USA: Urteil im Floyd-Mordprozess – ein erster Sieg der Massenaktion

Tom Burns, Workers Power USA, Infomail 1146, 23. April

Derek Chauvin wurde am 20. April 2021 in allen Anklagepunkten des Mordes an George Floyd für schuldig befunden. Seine Schuld war so offensichtlich und seine Verteidigung so dreist, dass die soziale Explosion in ihren Folgen unabsehbar gewesen wäre, wenn er nicht verurteilt worden wäre. Es ist ein Sieg für seine Familie und für „Black Lives Matter“-UnterstützerInnen und AntirassistInnen in den USA und in vielen anderen Ländern. Aber es ist nur ein erster Schritt, um gegen die rassistische Polizei des Landes vorzugehen.

Chauvin wurde des Mordes zweiten und dritten Grades sowie des Totschlags zweiten Grades für schuldig befunden, aber die Bedeutung des Richterspruchs liegt darin, dass es sich nicht um einen isolierten Frevel handelte. Das Urteil kommt fast dreißig Jahre nach dem Freispruch der PolizeibeamtInnen von Los Angeles am 29. April 1992, die Rodney King in einem der eklatantesten Fälle von Polizeibrutalität geschlagen hatten. Der Freispruch dieser BeamtInnen löste einen Aufstand in Los Angeles aus. Das Gerichtsurteil kommt auch fast sieben Jahre nach dem Ferguson-Aufstand, der am 10. August 2014 nach der Tötung von Michael Brown durch den Polizisten Darren Wilson begann.

Der Mord an George Floyd löste eine landesweite Erhebung aus. Märsche und Proteste fanden in jedem Bundesstaat statt. Es gab eine breite Koalition, die Menschen aller rassistisch unterdrückten Communities einschloss. In vielerlei Hinsicht ist es der Druck durch diese Vielfalt an Menschen, der zum Prozess gegen Derek Chauvin und zum Urteil selbst führte. Angesichts des Ausmaßes der Einsätze der Nationalgarde war es klar, dass die KapitalistInnenklasse sich darauf vorbereitete, weitere Proteste niederzuschlagen.

Rolle der Polizei

Im Prozess sagten PolizeibeamtInnen im Zeugenstand gegen Derek Chauvin aus. Das Motiv war klar. Auszusagen, dass Chauvin ein „böser Cop“ war. Damit versuchten sie, den wahren Sachverhalt zu verschleiern. „Derek Chauvin war ein böser Polizist, aber nicht alle von uns sind böse.“ Das war ihre Botschaft. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Die schiere Anzahl der Tötungen von schwarzen Menschen und People of Color durch die Hände der Polizei zeigt deren rassistischen Charakter. Terror und Brutalität gegen DemonstrantInnen offenbaren den Charakter dieser „Arbeit“.

Die Polizei existiert, um die herrschende Klasse, die MilliardärInnen und ihre PolitikerInnen zu schützen, ihr Eigentum an den Fabriken, Büros und Krankenhäusern, in denen wir, die ArbeiterInnenklasse, ihre Profite erwirtschaften. Die Repressionskräfte bilden eine unreformierbare Frontlinie des von Natur aus rassistischen und korrupten Systems, das uns täglich unterdrückt und ausbeutet und für das die „amerikanische Demokratie“ nur eine Fassade ist. Es ist dasselbe System, gegen das sich die ArbeiterInnen in Bessemer zu organisieren versuchten, als sie für eine Gewerkschaft bei  Amazon stimmten. Die Bosse haben vereiteln können, dass jede/r ArbeiterIn ein Grundrecht auf gewerkschaftliche Organisierung ausüben kann, ohne Furcht vor Entlassung haben zu müssen.

Die Bourgeoisie und ihr Staat versuchen, die Erhebung zu stoppen, die kürzlich durch den Tod von Daunte Wright und Adam Toledo durch die Hände der Polizei ausgelöst wurde. Sie hoffen, dass dieser eine Schuldspruch uns davon überzeugen wird, dass Veränderungen innerhalb des Systems funktionieren; dass wir sehen können, wie PolizistInnen, die routinemäßig Brutalität und Terror ausüben, vor Gericht gebracht werden. Das ist weit von der Wahrheit entfernt. Seit Beginn des Prozesses gegen Derek Chauvin sind nach Angaben der „New York Times“ 64 Menschen durch die Hand von PolizistInnen gestorben. Die überwältigende Zahl ihrer Opfer waren schwarze oder Latino-Männer und -Frauen. Keine/r dieser BeamtInnen wurde vor Gericht gestellt.

Chauvin existiert als „Knochen“, der uns hingeworfen wird, um uns zu beschwichtigen. Schon malen die bürgerlichen Medien dies als einen „Wendepunkt“ aus. Einen Wendepunkt von was? Die Mörder von Adam Toledo und Daunte Wright sind immer noch frei. Die PolizistInnen, die uns letztes Jahr verprügelt haben, sind immer noch auf den Straßen. Ein Schuldspruch ändert wenig an der Situation. Der Polizeirassismus wird nicht aufhören, weil ein Polizist für schuldig befunden wird.

Vielmehr gibt es kaum Zweifel daran, dass ein mordender Polizist ohne den Mut der Umstehenden, die den neun Minuten und 29 Sekunden dauernden Mord an einem mit Handschellen gefesselten George Floyd auf Video aufnahmen und ohne die stadtweite, landesweite und dann weltweite Reaktion auch diesmal straffrei geblieben wäre.

Bidens Versprechungen

Jetzt  hat auch Präsident Biden George Floyds Tod „einen Mord, der im vollen Licht des Tages auftrat“, genannt. Er versprach: „Es kann nicht hier aufhören“ und forderte einen Moment der „signifikanten Veränderung“. Er verwies auf die „George Floyd Justice in Policing Bill“ (Gesetzesvorlage für Gerechtigkeit in der Polizei), die jetzt dem Senat vorliegt und forderte die republikanischen Abgeordneten auf, sie zu verabschieden. In der Tat haben die PräsidentInnen, GouverneurInnen und BürgermeisterInnen der Demokratischen Partei während ihres politischen Lebens immer wieder zugesehen, wie etwas derartiges geschah. Sie haben unzählige Massenproteste ignoriert und, schlimmer noch, sie oft als gesetzlose RandaliererInnen und PlündererInnen verleumdet.

Das George-Floyd-Gesetz soll das Verbot von Racial Profiling, von Würgegriffen und von Durchsuchungen ohne Anordnung beinhalten und die Verwendung von Körperkameras der Polizei vorschreiben. Ein nationales Register von polizeilichem Fehlverhalten würde Berichterstattung über deren Gewaltanwendung verlangen. Es würde die „qualifizierte Immunität“ von PolizistInnen vor zivilrechtlicher Verfolgung „reformieren“, nicht abschaffen. Natürlich sollten diese obszönen Handlungen und Straflosigkeiten abgeschafft werden. Aber sie werden nicht einmal annähernd die Schreckensherrschaft stoppen, die Polizeikräfte in Gemeinden von Schwarzen und People of Color und gegen alle Menschen der ArbeiterInnenklasse, die für ihre Rechte kämpfen, ausüben.

Die DemonstrantInnen im letzten Sommer, die „Schafft die Polizei ab!“ riefen und ihre gewählten VertreterInnen auf Landes- und Stadtebene aufforderten, sie nicht mehr zu bezahlen, hatten insofern Recht, als die Polizeikräfte des Landes die BürgerInnen nicht vor Kriminellen oder wirklich asozialen Handlungen schützen. Sie können nicht durch die oben genannten Kontrollen und Einschränkungen reformiert werden. Der Grund dafür ist einfach: Sie stehen nicht unter der Kontrolle der BewohnerInnen der Gemeinden, in denen sie Dienst tun, sie werden nicht aus den Klassen und Gemeinschaften rekrutiert, die sie schützen sollen, und vor allem sind sie ihnen gegenüber nicht demokratisch verantwortlich für ihre Handlungen. Sie sind eine militarisierte, schwer bewaffnete, Besatzungsmacht.

Wieder einmal, worauf BLM-DemonstrantInnen hinwiesen, werden riesige Ressourcen für  Waffen der „Sicherheitsorgane’“ausgegeben, einschließlich gepanzerter Fahrzeuge. Währenddessen werden unsere Wohnungen, Schulen und Krankenhäuser vernachlässigt, und die Arbeitslosigkeit ist weit verbreitet. Und sogenannte Kleinkriminalität wird immer noch von der Polizei benutzt, um ihre Autokontrollen und unangekündigten Einbrüche in die Häuser der Menschen zu entschuldigen, wie der, der zur Tötung von Breonna Taylor führte.

Armut und illegaler Drogenhandel sind eine reale Ursache für einen Großteil der so genannten Kleinkriminalität. Sei sind sicherlich unbedeutend im Vergleich zur massiven Korruption und Steuerhinterziehung der Superreichen, aber natürlich nicht in ihren Auswirkungen auf die Masse der Menschen. Ja, wir müssen vor echten antisozialen Kriminellen geschützt werden, ebenso wie vor den uniformierten Kräften der „Gesetzlosigkeit und Unordnung“. Aber dafür brauchen wir Selbstverteidigungskräfte, die innerhalb unserer Gemeinden und unter unserer demokratischen Kontrolle arbeiten. Wenn dies der Fall wäre, dann würde das Ausmaß der Kriminalität massiv gesenkt werden.

Wir müssen erkennen, dass nur Massenaktionen der ArbeiterInnenklasse und aller Unterdrückten zusammen einen echten Wandel herbeiführen können. Wir können dies tun, indem wir mit der Aufdeckung und dem Widerstand gegen das Töten durch die Polizei fortfahren, indem wir uns weiterhin mit den DemonstrantInnen in Minnesota und Chicago solidarisch zeigen. Wir müssen die Selbstverteidigung unserer Gemeinden und der ArbeiterInnen, die für ihre Rechte kämpfen, organisieren. Dabei müssen wir die Polizeikräfte durch Selbstverteidigungsorgane der ArbeiterInnen, der schwarzen Gemeinden und aller rassistisch Unterdrückten ersetzen.

Das muss alle Organisationen einbeziehen, die die Macht der ArbeiterInnenklasse verkörpern, wie die Gewerkschaften, aber auch die Ortsgruppen der größten linken Partei des Landes, der Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA). Gemeinsam müssen sie dazu aufrufen, dass am 1. Mai alle auf die Straße gehen und ihre Arbeitsplätze verlassen.

Möge dieses Schuldurteil, ein Sieg, der durch unseren Aufstand in Solidarität mit den vielen durch die Polizei verlorenen Leben errungen wurde, sich als Katalysator für noch größere und dauerhaftere Siege über den Rassismus und den Kapitalismus, der ihn hervorbringt, erweisen.




Polizeimorde in den USA, diesmal in Chicago

Tom Burns, Infomail 1146, 19. April 2021

Ende letzten Monats wurde ein 13-jähriger Junge namens Adam Toledo von der Polizei in Chicago erschossen. Adam war ein Latino. Unmittelbar nach dem Vorfall erklärte die Chicagoer Polizei, dass es eine „bewaffnete Konfrontation“ gewesen war. Sie behauptete, dass Adam Toledo eine Schusswaffe zur Seite warf, als er von den BeamtInnen gestellt wurde, was die Anwendung von Gewalt laut Gesetz rechtfertigen würde. Auf Grund von Filmaufnahmen des Geschehens musste die Polizei allerdings einen Rückzieher machen. Die Aufnahme eine Kamera, die ein Polizist am Körper trugt, zeigt jedoch, wie Toledo befohlen wird, seine Hände zu heben. Er tat dies, beide Hände waren eindeutig leer. Ein Polizeibeamter erschoss ihn trotzdem.

Die BeamtInnen hatten ursprünglich behauptet, Adam Toledo sei bewaffnet gewesen. Chicagos Polizeisprecher Tom Ahern twitterte: „BeamtInnen beobachteten zwei Personen in einer nahe gelegenen Gasse. Eine floh zu Fuß, was zu einer bewaffneten Konfrontation geführt hat. Eine Person wurde angeschossen und getötet. Die zweite wurde in Gewahrsam genommen. Eine Waffe wurde am Tatort sichergestellt“. Die offizielle Erklärung der Polizei lautete: „Ein bewaffneter Täter floh vor den BeamtInnen. Es folgte eine Verfolgung zu Fuß, die in einer Konfrontation endete.“

Die AnwältInnen von Cook County (dem Bezirk, in dem Chicago liegt) behaupteten ebenfalls, dass Toledo „eine Waffe hatte“. Die Bürgermeisterin Lori Lightfoot wiederholte ähnliche Aussagen am 5. April. Sie erklärte: „Toledo hatte eine Waffe“ und fuhr fort, die Schuld für seinen Tod auf die Bandengewalt in Chicago zu schieben, anstatt auf die berüchtigtste bewaffnete Bande des Landes, die Polizei. Der Familie wurde damals der Zugang zu den Aufnahmen der Körperkamera verweigert. Es würde 10 Tage dauern, bis sie zur Verfügung gestellt werden könnten.

Jetzt haben die BeamtInnen ihre Lesart geändert. Ihre Täuschung kann die Fakten nicht verbergen. Adam Toledo wird jetzt als „ein Kind in Kontakt mit einem Erwachsenen mit einer Waffe“ charakterisiert. Jetzt gibt es keine Aussagen, die an „Bandengewalt“ appellieren. Jetzt ist er nicht mehr sichtbar im Besitz einer Waffe. Die Polizei behauptet immer noch, dass Adam eine Waffe zur Seite geworfen hat, bevor er vor der Polizei seine Hände in die Luft streckte. Doch es bleiben Zweifel. Die BeamtInnen in Chicago haben einmal gelogen. Können wir wirklich wissen, ob sie jetzt die Wahrheit sagen? Immerhin hat Bidens Kandidat für den Posten des Direktors der Behörde für Alkohol, Tabak, Feuerwaffen und Sprengstoffe, David Chipman, während der Anhörungen über die Tragödie von Waco (Überfall auf das Quartier einer Sekte) 1993 unter Eid gelogen.

Der Schütze in diesem Fall ist der Polizeioffizier Eric Stillman. Nach Angaben des Invisible Institute, das Spuren und Aufzeichnungen von polizeilichen Aktionen dokumentiert, liegen gegen ihn drei Beschwerden und vier Berichte wegen Gewaltanwendung vor. Die Vorwürfe umfassen unsachgemäße Durchsuchungen und Beschlagnahmungen und Verletzungen durch Gewaltanwendung.

