Verteidigung der demokratischen Rechte in Spanien und Katalonien

Dave Stockton, Infomail 965, 9. Oktober 2017

Die Gewaltanwendung der spanischen Regierung zur Unterbrechung des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums hinterließ fast 900 durch die Polizei verletzte Personen und löste die schwerste Verfassungskrise des Landes seit der Wiedereinsetzung der Demokratie 1978 aus. Premierminister Mariano Rajoy von der regierenden Partido Popular (PP) hatte die Unverschämtheit zu behaupten: „Der Staat antwortete mit Festigkeit und Gelassenheit.“

Videos der paramilitärischen Guardia Civil (Nationalgendarmerie), die sich den Weg in Wahllokale bahnt, um Wahlurnen abzutransportieren, auf WählerInnen einschlägt und Gummigeschosse in Menschenmassen schießt, schildern den schwersten und aggressivsten Angriff auf die Demokratie in der Europäischen Union seit Jahrzehnten. Am 3. Oktober demonstrierten 700.000 Menschen in Barcelona und in ganz Katalonien gegen Rajoy, blockierten Proteste Straßen und Plätze.

Repression

Rajoys Hardlinerhaltung wurde durch unterstützende Äußerungen mehrerer europäischer Regierungen untermauert, wobei der britische Außenminister Boris Johnson bekräftigte:

„Das Referendum ist Sache der spanischen Regierung und des spanischen Volkes. Wir wollen, dass spanisches Recht und die spanische Verfassung respektiert und die Rechtsstaatlichkeit gewahrt wird.“

Die EU selbst, die Rajoys Haltung bisher unterstützt, hat eine Erklärung abgegeben, in der sie ihre Unterstützung für die spanische Verfassung wiederholt und davor warnt, dass sich ein unabhängiges Katalonien außerhalb der EU befinden würde. Sie fügte einen Appell an beide Seiten hinzu, sich „von der Konfrontation zum Dialog“ zu bewegen. Dies ist vielleicht eine verschlüsselte Warnung an Madrid, nicht die Szenen zu wiederholen, die die BürgerInnen in ganz Europa schockierten – vor allem aber eine zynische Gleichsetzung der spanischen Regierung mit den Menschen, die für ihr nationales Selbstbestimmungsrecht eintreten.

Die spanische Verfassung verweigert den nationalen Minderheiten das Recht auf Selbstbestimmung und unterstützt daher die Bemühungen der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet aber, dass sie die Unterdrückung des überwältigenden Wunsches der katalanischen EinwohnerInnen nach einer demokratischen Abstimmung über ihre künftige Beziehung zu Spanien begünstigt.

Am 3. Oktober verteidigte König Felipes Fernsehsendung an die Nation Rajoy bis aufs Messer und behauptete, die gewählte katalanische Regierung und das Parlament hätten sich „außerhalb des Gesetzes“ gestellt. Diejenigen, die an dem Referendum teilgenommen hätten, zeigten „unzulässige Untreue gegenüber den Staatsmächten.“ Er sprach seine katalanischen „UntertanInnen“ weder direkt an, noch sprach er ein Wort auf Katalanisch.

Die Verantwortung für die Konfrontation liegt in erster Linie bei der Regierung von Rajoy, die sich offen weigerte zu verhandeln und der überwältigenden lokalen Nachfrage nach einem Referendum zur Klärung der Frage stattzugeben. Sie entsandte schließlich 16.000 PolizistInnen mit dem Befehl, die Abstimmung zu unterdrücken.

Trotz Gewalt und Einschüchterung ging die Abstimmung jedoch vor sich. 2.262.424 Stimmen wurden in den 75 bis 90 % der Wahllokale abgegeben, die offen blieben. Die Wahlbehörden veröffentlichten eine 90-prozentige Marge zugunsten der Unabhängigkeit bei einer Wahlbeteiligung zwischen 42 und 50 %.

Der Anblick von Hunderttausenden von Menschen, die Schlange standen, um in durch organisierte Verteidigungskomitees geschützten Wahllokalen zu wählen, wurde als inspirierende Ausübung von Volkssouveränität gefeiert. Alle VerteidigerInnen der Demokratie erkennen den Mut der Menschen in Konfrontation mit der Polizei an, um ihr Recht auf Abstimmung auszuüben. Das war an sich schon eine große Niederlage für Rajoy. Aber es ist wichtig anzuerkennen, dass bisherige Umfragen eine Mehrheit in der katalanischen Bevölkerung ergaben, die nicht unabhängig werden wollte. Darüber hinaus stimmte die Mehrzahl der Wahlberechtigten entweder gar nicht ab oder mit „Nein“. Zweifellos erfolgte dies großenteils vor dem Hintergrund krass undemokratischer Bedingungen, die Rajoy geschaffen hatte.

Es wäre natürlich nicht verwunderlich, wenn Rajoys Unterdrückung die in Umfragen vor den Angriffen ausgewiesene Minderheit für die Unabhängigkeit in eine Mehrheit verwandelt hätte, aber anhand der aktuellen Beweise können wir das nicht beurteilen. Daher würde eine einseitige und unwiderrufliche Unabhängigkeitserklärung durch die parlamentarische Mehrheit, geschweige denn durch Carles Puigdemont als Präsident der autonomen Regionalbehörde (Generalitat), die Gefahr der Spaltung der Bevölkerung in diejenigen für und gegen völlige Unabhängigkeit heraufbeschwören. Wenn es darum geht, Rajoys Angriff auf die Demokratie zu widerstehen, wäre dies ein Geschenk an ihn.

Da natürlich jede Art von demokratischen Wahlen behindert wird, verfügt das katalanische Volk nur über einen Generalstreik, Massendemonstrationen und Versammlungen, mit denen es seinen Willen kundtun kann. Dies sollte die Antwort auf die Versuche sein, die Regierung zu verhaften, das Parlament aufzulösen oder das Autonomiestatut auszusetzen.

