Neue Konflikte zwischen Kosovo und Serbien

Frederik Haber, Infomail 1243, 24. Januar 2024

In den letzten zwölf Monaten haben sich die Konflikte zwischen Serbien und dem Kosovo mehrfach verschärft, nachdem sich die Lage über viele Jahre hinweg beruhigt zu haben schien. Diese Spannungen entstanden vor allem wegen drei Themen. Die Medien und Politiker im Westen gehen nur selten auf die Einzelheiten ein, sondern ziehen es vor, immer wieder das gleiche Narrativ zu verbreiten: Die Serb:innen wollen nur Ärger machen. Sie können immer noch nicht akzeptieren, dass der Kosovo für sie verloren ist, das Ergebnis der Kriege der 1990er Jahre, der Nato-Intervention und der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von 2008. Die Botschaft der Medien lautet, dass hinter all dem Ärger die Russ:innen stecken, die immer bereit sind, einen Krieg anzuzetteln. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Dinge alles andere als einfach sind und die gegensätzlichen Rechte und Interessen der Kosovar:innen und der serbischen Minderheiten schwer zu lösen sind. Darüber hinaus sind die Ziele und Maßnahmen der EU und der USA in keiner Weise geeignet, dem Balkan Frieden und Fortschritt zu bringen.

November und Dezember 2022: Straßensperren, Nummernschilder und Kommunalwahlen

Letztes Jahr begannen militante Aktivist:innen aus Serbien, drei Grenzübergänge zu blockieren, darunter auch Merdare, einen wichtigen Transitknotenpunkt. Dabei wurden sie offensichtlich von der Regierung in Belgrad unterstützt, denn die serbische Polizei griff in keiner Weise ein. Die Regierung in Pristina schloss daraufhin im Gegenzug die Grenzen.

Hintergrund ist die Tatsache, dass die Bewohner:innen der Städte und Dörfer mit serbischer Bevölkerungsmehrheit noch immer die alten serbischen Nummernschilder verwenden. Der Kosovo hatte dies bisher geduldet. Serbien hingegen hatte die kosovarischen Nummernschilder toleriert, wenn sie durch eine zusätzliche befristete Papplizenz zum Preis von 2 Euro abgedeckt waren.

Am 22. Dezember erklärte der Premierminister des Kosovo, Albin Kurti, dass die serbischen Nummernschilder nicht mehr akzeptiert würden. Serbien reagierte sofort und ließ keine Fahrzeuge mit kosovarischen Kennzeichen mehr über die Grenze. Neben den gegenseitigen Straßensperren wurden die Armeen in Alarmbereitschaft versetzt und die EU und die USA entsandten ihre Diplomat:innen dorthin.

Die EU zwang Kurti zum Rückzug

Bei den Kommunalwahlen in Bezirken mit serbischer Mehrheit, die am 18. Dezember 2022 stattfanden, rief die nationalistische serbische Partei zum Boykott auf, was von den serbischen Wähler:innen weitgehend befolgt wurde. Dies führte dazu, dass Albaner:innen in Städten und Dörfern, in denen sie eine kleine Minderheit darstellen, gewählt wurden. Außerdem traten alle öffentlichen Bediensteten wie Richter:innen und Polizeichef:innen von ihren Ämtern zurück. Die Regierung in Pristina reagierte darauf, indem sie sie durch staatstreue Personen albanischer Abstammung ersetzte. Ein ehemaliger Polizist wurde wegen eines Angriffs auf die Wahlkommission verhaftet.

Im Frühjahr kam es erneut zu Zusammenstößen, doch die schwersten Auseinandersetzungen fanden im September 2023 statt, als rund 30 schwer bewaffnete Kämpfer:innen aus Serbien ein Kloster in der Nähe von Mitrovica besetzten. Die kosovarische Polizei und serbische Truppen schalteten sich ein und 4 Menschen wurden getötet.

All diese Spannungen haben sich entwickelt, während die Verhandlungen zwischen den beiden Ländern unter Kontrolle der EU fortgesetzt wurden.

Abkommen von Ohrid

Bereits im Januar 2023 verpflichteten die EU-Staats- und Regierungschefs Kurti und den serbischen Staatspräsidenten Vucic in dem berühmten Badeort Ohrid im Süden Nordmazedoniens, ein Abkommen zu akzeptieren, das ihre Diplomat:innen bereits ausgearbeitet hatten.

Das „Abkommen über den Weg zur Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien“, kurz Ohrid-Abkommen genannt, wurde laut EU (und Wikipedia) von der Europäischen Union „vermittelt“. Vermittlung ist per Definition ein Prozess, in dem ein oder mehrere „Vermittelnde“ versuchen, einen Konflikt zu lösen, indem sie beide Seiten eines Konflikts herausfinden lassen, was für sie am wichtigsten ist, und sie so bereitmachen, die Ziele ihrer Gegner:innen teilweise zu akzeptieren. Vermittelnde sollten natürlich neutral sein und keine eigenen Interessen hegen.

In Ohrid waren weder die EU-Führer:innen neutral noch wollten Kurti und Vucic dieses Abkommen. Obwohl beide versprachen, es am 27. Februar 2023 mündlich zu akzeptieren, wurde das Abkommen bis heute nicht unterzeichnet.

Dahinter steckt ein Manöver beider Seiten. Vucic hat mündlich zugestimmt, aber nie ein Papier unterzeichnet. Kurti sagte und sagt, er würde unterschreiben, um seinen guten Willen gegenüber der EU und den USA zu zeigen, verließ sich aber auf die Weigerung von Vucic, dies zu tun, um es nicht selber tun zu müssen.

Das Abkommen verpflichtet Serbien nicht ausdrücklich, den Kosovo als unabhängigen Staat anzuerkennen, aber es hindert es daran, sich dem Zugang des Kosovo zu internationalen Organisationen wie dem Europarat, der Europäischen Union oder der NATO zu widersetzen. Außerdem muss Serbien die nationalen Symbole, Pässe, Diplome und Kfz-Kennzeichen des Kosovo anerkennen.

Das Kosovo muss ein gewisses Maß an Selbstverwaltung für seine serbischstämmigen Einwohner:innen gewährleisten. Eine solche Gemeinschaft oder Assoziation sollte 2015 offiziell im Rahmen des kosovarischen Rechtsrahmens eingerichtet werden, aber ihre Gründung wurde wegen Konflikten über den Umfang ihrer Befugnisse verschoben. Im Rahmen eines von der Europäischen Union vermittelten Normalisierungsabkommens, das von den Staats- und Regierungschefs des Kosovo und Serbiens im März 2023 angenommen wurde, sollte das Kosovo unverzüglich in einen Dialog mit der EU eintreten, um ein gewisses Maß an Selbstverwaltung für seine serbischstämmige Gemeinschaft zu gewährleisten.

Als die Verhandlungen und Kämpfe weitergingen, waren es die Staats- und Regierungschef:innen der EU selbst, die am 26. Oktober 2023 einen Entwurf für ein Statut zur Bildung eines Verbands der Gemeinden mit serbischer Mehrheit im Kosovo vorlegten, und die Staats- und Regierungschefs des Kosovo und Serbiens erklärten sich bereit, ihre Verpflichtungen umzusetzen. Aber wieder einmal scheiterte es. Noch ist nichts unterschrieben. Die Formulierungen des Textes sind immer noch von keiner Seite veröffentlicht worden.

Grundlegende Konflikte

Die Position Vucics ist klar: Nach internationalem Recht ist die einseitige Abtrennung eines Staatsgebiets illegal und das Kosovo gehört letztlich zu Serbien. Dabei wird Serbien von Spanien und anderen Ländern unterstützt, die befürchten, dass sich Regionen abspalten und für unabhängig erklären könnten, wie Katalonien oder Euskadi (das Baskenland) im Falle Spaniens.

Serbien wird auch von Ländern wie Russland aus geostrategischen Gründen unterstützt. In der Frage des Selbstbestimmungsrechts vertritt Russland im Falle der Krim, die 2014 ein Referendum zur Loslösung von der Ukraine abhielt, oder der Donbass-Republiken genau das Gegenteil. Es erübrigt sich zu sagen, dass die USA, Deutschland und die meisten anderen westlichen Imperialist:innen das Selbstbestimmungsrecht im Falle der Krim oder des Donbass grundsätzlich ablehnen, nicht nur mit der Begründung, dass die Referenden demokratisch waren oder nicht.

Die zweite Frage ist, was eine solche Gemeinschaft von Gemeinden mit serbischer Mehrheit bedeutet. Kosovo befürchtet, dass sie eine fortgesetzte serbische Einmischung in die nationale Politik bedeutet, indem sie die serbischen Minderheiten als ihre Werkzeuge benutzt. Beispiele dafür liegen nicht weit entfernt. In Bosnien und Herzegowina werden der kroatische und serbische Teil der Bevölkerung von nationalistischen Parteien geführt, die direkt von Kroatien und Serbien kontrolliert werden. Aber auch die Aufteilung Bosniens in ethnische Einheiten und die Föderation durch EU und USA im Dayton-Abkommen ermöglicht es diesen imperialistischen Mächten, das Land dauerhaft wie eine Kolonie zu kontrollieren. Generell ist die Taktik der Instrumentalisierung von Minderheiten in vielen Ländern immer wieder angewandt worden.

Lulani i medvegjes, CC BY-SA 3.0 , via Wikimedia Commons

Ein Blick auf die Karte der vorgeschlagenen Assoziation im Kosovo zeigt, dass sie aus dem Norden des Landes besteht, wo die Serb:innen eine starke Mehrheit haben, und einigen unzusammenhängenden Regionen im Süden, wo es keine klare Mehrheit gibt. Die Karte wurde auf Grundlage einer Volkszählung im Jahr 2011 erstellt, die weitgehend boykottiert wurde, sowie Annahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die einzige halbdemokratische Abstimmung bzw. das einzige Referendum war eine Abstimmung der Goran:innen-Minderheit, einer slawischsprachigen muslimischen Bevölkerungsgruppe, im November 2013, in der der Wille zum Ausdruck gebracht wurde, der vorgeschlagenen Gemeinschaft serbischer Gemeinden beizutreten. Dies war jedoch die einzige Ausnahme von der Regel.

Die andere offene Frage in Bezug auf diese Struktur ist ihr Zweck. Dient sie dem kulturellen Austausch oder soll sie eine offizielle staatliche Struktur sein? Es sind nicht viele Informationen verfügbar, aber die EU plant, dass diese Vereinigung für Bildung, Kultur und Gesundheit zuständig sein soll. Da die kleinste dieser Regionen jedoch weniger als 2.000 Einwohner:innen zählt, bestehen Zweifel an der Realisierbarkeit einer solchen Einrichtung. Sie könnte immer noch zu einem Weg für die Teilung des Kosovo werden.

Das Projekt der EU, das auch von den USA und der NATO unterstützt wird, ist für die Nationalist:innen auf beiden Seiten mehr oder weniger unannehmbar: Für die serbischen Nationalist:innen würde es bedeuten, dass sie die Illusion aufgeben müssten, Kosovo sei eine „Provinz Serbiens“. Für das Kosovo würde es bedeuten, einige Enklaven in seinem Land zu haben, die außerhalb der Gesetzgebung und der Herrschaft der staatlichen Exekutive stehen und jederzeit für Provokationen genutzt werden könnten.

Vucic und Kurti haben den EU-Machthaber:innen gegenüber immer wieder Ja gesagt, aber gehofft, dass der andere Nein sagen wird. Vucic steht in seinem Land unter großem Druck, er kann es sich nicht leisten, die Unterstützung der nationalistischen Rechten zu verlieren. In Belgrad gab es in den letzten Monaten zahlreiche Proteste, und er setzt bewusst auf die nationalistische Agenda, um seinen Posten zu retten.

Deshalb rief Vucic zu Neuwahlen auf, die am 17. Dezember stattfanden. Vucics Partei gewann diese Wahlen und besiegte die liberale Opposition. Es gibt Behauptungen über Unregelmäßigkeiten, aber das Wahlergebnis ist eindeutig. Die Position von Vucic ist jetzt stärker.

Kurti hat die meisten der von ihm versprochenen sozialen Leistungen nicht erbracht, und die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich aufgrund der weltweiten Krisen. Natürlich ist er auch ein erbitterter Nationalist, aber als Teil seines „linken Bonapartismus“ befürwortet er nicht nur die „Unabhängigkeit“ von Serbien, sondern gibt auch vor, von der imperialistischen Vorherrschaft der USA und der EU unabhängig zu sein, und sein Widerwille, sich dem Diktat der EU zu unterwerfen, hat seine Unterstützung im Kosovo erhöht.

Imperialistische Interessen

Der gesamte Prozess macht auch deutlich, wo die Interessen der USA und der EU liegen. Die USA wollen ein Abkommen, das dem Kosovo den Beitritt zur NATO ermöglicht. Sie unterhalten bereits einen großen Militärstützpunkt im Kosovo in der Nähe der Stadt Ferizaj. Der Stützpunkt ist eine Art „Forward Operating Site“, die quer durch den vom US-Geheimdienst so bezeichneten Bogen der Instabilität verläuft und bis zu 7.000 Soldat:innen für direkte Interventionen in der Region aufnehmen kann.

Die EU will keinen Krieg in der Region, aber auch keinen stabilen Frieden. Das jahrhundertealte Konzept der imperialistischen Mächte, die Völker des Balkans in einem Dauerkonflikt zu halten und sie gegeneinander auszuspielen, funktioniert für sie auch heute noch. In der gegenwärtigen Situation konzentrieren sich die EU-Führer:innen ganz auf die Ukraine, Moldawien (Republik Moldau) und den Krieg gegen Russland. Sie wollen sich einfach nicht um den Balkan kümmern und werden das Ergebnis der serbischen Wahl sicher als Ausrede dafür nehmen.

