Ukraine, um den Nachschub der russischen Invasionstruppen zu blockieren. Auch wenn die Informationsquellen zu diesen Aktionen bisher schwer überprüfbar sind, so scheinen sich die Nachrichten zu bestätigen, auch wenn sich die von Putin und Lukaschenko kontrollierten Medien dazu ausschweigen.

Die Bedeutung dieser Streiks und der Sabotage des Schienennetzes in die Ukraine, die neben Eisenbahner:innen auch von anderen Oppositionellen durchgeführt werden, ist schwer zu überschätzen. Erstens trifft es den Nachschub einer ohnedies ins Stocken geratenen russischen Militärmaschinerie direkt und schwächt somit weiter den reaktionären Angriff. Zweitens treffen die Aktionen direkt einen der wichtigsten Vasallen von Putins Regime und erschweren einen offenen Kriegseintritt von Belarus, der für die Arbeiter:innenklasse eine weitere Katastrophe darstellen würde. Drittens verdeutlicht die Aktion, dass die Lohnabhängigen den Kriegstreiber:innen und der Militärmaschinerie in den Arm fallen können. Dass diese Blockade in Belarus und nicht in Russland selbst stattfindet, ist sicher kein Zufall. Das Regime Lukaschenko verzeichnet in der Bevölkerung bestimmt weitaus weniger Verankerung als jenes von Putin. Die Lügen der staatlich kontrollierten belarussischen Medien glaubt allenfalls eine Minderheit. Zu lebendig sind noch die Erinnerungen an die Massenbewegung gegen das Regime.

Doch diese Aktionen sind auch eine Warnung an Putin selbst. Sie zeigen, von welcher Seite ihm wirklich Gefahr droht – von einer Arbeiter:innenklasse, die seine reaktionären Kriegslügen satt hat, von jungen Rekrut:innen, die als Kanonenfutter des russischen Imperialismus verheizt werden und nicht mehr für einen reaktionären Krieg sterben wollen. Die Lähmung der russischen Kriegsmaschinerie hilft dabei nicht nur den Menschen in der Ukraine – sie unterminiert auch Gefolgschaft, Gehorsam und Disziplin der einfachen Soldat:innen in der russischen Armee, auf dass sie ihre Gewehre umdrehen!




Pisa, Italien: Flughafen-Arbeiter:innen blockieren Waffenlieferungen

Susanne Kühn, Neue Internationale 263, April 2022

Am 14. März verweigerten Beschäftigte des Flughafens „Galileo Galilei“ in Pisa, Kriegsmaterial zu verladen, das über einen NATO-Stützpunkt in Polen weiter in die Ukraine verschickt werden sollte.

Die Aktion ist eine der ersten, wo Lohnabhängige die Kriegsanstrengungen „ihrer“ Regierung und der NATO blockierten, die den Angriff des russischen Imperialismus ihrerseits zum Vorwand nehmen, um die Ost-Erweiterung der NATO voranzutreiben und ihren Einfluss in der Ukraine auszubauen.

Zusätzliche Brisanz erhielt der Waffentransport dadurch, dass die Beschäftigten des Zivilflughafens über den eigentlichen Inhalt der Luftfracht bewusst getäuscht wurden. Offiziell sollten mit dem Flug Lebensmittel, Medikamente und andere nützliche Produkte für die ukrainische Bevölkerung geliefert werden, die in den letzten Wochen unter den Kämpfen zu leiden hatte. Die Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB), deren Mitglieder die Aktion gegen die Waffenlieferungen maßgeblich initiiert und getragen hatten, prangerte die dreiste Lüge offen an, „die auf zynische Weise den humanitären Deckmantel nutzt, um den Krieg in der Ukraine weiter anzuheizen“.

Diese Täuschung und Geheimhaltung ist keineswegs zufällig. In einem gemeinsamen Erlass der Ministerien für Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten und Wirtschaft beschloss die Regierung Draghi, die Liste des an die Ukraine über die NATO gelieferten Kriegsmaterials nicht zu veröffentlichen, sondern geheim zu halten und auch den Parlamentarier:innen nicht zur Prüfung vorzulegen. So viel zum Kampf für „Demokratie“!

Nach der Verhinderung des Waffentransportes rief die USB auch zu einer Demonstration gegen die Kriegspolitik der Regierung Draghi am 19. März unter dem Motto „Aus der Toskana – Brücken des Friedens und keine Kriegsflüge“ auf dem Flughafen von Pisa auf.

Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern beschränkt sich die Politik der Regierung auch in Italien natürlich nicht auf Waffenlieferungen. Auch die Regierung Draghi beteiligt sich aktiv und offensiv am Wirtschaftskrieg gegen Russland und an immer drastischeren Sanktionen. Wie in Deutschland sollen die jährlichen Militärausgaben auf über 2 % des BIP erhöht werden, also von derzeit 25 Mrd. Euro auf 38 Mrd. 2022. Zugleich sollen die Ausgaben für das Gesundheitswesen um 6 Mrd. sinken – ein Skandal, der die Prioritäten der herrschenden Klasse verdeutlicht!

Die Aktionen der Arbeiter:innen in Pisa machen aber Folgendes deutlich: Erstens, eine Alternative zum nationalen Schulterschluss und zur Burgfriedenspolitik der bürokratisierten Gewerkschaftsapparate (wie z. B. der DGB-Spitzen) und der reformistischen Arbeiter:innenbewegung ist möglich. Zweitens kann sich so die Arbeiter:innenklasse selbst zur zentralen gesellschaftlichen Kraft gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung aufschwingen, wenn sie den Kampf dagegen mit dem gegen deren Kosten ohne jegliche Rücksicht auf das sog. „nationale“ Interesse verbindet.




Ukrainekrieg: Pazifismus zusehends hilflos

Jürgen Roth, Neue Internationale 263, April 2023

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine dauerte erst wenige Tage an, da löste sich die Schockstarre. Der größte Friedensprotest seit dem Irakkrieg 2003 führte europaweit mehrere Millionen Teilnehmende auf die Straßen, darunter mehr als eine halbe Million allein am 27. Februar in Berlin. Fast zeitgleich kündigte Kanzler Scholz nur wenige hundert Meter entfernt das größte Aufrüstungsprogramm der Nachkriegsgeschichte an. Wahrlich eine Zeitenwende, die auch an Friedensbewegung und DIE LINKE nicht spurlos vorübergehen wird!

Alle Redner:innen befürworteten Sanktionen seitens der Bundesregierung. Eine Sprecherin aus der Ukraine forderte, ganz im Einklang mit der Linie ihrer Regierung, Waffen. Viel interessanter war, was in allen Reden nicht einmal benannt wurde. Es fiel kein Wort über die just zuvor beschlossene massive Aufrüstung der Bundeswehr, die Osterweiterung der NATO und ihre Manöver an der belarussischen und ukrainischen Grenze. Auch die jüngere ukrainische Geschichte seit den Euromaidanprotesten war keine Erwähnung wert. Den Ruf nach Sanktionen schluckte die Mehrzahl der Friedensbewegten also bereits. Damit meinte sie, sich weiterhin offensichtlich genug vom Militarismus abgrenzen zu können, schließlich stand das der Forderung nach Waffen (und deutscher Kriegsbeteiligung) und somit ihrem pazifistischen Image förderlich entgegen – einstweilen!

Dilemma des Pazifismus

Wir sehen also, dass der Pazifismus in letzter Konsequenz gegen sein eigenes Mantra verstoßen muss, sobald der erste Schuss fällt. Pazifist:innen teilen alles Bürgerliche – außer Kriegsgewalt. Diese erscheint ihnen nicht als Fortführung der Politik mit anderen Mitteln, als aus den Widersprüchen der Klassengesellschaft erwachsen, sondern als unerklärlicher Betriebsunfall der Geschichte, Sieg des Bösen über das Gute im Menschen.

Bricht der Krieg entgegen allen pazifistischen Formeln doch aus, so bleibt entweder das letztlich abstrakte Beschwören des Friedens – oder man schließt sich notgedrungen jener Seite an, die das „Gute“ zu verkörpern scheint, in unserem Fall der Bundesregierung und der NATO. Damit begibt sich der Pazifismus auf die Rutschbahn nach rechts – zum Chauvinismus und entwaffnet sich trotz aller Friedensbekundungen vor dem Kriegstreiben der „eigenen“ Regierung.

Die reformistischen Parteien (SPD, Linkspartei) und viele zentristische Organisationen der Arbeiter:innenbewegung teilen entweder Chauvinismus oder Pazifismus bzw. schwanken zwischen diesen, weshalb wir auch von Sozialchauvinismus bzw. -pazifismus sprechen. Geht ersterer spätestens mit Kriegsausbruch offen ins Regierungslager über, appelliert letzterer an den Willen zum Friedensschluss – mitten im Krieg! Der Status quo ante soll also wieder hergestellt werden, das Pulverfass der imperialistischen Widersprüche unversehrt voll bleiben – nur ohne Lunte! Eine unabhängige Klassenpolitik, die auf die Niederlage der „eigenen“ Regierung keine Rücksicht nimmt, lehnt der Sozialpazifismus ab. Der Logik „töten oder getötet werden“ kann er sich nicht entziehen. Er gerät damit zu einer „alternativen“ Form der Vaterlandsverteidigung, die große Teile bald auf die Abgleitfläche zur echten rutschen lässt.

