Arbeitskämpfe in Österreich im Reproduktionsbereich

Aventina Holzer, Fight! Revolutionärer Frauenzeitung, März 2023

Österreich ist ein Land, das nicht unbedingt für seine Arbeitskämpfe berühmt ist. Aber die drohende Krise und speziell die Covidpandemie mit ihren Auswirkungen für den Reproduktionssektor haben vermehrt dazu geführt.

Speziell in der Pandemie wurde viel Aufmerksamkeit auf die Pflege und andere Krankenhausmitarbeiter:innen gelegt, die unter sehr schwierigen Arbeitsbedingungen essenzielle Tätigkeiten verrichten. Neben diesen wurde auf den Pflegenotstand aufmerksam gemacht. So werden bis 2030 76.000 zusätzliche Arbeitskräfte gebraucht sowie bessere Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie gefordert. Es gibt momentan auch Kampagnen, die verlangen, dass Pflege als Schwerstarbeit kategorisiert wird, um die tatsächlichen Auswirkungen der Arbeit aufzuzeigen.

Die Wiener Partei LINKS, in der die Genoss:innen des Arbeiter*innenstandpunkts aktiv sind, hat zur Unterstützung dieser Arbeitskämpfe eine Kampagne gestartet, in der versucht wird, die Situation in der Pflege im Spital mit der der häuslichen zu verbinden und aufzuzeigen, was hier alles falsch läuft.

Das sind aber nicht die einzigen Aktivitäten im Reproduktionsbereich in Österreich. Im letzten Jahr streikten Elementar- und Freizeitpädagog:innen mehrmals, um gegen Personalmangel, fehlende Ressourcen und Gelder für Erziehung und die schlechte Bezahlung anzukämpfen. Die Forderungen richten sich auch konkret an die türkis-grüne Regierung. Die korrupte, türkise und rechtskonservative Volkspartei steht schon seit Jahren auf Kriegsfuß mit der öffentlich-staatlichen Förderung von Bildung. Die Grünen opfern ihre Versprechen dem Erhalt ihre Regierungssitze. Bemerkenswert ist, dass die Streiks ausstrahlten und immer mehr Sektoren und zusammenhängende Bereiche gemeinsam in den Ausstand treten.

So fand am 8. November 2022 ein Streiktag der Sozialwirtschaft Österreich statt, wo von der Pflege bis hin zur Nachmittagsbetreuung viele Arbeiter:innen des sozialen (und reproduktiven) Bereichs auf die Straße gegangen sind und bessere Kollektivvertragsabschlüsse gefordert haben. Von den geforderten 15 % wurden 8 % zugestanden. Angesichts einer Inflationsrate von 8,6 % im Jahr 2022 bleibt dieser Abschluss jedoch unter der aktuellen Preissteigerung. Es kommt daher nicht nur darauf an, weiter die Kämpfe auf die Straße zu bringen und sie miteinander zu verbinden. Notwendig ist ein politischer, unbefristeter Massenstreik für die automatische Anpassung der Löhne und Gehälter, der Renten und anderen Transferleistungen an die Preissteigerung – kontrolliert von demokratisch gewählten Ausschüssen der Beschäftigten.




Wirtschaftskrise und politische Instabilität: Politisch-Ökonomische Perspektive 2023

Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1214, 19. Februar 2023

Stagflation und instabile Regierungskoalition 2023

2023 wird die österreichische und europäische Wirtschaft in eine Rezession bei gleichzeitigen hohen Inflationsraten eintreten. Das ist die logische Folge aus schon länger fallenden Industrie-Profitraten und der gestiegenen Unsicherheit in Produktion und Kapitalverwertung. Diese Einschätzung teilen auch die wichtigsten bürgerlichen Wirtschaftsforschungsinstitute, das WIFO schreibt: „Nach der kräftigen Expansion im 1. Halbjahr 2022 befindet sich die österreichische Volkswirtschaft mittlerweile in einer Abschwungphase. Die Konjunkturabschwächung betrifft sämtliche Wertschöpfungsbereiche; das verarbeitende Gewerbe dürfte sogar in eine Rezession schlittern.“[1], und spricht von Stagflation.[2] Das Institut für Höhere Studien IHS prognostiziert für 2023 ein Wachstum von nur 0,3 % bei einer Inflationsrate von 8,6 %.[3] Die EU Kommission prognostiziert 2023 eine Rezession im gesamten Euro-Raum.[4]

Der Wirtschaftsabschwung 2023 hat denselben Hintergrund wie die Hochinflation 2022. Die Profitrate, also das Verhältnis von Profit zur Gesamtinvestition in Maschinen, Arbeitskraft, Miete usw., in der Industrie geht bereits seit Jahren zurück, was 2020 schon vor der Corona-Pandemie zu einem beginnenden Abschwung geführt hat. Der wurde dann aber von den Lockdownfolgen „überholt“ und aufgenommen. Am grundlegenden Problem (der Überakkumulation, siehe später im Text) hat sich aber nichts geändert, weil die in kapitalistischen Krisen übliche Vernichtung von Kapital durch Staatshilfen ersetzt wurde.

Fallende Profitraten befeuern auch die Inflation. Inflation ist im Großen die Summe aus individuellen Firmenentscheidungen, Preise zu erhöhen. Wenn ein:e individuelle:r Kapitalist:in auf zahlungsfreudige Nachfrage trifft, kann sie entscheiden mehr zu produzieren, oder mehr Geld zu verlangen. In einer unsicheren Wirtschaftssituation werden Kapitalist:innen eher die Preise erhöhen, statt zu investieren, und selbst die Firmen, die diese Entscheidung selber nicht getroffen hätten, „machen mit“ (blöd wären sie, wenn sie sich das entgehen lassen würden). Aber höhere Preise für dieselbe Warenmenge bremsen auch die Kapitalakkumulation, also die Verwandlung von Kapital in mehr Kapital durch Wieder-Investition. Eine Situation, in der die Kapitalakkumulation nicht funktioniert, läutet die Rezession ein, auch wenn einzelne Branchen noch hohe Profite machen.

Kapitalakkumulation funktioniert in drei Schritten: Aus Geld werden Waren (Produktionsmittel und Arbeitskraft), aus diesen Waren im Produktionsprozess andere Waren (die fertigen Produkte), und diese Waren werden zu mehr Geld gemacht (die Verwertung des Kapitals). Wenn einer der drei Übergänge ernsthaft unterbrochen wird, stockt die Akkumulation des Kapitals, eine Krise bricht aus. Die Kombination aus Corona, Klimakrise und Krieg hat an allen drei Übergängen Sand ins Getriebe geworfen.

Der Einfluss durch die globale Pandemie, die Auswirkungen der Klimakrise und den russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist besonders und zum Beispiel anders als die Krisendynamik der Finanzkrise ab 2008. Lockdowns in Produktionsstätten, Überschwemmungen und Dürren stören die Produktion, also die Verwandlung von Vorprodukten in Waren. Geschlossene Häfen und abgebrochene Wirtschaftsbeziehungen unterbrechen globale Produktionsketten, die in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt wurden, um den tendenziellen Fall der Profitraten zu bremsen. Generell führt die neue imperialistische Blockbildung zu einer Art De-Globalisierung, und unterläuft damit das Geschäftsmodell vieler imperialistischer Staaten. Das gilt auch für Österreich, dessen Bank- und Handelskapital eng mit den Balkanstaaten und Russland verwoben ist.

Eine Rezession wird zu Entlassungswellen und einem Einbruch der Arbeiter:inneneinkommen führen. Wenn wir aus der Erfahrung der Coronakrise schließen, werden die europäischen Regierungen rasch und schnell mit Subventionen eingreifen, die vor allem den Kapitalist:innen zugutekommen. Um die Verteilung der Krisenkosten wird wohl nicht mehr dieses Jahr gekämpft werden, die Regierung wird aber in der Zukunft auf Austerität, also Sparpolitik, und Deregulierung des Arbeitsrechts setzen. Insofern wird 2023 wohl von der Rezession und Abwehrkämpfen am Arbeitsplatz, aber noch nicht von Austerität und Widerstand dagegen geprägt sein. Dabei ist auch zu beachten, dass die Kosten für die Corona-Hilfen auch weiterhin stark auf den Regierungen lasten und noch nicht wieder zurückgeholt werden konnten. Das ist sicher auch einer der Gründe für die Unsicherheit im Handeln der jetzigen Regierung.

Die türkis-grüne Koalition ist instabil und angreifbar. Sie hat in den Umfragen massiv an Zustimmung verloren, die Minister:innen werden nicht anerkannt und die beiden Parteien streiten heftig, miteinander und intern. Das macht sie nicht weniger klassenbewusst (für die herrschende Klasse), sie verliert die Perspektive als „ideelle Gesamtkapitalistin“ aus dem Blick, weil der eigene Machtverlust bedrohlicher ist. Sie kann derzeit schon durch vergleichsweise wenig Druck auf der Straße und in den Betrieben zum Einlenken gezwungen werden.