Die ChicagoerInnen sind auf die Straße gegangen. Überall im Land sind Proteste ausgebrochen. Solche Bewegungen wurden durch den Tod von Daunte Wright und den Prozess gegen den Mörder von George Floyd angestachelt. Wir wissen, dass die Polizei gewaltsam reagieren wird und darauf abzielt, uns zu terrorisieren. Sie hat dies bereits in New York und in Brooklyn Center, Minnesota, getan. Berichten zufolge wurde der Kopf eines Fotografen durch einen Schlag der Polizei auf den Boden gerammt. Die Polizei in Brooklyn Center verstieß gegen die Vorschriften, als sie mit Tränengas auf DemonstrantInnen schoss. Das Muster der Polizeigewalt gegen den George-Floyd-Aufstand wird sich leider wiederholen.

Genau wie bei der Ermordung von Daunte Wright ist jetzt die Zeit zum Handeln gekommen. Revolutionäre SozialistInnen müssen in Solidarität mit den DemonstrantInnen stehen. Wir müssen sehen, dass alle Organe der ArbeiterInnenbewegung und diejenigen, die Anspruch auf eine solche Vertretung erheben würden, solidarisch sind. Schon jetzt gibt es ermutigende Anzeichen. TransportarbeiterInnen in Minnesota weigerten sich, verhaftete DemonstrantInnen zu transportieren. Der Ortsverband der Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA) in den Nachbarstädten Minneapolis und Saint Paul hat begonnen, Spenden für die SanitäterInnen und die Familie von Daunte Wright zu sammeln. Allerdings müssen DSA-Sektionen und Gewerkschaften im ganzen Land ihre Unterstützung verstärken. Sie müssen dazu aufrufen, dass alle auf die Straße gehen und ihre Arbeitsplätze verlassen. Wir müssen die Abschaffung der Polizei und ihre Ersetzung durch die Selbstverteidigungskräfte der ArbeiterInnen und der schwarzen und lateinamerikanischen Gemeinden fordern.




USA: Mord an Daunte Wright zeigt die Unreformierbarkeit der Polizei

Tom Burns, Workers Power USA, Infomail 1146, 14. April 2021

Am 11. April 2021 wurde Daunte Wright, 20 Jahre alt, bei einer Verkehrskontrolle von PolizeibeamtInnen in Brooklyn Center, Minnesota, einem Vorort von Minneapolis, ermordet. Die Polizei behauptet, dass auf Mr. Wright ein Haftbefehl ausgestellt gewesen wäre und dass er versuchte hätte, mit seinem Auto zu entkommen. Das Fahrzeug fuhr noch einige Blocks weiter, bevor es nach der Schießerei mit einem anderen Fahrzeug kollidierte. Dauntes Freundin befand sich im Auto und wurde wegen leichter Verletzungen ins Krankenhaus gebracht. Die an der Schießerei beteiligte Polizeibeamtin behauptet, sie habe versehentlich ihre Waffe statt eines Elektroschockers gezogen. Die anschließenden Proteste sahen die Polizei Tränengas und Gummigeschosse einsetzen, um die Menge zu zerstreuen.

Kein Vertrauen in die Polizei!

Der Mord ereignete sich nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Derek Chauvin im Mai letzten Jahres George Floyd das Leben genommen hatte, und geht in die dritte Woche des Prozesses gegen den Polizisten, in dem die Staatsanwaltschaft versucht hat, Chauvin nur als einen „faulen Apfel“ darzustellen. PolizeibeamtInnen, die an der Ausbildung beteiligt waren und in der Befehlskette über Chauvin standen, haben im Namen der Anklage ausgesagt. Doch der Mord an Daunte Wright und die schiere Anzahl solcher Morde über viele Jahre hinweg beweist den inhärent rassistischen Charakter der Polizei. Sie kann nicht reformiert werden. Sie muss abgeschafft und durch die Selbstverteidigung der ArbeiterInnen und der schwarzen Gemeinschaft ersetzt werden.

Die „Black Lives Matter“-(BLM)-Proteste nach dem Tod von George Floyd legten die brutale Natur der Polizeiarbeit im ganzen Land offen. Es gab unzählige Videos im Internet von gewaltsamer Repression gegen unschuldige DemonstrantInnen: ihr Tränengaseinsatz in Raleigh, North Carolina, oder Polizeiautos, die Protestierende in New York oder Kalifornien überfuhren. Das Ziel war eindeutig, uns zu terrorisieren. Aber trotz dieser Gewalt durch staatliche Sicherheitskräfte blieben die DemonstrantInnen im ganzen Land unbeugsam. Bei den Protesten nach Floyds Tod wurde ein Polizeirevier in Brand gesetzt, der erste derartige Fall in der jüngeren amerikanischen Geschichte.

Nach der Tötung von Daunte Wright versammelten sich lokale DemonstrantInnen. Wie es die Polizei in Minneapolis, Raleigh, New York, Los Angeles und anderen amerikanischen Städten tat, überzog sie die Protestierenden mit Gewalt und versuchte, die Menge mit Gummigeschossen und Tränengaskanistern zu zerstreuen.

In Minneapolis hatten sich am selben Tag rassistische und rechtsextreme protestierende GegnerInnen zusammengerottet. Natürlich ging die Polizei nicht gegen diese Proteste vor. Ähnlich wie während Trumps Putsch in der Hauptstadt Washington betrachteten die BeamtInnen solche AkteurInnen als „Kumpel“ und „FreundInnen“. Die Polizei existiert, um private Eigentumsrechte und die Interessen des bürgerlichen Staates durchzusetzen.

Wir müssen uns landesweit mit den DemonstrantInnen in Minnesota solidarisch zeigen. Diese Solidarität muss alle Organe der ArbeiterInnenbewegung und Organisationen, die beanspruchen, uns zu vertreten, einbeziehen, über Worte hinausgehen und jetzt handeln. Die organisierte ArbeiterInnenklasse und die Demokratischen SozialistInnen Amerikas (DSA) erhalten eine weitere Chance, eine wichtige Rolle bei der Organisierung und den Protesten gegen Polizeigewalt, ja gegen die Institution selbst, zu übernehmen. Wenn die DSA wirklich die ArbeiterInnenklasse anführen will, muss sie mit der Verurteilung der „RandaliererInnen“ durch die demokratischen PolitikerInnen und den Aufrufen zum Frieden in Unterwerfung brechen. Sie muss entschlossen in Solidarität mit der BLM handeln und dazu aufrufen, dass alle von ihren Arbeitsplätzen hinaus und auf die Straße gehen.




USA: Die Wurzeln des grassierenden antiasiatischen Hass

Benji Weiss, Workers Power USA, Infomail 1144, 31. März 2021

In dem Jahr seit der Ermordung von George Floyd trat einmal mehr die harte Realität des Rassismus zutage, den AfroamerikanerInnen 150 Jahre nach der Abschaffung der Sklaverei und ein halbes Jahrhundert nach der Bürgerrechtsbewegung immer noch erleben.

Auch Trumps Unterstützung durch und Billigung von weißen RassistInnen, seine Beschimpfung derjenigen, die Grenzen im Süden der USA überqueren wollen, und der sogenannten Illegalen als „krankheitsübertragende Kriminelle“ unterstrichen die Tatsache, dass auch viele andere Gemeinschaften heute Zielscheibe von Rassismus sind.

Gewalt bis zum Mord

Eine Serie von Schießereien in drei Massagesalons und Kurbädern in Atlanta, Georgia, am 16. März, lenkte die Aufmerksamkeit auf die rassistische Gewalt gegen Menschen asiatischer Herkunft. Sechs der 8 Opfer waren Migrantinnen aus diesem Kontinent. Dies wiederum unterstrich die Tatsache, dass verbale Beschimpfungen und körperliche Angriffe, die manchmal sogar in Mord gipfeln, eine allzu regelmäßige Erfahrung für AmerikanerInnen chinesischer, koreanischer, philippinischer, japanischer, vietnamesischer und anderer asiatisch-pazifischer Herkunft sind.

Die Tragödie von Atlanta hat eine landesweite Debatte ausgelöst, der sich der Staat und die Medien nicht entziehen können. Im Januar wurde der 84-jährige Vicha Ratanapakdee, thailändischer Herkunft, bei seinem Morgenspaziergang in San Francisco zu Boden gestoßen; zwei Tage nach dem Überfall starb er. In New York City wurde einem 61-jährigen Mann , der von Philippinen stammte, mit einem Paketmesser das Gesicht aufgeschlitzt, während in Oakland, Kalifornien, ein 91-jähriger Mann zu Boden geworfen wurde. In diesem Jahr wurden dort bereits 20 solcher gewalttätigen Angriffe gemeldet.

Ein Anfang des Monats veröffentlichter Bericht des „California State University’s San Bernadino Center for the Study of Hate and Extremism“, einem Institut für Studien zu Hass und Extremismus, verweist auf einen 150-prozentigen Anstieg antiasiatischer Hassverbrechen in den größten Städten Amerikas im Verlauf der Covid-19-Pandemie im Jahr 2020.

Laut dem Bericht sind nicht nur diese Fälle um 150 Prozent gestiegen, von 49 im Jahr 2019 auf 120 im Jahr 2020, sondern dies geschah, während die Hassverbrechen insgesamt um 6 Prozent zurückgingen, von 1.877 im Jahr 2019 auf 1.773 im Jahr 2020. Ein Bericht der politischen Gruppe „Stop AAPI Hate“ (Stopp dem Hass gegen asiatische AmerikanerInnen und Leute von den pazifischen Inseln) katalogisierte außerdem rund 3.800 rassistische Vorfälle, die sich gegen asiatische Menschen in den USA richteten, darunter auch schwere Verbrechen.

Antichinesische Hetze

Dieser rasante Anstieg hängt eindeutig damit zusammen, dass Donald Trump die Tatsache aufgriff, dass die weltweite Pandemie in Wuhan begann, um auf Fox News zu behaupten, dass das Virus im Institut für Virologie in dieser Stadt begann und dass die Weltgesundheitsorganisation dies vertuscht habe, weil China sie irgendwie in der Tasche habe. Von da an nannte Trump Covid-19 regelmäßig „chinesische Grippe“ oder „das chinesische Virus“. QAnon und andere VerbreiterInnen wirrer Verschwörungstheorien behaupteten, es handele sich tatsächlich um einen chinesischen Bazillus der biologischen Kriegsführung, der die US-Wirtschaft absichtlich zu Fall bringen solle. All dies half bequem, um die eigene unverantwortliche Weigerung der Regierung zu vertuschen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, was dazu führte, dass die USA den schlimmsten Ausbruch der Welt verzeichneten.

Damit verbunden ist die sowohl von offen reaktionären als auch von vermeintlich „progressiven“ Elementen der herrschenden Mächte verbreitete Darstellung, dass China eine Bedrohung für „unsere Lebensweise“ darstellt. Es ist viel über Chinas Aggression gegenüber Taiwan und im Südchinesischen Meer gesagt worden. Es wurde viel über die Verfolgung der UigurInnen, der TibeterInnen und derjenigen, die für demokratische Rechte in Hongkong kämpfen, gesagt. Natürlich sind diese Anschuldigungen wahr, aber wenn sie von einer Regierung und den einflussreichen Medien kommen, die ebenso schändliche Verbrechen vertuschen, die von Amerikas eigenen Verbündeten begangen werden, ist das einfach die reinste Heuchelei.

Um nur einige Beispiele zu nennen, gibt es den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der einen völkermörderischen Krieg im Jemen führt, oder Ägyptens Präsident Abd al-Fattah as-Sisi, der 70.000 – 100.000 politische Gefangene in seinen Gefängnissen gefangen hält. Trotz dieser Verbrechen unterzeichneten die USA 2017 einen 110-Milliarden-Dollar-Deal für Waffenlieferungen an die Saudis und schicken jährlich etwa 1,3 Milliarden Dollar Militärhilfe nach Ägypten.

Dann ist da noch Amerikas engster Verbündeter, Israel, mit seiner unerbittlichen Verfolgung der PalästinenserInnen, die zum Teil von den USA finanziert wird. Washington könnte all diese Barbarei stoppen, indem es den Hahn der militärischen und wirtschaftlichen Hilfe und Investitionen zudreht, aber es tut es nicht. Warum nicht? Weil keine imperialistische Macht sich von den Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte leiten lässt oder jemals ließ, sondern ihre eigene Ausbeutung anderer Völker auf der ganzen Welt mit allen Mitteln verteidigt und ausweitet.

In der Tat war der Rassismus untrennbar mit dem Kapitalismus seit seiner frühesten Phase verbunden, als Millionen von AfrikanerInnen als SklavInnen nach Amerika transportiert wurden und der europäische Kolonialismus einen großen Teil der indigenen Völker von Gebieten auf der ganzen Welt auslöschte. Auch im industriellen Kapitalismus wurde er eine riesige Anzahl von chinesischen KontraktarbeiterInnen verwendet, um seine Eisenbahnen und Kanäle zu bauen. Er rechtfertigte diese verschiedenen Formen der Superausbeutung und Zwangsarbeit mit der Behauptung, dass seine Opfer von Natur aus unzivilisiert seien, in der Tat, weniger als gleichwertige menschliche Wesen. Ja, die Nazis hatten VorgängerInnen in den sogenannten demokratischen Nationen.

Imperialistische Rivalität und Rassismus

Jahrzehntelang war die amerikanische Bourgeoisie glücklich, hochprofitable Geschäfte mit China zu machen, da sie es als einen Markt für US-Produkte sah, einen Ort, an den sie die Produktion ihrer Konzerne auslagern konnte, während sie gleichzeitig die Restauration des Kapitalismus als Beweis für ihre globale Überlegenheit bejubelte. Warum also die zunehmende Hysterie und Feindseligkeit gegenüber China im letzten Jahrzehnt, beginnend mit Obamas militärischer Schwerpunktorientierung nach Asien, über Trumps Handelskrieg bis hin zu Bidens Menschenrechtskreuzzug?

All dies hat wenig oder nichts mit den sehr realen Verfehlungen der chinesischen Regierung zu tun. Vielmehr geht es darum, die imperialen Interessen der USA zu schützen und auszuweiten, die Dominanz der amerikanischen multinationalen Konzerne gegen die aufstrebende Wirtschaftsmacht China zu schützen. Die einzigen, die von der Verschärfung dieses Konflikts profitieren, der jetzt nicht mehr nur eine Frage des Handels ist, sondern einen militärischen Aspekt annimmt, sind Amerikas KapitalistInnen.