Ein geringeres Interesse besteht darin, die beiden Politiker loszuwerden. Die USA haben Kurti immer gehasst, weil er nicht so einfach zu handhaben war wie seine Vorgänger, und haben bereits einen parlamentarischen Putsch organisiert, um ihn loszuwerden oder zumindest zu zähmen. Die EU würde sich sehr gerne Vucics entledigen. Daher sind beide beteiligten Mächte froh, sie vor ihrem Volk zu demütigen.

Demokratie und Sozialismus

Ein unterdrücktes Volk oder eine nationale Minderheit hat das Recht auf Selbstbestimmung. Dies ist die einzige Garantie gegen Diskriminierung und Unterdrückung. Das gilt für die Albaner:innen im Kosovo, die das Recht hatten, sich von Serbien abzuspalten, genauso wie für die Krim, den Donbass, Katalonien oder Tschetschenien. Die Frage, ob das unterdrückende Land (oder seine Verfassung) dies anerkennt, ist irrelevant. Im Gegenteil: Die Nichtgewährung des Selbstbestimmungsrechts stellt bereits eine Form der Unterdrückung dar. Dieses demokratische Grundrecht muss vor allem von der Arbeiter:innenklasse und der marxistischen Linken verteidigt werden. Sie können sich von den Interessen der nationalen Bourgeoisie in jedem Land oder jeder Nationalität befreien, die letztlich immer versucht, ein gewisses Maß an Kontrolle und Ausbeutung zu etablieren. Alle nach dem Zerfall Jugoslawiens entstandenen Republiken liefern den Beweis dafür, einschließlich der Gründung des Kosovo selbst und der Entwicklung der UCK-Führer:innen von „Freiheitskämpfer:innen“ zu Mafiabossen im Dienste der USA und EU.

Dies zeigt, dass die rein demokratische Forderung nach Selbstbestimmung und dem Recht auf Abspaltung keine endgültige Lösung verkörpert, solange Ausbeutung und Unterdrückung fortbestehen, und dies wird der Fall sein, solange Kapitalismus und Imperialismus die Welt beherrschen. In der gegebenen Situation verteidigen wir das Recht der Mitrovica-Region, sich vom Kosovo abzuspalten, angesichts der Diskriminierung, der Serb:innen und andere Minderheiten heute im Kosovo ausgesetzt sind. Aber weder für die Wirtschaft noch irgendeinen anderen Aspekt der Gesellschaft ist ein solcher Zersplitterungsprozess für sich genommen eine dauerhafte, längerfristige Perspektive. Unter einer bürgerlich-nationalen Führung in Serbien würde sich die nationale Unterdrückung höchstwahrscheinlich wieder gegen die albanische Minderheit richten.

Deshalb müssen Sozialist:innen den Kampf gegen nationale Unterdrückung mit einem Programm für die Zukunft des gesamten Balkans verbinden, das letztlich mit dem Sturz des Kapitalismus und der Ausbeutung verbunden ist. Seit mehr als hundert Jahren wird dies in der Losung einer „Föderation der sozialistischen Balkanstaaten“ ausgedrückt.

Heute müssen Sozialist:innen im Kosovo, in Serbien und im Rest der Welt das Recht der Kosovar:innen verteidigen, ihren eigenen, von Serbien unabhängigen Staat zu gründen, sollten aber gleichzeitig gegen jede Diskriminierung von Serb:innen, Roma/Romnja und anderen Minderheiten in diesem Staat kämpfen. Ebenso sollten sie sich gegen die Diskriminierung von Albaner:innen, Bosnier:innn usw. in Serbien wenden. Es ist besonders notwendig, die Arbeiter:innenklasse für diese Ziele zu gewinnen, denn alle Unterdrückung, Diskriminierung und nationalen Konflikte dienen letztlich der herrschenden Klasse für ihre Ausbeutung und politischen Manöver.

Sozialistische Föderation der Balkanstaaten

Selbst die demokratischsten Forderungen können angesichts der katastrophalen Lage in allen Ländern des Balkans und ihrer totalen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom ausländischen, vor allem EU-Kapital, keine positive soziale und wirtschaftliche Perspektive bieten.

Es ist notwendig, dass Sozialist:innen aus allen Balkanländern die nationalistischen Ansichten, die die letzten Jahrzehnte dominiert haben, überwinden und ein Programm für die Region und alle ihre Völker entwickeln, das politische und wirtschaftliche Perspektiven verbindet.

Schlüsselelemente eines solchen Programms müssen sein:

  • Recht auf Selbstbestimmung. Gleiche Rechte für alle Völker, Anerkennung der vollen demokratischen Rechte aller Minderheiten (z. B. Verwendung ihrer Muttersprache in Schulen oder öffentlichen Einrichtungen).

  • Kostenlose und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung und Bildung für alle, Verstaatlichung aller betroffenen Einrichtungen.

  • Renten, die einen angemessenen Lebensunterhalt ermöglichen. Für ein Programm öffentlicher Arbeiten zur Schaffung von Arbeitsplätzen für alle zu einem von der Arbeiter:innenbewegung festgelegten Lohnsatz, der an die Inflation gekoppelt ist.

  • Um die Produktivität der Landwirtschaft nachhaltig zu steigern, sind Bäuer:innenkooperativen mit staatlicher Unterstützung notwendig.

  • Nein zu jeder imperialistischen Einmischung und Ausplünderung; Streichung der Schulden der Länder.

  • Enteignung des gesamten Großkapitals, ob ausländisch oder einheimisch, um die Infrastruktur zu entwickeln und die Produktion zu planen. Wiederverstaatlichung aller privatisierten Dienstleistungen unter Arbeiter:innenkontrolle, nicht in den Händen von Staatsbürokrat:innen.

  • Für Arbeiter:innenregierungen, die sich auf Räte der werktätigen Massen und eine bewaffnete Miliz stützen. Für eine Sozialistische Föderation auf dem Balkan.

  • Für revolutionäre Parteien der Arbeiter:innenklasse und eine Internationale, die für ein solches Programm der permanenten Revolution kämpft.

Der andauernde Konflikt zwischen dem Kosovo und Serbien und die Unfähigkeit der nationalen Regierungen und der ausländischen Imperialist:innen, eine zufriedenstellende Lösung voranzutreiben, könnte eine gute Gelegenheit für Sozialist:innen bieten, sich mit ihren Vorschlägen auf einer solchen internationalistischen Grundlage Gehör zu verschaffen.




Irland: Widerstand gegen die extreme Rechte

Bernie McAdam, Infomail 1243, 23. Januar 2024

Die jüngsten Ausschreitungen in Dublin haben ein neues Licht auf die Aktivitäten der aufstrebenden irischen Rechtsextremen geworfen. Nach einer Messerstecherei vor einer Dubliner Schule entwickelte sich ein rechtsextremer Protest gegen Migrant:innen und Flüchtlinge, der durch rassistische Äußerungen in rechtsextremen Netzwerken in den sozialen Medien inszeniert wurde, zu einem Gefecht mit der irischen Polizei (Garda Siochána; Gardai). Es folgten Plünderungen und Angriffe auf öffentliche Verkehrsmittel, einschließlich eines Angriffs auf einen Busfahrer mit Migrationshintergrund, wobei viele Angehörige ethnischer Minderheiten im Stadtzentrum um ihre Sicherheit fürchteten.

Die Wahrheit über die Messerstecherei war so weit von den rassistischen Gerüchten entfernt wie nur möglich. Nicht ein algerischer Einwanderer war der Messerstecher, sondern ein Ire, der an einer psychischen Krankheit leidet. Tatsächlich kam Caio Benicio, ein brasilianischer Deliveroo-Fahrer, dem angegriffenen jungen Mädchen zu Hilfe und schlug den Angreifer mit seinem Motorradhelm zurück.

Diese Ausschreitungen finden vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe auf Flüchtlingslager und Schikanen gegen Bibliotheksmitarbeiter:innen im vergangenen Jahr statt. Mehrere flüchtlingsfeindliche Proteste haben sich vor Asylbewerber:innenheimen abgespielt, oft mit lokaler Unterstützung und Hassreden von bekannten rechtsextremen Aktivist:innen. Behelfsmäßige Lager wurden in Ashtown und zuletzt in der Sandwith Street in Dublin angegriffen, wo Zelte niedergebrannt wurden.

Parallel dazu wurden gewählte Vertreter:innen von Sinn Fein und People before Profit (PbP), die sich im Dail (Parlament) für die Rechte von Migrant:innen eingesetzt haben, angegriffen. In Leitrim wurde ein Brandanschlag auf das Haus von Martin Kenny, Abgeordneter von Sinn Fein, verübt, und Paul Murphy, Abgeordneter von PbP, wurde von rechtsextremen Schläger:innen körperlich angegriffen und sein Haus mit Posten umzingelt. Auch gegen Mick Barry, Deputierter der PbP-Solidarität, wurde ein Anschlag auf sein Büro verübt.

Bibliotheken wurden von rechtsextremen Schläger:innen versperrt und gestürmt, wobei auch Bibliotheksmitarbeiter:innen schikaniert wurden. All dies, um die Bereitstellung von LGBTIA+-Lesematerial, Drag-Events und „pornografischen“ Büchern zu verhindern. Die Mahnwache in der Stadtbibliothek von Cork im Juli wurde von Ireland First organisiert, der jüngsten rechtsextremen Partei in Irland. Die Irish Freedom Party und die National Party sind die beiden anderen großen Gruppen im rechtsextremen Spektrum.

Angriffe auf Migrant:innen

In Irland sind erst in jüngster Zeit rechtsextreme Gruppierungen entstanden, die zwar noch klein sind, aber eine wachsende Feindseligkeit gegenüber Migrant:innen und Flüchtlingen entwickeln. Der Aufstieg des Rechtspopulismus auf internationaler Ebene, insbesondere die Wahl von Trump, hat der irischen extremen Rechten zunächst Auftrieb gegeben. Die Alarmglocken begannen zu läuten, als der rechte Präsidentschaftskandidat Peter Casey, der behauptete, dass die nichtsesshafte Gruppe der Traveller (Fahrende) „im Grunde genommen Menschen sind, die in fremdem Land campieren“, 2018 den zweiten Platz belegte. Der Rassismus gegen Traveller bildete in der Vergangenheit einen Schwerpunkt der Diskriminierung in Irland.

In den letzten 20 Jahren gab es in Irland zahlreiche Kämpfe und Massenkampagnen, die darauf abzielten, die Regierungspolitik und reaktionäre Sozialgesetze zurückzudrängen. Dies reichte von Bewegungen gegen Müllgebühren, Haushalts- und Grundsteuerabgaben bis hin zu den erfolgreichen Massenmobilisierungen gegen Wassergebühren. Hinzu kamen die siegreichen Ergebnisse der Volksabstimmungen, die die Gleichstellung der Ehe und die Aufhebung des achten Zusatzartikels, was die Abtreibungsrechte verbesserte, sicherstellten.

Eine Gegenreaktion gegen diese Bewegungen war immer zu erwarten. Insbesondere die katholische Kirche war von den Ergebnissen des Referendums erschüttert. Kein Wunder, dass die aufkommende extreme Rechte sich gerne mit unzufriedenen Menschen verband, die einen traditionellen katholischen Standpunkt vertraten, der in der Ablehnung von LGBTIA+-Rechten und der Feindseligkeit gegenüber dem Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung verwurzelt war.

Das Hauptziel der Rechtsextremist:innen waren jedoch immer Migrant:innen und Flüchtlinge. Obwohl ihre Stimmen gering waren, fühlten sich die Rechtsextremen selbstbewusst genug, um in den letzten fünf Jahren bei einer Reihe von Wahlen anzutreten, als die Proteste gegen Flüchtlinge zunahmen. Sie begannen, aus einwanderungsfeindlichen Vorurteilen Kapital zu schlagen.

Es folgte die COVID-Krise, bei der faschistische Aktivist:innen auf Verschwörungstheorien und Proteste gegen Lockdowns und Impfen setzten. Aber es war die Aufnahme von 70.000 ukrainischen Flüchtlingen durch die irische Regierung im Jahr 2022, die die extreme Rechte auf den Plan rief.

Die irische Regierung beschloss, so viele ukrainische Flüchtlinge wie möglich in Hotels, leerstehenden Gebäuden usw. unterzubringen, aber alle anderen Flüchtlinge mussten sich selbst versorgen. Dies führte zu Obdachlosenlagern und etwa 500 Flüchtlingen, die auf der Straße leben. Das hat diese Lager zu leichten Zielen für die Faschist:innen gemacht. Nicht nur Obdachlosenlager, sondern auch Hotels, in denen Flüchtlinge untergebracht waren, bildeten die Angriffspunkte.

Die Krise wurde noch verschärft, als die Regierung im März ankündigte, dass Hotelverträge zur Unterbringung von Flüchtlingen gekündigt würden, da sich die Hotelbetreiber:innen der Touristensaison näherten. In einem Land, in dem bereits 250.000 Wohnungen fehlen und ein Mangel an erschwinglichen Miet- und Kaufobjekten herrscht, fanden rechtsextreme Demagog:innen leider auch in einigen Arbeiter:innengemeinden Gehör. Die Vernachlässigung der Wohnungskrise durch die irische Regierung und ihre diskriminierende Politik haben diesem Anstieg des Rassismus Vorschub geleistet.

Wie man die extreme Rechte stoppen kann

In Irland kam es in letzter Zeit zu Massenbewegungen und einem fortschrittlichen sozialen Wandel, was jedoch kaum auf das Eingreifen von Gewerkschaften zurückzuführen ist. Die irische Arbeiter:innenklasse ist durch Angriffe auf ihren Lebensstandard in Bedrängnis geraten.

Jahrelange Sparmaßnahmen, die Auswirkungen von Covid, ein marodes Gesundheitswesen und eine chronische Wohnungskrise haben die Arbeiter:innenklasse schwer getroffen. Aber die Gewerkschaftsführung hat diesen Zustand nicht in Frage gestellt. Sie macht sich sogar mitschuldig an den Angriffen der Regierung, indem sie ihre Mitglieder durch die Unterzeichnung von Sozialpartnerschaftsabkommen zügelt.