Allerdings müssen wir zwischen dem ehrlichen, berechtigten Pazifismus Lohnabhängiger aus Angst vor Krieg und in Solidarität mit den ukrainischen Massen und dem heuchlerischen der Kirchenfürst:innen, Politiker:innen und Journalist:innen unterscheiden. Diese Unterscheidung ist deshalb wichtig, weil wir unter ihnen unsere Verbündeten im Kampf gegen die Kriegsgräuel suchen müssen, nicht in Parlamenten, Amtsstuben und Militär. Dazu ist jedoch ein politischer, geduldiger Kampf gegen die grundlegenden Fehler und Schwächen dieser Ideologie unerlässlich.

Anders als die (Sozial-)Pazifist:innen unterscheiden wir zwischen fortschrittlichen und reaktionären Kriegen. So ist der Bürger:innenkrieg zur Erringung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse ebenso zu unterstützen wie der Kampf einer unterdrückten Nation um Selbstbestimmung einschließlich des Rechts auf Abtrennung von Gebieten, wenn deren Bevölkerungsmehrheit das will. Im imperialistischen Krieg treten wir dagegen für den revolutionären Defaitismus ein, den Klassenkampf ohne Rücksicht auf die Niederlage der „eigenen“ Regierungen.

Aber sollten die Arbeiter:innen nicht einen reaktionären Krieg verhindern? Ja, unbedingt! Aber mit eigenen Mitteln des Klassenkampfes, nicht mit zahnlosen Appellen an die Regierungen!

Katalysator Kriegsfrage

In Zeiten verschärften Konflikts um die Neuaufteilung der Welt geraten auch die halbkolonialen Länder wie die Ukraine zusehends ins Gravitationsfeld der einen oder anderen imperialistischen Machtkonstellation. Das gilt leider auch für den (Sozial-)Pazifismus. Kann der Ausbruch eines Kriegs nicht verhindert werden, ist das Friedenslatein schnell am Ende. Jetzt ist der Klassenkampf noch unmöglicher als zuvor geworden, scheint es. Sind nicht die jungen Arbeiter:innen an der Front? Gebietet nicht der Krieg die Einstellung aller unabhängigen Klassenaktivität? Denn diese könnte doch die Niederlage der „eigenen“ Regierung heraufbeschwören? Und wäre das nicht gleichbedeutend, einseitig das Werk der Kriegsgegner:innen zu verrichten?

Da Imperialismus die Konzentration des Kapitals und herrschende Politik konzentriertester Ausdruck gesamtkapitalistischer nationaler Interessen bedeuten, spitzt der Krieg alle Widersprüche zu. Das ist der Hintergrund, warum Pazifist:innen ins (sozial-)chauvinistische Lager überlaufen müssen, wenn sie nicht die Niederlage der „eigenen“ Regierung in Kauf nehmen wollen.

DIE LINKE: haltloser Pazifismus

Das Milieu, aus dem sich Friedens- wie manch andere humanitäre Bewegung (Seebrücke, NGOs) vorrangig rekrutieren einschließlich der Linkspartei, wird ein politisches Erdbeben erleben.

So diskutierte die Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus am ersten Märzwochenende und deren Co-Vorsitzender Carsten Schatz forderte: „Sofortiger Rückzug der russischen Truppen!“ Die richtige Forderung wird freilich zur Anpassung an die Bundesregierung, wenn jede Kritik an der NATO-Politik ausbleibt. Kultursenator Lederer bezichtigt Putin des „offensiven Bruchs mit der europäischen Friedensordnung“, für die Deutschland und die EU Verantwortung zu übernehmen hätten.

Ohne Namen zu nennen, geht er ans vermeintliche Eingemachte der Partei: antimilitaristische Haltung, Position zur NATO, zu Russland: „Lasst es einfach weg!“ Pankows Bezirksbürgermeister Benn sieht ein „Selbsterschrecken“ in den eigenen Reihen, ein tiefes „Selbstbefragen einer ganzen Reihe von Positionen“ am Horizont aufziehen. Sozialsenatorin Kipping legt nach: „Keine Verharmlosung von Putin mehr. Putin ist nun mal Feind der Linken.“

Für die Ex-Parteivorsitzende steht der Hauptfeind exklusiv im anderen Land. Mögen ihr beim alljährlichen Gedenkritual an die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs die Nelken in der Hand verdorren! Tobias Schulze bemerkt scheinheilig: „Was für die Rüstung geht, geht offenbar für die städtische und soziale Infrastruktur nicht, nämlich die Schuldenbremse auszusetzen.“ Gäbe es also die Schuldenbremse nicht, so drängt sich auf, wäre die Aufrüstung für DIE LINKE zustimmungsfähig. Welch‘ prinzipienfester Antimilitarismus!