Was nun?

Carles Puigdemont, Präsident der Generalitat, hat seine ursprüngliche Drohung aufgeschoben, die Unabhängigkeit „innerhalb von 48 Stunden“ auszurufen, und am Montag stattdessen die EU angefleht, internationale Schlichtung zu organisieren. Er bestand darauf: „Sie kann nicht länger wegschauen.“ Jetzt spricht er davon, die Unabhängigkeitserklärung Anfang nächster Woche zu verkünden.

Diese scheinbare Änderung des Ansatzes ist möglicherweise weniger ein Zurückweichen als Teil einer vorausschauenden Strategie. Puigdemont und seine Partei, die Europäische Demokratische Partei Kataloniens (PDeCAT), selbst relativ neu und opportunistisch bekehrt zum vollständigen katalanischen Separatismus, wusste, ein unter solchen Bedingungen durchgeführtes Referendum hätte kein klares Mehrheitsmandat zeitigen können. Aber er setzte darauf, dass die unvermeidliche Razzia der Polizei den separatistischen FührerInnen ungeheure moralische Legitimität verschaffen würde, Rajoys Autorität untergrübe und so teilweise dessen Unterstützung durch eine Minderheit sogar in Katalonien wettmachte.

Selbst der Streik vom 3. Oktober deutet darauf hin, dass jede einseitige Unabhängigkeitserklärung, die in wenigen Tagen erwartet wird – darauf besteht Puidgemont –, kleine klare Unterstützung der Mehrheit der KatalanInnen oder der ArbeiterInnenklasse in der Provinz genießen mag. Da auf der anderen Seite eine beträchtliche Mehrheit der KatalanInnen eindeutig über diese Frage mit ihrer Stimme entscheiden will, könnte eine weitere Unterdrückung durch Rajoy und die Guardia Civil zu einer Explosion führen.

Sozialchauvinismus

Das erste Opfer des Konflikts zwischen spanischen ChauvinistInnen und katalanischen NationalistInnen ist die ArbeiterInnenklasse auf der ganzen Halbinsel. Hätten ihre Spitzen eine klare und eindeutige Position der Unterstützung für das Recht, das Referendum abzuhalten, bezogen, Rajoy hätte es sich zweimal überlegen müssen, bevor er die Guardia Civil loslassen konnte.

Das Referendum wurde natürlich von Rajoy dazu benutzt, sichtbare Manifestationen der reaktionären Vergangenheit Spaniens zu ermutigen. Ein Sturm von spanischem Chauvinismus fegt durch das Land, die Nationalflagge sprießt auf Balkonen und aus Fenstern. Menschenmassen feuern die Polizei an, die nach Katalonien aufbricht. Die unvermeidliche Konsequenz dieses Antagonismus wird Gewalt sein, nicht nur gegen KatalanInnen, sondern gegen die anderen Minderheiten Spaniens, auch gegen MigrantInnen.

Dieser Woge schloss sich die PSOE an, die wichtigste Partei der spanischen Sozialdemokratie, deren Führer Pedro Sánchez seine Bitten an Rajoy, „zu verhandeln, zu verhandeln, zu verhandeln“, mit einem Ausdruck feiger Loyalität gegenüber der undemokratischen spanischen Verfassung, Monarchie und Justiz krönte.

„Ich möchte die uneingeschränkte Unterstützung der PSOE für die Rechtsstaatlichkeit Spaniens, seine Regeln und Institutionen, die Unterstützung der PSOE für die territoriale Integrität dieses Landes, das jetzt gefährdet ist, zum Ausdruck bringen. Wir befinden uns an einem Moment, wo das Allgemeininteresse die Oberhand über die Parteien erhalten muss. Es ist der Moment der Vernunft, des gesunden Menschenverstandes.“

Podemos’ gewöhnlich redseliger oberster Wortführer, Pablo Iglesias, war sehr zurückhaltend. Ja, er verurteilte Polizeigewalt und sagte, Rajoy hätte die SpanierInnen „beschämt“, aber die populistische Partei hat sich auf rein parlamentarische Verfahren beschränkt. Er appellierte an die PSOE, eine Koalition zu bilden, die das Recht der KatalanInnen auf Abstimmung anerkenne. Podemos’ MdEP, Miguel Urban, sagte: „Wir müssen uns vereinen, um Rajoy von der Macht zu verdrängen.“ Ja, ja, aber die notwendige Einheit beginnt nicht mit parlamentarischem Kuhhandel mit den Feiglingen in der PSOE. Sie beginnt auf der Straße.

Bemerkenswert ist auch, dass die katalanischen Sektionen der Gewerkschaftsverbände CC. OO. und UGT zwar den Streik am 3. Oktober 2017 unterstützten, die nationalen Vorstände in Madrid aber nicht.

Wenn die reformistischen FührerInnen der gesamtspanischen ArbeiterInnenbewegung, der politischen Parteien und Gewerkschaften nicht gegen Rajoy protestieren und die katalanischen Rechte unterstützen, werden sie den NationalistInnen aller Couleur in die Hände spielen und die Einheit der ArbeiterInnen des Landes weiter zerrütten. Die Einheit muss mit der Erkenntnis beginnen, dass Rajoys Angriff auf die katalanische Demokratie das dünne Ende des Keils auf allen ArbeiterInnen darstellt; eine landesweite Koordination der Linken und der ArbeiterInnenklasse ist notwendig, um auf den Straßen zu mobilisieren, der Spirale von Gewalt und nationalem Chauvinismus Einhalt zu gebieten.

Selbstbestimmungsrecht

Es besteht kein Zweifel daran, dass eine große Mehrheit der KatalaInnen bei einem rechtsverbindlichen Referendum abstimmen wollte, selbst wenn sie gegen die Sezession sein sollte.