Wenn die organisierte Arbeiter:innenklasse über ihre Gewerkschaften weiterhin untätig bleibt, können wir mit einer stärkeren Bedrohung von rechts rechnen. Die Selbstgefälligkeit der Bürokrat:innen in Bezug auf die Vertretung ihrer Arbeiter:innen wird durch ihre katzbuckelnde Nutzlosigkeit angesichts der rassistischen Angriffe auf Wanderarbeiter:innen ergänzt.

Der Irische Gewerkschaftskongress (ICTU) organisierte als Reaktion auf die Ausschreitungen eine kleine Mittagskundgebung, bei der ICTU-Generalsekretär Owen Reidy von „unserer wunderbaren Polizei“ sprach. Dies ist eine völlig unangemessene Reaktion, die die Realität auf den Kopf stellt. Genauso wenig wie die Behauptung von Mary Lou McDonald von Sinn Fein, dass die Regierung und der Kommissar es versäumt hätten, die Gardai richtig auszustatten. Die Gardai, die eine sehr weiche und ineffektive Haltung gegenüber dem randalierenden Mob eingenommen hat, wird weder Migrant:innen noch irgendeine andere Gruppe von Arbeiter:innen im Kampf verteidigen!

Es hat wichtige Mobilisierungen gegen die Rechte gegeben, von der Linken, die geholfen hat, das Camp in der Sandwith Street zu verteidigen, bis zu den Zehntausenden, die letztes Jahr bei der „Irland für alle“-Demonstration gegen den zunehmenden Rassismus mitmarschiert sind. Die jüngste Zunahme der „For All“-Kampagnen könnte durchaus als Katalysator für eine koordinierte antirassistische und antifaschistische Einheitsfront wirken.

Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine Einheitsfront von linken Organisationen und solchen der Arbeiter:innenklasse, die Flüchtlinge angemessen verteidigen und faschistische Angriffe zerschlagen kann. Eine ermutigte extreme Rechte wird nicht vor Flüchtlingen Halt machen, wie wir bereits bei der Einschüchterung linker Abgeordneter gesehen haben. Das Wachstum des Faschismus wird von seiner Fähigkeit abhängen, die Straßen zu kontrollieren, als eine effektive Straßenkampftruppe. Mit faschistischem Terror kann man nicht argumentieren, aber man kann ihn physisch stoppen. Organisierte Selbstverteidigung ist eine Notwendigkeit und muss ernsthaft aufgebaut werden.

Zugleich müssen reale Problem wie die Wohnungskrise angegangen werden. Zu lange hat die Regierung die Interessen des multinationalen Großkapitals, der Immobilienentwickler:innen und der abwesenden Vermieter :innen geschützt. Wir müssen Sofortmaßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen und Flüchtlingen fordern, indem wir leerstehende Gewerbe- und Unternehmensimmobilien nutzen.

Wir brauchen ein massives Sofortprogramm für gesellschaftlich nützliche öffentliche Arbeiten, um Vollbeschäftigung zu schaffen und die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur zu entwickeln. Die Arbeiter:innenklasse sollte an der Ausarbeitung einer Anhörung zu den sozialen Bedürfnissen beteiligt werden, die sich mit Fragen wie dem chronischen Wohnungsmangel, dem heruntergekommenen Wohnungsbestand und dem Aufbau eines öffentlich finanzierten nationalen Gesundheitsdienstes mit gleichberechtigtem Zugang befasst.

Diese öffentlichen Arbeiten sollten Teil eines demokratisch entwickelten Produktionsplans unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Ein massives Wohnungsbauprogramm würde einen Teil dieses Plans bilden und, wie der Rest des Programms, durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden. Ein solcher Schritt würde den Kampf für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft eröffnen, in der für den Bedarf und nicht für die kapitalistische Gier produziert würde!

Der Faschismus ist ein Produkt des kapitalistischen Zerfalls. Bürgerliche „demokratische“ Regierungen fördern das Wachstum des Faschismus durch ihre Unfähigkeit, die Probleme des krisengeschüttelten Kapitalismus zu lösen. In ähnlicher Weise kann das Fehlen einer revolutionären Alternative zum Kapitalismus das Wachstum der extremen Rechten nur fördern. Eine solche revolutionäre Alternative, die sich auf ein Aktionsprogramm der Arbeiter:innenklasse stützt, muss jetzt aufgebaut werden, damit sie Faschismus und Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte befördern kann!




Britannien: Für Arbeiter:innenaktionen gegen den Gaza-Genozid!

Dave Stockton, Workers Power (Britannien), Infomail 1242, 17. Januar 2024

Das Jahr begann mit dem anhaltenden Martyrium der Menschen im Gaza-Gebiet. Bis zum Neujahrstag gab es über 22.000 Tote – davon 8.633 Kinder – und 57.000 Verletzte zu beklagen. Etwa 29.000 Bomben haben 300.000 von 493.000 Häusern zerstört. Die Weltgesundheitsorganisation meldete, dass nur neun von 36 Gesundheitseinrichtungen im Gazastreifen in Betrieb sind, und zwar alle nur teilweise und sämtlich im Süden.

Zwei Millionen der 2,3 Millionen Einwohner:innen sind in den Süden getrieben worden. Rund um Rafah sind riesige Zeltstädte entstanden, und bei strömendem Regen und knappen Wasser- und Lebensmittelvorräten könnten bald Krankheiten grassieren. Bombardierungen und Drohnenangriffe verfolgten die Menschen auf ihrer Flucht nach Chan Yunis und dann nach Rafah, die laut israelischen Flugblättern „sichere Zonen“ sein sollen. Der Gazastreifen ist auch nicht der einzige Schauplatz zionistischer Gräuel. Im besetzten Westjordanland wurden 350 Menschen getötet, und das Flüchtlingslager von Dschenin wurde aus der Luft bombardiert.

Rassismus

Israelische Regierungsminister aus den unverhohlen rassistischen „religiösen Parteien“, wie der Minister für Nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir und der Finanzminister Bezalel Smotrich, haben zur „freiwilligen Migration“ nach Ägypten und in andere Nachbarländer aufgerufen. Avi Dichter, Landwirtschaftsminister des Likud, sagte: „Wir sind dabei, die Nakba des Gazastreifens auszurollen“, während der Minister für Heimaterbe, Amihai Eliyahu, im 103FM-Radio erklärte, dass Israel „Wege für die Menschen im Gazastreifen finden muss, die schmerzhafter sind als der Tod“, so wie es die USA mit Japan getan haben, um seine Moral zu brechen und „seinen nationalen Traum zu beenden“.

Das Ziel solcher Parteien, auf die Netanjahu seine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, stützt, ist eindeutig die vollständige Vertreibung der einheimischen Bevölkerung Palästinas. Israels westliche Unterstützer:innen befürworten dies aufgrund ihrer Beziehungen zu ihren Verbündeten wie Saudi Arabien, Jordanien oder den Emiraten nicht, was Israel jedoch nicht daran hindert, das Projekt voranzutreiben. Zumindest beabsichtigt es, die palästinensische Bevölkerung in immer kleinere Zonen zu drängen, die von der IDF (Israelische Armee) und den immer schwerer bewaffneten Siedler:innen im besetzten Westjordanland umgeben sind.

Natürlich verurteilen US- und EU-Politiker:innen die extremen Ansichten dieser Minister, aber sie bleiben in einer Regierung, die in der Praxis das tut, was nur sie zu sagen wagen. Unterdessen berichten mutige israelische Friedensaktivist:innen, dass jüdischen Bürger:innen die Schrecken, die sich in Gaza abspielen, nicht vor Augen geführt werden und sie glauben, dass der Tod von Zivilist:innen ein unbeabsichtigter, aber unvermeidlicher Kollateralschaden der Kampagne gegen die Hamas ist.

Die Tötung von Zivilist:innen auf breiter Front ist das bewusste Ziel der israelischen Taktik; die Auslöschung ganzer Stadtteile dient dem strategischen Ziel, „den nationalen Traum zu beenden“. Die immer strengere Belagerung des Gazastreifens, die systematische Zerstörung seiner Infrastruktur und die Lähmung seiner Wirtschaft haben den Widerstand jedoch nicht gebrochen. Im Gegenteil, sie haben die Unterstützung für die Hamas als die unnachgiebigste und zum Gegenschlag fähigste Partei verstärkt. Ihre Verankerung in der Bevölkerung wird sich als unausrottbar erweisen, wenn nicht die Menschen selbst ausgerottet werden.

Vor diesem schrecklichen Hintergrund ist die Weigerung westlicher Regierungen, zu einem Waffenstillstand aufzurufen unter dem Mantra, dass Israel das Recht hat, sich selbst zu verteidigen, eine kriminelle Absprache. Dies sollte uns nicht überraschen. Die USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich haben alle völkermörderische Kriege auf ihrem Gewissen, nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart, in Afghanistan, oder im Irak.

Labour

Die Vereinigten Staaten, Schirmherr und Geldgeber Israels und all seiner Aggressionen seit den 1950er Jahren, haben alle Versuche der Mehrheit in der UN-Vollversammlung und im Sicherheitsrat, ein Ende des Tötens zu fordern, mit ihrem Veto blockiert. Großbritannien unter Rishi Sunak folgt der Linie aus Washington, ebenso wie die Labour-Partei unter Keir Starmer. Dies passt zu seinem Interview mit der Times of Israel nach seiner Wahl zum Labour-Vorsitzenden, in dem er betonte: „Ich unterstütze den Zionismus ohne Einschränkung.“ Darauf folgte eine Hexenjagd auf Antizionist:innen, die als Antisemit:innen verleumdet wurden, darunter viele jüdische Verteidiger:innen der palästinensischen Rechte.

Dennoch sind Starmers Ansichten nicht die der Labour-Basis oder der Parteipolitik. Die Jahreskonferenz hat wiederholt Entschließungen verabschiedet, die Israel verurteilen und Maßnahmen gegen Israels Gräueltaten unterstützen. Erst 2021 verabschiedete sie einen Antrag, in dem es hieß:

„Die Konferenz beschließt, die von der palästinensischen Zivilgesellschaft geforderten ,wirksamen Maßnahmen’, einschließlich Sanktionen, gegen die völkerrechtswidrigen Handlungen der israelischen Regierung zu unterstützen, insbesondere um sicherzustellen, dass Israel den Siedlungsbau stoppt, jegliche Annexion rückgängig macht, die Besetzung des Westjordanlands und die Blockade des Gazastreifens beendet, die Mauer abbaut und das im Völkerrecht verankerte Recht der palästinensischen Bevölkerung auf Rückkehr in ihre Heimat respektiert.“

Diese Entschließungen bleiben die offiziell beschlossene Politik der Labour Party und der ihr angeschlossenen Gewerkschaften, die für sie gestimmt haben. Wie viele andere Entschließungen werden sie natürlich vom Schattenkabinett und dem Nationalen Exekutivkomitee völlig ignoriert. Und nur einige dieser Gewerkschaften wagen es noch, sie zu äußern, weil sie damit erpresst werden, dass jede Kritik an Starmer die Wahlchancen von Labour gefährdet. Nichtsdestotrotz sind eine Reihe von kommunalen Labour-Abgeordneten aus Protest zurückgetreten oder drohen damit, bei den nächsten Wahlen auf einer Plattform für Palästina gegen Labour zu kandidieren.

Aktionen

In Großbritannien und anderen Ländern gab es wöchentliche Massendemonstrationen, die einen Waffenstillstand und das Ende der Blockade forderten. In London marschierten Hunderttausende, und in den meisten britischen Großstädten fanden beträchtliche Mobilisierungen statt. Dutzende von lokalen Gaza-Solidaritätsgruppen sind entstanden und organisieren regelmäßig Kampagnen. Aktivist:innen haben auch direkte Aktionen gegen Elbit Systems, den größten israelischen Waffenhersteller, der mindestens 85 Prozent der vom israelischen Militär verwendeten Drohnen liefert, geplant.

An einer Aktion in Sandwich in Kent am 26. November nahmen Gewerkschaftsmitglieder von Unite, Unison, der National Education Union, der University and College Union, der British Medical Association und der Bakers‘ Union teil und trugen ein Transparent mit der Aufschrift „Workers for a free Palestine (Arbeiter:innen für ein freies Palästina)“. Sie haben auch eine gleichnamige Gruppe  gegründet.

Solche Maßnahmen sind wichtige Schritte auf dem Weg zu einer landesweiten Kampagne für den Boykott aller Institutionen und Firmen, die Material liefern, das Israels Gräueltaten in Gaza unterstützt. Wir müssen diese Forderung in den Gewerkschaftsgruppen in Fabriken und Büros, an Universitäten und Schulen aufgreifen.

Wir müssen die Informationsverbote über den Gazastreifen durchbrechen, die von Verwaltungen und Bildungsbehörden verhängt werden. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da der Gesetzesentwurf der Regierung „Economic Activity of Public Bodies (Overseas Matters) Bill“ (Gesetz zur ökonomischen Aktivität öffentlicher Körperschaften in Außenangelegenheiten), der darauf abzielt, Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen zu verbieten, demnächst im Unterhaus eingebracht werden soll. Dieser Angriff auf die Redefreiheit muss aufgedeckt, bekämpft und, falls er verabschiedet wird, abgewehrt werden.




Demonstration vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag

Fabian Johan, Den Haag, Infomail 1242, 12. Januar 2024

Die südafrikanische Regierung hat beim Internationalen Gerichtshof (IGH), dem wichtigsten internationalen Gericht der Vereinten Nationen, formell Anklage wegen Völkermordes gegen den Staat Israel erhoben. Als Folge seines brutalen Krieges gegen die Palästinenser:innen hat die südafrikanische Regierung erklärt, Israel habe die „spezifische Absicht … die Palästinenser:innen in Gaza als Teil der breiteren palästinensischen nationalen und ethnischen Gruppe zu zerstören“. (https://www.theguardian.com/world/2024/jan/09/explainer-what-is-the-icj-and-what-is-south-africas-claim-against-israel) Die Initiative Südafrikas wurde von der Organisation für Islamische Zusammenarbeit unterstützt, der 75 Mitgliedsstaaten angehören. Sie wurde auch von Hunderten fortschrittlicher palästinensischer und Friedensorganisationen unterstützt.

