Queers in Palästina: Ein freies Palästina bedeutet Befreiung von jeglicher Unterdrückung

Leonie Schmidt, Gruppe Arbeiter:innenmacht und Revolution, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2024

Achtung: In diesem Artikel werden teilweise rassistische und queerfeindliche Argumente wiedergegeben, um sie widerlegen zu können. Auch wird sexualisierte und koloniale Gewalt erwähnt. (Die Red.)

Queere Menschen gibt es überall auf der Welt – auch in Palästina. Und wie überall werden sie auch gesellschaftlich unterdrückt, denn die Unterdrückung von queeren Personen spielt im Kapitalismus mitsamt seiner patriarchalen Strukturen eine wichtige Rolle. Doch im Rahmen von Diskussionen über Israels Krieg gegen Gaza fällt von israelsolidarischer Seite immer wieder das Argument, dass man als queere Person oder Mensch, der sich für queere Rechte engagiert, nicht pro Palästina sein dürfe. Schließlich stünde das im absoluten Widerspruch zur Situation von queeren Palästinenser:innen, deren Leben „von barbarischer Queerfeindlichkeit seitens der eigenen, angeblich grundsätzlich reaktionären Community geprägt sei“. Klar ist jedoch, dass das eine völlig falsche Behauptung ist, bei der  Pinkwashing und Homonationalismus dazu dienen, rassistische Ressentiments zu schüren sowie Besatzung und Krieg zu legitimieren. Denn ein Blick in die Nachrichten genügt, um herauszufinden, dass Hassverbrechen, Rücknahme von Rechten sowie neue reaktionäre Gesetzgebung auch in den vermeintlich fortschrittlichen westlichen Staaten auf der Tagesordnung stehen.Was stattdessen der Situation von queeren Personen in Palästina zu Grunde liegt und wie die Unterdrückung überwunden werden kann, soll in diesem Artikel aufgezeigt werden. Dabei konzentrieren wir uns auf die Situation vor dem Krieg, auch um die Limitiertheit prozionistischer Argumentation aufzuzeigen. Dafür hat unsere Autorin Leonie Schmidt mit dem Anthropologen Victor Harry Bonnesen Christoffersen und mit Azina Ababneh, einer queeren Person aus dem Westjordanland, gesprochen. Beide wurden als Expert:innen befragt und teilen nicht zwangsläufig unsere marxistischen Schlussfolgerungen.

Wie sieht die Rechtslage aus?

Die Gesetzgebung innerhalb Palästinas selbst ist widersprüchlich, da sie sich in der Westbank und im Gazastreifen unterscheidet. Während in der Westbank  homosexuelle Aktivitäten zwischen Männern 1951 während der jordanischen Verwaltung entkriminalisiert wurden, sind sie hingegen  im Gazastreifen seit 1936 unter dem britischen Mandat verboten und können mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden. Hier sehen wir schon die ersten Spuren der Besatzung, die die Lage queerer Personen in Palästina beeinflussen. Allerdings ist umstritten, inwiefern das Strafrecht des britischen Mandats noch derartig umgesetzt wird. Andererseits gibt es auch keine Gesetze, die gegen Queerfeindlichkeit vorgehen sollen, Queers schützen, und Behörden werden diesbezüglich auch nicht tätig. Doch bevor wir klären, woher  ausbleibender offener Umgang mit Sexualität und Geschlecht kommt, wollen wir einen Blick auf den Alltag queerer Menschen werfen.

Eindrücke von queerem Leben in Palästina

Azina erklärt uns, wie they sich gefühlt hat, nachdem they sich their queeren Identität bewusst wurde: „Ich erinnere mich, dass ich Angst hatte, als ich zum ersten Mal entdeckte, dass ich bisexuell bin. Meine Bisexualität würde die gesellschaftlichen Herausforderungen und Schwierigkeiten für mich verdoppeln.“ Als their Mutter ein T-Shirt mit einem Regenbogen in Azinas Kleiderschrank gefunden hatte und daraufhin  wegwerfen wollte, musste Azina behaupten es würde jemand anders gehören. Aber engstirnige Eltern dieser Art existieren nicht nur lokal beschränkt in Palästina und queere Palästinenser:innen müssen nicht überall komplett versteckt leben. Denn Azina hat im Westjordanland auch schon gute Erfahrungen machen können. Auch wenn man sehr vorsichtig sein muss, wem man etwas anvertraut, und Azina sich manchen Familienmitgliedern diesbezüglich nicht öffnet, hatte they gegenüber their Schwester und Freund:innen their Coming-out, ohne negative Folgen. Außerdem berichtet they von einem Ex-Freund, welcher aus einer besonders religiösen Familie stammte. Auch für ihn stellte their Sexualität kein Problem dar und er habe sogar selbst homosexuelle Erfahrungen gemacht. Azina sagt auch, was die Lage von queeren Personen in anderen Ländern unterscheidet, ist die Besatzung der palästinensischen Gebiete durch Israel, nicht die palästinensische Kultur selbst.

Queere Identitäten werden durch die israelischen Besatzungsmacht instrumentalisiert. So müssen Queers in Palästina mit dieser Angst leben, da die Möglichkeit besteht, dass die israelischen Sicherheitsbehörden sich diese Informationen zunutze machen, um sie zu erpressen, dazu zu bringen, mit ihnen zu kooperieren und schlimmstenfalls zu Spitzeln zu werden. Victor Harry Bonnesen Christoffersen erklärt, dass er während seiner Forschung zu Queerness in Palästina Berichte über israelische Militärangehörige gehört hat, welche queere Palästinenser:innen unter Drogen setzen, diese dann ohne Einwilligung beim Sex filmen und diese Materialen dann zur Erpressung nutzen. Auch würden sie sich in einigen Bars in Ramallah als internationale Tourist:innen ausgeben. Das führt dazu, dass diese Partymeilen nicht mehr als „Safe(r) Spaces“ von den Betroffenen wahrgenommen werden können.  Ebenso kommt es, so schildert uns Azina diesbezüglich, dass queere Personen, wenn sie auf Dating Apps auch ihre palästinensische Identität angeben, dafür von israelischen Soldat:innen rassistisch beleidigt und bedroht werden. Gerade die Verbindung mit der palästinensischen Identität ist das Problem, was sich queeren Palästinenser:innen besonders stellt. Denn im Prinzip ist es den israelischen Sicherheitsbehörden völlig egal, ob die, die sie gerade schikanieren, queer sind. Sie nutzen es als Mittel zum Zweck, um etwas gegen sie „in der Hand zu haben“ und entlarven sich dabei trotzdem selber als homophob, auch wenn das Pinkwashing Israels uns etwas ganz anderes weismachen will.

Safe(r) Spaces oder Circles?

Victor Harry Bonnesen Christoffersen hat seine wissenschaftlichen Studien zum Thema Safe Spaces für queere Personen in Palästina durchgeführt. Seine Erkenntnis: Das Konzept von Safe(r) Spaces wird hier eher nicht praktiziert, da wenig Möglichkeit besteht, diese Orte öffentlich kundgeben können, dass sie queerfreundliche Verbündete sind. Das liegt daran, dass sie sonst sich und die queere Community in Gefahr bringen würden. Jedoch gibt es einige queerfreundliche Bars zum Beispiel in Ramallah.

Grundsätzlich müssen wir natürlich davon ausgehen, dass es im Kapitalismus keine Räume gibt, die wirklich komplett frei von Unterdrückung sind, denn das sind gesellschaftliche Strukturen, die dahinter stecken und nicht einfach nur Einzelpersonen. Auch vermeintliche Safe(r) Spaces in Europa oder den USA sind alles andere als sicher, wie Angriffe auf CSDs und Queer Bars in den letzten Jahren deutlich aufzeigen. Dennoch ist es wichtig, dass queere Personen untereinander frei kommunizieren können. Laut Bonnesen Christoffersen existieren daher auch Safe(r) Circles, wobei sich das Konzept aber nicht auf das Räumliche, sondern auf die Verbindung zwischen den betroffenen Personen bezieht. Teil werden kann nur, wem vertraut wird. Neue Leute können also nur über bestehende Personen Teil dieses Circles werden, welcher dann dafür sorgt, dass die Betroffenen sich sicherer damit fühlen, ihre Identität preiszugeben und innerhalb des Circles offen auszuleben.

Ebenso gibt es auch innerhalb der palästinensischen Community Organisationen, die sich für die Rechte queerer Palästinenser:innen einsetzen, wie uns Bonnesen Christoffersen erläutert. So gibt es Al Qaws, eine NGO für sexuelle und geschlechtliche Diversität in der palästinensischen Gesellschaft, die die aktivste Organisation in dieser Hinsicht darstellt. Außerdem gibt es noch Aswat, die ihren Schwerpunkt auf queere Frauen legt. Beide Organisationen haben ihren Sitz in Haifa in den Territorien von 1948. Azina erwähnt diesbezüglich auch die Tal’at-Bewegung, eine revolutionäre feministische Bewegung, die sich gegen sexistische und koloniale Unterdrückung von palästinensischen Frauen einsetzt.

Kapitalismus, Kolonialisierung und Zionismus – unterdrückerische Gründe für Queerfeindlichkeit

Wenn wir über queeres Leben in Palästina sprechen, ist es wichtig, sich das Verhältnis von Kapitalismus sowie israelischer Besatzung näher anzuschauen, statt rassistische Stereotype zu reproduzieren – oder queere Unterdrückung zu verharmlosen. Dabei wird klar, dass Diskriminierung von LGBTIA+-Personen ein internationales Phänomen ist, da sie, verkürzt gesagt, von den vorgegebenen Geschlechterrollen abweichen, in diese oftmals nur schwer einsortiert werden können. Sie werden somit als Bedrohung für die herrschende kapitalistische Ordnung und folglich das Ideal der bürgerlichen Familie angesehen. Je etablierter die geschlechtliche Arbeitsteilung, desto höher auch die Ablehnung von Queers könnte man sagen.

Dass Queerness innerhalb Palästinas ein gesellschaftliches Tabuthema darstellt, hat also nichts damit zu tun, dass Palästinenser:innen per se konservativ, rückschrittlich sind oder der Islam „böser“ ist als andere Religionen. Neben der Tatsache, dass viele Vertreter:innen des palästinensischen Nationalismus säkular sind, entwickeln auch andere Religionen stark reaktionäre Momente – siehe den Hinduchauvinismus in Indien oder  evangelikale Fundamentalist:innen in den USA. Dies ist meist eine Frage der gesellschaftlichen Basis und politischen Bedingungen, wo und wie stark religiöse Vorstellungen zur Ideologie rückschrittlicher Bewegungen werden und gar größere Massen erfassen können.

Die Gründe für das Tabu sind an die materiellen Gegebenheiten gebunden – und diese werden zum Großteil von der israelischen Besatzung und Apartheid bestimmt. Das wird besonders ersichtlich, wenn wir uns die ökonomische Situation von Frauen anschauen. Diese haben in den palästinensischen Gebieten im Schnitt höhere Bildungsabschlüsse, sind aber um ein Vielfaches mehr von Arbeitslosigkeit betroffen. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches. Während wir in anderen Ländern in Krisenzeiten sehen, wie Frauen systematisch aus dem Produktionsprozess gedrängt werden, ist dieser „Krisenzustand“ jedoch in gewissem Maß Normalzustand, da es generell eine Knappheit an Arbeitsplätzen in den palästinensischen Gebieten gibt. Die Arbeitslosigkeitrate lag laut dem Internationalen Währngsfond 2022 insgesamt bei 26 %. Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen der Westbank (13 %) und Gaza (45 %), aber bei Geschlechtern (Frauen  40 %,  Männern 20 %).

Bedingt sind diese Zahlen vor allem durch die Restriktionen seitens des israelischen Staates. So können Bewohner:innen Gazas nicht einfach ausreisen und woanders arbeiten. Auch in der Westbank sind die Jobs, die Palästinenser:innen „zur Verfügung gestellt werden“ zum Großteil auf den Bausektor beschränkt. Der systematische Ausschluss von Frauen aus dem Produktionsprozess befeuert die bestehende patriarchale Arbeitsteilung in den palästinensischen Gebieten, da sie somit in die Familie gedrängt werden, Sorge- und Carearbeit übernehmen müssen und derart klassische Geschlechterrollen weiter reproduziert werden. So kommt es auch zu Erwartungen, von denen Bonnesen Christoffersen  erzählt, wie beispielsweise, dass Menschen in einem heiratsfähigen Alter auch schnellstmöglich heiraten,  was wiederum auf Queers Druck ausübt.

Auch Azina ist bezüglich der Lage in der Westbank der Meinung, dass vor allem der Einfluss der israelischen Behörden auf die Institutionen der Westbank dafür sorgt, dass Maskulinität und patriarchale Strukturen verstärkt werden. Der Einfluss der israelischen Besatzungsmacht auf alle gesellschaftlichen Bereiche der Palästinenser:innen raubt jedem Lebensbereich die Autonomie, sei es an Checkpoints oder in der eigenen Community. Dadurch wird ihnen letztendlich nicht einmal die Möglichkeit gegeben, die gesellschaftlichen Strukturen offener und inklusiver umzugestalten. Dies bestätigt auch Bonnesen Christoffersen: „Palästina hatte (und hat) eine lebendige und florierende Kultur, die leider seit 1948 sehr stark von der zionistischen Kolonisierung beeinträchtigt wird. Mein Eindruck von Palästinenser:innen ist, dass sie einen Mut und Courage besitzen, die über das hinausgehen, was ich anderswo erlebt habe, und dass es den Wunsch gibt, das Leben trotz der Umstände, in denen sie leben, zu feiern. […] Historisch gesehen war die Levante (Palästina, Libanon, Jordanien, Syrien) nie queerfeindlich. Tatsächlich gab es eine große Toleranz gegenüber anderen Sexualitäten und Geschlechtsausdrücken. Queerfeindlichkeit breitete sich erstmals während des europäischen Mittelalters aus. Und die europäischen Kolonialmächte waren es auch, die Jahrhunderte später, als sie die Welt kolonisierten, ihre queerfeindlichen Absichten und Ansichten gegenüber den Menschen durchsetzen, die kolonisiert wurden.“

Gleichzeitig ist es wichtig, klare Kritik an den Machthaber:innen innerhalb der palästinensischen Gebiete zu üben. Denn ob palästinensische Autonomiebehörde (PA) oder Hamas, beide scheren sich sonderlich wenig um Frauen- wie LGBTIA-Rechte. Ob durch explizite Kooperation mit der israelischen Besatzungsmacht wie seitens der PA oder durch die Umsetzung ihrer reaktionären religiösen Ideologie wie bei Hamas. Besonders Letztere hat auch schon eigene Mitglieder hingerichtet, nachdem sie homosexueller Aktivitäten beschuldigt wurden, und Betroffene berichten, von Hamas-Mitgliedern aufgrund ihrer Queerness bedroht, gefoltert und verhört worden zu sein. Der Vorwurf der Homosexualität wird also genutzt, um politische Gegener:innen, wie Mitglieder der Fatah, auszuschalten, indem sie sie aufgrund dessen verhaften und teilweise auch exekutieren. Doch auch hier ist es wichtig zu verstehen, dass insbesondere die Hamas nur aufgrund der Apartheid existiert und an gesellschaftlichem Zuwachs gewinnen konnte. So wurde sie nach ihrer Gründung zunächst von Israel toleriert, wohingegen andere Gruppen des palästinensischen Widerstands mit linker Ausrichtung hartnäckig verfolgt wurden. Des Weiteren wurde die Hamas überhaupt erst als Reaktion auf die israelische Besatzung gegründet, um den Widerstand zu bündeln. Sie und ihre reaktionäre Ideologie müssen natürlich von Marxist:innen im ideologischen Kampf um die Führung der palästinensischen Befreiungsbewegung herausgefordert und bekämpft werden. Dabei muss an dieser Stelle auch klare Kritik an Vertreter:innen der palästinensischen Linken geübt werden: Klar ist, dass  für ein Ende der Existenz der Hamas zuerst die Apartheid fallen muss, da sie hierfür die materielle Grundlage darstellt. Doch der Kampf für die Verbesserung von Frauen- und LGBTIA+-Rechten kann nicht hintangestellt werden, bis ein befreites Palästina erkämpft wurde, sondern muss aktiv Hand in Hand gehen – auch um eine klare, fortschrittliche Kraft im Befreiungskampf zu etablieren.

Pinkwashing

In diesem Kontext ist die Inszenierung Israels als „einzige Demokratie im Nahen Osten“ und als „besonders fortschrittlich“ in Bezug auf LGBTIA+-Rechte mehr als unglaubwürdig. Denn während die israelische Regierung selbst aktiv demokratische Umstrukturierung durch die Unterdrückung der Palästinenser:innen verhindert sowie die Lage nutzt, um queere palästinensische Personen zu verhöhnen, wenn sie davon sprechen, dass Queer for Palestine dasselbe sei wie „Chickens for KFC“, hat es in den letzten Jahren auch einen Rollback in Israel selber gegeben. Im Jahr 2023 wurden dort 5-mal mehr queerfeindliche Vorfälle in der Öffentlichkeit registriert als zuvor und eine Reihe von Regierungsvertreter:innen hat offen reaktionäre Aussagen getätigt. So behaupten die eigenen Minister:innen der ultrarechten Regierung, Homosexualität würde die größte Gefahr für das Land darstellen, wie zum Beispiel Yitzhak Pindrus (United Torah Judaism). Pindrus behauptet sogar, Homosexualität wäre gefärhlicher als die Hamas. Auch der israelische Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir (Otzma Yehudit), der sich bereits gegen Pridedemos aussprach und auf der Pride 2008 in Tel Aviv sogar Gewalt gegen eine jüdische trans Frau ausgeübt haben soll (zumindest existieren Fotos, die diese Vermutung nahelegen) ist ein Beispiel dafür. Ben-Gvir ist übrigens mittlerweile auch für die Sicherheit der Jerusalem Pride zuständig. Wie man sich da als queere Person sicher fühlen soll, kann man schon mal in Frage stellen.

Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich (HaTzionut HaDatit) bezeichnet sich sogar selbst als einen faschistischen Homophoben, während der ehemalige sephardische Oberrabbiner Shlomo Amar Pride-Demonstrierende mit wilden Tieren vergleicht und der Meinung ist, Homosexuelle nach jüdischem Gesetz mit dem Tode bestrafen zu können. Der Bürgermeister Jerusalems Aryeh King ließ 2020 ein Regenbogenbanner vom Gebäude der US-Botschaft entfernen, da keine Erlaubnis eingeholt worden war und es ein Zeichen für Unreinheit darstellen würde. Aber nur beim Reden Schwingen soll es für die Queerfeind:innen Israels nicht bleiben, denn Teile der ultrarechten nationalistisch-konservativen Regierung Israels haben auch vor, ihre Queerfeindlichkeit in die Tat umzusetzen, indem sie erkämpfte Rechte für LGBTIA+-Personen wieder zurücknehmen. Viele fürchten, dass das vor allem die Adoptionsrechte für homosexuelle Paare, aber auch medizinische Unterstützung für trans Personen betrifft. Aber auch außerhalb der Regierung gibt es queerfeindliche Angriffe: 2015 attackierte ein Mann Personen auf der Jerusalem Pride mit einem Messer, kurz nachdem er aus dem Gefängnis für genau dieses Verbrechen im Jahr 2005 entlassen wurde.

Trotz alledem hält sich das Bild Israels als fortschrittlich in Bezug auf LGBTIA+-Rechte,
Aber all diese Aussagen und Taten zeigen auf, dass der Zionismus und auch der bürgerliche Staat an sich nicht in der Lage sind, die Unterdrückung queerer Personen zu beenden. Letztendlich nutzt der israelische Staat sein Pinkwashing aber nicht nur dazu, um die Unterdrückung der palästinensischen Community zu verschleiern und sich vermeintlich positiv abzuheben, auch wenn die progressivere Gesetzgebung sowieso hauptsächlich dem weißen cis männlichen Schwulen zugutekommt, sondern sie seine vermeintliche Vormachtstellung und Doppelmoral auch, um Kriegsverbrechen gegen Gaza zu rechtfertigen.

Homonationalismus

So gab es auch in den letzten Monaten Fotos von IDF Soldat:innen, welche die Regenbogenflagge in Gaza im Kriegsgebiet hochhielten und „In the Name of Love“ dazu schrieben. Die israelische Armee behauptet also, sie würde sich für queere Palästinenser:innen einsetzen, indem sie demokratische Rechte in die palästinensischen Gebiete brächte. Und das, während sie die (queeren) Palästinenser:innen und ihre Familien, Freund:innen und Bekannte umbringt und ihnen jegliche Möglichkeit zur Selbstermächtigung nimmt.