Dieses demokratische Wahlrecht sollte nicht der Regierung von Madrid oder dem Obersten Gerichtshof Spaniens übertragen werden. Natürlich enthält die spanische Verfassung von 1978 dieses Recht nicht. Eine ganze Reihe von Zugeständnissen an die demokratischen Grundsätze, die die reformistischen Kommunistischen und Sozialistischen Parteien an die Erben Francos gemacht haben, war das Ergebnis des berüchtigten Abkommens von Moncloa 1977. Sie schlossen die Wiederherstellung der Bourbonenmonarchie mit ein, die Symbol eines verkommenen Systems bleibt, das hinweggefegt gehört, wenn die demokratischen Rechte des Volkes in ganz Spanien zum Zuge kommen sollen.

Es verstößt gegen Logik und demokratische Prinzipien, wenn man vorschlägt, dass eine Nation nur über sein eigenes Verhältnis zu einem Staat abstimmen darf, wenn der Staat das erlaubt. Das Recht einer Nation, darüber abzustimmen, ob sie Teil eines multinationalen Staates bleibt, kann nicht von der Zustimmung dieses Staates abhängen.

Würde dieses Recht anerkannt, müsste ebenso über die Folgen eines Abspaltungsbeschlusses verhandelt werden: die Grenzen, die Rechte von Minderheiten, das Eigentum an gemeinsamen Ressourcen, den Handel usw., da diese kein Ultimatum darstellen können, das eine Seite der anderen diktiert.

Gegen seine eigene Absicht hat Rajoys heftiges Vorgehen die Einheit des spanischen Staates mehr gefährdet als irgendein anderes Oberhaupt seit Francos Tod und den Verfassungs- und Autonomiebetrug entlarvt, der Spaniens Nationalitäten kein Abtrennungsrecht gewährt .

Widerstand

Ein wesentlicher Teil der katalanischen Linken und der katalanischen ArbeiterInnenklasse hat sich immer gegen den Separatismus gestellt. Linke in Katalonien sind in keiner Weise verpflichtet, eine einseitige Unabhängigkeitserklärung als Ergebnis der Volksabstimmung zu bestärken. Was sie fordern sollten, ist der sofortige und bedingungslose Rückzug aller paramilitärischen und polizeilichen Kräfte der Madrider Zentralregierung aus Katalonien, da sie weit davon entfernt, die Personen und Rechte der gewöhnlichen Menschen zu beschützen, sie auf die widerlichste Weise verletzt haben.

Was wir brauchen, ist die Einheit der ArbeiterInnen im übrigen Spanien an der Seite ihrer katalanischen Schwestern und Brüdern im Angesicht der Unterdrückung durch Rajoy. Sozialistinnen müssen den sofortigen Abzug aller Polizei- und paramilitärischen Einheiten fordern, die nicht unter der Kontrolle des katalanischen Parlaments. stehen. In Katalonien sollen Automobil-, HafenarbeiterInnen, EisenbahnerInnen ihre eigene Selbstverteidigungsorganisationen vorbereiten, die sich mit den Gruppen, die die Wahllokale verteidigt haben, verbinden. Ihr Ziel sollte die Verteidigung der ArbeiterInnenviertel und -institutionen als Ganzes sein, unabhängig davon, ob sie für die Unabhängigkeit eintreten oder nicht.

Die wichtigsten Gewerkschaftsverbände, die in Katalonien vertreten sind, die ArbeiterInnenkommissionen (CC. OO.) und die Allgemeine ArbeiterInnenunion (UGT) unterstützten den Aufruf zum totalen Stillstand am Dienstag in ganz Katalonien und sagten, dass er weiter als ein „Generalstreik“ gegangen sei, weil er „BürgerInnen, LadenbesitzerInnen, Selbstständige, UnternehmerInnen, Gewerkschaften, TaxifahrerInnen und Institutionen“ einbeziehen sollte. Dennoch deuten Berichte darauf hin, dass die Unterstützung in den wichtigsten Industriezweigen und im Verkehrssektor sehr uneinheitlich war.

Dockarbeiter schlossen die Häfen von Barcelona und Tarragona. In der Nissan-Autofabrik streikten 70 % und stellten die Produktion ein. Auf der anderen Seite arbeitete Seat, der größte Automobilhersteller. Dies weist darauf hin, dass eine Unabhängigkeitserklärung der kleinbürgerlichen nationalistischen Parteien, die über eine Mehrheit im katalanischen Parlament verfügen, ein Abenteuer wäre, die Arbeiterklasse wahrscheinlich spaltete und schließlich Rajoy stärkte.

In jedem Fall kann sich ein wirksamer Generalstreik in Katalonien nicht darauf beschränken, eintägig zu protestieren oder eine Komparsenarmee für Puigdemont zu schaffen. Klar ist, dass die organisierte ArbeiterInnenschaft ihr gesamtes soziales Gewicht in die Waagschale des Kampfes gegen Rajoys Unterdrückung werfen muss. Ein Generalstreik sollte sich zwei miteinander verbundene Ziele setzen: einmal als organisierender Weckruf für die Mobilisierung der ArbeiterInnenbewegung in ganz Spanien zur Verteidigung der Demokratie und gegen Rajoy zu dienen und zweitens die Bedingungen zu schaffen, unter denen die ArbeiterInnenklasse die Initiative den nationalistischen AbenteurerInnen entwenden kann, deren Dominanz nur die Zunahme von nationaler Spaltung fördert.

Der Generalstreik ist immer, in seinem Potential, ein revolutionärer Akt: einer, der „unweigerlich vor allen Klassen der Nation die Frage aufwirft: Wer wird Herr des Hauses sein?“ Wenn Rajoy Herr bleibt, dann gibt es keinen Zweifel, dass sein Sieg nicht nur KatalanInnen, sondern auch den arbeitenden Menschen in ganz Spanien hart zusetzen wird. Die Geschichte der katalanischen ArbeiterInnenklasse und ihre Bedeutung für die spanische Wirtschaft zeigen, dass ein Generalstreik, wenn er sich von den SeparatistInnen befreien kann, das Potential besitzt, eine neue, revolutionäre Situation im ganzen Land einzuleiten.