Am 11. und 12. Januar fanden die ersten beiden Anhörungen vor dem IGH in Den Haag statt. Eine Delegation progressiver Aktivist:innen begleitete die südafrikanische Abordnung, zu der auch der ehemalige linke Labour-Vorsitzende und Antikriegsaktivist Jeremy Corbyn gehörte. Da Corbyn stets der palästinensischen Solidaritätsbewegung nahestand und im Unterhaus imperialistische Kriege anprangerte, wurde er eingeladen, der Delegation beizuwohnen. Die Organisator:innen der Delegation erklären, Corbyn habe „immer auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden, indem er eine Sache unterstützt hat, die darauf abzielt, die Rechte der Menschen zu schützen, unabhängig von ihrer Nationalität oder ethnischen Zugehörigkeit“.

Obwohl es ein Werktag war, waren viele Menschen am Donnerstagmorgen gekommen, um vor dem Gericht zu protestieren. Auffallend war die hohe Beteiligung der jüdischen Gemeinde, die seit Beginn des Krieges gegen den Gazastreifen am 7. Oktober begonnen hat, in den Niederlanden antizionistische jüdische Organisationen zu gründen. Einige Mitglieder der orthodoxen jüdischen Organisation Neturei Karta (deutsch: Wächter der Stadt Jerusalem) trugen Schilder mit den Worten „Der Staat Israel repräsentiert nicht das Weltjudentum“ und „Das Judentum verurteilt den Staat Israel und seine Gräueltaten“.

Ebenfalls anwesend waren Aktivist:innen von BDS Netherlands, Samidoun, Students for Palestine und Aktivist:innen von BIJ1 (Zusammen, einer antirassistischen linken Partei in den Niederlanden). Die große Menschenmenge versammelte sich um einen großen Bildschirm, auf dem die Live-Übertragung der Anhörung durch Al Jazeera zu sehen war. Als die südafrikanische Delegation die Palästinenser:innen verteidigte und Israel des Völkermords beschuldigte, brach die Menge in tosenden Applaus aus.

Wie der Guardian berichtet, kann das Verfahren Jahre dauern, aber „eine einstweilige Verfügung könnte innerhalb von Wochen erlassen werden“.  Wenn nachgewiesen werden kann, dass einige der israelischen Handlungen unter die Völkermordkonvention fallen, kann das Gericht innerhalb weniger Wochen vorläufige Maßnahmen ergreifen. Auch wenn ein Gerichtsurteil nicht vollstreckt werden kann, kann eine Erklärung der Vereinten Nationen zum Völkermord schwerwiegende Folgen haben, die zionistischen Angriffe weiter in den Augen der Öffentlichkeit delegitimieren, den palästinensischen Widerstand und die Solidaritätsbewegung stärken. Es würde der Gewerkschaftsbewegung helfen, zu einem Arbeiter:innenboykott gegen Israel aufzurufen, und jene Kräfte stärken, die für einen Stopp der Waffenlieferungen, der politischen und wirtschaftlichen Unterstützung Israels eintreten. Es ist daher wichtig, die internationalen Bemühungen zur Aufdeckung der Verbrechen Israels zu unterstützen, da sie die Solidaritätsbewegung mit Palästina stärken und uns so einem gerechten Frieden im Nahen Osten näherbringen.




Die französische Arbeiter:innenklasse muss sich gegen rassistische Gesetze wehren!

Marco Lassalle, Infomail 1240, 30. Dezember 2023

Am 19. Dezember hat das französische Parlament ein weiteres Einwanderungsgesetz verabschiedet – das 117. Gesetz zu diesem Thema seit 1945! Aber es ist viel schlimmer als alle vorherigen Gesetze. Es wurde von Innenminister Gérald Darmanin vorgeschlagen, von Präsident Emmanuel Macron unterstützt, von den rechten Senator:innen der Partei Les Républicains stark umgeschrieben und schließlich mit den Stimmen des von Marine Le Pen geführten Rassemblement National (RN) angenommen.

Es ist leicht zu verstehen, warum die rassistische und fremdenfeindliche RN für dieses Gesetz gestimmt und einen ideologischen Sieg errungen hat. Es enthält eine Reihe von Maßnahmen, die dazu führen, dass vielen Migrant:innen grundlegende Leistungen und Rechte vorenthalten werden. Es unterstützt das RN-Ziel der „nationalen Präferenz“ (wonach französische Staatsbürger:innen beim Zugang zu staatlichen Sozialleistungen Vorrang vor Ausländer:innen haben sollten) und wird weitgehend dazu beitragen, die reaktionären und falschen Ideen des RN zu verbreiten: dass Migrant:innen nur nach Frankreich kommen, um von Sozialmaßnahmen zu profitieren, sie für den Mangel an Wohnraum und Arbeitsplätzen verantwortlich, kriminell und gefährlich für die nationale Sicherheit sind. Kurz gesagt, es ist eine giftige Mischung aus Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, gespickt mit Lügen und Verleumdungen.

Maßnahmen

Hier einige der Maßnahmen, die das neue Gesetz vorsieht:

  • Staatliche Leistungen wie Wohnungs- oder Familienbeihilfen werden Migrant:innen erst nach einer Verzögerung (bis zu fünf Jahren) gewährt, je nachdem, ob sie arbeiten oder nicht (obwohl die meisten Migrant:innen bei ihrer Ankunft in Frankreich nicht arbeiten dürfen).

  • Das Gesetz sieht die Einführung von Quoten für Migration vor, und die Legalisierung von migrantischen Lohnabhängigen wird vom Wohlwollen des/der Präfekt:in (Vorsteher:in eines Amtsbezirks) abhängen.

  • Das Gesetz ist ein Schlag gegen den Grundsatz des „loi du sol“, das Recht der in Frankreich Geborenen, mit ihrer Volljährigkeit die französische Staatsbürger:innenschaft zu erlangen, und geht auf ein früheres zurück, das von dem erzreaktionären Charles Pasqua unterstützt wurde.

  • Ausländische Universitätsstudent:innen müssen eine „Kaution“ an den Staat zahlen, die erst bei der Ausreise am Ende des Studiums zurückerstattet wird.

  • Bürger:innen mit doppelter Staatsbürger:innenschaft verlieren die französische, wenn sie sich schwerer Straftaten schuldig machen.

Um die Unterstützung des rechten Flügels zu erhalten, musste die Regierung außerdem versprechen, dass Anfang 2024 AME, die staatliche medizinische Hilfe, mit der alle Einwander:innen dringende medizinische Versorgung erhalten können, „reformiert“, d. h. wahrscheinlich stark eingeschränkt oder abgeschafft wird.

Das Gesetz enthält Maßnahmen, die so schockierend reaktionär sind, dass sich die Regierung sogar an den Verfassungsrat wendet, um einige seiner Artikel außer Kraft zu setzen, da sie gegen die Präambel der Verfassung von 1946 verstoßen, die besagt, dass „niemand wegen seiner/ihrer Herkunft benachteiligt werden darf“.

Die Verabschiedung des Gesetzes war selbst in Macrons Lager ein großer Schock, da 59 Abgeordnete der Regierungspartei dagegen stimmten und ein Minister zurücktrat. Die Behauptung Macrons bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen, er sei ein Bollwerk gegen Marine Le Pen und ihre Ideen, hat sich als eine weitere Lüge erwiesen. Allerdings hat die Arbeiter:innenklasse von den „Linken“ innerhalb des Präsidentenlagers wenig zu erwarten, da sie viele andere Angriffe gegen die Arbeiter:innen akzeptiert oder sogar durchgeführt haben.

Der französische Kapitalismus und die Überausbeutung

Seit Jahrhunderten braucht der französische Kapitalismus billige überausgebeutete Arbeitskräfte. Zunächst in Form von Sklav:innen auf den karibischen Inseln, später als indigene Zwangsarbeiter:innen in seinem Kolonialreich und im letzten Jahrhundert als Migrant:innen, in den letzten Jahrzehnten vor allem aus dem Maghreb. Die demokratischen Rechte dieser Arbeiter:innen wurden systematisch negiert und diese Entrechtung erreichte während des algerischen Unabhängigkeitskrieges in den 1950er und 1960er Jahren ein hysterisches Niveau. Die rassistische Ideologie diente als Rechtfertigung für diese Diskriminierung, obwohl auf allen öffentlichen Gebäuden „Egalité“ (Gleichheit) steht. Ein rassistischer Polizei- und Staatsapparat, dessen Personal nach dem Zweiten Weltkrieg vom faschistischen Vichy-Regime übernommen wurde, war für Repressionen und Massaker an Arbeitsmigrant:innen verantwortlich. Die von Jean-Marie Le Pen gegründete Front National baute auf einer rassistischen Ideologie auf und wandte sich massiv an die Anhänger:innen der Front Algérie Française. Aber auch die traditionellen rechten Parteien haben rassistischem Gedankengut geschmeichelt, und das gilt selbst für die linken Parteien.

Die französische Bourgeoisie war schon immer mehr als bereit, migrantische Arbeitskräfte zu beschäftigen und auszubeuten, die meisten von ihnen aus den ehemaligen französischen Kolonien in Afrika, sowohl im Maghreb als auch in Westafrika. Die rassistische Unterdrückung ermöglicht es den Bossen, sie in schlecht bezahlten Jobs zu halten, wobei ihnen oft grundlegende Arbeits- und Gewerkschaftsrechte verweigert werden. Entgegen der Verleumdung, dass Migrant:innen auf der Suche nach staatlichen Beihilfen nach Frankreich strömen, arbeiten die meisten von ihnen lange Jahre im Verborgenen als Sans Papiers (Menschen ohne Ausweisdokumente), insbesondere im Bau- und Dienstleistungssektor. Sie sind weit davon entfernt, von der staatlichen Sozialhilfe zu profitieren, denn sie zahlen zwar die obligatorischen Sozialbeiträge, haben aber keinen Anspruch auf entsprechende Beihilfen. Trotz der rassistischen Hysterie nimmt der Anteil der Migrant:innen an der Bevölkerung des Landes kaum zu: 7,8 % im Jahr 2022, 6,5 % im Jahr 1975. Selbst der Vorsitzende des MEDEF, des wichtigsten Arbeit„geber“verbandes, schätzt den Bedarf der französischen Wirtschaft auf 3,9 Millionen zugewanderte Arbeitskräfte in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der niedrigen Geburtenrate ein. Das französische Kapital will eine „kontrollierte“ Zuwanderung und zwingt die Migrant:innen weiterhin in extrem unsichere und übermäßig ausgebeutete Arbeitsverhältnisse.

Die extreme Rechte will noch weiter gehen. Bereits in den 1980er Jahren prägte Jean-Marie Le Pen den Slogan „eine Million Einwander:innen, eine Million Arbeitslose“ und suggerierte damit, dass die Ausweisung der Migrant:innen das Problem der Arbeitslosigkeit lösen würde. Marine Le Pen, die Tochter von Jean-Marie, propagiert das Konzept der „nationalen Präferenz“ und warnt vor der „Unterwanderung“ des französischen Volkes durch eine angebliche Migrationswelle. Ihre Ideen werden durch das neue Gesetz eindeutig legitimiert.

In dieser Hinsicht stellt das Gesetz einen Bruch mit früheren rassistischen Gesetzen dar. Während alle diese Angriffe gegen den Gleichheitsgrundsatz enthielten, stellt die schiere Menge an konzentrierten Schlägen gegen Migrant:innen dieses Gesetz eindeutig auf eine andere, viel gefährlichere Ebene. Es spiegelt die Verbreitung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in der französischen Bevölkerung wider: Den Umfragen zufolge wird die Partei von Marine Le Pen bei den kommenden Europawahlen im Juni nächsten Jahres mit rund 28 % (und zusätzlich 6,5 % für ihre faschistische Nichte Marion Maréchal) die stimmenstärkste Partei in Frankreich sein, weit vor Macrons Partei „Renaissance“ mit 20 %.

Präsident Macron reklamiert mit dieser Zustimmung zum Gesetz, einen Sieg errungen zu haben, der zeigt, dass er keine „lahme Ente“ und in der Lage ist, Gesetze zu verabschieden, ohne die undemokratischen Tricks der französischen Verfassung der Fünften Republik anzuwenden. Auch Les Républicains beanspruchen einen Sieg für sich, da sie maßgeblich an der Verabschiedung des Gesetzes beteiligt waren und dessen Inhalt stark beeinflusst haben. Für beide wird sich dieser „Sieg“ bald als Pyrrhussieg erweisen. Rassistische Wähler:innen werden die konsequent rassistische Partei RN anderen Kräften vorziehen, die sie lediglich imitieren, und der ideologische Einfluss der RN-Ideen wird durch diese Maßnahme auf allen Ebenen nur vergrößert.

Arbeiter:innenklasse

Die französische Arbeiter:innenklasse befindet sich in einer schwierigen Situation. Sie ist durch den Sieg Macrons im Kampf um die Renten zu Beginn des Jahres bereits politisch geschwächt. Hinzu kommt, dass der Rassismus auch in der Klasse greift und eine mögliche Spaltung zwischen „französischen“ und migrantischen Arbeiter:innen droht sowie massiv verstärkte Repression gegenüber migrantischen Lohnabhängigen.

Die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und La France insoumise lehnten das Gesetz allesamt ab. 32 von der Sozialistischen Partei geführte Departements erklärten, dass sie das Gesetz nicht anwenden werden, ebenso wie die Pariser Bürgermeisterin. Die CGT-Vorsitzende Sophie Binet erklärte: „Die CGT ruft zum zivilen Ungehorsam und zur Vervielfachung der Widerstandsaktionen gegen dieses Gesetz auf, das alle unsere republikanischen Prinzipien untergräbt und der extremen Rechten den Boden bereitet.“ Die CGT wird in den nächsten Wochen „massive Initiativen organisieren, damit diejenigen, die sich mit dem geleugneten Frankreich identifizieren, ihre Entschlossenheit zeigen können, damit die Werte der Solidarität respektiert werden“.