Gleichzeitig setzt die ÖVP in solchen Fällen auf offenen Rassismus (Sachslehner: „Jeder Asylantrag ist einer zu viel“) und staatliche Schikanen vor allem gegen Asylwerber:innen. Auch die SPÖ hat nach der Wahl im Burgenland einen Kurs des offen hetzenden Rassismus eingeschlagen (Rendi-Wagner: „Wir haben ein Migrationsproblem“).

Die sozialdemokratische Opposition ist seit dem Abtreten von Sebastian Kurz schwach und fast handlungsunfähig. Ihre Strategie, die Regierung durch Untersuchungsausschüsse unter Druck zu setzen hat nicht funktioniert. Sicher auch deshalb, weil die ÖVP die Geschäftsordnung und Medienlandschaft geschickt navigiert, aber auch weil der Ausschuss-Fokus der SPÖ von Anfang an eine Vermeidungsstrategie war, um nicht auf die eigene Mitgliedschaft, die Betriebe, oder außerparlamentarische Oppositionsarbeit zurückzugreifen. Unter dem Eindruck von Krieg und Hochinflation arbeitet die Bundespartei als „loyale Opposition“, die Verbesserungsvorschläge macht und die langsame Umsetzung kritisiert. Die SPÖ präsentiert kein Alternativprogramm zur Regierungslinie und macht folgerichtig auch keinen Druck auf Neuwahlen oder wirksamen politischen Widerstand. Die Neuwahlen können natürlich trotzdem kommen, aber aus der Instabilität der Regierungskoalition wird sie den Sozialdemokrat:innen eher „passieren“.

In dieser Situation ist eine Annäherung der Nehammer-ÖVP an Kickl und die FPÖ möglich. Die Parteien stimmen in weiten Teilen ihrer Krisenpolitik überein, die aus rassistischer Spaltung und Politik im Sinne der Reichsten besteht. Die soziale Rhetorik der FPÖ ist auch nicht teurer als die Forderungen des Gewerkschaftsflügel in der SPÖ (als mögliche Alternative). Es ist nicht gesagt, dass die türkis-grüne Koalition platzen wird, sie ist aber viel Druck ausgesetzt. Eine Neuauflage des schwarz-blauen Rechtsblocks und seiner radikalen Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse ist also durchaus im Bereich des Möglichen.

Es gibt keine tragfähige und politisch denkbare Koalition ohne ÖVP, es ist aber eine neue große Koalition mit einer deutlich nach rechts rückenden SPÖ denkbar. Das beschleunigt auch die Tendenzen innerhalb der ÖVP, die grüne Koalitionspartnerin anzugreifen.

Zusammengefasst ist die politische Ökonomie seit 2020 von den gleichzeitigen Auswirkungen der Gesundheitskrise, Klimakrise und der imperialistischen Zuspitzung geprägt. Daraus entstehen recht komplizierte Wechselwirkungen zwischen Produktion und Verwertung, die die kommende Rezession vertiefen werden.

Ausgangslage: Lockdowns und kapitalistische Reproduktion

Die grundlegende ökonomische Dynamik im Kapitalismus ist die Akkumulation von Kapital, die Marxist:innen in den „Reproduktionsschemata“ darstellen. Kapitalist:innen tauschen Kapital in Geldform (oft zumindest teilweise als Kredit) für Waren, besonders Produktionsmittel, Vorprodukte und Arbeitskraft. Wenn die im Produktionsprozess zusammenwirken, entstehen neue (andere) Waren. Werden diese verkauft, hält der/die Kapitalist:in am Ende wieder Kapital in Geldform in der Hand, im Idealfall mehr als am Anfang (die Verwertung des Kapitals). In einer nächsten Runde wird dieses Geld wieder in mehr Kapital investiert, dadurch vermehrt sich das gesellschaftliche Kapital ständig („Kapitalakkumulation“). Abgekürzt wird das als Geld – Ware – andere Waren – mehr Geld oder G – W – G‘ dargestellt.

Die Kapitalakkumulation ist der grundlegende Motor der kapitalistischen Entwicklung. Sie hat die Warenproduktion (W – W‘), die Kapitalverwertung (W‘ – G‘) und die Wieder-Investition (G‘ – W) als notwendige Bestandteile.

Im Produktionsprozess sinkt aber die Profitrate auf mittlere Sicht, weil bei beschleunigter Akkumulation immer mehr Kapital auf dieselbe Arbeitskraft kommt und damit weniger Mehrwert pro eingesetztem Kapitalstock entsteht. Eine Gegenstrategie (von mehreren) zur fallenden Profitrate ist die Beschleunigung des Kapitalumschlags (der Zeit zwischen G und G‘) durch reibungslose Logistik, globale Produktionsketten, aber auch kurzfristig verfügbaren Krediten.

Die Lockdowns ab 2020 haben diese beschleunigte Reproduktion immer wieder unterbrochen. Am offensichtlichsten war das anhand von geschlossenen Fabriken, aber auch großen chinesischen Häfen und Zusammenbrüchen in Containerschiffahrt oder LKW-Transporten. Die Zerstörung mehrerer russisch-europäischer Gaspipelines und die Einschränkung der Lieferungen durch die Pipelines in der Ukraine, aber auch die Sanktionen und Lieferembargos im Rahmen des Kriegs schlagen in dieselbe Kerbe.

Niedriginflation nach 2008, Hochinflation ab 2022

Nach der globalen Wirtschaftskrise ab 2008 folgte eine lange Zeit der Niedriginflation in den imperialistischen Zentren. Die von den Zentralbanken angestrebte Durchschnittsinflation von 2 % wurde nicht erreicht, das mit „unorthodoxer Geldpolitik“ günstig verborgte Geld kam nicht über die Banken hinaus. Statt in der Konsum- oder Investitionsnachfrage landeten die Zentralbank-Milliarden an den Börsen (wo es tatsächlich zu einer Preisexplosion von Finanzprodukten, also asset inflation kam). Die Niedriginflation war eine Krisenfolge und führte zu tatsächlichen Problemen in der Kapitalakkumulation. Gleichzeitig muss gesagt werden, dass in den „Minwarenkörben“ der Arbeiter:innen sehr wohl Inflationsraten jenseits der 2 % erreicht wurden, einige neokoloniale Länder sogar in die Hyperinflation gingen.

Auf den Einbruch 2020 und den Kriegsbeginn 2022 folgte dafür eine Hochinflationsperiode. Die Preise hatten bereits ab 2021 deutlich an Fahrt aufgenommen. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem begleitenden Wirtschaftskrieg kam ein Preisschock auf den Energiemärkten dazu. Die liberalisierten Strom- und Gasbörsen auf dem Weltmarkt breiteten diesen Schock in alle Wirtschaftsbereiche aus.

Sowohl die Niedrig- als auch die Hochinflation zeigen systematische Probleme im Kapitalismus auf. Sie sind aber nicht für die Krise verantwortlich, sondern umgekehrt die Folge von erst niedrigen Profitraten und anschließend hoher Unsicherheit bei den erwarteten Profitraten. Die Antwort der Regierungen, besonders in den USA, ist eine Rezession einzuleiten, um die Konsumnachfrage zu schwächen. Die Inflation ist aber nicht durch „heißgelaufene“ Nachfrage ausgelöst worden und wird nicht im erhofften Ausmaß fallen. Trotzdem ist die Leitzinserhöhung ein wirkungsvoller Angriff, um die Krisenkosten auf unsere Schultern zu verteilen.

Neue Blockbildung und Positionierung der für den österreichischen Imperialismus zentralen Balkanstaaten

Nicht erst seit dem Krieg zeigt der weltweite Kapitalismus eine Tendenz zur Deglobalisierung. Das liegt einerseits an der neuen Blockbildung, grob zwischen den Polen USA/EU und China/Russland sowie den entstehenden Wirtschaftskriegen. Der zeitweise, wiederholte Zusammenbruch der internationalen Logistik, erst durch Ölpreisschwankungen Anfang 2020, dann durch Lockdowns, beschleunigte diese Tendenz. Die neue US-Administration führt hier im Großen und Ganzen die Trump-Politik einer weiteren Konfrontation mit China fort. Änderungen sind hier vor allem in Bezug auf 1) einen gemeinsamen Ansatz mit seinen traditionellen Verbündeten (EU, GB, Japan, Australien) aber auch neuen Verbündeten (Indien), 2) Zuspitzung auf zielgerichtetere Maßnahmen (Chips-Embargo statt Einfuhrzöllen). Im militärischen Bereich gibt es hingegen die größten Kontinuitäten (Quad, mögliche Verteidigung Taiwans gegen Angriff, etc.).