Wenn die USA die Leiden der UigurInnen oder die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong anprangern oder die wachsende chinesischen Wirtschaftskraft in der sog. Dritten Welt „entdecken“, so werden diese nur als propagandistische Werkzeuge benutzt, um die eigene wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft der USA in der Welt aufrechtzuerhalten. Solche Propaganda hilft dem berechtigten Widerstand gegen Xi Jinpings Verbrechen wenig bis gar nicht.

US-KommentatorInen und -PolitikerInnen haben den wachsenden Einfluss Chinas als Großinvestor im globalen Süden, insbesondere in Afrika, hervorgehoben, manche nennen dies sogar Imperialismus. Damit haben sie Recht. Was wir sehen, ist in der Tat die Entwicklung eines neuen Rivalen zum US-Imperialismus. Dass sich die USA darüber beschweren, ist angesichts der Rolle, die sie den größten Teil des zwanzigsten Jahrhunderts über gespielt haben, in der Tat dreist.

Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten die USA zusammen mit Britannien, Japan und Frankreich, China zu zerschlagen. Dann blockierten sie nach der Revolution von 1949 die Volksrepublik und stärkten später effektiv Mao Zedongs stalinistisches Regime. Nachdem sich dieses Regime mit dem Tiananmen-Massaker und der Restauration des Kapitalismus vor dem Zorn des eigenen Volkes gerettet hatte, pumpten US-Konzerne Milliarden hinein, um die neuen Profitmöglichkeiten zu nutzen. Was sie jetzt ablehnen und hassen, sind nicht die Verbrechen von Xi Jinping, sondern die aufsteigende Macht und Rivalität des chinesischen Imperialismus.

Xi Jinping stellt keine größere Bedrohung für die amerikanische ArbeiterInnenklasse dar als „unsere eigene“ Regierung und die großen Konzerne, ja sogar weniger. Indem sie den Hass auf das Fremde im Ausland und auf die Menschen asiatischer Herkunft zu Hause schüren, wollen unsere Bosse, dass die arbeitenden Menschen ihnen die Lüge abkaufen, dass die USA eine gutartigere, demokratischere Form der Unterdrückung und des Imperialismus sind, nur weil sie im eigenen Land gewachsen ist. Das treibt die Menschen nur dazu, ihre eigene Unterdrückung zu verstärken, indem sie Menschen hassen, die nur oberflächlich anders sind als sie selbst und dabei ihre/n wahre/n FeindIn nicht erkennen. Aber, wie Karl Liebknecht 1914 in berühmten Worten sagte: „Der Hauptfeind steht in unserem eigenen Land.“

Wurzeln des antiasiatischen Rassismus

Der Rassismus gegen asiatische AmerikanerInnen hat tiefe Wurzeln. Chinesische ArbeitsmigrantInnen kamen in den späten 1840er Jahren in die Goldminen und spielten dann in den 1850er Jahren eine große Rolle beim Bau der transkontinentalen Eisenbahnlinien. Teile der weißen ArbeiterInnenschaft, die selbst erst kürzlich vor der Unterdrückung in Europa eingewandert waren, wurden aufgepeitscht und forderten, dass die „Coolies“ (TagelöhnerInnen) ausgeschlossen oder zurück in ihre Heimat geschickt werden sollten. In Kalifornien entschied der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates, dass ChinesInnen nicht vor Gericht aussagen durften, weil sie „eine Rasse von Menschen sind, die von der Natur als minderwertig gezeichnet wurde und die unfähig zu Fortschritt oder intellektueller Entwicklung sind.“

In den Jahren 1875 und 1882 wurden antichinesische Einwanderungsgesetze erlassen, die bis 1942 in Kraft blieben, als das nationalistische China ein Verbündeter der USA gegen Japan war. Zur gleichen Zeit wurden 120.000 japanische AmerikanerInnen, 62 Prozent von ihnen vollwertige US-StaatsbürgerInnen, für die Dauer des Krieges in unwirtlichen Wüstenlagern interniert. In den 1890er Jahren wurde eine heftige sinophobe Kampagne rund um die Idee der „gelben Gefahr“ aufgepeitscht. Ihr Ursprung lag im zaristischen Russland, von wo aus sie schnell vom kaiserlichen Deutschland aufgegriffen und dann in die „Great Republic“ (Großartige Republik) exportiert wurde. Hier wurde sie nicht nur von nativistischen (Nativismus: Lehre von den unveränderlichen Erbanlagen; die Red.) und Jim-Crow-ReaktionärInnen (Jim Crow: segregationistische Rassengesetzgebung in den US-Südstaaten; die Red.), sondern auch von Teilen der ArbeiterInnenbewegung eifrig aufgenommen. Sie ist ein wahrer geborener Zwilling des Antisemitismus.

Einige GewerkschafterInnen, vor allem in den FacharbeiterInnengewerkschaften, die bereits versucht hatten, irische EinwanderInnen und dann schwarze ArbeiterInnen auszuschließen, argumentierten, dass chinesische ArbeiterInnen „unfähig seien, sich zu organisieren“. Samuel Gompers, der berüchtigte antimarxistische Führer der American Federation of Labour, schrieb 1902 ein Pamphlet mit dem Titel „Meat vs. Rice. American Manhood versus Asiatic Coolieism: Which shall Survive?“ („Fleisch gegen Reis. Amerikanische Mannhaftigkeit gegen asiatisches Kulidasein: Was wird überleben?“) Die Bilanz der 1901 gegründeten Socialist Party of America war jedoch nicht viel besser. Sie war „farbenblind“ gegenüber dem Rassismus gegen schwarze ArbeiterInnen, ignorierte Jim Crow im Süden und prangerte die Ankunft von eingewanderten ArbeiterInnen aus China oder Japan an.

Als die Zweite Internationale auf ihren Konferenzen in Amsterdam (1904) und Stuttgart (1907) Einwanderungskontrollen verurteilte, wurde dies von einer Mehrheit der US-Delegierten entschieden abgelehnt, insbesondere von einem der wichtigsten Führer der Partei, Morris Hilquit. Er schloss sich den holländischen und australischen Delegierten an und unterstützte eine Resolution, die sich gegen die Einreise von ArbeiterInnen aus „rückständigen Rassen“, also ChinesInnen und JapanerInnen, in die USA und nach Europa aussprach. Victor L. Berger, ein weiterer führender Sozialist und selbst ein österreichisch-jüdischer Einwanderer, forderte, dass die USA „ein Land des weißen Mannes“ bleiben müssten.

Sogar ein prominenter Marxist aus der Zeit vor 1914, Gerhard Ernest Untermann Sr., der Übersetzer der drei Bände von Marx‘ Kapital, war ein unverhohlener weißer Rassist und sagte: „Ich bin entschlossen, dass meine Rasse in diesem Land und in der Welt die Oberhand haben soll.“ Es bedurfte eines harten Kampfes, zuerst von den revolutionären SyndikalistInnen der IWW (Industriearbeiterinnen der Welt), dann von den US-KommunistInnen in den 1920er Jahren und den TrotzkistInnen in den 1930er Jahren, um den Rassismus gegen Schwarz und AsiatInnen unter Teilen der weißen ArbeiterInnen zu bekämpfen. Das ist ein Kampf, den wir heute wieder führen müssen.

Den antirassistischen Kampf und den Kampf der ArbeiterInnenklasse vereinen

Glücklicherweise hat die „Black Lives Matter“-Bewegung jedoch bereits eine große Anzahl weißer AntirassistInnen, insbesondere junge Menschen, Frauen und die anschwellenden Reihen der Democratic Socialists in antirassistische Mobilisierungen einbezogen.

Als KommunistInnen müssen wir für den Schutz der demokratischen Rechte aller unterdrückten Menschen kämpfen: von Frauen, vo rassistisch, national und ethnisch Unterdrückten, ImmigrantInnen und LGBTQI+-Menschen. Wir müssen gegen die reaktionären, nativistischen und anderweitig chauvinistischen Elemente kämpfen, die zeitweise die sozialistischen und kommunistischen Bewegungen durchdrungen haben, und die Kämpfe der asiatischen sowie aller unterdrückten ethnischen und nationalen Gruppen gegen rassistische Angriffe und Diskriminierung unterstützen.

Am 21. März fand in Birmingham eine Kundgebung mit dem Slogan „Stop Asian Hate“ (Stopp dem Hass gegen AsiatInnen) statt, die von Weißen, Schwarzen, Latinx (Latinos/Latinas) unterstützt wurde, aufgerufen von, der Alabama Asian Cultures Foundation (Asiatische Kulturstiftung Alabama), Black Lives Matter, Hispanic Interest Coalition of Alabama (Hispanische Interessenkoalition Alabama), die Vietnamesische Studentische Assoziation an der Universität von Alabama in Birmingham und anderen. Die RednerInnen setzten den antiasiatischen Rassismus in Beziehung zu den Erfahrungen schwarzer Menschen und der Notwendigkeit, gegen alle Formen von Rassismus und weißer Vorherrschaft zu kämpfen. Aber wir müssen auch alle Versuche bekämpfen, von welcher Seite auch immer, verschiedene Teile der rassistisch Unterdrückten, wie AsiatInnen und Schwarze, gegeneinander aufzuhetzen.

Wir können nicht auf den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft hinarbeiten, ohne alle Systeme der Unterdrückung anzugreifen. Die gesamte ArbeiterInnenklasse muss die Aufstachelung unserer HerrscherInnen zum Kampf gegeneinander zurückweisen. Der wahre Feind von uns allen sind die KapitalistInnenklasse und alle Systeme, die ihr dienen. Das bedeutet nicht, dass wir in irgendeiner Weise „farbenblind“ gegenüber den verschiedenen Formen von Rassismus und Unterdrückung und deren Bedeutung sind. Wir müssen alle Beispiele von Unterdrückung und Ausbeutung bekämpfen, um ein unbesiegbares Instrument des Kampfes aufzubauen: eine unabhängige Partei der ArbeiterInnenklasse und eine neue Internationale zum Kampf gegen den globalen Kapitalismus. Das Wachstum der DSA, die Bestrebungen, Amazon gewerkschaftlich zu organisieren, geben auch dafür Hoffnung.

Die ArbeiterInnen müssen für die Niederlage des Imperialismus und Kapitalismus in allen anderen Ländern ebenso kämpfen wie in unserem eigenen. Wie Marx in jenem grundlegendsten Dokument der revolutionären Arbeiterbewegung, dem Kommunistischen Manifest, sagte, haben die arbeitenden Menschen kein eigenes Land: Wir können und müssen uns vereinigen.




USA: Unterstützt die ArbeiterInnen von Bessemer!

Dave Stockton, Infomail 1142, 16. März 2021

Eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne in der Stadt Bessemer, Alabama, (26.680 EinwohnerInnen) hat die Aufmerksamkeit von GewerkschafterInnen und SozialistInnen weltweit auf sich gezogen. Der Grund? ArbeiterInnen, GewerkschaftsorganisatorInnen und GemeindeaktivistInnen haben es dort mit einem wahren Goliath des modernen Kapitalismus aufgenommen: Jeff Bezos‘ Amazon, dem zweitgrößten Einzelhändler, hinter Walmart, in den USA, wo er immer noch 60 % seines Geschäfts macht.

Expansion und Profit

Amazon ist jetzt ein globales Unternehmen, das dank der Covid-19-Pandemie seinen weltweiten Umsatz, den Umfang seiner Belegschaft und seine Gewinne in die Höhe schnellen ließ. Im Jahr 2020 stieg der Umsatz in Deutschland um 9,8 % auf 34,88 Mrd. US-Dollar (31,15 Mrd. Euro), in Großbritannien um 15,2 % auf 29,05 Mrd. US-Dollar (22,76 Mrd. britische Pfund) und in Japan um 12,3 % auf 26,47 Mrd. US-Dollar (2,885 Billionen Yen).

Laut dem Wirtschaftsmagazin Forbes lieferte das Unternehmen im Jahr 2020 ein wahres Rekordergebnis mit einem Anstieg des Jahresumsatzes um 38 % auf 386 Mrd. US-Dollar, ein jährliches Wachstum von über 100 Mrd. US-Dollar, 125 Mrd. US-Dollar Umsatz allein im vierten Quartal. Der Nettogewinn stieg im Vergleich zum Vorjahr um 84 %. Bezos, der Gründer und bis vor kurzem Vorstandsvorsitzender von Amazon, verfügt über ein Privatvermögen von 196 Mrd. US-Dollar. Laut der US-Denkfabrik Institute for Policy Studies haben allein in den ersten sechs Monaten die 643 MilliardärInnen des Landes, darunter Bill Gates und Mark Zuckerberg, einen Vermögenszuwachs von 845 Mrd. US-Dollar verzeichnet, was ihr gemeinsames Vermögen von 2,95 Billionen US-Dollar auf 3,8 Billionen US-Dollar erhöhte.

Um solche enormen Gewinne zu realisieren, hat Amazon zwischen Januar und Oktober letzten Jahres weltweit mehr als 425.000 MitarbeiterInnen eingestellt. Forbes schätzt, dass Amazon jetzt 1,2 Millionen MitarbeiterInnen hat (810.000 in den USA), nicht mitgezählt die halbe Million LieferfahrerInnen, die nicht unmittelbar unter Vertrag des Unternehmens stehen. Die Pandemie war ein Geschenk des Himmels, nicht nur für das exponentielle Wachstum der Onlineverkäufe, sondern auch für die Freisetzung eines riesigen Potenzials an jungen und qualifizierten Arbeitskräften, die von anderen Unternehmen, die von den Schließungen betroffen waren, entlassen wurden.

Lage der Beschäftigten

Dennoch behandelt Bezos seine ArbeiterInnen genauso wie die industriellen Raubritter des neunzehnten Jahrhunderts, Henry Ford, Andrew Carnegie, Rockefeller, mit teuren gewerkschaftsfeindlichen Firmen und AnwältInnen, die gegen Gewerkschaften vorgehen. Die ArbeiterInnen in Bessemer und in allen Amazon-Lagern und Logistik-Zentren haben lange Arbeitstage (zehn Stunden). Überstunden sind obligatorisch, und die Lohnabhängigen werden oft erst Stunden vor ihrem Beginn informiert, und sie enden oft zu unsozialen Zeiten, wenn der öffentliche Nahverkehr nach Hause knapp ist.