All dies ist richtig, aber man kann durchaus an der Wirksamkeit des Widerstands der reformistischen Parteien und der Gewerkschaften zweifeln, da es ihnen nicht gelungen ist, die Rentenreform abzuwehren. Es besteht die reale Gefahr, dass die „massiven Initiativen“ der Reformist:innen zahnlose symbolische Aktionen bleiben werden. Die Lohnabhängigen sollten ihre Führungen auffordern, den wirksamsten Widerstand gegen das Gesetz vorzubereiten, und zwar nicht nur auf den bequemen Sitzen des Parlaments, sondern an den Arbeitsplätzen, in den Banlieues und auf den Straßen. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, diesen Widerstand mit den Waffen des Klassenkampfes durchzusetzen, ob die reformistischen Führungen damit einverstanden sind oder nicht. Der zivile Ungehorsam muss von Protesten und Massenstreiks zugunsten einer massiven Legalisierung von Sans Papiers sowie der Abschaffung aller rassistischen Gesetze der letzten Jahre begleitet werden. Migrant:innen, darunter auch Sans Papiers, sind in großem Umfang auf den Baustellen für die kommenden Olympischen Spiele 2024 beschäftigt und werden bei der Organisation dieses Ereignisses an vorderster Front stehen, im Transportwesen, bei der Sicherheit, in Hotels, Restaurants, bei der Reinigung usw. Die Arbeiter:innen müssen bereit sein, alle damit zusammenhängenden Aktivitäten zu blockieren, bis das Gesetz aufgehoben ist, und solche Aktionen müssen von allen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen der Arbeiter:innenklasse unterstützt werden. Sie müssen durch organisierte Selbstverteidigung gegen mögliche Repressionen durch den Staat oder rechte bzw. sogar faschistische Kräfte verteidigt werden.

Die einzige Möglichkeit, die Ausbreitung rassistischer Ideen in den Reihen der Arbeiter:innenklasse zu stoppen, besteht darin, ein Aktionsprogramm vorzuschlagen, zu verbreiten und dafür zu kämpfen, das alle rassistischen Gesetze bekämpft und die wirklichen Ursachen für das Anwachsen der RN angeht: niedrige Löhne, Mangel an Arbeitsplätzen, Wohnungen, Schulen und Krankenhäusern. Der durch dieses Gesetz ausgelöste Schock sowie die Wut auf Macron und seine Regierung sollten in eine massive Streikwelle, einschließlich eines Generalstreiks, gegen die rassistische Diskriminierung und Unterdrückung sowie gegen die Regierung und das von ihr verteidigte System gebündelt werden.




Ein Jahr Regierung Meloni: eine Kriegserklärung gegen die Arbeiter:innenklasse

Azim Parker, Infomail 1239, 18. Dezember 2023

„Man lacht, um nicht zu weinen“ ist eine sehr beliebte Redewendung in Italien. Die Grenze zwischen Tragödie und Farce war nämlich in der Geschichte des Landes manchmal sehr, sehr dünn. Man denke nur an die zwanzig Jahre der Berlusconi-Regierung, die zwischen einem Witz und einer internationalen Blamage auch die Zeit fand, 2001 die Demonstrant:innen gegen den G8-Gipfel in Genua massakrieren zu lassen.

Das erste Jahr der Regierung Melonis bestätigt diese groteske Tendenz. Allein in diesem ersten Jahr konnten wir alle möglichen erbärmlichen Schauspiele ansehen, darunter über Facebook die Trennung der Ministerpräsidentin von ihrem Partner – einem rassistischen und frauenfeindlichen Pseudojournalisten –, einen peinlichen Scherzanruf auf Kosten von Giorgia Meloni, der die Regierung vor der ganzen Welt lächerlich machte, einen absurden Kampf gegen harmloses CBD-Cannabis und vieles mehr. Das Problem ist, dass die Arbeiter:innenklasse einen unglaublich hohen Preis zahlen musste, um Zeugin dieses Spektakels zu werden.

Ein beispielloser Angriff auf die Arbeiter:innenklasse und die Armen

In der Geschichte der Republik gab es sicherlich noch nie eine so starke Verschlechterung der Lebensbedingungen der ärmeren Schichten. Italien ist das Land mit dem stärksten Rückgang der Reallöhne unter den großen OECD-Volkswirtschaften. Bis Ende 2022 waren sie im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie um 7 % gesunken. Dieser Rückgang setzte sich im ersten Quartal diesen Jahres fort, mit einem Minus von 7,5 % – all das im Rahmen einer grundsätzlich maroden Wirtschaft.

Wenn auch nach der Pandemie tatsächlich eine gewisse Erholung des Wachstums zu beobachten war – im Jahr 2022 ist das BIP tatsächlich um 3,7 % gewachsen –, belasten der Anstieg der Rohstoffpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine, die Rezession in Deutschland – dem wichtigsten wirtschaftlichen Partner Italiens –, die Wiedereinführung des Stabilitätspakts und die ständige Erhöhung der Zinssätze die Staatskassen und die öffentliche Verschuldung wie ein Mühlstein. Infolgedessen ist das erste Jahr der Regierung Meloni im Wesentlichen von beispielloser Aggressivität gegenüber den italienischen Lohnabhängigen geprägt.

Arme

Die ersten Opfer der kriminellen politischen Maßnahmen der Regierung waren die Arbeitslosen und die ärmsten Teile der Bevölkerung, die durch eine SMS darüber informiert wurden, dass sie ihr Grundeinkommen, das sog. Bürgergeld verloren haben. Diese auf Betreiben der Fünf-Sterne-Bewegung 2019 eingeführte Transferleistung war zwar selbst eine äußerst demagogische und bestimmt problematische Maßnahme, die sicherlich die Armut nicht „abgeschafft“ hat, wie der damalige Minister Di Maio bei ihrer Einführung erklärte, stellte jedoch für eine gewisse Zeit sowohl das einzige Mittel zum Überleben für viele arme Leute dar als auch eine Barriere gegen die Überausbeutung vieler prekärer Beschäftigter, insbesondere in der Tourismus- und Gastronomiebranche, die berechtigterweise in Anbetracht einer Alternative begonnen haben, die unwürdigen Arbeitsbedingungen zu Hungerlöhnen abzulehnen.

Es ist kein Zufall, dass diese Maßnahme damals auf starken Widerstand bei Kleinunternehmen gestoßen ist. Hinter ihrem sozialchauvinistischen Gejammere über die „Penner:innen, die auf Kosten des Staates leben“, verbarg sich nur ihre Frustration darüber, dass sie niemanden mehr mit Hungerlöhnen erpressen konnten.

Arbeitsgesetz

All das stellt jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Das Arbeitsgesetz, das zynisch am 1. Mai 2023 erlassen wurde, ist eine regelrechte Kriegserklärung. Es reicht von der Verlängerung befristeter Verträge, also der häufigsten Form prekärer Arbeit in Italien, bis zur Kürzung der

Abgabenschere, einer vom Staat stark beworbenen Maßnahme, die jedoch in Wirklichkeit eine Beleidigung für alle italienischen Lohnabhängigen ist. Um die Kluft zwischen Netto- und Bruttolohn zu verringern, hat die Regierung tatsächlich 4,1 Milliarden Euro bereitgestellt.

Das bedeutet, dass die italienischen Arbeitenden eine Erhöhung des Nettogehalts von 50 bis 100 Euro erhalten werden! Ein Betrag, der angesichts der Inflation völlig bedeutungslos ist. Diese Maßnahme geht natürlich nicht mit einer Erhöhung der Löhne einher. Nicht zufällig hat sich Confindustria – der Italienische Unternehmerverband – sehr zufrieden gezeigt und dieses weitere Geschenk gerne angenommen. Die größte Ironie besteht jedoch darin, dass diese Mittel von der öffentlichen Verschuldung getragen werden, also von den gleichen Arbeiter:innen, die bereits erhebliche Kürzungen bei Renten und öffentlicher Gesundheit hinnehmen müssen, damit „die Rechnung aufgeht“. Real werden also die Unternehmen entlastet, während die Lohnabhängigen durch Sozialkürzungen das verlieren, was sie scheinbar erhalten.

Gesundheitssystem

Gerade das öffentliche Gesundheitssystem ist eines der Schlachtfelder, auf denen die Regierung besonders verheerend vorgegangen ist. In den letzten 10 Jahren wurden in Italien 111 Krankenhäuser geschlossen und 37.000 Betten abgebaut. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal ist mittlerweile zu struktureller Natur in den Ambulanzen und Krankenhäusern geworden. All dies geschieht, während der Zugang zu den Universitäten beschränkt ist und komplizierte, von Nepotismus und Unorganisiertheit geprägte Auswahlverfahren die Einstellung neuen Personals weiter erschweren.

Der Tarifvertrag für Krankenpfleger:innen wird seit drei Jahren nicht erneuert. Die Regierung Meloni hat eine Gehaltserhöhung von 4 % angeboten, was die Hälfte des durch die Inflation verlorenen Wertes der Gehälter wäre! In der Zwischenzeit hat das letzte Haushaltsgesetz weitere 2 Milliarden Euro an Mitteln aus dem gesamten Gesundheitssystem gekürzt, alles zum Vergnügen des Privatgesundheitswesens. Dieses sieht nicht nur eine Steigerung seiner Gewinne, sondern erhält auch üppige Subventionen genau von dem Staat, der das öffentliche Gesundheitswesen ruinieren lässt.

Die reaktionäre Rhetorik der Regierung zum Thema Familie hat sich in der Erhöhung der Mehrwertsteuer für Babynahrung und Windeln niedergeschlagen. Laut Regierung sei es notwendig, zum Wohle der Nation Kinder gegen die „ethnische Substitution“ durch Migrant:innen zu gebären – dies wurde tatsächlich vom Landwirtschaftsminister gesagt! Dass die Familien diese Kinder nicht ernähren können, ist jedoch irrelevant. Nicht zu vergessen, dass das Wahlversprechen, die Mineralölsteuer abzuschaffen, natürlich schnell gebrochen wurde.

Das Gemetzel an Migrant:innen geht weiter …

Das italienische Proletariat ist nicht das einzige Ziel. Die Regierung hat sich im letzten Jahr besonders vehement auch gegenüber Migrant:innen positioniert, die immer schon ein erklärtes Ziel dieser Rassist:innen waren. Und sie wollen so auch den Anstieg der Unzufriedenheit aufgrund der nicht eingehaltenen Wahlversprechen eindämmen. Schon während des Wahlkampfs war eine der bekanntesten Forderungen der Regierung die nach einer „Seeblockade“ Italiens, eine ultrareaktionäre und letztlich unrealisierbare Maßnahme, die dazu diente, das vorhandene rassistische Gefühl in der Bevölkerung zu schüren und kapitalisieren.

Natürlich hat die Undurchführbarkeit der Seeblockade Giorgia Meloni und ihre Kompliz:innen nicht daran gehindert, ebenso kriminelle Politiken gegenüber Migrant:innen zu verfolgen.

Zuerst das Abkommen mit der Regierung des tunesischen Folterpräsidenten Saied, der sich gegen Zahlung dazu verpflichtete, die abfahrenden Immigrant:innen in seinen Lagern zurückzuhalten, ein Abkommen ähnlich dem bereits bestehenden mit Libyen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Saied flog Meloni nach Albanien, um im Geheimen mit Premierminister Rama über die Schaffung von Anhaltelagern für Migrant:innen zu verhandeln, im Austausch gegen Italiens Hilfe, Albanien in die EU aufzunehmen. Einfach ekelhaft!

In der Zwischenzeit hat sich die Regierung verpflichtet, die Aktivitäten von NGOs so weit wie möglich zu behindern, indem sie die Schiffe dazu zwingt, die Geflüchteten zu Häfen weit entfernt vom Rettungsort zu bringen, und sie de facto auffordert, mögliche mehrfache Rettungsanfragen zu ignorieren. Im Inland hat sich Meloni dazu verpflichtet, neue Zentren für administrative Inhaftierung – die berüchtigten CPR (Rückkehrzentren) – zu errichten, die tatsächlich echten Gefängnissen gleichen, in denen Migrant:innen darauf warten, abgeschoben zu werden. Das erklärte Ziel dieser beschämenden Politiken ist – genauso wie bei anderen europäischen Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – die Blockierung der Einreisen. Tatsächlich ist dies eine schändliche Rechtfertigung. Angesichts von Hunger, Gewalt und Freiheitsberaubung gibt es nichts, was Menschen davon abhalten kann, anderswo ein besseres Leben zu suchen. Alle Anstrengungen der Regierungen, dies zu verhindern, tragen nur dazu bei, das Leiden und den Tod von Hunderttausenden von Menschen zu erhöhen. Nur der Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und für eine sozialistische Ordnung kann ihnen endlich Gerechtigkeit bringen und die Menschheit von dieser Tragödie befreien.

Die ohrenbetäubende Stille der Opposition und der Gewerkschaften

Besonders schändlich angesichts dieser Situation erscheint das Verhalten der wichtigsten Gewerkschaften – CGIL, CISL, UIL. Unser Bericht über den Widerstand der Gewerkschaften gegen die Regierung Meloni könnte hier enden. In einem Jahr Regierung sind die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen des Landes, insbesondere die CGIL, durch eine entwaffnende Lethargie aufgefallen. Bis Oktober 2023 wurde keine einzige Demo auch nur symbolisch gegen die Regierung organisiert.