Die Gewerkschaften in Katalonien sollten sich nicht auf Halbheiten beschränken, sondern einen umfassende und unbefristeten Generalstreik und die Einrichtung von lokalen DelegiertInnenräten verkünden, um ihn zu organisieren und zu leiten.

Eines der Ziele des Streiks sollte die Forderung sein, Wahlen für eine souveräne katalanische verfassunggebende Versammlung einzuberufen. Diese könnte nach einer möglichst ausführlichen demokratischen Debatte zwischen Oppositionellen und BefürworterInnen der Unabhängigkeit entscheiden, ob man eine unabhängige katalanische Republik proklamiert oder eine landesweite Bewegung für eine verfassunggebende Versammlung im ganzen spanischen Staat auslöst. Das Ziel einer solchen Versammlung sollte es sein, alle Reste des Franquismus und damit der Bourbonenmonarchie, das Verfassungsgericht etc zu beseitigen. Durchgängige Demokratie in Spanien bedeutet die Schaffung einer echt föderalistischen Republik mit dem Recht, dass sich alle oder einige ihrer Völker von ihr trennen dürfen.

Unserer Ansicht nach steht es zwar nicht im Interesse der ArbeiterInnenklasse, Spaniens wirtschaftliche und politische Einheit zu zerbrechen, aber sie durch jeglichen Zwang oder Verfassungsbetrug aufrechtzuerhalten, ist weit schlimmer. Doch ein kapitalistisches Katalonien, Euskadi (Baskenland), Galicien usw. wird die Verhältnisse für die Arbeitenden nicht verbessern. Es wird sie schwächen, sollten sie der Täuschung erliegen, Opfer für die neue Nation bringen zu müssen.

Eine vereinte multinationale ArbeiterInnenbewegung und -partei kann sich andererseits das Ziel des Kampfs für eine sozialistische Republik setzen, welche die brennenden sozialen Probleme der Jugendlichen und Werktätigen in Spanien heute lösen kann.

In ganz Spanien und in der Europäischen Union sollten sozialistische und ArbeiterInnenparteien, GewerkschafterInnen und Jugendliche auf die Straße gehen, um zu fordern:

  • Rajoy, Hände weg von Katalonien! Rückzug aller Polizei- und Militäreinheiten, die der katalanischen Generalitat nicht treu ergeben sind!
  • Spanien- und europaweite Solidarität mit dem demokratischen Recht der KatalanInnen auf Selbstbestimmung über ihre eigene Zukunft!
  • EU-Regierungen müssen Rajoys Unterdrückung und alle weiteren Drohungen oder Angriffe verurteilen!
  • Wenn Rajoy das katalanische Autonomiestatut aussetzt oder die Regionalregierung festnimmt, sollen die europäischen Gewerkschaften und die einfachen Mitglieder einen Transport- und Handelsboykott gegen Spanien organisieren!



Nieder mit dem Staatsstreich Rajoys gegen Katalonien!

Dave Stockton, Neue Internationale 223, Oktober 2017

Das Referendum am 1. Oktober wird ohne jeden Zweifel zu einer weiteren Machtprobe zwischen der reaktionären Regierung Rajoy und der Unabhängigkeitsbewegung werden. Im folgenden Artikel, der noch im September 2017 verfasst wurde, gehen wir auf die Hintergründe und die aktuelle Zuspitzung ein.

Auslöser

Ausgelöst wurde die gegenwärtige tiefe politische Krise mit der Entscheidung des katalanischen Parlaments vom 6. September, am 1. Oktober eine bindende Abstimmung über die Unabhängigkeit Kataloniens abzuhalten. Am 7. September hat Spaniens Premierminister Mariano Rajoy das Verfassungsgericht in Madrid angerufen, um diesen Entscheid auszusetzen, dem das Gericht auch unverzüglich nachkam.

Carles Puigdemont i Casamajó, Chef der Junts pel Sí (Gemeinsam für Ja)-Koalitionsregierung, die im September 2015 gewählt worden war, wollte ursprünglich das Referendum zu Verhandlungen mit der Zentralregierung nutzen, doch Rajoy hatte dies wiederholt abgelehnt. Daraus resultierte Puigdemonts Aufruf zu einer einseitig legitimierten Abstimmung, was er auch ohne größere Debatten schnell durch das katalanische Parlament brachte. Damit verschreckte er jedoch Parteien, die zwar das Recht auf ein Referendum für die Unabhängigkeit unterstützen, aber nicht unbedingt einer Abtrennung das Wort reden würden.

Die arroganten Aktionen der Volkspartei-Regierung, die mithilfe der Guardia Civil die Durchführung der Abstimmung illegalisieren und verhindern sollen, haben nicht nur eine große politische Krise ausgelöst, sondern auch die BefürworterInnen und GegnerInnen der Unabhängigkeit in Katalonien vereinigt.

Büros der katalanischen Regierung wurden durchsucht und Plakate, Broschüren und Urnen beschlagnahmt. Berichten zufolge wurden am 20. September 10 Millionen Abstimmungszettel abgeholt und werden seither unter Verschluss gehalten. Außerdem wurden 12 ranghohe Beamte und Unternehmensspitzen in Gewahrsam genommen. Rajoy hat ferner fast unverhohlen damit gedroht, den Artikel 155 der spanischen Verfassung anzuwenden, der das katalanische Autonomiestatut aufheben würde, und durchblicken lassen, sogar die katalanische Regierung und alle BeamtInnen bspw. BürgermeisterInnen, die die Volksabstimmung gestatten, unter Arrest zu stellen. Dies würde nichts anderes als einen Staatsstreich bedeuten.