Die Abgrenzung von wirklichen oder vermeintlichen „Putinversteher:innen“ erfüllt beim rechten Flügel der Linkspartei längst nicht mehr allein die Funktion einer Kritik an der Verharmlosung des russischen Imperialismus – vielmehr sollen so alle Stimmen zum Schweigen gebracht werden, die an einer angeblichen starren NATO-Ablehnung festhalten wollen. Es ist damit zu rechnen, dass der starke „Reformer“-Flügel um die sog. Regierungssozialist:innen, welcher sich offen prowestlich und hinter vorgehaltener Hand pro-NATO aufstellt, zum Angriff auf die in die Jahre gekommenen traditionslinken, sozialpazifistischen Grundsätze blasen wird, denen er sich bislang unterordnen musste. Die Ukrainekrise bringt nun neue Bewegung in den Transformationsprozess der Linkspartei nach rechts, während der linke Flügel noch weiter in die Defensive gerät. Es rächt sich heute, dass über Jahre Pazifismus, humanitäre Friedensphrasen und das Beschwören von Völkerrecht und UNO als Ultima Ratio der internationalen Ordnung als „Antimilitarismus“ verklärt wurden. In Wirklichkeit wurde nur das Fehlen einer antiimperialistischen und internationalistischen Politik schöngeredet, was heute dem rechten Flügel der Partei in die Hände spielt.

Interventionistische Linke (IL)

Doch nicht nur die reformistische Linke gerät in schweres Fahrwasser. Auch die größte Organisation der „radikalen Linken“, die IL, gerät ins Studeln.

In ihrem Aufruf vom März 2022 verurteilt sie den russischen Angriff. Gleichzeitig lehnt sie eine Parteinahme im Konflikt ab: „Wir lehnen die falschen Alternativen ab, weil die behauptete Alternativlosigkeit jeden Raum für Widersprüche und Kritik verschließt. [ … ] Wir entziehen uns der Identifikation mit staatlicher Macht. Stattdessen sind wir mit jenen parteilich, die unter dem Krieg leiden und sich ihm widersetzen [ … ], wenn sie fliehen, desertieren, zivilen Ungehorsam leisten oder kämpfen.“

Leider „entzieht“ sich die IL auch einer klaren revolutionären Antwort, wie der Krieg gestoppt werden kann. Sie spricht sich für die Unterstützung der „Menschen vor Ort“ aus? Doch worin soll diese bestehen? Welche Politik sollen die Arbeiter:innenklasse und Linke in Russland oder in der Ukraine vertreten? Über diese Fragen schweigt sich die IL aus und verbleibt letztlich bei einer sicherlich löblichen, politisch aber unzureichenden humanitären Unterstützung von Opfern des Krieges.

Darüber hinaus wendet sie sich gegen kapitalistische Geopolitik und westliche Doppelmoral, bezeichnet den Krieg „als vorläufige[n] negative[n] Höhepunkt von weltweit immer schärfer werdenden wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konflikten.“ Sie tritt zu Recht gegen die Aufrüstung der Bundeswehr ein, für Solidarität mit Geflüchteten aller Hautfarben und Herkunft aus der Ukraine, Kriegsdienstverweiger:innen, Friedensaktivist:innen, Frauen und LGBTIQ, Genoss:innen der sozialen, linken, sozialistischen und anarchistischen Bewegungen aus beiden kriegführenden Ländern.

Richtig ist auch ihre Aufforderung, aktiv zu werden, eine Bewegung gegen Militarismus und Krieg aufzubauen, die lebendig, links und internationalistisch agieren soll. Doch für die Grundlage eines solchen Antikriegsbündnisses macht sie keinen Vorschlag. Stattdessen prophezeit sie (fälschlich): „Die Aufrüstungspläne der Bundesregierung finden in der Klimagerechtigkeitsbewegung einen neuen, starken Gegner. [ … ] Bringen wir zusammen, was zusammengehört: die Kämpfe gegen alle Grenzen, gegen Imperien und Kriege, gegen Klimakrise, Patriarchat und Kapitalismus.“ Mit dämlichen Parolen wie „Heizung runter für den Frieden!“, „Pullover statt Erdgas!“, am 24. März zu sichten, dürfte das Zusammenbringen arg schwierig ausfallen.

So wenig selbst blau-gelbe Pullover eine Antwort auf drohende Energiearmut liefern, so großzügig sieht die IL über die Untauglichkeit einer Bewegung im Sog des Vaterlandsverteidigungstaumels für ein Antikriegsbündnis hinweg. Die IL spielt ein Chamäleon, das hinter „Bewegungen“ unkritisch hinterher trabt, statt ihnen eine antikapitalistische Perspektive anzubieten. Die Farbe Rot verblasst gerade, wenn’s drauf ankommt!