Im Gegenteil, der Generalsekretär der CGIL, Landini, war so nett, Giorgia Meloni einzuladen, eine Rede auf dem Gewerkschaftskongress im März zu halten. Nach einer rein rituellen Demonstration im Oktober in Rom, bei der jedoch die Arbeiter:innen die Gewerkschaftsbürokratie unter dem Ruf nach einem Generalstreik bedrängten, sah sich Landini im November gezwungen, einen Streik auszurufen. Einen Streik, der an drei verschiedenen Tagen regional organisiert wurde – das bedeutet, dass im Norden, in der Mitte und im Süden Italiens an drei verschiedenen Tagen gestreikt wurde. Diese Entscheidung, mittlerweile eine Praxis für die CGIL, zielt offensichtlich darauf ab, die Auswirkungen der Arbeitsniederlegung so weit wie möglich abzuschwächen und sie so harmlos wie möglich zu machen. Trotzdem nutzte die Regierung, insbesondere Verkehrsminister Salvini, die Gelegenheit, die Gewerkschaft und die Arbeiter:innen weiter anzugreifen, indem er erklärte, dass der Streik illegal sei, da er das Recht der Bürger:innen auf Mobilität verletze und daher aufgehoben werden müsse.

Das wäre eine großartige Gelegenheit gewesen, eine echte Mobilisierung gegen die Regierung rund um die Verteidigung des Streikrechts auszulösen. Eine Mobilisierung, die dem bereits unzufriedenen italienischen Proletariat sicherlich eine konkrete Perspektive des Kampfes gegeben und die Regierung in Schwierigkeiten gebracht hätte. Landini hielt es jedoch für richtiger, die Dauer des Streiks auf 4 Stunden im öffentlichen Verkehr zu reduzieren, wodurch die Mobilisierung faktisch zu einem leeren Ritual wurde. In der Zwischenzeit schläft die Regierung ruhig, und Salvini kann sich in sozialen Netzwerken damit brüsten, die Gewerkschaften in den Griff bekommen zu haben.

Leider ist dieses erste Jahr der Regierung auch für die Basisgewerkschaften alles andere als positiv verlaufen. Die verschiedenen Gewerkschaften haben im Wesentlichen miteinander konkurriert, indem sie unkoordiniert und letztlich in Konkurrenz zueinander Ministreiks durchgeführt haben, mit dem einzigen Ziel, sich gegenseitig die Mitglieder wegzunehmen. Die Überwindung dieser sektiererischen Mentalität bleibt daher eine wesentliche Aufgabe für italienische Revolutionär:innen.

Die Bilanz des ersten Jahres der Regierung Meloni ist daher dramatisch. Auf der einen Seite steht die Notwendigkeit der Bourgeoisie und ihrer politischen Vertretung, ungeachtet ihrer internen Widersprüche ihre Gewinne und ihren Status quo auf Kosten des Proletariats zu schützen. Auf der anderen Seite erleben wir die ewige Wiederholung der reformistischen Linken, sowohl in der Politik als auch in den Gewerkschaften. Diese ist Opfer ihres eigenen Opportunismus und Mangels an Perspektiven jenseits der engen Grenzen des Kapitalismus, was sie dazu zwingt, mechanisch die gleichen Formeln und Rituale zu wiederholen, selbst wenn dies sie endgültig zum politischen Vergessen verurteilen.

In dieser Lage braucht es sowohl auf betrieblicher und gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene eigentlich eine Einheitsfront aller Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen die Angriffe der rechten Regierung und des Kapitals. Zugleich verdeutlich die Führungskrise der Arbeiter:innenklasse, dass es eine revolutionäre Partei braucht als politische Alternative zum Theater der bürgerlichen Politik und der Rechten.




Österreich: Solidarität gegen den Funke-Ausschluss

Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1238, 4. Dezember 2023

Die SPÖ-Ausschlusskampagne auf rechten Zuruf befördert Rassismus und Kriegshetze

Die Sozialistische Jugend hat ihre Bezirksgruppe im Alsergrund ausgeschlossen, weil dort Aktivist:innen der Organisation „Der Funke“ führend aktiv sind. Damit kommt die SJ Wien einem Antrag der Bezirks-SPÖ zuvor, die öffentlich den Ausschluss der Jugendgruppe gefordert hatte. Auch in Vorarlberg hat die SPÖ ein Schiedsgericht gegen die Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend eingesetzt, die zwar nicht dem Funke angehören sollen, aber ein Statement der Organisation geteilt hatten.

Gegen die Ausschlüsse!

Die sozialdemokratische Führung beginnt eine interne Säuberungskampagne, weil den Genoss:innen vom Funken ihre Position in der palästinasolidarischen Bewegung vorgeworfen wird. Diese Vorwürfe kommen von Journalist:innen, Online-Aktivist:innen, aber auch von ÖVP und FPÖ. Die Kampagne gegen den Funken ist undemokratisch und reaktionär. Sie soll an einem scheinbaren Extrembeispiel ausdrücken, was allen passiert, die sich nicht in die Regierungslinie der unbedingten Israelsolidarität einreihen.

Der Funke wird ausgeschlossen, weil er sich mit dem Widerstand gegen die israelische Besatzung solidarisiert, und weil einer ihrer Vertreter in einer Rede Israel als Apartheid- und Terrorstaat bezeichnet hat, der „weg“ müsse. Der Funke-Sprecher hat später gegenüber dem PROFIL klargestellt, dass er das Existenzrecht von Israel verteidigt, nicht aber das „Recht“ Israels, andere Nationen zu besiedeln, zu besetzen oder zu annektieren. Die Rhetorik kann man gut finden oder nicht, es ist aber egal. Die SPÖ beginnt ihre Ausschlusskampagne wegen dem rechten Druck, und nicht wegen einem 30-Sekunden-Videoausschnitt, der auf Twitter herumgereicht wird.

Wir als Arbeiter*innenstandpunkt solidarisieren uns mit den Funke-Aktivist:innen gegen die undemokratischen Ausschlüsse und gegen die mediale Verleumdungskampagne. Vorwürfe des „aggressiven Antisemitismus“ aus dem SPÖ-Parteivorstand sind an den Haaren herbeigezogen. Es muss auch klar sein, dass diese bürokratischen Methoden gegen jede Parteifraktion eingesetzt werden können, die inhaltlich widerspricht.

Türkis-Grüner Außenpolitik-Extremismus

Die sozialdemokratischen Spitzen drängen jetzt die parteiinterne Opposition heraus, aufgehängt an den Zurufen von Bundesregierung und FPÖ. Auch sonst stellen sich Babler und die Partei außenpolitisch vollinhaltlich hinter den reaktionären Regierungskurs.

Die Bundesregierung profiliert sich mit einer sogar international extremen Haltung gegen die palästinensischen Zivilist:innen und jegliche palästinensische Selbstbestimmung. Zusammen mit nur dreizehn anderen Ländern stimmte Österreich gegen eine UNO-Resolution für einen Waffenstillstand. Nehammer und Kogler unterstützen die Bombenkampagne der israelischen Armee, die schon mehr als 10.000 Zivilist:innen ermordet hat.

Rassistische Kampagne

In Österreich wird der Angriff der Hamas auf Israel und die Debatte um die israelischen Bombardements mühelos in antimuslimischen Rassismus übersetzt. ÖVP und FPÖ fordern geschlossene Grenzen und Massenabschiebungen, bezeichnen Geflüchtete als Antisemit:innen. Die Verschwörungstheorie über „importierten Antisemitismus“ ignoriert, dass Antisemitismus in Österreich fast ausschließlich von österreichischen Rechten ausgeht. Die rechten Parteien nutzen den antimuslimischen Rassismus auch, um den Antisemitismus ihrer eigenen Mitglieder unter den Teppich zu kehren. Das geht so weit, dass die niederösterreichische FPÖ, die eine Registrierung von Jüdinnen und Juden beantragt und um deren Vorsitzenden es die antisemitische Liederbuchaffäre gab, die angeblich liberale Einwanderungspolitik der SPÖ als antisemitisch bezeichnet. Auch die niederösterreichische ÖVP wirft der SPÖ vor, „eine Einladung an Antisemit:innen auszusprechen“. So wird die Solidarisierung mit der rechtsnationalen und rassistischen israelischen Regierung genutzt, um den Antisemitismus der Rechten schönzureden.

Aber auch die SPÖ wiederholt diese rassistischen Verschwörungstheorien. Der burgenländische Landeshauptmann Doskozil und der Wiener Gesundheitsstadtrat sind sich einig: Am steigenden Antisemitismus ist die Zuwanderung schuld. Nur beschuldigen die beiden das ÖVP-geführte Integrationsstaatssekretariat für die angeblich offenen Grenzen, greifen die Rechten von rechts an.

Der Mariahilfer SPÖ-Bezirksrat Götz Schrage geht noch weiter. In einem Zeitungskommentar setzt er rhetorisch den muslimischen Glauben mit Antisemitismus gleich und fordert, „Feinde Israels“ abzuschieben.

Die SPÖ unter Babler stellt sich außenpolitisch klar hinter die pro-imperialistische Linie der Bundesregierung. Babler war vor seiner Wahl mehrmals für frühere antiimperialistische Positionen kritisiert worden. Seit seiner Wahl hat er klar gemacht, dass von diesem linken Erben nichts übrig ist. Im Juni forderte er EU-Waffenlieferungen an die Ukraine, die israelischen Flächenbombardements verteidigt er als angebliche Selbstverteidigung. Nebensätze darüber, dass man die Palästinenser:innen „nicht vergessen“ dürfe und die Ablehnung des Waffenstillstands falsch wäre, können darüber nicht hinwegtäuschen.

Zur außenpolitischen nationalen Einheit gehört eben auch die Propaganda dazu. Die innerparteiliche Säuberungskampagne entspricht den rechten Forderungen, dass Palästinasolidarität ausgeschlossen und am besten verboten gehört.

Dagegen müssen Linke, Sozialist:innen und Revolutionär:innen sich klar aussprechen. Erstens, um zu verhindern, dass bürokratische Säuberungen in der Arbeiter:innenbewegung Fuß fassen. Aber auch, um der rassistischen Hetze und dem außenpolitischen Rechtsruck etwas entgegensetzen zu können.

In der Analyse der palästinensischen Befreiungsbewegung, dem Charakter des israelischen Regimes und vielem mehr ist sich die Linke sehr uneinig. In ein paar Punkten müssen wir aber zusammenstehen:

  • Solidarität mit dem Funken! Gegen unbegründete Antisemitismus-Vorwürfe und gegen den bürokratischen Ausschluss!

  • Gegen antimuslimischen Rassismus, gegen alle Abschiebungen und gegen Polizeirepression! Das Demonstrationsrecht muss für palästinasolidarische Aktionen gelten oder durchgesetzt werden.

  • Gegen Kriegsverherrlichung und entmenschlichende Hetze gegen Palästinenser:innen. Flächenbombardements haben nichts mit Selbstverteidigung zu tun!

  • Gegen die Ermordung von Zivilist:innen. Die Hinrichtungen und Massaker der Hamas helfen nicht in der Befreiung der Palästinenser:innen.



Tesla-Streik in Schweden: Organisieren für den Sieg und die Macht über die Gewerkschaften!

Jens-Hugo Nyberg, Infomail 1236, 14. November 2023

Jahrzehntelang haben die Gewerkschaften des Dachverbandes LO (Landsorganisationen i Sverige) gezögert, zu Streiks und anderen Arbeitskampfmaßnahmen aufzurufen. Gelegentlich wurden sie dazu gedrängt, haben dies aber in der Regel nur halbherzig getan und Abschlüssen zugestimmt, die weit schlechter waren, als ihre Mitglieder gehofft hatten. Die mangelnde Bereitschaft der führenden Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung zu kämpfen, war ein entscheidender Grund dafür, dass wir Schritt für Schritt einen Rückzieher gemacht haben und die Politik immer weiter nach rechts gerückt ist. Dank der Abschaffung spezifischer Steuern für Wohlhabende ist Schweden heute ein sehr gutes Land, um reich zu sein, und wir haben Marktanpassungen auf breiter Front erlebt. Für den Rest von uns wird der Stress immer größer und die Sicherheit immer geringer.

Arbeitsniederlegungen und Solidaritätsaktionen

Am 27. Oktober trat die Metallarbeiter:innengewerkschaft IF Metall mit allen Beschäftigten von Tesla – oder TM Schweden, wie sie hier genannt werden – in den Streik. Dies geschah, nachdem sich das Unternehmen auf Anweisung der Zentrale geweigert hatte, einem Tarifvertrag zuzustimmen. Ab dem 7. November legte die Gewerkschaft Transport vier Häfen mit einer Blockade gegen Tesla lahm, und für die übrigen Häfen wurde dies für den 17. November angekündigt. Am selben Tag veröffentlichte die Gewerkschaft der Beschäftigten bei den Wohnungsunternehmen (Fastighetsanställdas Förbund; Verband der Immobilienangestellten) eine Ankündigung, die Reinigung der Tesla-Werkstätten zu blockieren, und die Gewerkschaft der Elektriker:innen (Elektrikerförbundet) kündigte an, die Stromzufuhr zu den Werkstätten und Ladestationen zu stoppen. Auch die Service- und Kommunikationsgewerkschaft SEKO schaltet sich in den Kampf ein. Ab dem 20. November wird keine Post mehr an Tesla zugestellt. Mit anderen Worten, eine Mobilisierung der LO-Gewerkschaften, wie es sie seit dem Streik und der Blockade gegen den Spielwarenhersteller Toys „R“ Us nicht mehr gegeben hat, wo der Handel nach einem dreimonatigen Streik, der sowohl von den LO- als auch von den TCO-Gewerkschaften (Tjänstemännens Centralorganisation; Zentralorganisation der Angestellten) unterstützt wurde, das Unternehmen zum Einlenken und zur Unterzeichnung eines Tarifvertrags zwang.

Der Grund dafür, dass selbst die Spitzen der Gewerkschaften Kampfbereitschaft zeigen, liegt natürlich darin, dass sich die Bürokrat:innen nun tatsächlich bedroht fühlen. Sie sind bereit, in vielen Situationen einen Rückzieher zu machen. Ihre Positionen und absurd hohen Gehälter haben im Allgemeinen nicht unter den schlechten Lohnabschlüssen der letzten Jahre und dem Verrat an den Hoffnungen ihrer Mitglieder gelitten. Doch jetzt, da Tesla sich weigert, Tarifverträge zu unterzeichnen, sind auch sie an ihre Grenzen gestoßen. Wenn sich diese Weigerung durchsetzt, ist die Position der Gewerkschaftsorganisationen und damit der Gewerkschaftsbürokratie ernsthaft gefährdet. Deshalb sprechen sie jetzt ein Machtwort.