Diese Strategie kann auch als Homonationalismus bezeichnet werden. Geprägt von Jasbir Puar, beschreibt  der Begriff die Instrumentalisierung von queeren Rechten, um die eigenen nationalistischen Ziele umsetzen zu können, zum Beispiel in Form von Kriegen oder restriktiven Einwanderungsgesetzen. Dabei kann der israelische Staat den eigenen Zerstörungswahn gegen das palästinensische Volk gegenüber anderen Staaten und deren Bevölkerungen legitimieren und gleichzeitig die Spaltung zwischen Palästinenser:innen und  israelischer Arbeiter:innenklasse vorantreiben. Eine Spaltung, die für die herrschende Klasse gar nicht tief genug sein kann, denn die vereinten Unterdrückten und Ausgebeuteten können ihnen und ihrer Klasse sehr gefährlich werden. Um diese Spaltung zu überwinden, muss sich die israelische Arbeiter:innenklasse aber offensichtlich vom Joch des Zionismus befreien.

Besonders ergreifend kann man diesen Zusammenhang auch in den kurzen Statements queerer Palästinenser:innen beim Projekt „Queering the Map“ nachlesen. Ein Beispiel, was den Schmerz darüber noch einmal besonders unterstreicht, wie (queere:r) Palästinenser:innen unter der Besatzung und Krieg leiden müssen:

„Ich habe mir immer vorgestellt, dass du und ich in der Sonne sitzen, Hand in Hand, endlich frei. Wir sprachen über all die Orte, an die wir gehen würden, wenn wir könnten. Doch du bist jetzt weg. Wenn ich gewusst hätte, dass die Bomben, die auf uns niederregnen, dich mir wegnehmen würden, hätte ich der Welt bereitwillig erzählt, wie sehr ich dich geliebt habe. Es tut mir leid, dass ich ein Feigling war. Kiryat (eigene Übersetzung)“.

Diese anonyme Zeilen sollen an dieser Stelle erst einmal für sich sprechen.

Die Schlussfolgerung aus dieser Analyse muss für Kommunist:innen zwangsläufig darin liegen, dass erst die Befreiung von Kolonialismus und Imperialismus auch die für Palästinenser:innen, ob queer oder nicht, bedeutet.

In diesem Sinne richtet Azina die folgenden Worte an uns und auch an euch: „Wir brauchen grundlegende Gerechtigkeit und ein Ende der Besatzung. Bitte engagiert euch, meine feministischen Genoss:innen in Europa, denn: Ich habe weder den Wunsch, für die Heimat noch für den Erdboden hier zu sterben, aber wenn ich für die Menschheit, für Frieden und bedingungslose Liebe sterbe, macht es mir nichts aus.“

Erst in einem freien Palästina kann die Gesellschaft so umgestaltet werden, dass sich niemand mehr verstecken muss aus Sorge, als Nächste/r von der israelischen Besatzungsmacht massiv unterdrückt, entrechtet, gedemütigt, missbraucht, erpresst oder getötet zu werden. Daher müssen wir uns für ein freies, säkulares, binationales, sozialistisches Palästina einsetzen.

Frauen – und Queerbefreiung Hand in Hand

Bonnesen Christoffersen argumentiert, dass Frauen- und Queerkämpfe gemeinsam geführt werden sollten, um erfolgreich zu sein: „Nachdem ich auch mit einigen feministischen Bewegungen in Palästina interagiert habe, habe ich mitbekommen, dass die generelle Meinung existiert, dass die Rechte von Frauen über den Rechten von queeren Personen stehen. Nicht, dass diese Bewegungen queere Menschen nicht unterstützen, sondern eher in dem Sinne, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt sei, um über ihre Rechte zu sprechen. Ich denke daher, dass wenn palästinensische Bewegungen, die mit den gleichen Kämpfen konfrontiert sind (z. B. Patriarchat), sich zusammenschließen, um ihre Stimmen zu stärken, sie auch in der Lage sein könnten, mehr Bewusstsein für die Situation queerer Palästinenser:innen zu schaffen.“

Als Marxist:innen erkennen wir an, dass Frauen- und Queerunterdrückung auf dieselben Strukturen der Klassengesellschaft zurückgehen, egal ob in Palästina oder Deutschland: die geschlechtsbedingten Arbeitsteilung, welche maßgeblich mit aufrechterhalten wird durch das Ideal der bürgerlichen Familie und die Geschlechterrollen. Auch wenn die Lage von Frauen und queeren Personen unterschiedlich ist, so ist dennoch ein gemeinsamer Kampf vonnöten. Frauen kämpfen schon seit 1920 in der palästinensischen Befreiungsbewegung, in der sie schon seit jeher sexualisierte Gewalt durch die Besatzungsmächte erfahren mussten und weiterhin erfahren. Wenngleich sie eine wichtige Rolle einnehmen und einnahmen, sind sie immer noch selten an politischer Entscheidungsfindung beteiligt. Der Sieg der Hamas in Gaza war ein Rückschritt für die Rechte der Frauen, da sie darauf drängt, das palästinensische Recht durch die Scharia (wörtlich: gebahnter Weg; religiöses Gesetz) zu ersetzen. Dennoch setzen sich palästinensische Frauenaktivist:innen für Gesetze zum Schutz von Frauen vor Ehrenmorden und männlicher häuslicher Gewalt ein.

Wir müssen uns neben dem Ende der israelischen Apartheid, der Besatzung und für ein freies, säkulares, multiethnisches, sozialistisches Palästina auch konkret für die Vergesellschaftung der Hausarbeit einsetzen, um die materielle Grundlage von Frauen- und Queerunterdrückung auflösen zu können. Das bedeutet den Ausbau von Pflege, Kinderbetreuung, kollektive und kollektivierte Formen der Hausarbeit (Kantinen, Wäschereien etc.), die Stärkung der ökonomischen Unabhängigkeit von geschlechtlich und sexuell Unterdrückten und alternative Formen des Zusammenlebens. All das kann natürlich nicht von heute auf morgen passieren, und im Angesicht des aktuellen brutalen Krieges scheint dies auch unfassbar fern. Jedoch ist es die Aufgabe von Revolutionär:innen und allen, die solidarisch mit dem palästinensischen Befreiungskampf sind, nicht nur für eine sofortige Waffenruhe und das Ende der Apartheid einzutreten, sondern auch zu diskutieren, wie der Kampf für nationale Befreiung mit dem Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung verbunden werden kann. Die Kämpfe darum sind keineswegs irrelevant oder nachgeordnet, aber ohne Umgestaltung der ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft bleiben ihre Erfolge begrenzt. Zusätzlich sollten Frauen und queere Personen in Palästina auch für eine Reihe an Forderungen gemeinsam kämpfen, zum Beispiel:

  • Gleiche Rechte und Zugang zu Bildung für Alle, gleiche Eigentumsrechte, gleicher Lohn für gleiche Arbeit sowie volle Integration in den Produktionsprozess. Konkret: z. B. durch Quotierung in zentralen/wichtigen Beschäftigungsverhältnissen, um aktuell den  Ausschluss von Palästinser:innen von der Lohnarbeit entgegenzuwirken. Davon würden vor allem palästinensische Frauen in der aktuellen Situation profitieren, welche vor allem in Gaza  relativ hohe Bildungsabschlüsse haben, aber geringe Beschäftigungsraten.

  • Keine Straffreiheit für diejenigen, die Frauen oder queere Personen ermorden, vergewaltigen und schlagen, seien es Verwandte oder Fremde.

  • Für das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper, die eigene Sexualität und die eigenen reproduktiven Entscheidungen.

  • Ebenso muss auch innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung gegen Vorurteile und Gewalt gegenüber Frauen und LGBTIA-Personen angekämpft werden, auch wenn wir das nicht zur Bedingung eines gemeinsamen Kampfes machen.

  • Für das Recht auf Caucustreffen für Frauen und LGBTIA-Personen innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung.

Damit der Kampf gegen Besatzung, Imperialismus, Krieg, Frauenunterdrückung und Queerfeindlichkeit international geführt werden kann, ist klar, dass Solidaritätsbekundungen nicht ausreichen können, auch wenn wir bedingungslos hinter dem palästinensischen Befreiungskampf stehen. Stattdessen müssen wir uns international zusammenschließen und gemeinsam kämpfen. Denn unsere Feind:innen, die imperialistischen Staaten und ihre regionalen Handlanger:innen, sind für jede/n Unterdrückte/n und jede/n Ausgebeutete/n letztendlich die gleichen, auch wenn sich unsere Situationen in besetzten Gebieten, Halbkolonien und imperialistischen Kernzentren natürlich unterscheiden. Dafür braucht es eine internationale Frauen- und LGBTIA-Bewegung genauso wie eine internationale Arbeiter:innenbewegung, denn wir dürfen unsere Kämpfe nicht anhand von nationalen Grenzen spalten lassen, sondern müssen uns im Klaren darüber sein, dass sie durch Klassenlinien geprägt sind und auch dementsprechend klassenkämpferisch geführt werden müssen. Um diese Bewegungen anzuführen und die Kämpfe zuzuspitzen, bedarf es auch einer neuen kommunistischen Partei und einer neuen Internationale.

Wie kommen wir zu einem freien, säkularen, binationalen, sozialistischen Palästina?

Wir setzen uns für eine Ein-Staaten-Lösung ein, da wir der Meinung sind, dass das die einzige Möglichkeit darstellt, um die Befreiung des palästinensischen Volkes zu garantieren, ohne Zugeständnisse an den Zionismus machen zu müssen. Das bedeutet nicht, die israelisch-jüdische Bevölkerung zu vertreiben oder gar auszulöschen, jedoch sehr wohl, den Zionismus und damit den israelischen Staat zu zerschlagen. Da wir glauben, dass Religionen als Vorwand für imperialistische Unterdrückung und zur Umsetzung geopolitischer Interessen genutzt werden, setzen wir uns für einen säkularen, multiethnischen Staat ein, indem es kulturellen Austausch statt einseitiger Assimilation geben soll. Das Rückkehrrecht sowie der Zugang zu Wohnraum, Wasser, Lebensmitteln, Arbeit und Bildung für alle, egal ob Israelis oder Palästinenser:innen kann nur unter einer demokratischen Kontrolle der Arbeiter:innenklasse gewährleistet werden. Diese sozialistische Ein-Staaten-Lösung müsste in eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens eingebettet werden, um die vom Imperialismus bewusst geschaffene Spaltung überwinden zu können und so ein massives Kampfmittel darstellen zu können. Demnach darf der Kampf der Palästinenser:innen nicht als isoliert verstanden werden, und die Arbeiter:innenklassen der umliegenden Länder müssen sich dem Kampf anschließen und einen neuen Arabischen Frühlung erzwingen. Das gilt auch in letzter Konsequenz für die israelische Arbeiter:innenklasse.

Als Ansatzpunkt in Halbkolonien kann der Kampf für die Vollendung der verbliebenen bürgerlich-demokratischen Aufgaben im Sinne von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution angesehen werden, das heißt also: Fokus auf nationale Einheit und Unabhängigkeit, eine Agrarrevolution sowie politische Demokratie. Doch kann das im Imperialismus für Halbkolonien nicht wirklich vollständig erfüllt werden. Daher darf der Kampf hier keineswegs aufhören und muss in einen für Sozialismus umschlagen, um wirklich erfolgreich sein zu können. Doch das kann nicht durch Guerillatruppen erreicht werden, sondern nur durch Demonstrationen und Streiks, letztendlich massenhafte Aufstände. Also mit Hilfe einer Intifada mitsamt einem Generalstreik, zu dem auch international alle Gewerkschaften zur Beteiligung aufgerufen werden. Und die Massenaktionen in der 1. Intifada haben auch bereits gezeigt, dass das palästinensische Proletariat und die Jugend kämpfen können. Dafür braucht es den Aufbau von kämpferischen Gewerkschaften, Arbeiter:innen-, Bäuerinnen-/Bauernräte, Frauenkomitees  und auch Volksmilizen. Auch müssen die Kräfte der Arbeiter:innnenklasse und das regionale (Klein-)Bürger:innentum in einer antiimperialistschen Einheitsfront zeitweise gemeinsam gegen die Imperialist:innen kämpfen. Sie bleiben jedoch unerbittliche Klassenfeind:innen. Das bedeutet auch, dass es sich um getrennte Organisierung handeln muss, wobei sich die betroffenen Gruppierungen und Organisationen jederzeit offen kritisieren dürfen sollen. Das ist besonders für uns als Marxist:innen wichtig, da wir so die (klein-)bürgerliche Führung auf einer ideologischen Ebene angreifen und somit ihren Einfluss auf die Unterdrückten schmälern können.

Denn auch die Führungskrise der Arbeiter:innnenklasse ist etwas, was nicht nur in Deutschland, sondern auch in Halbkolonien vorhanden ist und auch zu dem immer wiederkehrenden Verrat an den Interessen der Unterdrückten und Ausgebeuteten durch (klein-)bürgerliche Bewegungen führt, etwas durch die Hamas oder auch während des Arabischen Frühlings. Daher braucht es eine revolutionäre Partei, um die Interessen der Arbeiteren:innnenklasse durchzusetzen, indem sie die Kämpfe zuspitzt und anführt. Die Avantgarde stellt hier die palästinensische Arbeiter:innenklasse mit dem Ziel dar, die israelische Arbeiter:innen klasse auch in die antizionistische Vorhut hineinzuziehen. Die Partei muss demokratisch-zentralistisch organisiert sein und zum Ziel haben, sowohl die israelische Regierung als auch die Palästinensische Autonomiebehörde zu entmachten und eine konstituierende Versammlung einzusetzen, die die Verfassung eines binationalen, säkularen, demokratischen und sozialistischen Staates ausarbeitet. Der Höhepunkt des revolutionären Kampfes stellt die Machtübernahme durch Arbeiter:innen und Bäuerinnen/Bauern in Form von Deligiertenräten sowie die Bewaffnung der arbeitenden Bevölkerung und Zerschlagung des bürgerlichen Staates in seiner gegenwärtigen unterdrückerischen Form dar. Aber der alleinige Kampf im Nahen und Mittleren Osten reicht nicht aus, um den Imperialismus weltweit zu besiegen. Hierfür muss die revolutionäre Partei auch in eine Internationale integriert werden, und für die Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Kernzentren sollte die Devise lauten: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Das kann zum Beispiel konkret bedeuten, sich an Blockaden von Waffenlieferungen zu beteiligen




Unser Körper, unsere Entscheidung

Aktionsprogramm für trans Jugendliche

Jaqueline Katherina Singh, Gruppe Arbeiter:innenmacht / Revolution, Fight 12! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2023

Weltweit werden trans Menschen unterdrückt.  Ob nun Konservative, die in Talkshows deren Existenz leugnen, Radikalfeminist:innen, die Geschlecht allein an Genitalien ablesen wollen oder CDU-Poliker:innen, die Gendern für das größte Problem unserer Zeit halten, weil sie die Klimakrise nicht ernst nehmen. Es wird deutlich: Die Sichtbarkeit von trans Personen in der Öffentlichkeit hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, doch an der Unterdrückung hat sich wenig geändert. Schließlich ist diese in der gesamten Gesellschaftsstruktur verankert. Das Erstarken der Rechten bringt zudem gesellschaftliche Rollbacks mit sich wie in den USA oder Pakistan, die dafür sorgen, dass Queer- und insbesondere Transfeindlichkeit weiter zunehmen. Das beginnt mit reaktionären Argumentationen bezüglich Dragqueens und angeblicher „woker” Indoktrination in der Schule, kann dann auch zur Rücknahme erkämpfter Rechte und schließlich auch zu einer Zunahme von körperlichen Übergriffen gegen trans Personen führen. Dass diese Stimmung längst auch in Deutschland angekommen ist, können wir daran sehen, dass 2023 die Meldungen von körperlichen Angriffen auf Paraden zum Christopher Street Day (CSDs) die Nachrichten fluteten, während die CSU in Bayern diesen Kulturkampf der US-Amerikaner:innen versuchte zu adaptieren, indem auch sie gegen Auftritte von Dragqueens hetzten.  Im Folgenden wollen wir uns daher die Situation von trans Jugendlichen anschauen, die von vielen Unterdrückungsmechanismen nochmal stärker betroffen sind.

Unterdrückung in der Familie

Probleme mit der Familie sind für viele Jugendliche Alltag. Doch trans zu sein, kann diese noch mal verschärfen. Denn es geht nicht darum, einfach „nur” nicht verstanden zu werden.  Stell dir vor: Du kannst dich nicht so kleiden, wie du willst. Alle sprechen dich mit einem Namen an, der nicht dein eigener ist. Kurzum – man sieht dich nicht so, wie du wirklich bist. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts 69,4 % der trans Jugendlichen befürchten, dass ihre Familie sie nicht akzeptieren wird. Doch was bedeutet das konkret?

Das Coming-out kann eine große Hürde sein, da die finanzielle und juristische Abhängigkeit von der Familie es nahezu unmöglich machen kann, sich frei auszudrücken oder notwendige medizinische Behandlungen wie Hormontherapie zu erhalten. Denn letzten Endes bestimmst nicht du über deinen Körper, sondern deine Erziehungsberechtigten. Das ist der Kern des Problems: Wenn deine Eltern kein Verständnis haben (wollen), dich nicht ernst nehmen – oder einfach nur hilflos sind, dann wird es schwierig. Die juristische, sowie finanzielle Abhängigkeit erschwert es vielen trans Personen massiv, einfach so das Elternhaus zu verlassen und auszuziehen. Ganz zu schweigen von der emotionalen Belastung, die damit einhergeht, wenn die eigenen Eltern/Erziehungsberechtigten einen nicht unterstützen können oder wollen. rans Menschen, v.a. Jugendliche haben eine viel zitierte enorm hohe Rate an Suizidversuchen (je nach Studie um die 40%). Wenn mindestens eine erwachsene Person sie unterstützt, sinkt die Wahrscheinlichkeit um etwa 30% Doch die Beratungsangebote für trans Jugendliche sowie ihre Eltern sind selten – und die wenigen, die es gibt, sind oft überlastet oder gar nicht unvoreingenommen. Deswegen treten wir nicht nur für den Ausbau von Beratungsstellen ein, für Jugendliche braucht es auch die Möglichkeit, bei Bedarf ihr Leben unabhängig vom Elternhaus gestalten zu können!

  • Für die ökonomische Unabhängigkeit von Schüler:innen, Studierenden und Jugendlichen in Ausbildung! Für ein monatliches Mindesteinkommen, angepasst an die Inflation, von 1.100 Euro plus Warmmiete, finanziert durch Besteuerung von Reichtum und Kapital!

  • Für selbstverwaltete Freiräume für Jugendliche, den massiven Ausbau von Jugendzentren und kostenlose Zugang zu einem ausgebauten Freizeit- und Kulturangebot, bezahlt durch die Besteuerung der Reichen!

  • Ausbau von flächendeckenden Beratungsstellen von und für LGBTIA+ und ihre Angehörigen!

  • Für den Ausbau von Schutzhäusern für Kinder und Jugendliche! Niemand soll bei seiner Familie bleiben müssen, wer das nicht möchte! Für die Förderung neuer Formen des Zusammenlebens, beispielsweise durch den Ausbau und die Weiterentwicklung des sozialen Wohnungsbaus!

Schule und Ausbildung

Doch nicht nur in der Familie, sondern auch an Orten, wo man den Großteil seiner Lebenszeit verbringen muss – also Schule oder Ausbildungsstätte – wird man eingeschränkt. Eine weitere Studie des Bundesverbands Trans* aus dem Jahr 2017 zeigt, dass fast 90 % der trans Schüler:innen in Deutschland in der Schule diskriminiert werden. Dazu gehören u. a. die Verwendung des Deadnames und von falschen Pronomen, Belästigungen, Mobbing und auch physische Übergriffe. Die Studie zeigt auch auf, dass nur ein Bruchteil der betroffenen Schüler:innen sich an Lehrkräfte oder Schulleitungen wendet, da sie Angst haben, dadurch noch stärker stigmatisiert zu werden. Denn die wenigsten Schulen bieten Unterstützung gegen Mobbing und Diskriminierung an, auch wenn sich viele von ihnen das Abzeichen von Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage ans Tor hängen lassen. Aus einer weiteren Studie des Bundesverbandes geht hervor, dass nur 18 % der trans Schüler:innen das Gefühl haben, dass ihre Schule ein sicherer Ort für sie ist. Dies liegt auch daran, dass die Idee des binären Geschlechtersystems in der Gesellschaft vorherrschend ist und ebenso in der Schule reproduziert wird. Sei es durch Unterrichtsinhalte, bei denen Frau Meier den Wocheneinkauf für ihre Familie tätigt als Einleitung für eine Textaufgabe in Mathe, die klassische, heteronormative Sexualkunde im Biologieunterricht, lediglich ausgelegt auf Verhütung und Reproduktion, oder die Abwesenheit von queeren Lebensrealitäten in der Pflichtlektüre, die wir in Deutsch oder Englisch lesen müssen. Das gilt auch für Regelungen, die über den bloßen Unterricht hinausgehen, aber den Schulalltag prägen wie z. B. fehlende geschlechtsneutrale Toiletten oder Umkleideräume sowie die allgemeine Adressierung der Schüler:innenschaft in Rundbriefen. Das Verbot. an Schulen zu gendern, wie es in Sachsen und Sachsen-Anhalt bereits umgesetzt wurde, oder in Berlin durch die CDU-Regierung zumindest diskutiert wird, tut sein Übriges. Auch wenn Gendern nicht automatisch zur Befreiung von trans Personen führt, so ist dennoch die Repräsentation in der Sprache auch ein mögliches Kampffeld.