Hinzu kommen das schwere Heben, die Beschleunigung und die aggressive Kontrolle der MitarbeiterInnen, um die Zeit für das Mittagessen oder Toilettenpausen zu verkürzen. Krankenhausaufenthalte kommen häufiger als bei anderen Logistikunternehmen vor. Auch sind schon einige wegen fehlender Klimaanlagen ohnmächtig geworden. In der ersten Welle der Pandemie gab es auch einen weit verbreiteten Mangel an persönlicher Schutzausrüstung. Vor allem aber können die ArbeiterInnen aus jedem beliebigen Grund entlassen werden.

Die Löhne liegen mit 15,3 US-Dollar in der Regel über dem Durchschnitt der umliegenden Gebiete, aber unter den Tarifen in Lagerhäusern oder für AuslieferungsfahrerInnen. Infolgedessen fürchten die ArbeiterInnen in diesen Sektoren den Abwärtsdruck auf ihre Löhne durch die Ankunft von Amazon in ihrer Gegend.

Es überrascht nicht, dass Amazon, wie viele große US-Konzerne, sehr gewerkschaftsfeindlich ist – natürlich nicht nur in den USA. In den meisten Ländern gibt es überhaupt keine Organisierung der Beschäftigten. In den USA hat es wiederholt und illegal ArbeiterInnen wegen gewerkschaftlicher Aktivitäten entlassen, wie Christian Smalls, der eine Arbeitsniederlegung im Lager des Unternehmens in Staten Island, New York, anführte. John Hopkins, ein Arbeiter im Werk des Unternehmens in San Leandro, Kalifornien, wurde entlassen, weil er am 1. Mai Flugblätter der Gewerkschaft über ihre Pläne für den Juneteenth, eine jährliche Feier zur Befreiung der SklavInnen, verteilt hatte. Jeff Bezos forderte seine ArbeiterInnen übrigens auf, diesen Tag zu ignorieren, weil die SklavInnen ja vor 150 Jahren befreit worden wären. Offensichtlich konnten seine LohnsklavInnen nicht einmal für einen Tag befreit werden.

David gegen Goliath

Diesem kapitalistischen Goliath steht ein moderner David gegenüber, nämlich die 2.000 der 5.800 ArbeiterInnen in Amazons BHM1 Auslieferungszentrum in Bessemer. Sie haben bereits Berechtigungskarten für den Gewerkschaftsbeitritt unterschrieben und von der Nationalen Behörde für Arbeitsverhältnisse das Recht auf eine Urabstimmung über die Anerkennung der Gewerkschaft erhalten, die am 30. März endete. Amazon hat alles getan, um diesen Prozess zu behindern, indem es die Beschäftigten zur Teilnahme an gewerkschaftsfeindlichen Versammlungen verpflichtete und versucht hat, die Briefwahl zu verhindern. Das Werk wurde mit gewerkschaftsfeindlichen Plakaten zugekleistert und das Unternehmen hat versucht, GewerkschaftsorganisatorInnen daran zu hindern, mit den Beschäftigten in Bussen zu sprechen, wenn diese zur Arbeit fahren.

Unterstützt werden die gewerkschaftsfreundlichen ArbeiterInnen im Werk von der Gewerkschaft des Einzel-, Großhandels und der Kaufhäuser (RWDSU; 60.000 Mitglieder landesweit im Jahr 2014) und vielen kommunalen AktivistInnen aus Bessemer, aus dem nahegelegenen Birmingham und Freiwilligen aus anderen Städten und Staaten.

Bessemer kann auf eine gute gewerkschaftliche und politische Tradition der ArbeiterInnenbewegung zurückblicken, die auf Stahl-, Eisenerz-, Kohle- und Textilstreiks und die Organisierung in den 1930er Jahren zurückgeht. Die Stadt war auch das Zentrum der kommunistischen Parteiorganisation unter den FarmpächterInnen. In den 1930er Jahren hatte die Partei dort über tausend Mitglieder. Aber dies wurde durch die massiven Schließungen dieser Industrien in den 1980er Jahren weitgehend beendet. Jetzt wird an dieses Vermächtnis wieder angekünpft.

Eine weitere bemerkenswerte Tradition, auf die zurückgeblickt werden kann, ist die Birmingham-Kampagne von Martin Luther King und der BürgerInnenrechtsbewegung im Jahr 1963. Die Belegschaft des Bessemer Auslieferungszentrums besteht zu 85 % aus AfroamerikanerInen, ebenso wie 70 % der BürgerInnen von Bessemer. Die RWDSU hat sich mit der „Black Lives Matter“-Bewegung verbunden. Der Präsident der Gewerkschaft, Stuart Appelbaum, sagte: „Wir sehen diese Kampagne sowohl als BürgerInnenrechtskampf als auch als Arbeitskampf.“

Globale Bedeutung

Es liegt auf der Hand, dass ein Sieg der gewerkschaftlichen Organisierung in Bessemer eine ermutigende Wirkung in den gesamten USA und darüber hinaus auf die Amazon-Beschäftigten in Spanien, Italien, Polen, dem Vereinigten Königreich und Japan zeitigen wird. Letztes Jahr gab es bereits Aktionen wegen der Gesundheits- und Sicherheitsbedingungen in den europäischen Werken. Die Organisation der Unterstützung durch die Gemeinde in Bessemer wird sich auch ausbreiten und die rassistisch und geschlechtlich Unterdrückten sowie Jugendliche und StudentInnen mit einbeziehen können.

Amazons massiver Einsatz von Hightechsystemen, kombiniert mit seiner gewerkschaftsfeindlichen Politik, könnte in der gesamten sogenannten Gig-Economy (Klein- und Gelegenheitsauftragssektor) kopiert werden. Die ArbeiterInnen werden viel flexiblere und internationale Netzwerke für Solidarität entwickeln müssen. Alte Spaltungen zwischen den Gewerkschaften sowie gewerkschaftliche Rivalitäten und das bürokratische Abwürgen von Initiativen der einfachen ArbeiterInnen haben die Gewerkschaften daran gehindert, mit den Veränderungen in alten und neuen Industrien und Dienstleistungen Schritt zu halten. Wenn dies so weitergeht, könnte es sich als fatal für die neue Bewegung erweisen. Am Ende werden militante Aktionen und die schnelle Unterstützung durch andere ArbeiterInnen und ihre Gemeinschaften die entscheidende Kraft sein, die es den Davids, wie den Bessemer Amazon-ArbeiterInnen, ermöglicht, die Goliaths zu schlagen.

Politische Organisierung und Kampagne

Jenseits der individuellen Kämpfe um gewerkschaftliche Organisierung in den Betrieben und Unternehmen müssen die ArbeiterInnen auf die Arena der Politik schauen, nicht so sehr auf die vergeblichen Versuche, die zweite kapitalistische Partei des Landes, die Demokratische Partei (DP), dazu zu bringen, etwas für sie zu tun, nachdem sie jahrzehntelang die Beiträge der ArbeiterInnen für so gut wie nichts im Gegenzug eingesackt hat. Was für den Kampf um gewerkschaftliche Organisierung gilt, gilt übrigens auch für „Black Lives Matter“ und die Frauenbewegung.

DP-Senator Bernie Sanders und die Kongressabgeordnete Ilhan Omar haben einen Gesetzentwurf für den Kongress entworfen, der die MilliardärInnen dazu bringen würde, eine Steuer von 60 % auf die Zuwächse zu zahlen, die sie während der Pandemie eingestrichen haben. Elementare Steuergerechtigkeit, wie es scheint, denn es wurde berechnet, dass Jeff Bezos jedem/r Amazon-MitarbeiterIn 105.000 US-Dollar geben könnte und immer noch so reich wäre wie vor der Pandemie.

Natürlich werden sich die millionenschweren RepublikanerInnen und DemokratInnen im Kongress das nicht gefallen lassen. Sie haben sich gerade erst geweigert, Bidens Konjunkturpaket zur Anhebung des Mindeststundenlohns von 7,25 US-Dollar auf 15 US-Dollar zuzustimmen.

Das vorgeschlagene Organisationsrechtsschutzgesetz (PRO), das Millionen von Lohnabhängigen die Möglichkeit geben würde, sich gewerkschaftlich zu organisieren , könnte bald das gleiche Schicksal erleiden. Konservative DemokratInnen und RepublikanerInnen planen eine Verschleppungstaktik, um es zu verhindern, obwohl Biden einige Schlüsselelemente des Gesetzes verbal unterstützt.

Die Politik, die US-ArbeiterInnen brauchen, kann nicht von Wahlkampf und Wahlprioritäten ausgehen. Sie muss auf eine politische ArbeiterInnenbewegung orientieren, mit einer Partei, die als Teil ihrer Ziele den Kampf für Gesetze aufnimmt, die den ArbeiterInnen das Recht zugestehen, einer Gewerkschaft beizutreten, die Arbeit„geber“Innen hart bestrafen, wenn sie ArbeiterInnen entlassen, die für bessere Löhne und Bedingungen und gegen rassistische oder sexistische Diskriminierung organisieren oder streiken. Eine wiederbelebte Gewerkschaftsbewegung, die sich mit lokalen Gewerkschaftsräten, Sektionen der schnell wachsenden Demokratischen SozialistInnen Amerikas, den Kämpfe und Communities der Unterdrückten vernetzt, muss sich zum Ziel setzen, in den USA eine ArbeiterInnenpartei mit einem Programm für einen Übergang zum Sozialismus durch eine soziale Revolution aufzubauen.




Das Corona-Virus und die Gesundheitskrise in den USA

Rebecca Anderson. Red Flag, Großbritannien, Fight! Revolutionäre Frauenzeitung, März 2021

Das Corona-Virus hat sich unkontrolliert in allen fünfzig Bundesstaaten ausgebreitet und Millionen von Infektionen und Hunderttausende vermeidbarer Todesfälle verursacht. Von der Untergrabung der öffentlichen Gesundheitsberatung über die Verzögerung von Konjunkturpaketen bei gleichzeitiger Rettung des Großkapitals bis hin zu verspäteten Lockdowns – die politische Reaktion auf das Virus war katastrophal. Sogar die Einführung des Impfstoffs in dem Land, das einen der wichtigsten herstellt, ist schmerzlich langsam verlaufen. Die letzte Bastion gegen die Pandemie – das Gesundheitssystem, das sich um die schlimmsten Fälle kümmert, wo das Krankenhauspersonal unermüdlich daran arbeitet, schwerkranke Patienten zu retten – hat ebenfalls den Test der Pandemie nicht bestanden. Covid-19 hat die strukturelle Krise eines lückenhaften Gesundheitssystems offengelegt, das eher auf Profit als auf menschliche Bedürfnisse ausgerichtet ist.

Die Partei Democratic Socialists of America (Demokratische SozialistInnen Amerikas; DSA) führt seit 2016 eine Kampagne namens „Medicare for All“, ein Vorschlag, der von den Gewerkschaften nicht aufgegriffen wurde. Dies liegt zum einen daran, dass ihre bürokratischen Führungen kein Interesse an einer solchen Kampagne haben. Zum anderen bietet Medicare vielen ArbeiterInnen weniger Gesundheitsschutz als ihre bestehende Versicherung. Als RevolutionärInnen in der DSA glauben wir, dass die DSA stattdessen die Forderung nach einer universellen Gesundheitsversorgung für alle aufstellen und die Gewerkschaftsbasis mobilisieren sollte, um innerhalb der Gewerkschaften für diese Politik zu kämpfen.

Das Gesundheitssystem im reichsten Land der Welt

Das US-Gesundheitssystem ist versicherungsbasiert und selbst dort, wo der Staat über Programme wie Medicare oder Medicaid die Gesundheitsversorgung finanziert, wird der eigentliche Anbieter (z. B. ein Krankenhaus) in der Regel von einem privaten Unternehmen betrieben. Die Kosten für den Verzicht auf ein geplantes, flächendeckendes System von Krankenhäusern und Arztpraxen zugunsten der Finanzierung der Gewinne privater Anbieter lassen sich beziffern: Pro Person kostet die medizinische Versorgung in den USA 11.000 US-Dollar, mehr als doppelt so viel wie in anderen Industrieländern.

Von diesen durchschnittlichen Ausgaben sind 4.993 US-Dollar öffentliche Gelder. Das ist höher als in Frankreich (4.111 US-Dollar), aber niedriger als in Deutschland (5.056 US-Dollar). Das Vereinigte Königreich, wo die Gesundheitsversorgung im Behandlungsfall kostenlos ist, gibt pro Kopf 3.107 US-Dollar aus. In den USA bedeuten die überdurchschnittlich hohen Ausgaben für die Gesundheitsversorgung jedoch nicht eine bessere, sondern lediglich eine teurere Versorgung. Einige Krankenhäuser und Kliniken sind staatlich, aber die meisten befinden sich in privater Hand. Die meiste Zeit werden die Ausgaben für die Gesundheit der BürgerInnen an private Unternehmen gezahlt.

Die staatlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen in den USA decken den medizinischen Bedarf der meisten Menschen nicht ab, weshalb private Krankenversicherungen einen riesigen Wirtschaftszweig ausmachen. Eine solche private Krankenversicherung kostet durchschnittlich 4.092 US-Dollar pro Person und Jahr. Für einige Arbeit„nehmer“Innen wird diese von den Arbeit„geber“Innen bezahlt – im Wesentlichen ein Abzug vom Lohn –, andere müssen sie entweder selbst bezahlen oder darauf verzichten.

Selbst mit einer Krankenversicherung ist die Gesundheitsversorgung bei weitem nicht kostenlos. Zuzahlungen und Selbstbeteiligungen bedeuten, dass diejenigen mit einer Versicherung es sich immer noch zweimal überlegen müssen, ob sie eine/n Ärztin/Arzt aufsuchen. Viele Menschen mit geringem Einkommen sind unterversichert, was bedeutet, dass ihre Versicherung keine angemessene Gesundheitsversorgung abdeckt.

Versicherungen schützen außerdem nicht vor den Kosten von chronischen Langzeiterkrankungen. Die Prämien steigen oder Versicherungen lassen teure, also kranke, VersicherungsnehmerInnen fallen. Eine Studie aus dem Jahr 2009 ergab, dass Schulden für medizinische Kosten zu 46 Prozent aller Privatinsolvenzen beitragen.