Die Blockbildung zieht sich aber auch durch Ost- und Zentraleuropa, für den österreichischen Imperialismus zentrale Regionen. Das österreichische Kapital konnte sich überhaupt erst durch den Zusammenbruch der stalinistischen Staaten und gezielte Investitionen des Bank- und Handelskapitals von Deutschland unabhängig machen. Bis heute ist Österreich am Balkan, in Zentraleuropa und in Russland über-exponiert. Das hat bereits 2011 zu massiven Verlusten österreichischer Banken geführt, als ein Rückzahlungseinbruch am Balkan mit der Rubelkrise zusammenfiel. Die teilweisen Versuche Russlands, serbische und ungarische Nationalist:innen auf ihre Seite zu ziehen, werden die Lage für das österreichische Kapital weiter anspannen und Angriffe auf die Arbeiter:innen zur Folge haben.

Bestandaufnahme: österreichische Wirtschaft 2022

2021 und 2022 hat das österreichische Kapital hohe Wachstumsraten erzielt. Das Bruttoinlandsprodukt ist um jeweils fast 5 % gestiegen. Der Arbeitsmarkt hat sich so weit erholt, dass es 2022 sogar zu einer Arbeitskräfteknappheit kam. Diese erstreckt sich von angelernten Niedriglohnberufen bis zu Facharbeiter*innen, ist also ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Das Wachstum war aber von Aufholeffekten getragen. 2021 produzierte die Industrie mehr als 2020, weil damals Fabriken und Transportwege teilweise geschlossen waren. 2022 waren es Tourismus und Hotellerie, die im Vergleich zu den Lockdownmonaten höhere Einnahmen hatten. Der Einbruch 2020 ist damit aber nicht ausgeglichen, wobei die staatlichen Hilfszahlungen hier viele Unternehmen vor der Insolvenz retten konnten. Das bedeutet aber auch, dass die Ursachen der Rezession, nämlich Überakkumulation und niedrige Profitraten, weiter auf den Ausbruch warten. Die Bruttoinvestitionen und der Privatkonsum sind 2022 bereits zurückgegangen.

Die österreichischen Banken sind gleichzeitig überexponiert, also hohem Risiko ausgesetzt, vor allem durch die Investitionen in Ost- und Zentraleuropa sowie Russland. Ein plötzlicher Einkommensverlust bei Facharbeiter:innen könnte außerdem die Kreditrückzahlung bei Hypotheken in Wanken bringen. Gleichzeitig scheinen die europäischen Regulierungsbemühungen nach 2008 bei den österreichischen Geschäftsbanken schon zu Veränderungen geführt zu haben. Die Eigenkapitalquote ist, bis auf Kleinstbanken wie im berüchtigten Mattersburg, relativ stabil. Das wird nicht ausreichen, wenn es eine gesamtwirtschaftliche Krisendynamik gibt (das zeigt auch die jetzt schon langsamere Kreditvergabe). Derzeit deutet aber nichts darauf hin, dass diese in Österreich vom Bankensektor ausgehen würde.

Eine globale Finanzkrise ist aber durchaus im Rahmen des Möglichen. 2022 gab es Liquiditätsprobleme und sogar Insolvenzen bei Energieunternehmen, die auf liberalisierten Strom- und Gasmärkten ähnlich wie Finanzinstitute agieren. Gleichzeitig kam es an den großen Aktienbörsen zu einem anhaltenden Kursverfall im ersten Halbjahr 2022, und die Kryptowährungs-Börsen erlebten Zusammenbrüche. Sowohl bei der Deutsche Bank, Credit Suisse als auch bei Blackrock wurden Finanzierungslücken öffentlich. So kann bei fallenden Finanzrenditen die Blase platzen und zu einem „Lehman Moment“ wie 2008 führen, also dem ersten großen Bank-Dominostein, der umfällt. Egal ob die Krise vom Finanzsektor ausgeht oder der Finanzsektor als Multiplikator darunter liegender Krisendynamiken funktioniert, wird mit der Rezession ab 2023 auch eine Finanzkrise einhergehen. Die Banken werden keinesfalls stabilisierend wirken können, sondern im Gegenteil die Geschwindigkeit der Krisenentwicklung weiter anheizen.

Türkis-Grüne Umverteilungsmaschine

Die türkis-grüne Regierung ist in allererster Linie instabil. Die beiden Parteien halten sich aneinander fest, für die ÖVP geht es um den Machterhalt nach dem Zusammenbruch von Schwarz-Blau, für die Grünen um die erstmalige Regierungsbeteiligung. Die politische Schnittmenge der Koalition ist gering.

Im Gegensatz zur rot-schwarzen großen Koalition sind aber bei türkis-grün die Arbeiter:inneninteressen nicht einmal mehr indirekt vertreten. Der Einfluss der Gewerkschaften im SPÖ-Parlamentsklub hat die Klasse zwar politisch gelähmt, aber sie waren nie bereit ihre grundlegenden Interessen aufzugeben. Worauf sich ÖVP und Grüne einigen können, ist eine breite Bereitstellung von Staatsmitteln an das Kapital, mit Detailfragen zu Klein- oder Großkonzernen und wie wichtig der Öko-Fokus bei den Förderungen sein soll. Außerdem wissen die Grünen, dass ihr nächstes Wahlergebnis davon abhängt, wie glaubwürdig sie ihre soziale Rhetorik formulieren.

Türkis-grün wird medial und von der Opposition vor allem als zurückhaltend und inkompetent dargestellt. Tatsächlich hat die Regierung aber als Umverteilungsmaschine von unten nach oben effektiv funktioniert. Das zeigt sich am Wachstum der Profite durch COFAG-Hilfen bei gleichzeitigen Reallohnverlusten, der Preistreiberei staatlicher Energiekonzerne (zugunsten der privaten Minderheits-Shareholder) und auch an den Vorschlägen für Verschärfungen im Arbeitslosenversicherungs- und Pensionsgesetz (auf die sich die Koalitionspartnerinnen aber nicht einigen konnten).

Für direkte Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse ist die Koalition derzeit aber zu schwach. Auch wenn die Bundes-SPÖ desorganisiert ist, haben die Gewerkschaften mit Warnstreiks und der Mobilisierung für Preissenkungen im Herbst klar gemacht, dass sie noch Kampfmittel haben. Daraus erklärt sich auch die Zurückhaltung bei Erzwingungsstreiks bei den Kollektivvertragsverhandlungen, eine Mobilisierungsniederlage hätte diese Drohung abgeschwächt.

Auch eine Neuauflage der großen Koalition ist denkbar, für die ÖVP und die hinter ihr stehenden Kapitalfraktionen aber weniger attraktiv als Schwarz-Blau und Schwarz-Grün. Diese Koalition würde den Rechtsruck der SPÖ weiter beschleunigen, die parteiinternen Konflikte beruhigen aber hinter der Fassade weiter zuspitzen. Eine SPÖ, die die Krisenausterität mitträgt, würde die Gewerkschaft nachhaltig schwächen, aber oppositionelle Kräfte in ihr stärken.

Die Instabilität der Koalition geht aber mit einem entschlossenen Kurs einher. Beide Parteien wollen dringend an der Macht bleiben, für die Grünen steht perspektivisch mal wieder die Existenz im Parlament, für die ÖVP das Umkrempeln der Partei nach Mitterlehner auf dem Spiel. Vor allem wollen sie ihre Kern-Kapitalfraktionen an sich binden, die sich wegen dem Tumult der letzten Jahre auch auf andere Kräfte (vor allem NEOS und FPÖ) orientieren könnten.

Wenn Nehammer und Kogler gemeinsam an der Macht bleiben, werden sie in die Offensive gehen müssen. Zerbrechen sie an dieser Herausforderung, droht eine neue Rechtsblock-Regierung.

Schwache Opposition

Die parlamentarische linke Opposition wird in Österreich vor allem von der Sozialdemokratie gestellt. Sie hatte bis in die 1990er-Jahre eine entscheidende Rolle im Aufbau und der Verwaltung des österreichischen Kapitals. Wegen der zentralen Rolle der verstaatlichten Industrie übernahm die Verwaltungsbürokratie die unterstützende Rolle, die andere Kapitalfraktionen für normale bürgerliche Parteien einnehmen. Damit hatte die SPÖ eine soziale Basis sowohl in der organisierten Arbeiter:innenklasse als auch im Management der Kernindustrien. Die ideologische Entsprechung war die Sozialpartner*innenschaft mit jährlichen Lohnverhandlungen und hoher kollektivvertraglicher Abdeckung als Abstimmungsmechanismus.

Die ökonomische Grundlage der Sozialpartner:innenschaft war die historische Schwäche des österreichischen Kapitals nach dem zweiten Weltkrieg. Sie war kein Zugeständnis an eine besonders kämpferischen Arbeiter:innenklasse, sondern ein Einbinden in die nationale Akkumulationsstrategie. Nachdem die ganz gut funktionierte und das österreichische Kapital ab 1990 sogar eigenständig imperialistische Bestrebungen durchführen konnte fiel die ökonomische Basis der Sozialpartner:innenschaft weg. Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten in Ost- und Zentraleuropa schuf einen Nährboden für einen eigenständigen österreichischen Zusammenbruch, gleichzeitig fiel die „Systemalternative“ weg, die viele Zugeständnisse motiviert hatte. Firmen haben, bis auf Ausnahme- und Krisensituationen, kein Interesse mehr an Sozialpartner:innenschaft, die entsprechenden Rechtsformen und die Ideologie existieren aber weiterhin.