Dahinter steckt nicht nur ein mehr oder weniger hoffnungsfroher „Optimismus“ – es wird auch das Fehlen jeder Klassenpolitik deutlich. Die Frage, wie die Lohnabhängigen, wie Gewerkschafter:innen, die reformistisch dominierte Arbeiter:innenbewegung für eine Antikriegsbewegung gewonnen werden können, stellt sich die IL erst gar nicht. Den Spitzenbürokrat:innen im DGB, bei der Linkspartei und erst recht in der SPD wird’s recht sein. Uns nicht.




G7-Gipfel 2022: Spaltung statt Mobilisierung?

Veronika Schulz, Neue Internationale 263, April 2022

Turnusgemäß findet vom 26. – 28. 6. 2022 wieder ein G7-Gipfel unter deutscher Präsidentschaft statt. Tagungsort ist wie bereits vor 7 Jahren das Luxushotel auf Schloss Elmau bei Garmisch-Partenkirchen. Die Klimapolitik, Weltwirtschaft und der weitere Umgang mit der Corona-Pandemie sollten eigentlich im Zentrum des diesjährigen Treffens der Staatschefs der führenden westlichen Industrienationen stehen. Der Kampf um die Ukraine wird es jedoch prägen. Mehr denn je wird der Charakter der G7 als Allianz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt in den Vordergrund drängen. Schien es noch vor einigen Jahren, als wäre das Format nicht mehr „zeitgemäß“, so gewinnt der Gipfel wieder an Bedeutung – und zwar als mehr oder weniger unverhohlenes Treffen einer Mächtegruppe, die sicherstellen will, dass sie auch die zukünftige Weltordnung bestimmt.

Die sieben Staaten stehen allesamt ganz weit oben auf der Liste der größten Klimakiller, engstirnigsten Vertreter des Impfstoffnationalismus und größten Militärmächte der Welt – um nur einige Eckdaten der Leistungen dieser illustren Runde aufzuzählen. Und ausgerechnet sie präsentiert sich als „Retterin“ des Klimas, der Gesundheit, der Weltwirtschaft, von „Freiheit“ und „Demokratie“.

Umso wichtiger ist deshalb auch die Gegenmobilisierung durch alle linken und progressiven Kräfte gegen diesen erlesenen Club führender kapitalistischer Nationen, deren Reichtum auf der Ausbeutung der Arbeiter:innenklasse und der halbkolonialen Welt beruht.

Wer mobilisiert wogegen?

Bisher haben sich mehrere Dutzend Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen aus dem ökologischen, kommunistischen, kapitalismuskritischen, antirassistischen und antimilitaristischen Spektrum zu einer Plattform zusammengefunden, die das Treffen der G7 nicht ungestört über die Bühne gehen lassen will. Neben Parteien wie DKP und DIE LINKE sind bisher u. a. auch mehrere lokale FFF- und XR-Gruppen, bundesweite Organisationen wie SDAJ, Linksjugend [’solid], SAV, ISO, Arbeiter:innenmacht, Revolution, Aktivist:innen aus der Mieter:innenbewegung, Perspektive Kommunismus, der Funke und das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus beteiligt.

Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gegenmobilisierung, anders als vor sieben Jahren oder auch gegen den G-20-Gipfel in Hamburg, letztlich von verschiedenen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) faktisch dominiert wird, darunter Greenpeace, BUND, Campact, WWF, Oxfam, Naturfreunde, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und attac.

Rolle der NGOs

Schon zu Beginn hat sich in den Gesprächen ihr Alleingang angedeutet. Sie wurden nicht müde zu betonen, dass sie ihren Status als gemeinnützige Organisationen riskieren, sollten sie gemeinsam mit Parteien und „Linksradikalen“ zu Aktionen aufrufen. Ein weiterer Streitpunkt ergab sich in der Frage der Gewalt bzw. einer klaren Distanzierung der NGOs von Gruppen, die militante Protestformen nicht bereits im Vorfeld ausschließen.

Über mehrere Wochen kam Gegenmobilisierung daher nicht voran, bis am 6. März die Karten auf den Tisch gelegt wurden. Von den NGOs wurden alle übrigen Gruppen davon in Kenntnis gesetzt, dass die anvisierte Großdemonstration am 25. Juni in München, also die sicherlich größte Aktion, von ihnen selbst geplant wird. Der Rest könne sich jedoch gerne einem Aufruf anschließen.