Nachrichten, wonach die Guardia Civil in die Regierungsgebäude in Barcelona eingedrungen ist, darunter das Wirtschaftsministerium, legen nahe, dass der Staatsstreich bereits im Gange sein dürfte. Diese Vorkommnisse haben wütende Reaktionen von katalanischen PolitikerInnen hervorgerufen. In Madrid haben Parlamentsabgeordnete der Republikanischen Katalanischen Linken (Esquerra oder auch ERC) unter Protest den Kongress verlassen. Ein junger Feuerkopf namens Gabriel Rufián i Romero schleuderte Rajoy entgegen: „Nimm deine dreckigen Finger von den katalanischen Institutionen!“.

Widerstand

Die links orientierte Bürgermeisterin von Barcelona Ada Colau i Ballano, die eng mit Podemos verbunden ist, rief die Bevölkerung dazu auf, die „katalanischen Einrichtungen zu verteidigen“. Der linkere der beiden größten Gewerkschaftsverbände, die Arbeiterausschüsse CCOO meldete, dass seine Mitglieder eine Hauptstraße in Barcelona blockiert hätten.

Die Antwort der großen Protestmenge kam prompt: Sie umstellte die Regierungsgebäude. Spanische Sicherheitskräfte wollten auch die Hauptgeschäftsstelle der linken Partei Kandidatur für Volkseinheit (CUP) stürmen, mussten aber unter Triumph- und Hohnrufen wieder abziehen, nachdem eine Masse von DemonstrantInnen ihnen 8 Stunden lang den Weg versperrt hatte.

Die katalanische Regierung gab schließlich eine Verlautbarung heraus, dass die spanische Zentralregierung „an diesem Morgen de facto die Autonomie in Katalonien außer Kraft gesetzt“ habe.

Der Fußballverein FC Barcelona ließ in einer Presseerklärung mitteilen: „Der FC Barcelona steht treu zum historischen Bekenntnis für die Verteidigung der Nation, der Demokratie, der Redefreiheit und Selbstbestimmung und verurteilt jede Handlung, die die freie Ausübung dieser Rechte behindern könnte.“

Rajoys Reaktion war eine Fernsehausstrahlung, in der er wie ein Schuldirektor den KatalanInnen befahl: „Stoppt diese Eskalation des Radikalismus und des Ungehorsams ein für alle Mal!“

Zwar könnte der spanische Regierungschef auch darauf setzen, Katalonien nur einzuschüchtern, doch er spielt dabei mit dem Feuer. Jede größere Polizeirepression wird mit Sicherheit empörte Massenmobilisierungen und Besetzungen in Barcelona und ganz Katalonien hervorrufen. Diese Antwort wäre voll gerechtfertigt und die gesamte internationalistische Linke sollte alles in ihrer Macht Stehende tun, dies auch in Madrid und anderen Städten in Gang zu bringen.

Reaktionäre Verfassung und Unterdrückung

Die undemokratische Verfassung von 1978 streitet Spaniens nationalen Minderheiten ausdrücklich das Recht auf Selbstbestimmung ab. Sie verkündet „die unauflösliche Einheit der spanischen Nation, die gemeinsame und unteilbare Heimat aller SpanierInnen.“

Die Verteidigung und Zusicherung des Rechts für die KatalanInnen auf Selbstbestimmung ist eine elementare demokratische Forderung und sollte bei ArbeiterInnen und SozialistInnen in ganz Spanien und auch überall in Europa Rückhalt finden.

Das heißt jedoch nicht, dass SozialistInnen für eine Zustimmung zur Loslösung eintreten sollten oder für eine einseitige Unabhängigkeitserklärung durch die katalanische Regierung. Doch allem Druck vonseiten der madrilenischen Regierung, v. a. der Aussetzung des Autonomiestatuts oder der Inhaftierung von Regierungsmitgliedern und BürgermeisterInnen, muss mit Massenaktionen auf den Straßen einschließlich eines unbefristeten Generalstreiks begegnet werden.

Nichtsdestotrotz müssen wir darauf gefasst sein, dass diese Auseinandersetzung sehr wohl gefährliche und zerstörerische Kräfte des nationalen Chauvinismus, der Spaltung und Vergiftung des Bewusstseins der ArbeiterInnenklasse und der Jugend im gesamten spanischen Staat freisetzen könnte. Es ist kein Zufall, dass sowohl Rajoy wie auch Puigdemont an der Spitze von rechten neoliberalen bürgerlichen Parteien stehen und sehr erfreut wären, wenn sie die ArbeiterInnenschaft und andere fortschrittliche Kräfte zersplittern und aufeinanderhetzen könnten.

Die Antwort auf diese Gefahr für alle fortschrittlichen Elemente, linken Parteien und Organisationen, Gewerkschaften, die radikale Jugend muss in der Mobilisierung auf den Straßen und Plätzen in ganz Spanien liegen, um Rajoys Machtübernahme zu verhindern, die sofortige Einstellung der Aktionen der Guardia Civil in Katalonien und im Endergebnis den sofortigen und bedingungslosen Rückzug aller Repressionsorgane zu erzwingen, damit die KatalanInnen ihre Abstimmung abhalten können. Alle sollten ohne Zwang und nach ausreichender demokratischer Debatte abstimmen dürfen.

Die KatalanInnen bilden zweifelsfrei eine Nation mit eigener Sprache und Kultur innerhalb des spanischen Staats. Diese Tatsache hätte ausdrücklich und eindeutig in der Verfassung nach der Ära Franco festgehalten werden müssen. Unter der Monarchie und dann unter der Franco-Diktatur erlitten sie ebenso wie die BaskInnen, GalicierInnen und andere kleinere sprachliche Gemeinschaften schwerwiegende nationale Unterdrückung durch den zentralisierten kastilischsprachigen Staat.