Das U.S. Census Bureau (Volkszählungsbehörde) berichtete 2017, dass fast neun Prozent der AmerikanerInnen keine Versicherung haben. Diese Zahl war in den Vorjahren höher, aber mit der Einführung des „Affordable Care Act“ (ACA) 2010 begann die Zahl der Unversicherten ab 2014 zu sinken. Diese 28 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung zahlen entweder aus eigener Tasche für die Behandlung (die durchschnittlichen jährlichen Kosten pro Person liegen bei 1.122 US-Dollar) oder müssen warten, bis ihre Notlage so dramatisch ist, damit sie Zugang zu kostenloser Gesundheitsversorgung von geringer Qualität erhalten. Das Fehlen einer Krankenversicherung verursacht etwa 60.000 vermeidbare Todesfälle pro Jahr.

ACA, allgemein bekannt als „Obamacare“, sorgte im Wesentlichen für eine gewisse Regulierung des Krankenversicherungsmarktes, indem es Versicherungsgesellschaften zwang, Menschen mit Vorerkrankungen aufzunehmen und grundlegende medizinische Bedürfnisse abzudecken. Es halbierte die Zahl der nicht versicherten Menschen und verlangsamte die steigenden Kosten der Gesundheitsversorgung. Trotz des enormen politischen Widerstands gegen den ACA wurde jedoch nur an den Rändern eines kaputten Systems herumgebastelt und viele AmerikanerInnen sind immer noch unterversichert, gar nicht versichert oder haben Schulden wegen medizinischer Behandlungen.

Joe Biden plant, weiter zu basteln und 25 Millionen unversicherte AmerikanerInnen zu versichern, allerdings nicht die 6,5 Millionen undokumentierten MigrantInnen, die sich im Land aufhalten. Er würde 4 Millionen in Armut lebende Menschen, deren Bundesstaaten sich geweigert haben, ihnen Medicaid anzubieten, automatisch anmelden. Für andere würden mehr Versicherungsoptionen zur Verfügung gestellt werden über das marktwirtschaftlich ausgerichtete Obamacare. Bidens Pläne greifen jedoch nicht in die von den UnternehmerInnen gestellte Versicherung ein, so dass die 150 Millionen Menschen, die ihre Versicherung darüber erhalten, nicht von der neuen Regelung profitieren würden.

In Amerika sind die Preise für Arzneimittel eine weitere große Belastung, da sie weit höher sind als in anderen Industrieländern. Ein 10-ml-Fläschchen Insulin kostet in den USA 450 US-Dollar im Vergleich zu nur 21 US-Dollar jenseits der Grenze in Kanada. Im Jahr 2015 riskierten fast 5 Millionen AmerikanerInnen eine Strafanzeige, um verschreibungspflichtige Medikamente aus anderen Ländern zu kaufen.

Die Corona-Krise

Das Corona-Virus hat die US-Regierung gezwungen, direkt mit den großen Pharmakonzernen zu verhandeln, um genügend Impfstoffe zu einem ausreichend niedrigen Preis zu erhalten und damit ein landesweites Impfprogramm zu starten. Der Impfstoff selbst ist kostenlos, allerdings dürfen die AnbieterInnen weiterhin Gebühren für die Verabreichung erheben.

Bei dem Impfprogramm geht es um Prävention, um die Wiedereröffnung von Schulen und die Rettung der Wirtschaft. Die Regierung hat ein offensichtliches Interesse daran, die Impfung von über 300 Millionen Menschen zu zentralisieren und sozialisieren.

In ähnlicher Weise hat das Corona-Virus die Regierung gezwungen, einzugreifen und die Schulden der KrankenhauspatientInnen zu begrenzen und die Infizierten zu ermutigen, sich behandeln zu lassen, anstatt das Risiko der Verbreitung des Virus einzugehen, indem sie sich selbst zu Hause behandeln. Ende Januar befanden sich über 120.000 Corona-Virus-PatientInnen in US-Krankenhäusern und die durchschnittlichen Kosten für ihre Behandlung betrugen 30.000 US-Dollar bzw. 62.000 US-Dollar für Personen über sechzig Jahre. Als das Ausmaß der Pandemie deutlich wurde, wurde eine Reihe von Hilfspaketen auf Bundesebene verabschiedet, die die Kosten für die Behandlung weitgehend abdeckten. Das Gesundheitssystem ist jedoch immer noch ein Marktplatz und einige Krankenhäuser und andere Gesundheitsdienstleister haben sich entschieden, nicht an den Hilfsprogrammen teilzunehmen. Einige PatientInnen fanden sich immer noch mit hohen Rechnungen konfrontiert.

Mehr als 25 Millionen Fälle wurden registriert und die Zahl der Todesfälle hat die 400.000-Marke überschritten, wobei kaum Zweifel daran bestehen, dass mindestens eine halbe Million AmerikanerInnen an dieser Pandemie sterben werden. Es wird auch geschätzt, dass eine von fünf Personen, die sich mit dem Virus infizieren, später an „Long Covid“ leiden wird, einer chronischen Krankheit mit unterschiedlichen Symptomen und Schweregraden. Viele, die an dieser Krankheit leiden, können auf Grund der ständigen Müdigkeit nicht mehr arbeiten. Einige haben bleibende Schäden an Herz, Lunge oder Gehirn davongetragen. Die Frage, wer die Kosten für die fortlaufende Behandlung von PatientInnen mit „Long Covid“ übernimmt, ist besorgniserregend für die Millionen von AmerikanerInnen, die durch die Krankheit ihren Arbeitsplatz und damit jede Versicherung verlieren könnten.

Das Corona-Virus hat das Versagen des US-Gesundheitssystems entlarvt. Die Anarchie des Marktes war nicht in der Lage, mit den Herausforderungen der Pandemie fertigzuwerden, so dass sogar die marktwirtschaftliche, für einen schlanken Staat stehende republikanische Partei gezwungen war, einzugreifen und die Verantwortung für das Impfprogramm zu übernehmen sowie Bundeshilfe für die KrankenhauspatientInnen bereitzustellen.

Die von Biden vorgeschlagene Erweiterung des ACA oder auch Sanders‘ „Medicare for all“ gehen nicht weit genug. Das Geld, das in den USA bereits für die Gesundheitsversorgung ausgegeben wird, würde ausreichen, um einen nationalen Gesundheitsdienst zu schaffen, der für alle, auch für MigrantInnen ohne Papiere, kostenlos ist. Im Gegensatz zum bestehenden Versicherungssystem könnte die universelle Gesundheitsversorgung durch die Besteuerung der MilliardärInnen und MultimillionärInnen finanziert werden, die von der Pandemie profitiert haben.

Doch zwischen den AmerikanerInnen und einer kostenlosen, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung stehen mächtige GesundheitsanbieterInnen, die den Markt unter sich aufgeteilt haben und sowohl bei den staatlichen als auch bei den privaten Gesundheitsprogrammen einen massiven Gewinn abschöpfen. Auch die Pharmaindustrie hat sich daran gewöhnt, den Gesundheitsmarkt in den USA auszunutzen und weitaus mehr für ihre Produkte zu verlangen.

Der Kampf um kostenlose Gesundheitsversorgung

Die DSA setzt sich seit 2016 für „Medicare for All“ ein, d. h. für ein Gesundheitssystem mit einer einzigen Kasse, in das alle US-BürgerInnen automatisch aufgenommen würden. Dies wäre zwar ein großer Fortschritt für den Zugang zur Gesundheitsversorgung und deren Kosten in den USA, würde aber die Gesundheitsversorgung und das Eigentum an Arzneimitteln immer noch in privaten Händen belassen. Es fehlt auch die Unterstützung durch die Gewerkschaften, da viele von den Gewerkschaften ausgehandelte unternehmensfinanzierte Versicherungen besser als „Medicare“ sind, wenn auch natürlich teurer. Die DSA muss über „Medicare for All“ hinausgehen und ein System der universellen Gesundheitsversorgung vorschlagen. Die Unterstützung der Gewerkschaften kann gewonnen werden, indem zunächst die einfachen Gewerkschaftsmitglieder davon überzeugt werden, die diese Argumente in die Gewerkschaftsbewegung tragen können.

Während die DemokratInnen unter dem Druck ihrer Basis begrenzte Reformen wie das ACA verabschiedet haben, haben sie bewiesen, dass sie nicht gewillt sind, die Gesundheitsversorgung den privaten Händen zu entreißen. Die RepublikanerInnen haben sich vehement gegen eine Regulierung und Einmischung in den Gesundheitsmarkt gewehrt und wettern trotz des Corona-Virus, das sie im Extremfall zum Eingreifen zwingt, weiterhin ideologisch gegen eine sozialisierte Gesundheitsversorgung. Auf keine der beiden Parteien kann man sich verlassen, wenn es darum geht, ein Gesundheitssystem im Interesse der ArbeiterInnenklasse zu schaffen oder zu verwalten.

Bidens Vorschläge zur Ausweitung der Versicherung auf weitere 25 Millionen AmerikanerInnen sind zwar eine sehr begrenzte Reform, werden aber auf den Widerstand der RepublikanerInnen, der Versicherungslobbys und großer Teile der Medien stoßen. Die Horrorgeschichten, die in der Opposition zu „Obamacare“ kursierten, werden wieder auftauchen. Es wird enormen Druck auf die Regierung geben, die Gesundheitsreform zu verwässern oder zu verzögern. Daher müssen die SozialistInnen auch von links Druck aufbauen, um sicherzustellen, dass die neuen Gesetze verabschiedet werden, während sie gleichzeitig darauf hinweisen, dass sie nicht weit genug gehen und weiter reichende Änderungen vorschlagen.

Jeder ernsthafte Plan zur Verstaatlichung des Gesundheitswesens würde die Enteignung der privaten medizinischen und pharmazeutischen Unternehmen erfordern. Die Krankenhäuser wurden mit den hart verdienten Dollars der amerikanischen ArbeiterInnenklasse gebaut und zwangen diejenigen, die nicht zahlen konnten, in den Bankrott. Die Forschungs- und Entwicklungskosten von Medikamenten wurden durch die erpresserischen Gebühren der großen Pharmakonzerne um ein Vielfaches bezahlt. Dennoch sind sie bereit, Menschen an Diabetes und HIV/AIDS sterben zu lassen, anstatt ihre Gewinne sinken zu sehen. Den Unternehmen, die von Krankheit profitieren, steht keine Entschädigung zu. Ihre Patente sollten widerrufen und Sachwerte wie Labore und Krankenhäuser in einem öffentlichen Gesundheitsdienst verstaatlicht werden.

Wenn ein solcher Dienst durch Kampf errungen würde, wäre er bei den DemokratInnen und RepublikanerInnen nicht sicher, aber die ÄrztInnen, PflegerInnen und anderen MitarbeiterInnen des Gesundheitswesens, die während der gesamten Pandemie ihr Leben riskiert haben, um ihre PatientInnen zu versorgen, wissen, was es bedeutet, für menschliche Bedürfnisse und nicht für private Eigeninteressen zu sorgen. Ein verstaatlichter Gesundheitsdienst, kostenlos für alle, finanziert durch die Besteuerung der Reichen und betrieben von den PatientInnen und dem Gesundheitspersonal, lautet die Antwort auf Amerikas Gesundheitskrise.




USA: Präsident Biden verspricht „besser wiederaufzubauen“

Dave Stockton, Infomail 1139, 20. Februar 2021

Die meisten politischen FührerInnen der Welt jubeln über die Ablösung von Donald Trump. Sie haben es als eine tröstliche Wiederbehauptung der amerikanischen Demokratie gefeiert, nach vier Jahren Zerrüttung der internationalen Institutionen, die die zunehmend widersprüchlichen Interessen der großen imperialistischen Mächte verwalten.

Zu Trumps „Errungenschaften“ gehörte die Weigerung, ernsthafte Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zu ergreifen. Infolgedessen hat die Zahl der Todesopfer in den USA bereits 400.000 erreicht, während die Aussetzung der US-Mitgliedschaft bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) deren Gesamtbudget um 20 Prozent reduzierte.

Dann gab es den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen und die einseitige Aufkündigung des Iran-Atomabkommens. Diejenigen, die sich auf die „Weltpolizistin“ verlassen, fanden ihre Annäherungsversuche an die chinesischen und nordkoreanischen Diktatoren alarmierend. Gleiches gilt für ihren „Deal des Jahrhunderts“, die Abkehr von der Zweistaatenlösung für Palästina bei gleichzeitiger Anerkennung der israelischen Siedlungen, auch wenn letzterer nur eine De-facto-Situation offenlegte.

Trumpismus und die Republikanische Partei

Während viele Menschen in den USA und auf der ganzen Welt seinen demütigenden Abgang feiern, dominiert der Trumpismus noch immer die Republikanische Partei.

Eine Umfrage des Hörfunk- und Fernsehsenders NBC, die nach dem gescheiterten Putschversuch im Januar durchgeführt wurde, zeigt, dass 28 Prozent der Befragten sagten, Trumps Worte und Taten an diesem Tag hätten ihre Unterstützung für ihn tatsächlich verstärkt. Nur 5 Prozent sagten, sie bedauerten nun ihre Unterstützung, und zwei Drittel sagten, diese habe sich nicht geändert. Nur 11 Prozent machten Trump für die Gewalt verantwortlich, während etwa die Hälfte die Verantwortung auf „Social-Media-Unternehmen“ und „Antifa“ schob.

190 RepublikanerInnen aus dem RepräsentantInnenhaus stimmten gegen Trumps Amtsenthebungsverfahren wegen Anstiftung zum Aufruhr. Nur 10 schlossen sich den Abgeordneten der Demokratischen Partei an, um es zu durchzubringen. Auch 45 republikanische SenatorInnen votierten gegen einen Amtsenthebungsprozess, genug, um die für eine Verurteilung benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit zu blockieren. Dies geschah trotz der eklatantesten Verletzung der US-Verfassung in ihrer über zweihundertjährigen Geschichte.

Die zwei Monate, in denen der unterlegene Amtsinhaber versuchte, das Wahlergebnis vom November zu kippen, gipfelten darin, dass seine UnterstützerInnen den Kongress stürmten, um die Amtseinführung des gewählten Präsidenten zu verhindern. Am Inaugurationstag verwandelte sich Washington in ein bewaffnetes Lager mit 26.000 eingesetzten NationalgardistInnen, von denen 5.000 bis Mitte März bleiben werden.