Man sei sich dessen bewusst, so die Vertreterin von Greenpeace und Sprecherin der an der Plattform beteiligten NGOs, dass man an dieser Stelle undemokratisch agiere, es bleibe ihnen aber aus genannten Gründen keine andere Wahl. Die Demonstration wird nun von einem Trägerkreis allein aus NGOs organisiert und „verantwortet“. Ergänzt soll dieser durch einen „Unterstützerkreis“ werden, der Einzelpersonen verschiedener Milieus einbindet – natürlich nur nach einem vorhergehenden Check durch die NGOs.

Ihr provokatorisches und putschistisches Vorgehen führt nun erneut – wie bereits im Vorfeld des G20-Gipfels 2017 in Hamburg – zu einer Schwächung sowohl der Proteste als auch der Mobilisierung. Doch damals war es ihnen nicht möglich, das Bündnis zu übernehmen. Diesmal konnten sie die Großdemonstration kapern.

Wir verurteilen dieses undemokratische Vorgehen und die bewusst herbeigeführte Spaltung aufs Schärfste, nimmt es doch allen weiteren Beteiligten die Möglichkeit, direkten Einfluss auf die politische Gestaltung der zentralen Großdemonstration in München zu nehmen.

Das Manöver der NGOs, selbst ein direkter Kotau vor Regierung und reaktionärer Gesetzgebung, hat freilich weitgehendere politische Gründe. Während die linken Kräfte die Legitmität der G7 selbst zurückweisen und deren Gipfel als Treffen einer imperialistischen Allianz im Kampf um die Neuaufteilung der Welt begreifen, betrachten erstere die G7 ganz wie die Bundesregierung als (mögliche) Partnerinnen bei der Verbesserung der Welt. Die Kontrolle von Demo, Aufruf und politischer Ausrichtung soll also nicht nur die zukünftigen Spendenkassen von Greenpeace und Co. schützen, sondern vor allem auch all jene Kräfte marginalisieren, die die G7 und kapitalistische Weltordnung grundsätzlich ablehnen!

Aus diesem Grund müssen die Erwartungen an eine schlagkräftige Protestbewegung schon jetzt relativiert werden. Die NGOs bringen zweifelsohne Geld und weitere Ressourcen auf, behalten sich aber das Recht vor, die Demo nach ihren Wünschen auszurichten. Alle anderen Gruppen und Organisationen sind gewissermaßen die nützlichen Idiotinnen, die die wirkliche Mobilisierungsarbeit übernehmen. Zusammengefasst dürfen sie also die Hauptlast tragen, während die NGOs ihre finanziellen und personellen Ressourcen aufbieten und die Hoheit über die politische Ausrichtung der Demonstration ausüben.

Eigenständige Mobilisierung

Ein schlagkräftiges „Bündnis“ sieht anders aus. Trotz Dominanz der NGOs wäre es jedoch ein Fehler, die Demonstration am 25. Juni in München rechts liegenzulassen. Trotz ihrer mutmaßlich politisch kleinbürgerlichen bis reformistischen Ausrichtung werden wahrscheinlich Zehntausende nach München kommen. Diese müssen wir als Revolutionär:innen, Antikapitalist:innen, antiimperialistischen und Klassenkämpfer:innen zu erreichen versuchen. Daher werden wir auf jeden Fall mit einem eigenen Aufruf, eigenen Parolen, eigenem Material dafür mobilisieren. Wir werden uns auch der geplanten Gegendemonstration am 26. Juni in Garmisch-Partenkirchen anschließen und hoffen, dass das geplante Protestcamp und Workshops zur Diskussion und Aktionsplanung stattfinden können.

Angesichts der aktuellen krisenhaften Zuspitzung der Weltordnung und Weltwirtschaft müssen wir die Gegenmobilisierung nutzen, um eine Bewegung gegen Krise, Militarisierung und Krieg aufzubauen. Wir brauchen eine massenhafte Mobilisierung in den Betrieben, Schulen, Vereinen, an den Universitäten und in den Kulturstätten – unsere Organisierung muss jetzt beginnen!




Zwei Jahre Corona und das Fiasko der Regierungspolitik

Katharina Wagner, Neue Internationale 263, April 2022

Endlich ist er da, der lang ersehnte „Freedom-Day“. Bundesweit sollte bereits am 20.03., spätestens aber nach Ablauf einer Übergangszeit am 02.04.2022 ein Großteil der Corona-Schutzmaßnahmen wegfallen, auch mit einer nach wie vor sehr hohen Inzidenz von 1758,4 (Stand 26.03.2022).

Dazu gehören beispielsweise 3G-Regelungen, die Homeoffice- sowie die Maskenpflicht in Innenräumen. Den Bundesländern stehen damit nur noch recht wenige Schutzmaßnahmen wie etwa die Masken- oder Testpflicht für besonders gefährdete Einrichtungen wie etwa Pflegeheime oder Kliniken zur Verfügung. Auch sind weitergehende Beschränkungen für sogenannte „Hotspots“ möglich, sobald die jeweiligen Länderparlamente eine besonders kritische Corona-Situation ausrufen.