Tesla befindet sich in Schweden angesichts dieser gewerkschaftlichen Machtdemonstration in der Defensive und wird unmittelbar nicht viel ausrichten können. Es wird schwierig sein, den Betrieb in nennenswertem Umfang aufrechtzuerhalten, es sei denn, es gelingt ihnen, einen erheblichen Streikbruch zu erzielen. Das werden sie sicherlich versuchen, aber bisher scheint das wenig Aussicht auf Erfolg zu haben.

Die meisten anderen Unternehmen in Schweden würden angesichts der Tiefe der gewerkschaftlichen Kampagne wahrscheinlich schnell nachgeben oder ihre Pläne einfach aufgeben. Nun ist es aber Tesla, mit dem reichsten Mann der Welt, Elon Musk, im Sattel. Er könnte es sich leisten, noch lange weiterzumachen. Auch die Kosten für die beteiligten LO-Gewerkschaften werden sich in Grenzen halten, und sie werden sich einen langen Konflikt leisten können. Die Streikkassen sind recht gut gefüllt.

Streikrecht

Die Lage könnte sich zwar ändern, wenn die Käuferseite (Händler:innen usw.) einen großen Gegenangriff starten würde mit dem Ziel, die Konsument:innen demagogisch in den Konflikt zu ziehen. Dies scheint jedoch nicht wahrscheinlich zu sein. Es ist jedoch klar, dass die Rechte und die Kapitalist:innenklasse insgesamt über das Geschehen beunruhig und verärgert sind. Ihnen missfällt offensichtlich, dass sich selbst Gewerkschaften mit Tarifverträgen und damit einer Friedenspflicht an Sympathiestreiks beteiligen können. Wenn sie selbst darauf zurückgreifen – was sie eigentlich einmal gerne getan haben –, würde das die Gewerkschaften und andere Lohnabhängige beim nächsten Mal eher dazu ermutigen, dies wieder zu tun.

Daher ist es wahrscheinlich, dass die Unternehmensverbände und die Rechte eine politische Offensive zur Einschränkung des Rechts auf Solidaritätsstreiks starten werden. Diese hat bereits begonnen. Stefan Koskinen, Leiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik beim Unternehmerverband Almega, hat zum Beispiel schnell erklärt, dass die Tatsache, dass auch Unternehmen mit Tarifverträgen von Solidaritätsstreiks betroffen sein können, eine Bedrohung für das schwedische Modell darstellt. Das ist natürlich reiner Unsinn, aber eine bezeichnende Absichtserklärung der Kapitalist:innen. Eine deutliche Mehrheit der Mitglieder des Parlaments gehört Parteien an, die entweder Anträge gestellt haben oder in ihren Parteiprogrammen festhalten, dass sie das Recht auf Solidaritätsstreiks einschränken wollen. Gleichzeitig ist dies ein Thema, bei dem die Sozialdemokratie vielleicht nicht so leicht nachgeben will. Es ist möglich, dass die Rechte eine große Schlacht in diesem Bereich scheut, aber in jedem Fall ist dies eine Bedrohung, auf die wir vorbereitet sein müssen.

Bei Tesla würde dessen Niederlage den Kampf für Tarifverhandlungen in den USA stärken. Dort haben die United Auto Workers (UAW) kürzlich einen 46-tägigen Streik abgebrochen, nachdem Ford, Stellantis und General Motors einen Rückzieher gemacht hatten. Musk will den Autoarbeiter:innen nicht weiter nachgeben und auch nicht noch mehr Feuer ins Öl gießen, aber gleichzeitig ist es schwierig, hier einen Betrieb zu führen, wenn der gesamte LO ein Machtwort spricht. Vielleicht könnte er eine Lösung in Erwägung ziehen, die derjenigen von Amazon in Schweden ähnelt. Das Geschäft wird an Subunternehmer:innen ausgelagert, für die Tarifverträge gelten. Es wäre sicherlich noch schwieriger für Musk, wie Jeff Bezos von Amazon so zu tun, als ob nicht Tesla, sondern nur ein/e Subunternehmer:in Tarifverträge hätte, wenn dies so eindeutig nach einer Niederlage für die schwedische Gewerkschaftsbewegung geschehen ist. Aber vielleicht ist das eine Möglichkeit.

Organisiert die Basis!

Darüber wollen wir nicht weiter spekulieren. Wichtig ist, dass dies ein Kampf ist, den die Arbeiter:innenbewegung gewinnen muss. Wenn es einem Unternehmen erlaubt wird, Tarifverträge zu verweigern, werden andere folgen. Diesmal scheint die Gewerkschaftsführung dem gleichen Ziel verpflichtet zu sein. Es wäre jedoch unklug, wenn sich die Basis der Gewerkschaften ausschließlich auf die Führung verlassen würde, um den Kampf zum Sieg zu führen. Auch wenn sie diesmal motivierter ist als sonst, wissen wir, wie vielen schlechten Verträgen und faulen Kompromissen sie zugestimmt hat.

Vor allem aber beruht die Führung der überbezahlten Bürokrat:innen über die Gewerkschaften auf der Passivität der Mitglieder. Ein Sieg gegen Tesla allein wird den Niedergang der Gewerkschaftsbewegung nicht aufhalten, aber er könnte ein Signal setzen. Um die herrschende rechte Politik zurückzuschlagen, brauchen wir kämpferische und offensive Gewerkschaften, wobei politische Streiks eine wichtige Waffe sind. Um dies zu erreichen, müssen wir eine Basisbewegung in den Gewerkschaften organisieren, mit dem Ziel, die überbezahlten kämpferischen Bürokrat:innen durch echte Vertreter:innen der Mitgliederinteressen zu ersetzen – Vertreter:innen, die für einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn den Job übernehmen, so lange bleiben, wie sie das Vertrauen der Mitglieder haben und nicht zögern, für ihre Interessen zu kämpfen. Alle radikalen Mitglieder der betroffenen Gewerkschaften, alle, die es satt haben, dass die Verträge schlecht sind, die Arbeiter:innenbewegung ständig zurückgedrängt wird: Jetzt ist die beste Zeit, sich zu organisieren! Übt Druck auf die Gewerkschaftsführung aus, damit sie keinen einzigen Schritt gegen Tesla zurückgeht, und ersetzt sie dann durch eine neue, die entschlossen ist, jede rechte Politik zurückzuschlagen!




Das Ende der Ära Rutte und die Dilemmata der niederländischen Linken

Fabian Johan, Neue Internationale 278, November 2023

Das niederländische Kabinett stürzte im Juli letzten Jahres aufgrund erheblicher Meinungsverschiedenheiten zwischen den regierenden Parteien der Koalition über die Migrationsfrage. Infolgedessen werden in den Niederlanden am 22. November Parlamentswahlen stattfinden, um eine neue Regierung zu wählen.

Mark Rutte, der die Niederlande dreizehn Jahre lang mit der VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie) regiert hat, hat angekündigt, dass er bei den kommenden Wahlen nicht mehr antreten wird. Mit seinem Rückzug gehen 13 Jahre Rutte zu Ende und die politischen Karten in den Niederlanden werden neu gemischt.

Die Ära Rutte

Er, der bisher der bevorzugte Führer der niederländischen Bourgeoisie war, hat immer im Interesse der großen Konzerne, Banken und kapitalistischen Institutionen und nicht in dem der Arbeiter:innenklasse regiert. Für die arbeitende Bevölkerung hat Rutte eine schwierige Situation herbeigeführt, die durch unbezahlbaren Wohnraum, Teilprivatisierungen des Gesundheitssystems, unsichere Arbeitsplätze, ein sinkendes Bildungsniveau und sehr hohe Lebenshaltungskosten gekennzeichnet ist. Für die großen Banken, die Superreichen und die multinationalen Konzerne hingegen hat er Steuererleichterungen eingeführt, das Arbeitsrecht liberalisiert und ein günstiges Geschäftsklima für die Bourgeoisie geschaffen. In der Europäischen Union trieb er neoliberale Reformen voran, die die Macht weiter in den Händen des Monopolkapitals zentralisieren.

Doch warum ist Ruttes Zeit abgelaufen? Sein viertes Kabinett (von nun an Rutte IV) bestand aus einer Koalition von vier Parteien, der VVD (Volkspartij Voor Vrijheid en Democratie), D66 (Demokrat:innen 66), ChristenUnie (CU; Christ:innenunion) und Christen Democratisch Appèl (CDA; Christlich-Demokratischer Aufruf). Das Kabinett war von Anfang an instabil, seine Bildung dauerte mehr als 299 Tage und es gab viele interne Meinungsverschiedenheiten darüber, wie die Niederlande am besten regiert werden sollten. In der ursprünglichen Koalitionsvereinbarung waren die wichtigsten Punkte, die das Kabinett einte, eine 55 %ige Verringerung der CO2-Emissionen bis 2023, eine Verringerung des Stickstoffausstoßes, die Abschaffung der Vermieter:innensteuer, eine stärkere Regulierung des liberalisierten Wohnungssektors, eine Erhöhung des Mindestlohns um 7,5 % und mehr Geld für das Militär. Das letzte Versprechen hielt Rutte IV am treuesten, denn die niederländische Regierung unterstützte das ukrainische Militär in großem Umfang mit Ausrüstung, Panzern, Kampfjets und militärischer Ausbildung. In den Jahren 2022 und 2023 wurden die Löhne zwar erhöht, aber nur aufgrund von Streiks der Beschäftigten der nationalen Eisenbahngesellschaft (NS) und anderer Beschäftigter im Verkehrssektor.

Rassismus und Rechtspopulismus

Am meisten versagt hat Rutte IV bei der Behandlung von Flüchtlingen und Asylbewerber:innen. Die Kriege in Syrien, Afghanistan, im Irak, Jemen und der Ukraine haben dazu geführt, dass Millionen von Menschen aus ihrem Land fliehen mussten. Flüchtlinge, die Monate und Jahre unter entsetzlichen Bedingungen auf der Flucht vor dem Krieg verbrachten, kamen in die Niederlande und mussten feststellen, dass die Bedingungen hier nicht viel besser sind. Keines von Ruttes Kabinetten hat nennenswert in die Verbesserung der Einrichtungen für Asylbewerber:innen investiert. Dafür mobilisierte aber die Rechte. Wenn die Regierung den Bau einer neuen Einrichtung ankündigt, kommt es häufig zu rechten Hasskampagnen gegen Migrant:innen. In einem Fall wurde sogar ein Hotel, das in eine vorübergehende Flüchtlingsunterkunft umgewandelt werden sollte, von örtlichen Faschist:innen niedergebrannt.

Zwischen 2019 und 2023 organisierten Großbäuer:innen zudem massive Proteste, bei denen sie mit Traktoren durch Den Haag fuhren, um sich gegen Umweltvorschriften zu wehren, die von ihnen eine Verringerung der Produktion verlangen würden. Diese Proteste wurden von FvD-, JA21- und PVV-Mitgliedern gut besucht und erhielten erhebliche Unterstützung von Menschen in kleineren Städten und auf dem Land (FvD: Forum für Demokratie; JA21: Partei in Nordholland; PVV: Partei für die Freiheit). Die großkapitalistische Agrarindustrie finanzierte die Gründung der Bürger:innen-Bäuer:innen-Bewegung (BBB), die der politische Ausdruck der reaktionären Bäuer:innenproteste ist und bei den nächsten Parlamentswahlen voraussichtlich 13 bis 16 Sitze erringen wird. Mit dem Rechtsruck der VVD wollte man die Stimmen der rechtsextremen Anhänger:innen von FvD, PVV, JA21 und BBB auf sich ziehen.

Mögliche Ergebnisse

Doch ein Sieg der VVD ist keineswegs sicher. Zur Zeit konkurrieren in den Umfrage drei Parteien darum, wer stärkte Fraktion im 150 Abgeordnete umfassenden Parlament wird: die VVD, die NSC (Nieuw Sociaal Contract; Neuer Sozialvertrag) oder die gemeinsame Liste von PvdA/GL (Arbeiter:innenpartei/Grün-Links) liegen in den Umfragen vorn und könnten 25 bis 30 Sitze erreichen. Alle drei wären im traditionell zersplitterten Parlament – zur Zeit sind darin 17 Parteien vertreten – auf Mehrparteienkoalitionen angewiesen, was an sich nichts Neues in den Niederlanden ist. Aber es wird komplizierter aufgrund der Umgruppierungen im bürgerlichen Lager.

Traditionell geben die Konservativen, die nicht für die VVD stimmen, ihre Stimme der CDA, einer christlichen Partei der Mitte-Rechts-Bewegung. Die CDA hat eine starke Basis in den kleineren Städten und Dörfern sowie in einem Teil der niederländischen Bourgeoisie. Infolge der Kabinettskrise hat sich die CDA gespalten. Einige ihrer Mitglieder schlossen sich dem eher rechtsgerichteten BBB an und treten bei den kommenden Wahlen als Kandidat:innen an. Eine große Gruppe Gemäßigter um das ehemalige CDA-Mitglied Pieter Omtzigt gründete die NSC, die versucht, der christlich-demokratischen Politik der CDA neues Leben einzuhauchen.

Obwohl sich die NSC für die soziale Sicherheit und Wiederherstellung des Vertrauens in die Regierung einsetzt, ist ihre Migrationspolitik genauso rechts wie die der VVD. Die Umfragen zeigen, dass die VVD, die NSC und die BBB zusammen zwischen 60 und 65 Sitze im Parlament erhalten könnten. Das gibt ihnen die Flexibilität, die anderen rechten Parteien auszuwählen, die mit ihnen eine Koalition eingehen.