Trotz Bidens Appellen zur Einigkeit und Heilung werden die DemokratInnen mit Obstruktion und Sabotage ihres Gesetzgebungsprogramms konfrontiert sein, sobald sich der Staub des 6. Januar gelegt hat. Die Republikanische Partei wird darauf hoffen, bei den Zwischenwahlen im November 2022 die Kontrolle über den Senat zurückzuerlangen. Zwar sind eine Handvoll SenatorInnen und Abgeordnete des RepräsentantInnenhauses aus der Reihe getanzt, was sein Gesetzgebungsprogramm ein wenig erleichtern könnte, doch werden sie zweifellos die Verschleppungstaktik (Filibuster: endloses Reden im Senat zur Verhinderung einer Beschlussfassung) mit maximaler Wirkung einsetzen, um Kürzungen bei Ausgabenprogrammen und faule Kompromisse bei Sozial- und BürgerInnenrechtsfragen zu erzwingen.

Das Putsch-Abenteuer scheiterte jedoch, weil kein ernst zu nehmendes Element innerhalb des Staatsapparates, der Justiz, der Legislative oder des Militärs einen Staatsstreich dulden würde, und deshalb wäre es, selbst wenn es sein Ziel, die SenatorInnen und RepräsentantInnenhaus-Abgeordneten zu vertreiben oder als Geiseln zu nehmen, erreicht hätte, ins soziale Nichts gefallen. Damit ein echter Putsch etwas bewirken kann, muss sich ein Teil des staatlichen Repressionsapparates auf seine Seite schlagen und der Rest neutral bleiben.

Diejenigen, die zum Kapitol marschierten und es stürmten – wer auch immer für den lächerlich unzureichenden Schutz des Parlamentsgebäudes verantwortlich war –, hatten jedoch voll und ganz die Absicht, Letzteres zu erzwingen und Trump verfassungswidrig an der Macht zu lassen, also einen Staatsstreich durchzuführen. Am Ende stellte sich heraus, dass es ein miserabler Putsch war.

Doch angesichts der Kontrolle der Republikanischen Partei über so viele GouverneurInnenämter und Hauptstädte und einer rechten Mehrheit im Obersten Gerichtshof wird Bidens berühmtes Verhandlungsgeschick sehr gefragt sein, und die radikaleren Teile dieses Programms werden vom ersten Tag an unter Beschuss stehen.

Konfrontiert mit einem lautstarken linken Flügel in seiner eigenen Partei, wird er den Vorwand der republikanischen Obstruktion brauchen, um Forderungen nach „Gesundheitsversorgung für alle“ oder einem „grünen New Deal“ abzuwehren. Wer glaubt, die Achse der Politik drücke Joe nach links, ist genau auf dem Holzweg.

Biden, der Retter?

Biden kommt nun ins Amt und posiert als Retter der Demokratie, als Bewahrer der Republik und als Wiederhersteller der verfassungsmäßigen Ordnung. Er hat versprochen, die von Trump vernachlässigten Themen aufzugreifen: Amerikas grassierende Covid-19-Epidemie zu bekämpfen, die Klimakatastrophe, die steigende Arbeitslosigkeit und Armut anzugehen, das Gesundheitssystem zu reparieren und die führende Position der USA in der Welt wiederherzustellen. Außerdem hat er versprochen, sich mit Polizeirassismus, Einwanderung und der verfallenden Infrastruktur zu befassen.

Das Konjunkturprogramm beinhaltet eine Zahlung von 1.400 US-Dollar an jede/n Einzelne/n, Hilfe für finanzschwache Bundesstaaten und lokale Regierungen, die Verlängerung des Arbeitslosengeldes mit 400 US-Dollar pro Woche, Mittel zur Wiedereröffnung von Schulen und Universitäten, mehr Steuergutschriften für Kinder, Zugang zu Qualität und die Anhebung des Mindestlohns auf 15 US-Dollar pro Stunde.

Sein Programm ist sicherlich lang an Versprechen. Auf seiner Website kann man über „höhere Löhne, stärkere Sozialleistungen und faire und sichere Arbeitsplätze“ lesen und ein Versprechen, „die Gewerkschaften und die Macht der Arbeit,nehmer’Innen zu stärken“, indem „das Gesetz zum Schutz des Rechts auf Organisierung (PRO), die Gewährleistung von Card Check (Beitragseinzug an der Quelle), Gewerkschafts- und Verhandlungsrechte für Beschäftigte im öffentlichen Dienst“ und eine erschwingliche Gesundheitsversorgung aufgenommen werden.

Der Senat, mit nur einer Stimme (Vizepräsidentin Kamala Harris hat das ausschlaggebende Votum) Mehrheit für die Demokratische Partei, kann sich als echtes Hindernis für die weitreichenderen Versprechen Bidens erweisen. Ohne eine deutliche Mehrheit können durch Verschleppungstaktik Gesetze blockiert werden. Das ist an sich schon undemokratisch, aber der Senat selbst ist ein grob undemokratisches Gremium. Zwei SenatorInnen vertreten jeden Bundesstaat, unabhängig von der Größe seiner Bevölkerung. Die 39 Millionen EinwohnerInnen Kaliforniens erhalten die gleiche Stimmkraft wie die 578.000 BewohnerInnen Wyomings.

Was die Versprechungen angeht, wird dies jedoch zweifellos Millionen als das weitreichendste Programm seit den 1960er Jahren erscheinen. Abhängig von der erfolgreichen Einführung von Impfungen und Tests zur Kontrolle von Covid-19 wird es Biden wahrscheinlich eine Sympathiewelle bescheren und bildet die Grundlage für ein Intervall labilen Gleichgewichts, bis die nächste Krise am Horizont erscheint.

Revolutionären MarxistInnen kommt die Aufgabe zu, die Unzulänglichkeiten und Schwächen von Bidens Maßnahmen aufzuzeigen:

  • „Gesundheitsversorgung für alle“, aber nicht kostenlos am Ort der Nutzung und daher nicht für alle.
  • Erleichterung für diejenigen, die in Gefahr sind, ihre Häuser zu verlieren, aber kein Erlass ihrer Schulden.
  • Ein Stopp von Trumps Mauer und von Lagern für Kinder von MigrantInnen, aber kein Ende der Abschiebungen.

Immerhin hat Barack Obama jährlich mehr „Illegale“ abgeschoben als Trump. Und wahrscheinlich wird es trotz Kamala Harris‘ und Joes Lob für „Black Lives Matter“ keinen ernsthaften Versuch geben, den Rassismus der Polizeidienststellen aufzudecken oder die Straffreiheit für mordende PolizistInnen zu beenden, geschweige denn sie „abzuschaffen“.

Bidens Kabinett besteht größtenteils aus rechtsgerichteten DemokratInnen, die aus den Regierungen Obama und Clinton stammen. Im Finanzministerium sitzt Janet Yellen, die als Neoliberale und Freihändlerin bekannt ist; im Außenministerium Antony Blinken, ein Serienbefürworter von US-Militärinterventionen; im Handelsministerium Gina Raimondo, eine Risikokapitalgeberin, die in die private Gesundheitsversorgung investiert und eine Gegnerin von Einzahlungssystemen ist; und als Justizminister Merrick Garland, der von den Polizeigewerkschaften unterstützt wird.

Trotz der Ernennung von John Kerry zum Sondergesandten für das Klima wird diese Regierung kein wirklich radikales Programm für eine grüne industrielle Revolution entwickeln. Auch wird es nichts in der Größenordnung von F. D. Roosevelts New Deal geben, wenn es um ein Programm zum Aufbau der Infrastruktur geht. Während er einige Begriffe von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez geklaut hat, würde es eine massive Kampagne der Gewerkschaften, der Schwarzen und anderer rassistisch Unterdrückter erfordern, um einen substanziellen Schritt in diese Richtung zu initiieren.

Das große Thema des Jahres 2020, die anhaltenden Polizeimorde an Schwarzen und anderen Menschen, ist nicht gelöst. Trotz symbolischer Gesten von Biden, wie Obama wird er wenig oder nichts tun.

Aktionsprogramm

Die Antwort der ArbeiterInnenbewegung auf Bidens Versprechen sollte darin bestehen, ihre eigenen Ziele zu formulieren und sich darauf vorzubereiten, für sie durch Massenmobilisierungen und Arbeitskämpfe zu streiten. Nur durch eine solche Klassenunabhängigkeit von der offen bürgerlichen Demokratischen Partei könnte Biden dazu gezwungen werden, einige seiner Verpflichtungen zu erfüllen.

In keinem Bereich wäre dies notwendiger als bei den ArbeiterInnenrechten: das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung, auf einen Tarifvertrag für alle Beschäftigten usw. Hier reicht ein Lobbyistenkongress nicht aus; diese Rechte werden nur auf dem industriellen Schlachtfeld gewonnen, obwohl sie gesetzlich anerkannt werden können.

Die Mittel, um einen existenzsichernden Lohn und „Medicare for All“ zu finanzieren, würden massive Eingriffe in den Reichtum der MilliardärInnen erfordern, angefangen bei den 400 reichsten AmerikanerInnen, deren Gesamtvermögen laut Forbes-Rangliste dem der ärmsten 64 Prozent der amerikanischen Haushalte entspricht. Von einer Partei des Finanzkapitals und der MilliardärInnen zu erwarten, dass sie dies tut, führt nur die arbeitslose Jugend, die schwarzen und Minderheitengemeinschaften und die Gewerkschaftsbewegung an der Nase herum.

Die Aufgabe besteht darin, von der Basis ausgehend einen Kampf für ein Aktionsprogramm mit Maßnahmen zu organisieren, die die Krisen im Gesundheitswesen, in der Bildung, im Wohnungswesen, die private Verschuldung, die Umweltkatastrophe, aber auch den mörderischen Rassismus der Polizei und das neue Gefängnissystem, das v. a. Schwarze inkriminiert (ein neues Jim-Crow-System), lösen können.

Nicht zuletzt ist es wichtig, die massenhafte Antikriegsbewegung der frühen 2000er Jahre wiederzubeleben, wann immer es zu neuen Interventionskriegen kommt, als welch menschenrechtlicher Unsinn auch immer sie getarnt sind.

Dann gibt es den Kampf der ArbeiterInnen für die Kontrolle über Sicherheitsmaßnahmen, für eine deutliche Anhebung der Löhne, Gesundheits- und Rentenansprüche. Vor kurzem hat ein Streik in New York City, von den Hunts-Point-LagerarbeiterInnen, ihre Forderung nach einer Lohnerhöhung von 1 US-Dollar pro Stunde gewonnen. Auch die Chicagoer LehrerInnen bereiten sich auf Aktionen vor. Das zeigt, dass der Klassenkampf wieder aufleben wird, besonders wenn die Aussperrungen nachlassen.

All diese Fronten des Kampfes müssen einen Schwerpunkt im Aufbau einer kämpfenden ArbeiterInnenpartei, einer Partei des Klassenkampfes, finden, indem sie sich von der Demokratischen Partei lösen. Das schnelle Wachstum der Demokratischen SozialistInnen (DSA) in den letzten fünf Jahren und die Siege der „demokratischen SozialistInnen“ auf den Wahlzetteln der Demokratischen Partei zeigen eine wachsende Offenheit der Jugend, der ArbeiterInnen und von People of Color (PoC) für die Idee des Sozialismus. Doch die DSA hat Angst, einen sauberen Bruch mit der zweiten Partei des US-Imperialismus zu vollziehen.

Auf dem diesjährigen DSA-Kongress müssen die Kräfte, die die Organisation bereits zu größerer Unabhängigkeit gedrängt haben, hart daran arbeiten, einen wirklichen Bruch vorzunehmen. Damit einher geht die Notwendigkeit eines offen antikapitalistischen Programms. Andernfalls wird die Partei eine schlechte Imitation des europäischen Reformismus bleiben, eingelullt in Passivität durch Wahlkampf und demokratische Illusionen.

Anstatt vier Jahre darauf zu warten, dass die ganze Bandbreite des undemokratischen Charakters der US-Verfassung aufgedeckt wird, sollten die DSA-Ortsverbände dem Aufbau von Einheitsfronten im Kampf gegen weiße RassistInnen, der Unterstützung von gewerkschaftlichen Rekrutierungs- und Organisierungskampagnen und der Kampagne für das Recht von Frauen auf Abtreibungseinrichtungen Vorrang einräumen.

All diese Themen und mehr müssen in einem Aktionsprogramm zusammengefasst werden, das den Sozialismus als die totale Ablösung des Kapitalismus versteht, der durch revolutionäre ArbeiterInnenaktionen errungen wird.

Die DSA ist bereits 70-80.000 Mitglieder stark und wächst weiter. Um ihren Übergang zu einer Partei der ArbeiterInnenklasse zu vollenden, sollte sie ihre Türen für neue KämpferInnen öffnen, sich entschieden von der Demokratischen Partei lösen und für ein revolutionäres antikapitalistisches Programm kämpfen.




US-Außenpolitik unter Biden: Zurück in die Zukunft?

Jürgen Roth, Neue Internationale 253, Februar 2021

Joe Biden und sein Außenminister Tony Blinken treten ihr Amt in einer schweren Phase an, auf dem Hintergrund einer heftig in die Krise geratenen Volkswirtschaft.

Wirtschaftsprognosen

Im 9. Monat der Corona-Pandemie übernahm der neue Präsident neben knapp 15 Millionen Infektionsfällen und 300.000 Toten eine soziale Krise historischer Dimension. Im Juni letzten Jahres prognostizierte der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Rückgang des US-BIP um 8 %. Mehrere Ausgabenpakete infolge der Corona-Krise könnten das Defizit des Bundeshaushalts auf das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg ansteigen lassen. Zusätzlich trifft dieses auf einen historisch hohen Schuldenstand: 2009 lag der Anteil der öffentlichen Schulden am BIP auf Bundesebene bei 52 %, 2019 bei 79 %; 2020 könnte dieser Wert auf 101 % hochschnellen.

Verteidigungs- und außenpolitisch spielte das jeweilige politische Umfeld stets eine größere Rolle für die Ausgaben als die wirtschaftliche Lage, zumal die USA viel größere Spielräume beim Schuldenmachen haben als andere Länder aufgrund der Stellung des US-Dollar als führendes Weltgeld. So blieben die Verteidigungsausgaben nach der globalen Finanzkrise 2008 auf hohem Niveau und stiegen unter Trump wieder deutlich an. 2018 kam eine vom Kongress eingesetzte Expertenkommission jedoch bereits zum Schluss, dass sich die USA am Rande einer „strategischen Insolvenz“ befänden, ihre militärische Dominanz also nicht länger überall dauerhaft wahren könnten.