Scharfe Kritik seitens der Bundesländer kam prompt. Diese werfen dem Bund verantwortungslose Politik vor. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sprach dagegen von einem großen Schritt in die Normalität und einem Rückgang zur Eigenverantwortung der einzelnen Bürger:innen. Eine Studie der Uni Erfurt zeigt, dass das Vertrauen der Bürger:innen in die Politik vor allem in den letzten zwei Jahren kontinuierlich gesunken ist, wohingegen das Vertrauen in die Wissenschaft relativ stabil auf hohem Niveau liegt (Quelle: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/topic/vertrauen-ablehnung-demos/10-vertrauen/). Um dies besser zu ver-stehen, sollten wir uns an dieser Stelle die bisherige Corona-Politik in Deutschland genauer ansehen und bilanzieren.

Corona-Politik in Deutschland: Note ungenügend

Zu Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland vor etwas mehr als zwei Jahren gab es in vielen Teilen der Bevölkerung noch großes Vertrauen in die staatlichen Institutionen, sie mögen diese Pandemie schnell und erfolgreich in den Griff bekommen. Die Realität sah leider völlig anders aus.  Setzte die Politik noch zu Beginn auf eine „Flatten the curve“-Strategie in Verbindung mit kurz-zeitigen Lockdowns, wird bei Omikron nun eine „Durchseuchungsstrategie“ unter Vermeidung einer zu starken Belastung im Gesundheitswesen verfolgt. Weiterhin baut man zusätzlich auf eine möglichst hohe Impfquote, auch in Hinblick auf den kommenden „Corona-Herbst“.

Wir erinnern uns alle noch an die lang anhaltende Diskussion über Maskenpflicht und ob Mund- und Nasenschutz im Allgemeinen überhaupt sinnvoll zur Eindämmung einer Pandemie wäre. Als sich das Robert-Koch-Institut (RKI) dann endlich für Masken und eine daraus resultierende Tragep-flicht aussprach, bestand das Problem vor allem in der Bereitstellung und Beschaffung von aus-reichenden Mengen an Schutzausrüstung seitens der Bundesregierung. Hier zeigten sich wieder einmal die starke wirtschaftliche Abhängigkeit von Lieferketten aus Ländern wie beispielsweise China und fehlende Produktionsmöglichkeiten innerhalb Europas.

Das schlechte Krisenmanage-ment des Bundes offenbarte sich auch in Bezug auf das Impfen. Zentren wurden deutlich zu lang-sam aufgebaut. Eine wirkliche Impfkampagne mit ausführlicher Aufklärung gab es nicht und in sogenannten „Problembezirken“ beispielsweise in Köln oder Berlin fehlte es häufig komplett an Angeboten für die größtenteils migrantische Bevölkerung. Zusätzlich wurde das Impftempo dann auch noch durch fehlende Mengen an Impfstoffen stark gedrosselt, was dazu führte, dass die Bundesregierung das angestrebte Impfziel von 80 % immer wieder nach hinten verschieben musste und tatsächlich bis heute nicht erreicht hat.

Dies liegt auch an mangelnder Impfbereitschaft von Teilen der Bevölkerung. Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Frankreich oder Österreich hat sich die deutsche Bundesregierung relativ schnell und vehement gegen eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Vor allem im Sommer 2021 wollte man im Vorfeld der anstehenden Bundestagswahl dieses Thema am liebsten komplett von der Tagesordnung streichen, um die Anhänger:innen der Querdenkenbewegung, welche nach wie vor tausende Menschen auf die Straßen mobilisiert, nicht noch stärker gegen das eigene politische Programm aufzubringen und sie in die Arme der AfD zu treiben. Vor allem aufgrund einer politischen Schwäche aller Parteien, allen voran der Linken, in Bezug auf Fragen rund um die Pandemiebekämpfung wird diese Bewegung nach wie vor von vielen als politische Alternative angesehen. Daher sah man sich gezwungen, immer stärkere Zugeständnisse in ihre Richtung zu machen. Aus dem anfänglichen klaren „Nein“ wurde mittlerweile aber ein „Vielleicht“. Nach wie vor wird im Bundestag über eine allgemeine Impfpflicht diskutiert.

Wer kontrolliert?