  • Schluss mit Deadnames auf Klassenarbeiten, Schüler:innenausweisen und Klassenbüchern!

  • Für die Möglichkeit, den Namen und Geschlechtseintrag in der Schule einfach und unbürokratisch zu ändern!

  • Wir bestimmen, was wir lernen wollen: Rahmenlehrpläne unter Kontrolle der Lernenden, Lehrenden, Arbeiter:innenbewegung und Vertreter:innen von Diskriminierten! Für angemessenen, verpflichtenden Aufklärungsunterricht vor der Geschlechtsreife und die gleichberechtigte Darstellung aller Formen von Geschlecht, Geschlechtsidentität, Sexualität und des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs!

  • Kampf der Diskriminierung an der Schule: Für breite Aufklärungskampagnen durch die Gewerkschaften von Lehrkräften und Schüler:innen und für eine von der Schulleitung unabhängige Antidiskriminierungsstelle, kontrolliert von Lernenden, Lehrenden und Organen der Arbeiter:innenklasse, die jederzeit wähl- und abhwähbar sind!

  • Von Schüler:innen selbstorganisierte Freiräume, die in den Pausen für alle frei zugänglich sind, an jeder Schule und den Ausbau von Unisextoiletten sowie Umkleideräumen!

Ähnlich sieht die Situation in der Ausbildung aus. Hier kommt jedoch der ökonomische Druck hinzu, der es vielen erschwert, sich selbst auszuleben oder dies sogar komplett unmöglich macht. Eine Studie – ebenfalls aus dem Jahr 2017 – von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat ergeben, dass trans Personen in der Ausbildung häufiger diskriminiert werden als ihre cis-geschlechtlichen Kolleg:innen. 48 Prozent der befragten trans Personen gaben an, bereits Diskriminierung am Arbeitsplatz erlebt zu haben, während es bei cis Personen nur 24 Prozent waren.

Die Diskriminierung reichte von Mobbing über das Ausgrenzen aus dem Team bis hin zu sexueller Belästigung. Dabei ist klar: Ob nun Kolleg:innen, die durch mangelndes Wissen mit Stammtischparolen um sich werfen, oder beispielsweise Kund:innen, die eine/n missgendern oder gar offen ausgelebte Transfeindlichkeit: Als Azubi für die eigenen Rechte einzustehen, ist um ein Vielfaches vertrackter. Das liegt aber nicht (nur) am Alter an sich, sondern der Status als Azubi ist hier das entscheidende Moment – Lehrjahre sind schließlich keine Herrenjahre. Dass man als ungleiche Arbeitskraft angesehen wird, die erstmal „richtig ausgebildet” werden muss, bevor man als gleichrangig angesehen wird, wirkt sich auch auf den Umgang miteinander aus. Herablassende Bemerkungen, gar Beleidigungen statt konstruktiver Kritik sind in bestimmten Branchen ganz offen an der Tagesordnung, in anderen existieren sie eher versteckt. Das kann soziale Unterdrückung verstärken und den Rahmen, wie man sich dagegen wehren kann, erheblich einschränken. Wenn wir also in der Ausbildung gegen Transfeindlichkeit kämpfen wollen, dann müssen wir das mit dem Kampf für bessere Ausbildungsrechte verbinden!

  • Tarifliche und rechtliche Gleichstellung aller Auszubildenden! Mindestausbildungsvergütung in Höhe des Mindestlohns und Anhebung dessen auf 15 Euro die Stunde!

  • Gegen alle Versuche und Regelungen wie „Job aktiv“ und „Kombilohn“, die den Billiglohnsektor ausweiten! Übernahme aller befristeten und Leiharbeits- in Normalarbeitsverhältnisse statt Ausdehnung der Flexibilisierung und des Niedriglohnsektors!

  • Probezeit? Nein Danke: Volle wirtschaftliche Rechte – inklusive des auf Streik – für Azubis!

  • Übernahme garantiert: Volle und unbefristete Übernahme aller Jugendlichen nach der Ausbildung – bei Verweigerung der Übernahme Strafzahlung! Für die Abschaffung aller Quoten, die die Übernahme beschränken!

  • Für das Recht, in Job und Ausbildung den gewählten Namen zu nutzen, auch wenn dieser noch nicht im Ausweis steht!

Um die Situation am Arbeitsplatz nachhaltig zu verbessern, muss sich auch was in den Gewerkschaften ändern. Es ist ein erster Schritt gewesen, dass man auch „divers” im Mitgliedsausweis angeben kann – aber mal ehrlich, ausreichend ist das nicht. Erstmal sollte es nicht verpflichtend sein, das eigene Geschlecht überhaupt angeben zu müssen. Darüber hinaus müssen Gewerkschaften an Betrieben und Berufsschulen präsent sein. Das heißt, zum einen Aufklärungskampagnen gegen Diskriminierung an Betrieben, Schulen und Unis organisieren und zum anderen auch, die Präsenz durch Beratungsstellen an Berufsschulen sowie die Vertrauenskörperstruktur in den Betrieben flächendeckend auszubauen. Zusätzlich ist es ein Problem, dass für Länder wie Deutschland Datenerhebungen fehlen, wenn es darum geht, die Verbindung von Einkommen und Unterdrückung zu erfassen. Zahlen aus den USA belegen, dass dort insbesondere schwarze trans Frauen weniger als der US-Durchschnitt verdienen. Solche Erhebungen wären ein erster Schritt, um auch passende Forderungen aufwerfen zu können und würde zudem klar zeigen, dass Gewerkschaften sich bewusst positionieren.

  • Flächendeckender Ausbau der Vertrauenskörperstrukturen und Antidiskriminierungsstellen!

  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!

  • Breite Kampagnen zur gewerkschaftlichen Organisierung von Jugendlichen! Wir wollen uns nicht bevormunden lassen: Gerechte Repräsentanz in den Gremien der Gewerkschaften!

  • Regelmäßige Erhebungen bzgl. Einkommen und Diskriminierungserfahrungen, kontrolliert durch Gewerkschaften!

Medien, Alltag und Gewalt

Ob Bahnhofstoiletten, Behördengänge, Bekleidungsgeschäfte oder das umfangreiche Sortiment an Waren, die man erwerben kann: Wenn man mal darauf achtet, dann wird deutlich, wie viel in unserer Gesellschaft eigentlich von der binären Geschlechterordnung bestimmt wird. Daraufhin einfach mal abschalten und eine Serie schauen, um den Stress in der Schule oder Familie zu vergessen? Das ist aber nur bedingt möglich. In den letzten Jahren wurden zwar immer mehr trans Charaktere in Serien und Filme integriert. Dennoch: Die Sichtbarkeit ist umkämpft und noch längst nicht ausreichend. Diversität heißt übrigens nicht, so viele unterdrückte Gruppen wie möglich zu zeigen, sondern auch eine Varianz dieser mit einzubeziehen.

Ansonsten werden immer wieder Stereotype reproduziert. Was bedeutet das in der Praxis? Es ist legitim, sich mit dem Thema Transition auseinanderzusetzen. Aber genauso notwendig ist es, unterschiedliche Erfahrungen mit einzubeziehen: Nicht-binäre trans Personen sind eher unterrepräsentiert und Menschen, die trans sind, aber sich nicht in die jeweilige Geschlechterrolle stecken lassen wollen, werden meistens negativ dargestellt. Die Charaktere, die am positivsten wegkommen, sind jene, die der binären Geschlechterordnung am meisten entsprechen. Das zu zeigen, ist nicht per se falsch, das ausschließlich zu zeigen, allerdings schon. Flache Charakterarchs hin zur Akzeptanz der eigenen Transidentität oder das bloße Darstellen von körperlicher und sozialer Transition oder dem Umgang mit Diskriminierung sind vielleicht für cis Personen interessante Geschichten, aber für trans Menschen ist das einfach unser selbstverständlicher Alltag und damit totlangweilig. Wir wollen trans Held:innen, Bösewichte, Mütter, Nebencharaktere, Kolleg:innen etc. in Serien und Filmen, deren Transidentität sie nicht definiert – aber eben selbstverständlicher Teil ihrer Geschichte und Lebensrealtität ist.

Besser wird es jedoch auf keinen Fall, wenn man die meisten Nachrichtenseiten aufruft. Die vermehrte Repräsentation von trans Personen, die Bevormundung von Jugendlichen, die Krise der bürgerlichen Familie, der allgemeine gesellschaftliche Rechtsruck und der Misserfolg des bürgerlichen Feminismus hinsichtlich der Überwindung von Frauenunterdrückung, haben unter anderem dazu geführt, dass (vermeintliche) Feminist:innen wie Alice Schwarzer vom „Transtrend“ sprechen. In Nachrichten – insbesondere in populistischen Blättern –   werden fiktive Szenarien beleuchtet, in denen angebliche Feminist:innen vor allem trans Frauen unglaubliche Dinge unterstellen, anstatt über die reale Gewalt, die trans Personen angetan wird, zu berichten. Die Kriminalstatistik zeigt jedoch: Zwischen 2018 und 2021 hat sich die Gewalt gegen queere Menschen mehr als verdoppelt. Das führt uns zur eigentlichen Gefahr: Während man in größeren Städten zwar etwas „sicherer” als in ländlicheren Gegenden ist, so ist es nicht gegeben, dass man mal „einfach so” Bahn fahren kann. Komische Blicke, Beleidigungen und die Angst vor Gewalt gehören in der Regel dazu, wenn man nicht so aussieht, wie die klassischen Geschlechterrollen es verlangen.  Das wird verstärkt durch den stetigen Rechtsruck, den wir erleben, und so steigt auch die Gefahr für gezielte Übergriffe. Selbst in vermeintlich „queerfreundlichen” Großstädten wie Berlin kommt es mittlerweile nicht nur zu verbalen, sondern auch körperlichen Angriffen.

  • Enteignet die „kulturschaffende“ Industrie (Gameentwickler, Filmproduktionen, …) und organisiert die Produktion durch Räte aus Arbeiter:innen, Zuschauer:innen und Unterdrückten!

  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Selbstverteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+! Für den Ausbau von Schutzräumen für LGBTIA+ und Unisexorte in der Öffentlichkeit!

Medizinische Versorgung

Arz-/Ärztinttermine sind generell ein rares Gut. Wer versucht hat, einen Beratungstermin beispielsweise beim/bei der Endokrinolog:in zu bekommen, weiß, dass Wartezeiten von über einem halben Jahr keine Seltenheit sind. Deswegen bedeutet der Kampf für Selbstbestimmung auch ein Kampf für die Verbesserung des Gesundheitssystems insgesamt. Das bedeutet:

  • Weg mit Privatisierung der Krankenhäuser! Nein zu deren Schließungen auf dem Land!

  • Für einen höheren Personalschlüssel und Verkürzung der Arbeitszeit für alle Beschäftigten bei  vollem Lohnausgleich!

Finanziert werden sollte das Ganze durch die Abschaffung des DRG-Systems, Abschaffung des Zweiklassen-Gesundheitssystems (also nur gesetzliche Krankenkassen statt privater), Besteuerung der Reichen und Enteignung der Klinik- und Pharmaziekonzerne. So können eine schnellere Terminvergabe sowie qualitativ bessere Betreuung gewährleistet werden. Doch nicht nur Termine sind ein Problem: Arzt-/Ärztinbesuche bei Gynäkolog:innen sowie Urolog:innen sind für viele nicht nur mit emotionalem Stress verbunden sind – sondern können auch mit Ablehnung und Unverständnis seitens Praxismitarbeitenden oder anderen Patient:innen begleitet werden. So hat laut einer Studie der deutschen AIDS-Hilfe und des RKI von 2023 fast jeder fünfte nicht-binäre oder trans Mensch (17 Prozent) bereits aus Angst vor Diskriminierung lieber auf bestimmte medizinische Leistungen verzichtet. Auch in der Apotheke kann es unangenehm werden, wenn die Mitarbeiter:innen beispielsweise einem trans Mann keine Pille danach rausgeben möchten, da in manchen Apotheken die Vorgehensweise üblich ist, dass sie Pille nur an die betroffene Frau verkauft wird. In einer Situation, wo sich viele sowieso schon gedemütigt aufgrund des gesellschaftlichen Stigmas bei Notfallverhütung fühlen, müssen trans Personen nun auch noch ihr Anliegen zusätzlich begründen.

Die Transition an sich ist auch mit vielen Hindernissen verbunden. So müssen sich trans Menschen vor einer Hormonbehandlung oder chirurgischen Eingriffen in zwei unabhängigen Gutachten unangenehmen psychosozialen Befragungen stellen, wo unter anderem intime Details über das Sexualleben und den mentalen Gesundheitszustand abgefragt werden, damit Ärzt:innen bestätigen können, dass die Person für eine solche Behandlung in Frage kommt. Das kann auch dazu führen, dass nicht-binäre trans Personen, welche den Wunsch nach einer Hormonbehandlung hegen, ihre Ärzt:innen anlügen müssen, da sie diese Hormone nur bei einer binären Transgeschlechtlichkeit verschreiben (können). Mit diesem unnötigen und beschämenden Herumstochern im Privatleben muss Schluss sein! Beratungsstellen müssen ausgebaut werden, aber die Beratung sollte sich nicht wie eine Prüfung anfühlen und letztendlich sollte es keine Fremdbestimmung durch das ärztliche Personal geben.

Für trans Jugendliche spielt auch die Frage von Pubertätsblockern eine Rolle, die verhindern sollen, dass sie in die Pubertät kommen und diesem Leidensdruck, der damit einhergeht, ausgesetzt werden, obwohl sie bereits beginnen, ihre Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Es zu begrüßen, dass trans Jugendlichen so eine Möglichkeit geboten wird, die Selbstbestimmung über die Entwicklung ihres Körpers erlangen zu können. Statt Panikmache von Alice Schwarzer und Co. und Bevormundung durch die Eltern, braucht es gute Aufklärung über die bestehenden Studien (die existieren, da Hormonblocker schon seit Jahrzehnten in anderen medizinischen Fragen eingesetzt werden) und einfach medizinische Studien für Hormon Replacement Therapie.

Zudem ist – wie auch woanders – die Medizin von gesellschaftlicher Unterdrückung geprägt. Das wird deutlich daran, dass viele Patient:innenstudien, Symptome und Medikamentenvorgaben auf Basis cis-männlicher Körper stattfinden – was beispielsweise dazu führt, dass Personen mit biologisch weiblichem Körper vermehrt an Herzinfarkten sterben, weil sie andere Symptome aufweisen oder nicht ernst genommen werden, insbesondere wenn sie nicht-weiß sind. Falsche Kategorisierung des Geschlechts der Betroffenen oder die Annahme, es würde sich um einen cis Körper handeln, können auch fatale Folgen hinsichtlich der Beratung bei Verhütungsmethoden sowie der Behandlung von Geschlechtskrankheiten oder der HIV-Prävention haben, da manche Beratungen aufgrund der Vermutung einer Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung nicht durchgeführt werden und auch hier die Präparate unterschiedlich auf die Körper wirken. Nach einer Personenstands- und Namensänderung zahlt die Krankenkasse teilweise „geschlechtsspezifische“ Behandlungen wie HPV Impfungen nicht mehr (bzw. man muss sich ihnen extra erklären und damit rumschlagen).

Viele Ärzt:innen wissen außerdem schlicht nicht, was eine HRT (Hormone Replacement Therapy) an einem Körper ändern kann und ignorieren z.B. dass bei einer Testosterontherapie das Risiko von Herzerkrankungen auf das eines cis Mannes steigt, andere körperliche Vorgänge eher wie bei cis Frauen funktionieren und wieder andere Dinge mit beidem nur noch wenig zu tun haben. Faktisch führt das dazu, dass trans Menschen oft zu Ärzt:innen gehen und ihnen erstmal ihren Körper erklären müssen. Da an der Stelle aber zu wenig Forschung existiert, es sehr kompliziert werden kann, die Beschäftigung mit dem eigenen Körper mental schwierig sein kann und die Ressourcen begrenzt sind, sind viele trans Menschen dazu verständlicherweise nicht in der Lage. Der erschwerte Zugang führt aber dazu, dass manche trans Personen sich über inoffizielle Wege Hormone besorgen müssen. Ohne medizinische Überwachung der Dosierung und Nebenwirkungen kann das aber auch sehr gefährlich für die Betroffenen enden. Das heißt, wir brauchen Forschung, Lehre und Praxis, die die Auswirkungen gesellschaftlicher Diskriminierung mit einbeziehen, sowie eine Medizin, die eine biologische Bipolarität  der Geschlechter anerkennt! Des Weiteren brauchen wir auch eine Auseinandersetzung mit der Produktion von Medikamenten und Präparaten in der Pharmazie. Die Devise heißt hier Enteignung unter Arbeiter:innenkontrolle und die Aufhebung des Patentrechts, um zu gewährleisten, dass die Produktion von Pubertätsblockern und Hormonpräparaten nicht unter Profitinteresse steht und sie auch in einer Langzeitanwendung so sicher wie möglich sind!

  • Für Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für das Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zu medizinischer Geschlechtsangleichung!

  • Schluss mit Diskriminierung: Rahmenlehrpläne in der medizinischen Ausbildung unter Kontrolle von Ärzt:innen, Arbeiter:innen und Vertreter:innen von Unterdrückten! Für breite Sensibilisierungskampagnen gegen Diskriminierung im Gesundheitssystem und den Ausbau von Gesundheitszentren speziell für Frauen und LGBTIA+!

  • Intersex vollständig legalisieren: Verbot medizinisch nicht notwendiger, kosmetischer Genitaloperationen an Kindern!

  • Rekommunalisierung und Verstaatlichung aller privatisierten Kliniken unter Kontrolle der Beschäftigten und Patient:innen, die ein Interesse an guten Arbeitsbedingungen und guter Gesundheitsversorgung haben!

  • Freier und kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln! Massiver Ausbau der Beratung und Forschung in diesem Bereich!

Staatliche Diskriminierung

Seit August 2023 ist das TSG (Transsexuellengesetz) Geschichte und wurde durchs sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz” ersetzt. Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Während man früher vor Gericht gehen musste sowie zwei psychologische Gutachten brauchte , nur um die Personenstandsänderung durchzusetzen, kann man ab Herbst 2024 Namen und Geschlecht angleichen, indem man sich 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt anmeldet. Doch für Minderjährige ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ weitaus weniger frei und eigenständig möglich. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Seine Wirksamkeit hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab.

Alle jüngeren Personen dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder welcher Name angegeben wird. Ausgeschlossen werden ebenso Personen, deren Visum bald abläuft – um zu verhindern, dass sie sich vor der Abschiebung „drücken” können. Auch im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ kann die Angleichung auch „ausgesetzt” werden, um Menschen in den Wehrdienst einzuziehen. Besonders fatal ist, dass mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine Liste erstellt wird. Das heißt: Alle trans Personen (mit ihren Deadnames und Adressen) sind den staatlichen Strukturen wie BKA, Polizei und Geheimdienst bekannt. Man benötigt keine Datenschutzexpertise, um zu wissen, dass das überhaupt nicht nötig ist, sondern vielmehr eine Gefährdung darstellt .

  • Für Selbstbestimmung über die eigene Geschlechtsidentität: Für Recht auf kostenfreien und unbürokratischen Zugang zur offiziellen Namens- und Personenstandsänderung! Gegen den Zwang, das Geschlecht in amtlichen Dokumenten anzugeben!

  • Keine Weitergabe dieser Informationen an Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst!

  • Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie! Für die automatische Eintragung queerer Eltern auf die Geburtsurkunden ihrer Kinder: mit ihren gewünschten Namen und Geschlecht!