Die Sozialdemokratie orientiert sich also weitgehend an einem Gesellschaftsentwurf, den es nicht mehr gibt. Ihre Strategie in der Regierung und in der Opposition ist die Befriedung von Klassenkämpfen bei gleichzeitiger Verlangsamung von Verschlechterungen für die eigene soziale Basis. Ihre programmatische Stoßrichtung ist aber leer und die Partei kommt auch deshalb nicht aus ihrer Krise heraus. Angesichts einer rechten Wähler:innenmehrheit bedeutet das einen massiven Bedeutungsverlust der Sozialdemokratie seit dem Zusammenbruch der stalinistischen Staaten.

Die parlamentarische Opposition hat das dadurch entstehende Vakuum nicht füllen können. Die KPÖ ist, bis auf die Steiermark, zu schwach, um ihr eigenes linksreformistisches Programm verwirklichen zu können. Noch weniger ist sie in der Lage, eigene Kämpfe gegen die Regierung zu führen oder effektiv auf die parlamentarische Ebene zu tragen.

Die Grünen als bürgerliche Partei konnten nach dem Aufflammen der Klimaproteste im ersten Halbjahr 2019 bei den Wahlen im Herbst 2019 deutlich profitieren – vor allem auf Kosten der SPÖ. Doch mit dem Regierungseintritt Anfang 2020 verlor einerseits die breite Klimabewegung an Fahrt (vielmehr ging der Fokus nach einer Pandemie-Pause auf radikalere, aber kleinere Aktionsformen über), andererseits enttäuschten die Grünen in der Regierung mit ihrer zaghaften Klimapolitik.

Aber auch die außerparlamentarische Opposition ist gleichzeitig schwächer geworden, statt den Bedeutungsverlust des Reformismus für sich zu nutzen. Wir haben es nicht geschafft, einen Fuß in die Tür zu den Gemeindebauten und Arbeiter*innenbezirken zu bekommen, als sie langsam hinter der SPÖ zugegangen ist. Zu keinem Zeitpunkt wurde außerparlamentarischen Gruppen das Vertrauen entgegengebracht, dass die SPÖ zu ihren Hochzeiten genoss, nämlich die Anliegen der Arbeiter:innen und Erwerbslosen effektiv zu vertreten.

Aber auch die klassische Rolle der außerparlamentarischen Linken, gegen die richtigen Dinge zu protestieren und scharfe Kritik zu äußern, hat sie in der Bevölkerung verloren. Gegen den Aufstieg der FPÖ, gegen Rassismus und auch gegen die eskalierende Klimakrise hatten wir noch Antworten mit Massenwirkung gefunden, auch wenn sie nicht mehrheitsfähig waren. Wir haben es aber nicht geschafft, auf Pandemiepolitik und Krieg Antworten zu finden, die breiter in der Arbeiter:innenklasse oder den fortschrittlichsten Schichten verankert wären. Die Mobilisierungsfähigkeit der radikalen Linken und der linken „Zivilgesellschaft“ ist 2022 massiv gesunken. Das ist ein ordentliches Problem, wenn wir uns auf ein Jahr der Abwehrkämpfe vorbereiten.

Perspektiven

Die Weltwirtschaft wird 2023 in eine Rezession übergehen, bei weiterhin hoher Inflation in den imperialistischen Zentren. Die ist durch die Unsicherheit in der Kapitalakkumulation getrieben, die wiederum auf den Krieg, die Pandemie, und Auswirkungen der Klimakrise zurückgeht. Das wird Österreich besonders betreffen, weil die Abhängigkeit von Energie aus Russland, und der wirtschaftlichen Entwicklung Osteuropas besonders groß ist. Das österreichische Bankensystem ist in Gebieten überexponiert, die von der neuen Blockbildung betroffen sind, wirkt aber stabil genug um nicht der Auslöser einer tiefen Krisendynamik zu sein.

Die Regierungskoalition ist instabil, sie muss sich gleichzeitig um das Vertrauen von entscheidenden Kapitalfraktionen und ein Mindestmaß an Zustimmung aus der Bevölkerung bemühen. In dieser Konstellation rechnen wir nicht mit breiten Angriffen auf die Arbeiter:innenklasse, aber großzügigen Mitteln für das Kapital und Umverteilung von Unten nach Oben. Einzelne scharfe Verschlechterungen, beispielsweise bei Erwerbslosen und rassistische Angriffe sind aber zu erwarten. Außerdem wird 2023 bestimmt ein Sparpaket vorbereitet und eventuell schon stückchenweise umgesetzt werden.

Die rechte Opposition um FPÖ und NEOS wird weiter stärker werden, sie bündelt auch effektiv die Unzufriedenheit in verschiedenen Teilen der Bevölkerung.  Ein Koalitionsbruch mit kurzem „freiem Spiel der Kräfte“ und anschließender Rechtsblock-Regierung ist eine reale Gefahr.

In dieser Situation werden sich auch die Konflikte innerhalb der SPÖ zuspitzen, die im Niedergang der Sozialpartner:innenschaft keine strategische Orientierung mehr hat. Durch den rassistischen Rechtsruck der Parteiführung sind Konflikte mit den Jugendorganisationen wahrscheinlich. Aber auch in den Gewerkschaften kann ein Streit über die Ausrichtung der eigenen Arbeit und die fehlende Kampfbereitschaft der Führung entstehen.

Kommunist:innen und Revolutionär:innen starten also mit großen Aufgaben und wenigen Ressourcen ins Jahr 2023. Um überhaupt außerparlamentarisch wirkmächtig zu werden, müssen sie eine stringente Analyse der Periode weiterentwickeln und klare Antworten auf die Fragen von Inflation und Krieg geben. Wir müssen außerdem klären und erklären, welches Feindbild in dieser Situation angegriffen werden kann – die Umverteilungsregierung, die Überprofit-Konzerne und die rechten Hetzer:innen.

In den kommenden Auseinandersetzungen, wie schon bei den rotesten um die Kollektivvertragsverhandlungen 2022, können wir den Kontakt zu organisierten Arbeiter:innen aufbauen und Zusammenarbeit mit gewerkschaftlichen Strukturen suchen. Auch die sich radikalisierende Klimabewegung und antirassistische Mobilisierungen sind Felder, wo gemeinsamer Protest und kritische Diskussionen notwendig sind.

Die immer tieferen, immer komplexeren Krisen des Kapitalismus zeigen auf, dass es eine Alternative zum bestehenden System braucht. Das bedeutet nicht nur, eine Alternative zum Kapitalismus zu entwerfen, sondern auch Organisationsformen und eine Partei aufzubauen, die die Unterdrückten vereint und mit der sie erfolgreich siegen können. In Österreich bedeutet das, den Kräften links der reformistischen Organisationen ein revolutionäres Programm vorzulegen, und sie in der gemeinsamen Aktion von einer revolutionären Methode zu überzeugen.

Endnoten

[1] WIFO Presseaussendung am 7. Oktober 2022. „Stagflation in Österreich. Prognose für 2022 und 2023.“

[2] Stagflation ist ein Begriff aus der Volkswirtschaftslehre. Bürgerliche Ökonom*innen gehen davon aus, dass Inflationsraten gedämpft werden wenn die Wirtschaft schrumpft, weil die sinkende Nachfrage auch die Preise dämpft. In den Ölpreiskrisen der 1970er-Jahre hat dieses „Patentrezept“ (das auf Kosten von Arbeitsplatzverlust und Sozialabbau geht) versagt, weil die Inflation weder von Konsum- und auch nicht von Investitionsnachfrage getrieben wurde. Von damals stammt auch das Wort Stagflation.

[3] IHS Presseinfo am 6. Oktober 2022. „IHS-Direktor Klaus Neusser zur Herbstprognose der österreichischen Wirtschaft 2022–2023: „Wir kommen mit ein paar Schrammen gut durch den Winter.“

[4] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/eu-kommission-herbstprognose-bip-inflation-101.html




1918: Die Gründung der revolutionären KPÖ

Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt (Österreich), ursprünglich erschienen in Flammende 1, Infomail 1196, 19. August 2022

Hiermit veröffentlichen wir einen schon älteren Artikel. Er wurde im Oktober 1993 unter dem Titel „Vor 75 Jahren: Gründung der revolutionären KPÖ“ in unserer Zeitung „ArbeiterInnenstandpunkt“ Nr. 55 von unserem damaligen Genossen Manfred Scharinger publiziert.