Allerdings ist die Frage, wie und durch wen man diese kontrollieren könnte, bis jetzt nicht geklärt. Zudem gelang es bisher nicht, die tatsächlichen Impfzahlen richtig zu erfassen oder die Gesund-heitsämter untereinander digital zu vernetzen. Auch die einrichtungsbezogene Impfpflicht, welche zum 16. März eingeführt wurde, scheint kein wirksames Instrument im Kampf gegen die herrschende Impflücke zu sein. Derzeit läuft noch die Meldezeit für ungeimpfte Beschäftigte durch betroffene Einrichtungen. Allein in Baden-Württemberg sollen es mehr als 17.000 sein. Eine Freistellung aller Ungeimpfter nach Einzelfallprüfung durch die Gesundheitsämter ist personell kaum durchzuführen. Um die Impflücke doch noch zu schließen, wurde Ende Dezember 2021 der proteinbasierte Impfstoff Novavax in Europa zugelassen. Allerdings liegt dieser wie Blei in den Regalen, sodass ein Großteil der eingekauften Dosen höchstwahrscheinlich nach Ablauf des Haltbarkeitsdatums vernichtet werden muss.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sich weiter zuspitzende Situation im Gesundheitsbereich. Viele Pflegekräfte haben während der Pandemie aufgrund sich stetig verschlechternder Arbeitsbedingun-gen ihren Beruf aufgegeben. Eine Änderung dieser Rahmenbedingungen wird derzeit von der Bundesregierung nicht wirklich ernsthaft erwogen. Auch wurde seitens der Politik wenig unternommen, um Kindern und Jugendlichen eine sichere Bildung zu ermöglichen. Ob Homeschooling, Distanz- und Wechselunterricht, Testmöglichkeiten oder die Anschaffung geeigneter Lüftungsanlagen – nichts wurde zufriedenstellend umgesetzt und man redete sich die teilweise gravierend hohen Infektionszahlen unter dieser Bevölkerungsgruppe einfach schön.

Aufgrund von Fehlentscheidungen und mangelhaftem Krisenmanagement der bestehenden und früheren Bundesregierung sind dadurch allein in Deutschland bisher über 20 Mio. Infektionen dokumentiert, wobei die Dunkelziffer wohl das Zwei- bis Dreifache deren beträgt  und bereits mehr als 128.000 Menschen in Verbindung mit einer Corona-Infektion verstarben. Auch verzeichnet Deutschland im Vergleich mit anderen Ländern eine deutlich höhere Übersterblichkeit. Einiges davon hätte wohl durch ein besseres Krisenmanagement im Interesse aller Lohnabhängigen, Kinder und Jugendlichen verhindert werden können.

Hauptursache: kurzfristige Kapitalinteressen!

Doch warum wurden diese Entscheidungen seitens der Politik so getroffen? Dies muss mit der vorherrschenden kapitalistischen Produktionsweise und einer globalen Wettbewerbsfähigkeit erklärt werden. Bieten Lockdowns in Verbindung mit starken Einschränkungen zwar die Möglichkeit einer raschen Senkung der Infektionszahlen, werden sie jedoch nicht nur von Teilen der Bevölkerung, sondern auch seitens der Wirtschaft abgelehnt. Schlussendlich geht es hierbei vor allem um den Wettbewerbsvorteil der eigenen Nationalökonomie gegenüber einer sich verschärfenden internationalen Konkurrenz und somit um Kapitalinteressen.

Gesellschaftliche Bereiche wie Bildung oder Gesundheitswesen stehen dagegen zu nicht geringem Teil außerhalb der kapitalistischen Profitinteressen, da hier eben nicht überall ein Mehrwert generi-ert werden kann. Daher wurden diese Kosten schon früh quasi vergesellschaftet und auf alle Bürger:innen bzw. Versicherten umgelegt. Aus diesem Grund fehlt es in diesen Bereichen an ausreichenden Investitionen, um den bestehenden Personal- und Geldmangel im Gesundheitssystem zu lindern oder fehlende Schutzeinrichtungen für Schulen und Kitas zu beschaffen.

Alternative

Für eine erfolgreiche Pandemiebekämpfung und ein Krisenmanagement im Interesse aller Lohnabhängigen, Kinder und Jugendlichen benötigen wir eine bundesweite Bewegung, welche sich auf die Arbeiter:innenklasse und ihre Organisationen stützt. Diese sollte den Aufbau von Aktionskomitees in Betrieben, Schulen, Universitäten und Stadtteilen organisieren.

Nur so kann es gelingen, die Mobilisierung breit zu streuen und direkt an der Basis eine politische Alternative zu der bestehenden Querdenkenbewegung aufzubauen. Zudem sollte sich diese Bewegung kritisch zur bisherigen und ungenügenden Politik der Bundesregierung äußern und sich für eine klare Perspektive im Sinne einer internationalen Pandemiebekämpfung (Abschaffung der Patente, ausreichende Versorgung mit Vakzinen zu erschwinglichen Preisen) unter Kontrolle der Arbeiter:innenklasse einsetzen.