Ursprung der Unterdrückung

Die Beispiele zeigen: Die Unterdrückung von trans Menschen ist überall zu finden. Doch wenn wir sie nicht nur oberflächlich bekämpfen wollen, müssen wir uns fragen: Woher kommt sie eigentlich?  Für uns als Marxist:innen ist die Diskriminierung von trans und anderen queeren Personen eng mit der Frauenunterdrückung verbunden. Letztere wird in der kapitalistischen Gesellschaft durch die Auslagerung von Reproduktionsarbeit (beispielsweise Kindererziehung, Pflege, Kochen, Waschen etc.) ins Private manifestiert. Kollektive Küchen, Waschhäuser oder auch Pflege könnte man gesamtgesellschaftlich organisieren und dadurch massiv Zeit einsparen (und so auch die Qualität verbessern). Doch um Kosten zu sparen, wird diese Arbeit in das Privatleben von Individuen gedrängt. Frauen tragen dabei oftmals die Hauptlast der reproduktiven Arbeit aufgrund der geschlechtlichen Arbeitsteilung, die vorherrscht. Der Stereotyp der bürgerlichen Familie macht das besonders deutlich:

Hier hat „alles seine Ordnung” und die Rollen sind klar verteilt: Der Mann ernährt als Hauptverdiener die Familie, während die Frau bestenfalls noch etwas dazuverdienen darf, sich aber hauptsächlich um den Haushalt und die Kindererziehung kümmert. Wer sich jetzt denkt, dass die 1960er Jahre angerufen haben und ihre verstaubte Lebensrealität zurückhaben wollen, hat recht. Jedoch wird diese Aufteilung nach wie vor vielerorts reproduziert: Sei es in Medien, durch Religionen, konservative Politiker:innen oder durch Gesetze, die Hetero-Zweierbeziehungen bevorzugen. Kurzum: Die bürgerliche Familie nimmt im Kapitalismus einen ideologischen Stellenwert ein, der geschützt wird. Dies geschieht nicht rein zufällig, sondern ist einfach eine Ideologie und Praxis, die für den Kapitalismus besonders profitabel ist. So werden durch das Idealbild der Familie die Erbschaftsverhältnisse der Herrschenden geregelt, während die ganze Reproduktionsarbeit der Arbeiter:innenklasse unentgeltlich im Privaten stattfindet. Menschen, die nun nicht in dieses cis- und heteronormative Gesellschaftsbild hineinpassen, sind der bürgerlichen Gesellschaft natürlich ein Dorn im Auge. Denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie eine Gesellschaftsordnung in Frage, in der es „natürlich„ scheint, dass Männer arbeiten, Frauen Hausarbeit verrichten, und es normal ist, dass nur heterosexuelle Paare Kinder bekommen. Das erklärt auch, warum insbesondere Rechte und andere Reaktionär:innen so vehement gegen Queers eintreten.  Gleichgeschlechtliche Partner:innen lieben, mehr als eine/n Partner:in haben oder eben das eigene Geschlecht angleichen lassen – all das greift die geschlechtliche Arbeitsteilung an. Diese ist jedoch notwendig, um die Familie und somit die Auslagerung der Reproduktionsarbeit ins Private aufrechtzuerhalten und somit auch der Ursprung der Unterdrückung von LGBTIA+.

  • Kampf für Reduzierung der Arbeitszeit für die gesamte Arbeiter:innenklasse, damit die Reproduktionsarbeit auf alle  verteilt werden kann und den Frauen die Teilnahme am politischen und gesellschaftlichen Leben erleichtert wird!

  • Kampf den Geschlechterrollen: Schluss mit geschlechtlicher Arbeitsteilung: Für die Vergesellschaftung der Haus- und Reproduktionsarbeit; gleichmäßige Aufteilung der übrigbleibenden privaten Tätigkeiten!

Was tun?

All diese Forderungen zu erkämpfen, wäre ein wichtiger Schritt in der Verbesserung der Situation von trans Personen. Unser Ziel muss jedoch sein, der Unterdrückung die materielle Grundlage zu entziehen. Deswegen ist für uns der Kampf für die Befreiung von LGBTIA+ verbunden mit der Notwendigkeit, die Reproduktionsarbeit zu vergesellschaften und die kapitalistische Gesellschaft zu zerschlagen!

In der Praxis setzen wir uns für einen gemeinsamen Kampf von Frauen-, LGBTIA+- und Arbeiter:innenbewegung ein. Zum einen, weil Erstere genauso Teil der Arbeiter:innenklasse sind und das Bild des „Arbeiters im Blaumann” als diese vollständig repräsentierendes veraltet ist. Zum anderen nimmt die Arbeiter:innenklasse eine Schlüsselposition ein, wenn es darum geht, Forderungen durchzusetzen. Durch ihre Stellung im Produktionsprozess kann sie durch Streiks ökonomischen Druck aufbauen und so sichern, dass Reformen durchgesetzt werden können. Sie ist auch zentral, wenn es darum geht, den Kapitalismus zu zerschlagen. Deswegen ist es unsere Aufgabe, revolutionäres Bewusstsein in die Klasse zu tragen und den gemeinsamen Kampf zu führen, um gegen existierende Vorurteile sowie Diskriminierung zu kämpfen und letzten Endes die Grundlage von LGBTIA+-Unterdrückung zu beseitigen. Um das zu ermöglichen, glauben wir, dass es notwendig ist, dass in den Organisationen der Arbeiter:innenklasse – ob nun Gewerkschaft, revolutionärer Organisation oder Partei – das Recht für gesellschaftlich Unterdrückte besteht, einen Caucus zu bilden, d. h. einen Ort, an dem sie sich unter ihresgleichen treffen können, um sich über erlebte Unterdrückung auszutauschen, ob nun innerhalb oder außerhalb der Strukturen. Dafür benötigen wir auch ein revolutionäres Programm, welches alle Forderungen, die sich auf die unterschiedlichen Ausgebeuteten und Unterdrückten beziehen, zu einem gemeinsamen Kampf verbindet.




Nein zum Gender Verbot an Schulen

Erik Likedeeler, REVOLUTION, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung 12, März 2024

Es klingt absurd, ist aber wahr: Sachsens Kultusministerium hat sich dazu entschieden, eine geschlechtergerechte Sprache in Form von Sternchen, Doppelpunkt und Binnen-I an Schulen und deren Behörden zu verbieten. Der thüringische Landtag hat beschlossen, dass Landesregierung, Ministerien, Schulen, Universitäten und der öffentliche Rundfunk nicht mehr „gendern“ dürfen. Auch in Niederösterreich haben ÖVP und FPÖ durchgesetzt, dass die Nutzung von Sternchen und Binnen-I in den Landesbehörden untersagt wird. Ein FPÖ-Sprecher betonte, es gehe darum, den „Wahnsinn des Genderns“ zu beenden. Diese Gender-Verbote stellen eine weitere Folge des gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks in unseren Schulen dar. Sie sind eingebettet in einen internationalen Rollback gegen die Rechte von FLINT-Personen, wie die Angriffe auf das Recht auf Abtreibung in den USA oder Italien oder gesetzliche Verbote für geschlechtsangleichende Maßnahmen oder Verbote von gleichgeschlechtlichen Ehen/Partnerschaften in osteuropäischen Staaten. So haben Rechtspopulist:innen auf der ganzen Welt die sogenannte „Trans- und GenderLobby“ zu einem ihrer Hauptfeinde erklärt. Auch unsere Schulen werden zur Zielscheibe ihrer Angriffe. Die zunehmenden Verwerfungen der kapitalistischen Krisen machen Teile des Kleinbürgertums und deklassierter Arbeiter:innen anfällig für diese Ideologie. So sorgen Inflation, zunehmende Konkurrenz, drohender Arbeitsplatzverlust und Sozialabbau dafür, dass viele Cis-Männer ihre zugewiesene Rolle des heldenhaften und starken Ernährers nicht mehr erfüllen können. Die Angst vor dem männlichen Macht- und Identitätsverlust wird zu einem rechten Kulturkampf umgeformt. Die Rückkehr zu konservativen Wertvorstellungen, zu einer Welt in der doch alles noch besser war, wird ihnen dabei als Lösung verkauft. Der Wirbel um den angeblichen „Wahnsinn des Genderns“ dient als Ablenkung vom eigentlichen sozialen Elend. Die klassenlose Individualisierung des Kampfes um symbolische Repräsentation soll uns davon abhalten, die eigenen Klassenunterdrückung zu erkennen.

Den Rechtspopulist:innen geht es also nicht um eine vermeintlich „richtige“ oder „einfachere“ Sprache. Es geht ihnen darum, Frauen und Queers unsichtbarer zu machen und zurückzudrängen. Dabei greifen sie tief in die Mottenkiste der homophoben und sexistischen Vorurteile, indem sie ihre Gender-Verbote damit begründen, dass es angeblich die Kinder verwirre oder in ihrer Entwicklung beeinträchtige. Unter dem Schlagwort „Frühsexualisierung“ wird nicht nur Jagt auf Gender-Sternchen, sondern auch auf die gleichberechtigte Darstellung gleichgeschlechtlicher Beziehungsmodelle im Unterricht gemacht. Die angeblichen Interessen der Schüler:innen werden hier argumentativ ins Feld geführt, ohne dass überhaupt die Schüler:innen gefragt wurden. Für den Kampf in der Schule bedeutet dies, dass wir uns nicht auf die Bildungsministerien verlassen können. Jede Errungenschaft kann scheinbar mit einem Regierungswechsel wieder zunichte gemacht werden. Schüler:innen müssen also selbst die Frage der Kontrolle über Lehrpläne und Verhaltensregeln in den Schulen stellen, um das Vordingen rechter und queerfeindlicher Ideologie in unsere Schulen zu stoppen. Was wir für eine gerechte und inklusive Bildung wirklich brauchen, sind Lehrpläne unter demokratischer Kontrolle von Organisationen der Arbeiter:innenklasse sowie Lehrer:innen und Schüler:innen. Selbige müssen selbstverwaltete Antidiskriminierungsstellen an den Schulen erkämpfen, um den Schutz von Mädchen, Frauen und queeren Personen an den Schulen zu garantieren. Es nicht das Gendern, was Schüler:innen Probleme bereitet, sondern es ist ein kaputtgespartes Bildungssystem, Lehrer:innenmangel und steigender Leistungsdruck. Doch das sächsische Bildungsministerium oder die FPÖ denken nicht einmal im Traum daran, an dieser Bildungsmisäre etwas zu verändern. Dieser Umstand entlarvt nur noch mehr, dass es ihnen lediglich im den Kampf um ideologische Vorherrschaft und das Zurückdrängen von Frauen und LGBTIA geht. Doch auch Sachsens Lehrerverband (nicht jedoch die Gewerkschaft GEW!) sieht positiv, dass das Gender-Verbot „Klarheit“ und „Barrierefreiheit“ bringen würde. Der Sprecher der FPÖ führte sogar die „Integration“ von Migrant:innen als Grund dafür an, wieso die Partei es bei „einfachen und verständlichen“ Sprachregeln belassen will.

In sprachwissenschaftlichen Studien konnte das Argument jedoch widerlegt werden, dass Gendern für das Gehirn mühsam wäre oder zusätzlichen Aufwand bedeuten würde. Anders als häufig angenommen führen geschlechtergerechte Formulierungen nicht zu langsamerer Verarbeitung, schwächerer Erinnerungsleistung oder schlechterer Lesbarkeit. Das Maskulinum hingegen führt durchaus zu Zögern bei der Verarbeitung und langsamer Reaktion, sobald es geschlechtsübergreifend gemeint ist.  Gleichzeitig sollten wir auch als Linke nicht der Illusion verfallen, dass ein bloßes Ändern unserer Sprache automatisch zu einer tatsächlichen Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse führt. Selbst, wenn nun mehr Leute geschlechtergerechte Sprache benutzen, ändert dies leider wenig am Gender Pay Gap oder der Tatsache, dass Frauen immer noch einen Großteil der Haus- und Care-Arbeit leisten. Anstatt jedoch wie manche Linke den “Kampf um eine inklusive Sprache” abzulehnen, sollten wir diesen viel eher in den Klassenkampf einbinden. Denn in Begriffen stecken implizite Sichtweisen und Wertungen, die beeinflussen können, wie wir bestimmte Gruppen und Ereignisse betrachten. Im besten Fall kann das Verwenden einer bestimmten Sprache unsere Sichtweisen einer breiteren Masse leichter zugänglich machen. Zudem vermittelt inklusive Sprache zusätzlich diskriminierten Personen, dass wir ihre Unterdrückung anerkennen und unsere Befreiungsbewegungen zusammendenken. In diesem Sinne dürfen wir uns keinesfalls der rechten Verbotskultur beugen, sondern müssen dem Gender-Verbot den Kampf ansagen! Denn das, was der bürgerliche Staat als Vertreter des Kapitals am meisten zu fürchten hat, ist eine Arbeiter:innenklasse und Jugend, die sich ihrer gemeinsamen Interessen bewusst ist und gegen die wahren Ursachen ihres Elends ankämpft.
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Queerfeminismus: die bunte Befreiung?

Aventina Holzer/Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail1235, 25. Oktober 2023

Wer in linken Kreisen unterwegs ist, ist sicher schon mal über das Wort Queerfeminismus gestolpert. Feminismus gilt hier als selbstverständlich und immer mehr, vor allem junge Aktivist:innen, bezeichnen sich als queer. Wenn beides als progressiv gilt, dann kann die Synthese nur noch besser sein. Oder …? Wir wollen in diesem Beitrag Überlegungen anstellen, was Queerfeminismus eigentlich ist und ob er eine sinnvolle Strategie zur Frauen- und Queerbefreiung ist.

Ist jetzt aber Queerfeminismus einfach nur Feminismus, der nicht nur die Gleichberechtigung von Frauen, sondern auch die von queeren Menschen anstrebt? „Heterosexismus“ wird als System erkannt, das allen Menschen, nicht nur Frauen, innerhalb derselben Logik einer binären Geschlechterordnung Unterdrückungsmechanismen aufdrängt. Tatsächlich ist der Begriff aber nicht so einfach zu verstehen. Wenn man Aktivist:innen nach ihrer Definition von Queerfeminismus fragt, herrscht meist Unklarheit oder man bekommt eine Antwort im obigen Sinn. Tatsächlich findet man etliche linke politische Organisationen, die sich offen, wenn auch selten klar und nachvollziehbar, auf einen Queerfeminismus berufen. Eine Ausnahme finden wir bei LINKS, das sich angesichts der Wiener Gemeinderatswahlen 2020 gegründet hat und den Queerfeminismus in seinem Selbstverständnis, sowie auch statutarisch, verankert hat. Das gab uns, der Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt, auch eine Motivation, dieses politische Konzept genauer zu betrachten. Eine Definition davon, was der Begriff politisch eigentlich aussagen soll, wurde in LINKS bisher selten und wenn, doch sehr stark unterschiedlich beschrieben.

Viel öfter als den expliziten Bezug auf Queerfeminismus finden wir politische Ausrichtungen wie beim Bündnis „Take back the streets!“, welches mittlerweile in Wien die jährliche Demonstration am 8. März veranstaltet. Dabei wird ein Feminismus vertreten, welcher die Unterdrückung von homo-, bi-, intersexuellen und agender Menschen sowie solchen mit nichtbinärer, trans oder queerer Geschlechtsidentität neben die frauenspezifische stellt und sie alle quasi gleichberechtigt oder auf derselben Ebene behandelt. Ohne das an dieser Stelle bewerten zu wollen, soll damit gesagt sein, dass ein Feminismus weitere Verbreitung findet, welcher LGBTQIA+-Personen inkludiert und gleichberechtigt mit Frauen repräsentieren möchte.

Bei der Österreichischen Hochschüler:innenschaft an der Fachhochschule Campus Wien finden wir ein Referat für Queerfeminismus. Dieses kümmere sich „um alle Anliegen betreffend Genderidentität(en) und Feminismus. Es stellt Deine Anlaufstelle bei Problemen mit Diskriminierung Deiner/n Genderidentität(en) und sexueller Orientierung dar und kämpft für gleiche Studienbedingungen, unabhängig von diesen Faktoren.“

Die „feministische“ Gegenposition zu diesem „inklusiven“ Herangehen hängt sich meist an der (Nicht-)Inklusion von trans Personen auf. Durch die Integration von trans Frauen in den Feminismus und in Frauenräume würden die Stellung von Frauen und deren Anliegen unterminiert oder ihre Schutzräume gestört (so etwa bei der Debatte um die Nutzung von Frauentoiletten). Im Juni 2023 kam es zu einer aufgeregten Diskussion, als die Nationalratsabgeordnete der Grünen, Faika El-Nagashi, an einer Kundgebung der transfeindlichen Initiative „Let Women Speak“ teilnahm. Dort sah man Schilder mit „Men are not Women“ und hörte den Slogan „Keine Frau hat einen Penis!“ Danach teilte sie auch weitere transfeindliche Inhalte, anstatt sich davon zu distanzieren.

Wovon reden wir?

Worum geht es also bei diesen Debatten? Was ist Queerfeminismus? In einem Artikel des deutschen Magazins stern findet man beispielhaft eine gewisse populäre Auffassung: „Im Queerfeminismus geht man also nicht davon aus, dass es nur Mann und Frau, sondern eine breite Palette an Geschlechtern und Sexualitäten gibt. (…) Unter Queerfeminismus versteht man also auch den Kampf für Gleichheit, Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter und Identitäten.“ Das entspricht dem Verständnis, das wir eingangs bereits beschrieben haben.

Auf Wikipedia findet man ein paar wenige, aber doch substantiellere Angaben. Dort heißt es, der Queerfeminismus gehöre zur Dritten Welle des Feminismus, genauer zum dekonstruktivistischen Feminismus, und richte sich sowohl gegen Heteronormativität als auch binäre Geschlechterordnung. Viel gesagt ist damit jedoch immer noch nicht.

Eine genauere Definition findet man auf der Website feministisch-veraendern.de. Hier heißt es: „Queerfeminismus kann insbesondere in den deutschsprachigen Auseinandersetzungen als feministische Strömung bezeichnet werden, die sich in Bezugnahme auf Queer Theory in ein akademisches (erkenntnistheoretisches) und ein politisches Projekt ausdifferenzieren lässt. (…) Die erkenntnistheoretische Dimension queerfeministischer Debatten geht davon aus, dass Sexualität, geschlechtliche Identität und Körper nur durch eine Matrix kulturellen Wissens erfahr- und verstehbar sind. (…) Queerfeministische Praxis nutzt den Modus der störenden Performanz (Butler 1995: 35), um etablierte kulturell vergeschlechtlichte Praxen und Konzepte zu »durchqueeren« und zu unterwandern, von der Sprache bis hin zu habituellen Merkmalen wie zum Beispiel Kleidungsstilen oder auch Alltagspraktiken, die geschlechtlich gelesen werden. Dominante Repräsentationen, die sich ständig reproduzieren, werden subversiv aufgebrochen.“ Das klingt schon klarer, wenn auch kompliziert.

Klärung grundsätzlicher Begriffe

Damit die Sache nicht noch komplizierter wird, wollen wir zuerst mit einer Abgrenzung des Begriffes von anderen, klarer abgesteckten beginnen, bevor wir nochmal einen Blick auf die genaue Bedeutung des Begriffes „Queerfeminismus“ werfen.

Queer: (aus dem Englischen) bedeutet ursprünglich „seltsam“ oder „eigenartig“ und wurde lange Zeit als Schimpfwort für Menschen benutzt, die von den vorherrschenden, heterosexuellen Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht abweichen, insbesondere homo-, trans- und intersexuelle Personen. Es wird seit einiger Zeit aber als positive Selbstbezeichnung verwendet.

Geschlecht: Im Feminismus begann man mit der Unterscheidung eines sozialen Geschlechts oder einer Geschlechterrolle („gender“) von einem biologischen Geschlecht („sex“), das im Zusammenhang mit der menschlichen Fortpflanzung steht. Auf diese Weise sollte die Auffassung erleichtert werden, dass weibliches Verhalten und die Aufgaben, die Frauen gesellschaftlich zugeschrieben werden, nicht mit einer weiblichen Natur gleichzusetzen sind. Dadurch konnte die Geschlechterrolle Frau als gesellschaftlich konstruiert debattiert werden. Der dekonstruktivistische Feminismus und die Queertheorie, die von Judith Butler maßgeblich geprägt wurden, gehen hier einen radikalen Schritt weiter und fassen auch das biologische Geschlecht als sozial konstruiert auf (womit nicht gemeint ist, dass es keine anatomischen Körper gibt).