Hintergrund

Als die KPÖ am 3. November 1918 in den Eichensälen in Wien-Favoriten gegründet wurde, gehörte sie zu den ersten Kommunistischen Parteien der Welt und war im heutigen West- und Mitteleuropa sogar die allererste Gründung. Gleichzeitig war dieser formale Akt ein vorläufiger Abschluss in einem länger andauernden Differenzierungsprozess im Schoße der deutschen Sozialdemokratie in Österreich. Die am konsequentesten mit der russischen Revolution in Solidarität Stehenden vollzogen den Schritt zur eigenständigen politischen Kraft.

Zweitens war diese Gründung eingebettet in eine politisch aufs äußerste zugespitzte Situation in Mitteleuropa: Die Hohenzollernmonarchie in Deutschland stand im Herbst 1918 ebenso vor dem Ende wie die Habsburgerdynastie, deren Österreich-Ungarn im Oktober in Nationalstaaten zerfiel. Beide teilten das Schicksal des russischen Zarismus, der schon im März 1917 von den Petersburger Massen in die Knie gezwungen wurde. Nach russischem Vorbild entstanden
überall Arbeiter:innenräte – vier lange Kriegsjahre hatten weite Teile der Gesellschaft von ihrer anfänglichen Kriegsbegeisterung geheilt und Platz gemacht für Friedenssehnsucht und revolutionäres Gedankengut. Auch in Österreich schien der Weg bereitet für eine Lösung der Krise ähnlich wie in Russland, dessen soziale Revolution das Europa der Monarch:innen von Grund auf umzugestalten begonnen hatte.

In den ersten Monaten nach der Gründung der KPÖ (bzw. der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs – KPDÖ-, wie sie bis Jänner 1921 hieß) war das Proletariat die entscheidende Kraft in Österreich. Julius Braunthal, einer der Parteitheoretiker der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SdAP), stellte fest: „Die österreichische Arbeiterklasse hat seit November 1918 zu jeder Stunde die Macht, die Rätediktatur zu errichten“. Und Otto Bauer, der SP-Parteiführer, bemerkte in seiner „Österreichischen Revolution“: Jede bürgerliche Regierung wäre „binnen 8 Tage in Straßenkämpfen gestürzt, von ihren eigenen Soldaten verhaftet worden“. Nur eine Partei war in der Lage, eine Revolution in Österreich aufzuhalten: die SdAP, der es gelungen war, sich die Massenloyalität der radikalisierten Arbeiter:innenklasse zu erhalten. Ihrer Führung glückte das Kabinettstück, die revolutionären Erwartungen so weit zu kanalisieren, dass das kapitalistische System erhalten blieb, ohne dass gleichzeitig größere Teile der Basis zur neugegründeten Kommunistischen Partei überliefen. Diese Erblast wird die KPÖ von ihrer Gründung bis heute begleiten: Die übermächtige Konkurrenz der Sozialdemokratie im Lager der Arbeiter:innenklasse.

Vorgeschichte

Die österreichische Sozialdemokratie war in ihrer Geschichte immer auf zwei Dinge ganz besonders stolz: erstens auf ihre Rettung Österreichs „vor dem Bolschewismus“. Und zweitens darauf, dass in der SdAP bzw. der SPÖ nach 1945 quasi die Einheit der Arbeiter:innenklasse repräsentiert sei – mit einer KPÖ als zu vernachlässigender und entweder belächelter oder dämonisierter Restgröße. Wo liegen nun die Gründe dafür, dass die KPDÖ nach 1918 nicht zur Massenkraft wie z.B. ihre deutsche Schwesterpartei werden konnte? Der Grund ist ganz sicher nicht in einem besonderen, fast mythischen Einheitsstreben des österreichischen Proletariats zu suchen – eine populäre Erklärung, die von Viktor Adler bis Bruno Kreisky immer wieder bemüht wurde. Genauso wenig ein besonderer Antikommunismus der SPÖ – ein Argument, mit dem sich die KP-Führer:innen vor jeglichem Anteil an der spezifischen Schwäche des österreichischen „Kommunismus“ freizusprechen trachteten. Die SPD war in ihrer Geschichte nicht weniger antikommunistisch, und trotzdem war die KPD die stärkste Partei der Kommunistischen Internationale außerhalb der UdSSR. Stattdessen liegen die Gründe in den Bedingungen, mit denen die KP bei ihrer Gründung konfrontiert war und in Fehlern der jungen, unerfahrenen KP-Führung.

Anders als im Falle der russischen Bolschewiki, die schon vor dem Ersten Weltkrieg die notwendige Spaltung der Sozialdemokratie in revolutionäre und reformistische Kräfte vollzogen hatten, existierte in Österreich nie eine durchgehende revolutionäre Opposition. Dies behinderte ganz wesentlich die Herausbildung einer revolutionären Alternative zur Sozialdemokratie auch nach 1914, als die SdAP mit fliegenden Fahnen ins Lager der Vaterlandsverteidigung übergewechselt war und die Arbeit an der Gründungeiner neuen revolutionären und internationalistischen Arbeiter:innenpartei notwendig geworden war. Eine organisierte Linksopposition bestand im Unterschied zu Deutschland, wo Karl Liebknecht gegen die Kriegskredite im Reichstag gestimmt hatte, nicht. Einzig dem Reichenberger „Vorwärts“ (Nordböhmen) gebührt die Ehre, wegen seiner Antikriegsartikel verboten worden zu sein. Erst langsam bildete sich im Verlauf des Weltkrieges, als die Massenstimmung bereits zu schwanken begann, auch in Österreich eine klarer umrissene Oppositionsströmung gegen die Kriegspolitik der sozialdemokratischen Parteiführung heraus. Friedrich Adler, der gewichtigste Exponent dieser „Linken“ – wie sie sich selbst nannte – hatte 1916 den amtierenden Ministerpräsidenten, Graf Stürghk, aus verzweifeltem Protest gegen die Burgfriedenspolitik der SdAP-Führung erschossen.

Im Kreise der oppositionellen Sozialdemokrat:innen ergaben sich 1916/1917 zwei getrennte Entwicklungslinien: Einerseits kam es zu einer Versöhnung der „Linken“ mit der SdAP-Parteiführung, und andererseits setzte sich die Bewegung der „Linksradikalen“, einer Minderheitsströmung der „Linken“, zunehmend stärker von der SdAP-Führung und den nun wieder mit ihr versöhnten „Linken“ ab: Mit ihrer kompromisslosen Antikriegspolitik („Nieder mit dem imperialistischen Krieg! Es lebe der Klassenkampf! Er allein kann dem Krieg ein Ende bereiten! Arbeiter seid bereit!“- so der Schluss eines 1917 illegal verbreiteten Flugblattes) konnte sie vor allem unter proletarischen Jugendlichen und sozialistischen Student:innen viel Sympathie gewinnen – im Frühjahr 1917gewann die linksradikale Richtung vorübergehend sogar die Oberhand unter den sozialistischen Jugendlichen. Natürlich kam ihr dabei die internationale Entwicklung zugute: Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1917 in Russland standen Pate für den Aufschwung der proletarischen Bewegung, und wenn die Linksradikalen – nunmehr bereits als „revolutionäre Sozialisten“ – in einem Aufruf an die Arbeiter:innen des Artilleriearsenals schrieben: „Lernet Russisch, lernet von Petersburg!“, so konnten sie sich der Zustimmung der fortgeschrittenen Arbeiter:innen sicher sein.

Jännerstreik 1918

So hatten, als der Jännerstreik 1918 begann, die „Linksradikalen“ in Wien, vor allem aber in Wiener Neustadt und im Wiener Becken, eine beschränkte Massenbasis und Einfluss vor allem unter den fortgeschrittensten Arbeiter:innen. Der Jännerstreik wurde damit zur ersten entscheidenden Auseinandersetzung zwischen der jungen „linksradikalen“ Bewegung, die die Notwendigkeit eines Bruches mit der SdAP-Parteiführung erkannt hatte, und der „alten“ Sozialdemokratie. Die Bewegung gewann rasch an Stärke und wurde – vor allem im Wiener Neustädter Gebiet – schnell zu einem politischen Streik: Sofortige Annahme des Friedensangebotes der russischen Arbeitermacht war die Losung der Stunde.

Doch der sozialdemokratischen Parteiführung gelang das Abwürgen der Bewegung: Zu unerfahren waren die Führer:innen der „Linksradikalen“, zu sehr war es der Parteiführung gelungen, die schweren Bataillone des Proletariats von ihrer Friedenssehnsucht und Kampfbereitschaft zu überzeugen – und zu sehr lastete noch das Gewicht des Militärapparates auf der ersten großen revolutionären Streikbewegung, die mitten im Krieg die Monarchie an den Rand des inneren Zusammenbruchs gebracht hatte. Doch dieser Jännerstreik hatte noch eine zweite, für die Gründung der KPDÖ wichtige Seite: Der nach dem Abbruch der Bewegung folgenden Repressionswelle fielen v.a. die wenigen überzeugten „Linksradikalen“ zum Opfer. An die Front abkommandiert, ins Gefängnis geworfen oder aber demoralisiert von der Niederlage in der Bewegung, der im Juni 1918 eine zweite in einer Niederlage endende Streikbewegung folgte, sollten sie bis zum Untergang der Monarchie im Herbst zu ohnmächtigen Zuschauer:innen degradiert werden.