Unter dem Schlagwort „principled realism“ (prinzipienfester Realismus) setzte sich eine einseitige, unilateralistische Tendenz in der Außenpolitik unter Trump durch: nationale Abschottungsmaßnahmen gegen Corona, Schutzzollpolitik, Infragestellung multilateraler Institutionen wie der WHO, Rückzug aus internationalen Initiativen zur Bewältigung der Krise. Um abschätzen zu können, wie weit sich die neue Außenpolitik von der unter Trump unterscheiden wird, müssen wir zunächst einen Blick auf die Vergangenheit werfen.

Weltordnung

Jahrzehntelang war die US-Außenpolitik von einem parteiübergreifenden Konsens geprägt. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sich beide großen bürgerlichen Lager einig, dass die USA offensive Weltpolitik betreiben müssten, um den „Kommunismus“ zu besiegen. Damit wurde das vor dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten starke isolationalistische Lager („America First!“) marginalisiert. Dieser Konsens überdauerte zunächst das Ende des Kalten Krieges. Das Geflecht professioneller AußenpolitikerInnen – von einem Berater Obamas Blob genannt -, die ständig zwischen Regierung, Denkfabriken und Rüstungsfirmen hin- und herwechseln, war sich bewusst, dass die USA politisch und militärisch globale Führungsmacht bleiben, die internationale liberale Ordnung verteidigen und ausweiten, ihre GegnerInnen wie die „Schurkenstaaten“ Iran und Nordkorea oder „revisionistische“ Mächte wie Russland bekämpfen müssten. Diese „liberale Hegemoniestrategie“ des außenpolitischen Establishments sah also eine Stärkung internationaler Organisationen (NATO, WTO) vor und definierte das Nationalinteresse der USA in der Etablierung einer Weltordnung nach amerikanischen Vorstellungen, in deren Institutionen die USA als wirtschaftlich und militärisch stärkstes Land als Bestandteil einer solch „offenen“ Ordnung automatisch an der Spitze ständen.

Diese Sichtweise wird nach dem Scheitern des „Kriegs gegen den Terror” (Irak, Afghanistan) und dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht zunehmend angezweifelt. Erst unter Trump erlangte die isolationistische Strömung innerhalb der Republikanischen Partei, die in den 1990er Jahren wieder sichtbar wurde (Patrick Buchanan), die Oberhand. Er brach tatsächlich mit diesem langjährigen außenpolitischen Konsens. Nationale Alleingänge, Abkehr von WTO und NATO sollten das Aufgeben der Führungsrolle der USA im Einklang mit anderen Großmächten flankieren. Trump geriet deshalb nicht zum Kriegsgegner. Seine isolationistischen Instinkte fanden ihre Grenze am Staatsapparat, an der Tatsache, dass ihre Macht immer noch auf globalem Freihandel, Dollar-Dominanz und militärischer Stärke basierte. An den Kriegen im Nahen und Mittleren Osten störte ihn vor allem, dass sie verloren wurden. Trump trat damit in gewisser Weise in Obamas Fußstapfen. Dieser mahnte bereits einen langfristigen Rückzug aus o. a. Region an zugunsten einer Konzentration auf eine bewusstere Steuerung der Globalisierung, um die industriell-technologische Vormachtstellung gegen China zu verteidigen. Letzteres ist inzwischen parteiübergreifend akzeptiert.

Handel als Waffe

Seit die globale Dominanz des Westens erschüttert ist, werden Freihandelsabkommen als das gesehen, was sie immer auch schon waren: nicht bloß Instrumente des Wirtschaftswachstums, sondern Mittel zur Festigung politischer Macht. Als ein solches betrachten die Westmächte auch die Freihandelszone RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership; Regionale, umfassende Wirtschaftspartnerschaft) in Asien, die 15 Staaten, 30 % der Wirtschaftsleistung und ein Drittel der Weltbevölkerung unter Chinas Einfluss bringt. Doch auch Marshallplan und Truman-Doktrin waren zwei Seiten derselben Medaille. Bis Mitte der 1990er Jahre deckte das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) 80 % des Welthandels ab. Seine Nachfolgerin, die Welthandelsorganisation WTO, erwies sich als weniger erfolgreich: eine weitergehende Handelsliberalisierung scheiterte daran, dass die Interessen des Clubs, der 50 Jahre die Geschicke der Weltwirtschaft mitbestimmt hatte, im Zuge des Aufkommens neuer Rivalen (China, Russland) nicht mehr auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen waren. Die ab 2010 von den USA inszenierten Abkommen TTP und TTIP zielten bereits weniger auf globale Regeln als auf eine Ordnung, die sich um konkurrierende Wirtschaftsblöcke gruppierte, um insbesondere Normen für neue Technologien im Interesse von EU und v. a. USA durchzusetzen.

Handels- und Militärpolitik in Asien

TTIP sollte als „Wirtschafts-NATO“ dienen (Hillary Clinton), TTP verfolgte mit der Schaffung eines großen Wirtschaftsraums die Schwächung des chinesischen Einflusses in der Pazifikarena. Beide „Freihandels“abkommen waren nach dem Muster gestrickt: EBC (Everyone But China; alle außer China)!

Ihr Scheitern war in geringerem Maße auf breite Massenproteste zurückzuführen als auf die neue US-Regierung. Trump stieg aus den Verhandlungen zugunsten bilateraler mit einzelnen Staaten aus. Es bleibt unklar, inwieweit Biden unter dem Eindruck der RCEP-Gründung einem nachverhandelten TTP beitreten wird. Er dürfte in Verhandlungen mit Chinas Anrainern (Taiwan, Japan, Vietnam), aber auch traditionellen Verbündeten wie Australien ein Einfallstor in diese Region suchen.

Dabei wird er sicherlich mit Garantien für den Kriegsfall durch die weltgrößte Militärmacht wuchern können und damit auf neuer Stufenleiter beweisen, dass Welthandel im Zeitalter des Imperialismus keine friedliche internationale Arbeitsteilung bedeutet, sondern eine Frage von Macht und Krieg bleibt.

Schutzzoll gegen China

Dieser hat weder der US-Wirtschaft genutzt noch der VR China ernsthaft geschadet. Die 10 Länder der ASEAN-Gruppe (Association of Southeast Asian Nations; Verband Südostasiatischer Nationen) haben mittlerweile die USA als größte Handelspartnerinnen der Volksrepublik abgelöst. China erzielte im Dezember 2020 ein Rekordhoch beim Exportüberschuss. Das 2016 gegebene Versprechen Trumps, das Handelsdefizit mit China drastisch zu senken, führte im Jahr 2020 zu einem Rückgang um 310 Mrd. US-Dollar im Vergleich zu 2019. Es liegt aber immer noch höher als zu Beginn seiner Amtszeit.

Die Importzölle haben auch nicht zu einer Abkehr der US-Industrie von China geführt, zu ihrer Rückkehr in „Gottes eigenes Land“. Auch die Hoffnung auf den Ersatz von Importwaren durch eigene Erzeugnisse hat sich zerschlagen. An die Stelle chinesischer Einfuhren traten viel eher solche aus Mexiko und Vietnam. Das weltweite Handelsdefizit der USA kletterte 2020 auf ein Rekordhoch von 900 Mrd. US-Dollar.

Bidens Mannschaft zieht folgende Lehren aus dem Scheitern der Strategie seines Vorgängers: China ist bereits zu groß, als dass man es einfach aus dem Weltmarkt herausdrängen könnte. Zudem brauchen die USA die Volksrepublik als zukünftigen Absatzmarkt und Produktionsstandort. Statt auf Zölle und unilaterale Handels-Deals wird die US-Regierung auf einen neuen Anlauf setzen, um die multinationale Handelsordnung mit einem Viertel der globalen Wirtschaftsleistung weiterhin zu dominieren.

Dies ist ein Angebot an die EU, aber auch andere Länder (Australien, Japan, Kanada usw.). Es enthält aber auch die Forderung, die US-Führung zu akzeptieren und Alleingänge zu unterlassen (Pipeline Nord Stream 2, Investitionsabkommen zwischen EU und VR China Ende 2020). Gleichzeitig enthält es aber auch ein Eingeständnis: dass die USA nicht mehr stark genug sind, um das „Reich der Mitte“ in die Knie zu zwingen! Was ihn von seinem Vorgänger unterscheidet, ist also nicht das Ziel, sondern sind die Mittel, um es zu erreichen.

Europa und Amerika

Auf der EU-Außenministerkonferenz am 7.12.2020 griff Heiko Maas diese Vorstellung von einer erneuerten transatlantischen Partnerschaft wider China wohlwollend auf. Der Hohe Beauftragte der EU, Joseph Borrell, bekräftigte, man müsse den Wunsch der Vereinigten Staaten erfüllen und mehr „Verantwortung für die eigenen Angelegenheiten“ übernehmen.

Während Maas betonte, den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO stärken zu müssen, was für die BRD die Anhebung ihrer Verteidigungsaufgaben bis 2024 auf 1,5 % des BIP bedeute, um dem vom transatlantischen Militärbündnis geforderten Ziel von 2 % näherzurücken, setzte Borrell mehr auf eine strategisch-konstruktive eigenständige EU-Außen- und Sicherheitspolitik. Diese sei Voraussetzung für ein wiederbelebtes enges transatlantisches Verhältnis, das mehr denn je die gewachsene Rolle Chinas als Hauptwidersacher der USA berücksichtigen müsse.

Dieses Bündnis hält der handelspolitische Sprecher der Linkspartei im Europäischen Parlament, Helmut Scholz, für überholt. Eine glaubhafte Handelspolitik gegenüber den USA müsse auf einer regelbasierten multilateralen und fairen Welthandelspolitik im Rahmen und durch die Veränderung der WTO setzen. Träumt Joseph Borrell davon, mit den großen Mächten geostrategisch auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können, erweist sich der Sprecher der Linkspartei als sozialchauvinistischer Gesundbeter der EU. Weder WTO noch EU lassen sich in Pilgerstätten sozialer Gerechtigkeit umdeuten, noch hat es der europäische Staatenverbund auf dem Feld gemeinsamer Rüstungs-, Militär- und Außenpolitik bislang zu mehr als kümmerlichen Ansätzen gebracht.

Joe Biden, ein glühender Verfechter der Irakkriege, wird auch andere Gegenspieler der USA wie Russland, Iran oder Nordkorea aufs Korn nehmen und sich nicht von ihren verteidigungspolitischen Bündnissen in Europa und Asien distanzieren. Die multiple Krise wird allerdings Konflikte mit Bündnispartnern – nicht zuletzt Deutschland – weiterhin offen und teilweise heftiger austragen lassen, wenn es um Lastenteilung geht!

Widersprüche

Die USA sind immer weniger interessiert daran, traditionelle Verbündete privilegiert zu behandeln. Die verzweifelte Suche der EU nach „strategischer Autonomie“, nach eigenständigeren Machtmitteln ist in Zeiten verschärfter Konflikte um die Neuaufteilung der Welt objektiv geboten, will sie sich nicht aus diesem Wettrennen verabschieden. Realistischer ist folglich nicht eine Stärkung, sondern Schwächung der Europäischen Union – auch unter einem Präsidenten Biden. Diese Spaltung entlang der Kraftlinien der beiden Weltmagnete wird in der unmittelbar vor uns liegenden Periode verschärft zutage treten. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erteilte so jüngst – der Maas’schen Position ähnlich – in einer Grundsatzrede den „Illusionen über eine strategische Autonomie“ eine drastische Abfuhr. Militärisch sei Europa weiter auf die USA angewiesen. Man müsse eine „gemeinsame Agenda“ im Umgang mit der VR China finden. Sie fügte allerdings hinzu, dort, „wo es unseren Interessen dient“. Zugleich ist China neben den USA Deutschlands wichtigster Handelspartner. Das weiß auch ein beträchtlicher Teil der hiesigen Großkonzerne.

Diese inneren Widersprüche machen die Rückkehr zu einem geschlossenen westlichen Bündnis unter amerikanischer Führung, ähnlich jenem der ersten 5 Nachkriegsjahrzehnte, objektiv unmöglich. Während mit China der gemeinsame Hauptrivale feststeht, wird die beschworene Widerherstellung der PartnerInnen schaft USA-EU selbst konflikthaft bleiben. Im Moment haben aufgrund der Rivalität zu China wie auch aufgrund ihrer eigenen inneren Probleme sowohl die europäischen Führungsmächte als auch die USA ein Interesse, ihr Verhältnis kooperativer zu gestalten, gegenüber der Trump-Zeit zu „normalisieren“. Dies ändert freilich nichts an den Rissen und Gegensätzen. Wie diese ausgetragen werden, ist offen – doch ausgetragen werden sie.




Joe Biden: Was können wir von dem neuen US-Präsident erwarten?

Ronja Keller, REVOLUTION, Infomail 1136, 23. Januar 2021

Trotz des Sturms aufs Capitol wurde am 20. Januar Joe Biden in das Amt des Präsidenten eingeführt. Endlich können wir mal einen Artikel über US-Politik schreiben, in dem es nicht primär um Trump geht! Aber wird es mit Biden denn so viel besser? Was hat der neue Präsident bisher so gemacht? Was hat er versprochen und wie wird sein Kabinett aussehen? Im folgenden Artikel wollen wir uns einen Überblick darüber verschaffen und feststellen, ob die arbeitenden Massen und unterdrückten Menschen wohl auf eine Verbesserung ihrer Lage durch Biden hoffen können.

Joes bisherige Laufbahn

Der neue Präsident hat eine lange Geschichte in der US-Politik, denn bis zur Präsidentschaft Obamas war er 36 Jahre lang Mitglied des Senats und während Obamas achtjähriger Amtsperiode Vizepräsident. Dabei hat er eine seine politische Agenda mehrmals klargemacht:

Biden ist vor allem durch seinen Standpunkt in der Außenpolitik aufgefallen. Bei vielen Brennpunkten sprach er sich für eine US-amerikanische Intervention aus. Während des Balkankriegs war er für eine aktive und gewaltsame Einmischung der USA, für Lufteinsätze der NATO. Er unterstützte mehr Bodentruppen im Afghanistankrieg und damit die Linie des damaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush. Auch den syrischen Bürgerkrieg sollte die US-Army weiter anfachen. Bei dem Thema Finanzen stimmte Biden meist für einen ausgeglichenen Haushalt („Schwarze Null“), womit er unter anderem den Abbau der Sozialsysteme unterstützt hat. Außerdem hat er eine Gesetzesänderung durchgeboxt, durch die es unmöglich geworden ist, bei zu hohen Studien- oder Kreditkartenschulden Privatinsolvenz anzumelden, sodass viele ArbeiterInnen für immer mit dieser Last leben müssen. Er stand somit immer hinter dem kapitalistischen System und dem US-Imperialismus. Dies wird er auch weiter tun. Hinzu kommt, dass in der Vergangenheit schon mehrfach von übergriffigem Verhalten berichtet wurde inklusive sexueller Nötigung einer ehemaligen Angestellten.