Ein mögliches und sehr wahrscheinliches Ergebnis der Parlamentswahlen im November sind also große Siege für die Rechte. Obwohl er sich als Beschützer der sozialen Sicherheit, der Renten und der Arbeitsplätze positioniert, werden Pieter Otmzigt und die NSC nicht in der Lage sein, eine massive Sparwelle aufzuhalten, die darauf abzielt, alles zu privatisieren und einen autoritären Staat zu schaffen. Migrant:innen, Flüchtlinge und Asylbewerber:innen werden die ersten Opfer dieser Regierung sein und keine Verbesserung ihrer Situation im Vergleich zu ihrem Heimatland erleben.

Das andere mögliche Ergebnis ist ein Wahlsieg von PvdA-GroenLinks, die bei den Wahlen auf einem einzigen Ticket antreten. Seit Anfang der neunziger Jahre ist die niederländische Arbeiter:innenpartei (PvdA) nach rechts gerückt und hat ihre früheren linken Positionen aufgegeben.

Diese Veränderungen ermöglichten es ihr, in Ruttes zweitem Kabinett mitzuwirken und im Namen der Bourgeoisie zu regieren. PvdA-Führer:innen erhielten hochrangige Ministerposten und wurden mit der Drecksarbeit betraut, Ruttes Sparmaßnahmen durchzuführen, insbesondere im Bildungs- und Wohnungswesen. Im Jahr 2017 schnitt die PvdA bei den Wahlen schlecht ab und verlor viele Parlamentssitze. Dies war auf jahrelanges Missmanagement während der Regierungszeit mit der VVD zurückzuführen. Sie hat keine Perspektive, den Kapitalismus zu beenden oder die Arbeiter:innenklasse an die Macht zu bringen. Die PvdA ist also eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei, die kapitalistisch geprägt ist und ein bürgerliches Gesellschaftssystem verteidigt, deren soziale Basis aber die Arbeiter:innenklasse bildet.

GroenLinks hat eine etwas andere Geschichte, folgte aber einem ähnlichen Rechtsruck wie die PvdA in den 90er und 2000er Jahren. Im Jahr 1990 schlossen sich die ehemalige Kommunistische Partei (CPN), die Pazifistische Sozialistische Partei und zwei fortschrittliche christliche Parteien zu GroenLinks zusammen. Die progressiven christlichen Parteien, aus denen sich GroenLinks zusammensetzte, dominierten ihr Programm. In den 2000er Jahren bewegte sich GroenLinks weiter in Richtung Mitte und positionierte sich als liberale Partei und vertrauenswürdige Partnerin. Genau wie die PvdA war GroenLinks eine Juniorpartnerin der niederländischen Bourgeoisie und stimmte häufig für Gesetze, die die soziale Sicherheit, die Renten und Arbeit„nehmer“:innenrechte einschränkten. Die Partei hat in der Vergangenheit mit der VVD zusammengearbeitet, deren Standpunkte unterstützt und eine opportunistische Haltung eingenommen.

Den Umfragen zufolge ist es durchaus möglich, dass die PvdA-GroenLinks als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen wird. Die PvdA-GroenLinks-Allianz wird von Frans Timmerman angeführt, der an der Spitze der Europäischen Kommission stand und einer der Hauptverantwortlichen für den europäischen Green New Deal war. PvdA-GroenLinks hat ein Reformprogramm, mit dem einige der Probleme angegangen werden sollen, die in 13 Jahren Rutte entstanden sind, z. B. Klimawandel, Wohnungskrise, teure Gesundheitsfürsorge, hohe Verschuldung von Student:innen, verstärkter Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, Erhöhung des Mindestlohns.

Sollte die PvdA-GroenLinks die Wahl gewinnen, müsste sie eine Koalition mit Parteien des bürgerlichen Zentrums oder sogar mit den Rechten bilden, um zu regieren. Damit wären ihre Reformversprechen gleich zu Beginn kassiert.

Sozialistische Partei (SP)

Die Sozialistische Partei bleibt die fortschrittlichste Partei und hat Verbindungen zur Arbeiter:innenbewegung. Sie ist in den 1970er Jahren aus der maoistischen Bewegung hervorgegangen, wandelte sich jedoch zur einer reformistischen Partei. 1994 gab sie den Marxismus ganz auf. Die Führer:innen der SP sehen sich selbst eher als linke Sozialdemokrat:innen denn als revolutionäre Sozialist:innen. Sie betrachten den Sozialismus als eine Verteidigung des Wohlfahrtsstaates und formulieren ihre Politik eher in ethischen als in politischen Begriffen. Die SP ist somit eine bürgerliche Arbeiter:innenpartei, die zwar bedeutende Stimmen aus der Arbeiter:innenklasse erhält, deren Führung und Organisation aber strukturell auf das kapitalistische System ausgerichtet ist.

Deutlich lässt sich das an ihrer problematischen Position zur Migration zeigen, die sie schon seit den 1980er Jahren vertritt. Die SP fordert Einwanderungskontrollen, die ihrer Ansicht nach die Rechte der Lohnabhängigen schützen und die ungeregelte Einwanderung einschränken würden. Anstatt für Einwanderungskontrollen einzutreten, sollte die SP dazu aufrufen, die Migrant:innen zu organisieren und die Gewerkschaftsbewegung ermutigen, den Kampf für ihre Rechte anzuführen. Die SP vertritt außerdem eine euroskeptische Haltung und möchte die Herrschaft der „nicht gewählten Bürokrat:innen in Brüssel“ beenden und die Entscheidungsgewalt in den Händen der niederländischen Regierung konzentrieren.

Die SP vertritt zugleich fortschrittliche Positionen zur Gesundheitsversorgung, zum Wohnungsbau, zur Studienfinanzierung, zur Verstaatlichung von Versorgungs- und Verkehrsbetrieben und zur Besteuerung von Superreichen und Großkonzernen.

Obwohl die Partei keine formale Beziehung zum größten Gewerkschaftsverband, dem FNV (Federatie Nederlandse Vakbeweging; Niederländischer Gewerkschaftsbund), hat, sind viele niederländische Gewerkschafter:innen in der SP aktiv und stimmen für sie. Ihr derzeitiger Vorsitzender, Tuur Elzinga, vertrat die SP von 2006 bis 2017 in der Ersten Kammer des Parlaments. Die SP führt häufig Kampagnen der Gewerkschaften im Parlament durch, wie z. B. die Voor14-Kampagne, die einen Mindeststundenlohn von 14 Euro anstrebte (und inzwischen durch eine Kampagne für einen 16-Euro-Stundenlohn ersetzt wurde). Wir empfehlen eine kritische Stimmabgabe für die SP bei den Wahlen am 22. November.

Wir lehnen jede Beteiligung der SP an einer bürgerlichen Koalitionsregierung ab, auch an einer von PvdA-GroenLinks geführten. Stattdessen sollte SP, Gewerkschaften und soziale Bewegungen gegen die nächste bürgerliche Regierung und deren Angriffe mobilisieren.

Rolle der Gewerkschaften

Unabhängig vom Ausgang der Wahlen ist es von entscheidender Bedeutung, die Gewerkschaftsbewegung in den Niederlanden zu stärken. In den Jahren 2022 und 2023 gab es einige groß angelegte Streiks im Verkehrs- und Gastgewerbesektor. In Schiphol (Flughafen Amsterdam) organisierten die Gepäckarbeiter:innen und das Sicherheitspersonal im April 2022 einen Streik, der zur Streichung von Flügen und zur Schließung des gesamten Flughafens führte. Die Gewerkschaft FNV unterstützte den Streik zunächst nicht, übernahm dann aber im Sommer die meisten Forderungen und erreichte erhebliche Verbesserungen des Tarifvertrags (CAO; Kollektives Arbeitsabkommen), der für alle Beschäftigten in Schiphol gilt. Später im November organisierten die Beschäftigten der nationalen Eisenbahngesellschaft NS Streiks, durch die der Zugverkehr für einige Tage vollständig eingestellt wurde. In der Folge erreichten sie enorme Lohnerhöhungen, inflationsbereinigte Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Obwohl nur etwa 15 % der Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind, zeigen diese Streiks, dass die arbeitenden Menschen in den Niederlanden gewinnen können, wenn sie aktiv werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die niederländische Gewerkschaftsbewegung aufzubauen und insbesondere die Organisation der Basis zu stärken.

Die vergangenen neoliberalen Regierungen sowie alle derzeitigen linken und rechten Parteien haben von „Teilhabe“ gesprochen. Wirkliche Teilhabe an der Gesellschaft ist nur durch einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus und die Organisation der Massen in Arbeiter:innenräten möglich. Nur wenn die arbeitenden Menschen ihre eigenen unabhängigen Organisationen haben – Räte, Nachbarschaftskomitees, Organisationen der Unterdrückten (d. h. Frauen, trans Personen, Migrant:innen, nationale Minderheiten) und von Mitgliedern geführte Gewerkschaften – können sie wirklich an der Gesellschaft teilhaben. Um eine radikale Transformation der Niederlande in der Nach-Rutte-Ära zu gewährleisten, müssen wir linke Organisationen aufbauen, die es den Arbeiter:innen ermöglichen, echte Macht auszuüben und die Kräfte zum Sturz der niederländischen Bourgeoisie vorzubereiten. Dies erfordert einen revolutionären Angriff nicht nur auf die niederländische Bourgeoisie, sondern auf das gesamte internationale kapitalistische System.

Ein Schlüsselelement für den Bruch mit dem Kapitalismus ist ein revolutionäres sozialistisches Programm, das die aktuellen Kämpfe der Arbeiter:innen mit dem langfristigen Ziel der sozialistischen Transformation verbindet. Dazu ist eine revolutionäre Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse in den Niederlanden notwendig, die Teil eines größeren Kampfes für eine vereinigte sozialistische Föderation Europas wäre.




Belgische Transportarbeiter:innengewerkschaften gegen Waffenlieferungen an Israel

Mattis Molde, Infomail 1235, 3. November 2023

Ein bemerkenswertes Beispiel für internationale Solidarität: 4 Gewerkschaften rufen gemeinsam auf, keine Waffen über das oder aus dem Land zu versenden! Alle Beschäftigten werden aufgefordert, solche Transporte nicht abzufertigen.

Die sozialistischen belgischen Transportgewerkschaften in Flandern und der Wallonie, BBTK (Bond van Bedienden, Technici en Kaderleden; Verband der Angestellten, Techniker:innen und Manager:innen) und BTB/UBT (Transportarbeiter:innenbund), sowie die entsprechenden Branchengewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes, ACV Puls und ACV Transcom haben ihre Mitglieder am Dienstag aufgefordert, sich nicht mehr am Transport von Waffen nach Israel zu beteiligen (ACV: Algemeen Christelijk Vakverbond; Allgemeiner Christlicher Gewerkschaftsbund).

„Während in Palästina ein Völkermord stattfindet, sehen Arbeiter:innen an verschiedenen Flughäfen in Belgien Waffenlieferungen in Richtung des Kriegsgebiets“, zitierte Reuters aus einer gemeinsamen Pressemitteilung. „Wir, mehrere in der Bodenlogistik tätige Gewerkschaften, fordern unsere Mitglieder auf, keine Flüge abzufertigen, die militärische Ausrüstung nach Palästina/Israel transportieren“, heißt es in dem Aufruf. „Als Gewerkschaften stehen wir an der Seite derjenigen, die sich für den Frieden einsetzen.“ Sie fordern einen sofortigen Waffenstillstand und verlangen von der belgischen Regierung, keine Waffenlieferungen über belgische Flughäfen zu dulden. Die Gewerkschaften folgen damit einem entsprechenden Aufruf ihrer Kolleginnen und Kollegen in Palästina vom 16. Oktober. In Belgien sind die „christlichen“ Gewerkschaften übrigens Massenorganisationen, die ihre Wurzeln in der Geschichte der belgischen Arbeiter:innenbewegung haben, keine Gegengewerkschaften wie der CGB in Deutschland.

Was wir tun können

Das ist ein hervorragendes Beispiel für alle Transportgewerkschaften. In Deutschland wären das ver.di, EVG, GDL, aber auch Cockpit und viele kleine Verbände, die z. B. am Frankfurter Flughafen entstanden sind, nachdem dort ver.di keinen umfassenden Widerstand gegen Ausgliederungen und Lohnkürzungen geleistet hatte.

Kämpferische Gewerkschafterinnen sollten nicht nur Erklärungen und Aufrufe an ihre Führungen richten, sondern auch Kontrollkommissionen einrichten, die Waffenlieferungen untersuchen: woher, wohin.

Eine Vorlage für einen solchen Aufruf gibt es bei der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften VKG:

Italien

Schon vor zwei Wochen hatten Basisgewerkschaften aus Italien, ebenfalls viele aus dem Transport- und Logistiksektor erklärt:

„Wir unterstützen euren Aufruf, die Lieferungen von Waffen an Israel zu boykottieren, die gegen das palästinensische Volk eingesetzt würden“, hieß es bereits am 17. Oktober in einem Brief der italienischen Basisgewerkschaft SI Cobas an die Gewerkschaften in Palästina. „Als große Gewerkschaft im Logistiksektor werden sich die Beschäftigten von SI Cobas gegen jeden Waffentransport nach Israel aussprechen, von dem sie Kenntnis erlangen.“ Eine gerechte Lösung der Palästinafrage komme nicht von den „Großmächten oder den kapitalistischen Regierungen der Region“, sondern nur „durch den gemeinsamen Kampf der Arbeiter:innen des Nahen Ostens, alle Ethnien und Religionen eingeschlossen.“

Die Beschlüsse der belgischen und italienischen Gewerkschaften bilden einen scharfen Kontrast zu den sozialchauvinistischen und proimperialistischen Beschlüssen der Führungen der DGB-Gewerkschaften. Sie zeigen aber auch: Eine andere, eine internationalistische Gewerkschaftspolitik ist möglich. Lasst und dafür auch in den Gewerkschaften in Deutschland kämpfen!