Im Frühjahr 1918 trat neben den „Linksradikalen“ eine weitere revolutionäre Gruppe um das Ehepaar Elfriede und Paul Friedländer (1) in Erscheinung. Gemeinsam mit dem sich ihnen anschließenden Kreis um Klaus Steinhardt führten sie eine streng konspirative Arbeit und blieben so, nachdem die „Linksradikalen“ vom Staatsapparat zerschlagen wurden, die einzig intakte marxistische Struktur, die dazu noch eine monatliche Zeitung, „Der Weckruf“, herausgab. So wurde die „Weckruf“-Gruppe zum Motor der Parteigründung.

Die Zerschlagung der „Linksradikalen“, die im ostösterreichischen Proletariat verankert waren, und die Festigung der Kontrolle der Bürokratie über die sozialdemokratischen Parteiorganisationen nach der Niederlage der Jännerstreiks 1918 erschwerten die revolutionäre Massenarbeit ungemein. Trotzdem: Der Zerfall des Habsburgerreiches im Oktober 1918 und allgemeine Zuspitzung der Kriegswirren machten klar, dass in Mitteleuropa die Revolution auf der Tagesordnung stand. Die Kommunist:innen zogen daraus völlig zurecht die logische Schlussfolgerung: Keine Zeit ist zu verlieren – eine Kommunistische Partei muss gegründet werden.

Nach der Gründung

Die Gründungsversammlung am 3.11.1918 selbst wurde nicht öffentlich angekündigt. Die Herausgabe eines Agitations- und Propagandaorgans wurde beschlossen, dass zuerst als „Weckruf“ dreimal pro Woche erschien und 1919 als „Rote Fahne“ zur Tageszeitung wurde. Mit mehreren Flugblättern wurden die Arbeiter, Soldaten und die „geistigen Arbeiter“ zum Beitritt in die neue Partei aufgefordert. Die Wiener Bezirksversammlungen vom 4.-12.11. waren allerdings eher mäßig besucht, was auf die relativ schwache Verankerung der Organisation hindeutet.

Dazu kam noch, dass es erst schrittweise gelang, die anderen revolutionären Kräfte außerhalb des FriedIänder/Steinhardt-Kreises für den Beitritt zu gewinnen. Die „alten Linksradikalen“ um Koritschoner wollten ursprünglich in der Sozialdemokratie Fraktionsarbeit leisten, schlossen sich aber dann am 7.12. der KPDÖ an. Dazu kamen dann auch noch die aus der russischen Kriegsgefangenschaft heimkehrenden Linken (wie Tomann und Koplenig) sowie viele revolutionäre Jugendliche, die aus dem sozialdemokratischen Jugendverband ausgeschlossen wurden oder ausgetreten waren. Etwas später stießen dann schließlich noch die Linke der jüdischen Arbeiterpartei Poale Zion sowie die „Föderation revolutionäre Sozialisten ‚Internationale‘“ hinzu.

Versagen der SdAP-Linken

Die Linken innerhalb der reformistischen Partei blieben großteils ihrer Haltung während des Krieges treu: Radikal reden, aber um jeden Preis in der Partei bleiben. Zu einem beträchtlichen Teil gelang es der alten Führung um Victor Adler und Karl Renner 1917,die Linken zu integrieren, die sich dafür mit einer loyalen, pro-kapitalistischen Politik bedankten. Bekannt ist der Ausspruch Otto Bauers: „Arbeiter und Soldaten hätten jeden Tag die Diktatur des Proletariats aufrichten können. Es gab keine Gewalt, sie daran zu hindern“. Der verbal radikalere Friedrich Adler, Attentäter von 1916, sprach sich zwar in Worten für die „Diktatur des Proletariats“ aus, wenn es aber darum ging, die Massen für den Sturz der bürgerlichen Herrschaft zu mobilisieren, versagte er komplett. AII das wurde mit Phrasen, um jeden Preis die Einheit der Partei (unter dem Deckmantel der „Einheit des Proletariats“) aufrecht erhalten zu wollen, gerechtfertigt.

Schließlich gab es noch die besten Elemente der SdAP-Linken, einerseits die Reichenberger Linke um Isa und Josef Strasser (Verfasser der Broschüre „Der Arbeiter und die Nation“), die sich umgehend der KPDÖ anschloss und andererseits die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft Revolutionärer Arbeiterräte (SARA) um Josef Frey und Franz Rothe. Letztere war von der Notwendigkeit der proletarischen Revolution überzeugt und wollte die SdAP für ein revolutionäres Programm und für den Anschluss an die kommunistische Internationale (Komintern) gewinnen. Sie übte vor allem innerhalb des Wiener Arbeiterrates eine einflussreiche Rolle aus. Doch so sehr sie auch gegen die reformistischen Verräter in der SdAP-Führung kämpfte, so schreckte sie doch vor der letzten Konsequenz zurück. Entgegen der Aufforderung der Komintern, „Vernichtungskampf gegen die österreichische Sozialdemokratie… und Vereinigung mit der KPDÖ“, schreckten Frey-Rothe in den entscheidenden Monaten 1919 vor der letzten Konsequenz, der Spaltung der SdAP und dem Anschluss an die KPDÖ, zurück. Zwar traten die revolutionärsten Teile der SARA im Jänner 1921 dann doch über und spielte gerade Josef Frey eine wesentliche Rolle in der KPDÖ, aber dieser Schritt kam zu spät. Gerade am Höhepunkt der Krise, als auch die SARA einen bedeutenden Einfluss in der Arbeiter:innenklasse besaß, gerade in dieser Situation wäre ein Bruch mit dem Reformismus am günstigsten gewesen. Eine qualitativ stärkere und einflussreichere KPDÖ wäre die Folge gewesen. So überließ die SARA der Parteibürokratie die Initiative. Nach dem Rückfluten der Revolution Ende 1920/21 wurden sie aus allen wichtigen Positionen verdrängt und schließlich ausgeschlossen. Der Rückgang ihres Einflusses drückte sich in den mageren 1,4% bei den Wahlen zum Arbeiterrat im Dezember 1920 aus, die nicht einmal 1/3 des KPDÖ-Ergebnisses darstellte.

Die Lehre daraus liegt auf der Hand: Ist es grundsätzlich immer die klare Pflicht revolutionärer Marxist:innen, eine eigenständige bolschewistische Organisation aufzubauen, so gilt das in Situationen des zugespitzten Klassenkampfes noch mehr. Nur so kann gewährleistet werden, dass man ohne Einschränkungen revolutionäre Ideen und Aktionen umsetzen kann. Diese zentrale Lehre zogen die Marxist:innen in der SARA zu spät. Andere, wie der „Vorwärts“ und seine internationale Militant-Strömung, ziehen sie teilweise überhaupt nicht, teilweise zu spät und dann aber auch nur halbherzig. Das britische Militant ist Mitte der 1980er Jahre, als es in Teilen der Labour Party einen nicht unbeträchtlichen Einfluss ausübte, in dieser um den Preis beträchtlicher politischer Anpassungen geblieben, um Anfang der 1990er Jahre, in einer Situation des Niedergangs und der Passivität der Parteibasis, auszutreten. Und Congress Militant in Südafrika weigert sich sogar angesichts der vorrevolutionären Situation in Südafrika und des offenen Ausverkaufs der bürgerlichen ANC-Führung, eine eigenständige marxistische Organisation aufzubauen, und ist auch bereit, für das Verbleiben innerhalb des ANC seine politische Kritik an der bürokratischen Führung zu mäßigen.

Aufstieg und Krise der KPDÖ

Nach Anlaufschwierigkeiten gelang der KPDÖ im Frühjahr 1919 ein kometenhafter Aufstieg von ca. 3000 Mitgliedern im Februar 1919 auf 10000 im März und schließlich 30-40000 Mitglieder im Mai 1919. Als die KPDÖ im März endlich zu den Wahlen im Arbeiterrat zugelassen wurde, erreichte sie immerhin 10% der Stimmen. Besonders unter den Heimkehrern aus der Gefangenschaft, aber auch den Soldaten (v.a. im Volkswehrbataillon 41), aber auch den arbeitslosen Massen übte sie einen bedeutenden Einfluss aus, und konnte zehntausende von ihnen für Demonstrationen mobilisieren. Dies zeigte das Potential für revolutionäre Politik und die Richtigkeit, eine selbstständige kommunistische Partei aufzubauen.