Nach dem Fall der Franco-Diktatur wurden die meisten dieser Unterdrückungselemente beseitigt und Autonomien gewährt in Bezug auf Sprach- und Kulturgebrauch. Geblieben aber ist die grundsätzliche Ablehnung des Rechts einer ungehinderten Entscheidung über eine Lostrennung von oder Zugehörigkeit zu Spanien durch die Madrider Regierungen und die Justiz.

Katalonien ist industriell weiter entwickelt und wohlhabender als jede andere Region auf der Iberischen Halbinsel außer dem Gürtel um Madrid selbst. Viele der nationalistischen katalanischen Forderungen wie die Beendigung der Nettosteuerzahlungen, die als Hilfsleistung und Förderung der ärmeren Teile Spaniens dienen, oder die oft geäußerte Sichtweise, dass die KatalanInnen härter arbeiten würden und an sich progressiver seien, sind eindeutige Belege für einen Chauvinismus, den die ArbeiterInnen schroff ablehnen müssen.

Perspektive

Die Bildung eines unabhängigen katalanischen Staats wird mit Sicherheit nicht die Spaltungen innerhalb der ArbeiterInnenklasse verringern, weder in der Region noch im Gesamtstaat. Wenn wie zuvor nur eine Minderheit abstimmen würde und ein „Ja“ dabei herauskäme, könnte sich die Mehrheit nicht damit zufriedengeben. Noch schlimmer wäre es, wenn die Puigdemont-Regierung mit einer einseitigen Entscheidung einen großen Teil der spanischsprachigen Mehrheit vor den Kopf stoßen würde. 45,92 % sprechen zumeist Spanisch, 35,54 Katalanisch, während 11,95 % der dortigen Bevölkerung beide Sprachen gleich häufig verwenden. Das neue Land würde also mit einem großen demokratischen Geburtsfehler aus der Taufe gehoben werden. Der Torso Restspaniens würde außerdem einen kämpferischen Teil seiner ArbeiterInnenbewegung verlieren.

Im Vorfeld der Krise zeigten Umfragen, dass zwar 60 % der katalanischen WählerInnenschaft eine Abstimmung befürworten, über 50 % aber mit „Nein“ stimmen würden. Rajoys Aktionen könnten dieses Stimmungsbarometer schnell verändern, wenn sein „legaler“ Staatsstreich in volle Unterdrückung umschlägt. Rajoys Drohung, die katalanische Polizei gegen die eigene Bevölkerung zur Verhinderung der Wahlen am 1. Oktober einzusetzen, verdeutlicht diese Gefahr.

Ein Teil der Gründe für das Anwachsen von Nationalismus in den letzten Jahren ist zweifellos eine Auswirkung der rechten Regierung und Justiz in der Hauptstadt, die als Klotz auf dem Weg zum Fortschritt liegt, doch bei Wahlen auf gesamtspanischer Ebene schwierig zu beseitigen scheint.

Diese rechtsgerichtete Hegemonie ist eine Folge des Scheiterns der ArbeiterInnen- und radikalen Jugendbewegung in der vergangenen Periode beim Versuch, den Griff der Reaktion mit Platzbesetzungen, eintägigen Generalstreiks, Massendemonstrationen und auch dem raschen Aufstieg von Podemos zu brechen. All diese machtvollen Bewegungen, die große Möglichkeiten bargen, zerbrachen letztlich an der Frage der Führung. Weder die alten reformistischen Parteien wie PSOE und IU, noch die neue links-populistische Podemos oder die „hierarchielosen“, horizontalen und linken Bewegungen konnten auf die Machtfrage eine klare, zielführende Antwort geben.

Die Spaltung der ArbeiterInnen und Jugendlichen Barcelonas und Madrids wird dieses Problem nicht lösen. Dringend notwendig ist der Aufbau einer politischen Kraft im gesamten Spanien, einer neuen ArbeiterInnenpartei mit einem revolutionären antikapitalistischen Programm. Die Kräfte dafür zu sammeln, damit sollte jetzt in einer Bewegung begonnen werden, die nicht nur Rajoys Putsch in Katalonien verhindert, sondern ihn auch in Madrid von der Macht verjagt.

 




Leo Trotzki – Die nationale Fragen in Katalonien

Leo Trotzki, 13. Juli 1931

Aus: The Militant vom 19. September 1931, abgedruckt in: Leo Trotzki: Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, Band 1: 1931-1936, Frankfurt/Main, 1975, Text 27, S. 141-143

Ein weiteres Mal über die anstehenden Fragen in der spanischen Revolution.

1.) Maurin, der „Führer“ des Arbeiter- und Bauernblocks, bekennt sich ebenfalls zum Separatismus. Nach einigem Zaudern hat er sich mit dem linken Flügel des kleinbürgerlichen Nationalismus ausgesöhnt. Ich habe früher schon geschrieben, dass der katalanische kleinbürgerliche Nationalismus im gegenwärtigen Stadium progressiv ist – aber nur unter einer Bedingung: dass er seine Aktivität außerhalb der Reihen des Kommunismus entfaltet, und dass er andauernd unter den Schlägen kommunistischer Kritik steht. Gestattet man dem kleinbürgerlichen Nationalismus, sich unter der Fahne des Kommunismus zu verbergen, so teilt man zur gleichen Zeit einen hinterlistigen Schlag an die proletarische Avantgarde aus und zerstört die progressive Bedeutung des kleinbürgerlichen Nationalismus.

2.) Was bedeutet das Programm des Separatismus? Zweifellos die ökonomische und politische Zerstückelung Spaniens, oder mit anderen Worten die Umwandlung der Iberischen Halbinsel in eine Art Balkan-Halbinsel, mit unabhängigen Staaten, die durch Zollschranken getrennt sind, und mit unabhängigen Armeen, die unabhängige Spanische Erbfolgekriege führen. Natürlich wird der weise Maurin sagen, er wolle das nicht. Aber Programme haben ihre eigene Logik, etwas, was Maurin nicht besitzt.