Dekonstruktivismus: Eine philosophische Strömung, stark geprägt durch Jacques Derrida, in der – vereinfacht gesagt – die Bedeutung von „Text“ kritisch untersucht und seine Grundannahmen aufgedeckt und hinterfragt werden. Dabei ist Text nicht einfach das geschriebene Wort, sondern eigentlich im Sinne Derridas praktisch alles, was Bedeutung trägt.

Queertheorie: Die wohl wichtigste Vertreter:in ist Judith Butler, welche in den 1990er Jahren die Queertheorie mit dem Buch „Gender Trouble“ (dt.: Das Unbehagen der Geschlechter) prägte. Butler setzt mit einer Kritik am Feminismus an, welcher sich auf das in einer binären Geschlechterordnung befangene Subjekt Frau stützt und damit Ausschließungen produziert. Butler untersucht diskursiv, wie diese binäre Geschlechterordnung aus einem heterosexuellen Zwangssystem folgt und worin eine subversive Strategie besteht.

Identitätspolitik: Die Identitätspolitik geht auf das Combahee River Collective zurück. Die Idee dabei lautet, dass eine Gruppe mit einer bestimmten Identität am besten die eigenen Interessen vertreten sollte und sie das Mittel ist, um kollektive Handlungsmacht zu stärken. Das Problem dabei ist nicht, dass Identität schlecht und ausgrenzend ist oder Betroffene nicht selbst gegen ihre Unterdrückung kämpfen sollen. Es entsteht dann, wenn Betroffene nicht über den Rahmen der eigenen Erfahrung und Betroffenheit hinausgehen und darauf aufbauend ihre Unterdrückung im Kontext der kapitalistischen Klassengesellschaft begreifen und bekämpfen wollen.

Nachdem wir diese Begriffe ungefähr geklärt haben, wollen wir einen Überblick über die Queertheorie geben, da sie den theoretischen Kern sowie praktischen Bezugspunkt des Queerfeminismus bildet. Im weiteren Verlauf wollen wir noch eine marxistische Kritik daran vorstellen sowie strategisch-programmatische Ansätze für die Frauen- sowie LGBTQIA+-Befreiung.

Zur Butlers Queertheorie

Judith Butler hat die Queertheorie maßgeblich geprägt, wenn nicht gar begründet. Dabei erstreckt sich das theoretische Werk über mehrere Bücher, angefangen in den 1990er Jahren mit dem „Unbehagen der Geschlechter“. Darin wird der Zusammenhang von Geschlecht, Körper und Macht diskutiert. Macht ist dabei, abstrakt gefasst, alles durchdringend und konstituiert Diskurs, Wirklichkeit und Wahrheit. Der Diskurs bezeichnet die mitunter sprachliche Praxis, die systematisch die Wirklichkeit bildet und ordnet. Es handelt sich hier also um eine Philosophie, die sich unter anderem an Michel Foucault anlehnt. Die Untersuchung von Diskursen und ihre Verortung in Machtprozessen nennt sich Genealogie. Sie sucht nicht nach der Wahrheit hinter den Kategorien, sondern entlarvt diese als Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen. Butler versucht eine Genealogie der Geschlechterbinarität. Darunter versteht man die Auffassung in unserer Gesellschaft, dass es zwei Geschlechter gibt, nämlich jene von Mann und Frau. Butler stellt die Frage, wie der Körper zu einem Geschlechtskörper wird und warum es dabei nur zwei Geschlechter gibt. Das ist insofern relevant, weil Butler das biologische Geschlecht selbst als sozial konstruiert betrachtet und der Zweigeschlechlichkeit die theoretische Unendlichkeit von Geschlecht entgegenhält. Dem bisherigen Feminismus unterstellt Butler, dass er die binäre Geschlechterordnung bestätigt und mit der Vorstellung einer homogenen Gruppe „Frauen“ Ausschlüsse produziert. Es geht dann nicht einfach darum, die Unterdrückung zu bekämpfen, sondern jene Begriffe zu dekonstruieren, welche die Unterdrückung erst ermöglichen.

Performativität

Wenn man Geschlechterbinarität von klein auf gewohnt ist, wenig mit Queertheorie zu tun hatte und vielleicht die klassisch-feministische Trennung von sex und gender verinnerlicht hat, mag es zunächst schwer begreiflich sein, wie Butler zu diesen Ansichten kommt. Wie schon erwähnt, ist sie von Foucault beeinflusst und stützt sich auf dessen Begriff von Macht und Genealogie. In dieser Perspektive lautet die Frage nicht, was der biologische Kern des weiblichen oder des männlichen Geschlechts ist. Sie lautet vielmehr, durch welche Mechanismen das Geschlecht als biologische Eigenschaft des Körpers erscheint. Die bedeutende Rolle kommt hier dem Begriff der Performanz (engl.: Performance = Darstellung, Inszenierung) zu. Butler lehnt sich damit an ein Konzept des Sprachphilosophen John Langshaw Austin an. Dieser bezeichnet „performative Sprechakte“ als jene, die das, was sie bezeichnen, auch in Kraft setzen bzw. erzeugen. Sprache schafft hier also Wirklichkeit. Das klassische Beispiel ist der Ausruf bei der Geburt: „Es ist ein Junge!“ oder „Es ist ein Mädchen!“ Die Wirkmächtigkeit besteht hierbei im wiederholten Zitieren von Normen bzw. in der ständig wiederholten Macht des Diskurses.

Die heterosexuelle Matrix

Butler vollzieht die Abtrennung von Geschlecht und Geschlechtsidentität vom Körper. Geschlecht wird nun am Körper über gewisse Merkmale markiert. Diese bilden aber die Wirkung von Vorgängen, welche das Geschlecht auf den Körper zurückführen. Das geschehe über eine binär organisierte, heterosexuelle Matrix, die in ihrer Entstehung auf die Erkenntnispolitik der Humanwissenschaften zurückgehe und selbst der Performanz unterliege. Vor allem Gynäkologie und Sexualwissenschaft im 19. Jahrhundert waren bemüht, eine Einheit zwischen dem sozialen Geschlecht und der Anatomie des Körpers herzustellen. Letztlich sei dieser Versuch aber gescheitert. Es gebe kein eindeutiges Kriterium zur Geschlechtsbestimmung, was herauskomme, sind nur die Durchschnitte männlicher und weiblicher Geschlechtsmerkmale. Wo gender war, wird sex. Geschlecht erscheint bei Butler als Wirkung eines zwangsordnenden Regimes der Heterosexualität. Das dient letztlich einer auf Fortpflanzung ausgerichteten Körper- und Bevölkerungspolitik.

Möglichkeiten des Widerstands

Die Macht schlägt sich im Individuum und seiner Psyche nieder, wo sich dieses unbewusst selbst normativ diszipliniert (Stichwort: Gewissen). Dabei ist es nicht so, dass sich ein schon vorhandenes Subjekt erst dieser Macht unterordnet, sondern es wird mit seiner Erzeugung zeitgleich unterworfen. Die Unterwerfung ist Bedingung seiner Existenz. Die Subjektbildung ist aber nie vollständig abgeschlossen und die Anweisung zu einer bestimmten Geschlechtsidentität unterliegt Verfehlungen. In der Möglichkeit der Reflexion des Subjekts liegt das Potential zu Widerstand und Subversion. „Queer“ ist bei Butler nun der politische Ausdruck des von der Norm Abweichenden, Namenlosen, das nun benannt werden kann und die Möglichkeit eröffnet, Bereiche des Psychischen und des Gesellschaftlichen zu verschieben. Das gelingt in der Strategie der Queertheorie in einer Politik des Performativen. Sozial autorisierte Kontexte von Sprechakten können durch performative Verschiebung durchbrochen werden, indem ein Sprechakt eine nichtkonventionale Bedeutung erhält. Die Mittel dafür sind etwa Parodie, Travestie und Geschlechterinszenierung, wie das Experimentieren mit alternativen Identitätsformen. Beispielsweise unterläuft Drag (z. B. Dragqueen) die Vorstellungen von Geschlechternormen. Das politische Ziel liegt in der Vermehrung und Vervielfältigung kultureller Konfigurationen von Geschlecht.

Kritik der Queertheorie

Was ist nun das Problem an der Queertheorie? An sich klingt es ja fortschrittlich, die starren Geschlechtervorstellungen in unserer Gesellschaft aufzubrechen. Tatsächlich liegt es auch nicht in diesem Anspruch, sondern einerseits auf der theoretisch-philosophischen Ebene, andererseits auf der praktisch-politischen. Diese beiden Ebenen sind miteinander verknüpft, was man hoffentlich aus der obigen Darstellung der Theorie erkennt.

Zum Theoretischen: Butler versucht darzustellen, wie Geschlecht konstruiert wird, nämlich als Effekt einer heterosexuellen Zwangsordnung. Dabei ist es durchaus nicht uninteressant, welche Rolle performative Sprechakte spielen. Allerdings ist es problematisch, auf dieser Ebene der Analyse zu verbleiben. Was steht hinter dem Zwang zur Heterosexualität? Butlers Genealogie liefert zwar Ansätze zum Verständnis, wie die heterosexuelle Matrix zustande kommt, aber letztlich ist die historische Perspektive nur schwach ausgeprägt und ein historisch-materialistischer Zugang fehlt nicht nur, sondern wird bewusst abgelehnt. Das liegt an der diskurstheoretischen Auffassung selbst. Die Materialität des Körpers ist nicht etwas objektiv Gegebenes, das erkannt werden kann, sondern immer schon kulturell. Gesellschaft und ihre symbolische Ordnung materialisieren sich im Körper, der Diskurs erzeugt die Materie. Das ist letztlich eine philosophisch-idealistische Position, die die Bedingungen für Geschlechterbinarität nicht richtig erfasst und dadurch auch keine adäquate Strategie zur Befreiung von geschlechtlicher Unterdrückung liefert.

Zum Praktischen: Butlers Strategie verbleibt auf der Ebene des Performativen. Dabei ist es, wie gesagt, nicht verkehrt, starre Geschlechterrollen und Geschlechtsidentitäten aufzubrechen. Allerdings ist das kein geeigneter Ansatz, um das Problem an der Wurzel zu packen, welche nämlich in der sozialen Reproduktion und der bürgerlichen Familie liegt. Um hier anzusetzen, braucht es eine Strategie des ökonomischen und politischen Klassenkampfs, der mit dem Aufbrechen von Geschlechterrollen verbunden werden kann und die Grundlagen legt, diese auch wirklich abzuschaffen.

Ein marxistisches Verständnis von Geschlecht

Geschlecht hängt nicht im luftleeren Raum oder schlichtweg an einer auf Fortpflanzung ausgerichteten Bevölkerungspolitik. Es manifestiert sich historisch in Relation zur menschlichen Fortpflanzung. Damit ist nicht gesagt, dass Geschlecht biologisch und sozial nicht darüber hinausgeht, dass ein Mann ohne Hoden kein Mann sein könne, eine Frau ohne Uterus keine Frau usw. Nur weil es keinen fixen Punkt gibt, der für alle Zugehörigen eines Geschlechts gleich und für Geschlecht in seiner Totalität determinierend ist, heißt es aber auch nicht, dass es keine Grundlage hätte. Zur Reproduktion der menschlichen Spezies bestehen zwei qualitative Pole, die historisch, biologisch männlich und weiblich genannt werden und anhand derer Geschlecht sozial vermittelt ist. Wichtig ist hier, dieses zweigepolte Spektrum nicht mit einer Binarität (entweder das eine oder das andere) zu verwechseln. Auf Grundlage der Reproduktionsfähigkeit lässt sich historisch eine geschlechtliche Arbeitsteilung feststellen, die mit dem Aufkommen des Privateigentums und der Klassengesellschaft verstetigt und mit einer gesellschaftlichen Unterdrückung verbunden wurde. Daran sind soziale Vorstellung von Geschlecht und Sexualität als männlich und weiblich geknüpft. Natürlich gibt es biologisch und sozial geschlechtliche Ausprägungen dazwischen, die historisch entweder in einer gewissen Form akzeptiert oder unterdrückt sind. Im Kapitalismus ist die soziale Reproduktion zu einem großen Teil in Form der bürgerlichen Familie organisiert, also in den privaten Haushalt der Kleinfamilie gedrängt. Auch wenn diese Struktur Zerrüttungen unterworfen ist, ist es für das Kapital die ökonomisch sinnvollste Form, das Aufziehen von Kindern, die Hausarbeit und Formen physischer und psychischer Pflegearbeit der unbezahlten, vorwiegend weiblichen, Arbeitskraft aufzubürden.

Strategie zur Befreiung

Eine Strategie zur geschlechtlichen und sexuellen Befreiung muss an der geschlechtlichen Arbeitsteilung ansetzen und mit ihr die starre Form der bürgerlichen Kleinfamilie aufheben. Das geschieht durch Formen der Vergesellschaftung von Reproduktionsarbeit, sodass die Familie nicht mehr die „kleinste ökonomische Einheit“ in der Gesellschaft bleibt. Das bedeutet den Ausbau von Pflege, Kinderbetreuung, kollektive und kollektivierte Formen der Hausarbeit (Kantinen, Wäschereien etc.), die Stärkung der ökonomischen Unabhängigkeit von geschlechtlich und sexuell Unterdrückten und alternativen Formen des Zusammenlebens. All das kann natürlich nicht von heute auf morgen passieren und es gibt viele andere Aspekte, die nicht auf dieser politisch-ökonomischen Ebene liegen, für die es heute zu kämpfen gilt. Dazu zählt insbesondere das Recht auf sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung, dazu zählt immer das auf eine eigene Geschlechtsidentität. Die Kämpfe darum sind keineswegs irrelevant oder nachgeordnet, aber ohne Umgestaltung der ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft bleiben ihre Erfolge begrenzt.

Queerfeminismus: ja oder nein?

Wie sollte man gemäß diesen Ausführungen also zum Queerfeminismus stehen? Aufgrund der schwammigen politischen Konzeption und der dekonstruktivistischen, irreleitenden theoretischen Basis lehnen wir für uns eine Selbstzuschreibung als queerfeministisch ab und tun dies auch in politischen Zusammenhängen, in denen wir aktiv sind, z. B. LINKS. Gleichzeitig wollen wir uns nicht sektiererisch oder gar unsolidarisch gegenüber Kräften und Aktivist:innen verhalten, die sich in die queerfeministische Strömung einordnen. Sofern es praktische Überschneidungen im Kampf um Frauen- oder LGBTQIA+-Befreiung gibt, und davon gibt es etliche, wird eine Zusammenarbeit auch sinnvoll sein. Somit ist es für uns selbstverständlich, dass wir uns in diese Kämpfe einreihen und sie als integralen Teil des Klassenkampfs begreifen. Dabei verteidigen wir auch die Einbeziehung von trans Frauen in die Frauenbewegung sowie die Zusammenführung von Kämpfen rund um queere Identitäten. Wir wollen, so gut es geht, miteinander in einer starken Arbeiter:innenbewegung für unser aller Rechte kämpfen. Dabei bekämpfen wir natürlich auch Exklusionen innerhalb ihrer.

Wir sind aber dagegen, die Fragen vom Kampf gegen geschlechtliche und sexuelle Unterdrückung inhaltlich zu stark zu vermischen, wie es beispielsweise bei der Verwendung des FLINTA*-Begriffs (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) passieren kann, denn hier stehen zum Teil unterschiedliche Forderungen im Vordergrund. Beispielsweise wird der FLINTA*-Begriff häufig für Themen verwendet, wo es eigentlich klar ist, dass sich Frauen davon angesprochen fühlen sollen, was wiederum FLINTA* zu einem reinen Ersatz-Begriff für Frauen macht und die anderen Identitäten wieder in den Hintergrund rücken lässt oder umgekehrt. Darüber hinaus ist beispielsweise die Frage von Kinderbetreuung eine, die Mütter eher betrifft als homosexuelle Männer, während sich viele Frauen von der Frage eines dritten Geschlechtseintrags in offiziellen Dokumenten nicht betroffen fühlen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nicht mit den Anliegen verschiedener Gruppen (auch praktisch) solidarisieren müssen. Nur eine saubere inhaltliche Analyse erlaubt zielgerichtete Forderungen. Letztlich wollen wir diese Kämpfe gemeinsam im Sinne eines solidarischen Klassenkampfs führen, der den Zusammenhang von geschlechtlicher sowie sexueller Unterdrückung mit dem Kapitalismus erkennt und den Kampf um Befreiung mit einer revolutionären, sozialistischen Perspektive verbindet.




Der Wahn vom „Gender-Wahn“

Warum sich Rechte aufs Gendern einschießen

Stefan Katzer, Neue Internationale 276, September 2023

Der Aufschwung der Rechten geht einher mit einem Erstarken nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideologien und Diskurse.

Doch das ist längst nicht alles. Besonders die Ablehnung der von diesen Akteur:innen so bezeichneten „Gender-Ideologie“ und die Bekämpfung der Rechte von Frauen und LGBTQIA-Personen stiften Zusammenhalt und wirken mobilisierend auf die verschiedenen Strömungen innerhalb der reaktionären Melange aus konservativen, christlichen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Kräften.

Der Aufschwung der Antigender-Bewegung

Ursprünglich vor allem von Vertreter:innen der katholischen Kirche und konservativer Parteien ins Visier genommen, ist die „Gender-Ideologie“ heute eines der Hauptangriffsziele fast aller rechten und konservativen Parteien und Gruppierungen. Die ersten eindeutigen Anti-Gender-Kampagnen entstanden Mitte der 2000er Jahre in Ländern wie Spanien, Kroatien, Italien und Slowenien. Sie richteten sich zunächst hauptsächlich gegen die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe oder die Sexualaufklärung an Schulen.

Mit den Massenprotesten in Frankreich im Jahr 2012 zur Verhinderung der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe erreichte die Bewegung ihren vorläufigen Höhepunkt. Im Anschluss daran breitete sie sich auch in Deutschland, Italien, Polen, Russland und der Slowakei aus.

In Bezug auf die USA konnte Joanna Wuest detailliert aufzeigen, wie Teile der herrschenden Klasse bereits seit der Präsidentschaft Ronald Reagans intensiv daran arbeiteten, ein reaktionäres Netzwerk aus religiösen Traditionalist:innen und rechten Gruppierungen aufzubauen. In diesem Zusammenhang kam es zur Gründung zahlreicher Thinktanks und Lobbygruppen, deren politisches Ziel vor allem darin besteht, den Unmut über die wachsende soziale Ungleichheit in eine für das Kapital genehme Bahn zu lenken. In den USA seien Kapitalverbände seit Langem bemüht, sich den Rückhalt für ihren Widerstand gegen jede Umverteilung von oben nach unten dadurch zu sichern, dass sie an konservative Gesellschaftsnormen appellieren.

Als Beispiel nennt Wuest die Heritage Foundation, die seit ihrer Gründung im Jahr 1973 zusammen mit gleichgesinnten Gruppierungen gegen die Homo-Ehe und gegen Bürger:innenrechte für trans Menschen kämpft und sich ansonsten vor allem für einen „freien Markt“ starkmacht. Milliardenschwere Familienunternehmen und -stiftungen wie die von Charles Koch, Betsy DeVos oder Lynde und Harry Bradley sowie Wirtschaftsverbände wie das American Legislative Exchange Council mischen auf diesem Feld mit und finanzieren transfeindliche Gruppierungen aller Art, bis hin zu transfeindlichen Radikalfeminist:innen wie etwa die Women’s Liberation Front.

Es ist also offensichtlich, dass auf Seiten des Kapitals und seiner politischen Handlanger:innen großes Interesse daran besteht, die Spaltung der Lohnabhängigen weiter zu vertiefen, um sich selbst aus dem Schussfeld zu nehmen. Denn das, was die Kapitalist:innen am meisten fürchten, ist eine geeinte, sich ihrer gesellschaftlichen Lage und Macht bewusst werdende Arbeiter:innenklasse, die die wirklichen Ursachen ihres Elends erkennt und bereit ist, dagegen zu kämpfen.

Angriffe auf die Rechte von LGBTIAQ-Personen, die reproduktiven Rechte von Frauen und die Reproduktionsmedizin sowie die Aufklärung über Sexualität und Geschlechtergleichstellung stehen seither im Fokus dieser kräftig bezuschussten Bewegung. Dabei werden nicht nur die Rechte von Frauen und LGBTQIA-Personen angegriffen, sondern häufig die Personen selbst.

Sowohl der Attentäter von Utøya, der 2011 insgesamt 77 Menschen ermordete, als auch jener von Christchurch, der 51 Menschen tötete, schwadronierten in ihren „Manifesten“ von der Gefahr des Feminismus und des Gender-Mainstreamings. Neben rassistischen waren somit auch antifeministische Ideologeme Bestandteil der irrationalistischen Weltanschauungen dieser rechtsextremen Massenmörder. Frauen- und Transfeindlichkeit sind integraler Bestandteil ihrer Ideologie.