Im Zentrum der kommunistischen Agitation stand angesichts der revolutionären Zuspitzung die von den Bolschewiki entwickelte Forderung, dass die Arbeiterräte nicht der Koalitionsregierung von Sozialdemokratie und Christlich-Sozialen vertrauen dürfen, sondern selbst die Macht übernehmen müssten. „Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten!“ hieß die zentrale Losung. Die KP war damit die einzig konsequente Organisation, die angesichts des kapitalistischen Desasters auf der Notwendigkeit des Sturzes der bürgerlichen Herrschaft beharrte.

Aber auch international spielte die Partei eine wichtige Rolle. Das enthusiastische und überzeugende Auftreten des österreichischen Delegierten Steinhardt sicherte gegen die zaudernde deutsche KP die Gründung der kommunistischen Internationale im März 1919. Ebenso nahm die KPDÖ den proletarischen Internationalismus ernst und entsendete eine Kompanie der „Roten Garde“ in das von den Weißen bedrohte Räte-Ungarn, wo deren Kommandant, Leo Rothziegel, fiel. Im Arbeiter:innenrat brachte sie einen Antrag durch, aufgrund dessen in Osterreich ein eintägiger Solidaritätsstreik mit der ungarischen Räterepublik durchgeführt wurde.

Doch sollen hier nicht die Schwächen der jungen KP verschwiegen werden. In der Frühphase dominierte eine ultralinke Politik, die davon ausging, dass die Massen bloß auf den Sturm des Parlaments durch eine entschlossene revolutionäre Minderheit warten würden. (2) Daraus ergab sich eine Politik, die die Revolution mehr proklamierte als durch systematische Agitation und Kampagnen die Notwendigkeit einer Umwälzung hier und jetzt in den Massen zu verankern. Damit ging eine sektiererische Herangehensweise an die SdAP einher, die immerhin noch das Vertrauen der überwältigenden Mehrheit des Proletariats besaß. Einheitsfrontpolitik war den damaligen Kommunist:innen ein Fremdwort. Schließlich litt die Partei unter schweren Fraktionskämpfen. Dies alles führte zu einem deutlichen Rückgang ihres Einflusses. Bei den Wahlen zum Arbeiterrat im Dezember 1920 erreichte die KPDÖ nur noch 4,7%.

Erst durch die vehemente Intervention der Komintern und nach der Vereinigung mit der SARA Anfang 1921 konnte die Partei ihre Fehler weitgehend korrigieren. Unter der Führung von Frey entwickelte sie, entsprechend der Beschlüsse des 3. und 4. Weltkongresses eine flexible Einheitsfronttaktik gegenüber der Sozialdemokratie. Sie beschränkte sich nun nicht mehr auf propagandistische Entlarvungen, sondern kombinierte diese mit konkreten Aufforderungen an die SdAP zur gemeinsamen Aktion. Auf Initiative der Kommunist:innen organisierte der Wiener Arbeiterrat im Frühjahr 1922 eine Demonstration unter der Losung „Für den 8-Stunden-Tag!“, die zur machtvollsten Kundgebung der Nachkriegszeit wurde. Doch auch wenn die reformistische Parteispitze in der Regel gemeinsame Aktionen ablehnte, konnten durch diese Taktik viele sozialdemokratische Arbeiter:innen in Aktionen einbezogen werden. So wurde in Österreich, trotz Ablehnung der SdAP, die größte Spendensammlung für Sowjetrussland aller kapitalistischen Länder durchgeführt. Ebenso kam es, trotz des dezidierten Boykotts der SP-Parteispitze, am 1. Mai vielerorts zu gemeinsamen Kundgebungen. Einen Höhepunkt fand diese Politik vor dem Hintergrund der sogenannten Genfer Sanierung 1922. Durch dieses Gesetz wurde faktisch die gesamte österreichische Wirtschaft dem Diktat des Völkerbundes unterstellt. Die Sozialdemokratie kläffte, aber biss nicht. Sie schlug das Angebot zu einer gemeinsamen Protestkampagne aus. Trotzdem vermochte die KP, über 30000 Arbeiter:innen auf die Straße zu bringen.

Die zunehmende Bürokratisierung der russischen KP durch die Sinojew-Stalin-Clique führte auch zur Bürokratisierung der Komintern. Dies bedeutete eine verstärkte Unterordnung der Sektionen unter Moskau. Deren Intervention spielte dann auch eine Rolle bei der Verdrängung Freys aus der Führung auf dem VI. Parteitag im März 1923. Danach verfiel die Partei in einen permanenten Zick-Zack-Kurs zwischen sektiererischer „Einheitsfront nur von unten“ und opportunistischer Anpassung. Nach einer ultralinken Periode 1929-1933 („Sozialfaschismus-Theorie“) folgte ein scharfer Rechtsruck, der die KPÖ endgültig in eine reformistische Kraft verwandelte. Austropatriotische Ergüsse, die die Volksfront mit den Schuschnigg-Faschisten vorbereiteten, und die Erfindung der „Österreichischen Nation“ durch Alfred Klohr rundeten diese Degeneration ab.

Anmerkungen:

(1) Elfriede Friedländer spielte später bei der deutschen KP unter dem Namen Ruth Fischer eine zentrale Rolle. In den 1930er Jahren arbeitete sie eine Zeit lang bei der trotzkistischen Bewegung mit.

(2) Man nannte dies, nach einem ungarischen Emissär, „Bettelheimerei“.




Der Sonderweg der KPÖ Steiermark – ein Vorbild für die Linke?

Michael Märzen, Gruppe Arbeiter*innenstandpunkt (Österreich), ursprünglich erschienen in Flammende 1, Infomail 1196, 16. August 2022

Von den verschiedenen Landesorganisationen der Kommunistischen Partei Österreich nimmt die steirische einen besonderen Platz ein. Sie ist die bisher erfolgreichste Teilorganisation, aber auch diejenige, welche recht deutlich aus dem programmatischen und ideologischen Verständnis der Bundespartei ausschert. Aus diesem Grund war und ist ihr Verhältnis zum Bundesvorstand von Konflikten geprägt. Die KPÖ Steiermark hat sich daher aus dem zentralen Führungsgremium zurückgezogen und geht ihren Weg autonom vom Rest der Partei.

Viel interessanter und wichtiger als dieses besondere Verhältnis zur restlichen Partei sind aber die Wahlerfolge der KPÖ Steiermark. Nicht nur, dass sie in Graz Ende der 1980er Jahre als Einzige ihr Mandat im Gemeinderat halten konnte oder sie im Landtag der Steiermark seit 2005 vertreten ist, bei den Wahlen der steirischen Landeshauptstadt 2021 konnte sie ihre Stimmen um ganze 8,5 % ausbauen. Sie wurde mit 28,8 % zur Siegerin, stellt nun mit Elke Kahr die Bürgermeisterin von Graz und führt eine linke Koalition an – gemeinsam mit Grünen und SPÖ. Somit ist es nicht verwunderlich, dass die KPÖ Steiermark einen gewissen Respekt und sogar Bewunderung innerhalb von Teilen der österreichischen Linken genießt. Die Partei habe sich durch ihren ehrlichen Stil, ihre hartnäckige Unterstützungsarbeit für die Grazer Bevölkerung und ihre Bescheidenheit die Unterstützung ihrer Wähler:innen verdient. Für die österreichische Linke gelte es demnach, sich diese Erfolgsstrategie in Form von langfristiger Verankerung auf kommunalpolitischem Gebiet zu eigen zu machen.

Dem Glanz der KPÖ Steiermark stehen aber auch immer wieder politische Skandale gegenüber, die auch die wohlwollende Linke verdutzt den Kopf schütteln lassen. So wurde medienwirksam skandalisiert, dass der Landtagsabgeordnete Werner Murgg auf Vermittlung der österreichisch-weißrussischen Gesellschaft ins autoritär regierte und staatskapitalistische Weißrussland reiste, um im dortigen Staatsfernsehen die Sanktionen der EU zu kritisieren: „Sie treffen nur die einfachen Leute, das könnte Aufstände provozieren.“ Oder die Rede von Thomas Pierer im Brucker Gemeinderat, in der er mit einer kopierten AfD-Rede genderneutrale und gendersensible Sprache verhöhnte.

Auch wenn die Erfolge der KPÖ Steiermark nicht von der Hand zu weisen sind, wollen wir mit diesem Beitrag linke Organisationen und Aktivist:innen davor warnen, diese als politisches Vorbild zu betrachten bzw. ihre Politik oder gar Programmatik nachzuahmen. Die Politik der steierischen Landesorganisation ist eine defensive Ausprägung ihres stalinistischen Erbes, die kurzfristig als Erfolgsmodell erscheinen mag, aber langfristig nur in einer reformistischen1 Sackgasse enden kann.