Was können wir von seinen Versprechen erwarten?

Der Wall Street hat Biden versprochen, dass alles beim Alten bleibe und er keine größeren Veränderungen vornehmen werde. Dies wird sich auch für die Ausbeutung der Menschen ähnlich verhalten. Er hat keine Lösungen für die Probleme wie steigende Armut oder (Jugend-) Arbeitslosigkeit.

Biden möchte einen besseren Neuaufbau nach dem „Build Back Better“-Konzept, kurz: BBB. Das heißt: staatliche Finanzierungen für einen „grüneren“ und „gerechteren“ Kapitalismus. Dies beinhaltet auch Elemente des Green New Deals. Konkret sollen 7 Billionen US-Dollar für grünen Verkehr und Maßnahmen, um den US-Kapitalismus aufzubauen und damit die Hoffnung auf gut bezahlbare Arbeitsplätze, ausgegeben werden. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass Biden dieses Versprechen hält, und selbst wenn, ist die Rettung der sozialen Lage von unzähligen Menschen ohne ein bewusstes Eingreifen in die Produktionsverhältnisse nicht zu machen. Ohne Enteignung und Kontrolle der Betriebe durch die Beschäftigten ist es eher wahrscheinlich, dass die Förderungen bloß wieder in den Taschen der KapitalistInnen landen. Da die demokratische Mehrheit im Senat hauchdünn ist, sind bloß faule Kompromisse zu erwarten, die keinen annähernden Ausgleich für die Auswirkungen der Krise bringen, die die ausgebeuteten und unterdrückten Massen erlitten haben und noch werden, da der Senat die Vorschläge des Präsidenten blockieren kann.

Bei der #Black-Lives-Matter-Bewegung gegen rassistischen Polizeiterror ist Biden auf Versöhnung aus. Er stellt sich nicht konkret auf eine Seite, da er weder die AktivistInnen vergraulen will noch seine eher konservative Basis. Es ist natürlich eine Illusion zu glauben, dass dadurch eine Versöhnung möglich ist und es Gerechtigkeit für rassistisch Unterdrückte in diesem System geben kann. Dazu kommt noch, dass Biden schon in der Vergangenheit immer ein Verfechter von Recht und Ordnung war und damit die Rechte der Polizei eher stärken als schwächen wird. Als Lösung für die anhaltende Polizeigewalt sagte er, dass Polizist_Innen „ins Bein statt ins Herz schießen sollten“. Auch das Gesundheitssystem, welches momentan sehr profitorientiert ist und dringend verbessert werden müsste, wird wohl nicht grundlegend geändert, obwohl es eine zentrale Forderung des linken Flügels ist, dass es eine allgemeine Krankenversicherung geben soll.

Immerhin können wir damit rechnen, dass seine Corona-Politik nicht so katastrophal ist wie die Trumps, auch wenn es schwierig werden dürfte, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen.

Wer ist in seiner Regierung?

Keines der Mitglieder seines Kabinetts, die bisher feststehen, gehört dem linken Flügel der Demokrat_Innen an. Weder Bernie Sanders noch Elizabeth Warren als wichtige linke Vertreter_Innen stehen auf der Liste. Biden selbst hat gesagt: „Das ist ein Team, das die Tatsache widerspiegelt, dass Amerika zurück ist. Bereit, die Welt anzuführen und sich nicht von ihr zurückzuziehen.“ Dass er für die Vorherrschaft des US-Imperialismus kämpfen wird, gibt er damit offen zu. Doch schauen wir uns mal einige Mitglieder an:

Bereits im Wahlkampf stand fest, dass Kamala Harris Vizepräsidentin werden wird. Dass sie als „Woman of Colour“ in diesem Amt ist, stellt für viele bereits eine Errungenschaft dar, jedoch zeigt ihr Lebenslauf, dass sie wenig mit den Kämpfen der meisten schwarzen Frauen in Amerika zu tun hatte. Außerdem trat sie in der Vergangenheit, wie auch Biden, für das Polizeiwesen, Sicherheit und Ordnung ein. Ihre harte Linie zeigt sie beispielsweise darin, dass sie die Kriminalisierung von Eltern unterstützt hat, deren Kinder die Schule schwänzen. Weiter hat sie auch einmal Ermittlungen gegen Polizisten, die einen Schwarzen erschossen haben, abgelehnt. Als „Woman of Colour“ erwarten viele von ihr einen Kampf gegen Rassismus und Unterdrückung, doch auf die Frage, wie sie diesen Kampf unterstützen will, spricht sie bloß darüber, wer sie ist, aber nicht, was sie vorhat. Sie bedient damit die identitätspolitische Linie der DemokratInnen.

Außenminister wird Antony Blinken. Mit ihm kommt jemand auf den Posten, der für eine kriegerische Politik steht und sich für traditionelle Bündnisse, wie die NATO, einsetzen wird. Blinken wird auch eine Verbindung zur Rüstungsindustrie nachgesagt. In seiner Funktion als Nationaler Sicherheitsberater für Vizepräsident Biden unter Obama befürwortete er unter anderem die Unterstützung der USA für die saudische Intervention im Jemen, welche bis heute furchtbare humanitäre Folgen zeitigt.

Finanzministerin wird Janet Yellen, die während der Obama-Administration Präsidentin des Federal Reserve Board, also des Vorstands der Notenbank, war. Sie war maßgeblich an der staatlichen Rettung von Banken und Unternehmen während der Krise 2009 beteiligt. Mit ihr werden wohl großzügige Konjunkturpakete für Unternehmen zu erwarten sein.

All diese Punkte belegen den Klassencharakter des neuen Präsidenten und der Demokratischen Partei. Genauso wie Trump liegen seine Interessen ganz klar darin, das System zu retten und die USA an erster Stelle in der Welt zu halten, jedoch mit einer anderen Taktik. Auch die Kriegsgefahr kann zunehmen, gerade mit Hinblick auf Russland, China oder Iran, wenn es darum geht, die Größe der USA zu verteidigen. Für die Arbeiter_Innenklasse und unterdrückten Menschen wird sich wohl nicht viel ändern. Migrant_Innen werden weiterhin inhaftiert, „People of Colour“ durch Polizeiterror getötet, Sparmaßnahmen gefordert, Angriffe auf Rechte und Leistungen für Arbeiter_Innen fortgesetzt. Eine Erholung für die Arbeiter_Innenklasse wird es nicht geben.

Welche Perspektive gibt es?

Sicher ist Biden dazu bereit, noch weiter nach rechts zu rücken – mit Hinblick auf die wirtschaftliche Krise und den wachsenden Druck von rechts in Politik und auf der Straße, gerade nach dem Sturm aufs Capitol. Dadurch wird es wohl viele Kompromisse geben. Das kann auch dazu führen, dass der rechte Flügel der Demokrat_Innen weiter wächst und mit ihm die Angriffe auf die Unterdrückten und Ausgebeuteten.

Weder wird die Demokratische Partei die ArbeiterInnenklasse verteidigen, noch wird sie die Angriffe auf ihre Rechte abwehren. Sowohl die demokratische als auch die republikanische Partei sind Parteien des Kapitals und der Wall Street. Sie haben nicht die Absicht, das System grundlegend zu ändern, sondern würden vielmehr alles dafür tun, genau dieses System aufrechtzuerhalten. Umso wichtiger ist es, soziale Bewegungen wie BLM oder die Gewerkschaftsbewegung weiter aufzubauen und mit dem Ziel zu einen, eine ArbeiterInnenpartei in den USA zu etablieren. Eine Verbesserung der Lage schafft kein Präsident, sondern das kann nur der Druck auf die Regierung, der von den Ausgebeuteten und Unterdrückten kommen muss.




USA: Stellungnahme zu Trumps faschistischer Provokation

Workers Power (USA) und Internationales Sekretariat der Liga für die Fünfte Internationale, Infomail 1133, 7. Januar 2021

Die Erstürmung des US-Kapitols durch einen Mob von FaschistInnen, auf Veranlassung von Donald Trump, war ein gescheiterter Versuch des in die Enge getriebenen, aber immer noch bissigen Präsidenten, den Kongress (und den Vizepräsidenten) zu zwingen, die Anerkennung des demokratischen designierten Präsidenten Joe Biden aufzugeben.

Vor, während und nach der Wahl peitschte Trump den harten Kern seiner AnhängerInnen mit der Behauptung auf, dass die Demokratische Partei im Begriff wäre, die Wahl zu „stehlen“, und dies dann in die Tat umgesetzt hätte. Eine kleine Ironie daran, dass Trump selbst dabei ertappt wurde, als er den  Republikaner aus dem Bundesstaat Georgia, Brad Raffensperger, anbettelte, 11.000 Stimmen zu „finden“, um ihm den Sieg in diesem Staat zu gewähren.

In mehreren Tweets rief er seine AnhängerInnen am 6. Januar zu einem „wilden“ Versuch, Biden aufzuhalten, nach Washington auf. Am Tag selbst sprach er persönlich auf der Kundgebung, forderte seine AnhängerInnen auf, „stark zu sein“ und stachelte sie an, die Pennsylvania Avenue hinunter zum Sitz des Kongresses zu „laufen“, um die Minderheit der RepublikanerInnen zu unterstützen, die versuchten, die Bestätigung der Wahl von Joe Biden zu verhindern. Sein persönlicher Anwalt, Rudy Giuliani, rief sogar zu einem „Prozess durch Kampf“ auf.

Offensichtlich war es kein Zufall, dass der normalerweise schwer bewachte Capitol-Komplex nur mit einer symbolischen Polizeipräsenz versehen war, um mit einer Massendemonstration fertig zu werden, die von Trump zur Raserei aufgepeitscht worden war. In der Tat: Bilder zeigen, dass die Polizei Metallbarrieren öffnet, um den Mob durchzulassen.

Welche Intrigen auch immer hinter diesem höchst verdächtigen Einsatz der Sicherheitskräfte steckten, der in lebhaftem Kontrast zu den schwer bewaffneten paramilitärischen Kräften stand, die im Juni letzten Jahres friedliche Black-Lives-Matter-DemonstrantInnen angriffen, das Ergebnis war die weite Öffnung der Gräben innerhalb der Republikanischen Partei zwischen Trump-AnhängerInnen und einem Großteil des republikanischen Establishments. Es hat auch die Übereinkunft des Kapitals herbeigeführt, wenn nicht hinter Joe Biden, so zumindest in der Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Vier Jahre lang hat sich das „respektable“ republikanische Establishment auf einen unberechenbaren Demagogen verlassen müssen, um die WählerInnen für sich zu mobilisieren. Viele von ihnen haben seinen vergeblichen Versuch, das Wahlergebnis zu unterlaufen, gerne mitgemacht. Eine große Anzahl von republikanischen Abgeordneten stimmte noch gegen die Ratifizierung.

Das Lancieren von lästigen Klagen, das Aufstellen von nachweislich falschen Behauptungen über Betrug, das Auffordern von GenerälInnen zum Eingreifen und sogar der Versuch einer dreisten Wahlmanipulation waren für viele von ihnen offenbar akzeptabel.

Aber zu einer Demonstration aufzurufen, um den Sitz der bürgerlichen Vertretung einzuschüchtern und das heilige Ritual der Übertragung der Exekutivgewalt von einer Partei auf die andere mit einer gewalttätigen Provokation zu unterbrechen, ging zu weit, wie die Kader des „tiefen Staates“ zweifellos deutlich machten.

Trotz des schmachvollen Scheiterns des Putsches hat er eine zweifache Bedeutung. Wie der Münchner Bierkeller-Putsch von 1923 hat er allen AnhängerInnen der „white supremacy“ (Überlegenheit der weißen „Rasse“) und faschistischen Gruppen einen gemeinsamen Bezugspunkt gegeben und sie in eine rechtsextreme Massenbewegung gezogen. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese entwickeln wird, aber es ist sicher, dass Biden und die DemokratInnen an der Regierung, die die Politik des Wirtschaftsliberalismus verfolgen, den rassistischen Sumpf, in dem sie gedeiht, nicht trockenlegen werden.

Trotzdem hat Joe Biden die Kontrolle über beide Häuser gewonnen, und nun wird sein Programm auf die Probe gestellt. Es ist unvermeidlich, dass er wenig oder nichts für die Gesundheitsversorgung für alle tun wird, die bei der Pandemie so lebenswichtig ist, wenig, um die Killer-Cops zu kontrollieren, wenig, um die Massenwelle der Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Nicht zuletzt wird sich die Demokratische Partei als völlig nutzlos erweisen, wenn es darum geht, die demokratischen Rechte zu verteidigen, sei es gegen die staatlichen Kräfte oder gegen die wachsenden der FaschistInnen.

Der erste Test, den faschistischen Provokationen zu widerstehen, könnte schon bei Bidens Amtseinführung kommen. Die ArbeiterInnenbewegung, BLM und die Jugend, die DSA (Demokratische SozialistInnen), müssen mächtige Selbstverteidigungskräfte mobilisieren, um die FaschistInnen von den Straßen zu fegen, wo und wann immer sie auftauchen.

Aber alle Ausgebeuteten und Unterdrückten brauchen ein Programm der ArbeiterInnenklasse, um mit den miteinander verbundenen Covid-, ökonomischen, Klima- und Demokratiekrisen fertig zu werden: ein Programm der Hoffnung, das auf der Enteignung des Reichtums der Bosse und einer demokratischen Planung im Weltmaßstab beruht und die einzige Alternative zu den neoliberalen DemokratInnen und der rechtsextremen Politik der Verzweiflung darstellt.

Dies zu tun bedeutet, eine Partei der ArbeiterInnenklasse aufzubauen, unabhängig von den prokapitalistischen FälscherInnen Bernie Sanders und der „Riege“ (prominenter demokratischer SozialistInnen); eine Partei, deren Mitglieder die ArbeiterInnenklasse am Arbeitsplatz, in den Gemeinden und auf der Straße organisieren, als Teil des Klassenkampfes, um den Kapitalismus zu stürzen und zur sozialistische Revolution zu führen.