Dies geht einher mit der Überhöhung einer Form heroisch-soldatischer Männlichkeit, die sich durch Härte und Durchsetzungsvermögen auszeichnet, und deren angeblicher Verlust in den durch Feminismus und Gender-Mainstreaming weichgespülten westlichen Gesellschaften beklagt wird. Bedroht seien nicht nur „echte Männer“, sondern ebenso die traditionelle Familie, die vermeintlich natürliche Geschlechterordnung sowie die spezifischen Rollenzuweisungen, die damit einhergehen.

Weiblichkeit wird dabei vor allem mit Nähe, Emotionalität und Fürsorglichkeit assoziiert, während Männlichkeit mit Durchsetzungsvermögen, Tatkraft und Autonomie in Zusammenhang gebracht wird. Die Rolle des Mannes wird darin gesehen, die Familie mit dem notwendigen Einkommen zu versorgen, während Frauen die Aufgabe zufällt, sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern.

Sexistische Unterdrückung und Weiblichkeitsabwehr

Dieses tradierte Rollenverständnis korrespondiert mit der vorherrschenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der ihr zugrundeliegenden Trennung von gesellschaftlicher Produktion und privater Reproduktion. Diese bildet die materielle Grundlage der Unterdrückung von Frauen und LGBTQIA+-Personen und der binären Unterscheidung der Geschlechter.

Dabei ist die Entstehung der Frauenunterdrückung zwar durchaus mit der Gebärfähigkeit der Frauen verbunden. Die geschlechtlich ungleiche Verteilung der Reproduktionsarbeit kann aber nicht nur aus biologischen Faktoren erklärt, sondern muss vielmehr aus der historischen Entwicklung begriffen werden.

Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit

Die gesellschaftlich notwendige, meist von Frauen geleistete Hausarbeit ist unter kapitalistischen Produktionsbedingungen vom Produktionsprozess real ausgeklammert und findet „privat“ statt. Obwohl sie als notwendige Arbeit für die Reproduktion der Gesellschaft unerlässlich ist, ist sie keine produktive Arbeit, da sie keinen Mehrwert für das Kapital produziert. Die Frauen erhalten für diese Tätigkeiten auch keinen Lohn. Falls sie einer Lohnarbeit nachgehen, leiden sie häufig unter einer Doppelbelastung. Im Beruf werden sie für die gleiche Arbeit zudem im Durchschnitt schlechter bezahlt als ihre männlichen Kollegen. Ihr Lohn gilt häufig als Zuverdienst, während der Mann als „Ernährer“ der Familie gilt. Damit einhergehend werden die meist von Männern ausgeführten Tätigkeiten höher bewertet als jene meist von Frauen übernommenen und der Sphäre der „Weiblichkeit“ zugeschriebenen Tätigkeiten und Werte.

Die Frauenunterdrückung ist dabei keine „Erfindung“ des Kapitalismus. Dieser hat vielmehr die bereits zuvor bestehenden Formen der Ungleichheit aufgenommen und den Bedürfnissen der kapitalistischen Verwertung entsprechend transformiert. Aufgrund der langen Geschichte der Frauenunterdrückung ist es nicht verwunderlich, dass vielen diese Form der sexistischen Unterdrückung als „natürlich“ erscheint. Dabei werden geschlechtliche Merkmale aber letztlich nur herangezogen, um ein gesellschaftliches Unterdrückungsverhältnis mit Verweis auf vermeintlich naturgemäße Eigenschaften, Vorlieben und Fähigkeiten zu legitimieren.

Krise der bürgerlichen Familie

Im Kapitalismus bildet die bürgerliche Familie eine zentrale Institution für die Vermittlung und Reproduktion der reaktionären, heteronormativen Geschlechterrollen, Geschlechtsidentitäten und heterosexuellen Orientierung auf der Grundlage der sexuellen bzw. geschlechtlichen Arbeitsteilung. Für Konservative und rechte Kräfte ist die bürgerliche (Kern-)Familie heilig. Sie gilt ihnen als vermeintlich überhistorische – wahlweise von Gott oder der Natur vorgesehene – Form des menschlichen Zusammenlebens. Dabei ist ihr Bestehen aufs Engste mit dem Aufkommen des Kapitalismus verbunden. Wie die derzeitige Krise der bürgerlichen Familie zudem deutlich macht, ist ihr Bestehen für den größten Teil der Lohnabhängigen und Unterdrückten in Wirklichkeit abhängig von einem bestimmten Stand der kapitalistischen Akkumulation.

Während es nach dem Zweiten Weltkrieg für große Teile der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Zentren möglich wurde, das bürgerliche Familienideal zu realisieren, unterhöhlte die kapitalistische Expansion diese Form des Zusammenlebens, da nun auch Frauen zunehmend als Arbeitskräfte gebraucht wurden.

In den letzten Jahrzehnten verschlechterten sich die Lebensbedingungen für viele Familien dramatisch. Die kapitalistische Verwertungskrise und die ihr von politischer Seite entgegengesetzten Maßnahmen in Form von Deregulierung, Lohnsenkungen, Privatisierungen und der Zerstörung sozialer Sicherungssysteme unterhöhlen objektiv die bürgerliche Familie als Form des Zusammenlebens. Damit einhergehend werden auch die Geschlechterrollen der Familienmitglieder unterminiert.

Vor diesem Hintergrund bilden der seit den frühen 2010er Jahren erstarkende Antifeminismus und Antigenderismus eine Form der projektiven, reaktionären Verarbeitung persönlicher und gesellschaftlicher Krisenerfahrungen, deren zentraler Mechanismus darin besteht, verstärkte soziale Ängste speziell von Männern aufzugreifen und sie umzuformen. Die Infragestellung der herrschenden Rollenbilder und des diesen zugrundeliegenden Systems der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wird tabuisiert. Mehr noch, sie wird mit eine angeblich „besseren“ Zeit ideologisch verknüpft. Wer Familie und reaktionäre Geschlechterrollen angreift, attackiert in dieser Weltanschauung auch die soziale „Sicherheit“.

In die allgemeine ängstigende Wahrnehmung gesellschaftlicher Krisen ist somit eine spezifische Form männlicher Furcht verwoben. Um dies besser nachvollziehen zu können, ist es notwendig, auf die grundlegenden Momente männlicher Subjektkonstitution näher einzugehen.

Männlichkeit als soziales Konstrukt

Zentral ist dabei die Einsicht, dass „Männlichkeit“ keine überhistorische Eigenschaft von Personen mit männlichen Geschlechtsmerkmalen darstellt, sondern ein äußerst wandelbares kulturelles und psychosoziales Konstrukt, das im Laufe der Sozialisation hergestellt und mittels Identifizierung mit bestimmten Personen und/oder (von diesen verkörperten) Idealen aktiv angeeignet wird. Die Ausbildung einer Geschlechtsidentität erfolgt somit in der Interaktion des Kindes mit den primären Bezugspersonen in der von Normen der „Männlichkeit“ geprägten Gesellschaft.

Diese Interaktion ist gekennzeichnet durch die einseitige Abhängigkeit des Kindes von den Eltern (oder anderen primären Bezugspersonen). Da der Säugling seine grundlegenden physiologischen Bedürfnisse nicht eigenständig befriedigen kann, ist er darauf angewiesen, von anderen mit Nahrung, Wärme und emotionaler Zuwendung versorgt zu werden. In dieser körperlichen Interaktion zwischen primärer Bezugsperson und Säugling werden zugleich die Triebe des Säuglings geweckt, geformt und mit bestimmten (phantasmatischen) Objekten verknüpft.

Die primären Bezugspersonen sind für das Kind so zum einen „Objekte“, mit denen es positive Erfahrungen verbindet, da es von diesen genährt und versorgt wird. Zugleich kommt es selbst dann, wenn die primären Bezugspersonen sich bei der Versorgung des Kindes größte Mühe geben, unweigerlich zu Situationen, in denen die Befriedigung eines Bedürfnisses nicht unmittelbar erfolgen kann und der Säugling frustrierende Erfahrungen macht.

Das „Objekt“ ist somit ambivalent besetzt. Ein früher Modus des Umgangs mit dieser Ambivalenz – und als etablierte Form der Abwehr zugleich Grundlage für spätere Projektionen – ist die phantasmatische Spaltung des zugleich befriedigenden wie Unlust bereitenden Objektes. Dabei wird das „böse“, die Befriedigung elementarer Bedürfnisse versagende Objekt außen verortet. Es ist für das Kind mit der Erfahrung existenzieller Not verbunden und wird deshalb von diesem gehasst. Umgekehrt wird das „gute“, befriedigende Objekt innen verortet, d. h. dem eigenen Ich zugerechnet. Diese Phase der narzisstischen Selbstidealisierung ist mit der Konstitution des Ich aufs Engste verknüpft, da der Säugling erst in dieser Interaktion mit der Außenwelt allmählich eine Vorstellung von innen und außen, von Ich und Objekt entwickelt.

„Das Subjekt entsteht so in der Spannung zwischen Narzissmus und Objektliebe, zwischen Trennungsbestreben gegenüber den primären Beziehungspersonen und zugleich der ständigen Angewiesenheit auf sie. […] Auch wenn das Subjekt später lernt, die beiden Teile mehr zusammenzubringen […], das dargestellte Dilemma, das auch als Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt beschrieben werden kann, bleibt für immer bestehen. Das Begehren hat einen Riss, einen Mangel im werdenden Subjekt produziert, der nicht mehr zu kitten ist.“ (Brunner 2019: S. 24f.)

Das Entscheidende für das Verständnis der den Antigender-Diskurs prägenden affektiven Dynamik besteht nun darin, die Ausbildung der männlichen Geschlechtsidentität als einen Abwehrmechanismus zu begreifen, der auf die mit dem beschriebenen Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt auftretenden innerpsychischen Spannungen mit der Ausbildung einer „männlichen Identität“ antwortet, welcher die Abwertung des mit Abhängigkeit assoziierten „Weiblichen“ und die Privilegierung des mit Autonomiewünschen verknüpften „Männlichen“ von Beginn an eingeschrieben ist.

Durch die Internalisierung der symbolischen Geschlechterdifferenz und der damit zusammenhängenden Ausbildung einer Geschlechtsidentität kommt es nun zu einer nachträglichen Umschreibung aller bisheriger Erfahrungen des Kindes entlang des gesellschaftlich vorherrschenden Geschlechtergegensatzes. Im Zuge dieser Umschreibung werden narzisstische Autonomiewünsche „männlich“, Wünsche nach Verschmelzung mit dem Objekt „weiblich“ codiert.

Überlagerung von kapitalistischer und persönlicher Krise

Wie bereits dargelegt, bedeutet die kapitalistische Krise und die politische Form ihrer Verarbeitung für große Teile der Lohnabhängigen und auch des Kleinbürger:innentums eine enorme Verunsicherung und eine Verschlechterung ihrer Reproduktionsbedingungen. Was lange Zeit als „normal“ galt, gerät plötzlich ins Wanken. Dem Ernährermodell mit seinen spezifischen Rollenerwartungen wird das Wasser abgegraben. Viele Männer können den gesellschaftlichen Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht mehr gerecht werden, da die gesellschaftlichen Grundlagen sich gewandelt haben. Die Ideale, mit denen sie sich identifizieren, sind unerreichbar geworden. Anstatt autonom über ihr eigenes Schicksal bestimmen zu können, bricht eine gesellschaftliche Krise über sie herein, der sie in ohnmächtiger Passivität gegenüberstehen. Es sind genau solche Verhältnisse, die als schwächend, als Verlust der mit dem eigenen Geschlecht verbundenen Integrität und Unabhängigkeit empfunden werden.

Um aus dieser spannungsvollen und für die eigene Psyche beinahe unerträglichen Zwangslage herauszukommen, bieten sich nun allerdings verschiedene Möglichkeiten.

Sofern es nicht zu einer Reflexion der gesellschaftlichen Ursachen der persönlichen Krisenerfahrungen kommt, die Betroffenen also nicht zu der Einsicht gelangen, dass es weder ihre eigene noch die Schuld von irgendjemand anderem/r ist, dass sie die an sie gestellten Erwartungen nicht mehr erfüllen können, sondern die kapitalistische Krise ihnen die Erfüllung ihrer Rollenerwartungen verunmöglicht, bereitet der Antigenderismus ein politisches Angebot, das es erlaubt, die unerträglichen Schuldgefühle und die damit verbundenen Affekte wie Angst und narzisstische Wut in eine bis zum Hass reichende Feindseligkeit gegen andere Gruppen (Feminist:innen, Frauen, LGBTQIA+-Personen) umzuwandeln. Die strafenden Überichanteile werden somit projektiv ausgelagert und die Ängste vor dem Verlust der eigenen Autonomie „[in] einen berechtigt erscheinenden Kampf gegen einen im Außen (wieder-)gefundenen Gegner als vermeintlichen Verursacher des eigenen und des kollektiven Leids transformiert.“ (Pohl 2010: S. 11)

Im Antifeminismus und Antigenderismus wird somit „die in die ,Normalmännlichkeit’ unserer Gesellschaft eingelagerte paranoide Abwehr von Weiblichkeit und allem, was die männliche Autonomievorstellung und das daran geknüpfte Machtversprechen ankratzt, in einen politischen Diskurs überführt.“ (Brunner 2019: S. 29)

Die kapitalistische Krise, die wesentlich auch eine Krise der Reproduktionsbedingungen ist, befördert somit die Zunahme reaktionärer Diskurse und sexistischer Gewalt.

Es ist daher auch kein Zufall, dass vor allem kleinbürgerliche und Mittelschichten die eigentlichen massenhaften Träger:innen des reaktionären Antigenderismus sind. Selbst der viel zu gering entfaltete Klassenkampf bildet in der Arbeiter:innenklasse einen Rahmen kollektiver Erfahrung und der, wenn auch reformistisch und bürokratisch begrenzten, Weitergabe historischer Erfahrung. Die kleinbürgerlichen Schichten haben diese kollektive Erfahrung nicht. Im Gegenteil. Als Eigentümer:innen an Produktionsmitteln, als Ausbeuter:innen von Arbeitskräften hängen sie selbst am Privateigentum – auch wenn sie mehr und mehr in der Konkurrenz unter die Räder zu kommen drohen.

Die Zunahme reaktionärer Einstellungen stellt keinen Automatismus dar, der unabhängig von Bewusstsein, vom Organisationsgrad und der Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse vor sich geht. Ob sich die reaktionären Tendenzen durchsetzen, ob sie zur Vertiefung der Spaltung innerhalb der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten führen, hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, die Klasse im Kampf gegen den vorherrschenden Sexismus und seine tieferen gesellschaftlichen Ursachen zu vereinen. Darüber hinaus bildet die Steigerung des Bewusstseins und der Kampfkraft der Arbeiter:innenklasse auch die Voraussetzung dafür, Teilen des Kleinbürger:innentums und der Mittelschichten eine alternative Perspektive zur reaktionären populistischen Regression zu bieten.

Wir können das toxische Ideologieamalgam aus Rassismus, Antisemitismus und Sexismus der Rechten nur bekämpfen, wenn wir zugleich die gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick nehmen, auf denen diese Ideologien beruhen. Der Kampf gegen Frauen- und Queerfeindlichkeit muss daher als integraler Bestandteil des Kampfes gegen die kapitalistische Klassenherrschaft begriffen und entsprechend geführt werden.

„Nur eine Gesellschaftsordnung, die die Ausbeutung eines Menschen durch einen anderen, die historische Unterdrückung der Frau und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, auf der sie beruht, bewusst überwindet, kann den Boden entziehen, auf dem reaktionäre Geschlechterrollen, die bürgerliche Familie und eine repressive Sexualmoral wachsen. Nur die Errichtung der Herrschaft der Arbeiter:innenklasse kann den Übergang zu einer solchen Gesellschaft und damit auch zu einer Ordnung frei von jeglicher sozialer Unterdrückung ermöglichen.“ (https://arbeiterinnenmacht.de/2020/07/28/die-unterdrueckung-von-transpersonen/)

Es geht bei dem Kampf gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit also nicht nur um individuelle „Awareness“ und den kritischen Umgang mit gesellschaftlichen Rollenerwartungen, sondern wesentlich um die Errichtung gesellschaftlicher Verhältnisse, in denen sich jede:r Einzelne unabhängig von seinem/ihrem biologischen oder sozialen Geschlecht in der Solidarität aller frei entfalten kann.

Literatur

Brunner, Markus (2019): Enthemmte Männer. Psychoanalytisch-sozialpsychologische Überlegungen zur Freudschen Massenpsychologie und zum Antifeminismus in der «Neuen» Rechten. Online: https://www.psychoanalyse-journal.ch/article/view/jfp.60.2/1178 (21.08.2023)

Pohl, Rolf: Männer – das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit (Vorabdruck aus: Bereswill, Mechthild und Neuber, Anke (Hg.) (2010): In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert. Reihe: Forum Frauen- und Geschlechterforschung. Westfälisches Dampfboot. Münster). Online: http://www.agpolpsy.de/wp-content/uploads/2010/06/pohl-krise-der-mannlichkeit-vorabdruck-2010.pdf

Wuest, Joanna (2023): Gezielte Grausamkeit. Das Kapital und die trans*feindliche Agenda. Online: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/gezielte-grausamkeit/




Selbstbestimmungsgesetz: Ist das schon Selbstbestimmung?

Stephie Murcatto, Neue Internationale 276, September 2023

Am 23. August 2023 hat das Bundeskabinett den Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz beschlossen. Jetzt muss das Gesetz nur noch im Bundestag abgestimmt werden. Aber was beinhaltet es eigentlich?

Erst einmal das Positive: Das Selbstbestimmungsgesetz ermöglicht es trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen, ihren Namen und Geschlechtseintrag auf Antrag beim Standesamt zu ändern. Dabei gilt, dass die Veränderung des Eintrags 3 Monate vor der sogenannten „Erklärung mit Eigenversicherung“ beim Standesamt angemeldet werden muss. Danach kann man seinen Namen und Geschlechtseintrag ändern. Dies ist eine erhebliche Erleichterung und ein großer Fortschritt im Kampf um Selbstbestimmung, da man keinen erniedrigenden Prozess durchlaufen, sich kein Gutachten besorgen muss, das bestätigt, dass man trans ist, und dann keinen oft Jahre andauernden Gerichtsprozess durchlaufen muss, um den Eintrag tatsächlich ändern zu können.

Die Grenzen der Selbstbestimmung

Bei minderjährigen Menschen ist der Prozess der „Selbstbestimmung“ jedoch weniger selbstbestimmt. Personen ab 14 Jahren haben zwar das Recht, ihren Antrag auf Geschlechtsänderung selbst einzureichen. Die Wirksamkeit des Antrags hängt jedoch von der Zustimmung der sorgeberechtigten Person oder des Familiengerichts ab. Als Minderjährige/r ist man also immer noch auf die Eltern angewiesen – auch wenn diese transphob sind – und muss „beweisen“, dass man richtig trans ist, bevor man Selbstbestimmung erhält. Für Unter-14-Jährige ist es noch schlimmer: Die dürfen nicht mal den Antrag selber einreichen und haben wenig mitzureden, welches Geschlecht oder Namen man angeben will. Das macht die Kinder nochmals wesentlich abhängiger von ihrer Familie, die eine vollständige Kontrolle darüber hat, wie das Kind eingetragen ist. Sehr selbstbestimmt, liebe Bundesregierung!

Das Ganze wird auch nicht besser: Der vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf schließt sogar aus, dass Menschen, deren Visa bald ablaufen, das Recht auf Selbstbestimmung erhalten. Sie dürfen ihren Eintrag erst nach der Visa-Erneuerung ändern. Das soll angeblich sicherstellen, dass Menschen das Selbstbestimmungsgesetz nicht missbrauchen, um sich vor der Abschiebung zu drücken, aber ist in der Realität ein rassistischer Angriff auf migrantische Menschen. Es wird auch festgehalten, dass die Änderung eines männlichen Eintrags im „Spannungs- und Verteidigungsfall“ jederzeit ausgesetzt werden kann, angeblich um Männer daran zu hindern, sich dem Militär zu entziehen. Im Entwurf ist auch explizit festgehalten, dass Betreiber:innen von beispielsweise Frauensaunen das Recht behalten, trans Frauen aufgrund ihres trans Seins aus ihren Saunen zu verweisen.