3.) Sind die Arbeiter und Bauern der verschiedenen Parteien Spaniens an einer Zerstückelung interessiert?   Absolut nicht. Deshalb bedeutet die Gleichsetzung des entschiedenen Kampfes um das Recht der Selbstbestimmung mit der Propaganda für den Separatismus ein äußerst gefährliches Vergehen. Wir treten in unserem Programm für eine spanische Föderation mit der unentbehrlichen Beibehaltung der ökonomischen Einheit ein. Wir haben nicht die Absicht, dieses Programm den unterdrückten Nationalitäten Spaniens mit Hilfe der Waffen der Bourgeoisie aufzuzwingen. In diesem Sinne sind wir aufrichtig für das Recht auf Selbstbestimmung. Wenn sich Katalonien abspaltet, wird die kommunistische Minderheit Kataloniens, ebenso wie Spaniens, einen Kampf für eine Föderation zu führen haben.

4.) Im Balkan stellte die alte Vorkriegs-Sozialdemokratie bereits die Losung der demokratischen Balkanföderation auf – als Ausweg aus dem von den getrennten Staaten geschaffenen Irrenhaus. Gegenwärtig ist die kommunistische Losung für den Balkan die Balkanische Sowjetföderation (nebenbei: die Komintern gab die Losung der Balkanischen Sowjetföderation aus, verwarf aber gleichzeitig diese Losung für Europa!). Wie können wir unter diesen Umständen die Losung der Balkanisierung der spanischen Halbinsel übernehmen? Ist das nicht ungeheuerlich?

5.) Die Syndikalisten, oder zumindest ein gewisser Teil ihrer Führer erklären, dass sie gegen den Separatismus sogar mit den Waffen kämpfen werden. In diesem Falle würden sich Kommunisten und Syndikalisten auf entgegengesetzten Seiten der Barrikaden befinden: ohne die separatistischen Illusionen zu teilen, und mit dauernder Kritik an ihnen, müssten die Kommunisten sich unentwegt gegen die Henker des Imperialismus und ihre syndikalistischen Lakaien stellen.

6.) Sollte es der Kleinbourgeoisie gelingen – gegen den Rat und die Kritik der Kommunisten – Spanien zu zerstückeln, dann würden die negativen Folgen eines solchen Regimes nicht lange auf sich warten lassen. Die Arbeiter und Bauern würden sehr schnell zu diesem Schluss kommen: die Kommunisten hatten wirklich recht. Das aber bedeutet ganz genau, dass wir nicht die geringste Verantwortlichkeit für Maurins Programm übernehmen dürfen.

7.) Monatte hofft, die spanischen Syndikalisten würden einen neuen „syndikalistischen Staat“ schaffen. Stattdessen integrieren sich die spanischen Freunde von Monatte mit Erfolg in den bürgerlichen Staat. Das ist die Geschichte des armen Vogels, der Kuckuckseier ausbrütet. Es ist momentan sehr wichtig, alles zu verfolgen, was die spanischen Syndikalisten sagen und tun. Das wird der Linken Opposition in Frankreich Möglichkeiten eröffnen, dem französischen Anarchosyndikalismus einen schweren Schlag zu versetzen. Es ist keine Sekunde zweifelhaft, dass die Anarchosyndikalisten sich unter revolutionären Bedingungen bei jedem Schritt selbst diskreditieren werden. Die blendende Idee der Syndikalisten besteht darin, die Cortes zu kontrollieren, ohne sich an ihnen zu beteiligen. Revolutionäre Gewalt anzuwenden, um die Macht zu kämpfen, die Macht zu ergreifen – all das ist nicht gestattet. Anstelle dessen empfehlen sie die „Kontrolle“ der Bourgeoisie, die an der Macht ist. Ein wunderbares Bild: die Bourgeoisie frühstückt, isst Mittag und Abendessen, und das von den Syndikalisten geführte Proletariat „kontrolliert“ diese Vorgänge – mit leerem Magen.




Stellungnahme zu den Terroranschlägen in Barcelona/Cambrils

Internationales Sekretariat der Liga für die 5. Internationale, 18. August 2017

Am 17. August kam es zu zwei Anschlägen in Barcelona und Cambrils. Für beide übernahm der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) die Verantwortung und bezeichnet die Täter als seine Soldaten. In Barcelona fuhr ein Transporter auf der beliebten Flaniermeile „Las Ramblas“ in eine Menschenmenge, wodurch 13 Menschen ums Leben kamen und mehr als 100 weitere verletzt wurden. Ein zweites Fahrzeug verletzte 7 Menschen in Cambrils.

Alle KommunistInnen, SozialistInnen, GewerkschafterInnen und fortschrittlichen Menschen werden diese gewaltsamen und wahllosen Terrorhandlungen verurteilen. Ihre Sympathie und Solidarität gilt den Familien und FreundInnen der Opfer und allen Menschen, die durch dieses entsetzliche Ereignis traumatisiert wurden.

Sie reihen sich in die jüngte Serie von durch den IS inspirierten Terroranschlägen in Europa ein: Nizza, Paris, Berlin, Stockholm, London und Manchester. Die verwendeten „Waffen“ sind einfach zu erhalten und die benötigte Koordination erfordert nur geringen Aufwand. Egal wie schnell die Polizei reagieren sollte, solche Anschläge sind fast unmöglich zu verhindern.

Solange es kleine Gruppierungen oder vereinsamte Individuen gibt, die durch die terroristisch-dschihadistische Ideologie des IS oder der al-Qaida inspiriert werden, solche mörderischen wie zugleich auch selbstmörderischen Missionen zu unternehmen, werden sie letztlich nicht verhindert werden können.