Staatlich bekannte Selbstbestimmung

All das zeigt den rassistischen, sexistischen und transfeindlichen Hintergrund dieses Gesetzes auf, aber es wird noch besser: Im sogenannten Selbstbestimmungsgesetz, das heute vom Kabinett beschlossen wurde, ist inkludiert, dass, sobald man seinen Namen und Eintrag geändert hat, diese Information direkt an alle möglichen Sicherheitsbehörden weitergegeben wird. Diese umfassen das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und weitere. Dabei werden automatisch Nachname, bisherige und geänderte Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit/en, bisheriger und geänderter Geschlechtseintrag, Anschrift und Datum der Änderung weitergegeben.

Kurz gesagt: Polizei und Militär, beides Institutionen, die dafür bekannt sind, dass sich rechte und faschistische Strukturen in ihnen ausbreiten, erhalten eine Liste von allen trans Menschen mit aktueller Adresse. Dass das nicht geht und einen massiven Angriff auf die Sicherheit von allen trans-, intersexuellen und non-binären Menschen darstellt, sollte uns allen klar sein. Wir können nicht zulassen, dass trans Personen einerseits unfreiwillig geoutet werden sowie andererseits auch faschistische Strukturen ihre Adressen wissen.

Was können wir dagegen tun?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz einiger längst überfälliger Verbesserungen für trans Menschen der Entwurf rassistische und transfeindliche Regeln enthält, die eine erhebliche Gefahr für trans-, intersexuelle und nicht-binäre Menschen und ihre Sicherheit darstellen. Ebenso gibt’s weiterhin nur eingeschränkte Selbstbestimmung für Jugendliche. Das und die aktuellen Angriffe und Debatten um die Rechte von trans Menschen wie in den USA werfen die Frage auf: Was tun? Wie können wir uns gegen steigende Gewalt und die zunehmenden Angriffe verteidigen? Kurz gesagt: Wer das Problem an der Wurzel packen will, darf keine Illusionen in den bürgerlichen Staat oder die Polizei haben. Das heißt nicht, keine Forderungen zu stellen, aber der Kapitalismus profitiert von der binären Geschlechtereinteilung, da er auf die Reproduktionsarbeit im Privaten angewiesen ist. Konkret muss also der Kampf für Verbesserungen für trans Personen mit dem gegen das kapitalistische System verbunden werden.

Aber die alleinige Verteidigung gegen Angriffe von rechts ist nicht genug. Schließlich ist die Lage von trans Menschen schon schlimm genug. Es braucht eine Bewegung, die für tatsächliche Selbstbestimmung, aber auch Emanzipation von trans, intersexuellen und nicht-binären Menschen kämpft. Eine solche Bewegung muss aus der Defensive herauskommen und tatsächliche Verbesserungen erkämpfen. Dabei sollte sie Hand in Hand mit den Gewerkschaften den Streik als Hauptaktionsform nutzen, denn dieser kann die jetzige Gesellschaft zum Stillstand zwingen und Platz schaffen für tatsächliche Selbstbestimmung und wahre Emanzipation.

Um diese Ziele zu erreichen, fordern wir:

  • Selbstbestimmung für alle, unabhängig von Alter oder Herkunft: Volle rechtliche Gleichstellung von LGBTIA+! Gleichstellung aller Partnerschaften und Lebensgemeinschaften mit der Familie!
  • Gewalt stoppen: Demokratisch organisierte und gewählte Verteidigungskomitees gegen Übergriffe auf LGBTIA+!
  • Für das Recht auf gesonderte Treffen in den Organisationen der Arbeiter:innenbewegung, um den Kampf für Gleichberechtigung voranzutreiben und gegen diskriminierendes und chauvinistisches Verhalten vorzugehen!



Runter mit der CDU vom CSD!

Jaqueline Katherina Singh, Infomail 1228, 20. Juli 2023

Klar, der Christopher Street Day ist schon seit Jahren eine einzige Kommerzveranstaltung. Einmal im Jahr packen Konzerne und Politiker:innen die Regenbogenfahne aus und spendieren einen Truck, von dem lauthals Musik tönt, während man die restlichen 364 Tage dann recht wenig im Betrieb von queerer Akzeptanz spürt. Beschwerdestellen, eigenständige Schulung zur Sensibilisierung der Mitarbeiter:innen und Auflösung des Gender Pay Gaps gibt’s nicht oder sind eine Seltenheit. Und das enttarnt dann meistens auch den Charakter der Beteiligung: Es ist eine Imagefrage, denn aktuell gehört es noch zum guten Ton, sich solidarisch zu zeigen. Queerness ist cool, ist in und größtenteils akzeptiert. Und solange man nicht ernsthaft was dafür machen muss und auch noch Geld daran verdienen kann, ist man eben gerne dabei.

Ein Schritt vorwärts?

Ja, es ist natürlich ein Schritt vorwärts, dass der CSD so groß ist, auch wenn’s eine riesige Party ist. Aber während einige die Party genießen und danach die Pridefahne wieder einrollen, wenn sie nach Hause gehen, klappt das nicht für alle. Dies wird vor allem sichtbar außerhalb der Großstädte. Beispielsweise in Bautzen, wo dieses Jahr die erste Pride stattgefunden hat – unter aktiven Drohungen durch Faschist:innen, während sich kurz vorher der Lesben- und Schwulenverband in Freiburg und die IG CSD in Stuttgart von Symbolen der Antifaschisten Aktion distanzierten. Darüber hinaus klappt es auch nicht für jene, die Angst haben müssen, wenn sie im eigenen Kiez Hand in Hand spazieren gehen wollen. Es klappt nicht für die, die immer „witzige“ Kommentare auf der Arbeit oder im eigenen Heterofreundeskreis hören. Es klappt nicht für alle, die sich überlegen müssen, ob es wirklich sicher ist oder sie die Blicke ertragen können beim Rausgehen, wenn sie sich schminken und ein Kleid anziehen. Und schon gar nicht klappt es für die, die der Hetze voll ausgeliefert sind.

Deswegen hilft eine Pride nicht viel, die solche Themen mittlerweile wenig zur Sprache bringt, während zeitgleich Firmen, die in Ländern, wo LGBTIA+ umgebracht werden, stummen Wortes produzieren, um ihre Profite zu sichern. Da helfen auch nicht die aktuellen Ermittlungen gegen Teile des Berliner CSD-Vorstands unter anderem aufgrund von Veruntreuung sowie Einbehaltung von Bargeldeinnahmen vom CSD 2022.

Vielmehr macht das nur deutlich, dass die Diskriminierung von LGBTIA+ zwar alle Queers trifft, aber halt nicht alle gleich. Neben der Tatsache, dass trans Menschen es in der Gesellschaft wesentlich schwerer haben, ist es auch eine Klassenfrage. Das ist keine Nebensache. Wer sich keine Gedanken machen muss, wie man sich in öffentlichen Verkehrsmitteln (nicht) verhalten oder (nicht) kleiden sollte, weil mensch doch auch einfach mit dem eigenen Auto umherfahren kann, dem sind halt andere Dinge wichtiger. Wer homosexuell, aber reich ist, der ist bereit, zugunsten der eigenen ökonomischen Lage „Kompromisse“ einzugehen. Oder anders gesagt: Der wählt halt CDU, weil das politische Programm die eigene Lage besser absichert, unabhängig davon, was das für die eigene Sexualität bedeutet. Deutlicher als an der Person von Alice Weidel, die nix Besseres zu tun hat, als als Lesbe ständig gegen das „Gender-Gaga“ zu reden, weil’s in die eigene Agenda passt, kann man es selten machen.

Ja, es ist nichts Schlimmes daran, wenn die Pride Spaß macht. Aber man sollte halt nicht vergessen, dass sie vor allem politisch ist. Oder sein sollte. Nicht nur, weil die erste Pride ein Riot gewesen ist, sondern aufgrund der aktuellen politischen Lage.

Kein Schritt zurück!

Eine der ersten Amtshandlungen der CDU im Berliner Senat ist es gewesen, das Gendern in den Berliner Behörden rückgängig zu machen. Rückschrittlich, bringt niemandem/r irgendetwas, aber man hat halt einen populistischen Wahlkampf gemacht und will zeigen, dass man auch liefert. Das Behördenchaos in Berlin gibt’s natürlich weiterhin, nur halt ohne :*_.  Hilft auch super bei der Wohnungskrise – oder nicht?

Das Ganze ist kein Ausrutscher von Kai Wegner, sondern fester Bestandteil der Politik der CDU, bedenkt man beispielsweise den Tweet von Frontmann Friedrich Merz. Dieser will dem Satz „Und rechts von uns ist nur die Wand!“ wieder neue Bedeutung geben und so hat er es geschafft, pünktlich zum Pridemonth einen Tweet in die Welt hinauszuposten, der vieles war: eine bewusste Provokation, ein „Mal beim AfD-Milieu“-Abgreifen und dazu noch strunzdumm. Das erste, was einem/r durch den Kopf geschossen ist, war: Nehmt dem alten, verwirrten Mann das Handy weg und lasst dessen Hirngespinste mal besser medizinisch abchecken. Doch leider ist das kein verwirrter Einzelfall, sondern die neue Masche der CDU unter Friedrich Merz. Denn auf den Tweet folgte nun die Ausweitung des Verbots von Gendern in sächsischen Schulen auf Kooperationspartner:innen und die Hetze der CSU in München gegen einen Vorleseabend der Münchner Stadtbibliothek, bei dem eine Dragqueen sowie ein Dragking geladen wurden.

Doch was bedeutet das für die Praxis? Angelehnt an die aktuelle Debatte in den USA um trans Rechte, versuchen nun auch hier Konservative queeres Leben und Selbstbestimmung weiter anzugreifen. Die CDU hetzt gegen Queers und die Berliner SPD trägt diese Koalitionspartnerin mit. Ganz einfach. Statt diese Kräfte ihre Regenbogenfahne am CSD auspacken und Wegener auch noch bei der Eröffnung reden zu lassen, sollten diese nicht die Möglichkeit bekommen, ihre Doppelmoral zur Schau zu stellen! Die Hetze von CDU und CSU zu dulden und sie dann in den eigenen Reihen mitlaufen zu lassen, ist wie, dem Wolf schon freiwillig den Schafspelz zu geben. Wir sind in einer gesellschaftlichen Situation, in der die Akzeptanz ziemlich schnell drohen kann zu kippen – und es sind neben der AfD diese Kräfte, die ihr Bestes dafür tun, queeres Leben aus der Öffentlichkeit zu drängen, zu verurteilen und auch einen Anstieg von Gewalt gegen LGBTIA+ damit begünstigen. Ansonsten bedeutet das, in der Realität Politik gegen trans Menschen, gegen alle Non-Binaries und Menschen, die sich nicht in das binäre Geschlecht einordnen lassen wollen, mitzutragen und zu unterstützen. Die Pride gibt’s dann nur noch für Cis-Männer und -Frauen, Jens Spahn und Alice Weidel Hand in Hand, die geben bestimmt viel Geld und einen aus.

Statt so zu tun, als ob es was Gutes ist, dass sich augenscheinlich alle mit der Prideflag schmücken können, muss klar gemacht werden, dass Parteien, die aktiv gegen Queers hetzen, nichts auf der Pride zu suchen haben. Gleiches gilt für Institutionen und Firmen, die das aktiv mittragen oder finanzieren. Deswegen ist die Initiative des Hamburger CSD zu begrüßen, der die CDU aktiv ausgeladen hatte, nachdem deren lokale Parteigliederung der Initiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“ 3.000 Unterschriften übergab, bei der Anfang des Jahres die Initiatorin Homosexuelle pauschal zur Gefahr für die menschliche Evolution erklärte (queer.de berichtete).

  • Lasst uns deswegen gemeinsam ein lautstarkes Zeichen gegen die CDU setzen!



Kampf der Homo-, Inter- und Transphobie weltweit!

Arbeiter:innenmacht-Rede bei der Kundgebung #idahobit in Berlin am 17. Mai, Infomail 1223, 18. Mai 2023

Der Kampf für die Rechte von Lesben und Schwulen, von bi, inter und trans Personen stellt weltweit für uns alle eine zentrale Aufgabe im Kampf gegen Unterdrückung dar.

Noch heute werden in 69 Staaten – also rund einem Drittel aller Länder der Erde – LGBTIA+-Personen allein wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität strafrechtlich verfolgt. In 11 Ländern droht Homosexuellen bis heute die Todesstrafe.

Doch auch in den meisten Ländern, wo LGBTIA+-Personen nicht direkt kriminalisiert werden, werden sie rechtlich benachteiligt, wenn es um die Anerkennung von Partner:innenschaften oder ihrer Geschlechtsidentität geht. Gerade trans Personen werden auch hier systematisch im Alltag diskriminiert, leiden verstärkt unter sozialer Ausgrenzung und ihren Folgen, haben schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt, geringere Einkommen.

In den letzten Jahren wurden zwar einige rechtliche Fortschritte und mehr Sichtbarkeit erkämpft, aber wir wissen: Von echter Gleichstellung sind wir noch weit entfernt. Mehr noch: In vielen Ländern – darunter in den auch ach so fortschrittlichen Demokratien wie den USA – findet ein Rollback auf etlichen Ebenen statt. Auch wenn es in den USA rechtliche Verbesserungen gab, so wurden vor allem in zahlreichen von den Republikaner:innen dominierten Staaten allein seit Beginn 2023 467 Gesetzesentwürfe eingereicht, die sich gegen LGBTIA+-Personen richten.

Michael Knowles, ein Sprecher der US-amerikanischen Konservativen, formuliert das Ziel mit einer reaktionären Offenheit, die deutlich macht worum es geht. Zitat: „Trans muss aus dem öffentlichen Leben vollständig ausradiert werden.“

Viele reaktionäre Gesetze richten sich gegen die Anerkennung der Geschlechtsidentität von Jugendlichen. Es geht dabei darum, ihnen jegliche Unterstützung zu versagen, was auch heißt, Eltern zu kriminalisieren oder das Sorgerecht zu entziehen, die ihren Kindern medizinische oder psychotherapeutische Unterstützung ermöglichen wollen.

Dafür nehmen Rechte, die sich ansonsten gern als „Lebensschützer:innen“ inszenieren, billigend Leiden und Ausgrenzung in Kauf.

Ein Blick in die USA – aber im Grund in jedes Land – verdeutlicht auch, wie eng die Unterdrückung von trans Personen mit der sozialen Frage verbunden ist. In den Vereinigten Staaten leben 29 % aller trans Personen in Armut gegenüber 14 % im Durchschnitt der Bevölkerung. Nach Untersuchungen waren rund 20 % aller jugendlichen LGBTIA+- Personen mindestens obdachlos (gegenüber 3 % aller Cisjugendlichen).

Doch was dagegen tun?

Wir müssen für unseren Kampf gleich mehrere Schlüsse ziehen:

Erstens findet die Unterdrückung von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität nicht zufällig statt. Sie bleibt bis heute ein wichtiger Bestandteil aller Unterdrückung im Kapitalismus.

Zweitens bildet der Angriff auf LGBTIA+-Personen ein wesentliches Merkmal des Programms reaktionärer Regime und des globalen Aufstiegs von rechten, populistischen bis hin zu faschistischen Organisationen, oft in Verbindung mit reaktionären religiös-fundamentalistischen Kräften jeder Art.

Drittens hat die Vergangenheit gezeigt, dass wir uns auf bürgerliche Regierungen und Kräfte nicht verlassen können. Ihre Reformen sind allenfalls halbherzig. Vor allem aber bieten sie keinen Schutz gegen das nächste rechte Rollback und ändern nichts am grundlegenden Problem.

Viertens sind Menschen aus der Arbeiter:innenklasse, rassistisch Unterdrückte und Jugendliche besonders betroffen. Armut und Ausbeutung treffen sie härter und somit ist der Kampf gegen Unterdrückung auch eine soziale Frage, gerade wenn es um Löhne, Einkommen, Wohnen und medizinische Versorgung geht.

Lasst uns also nicht dabei stehenbleiben, uns an den Angriffen der Rechten abzuarbeiten! Lasst uns in die Offensive gehen und eine Bewegung aufbauen, die den Kampf gegen die rechte Gewalt und das Rollback mit dem für Verbesserungen von LGBTIA+-Personen weltweit verbindet! Ob nun in den USA oder auch anderen Ländern wie Pakistan oder hier in Deutschland, wo die CDU auf die Hetze gegen queere Kultur aufspringt.

Statt nur darauf zu warten, ob mehr Bundesstaaten wie Florida sexuelle Selbstbestimmung aus den Schulen verbannen, brauchen wir die Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze an Schulen, Arbeitsplätzen und im öffentlichen Leben!

Statt stumm zusehen zu müssen, wie die Programme, die es gibt, gestrichen werden, lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass Geschlechtsangleichungen kostenlos und ohne bürokratischen Aufwand stattfinden können. Statt Konzepten wie „Ehe für alle“ brauchen wir die rechtliche Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften.

Statt die Hetze der Rechten ertragen zu müssen, immer mehr Gewalt und Polizeikontrollen zu erleiden, brauchen wir demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees zusammen mit der Arbeiter:innenklasse!

Um erfolgreich zu sein, müssen wir den Kampf dorthin tragen, wo wir lernen, studieren, arbeiten – an die Schulen, Unis und in die Betriebe. Wir müssen dafür kämpfen, dass Schüler:innenvertretungen, Betriebsräte und Gewerkschaften den Kampf aufnehmen – gegen Diskriminierung, Homo-, Inter- und Transphobie, aber auch reaktionäre Einstellungen unter Jugendlichen und Arbeiter:innen.

Das machen wir am besten, indem wir unsere Forderungen mit denen von anderen verbinden und gemeinsam für höhere Mindestlöhne oder kostenlosen Zugang zum Gesundheitssystem für alle wie in den USA eintreten und gleichzeitig gegen die Wurzel des Problems kämpfen: den Kapitalismus.

Lasst uns also den Kampf für eine sozialistische Gesellschaft frei von jeder Ausbeutung und Unterdrückung gemeinsam aufnehmen! Für eine Welt, in der das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, über die eigene sexuelle Orientierung, über die eigene Geschlechtsidentität zur Selbstverständlichkeit wird!




Wie queere Identitäten immer noch durch den Staat unterdrückt werden

REVOLUTION, zuerst veröffentlicht auf www.onesolutionrevolution.de, Infomail 1223, 16. Mai 2023

Wirft man einen Blick in die meisten Kindergärten, so stellt man schnell fest, dass die Existenzen von trans Personen, Geschlechtern jenseits des binären Systems und nicht-heterosexuelle Beziehungen keinen Platz finden. Seien es Spielzeug, Bücher oder Gruppenaktivitäten: Diversität sucht man darin meist vergeblich.

Auch in der Grundschule im Sachkundeunterricht wird meist gelehrt, dass es lediglich Frau und Mann gebe und im Gymnasium wird im Biologieunterricht alles auf die Spitze getrieben. Oft wird die Klasse zur „Aufklärung“ in zwei geteilt – Menschen die sich keinem der binären Geschlechter zuordnen, werden außer Acht gelassen und auch der Biologieunterricht an sich ist zu vielen Teilen immer noch cis- und heteronormativ.

Und das nicht ohne Grund!

Woher kommt Queerunterdrückung?

Besonders im Kindes- und Jugendalter soll das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie gefestigt werden, denn Kapitalist:nnen profitieren finanziell von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit, die Frauen als natürlich zugeschrieben wird. Durch die Auslagerung der Reproduktion der Arbeitskraft ins Private kann diese überhaupt erst tagtäglich für die Ausbeutung durch die Kapitalist:innen zur Verfügung stehen.

Innerhalb der bürgerlichen Kleinfamilie sollen Frauen im Stillen Arbeitskraft reproduzieren – unbezahlt und in den eigenen vier Wänden. Dazu zählen alle Arbeiten, die nötig sind, damit Arbeiter:innen am nächsten Tag wieder zur Arbeit gehen können. Beziehungsmodelle, welche weder monogam noch heterosexuell sind und Identitäten jenseits des cis-binären Spektrums stellen das Ideal der bürgerlichen Kleinfamilie in Frage, da sie das Konzept „Vater, Mutter, Kind“ unterlaufen und somit nicht mehr klar ist, wer welche Rolle in der Familie einnimmt.

Es ist somit auch kein Zufall, dass der bürgerliche Staat nicht nur im Bildungs-, sondern auch im Gesundheitssektor und am Arbeitsplatz queere Personen benachteiligt und unterdrückt.

Geschlechtsangleichende Operationen werden immer noch nicht vollständig finanziert und sind nicht ohne bürokratischen Aufwand möglich, für Jugendliche nicht einmal ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten!