Nichts kann eine solche Gräueltat rechtfertigen oder entschuldigen. Aber gleichzeitig können sie nicht einfach durch eine „bösartige Ideologie“ der Täter oder gar durch die Beschuldigung der „radikalen Islamprediger“ erklärt werden.

Und erst gar nicht dürfen sie den muslimischen Gemeinden in Europa zur Last gelegt werden, wie es regelmäßig durch die reaktionären PopulistInnen und Medien geschieht. Die Zuspitzung islamophober Anschläge in Großbritannien nach den Ereignissen in London und Manchester zeigen, wie RassistInnen und FaschistInnen bereitstehen, um die Gefühle, die durch solche Demagogie geschürt werden, auszunutzen.

Die Verbreitung solcher falschen Zusammenhänge ist schließlich auch etwas, dass der IS und Al-Qaida selbst versuchen zu erreichen. Ihr Ziel ist es, eine immer größere Zahl an MuslimInnen als Resultat zunehmender Polizeigewalt und Verfolgung zu isolieren und zu entfremden. Dadurch wollen sie mehr RekrutInnen für ihre erzreaktionäre Ziele gewinnen.

Deshalb müssen wir die Ausnahmezustände und die Ausweitung repressiver Befugnisse bekämpfen, die Staaten im Gefolge solcher Anschläge einführen oder damit rechtfertigen. Zusätzlich müssen wir die ArbeiterInnen und Jugend mobilisieren, um Solidarität mit muslimischen Gemeinschaften sowie mit Geflüchteten aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens zu üben.

Nach den Anschlägen in Nizza und Paris führte Frankreich den Ausnahmezustand ein. Dieser erlaubt der Polizei, Demonstrationen zu verbieten, und verletzt viele BürgerInnenrechte. Präsident Macron hat nun damit gedroht, diesen regelrechten Belagerungszustand als dauerhafte Grundlage ins französische Recht zu integrieren, während er gleichzeitig ArbeiterInnenrechte per Dekret abschafft. Um es klarzustellen: Die Antiterrorgesetze und Spezialeinheiten werden in Zukunft gegen ArbeiterInnen und die Jugend Europas eingesetzt werden. Auch deshalb müssen wir diese rassistischen Maßnahmen ablehnen.

Darüber hinaus müssen wir die eigentlichen Gründe für diese entsetzlichen Terrorattacken aufzeigen: den Schrecken und das Leid viel, viel größeren Ausmaßes im Nahen Osten, vor allem im heutigen Syrien und Jemen, aber auch im Irak, in Afghanistan und Libyen. Die Liste kann ohne Probleme verlängert werden. Es sind die Aktionen der „DemokratInnen“, „WeltbürgerInnen“ oder „ChristInnen“, die „Menschenrechtsstaaten“ sowie ihren engsten Verbündeten in dieser Region, die die selbsternannten, aber falsch titulierten „islamischen“ Terroristen hervorgebracht haben. Sie sind die monströsen Schöpfungen der ach so liberalen Herrschenden!

Ihre Formierung begann mit dem afghanischen Bürgerkrieg in den frühen 1980ern und wurde beschleunigt durch den Irakkrieg 1991, die Verkündung des Kriegs gegen den Terror nach dem 11. September, die Besatzung Afghanistans und des Irak und kürzlich durch die Interventionen in Syrien und Libyen. All diese Kriege und Invasionen, zuerst durch die westlichen Alliierten und kürzlich auch durch Russland unter Putin, seine reine, auf das eigene Interesse bezogene Aktionen der ausbeutenden, imperialistischen Mächte dar.

Ihre Bombardierungen und Invasionen haben viele Hunderttausende an unschuldigen Menschen getötet und weder Frieden, Demokratie noch Menschenrechte gebracht, sondern stattdessen ein unbeschreibliches Maß an Zerstörung und Leid. In Syrien wurden die Arbeit vieler Generationen der einheimischen ArbeiterInnen sowie kulturelle Schätze von Jahrtausenden zu Staub zermahlen.

Als Reaktion auf den Beginn des „Kriegs gegen den Terror“ hatten Organisationen der ArbeiterInnen-, Frauen- und Jugendbewegung eine massenhafte Antikriegsbewegung gebildet, die vor allem in Spanien sehr stark war. Trotz dieser massenhaften Opposition setzten die Herrschenden ihren Kriegskurs fort, während die Terroranschläge wie die Zugbomben in Madrid 2004 – durch welche 192 Menschen getötet und 2000 verletzt wurden – dazu führten, die Antikriegsbewegung zu verwirren und zu schwächen.

Heute bildet den direkten Hintergrund dieser Gräueltaten in Barcelona und Cambrils, dass die USA und ihre Verbündeten behaupten, sie seien kurz davor, das IS-Kalifat zu besiegen und seinen Kalifaten getötet zu haben – wieder auf Kosten vieler Zivilistenleben in dessen Zentren Mossul und Raqqa. Dadurch, dass die Wahrheit über das Ausmaß an getöteten ZivilistInnen und Indizien für die totale Gleichgültigkeit der Bomberpiloten, die Feuer und Sturm vom Himmel regnen lassen, ans Licht kommt, wird es klarer, dass dies nur mehr terroristisch geartete Empörung anstacheln kann.

Der beste Dienst, den wir leisten können für die Opfer der Anschläge in Barcelona und Cambrils, besteht darin, eine Massenbewegung gleichen Umfangs wie 2003 neu aufzubauen – eine Bewegung, die das Ende aller Interventionen der USA, ihrer NATO-Alliierten sowie Russlands im gesamten Nahen Osten fordert: eine Bewegung, die auch gleichzeitig Unterstützung leistet für diejenigen demokratischen und säkularen AktivistInnen, die die terroristisch-dschihadistischen Kräfte auf der einen und den Imperialismus und seine Handlanger auf der anderen Seite bekämpfen.