Queerfeindliche Gewalt

Immer wieder führt diese durch den bürgerlichen Staat forcierte Unterdrückung zu queerfeindlichen Übergriffen und Gewalttaten. Und wenn dies nicht bereits durch die Organe des bürgerlichen Staates selbst geschieht, sondern durch Faschist:innen und andere queerfeindliche reaktionäre Gruppen, wird dabei meist weggesehen, denn diese Taten werden in den meisten Teilen Deutschlands nicht einmal dokumentiert. Berlin ist das einzige Bundesland, das ein Monitoring zu queerfeindlicher Gewalt erstellt. Im Jahr 2021 wurde mit 456 gemeldeten Fällen – davon 23 % teils schwerer körperlicher Gewalt – der höchste Wert seit Aufnahme der themenspezifischen Erfassung dokumentiert. Das sind knapp 100 Fälle mehr als im Vorjahr und dabei muss bedacht werden, dass bei weitem nicht alle gemeldet werden.

Im Rahmen einer Umfrage der EU im Jahr 2020, an der ca. 2.750 trans Personen aus Deutschland teilgenommen haben, gaben 66 % der Befragten an, in mehr als acht Lebensbereichen in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Trans-Seins diskriminiert worden zu sein. 90 % von ihnen haben den letzten Vorfall nicht gemeldet.

Aber gibt es nicht auch Fortschritte?

Es zeigt sich also, dass queere Personen in allen Lebensbereichen durch den bürgerlichen Staat unterdrückt werden. Doch dieser ist besonders in den letzten Jahren immer mehr bemüht, Illusionen zu schaffen, queere Befreiung sei innerhalb des Kapitalismus zu lösen.

So bestehen die gleichgeschlechtliche zivile Ehe und die mögliche Eintragung von „inter“ und „divers“ im Geburtenregister seit 2017 und jüngst wurde durch die Ampelregierung, die sich Progressivität auf die Fahne schreibt, das reaktionäre „Transsexuellengesetz“ (TSG) abgeschafft, welches durch ein neues Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden soll. Dieses soll trans, inter und nicht-binären Personen künftig die Möglichkeit geben, ihren Geschlechtseintrag sowie ihren Vornamen im Personenstandsregister durch eine Erklärung beim Standesamt ändern zu lassen.

Dies alles sind zwar durchaus positive Entwicklungen, wir müssen uns dabei aber klarmachen, dass diese Fortschritte immer mit Vorsicht zu genießen sind. Der bürgerliche Staat möchte mit solchen Maßnahmen Bewegungen den Wind aus den Segeln nehmen und so etwas wie den CSD (Christopher Street Day) zu einer mehr oder weniger staatstragenden Party verkommen lassen.

Für uns als Revolutionär:innen ist klar, dass wir uns nicht auf den bürgerlichen Staat verlassen dürfen, wenn wir die Unterdrückung von queeren Personen ernsthaft bekämpfen wollen. Denn im Kapitalismus steht er im Dienste der herrschenden Klasse, deren Profit auf die Unterdrückung von Frauen, queeren und migrantisierten Menschen angewiesen ist. Deshalb muss dieser Kampf zwangsläufig auch einer gegen den Kapitalismus sein. Hierfür schlagen wir folgende Forderungen vor:

  • Inklusive Bildung und Mitspracherecht der Schüler:innen über Inhalte der Lehrpläne!
  • Für das Recht auf medizinische Geschlechtsangleichung an die soziale Geschlechtsidentität – kostenfrei und ohne unnötigen bürokratischen Akt!
  • Antisexistische Komitees an Schulen, Unis und in Betrieben sowie Selbstverteidigungskomitees in Verbindung mit der Arbeiter:innenbewegung!
  • Intersex vollständig legalisieren! Medizinische, kosmetische Eingriffe z. B. zur Geschlechtsangleichung nur mit Zustimmung der betroffenen Person!
  • Kampf gegen die transphobe Hetze der Rechten und selbsternannten Radikalfeminist:innen!
  • Gegen die Pflicht, das eigene Geschlecht in offiziellen Dokumenten anzugeben! Für den Ausbau von Unisex-Orten im öffentlichen Raum wie Toiletten oder Umkleiden!



USA: Republikaner stoppen! Für queere Selbstbestimmung kämpfen!

Jaqueline Katherina Singh, Neue Internationale 273, Mai 2023

Schon im letzten Wahlkampf nahm die Frage nach trans Rechten eine verstärkte Rolle ein. Während Biden klar Stellung bezog und auf die Selbstbestimmung pochte, griffen die Republikaner:innen ihn dafür an. Eine der ersten Amtshandlungen des US-Präsidenten Biden war die Unterzeichnung der „Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität oder sexueller Orientierung“ im Jahr 2021.

Der Gegenwind der Konservativen ist seitdem stärker geworden. Denn während man seit Mitte April diesen Jahres Reisepässe mit der Möglichkeit, statt männlich/weiblich ein „X“ anzugeben, beantragen kann , zählt die Amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU mittlerweile 467 Gesetzesentwürfe, die sich gegen die Rechte von LGBTIA+ richten. Somit sind in den ersten vier Monaten 2023 mehr Anti-LGBTIA+ Gesetzesentwürfe gestellt worden als in den letzten 5 Jahren.

Was genau passiert?

Die Gesetzesentwürfe beinhalten massive Einschränkungen und bestätigen die Worte des rechten Kommentators Michael Knowles, der auf der Bühne der Conservative Political Action Conference sagte „Trans muss aus dem öffentlichen Leben vollständig ausradiert werden.“ Da ist es nur ein kleiner Trost, dass von den über 400 Entwürfen 85 abgelehnt wurden. Denn auf der anderen Seite wurden 35 angenommen. Die meisten davon in Arkansas (7), Utah (6) und North Dakota (4). Der Großteil bezieht sich thematisch auf medizinische Behandlungen, aber auch weitere Bereiche werden versucht einzuschränken.

In Texas, Nebraska und über einem Dutzend weiterer Staaten soll jegliche medizinische Unterstützung für Kinder und Jugendliche verboten werden, die ihre Geschlechtsidentität infrage stellen. Eltern droht teils der Entzug des Sorgerechts, wenn sie die Behandlung ihrer Kinder nach gängigen psychotherapeutischen und medizinischen Standards ermöglichen, obwohl dies das Suizidrisiko von trans Jugendlichen um bis zu 70% senkt. Staaten wie Oklahoma wollen sogar noch weiter gehen wie das Neue Deutschland in dem Artikel „Trans-Rechte in den USA: Strikt normiert“ berichtet.

Hier ist ein Gesetz geplant, das einem Verbot der Behandlung aller Personen mit trans Identität, also selbst von Erwachsenen, nach anerkannten Standards nachkommen könnte. Sämtlichen öffentlichen Einrichtungen, die Gelder der Krankenkasse Medicaid für Menschen mit geringem Einkommen oder andere öffentliche Subventionen erhalten, soll dies verboten werden, von Apotheken bis zu Krankenhäusern. Damit würde es für trans Personen praktisch unmöglich, Zugang zu medizinischer Versorgung zu bekommen. Doch die Entwürfe bleiben nicht nur bei trans Personen stehen.

Es scheint fast wie eine Generalabrechnung mit allem, was auch nur wagt das binäre Geschlechtersystem infrage zu stellen. In 9 Bundesstaaten wie Arkansas, Kansas, Oklahoma oder Tennessee sollen Drag Performances und generell das Tragen »nicht geschlechtskonformer Kleidung« außerhalb von explizit an Erwachsene gerichtete Etablissements verboten werden. Das hat nicht nur zur Folge, dass Drag auf Pride-Paraden unterbunden wird, sondern dass Polizeirepression und Gewalt gegen trans Menschen und queere Community, die auf der Straße als solche erkannt werden, juristisch legitimiert werden. Darüber hinaus öffnet es auch die Debatte, was überhaupt „geschlechtskonforme“ Kleidung an dieser Stelle sein soll.

Situation von trans Menschen

Dabei ist die Situation von trans Menschen in den USA schon jetzt mehr als problematisch. Dies zeigte die „US Transgender Survey“ (USTS), die 2015 vom National Center for Transgender Equality (NCTE) durchgeführt wurde. Bei der Umfrage handelte sich um eine der umfangreichsten und umfassendsten  in den USA, bei der sich über 27.000 trans Personen beteiligten. Die Studie zeigt unter anderem auf, dass 2015 29% der trans Personen in Armut lebten, also wesentlich mehr verglichen mit den 14% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso ging aus der Umfrage hervor, dass 30% der befragten trans Personen in ihrem Leben mindestens einmal obdachlos waren, verglichen mit 6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Ebenso besitzen 30% der Befragten ein Einkommen von weniger als $10,000, verglichen mit 12% der US-Bevölkerung.

Kurzum: Trans Personen leben überdurchschnittlich oft in Armut und erleben verstärkt Diskriminierungsowie Gewalt. So ist es kaum verwunderlich, dass ebenfalls die mentale Gesundheit wesentlich schlechter ist als beim Durchschnitt der US-Bevölkerung, denn 40% der befragten trans Personen gaben an, im Laufe ihres Lebens einen Suizidversuch unternommen zu haben, verglichen mit 4,6% der allgemeinen US-Bevölkerung. Besonders stark betroffen sind Jugendliche und People of Color. Letztere verdienen meist noch weniger und haben deswegen so gut wie keine Möglichkeit, in einen Bundesstaat zu ziehen der ihnen mehr Spielraum gibt. Jugendliche erleben durch ihre ökonomische und rechtliche Abhängigkeit von der Familie oftmals noch fundamentalere Einschnitte, was sich unter anderem auch darin ausdrückt, dass 20% der Befragten im Laufe ihres Lebens obdachlos gewesen sind – der Durchschnitt liegt bei cis-Jugendlichen bei 3%.

Es gilt dabei nicht zu vergessen, dass diese Daten vor der Pandemie erfasst wurden. In der Zwischenzeit gab es wenig gezielte Unterstützung, um diese Situation zu verbessern. Zu den wenigen Initiativen zählt der Affordable Care Act (ACA), der 2016 umgesetzt wurde und Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität im Gesundheitswesen verbietet. Dies bedeutet konkret, dass Versicherer medizinische Behandlungen für trans Personen abdecken müssen, ohne sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität abzulehnen oder höhere Prämien zu verlangen. Auch relevant ist die in der Einleitung erwähnte Executive Order von Präsident Biden. Diese formalisiert die rechtliche Gleichstellung auf Basis des Civil Right Acts von 1964 – aber nur in Bundesbehörden, nicht in der Privatwirtschaft und sollte darüber hinaus Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsidentität verbieten. Das steht im Kontrast zur Realität der Gesetzesinitiativen seitens der Konservativen und den Erkenntnissen einer neuen Studie des Williams Institute an der UCLA School of Law aus dem Jahr 2022. Hieraus geht hervor, dass trans Personen mehr als viermal häufiger Opfer von Gewalttaten wie Vergewaltigung, sexueller Nötigung und einfacher bzw. schwerer Körperverletzung sind als cis-Personen.

Warum passiert das?

Ja, nicht alle Gesetze kommen durch. Doch es ist falsch das Ganze nur als Kampagne der Konservativen abzutun. Die Gesetzesverschärfungen gehen einher mit den Einschränkungen der Abtreibungsrechte 2022, sowie des Rechtsrucks in den USA der letzten Jahre. Auch wenn die  Republikaner:innen das Thema nutzen, um zu polarisieren und beispielsweise ihre evangelikalen Wähler:innen nicht zu verlieren, hat diese Kampagne reale Konsequenzen.  Denn auch wenn die Begründungen mehr als schlecht scheinen, so erzeugen sie vor allem Druck auf die queere Existenz an sich. LGBTIA+ Rechte – und insbesondere die Rechte von trans Personen – sind nichts, was sich Jahrzehnte lang etabliert hat*, sondern umkämpftes Feld innerhalb unserer Gesellschaft. Es scheint, dass sobald ein kleiner Platz im Rahmen der breiteren öffentlichen Wahrnehmung erkämpft wurde, wieder versucht wird ihn wegzustreichen und zwar mit aller Gewalt.

Somit ist das Ganze nicht nur die Ausgeburt des Schwachsinns christlicher Fundamentalist:innen, sondern auch Erbe Trumps populistischer Politik. Der selbsternante Anwalt „der kleinen Leute“ mit seinem Kabinett von Milliardär:innen und Manager:innen hat es während seiner Amtszeit geschafft, die Polarisierung in den USA voranzutreiben. Das bedeutet, dass weite Teile des Kleinbürger:innentums spürbar nach rechts gerückt sind und ihr Irrationalismus stärkt letztendlich den Flügel der Republikaner. Diese stecken massiv Geld in die Kampagne. So hat das American Principles Project vor den vergangenen Kongresswahlen fast 16 Millionen Dollar für Kampagnen gegen trans Themen im Gesundheits- und Bildungsbereich ausgegeben. Gut investiertes Geld, denn auf der einen Seite wird das tradierte Familienbild gewahrt, auf der anderen Seite sind die Verbote und Einschränkungen gegen trans Personen günstiger als Versprechungen, die die soziale Lage der Wähler:innenschaft verbessern würden.

Die Wurzeln der Unterdrückung

Doch bei der Debatte sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Frage der LGBTIA+ Diskriminierung ist nicht nur eine Entscheidung zwischen Republikaner:innen und Demokrat:innen, sondern ist fest im Kapitalismus verwurzelt. Somit löst sich das Problem auch nicht auf, wenn man alleinig gegen die Angriffe der Republikaner:innen kämpft. Doch wie kann ein effektiver Kampf aussehen? Bevor wir dazu kommen, wollen wir kurz den Ursprung der LGBTIA+ Unterdrückung skizzieren und dies führt uns wie nicht anders zu erwarten zur Familie. Das Bild der Familie, die glücklich in ihrem Eigenheim Zeit verbringt und wo der Mann arbeiten geht, die Frau tagtäglich und unermüdlich die Hausarbeit verrichtet, sowie sich um die Kinder kümmert, wurde jahrzehntelang propagiert und als Ideal verbreitet. Es ist aber nicht nur ein Ideal, weil es schön in Werbungen aussieht und sich auf Milchpackungen so gut macht, sondern weil die bürgerliche Familie für den Kapitalismus einen zentralen Standpfeiler darstellt. Die historische Entwicklung dahin sparen wir an dieser Stelle aus und konzentrieren uns auf das wesentliche: Für die herrschende Klasse regelt die Familie die Erbschaftsverhältnisse und spart ebenso extrem viele Kosten. Wie? Dadurch das Kindererziehung, kochen, Waschen, häusliche Pflege und andere Tätigkeiten nicht gesamtgesellschaftlich organisiert, sondern individuell pro Haushalt erledigt werden.  Denn für die Arbeiter:innenklasse ist die Familie der Ort, in dem im Privaten unbezahlte Reproduktionsarbeit stattfindet (oder eher stattfinden muss). Und das Ideal der Familie, was uns vermittelt wird, festigt eben genau diesen Zustand, zusätzlich zu der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung.

Somit stellen LGBTIA+ eine Gefahr für den ideologischen Unterbau der Familie da, denn mit ihrer bloßen Existenz stellen sie mehrere Punkte infrage: a) Sexualität dient nur der bloßen menschlichen Reproduktion  b) die geschlechtliche Arbeitsteilung innerhalb der Familie und ihre Unveränderbarkeit und c) das Konzept der Familie im klassischen Sinne selbst. Letztenendes könnte man zu dem Schluss kommen, dass die heterosexuelle, monogame Zweierbeziehung nicht das absolute Lebensziel eines jeden Individuums auf dieser Erde sein könnte und es Alternativen dazu gibt. Dazu soll angemerkt werden, dass diese Erklärung sehr zugespitzt ist. Denn die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass auch Liberalisierung möglich ist. Dennoch ist diese nicht bedingungslos und geht letztenendes nie besonders weit, wenn man bedenkt wie stark das „Recht auf Ehe“ und selbst die meisten Gesetze zur „Ehe für Alle“ in den imperialistischen Staaten verankert ist. Das führt uns zu dem nächsten Punkt:

Reine Sichtbarkeit reicht nicht

Auch wenn die Demokraten das Thema für sich entdeckt haben, so muss es klar sein, dass ihre Verbesserungen und ihr Schutz alleine nicht ausreichen. Ja, es ist ein Schritt nach vorne, dass trans Frauen wie Rachel Levine Staatssekretärin werden können. Doch es wird nicht helfen, die Lage von trans Menschen grundlegend zu verändern. Deswegen reicht es auch nicht aus, sich nur an den Angriffen der Republikaner:innen abzuarbeiten und Sichtbarkeit sowie rechtliche Gleichstellung zu verteidigen. Wer Erfolg haben will, muss in die Offensive gehen. Statt also um die reine Existenzberechtigung zu verhandeln, braucht es eine Bewegung, die auch aktiv Verbesserungen für trans Menschen erkämpft. Dabei ist es essentiell den Schulterschluss mit den Gewerkschaften, sowie anderen sozialen Bewegungen, zu suchen und sich nicht auf Spaltungsversuche seitens Rechts einzulassen. Das heißt in der Praxis, dass Aktivist:innen sozialer Bewegungen offen Gewerkschaften auffordern sollten, sich den Protesten anzuschließen, während Gewerkschafter:innen in den Gewerkschaften nicht nur für Solidaritätsstatements, sondern auch Mobilisierungen eintreten müssen. Dies ist wichtig herauszustreichen, denn der Protest kann letztenendes nur erfolgreich werden, wenn die Arbeiter:innenklasse diese mit Streiks unterstützt. Gleichzeitig kann es nicht alleinig die Aufgabe von Aktivist:innen sozialer Bewegungen sein, zu versuchen in den Strukturen Gehör zu finden. Dies ist jedoch keine Unmöglichkeit: Denn schaut man genauer hin, sind erstaunlich viele Fragen, die die Situation von trans Menschen verbessern, nicht explizit nur trans Personen betreffend:

  • Nein zu allen Angriffen auf LGBTIA+ Rechte! Aufhebung aller diskriminierenden Gesetze gegen Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und im öffentlichen Leben!

  • Gesetzliche Krankenversicherung für Alle! Kostenlose medizinische Beratung und Geschlechtsangleichung, auch für Jugendliche!

  • Schluss mit Gewalt: Für demokratisch organisierte Selbstverteidigungskomitees zusammen mit der Arbeiter:innenklasse! Nein zu allen Polizeikontrollen!

  • Für ein Mindesteinkommen für alle, angepasst an die Inflation, sowie einen höheren Mindestlohn!

  • Für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper: Für die Möglichkeit, das eigene Geschlecht in staatlichen Dokumenten anzupassen oder nicht angeben zu müssen!

  • Für den Ausbau von geschlechtsneutralen öffentlichen Sanitäranlagen, sowie flächendeckend vorhandenen Schutzhäusern für trans Menschen!

Es bietet sich an zentrale Aktionstage auszurufen, die sich auf die Gesetzesinitiativen beziehen. Im Rahmen dessen sollte an Schulen, Universitäten und Betrieben versucht werden, Vollversammlungen einzuberufen, um über die Situation und Lage von trans Rechten zu informieren. Zusätzlich sollten Aktionskomitees gebildet werden, die zu den Aktionstagen mobilisieren. Gleichzeitig müssen dabei Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Sowohl #blacklivesmatter, der Womens March oder die Proteste gegen die Abtreibungen haben gezeigt, dass eine Bewegung alleine zwar das Bewusstsein Vieler erreichen kann – aber auch immer wieder verebbt. Auf der anderen Seite zeigte der Zuspruch zu Bernie Sanders oder der DSA auch, dass es genügend Potenzial und Zulauf gäbe, eine Partei im Interesse der Arbeiter:innenklasse aufzubauen.

Denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass man sich weder den Demokrat:innen unterordnen sollte, noch Hoffnungen in ihre Konsequenz zu setzen. Die Aktivist:innen in den USA stehen also vor mehreren Aufgaben gleichzeitig: zum einen eine Kampagne gegen die Angriffe auf die trans Rechte zu organisieren, anderseits dabei nicht stehen zu bleiben und den Kampf weiter zu tragen durch den Aufbau einer Partei, die es sich selbst zur Aufgabe setzt nicht nur für Verbesserungen im Hier und Jetzt zu kämpfen, sondern diese mit dem Kampf der Zerschlagung des kapitalistischen Systems zu verbinden. Dabei muss klar sein: eine solche Partei muss aus den Kämpfen der sozialen Bewegung und der Arbeiter:innenklasse entstehen und die Verbindung dieser beiden aktiv suchen.

Endnote

* Wie beispielsweise Frauenwahlrechte. Jedoch sollte man auch hier vorsichtig sein, diese als festgeschriebene Gesetze zu betrachten, die nicht rückgängig gemacht werden können. Nur wäre der Widerstand wahrscheinlich größer.