Von Erfolgen und Konflikten

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlitterte die Kommunistische Partei Österreich in eine tiefe Krise. War sie schon davor jahrzehntelang in der politischen Landschaft marginalisiert, stellte sich nun die Frage ihrer Existenz. Der Stalinismus hatte abgewirtschaftet und auch die Reformversuche der Perestroika waren gescheitert. Die KPÖ war immer eine sehr treue Partei gegenüber der Linie der KPdSU gewesen. Ihre Beschönigung der bürokratischen Diktaturen über das Proletariat sowie die Unterdrückung von progressiven Bewegungen, wie z. B. im Prager Frühling 1968, hatten der Partei schon früher geschadet. Nun war die stalinistische KPÖ ihres wichtigsten politischen Bezugspunktes beraubt, ihre Glaubwürdigkeit am Boden. Die Wahlergebnisse erreichten ihren Tiefpunkt.

Die Erneuerungsversuche unter Michail Gorbatschow wurden zwar noch mit Hoffnung betrachtet, aber über die Ergebnisse bestanden in der österreichischen Partei nicht ausgetragene Meinungsverschiedenheiten. Mit der Krise des „kommunistischen Systems“ verfestigten sich in der KPÖ auf der einen Seite eine Mehrheit der „undogmatischen“ Erneuerung und auf der anderen Seite ein „traditionalistischer“ Flügel. Der außerordentliche Parteitag im Juni 1991 in Graz sollte ein „Reformparteitag“ sein. Der „Maxismus-Leninismus“2 der kommunistischen Parteien habe sich von vielem Neuen (Frauenfrage, Ökologie usw.) abgekapselt, hieß es dort. Die Partei sollte sich ideologisch öffnen für einen vom Dogmatismus befreiten Marxismus. Die stalinistische Diktatur habe schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Offen gehalten wurde die Option einer „echten Erweiterung der KPÖ und ihre Vereinigung mit anderen linken Kräften“ sowie eine ausführliche programmatische Debatte. Der demokratische Zentralismus3 wurde mit einem neuen Statut abgeschafft. Die Selbstauflösung der Partei wurde zwar überwunden, aber die Krise hatte erst begonnen.

Bei den Nationalratswahlen 1994 erreichte die KPÖ mit lediglich 11.919 Stimmen ihren historischen Tiefpunkt. In eine andere Richtung ging der Trend lediglich in der Steiermark. In Graz hatte die Partei 1988 trotz Krise der Sowjetunion ihr Gemeinderatsmandat mit Ernest Kaltenegger halten können. Bei den Gemeinderatswahlen 1993 konnte sie noch ein zweites Mandat für Elke Kahr dazugewinnen. In der Stadt hatte sich die KPÖ Graz mit Wohnungspolitik und Mieter:innenberatung sowie –hilfe ein lohnendes Politikfeld geschaffen. 1998 erzielte sie schon 7,9 % und erreichte den Einzug von Ernest Kaltenegger in den Stadtsenat (so heißt die dortige Proporzregierung), wo er Wohnungsbaustadtrat wurde. 2003 kam dann beinahe der Durchbruch, als die KPÖ vor dem Hintergrund der tiefen Krise der FPÖ 20,8 % in Graz erreichte, allerdings bei der darauffolgenden Wahl 2008 auf 11,2 % abrutschte. Dazwischen gelang jedoch noch einer der bedeutendsten Erfolge, nämlich der Einzug der KPÖ Steiermark in den dortigen Landtag, mit 4 Mandaten (Ernest Kaltenegger, Renate Pacher, Claudia Klimt-Weithaler, Werner Murgg) – auf Landesebene immer noch das beste Wahlergebnis. Nach 2008 ging es aber zumindest in Graz schrittweise bergauf, bis zum Wahlsieg im letzten Jahr.

Wahlergebnisse der KPÖ Graz
1945 6,7 %
1949 5,7 %
1953 5,8 %
1958 3,9 %
1963 3,5 %
1968 2,8 %
1973 3,0 %
1978 2,0 %
1983 1,8 %
1988 3,1 %
1993 4,2 %
1998 7,9 %
2003 20,8 %
2008 11,2 %
2012 19,9 %
2017 20,3 %
2021 28,84 %

Die KPÖ Steiermark hatte entgegen der Bundespartei der alten Doktrin des „Marxismus-Leninismus“ nicht abgeschworen. Somit bestand eine ideologische Spannung, die sich folglich zu einer politischen Zuspitzung entwickelte. Beim 31. Parteitag im Dezember 2000 unterstützte ein Teil der steirischen Parteileitung eine „Alternativplattform“, welche wesentliche Positionen der „Erneuerung“ zurücknehmen wollte. Außerdem sollte die Parteispitze abgewählt werden, was misslang. Im Herbst 2003 legte die Landespartei eine „Grundlage für ein noch zu beschließendes Programm“ zur Diskussion vor. Die bedeutendsten praktischen Differenzen drehten sich jedoch um die Haltung zur Europäischen Union und zum Pluralismus als Parteikonzeption. Vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 war die KPÖ gegen einen Beitritt gewesen und anschließend für einen Austritt4. Mit der Zeit weichte sie diese Position aber auf und ließ sie als unmittelbare Forderung fallen. In diesem Kontext diskutierte sie auch die Verbindung mit anderen Linksparteien in Europa und nahm an der Gründung der Partei der Europäischen Linken5 im Jahr 2004 teil. Anstelle dieser Haltung zur Europäischen Union und der ELP wollte die KPÖ Steiermark lieber auf traditionalistische und stalinistische Parteien wie die KP Griechenland orientieren. Der Pluralismus, wie er auch in der Europäischen Linken gelebt werde, führe laut ihrer Kritik zu einer Kapitulation6. In weiterer Folge formierten sich Teile der steirischen Partei (z. B. Werner Murgg) mit anderen traditionalistischen Kräften innerhalb der KPÖ zur „Kommunistischen Initiative zur Erneuerung der KPÖ“. Mehrere Oppositionelle wurden nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Legitimität des 33. Parteitags (Dezember 2004) ausgeschlossen und die Kommunistische Initiative ging einen organisatorisch unabhängigen Weg (heute trägt sie den Namen „Partei der Arbeit“). Die KPÖ Steiermark ging jedoch den eigenständigen Weg nicht mit. Die steirischen Mitglieder akzeptierten die Beschlüsse des Parteitags nicht, zogen sich aus dem Bundesvorstand der KPÖ zurück und betrachten ihre Organisation seither als autonom gegenüber der Bundespartei.

Wahlsieg in Graz

Die Grazer Gemeinderatswahlen im September 2021 hievten die KPÖ überraschenderweise – offenbar hatte sie bis kurz davor selbst nicht damit gerechnet – mit 28,84 % an die Spitze. Im November wurde die Stadtregierung als Koalition aus KPÖ, Grünen und SPÖ mit Elke Kahr als Bürgermeisterin angelobt. Der Wahlkampf in Graz und die Arbeit der KPÖ in der Regierung sind wohl die wichtigsten Referenzen, um zu verstehen, wie die Praxis der steirischen Genoss:innen aussieht. Aber zunächst stellt sich die Frage: Wie konnte es überhaupt zu diesem Erfolg kommen?

Der Aufstieg der KPÖ in Graz ist nicht ohne den Abstieg der Sozialdemokratie zu verstehen. Diese hielt 2003 in der Landeshauptstadt noch knapp 26 % der Stimmen. Von da an ging es schrittweise bergab, bis sie 2017 nur noch 10 % erreichte und von der KPÖ vom zweiten Platz verdrängt wurde. Im letzten Jahr verlor sie zwar prozentuell nicht mehr so viel, rutschte aber auf den fünften Platz zurück, nur noch vor den NEOS und den anderen Kleinstparteien. Schon in den 1990er Jahren, als sich die SPÖ dem Neoliberalismus hingab, wurde die Partei unbeliebter. In der jüngeren Vergangenheit der Steiermark war aber die sogenannte „Reformpartnerschaft“ von Bedeutung. Im Wesentlichen war das ein gemeinsam von ÖVP und SPÖ groß angelegtes Sparprogramm, um das Landesbudget auf dem Rücken von Lohnabhängigen, Frauen, Kindern und Bedürftigen zu sanieren. So wurden im Doppelbudget 2013/14 ganze 1,5 Mrd. Euro eingespart. Dabei wurde nicht nur in der Verwaltung gekürzt oder wurden Gemeinden fusioniert, unter den Einsparungen litt auch der Sozialbereich, dessen Beschäftigte auf die Straßen gingen, und es wurden viele kleinere Volksschulen geschlossen. Dazu kommt aber auch die beharrliche Arbeit der KPÖ insbesondere im Wohnungsbereich, erst unter Ernest Kaltenegger und dann mit Elke Kahr. 1992 zog Kaltenegger den Mieternotruf auf, welcher Mietverträge, Betriebskostenabrechnungen und die Höhe von Provisionen prüfte sowie bei Schikanen, Kündigungen und Räumungsklagen unterstützte. Auch die Tatsache, dass KPÖ-Mandatar:innen von ihrem Einkommen nur einen Teil in der Höhe eines Facharbeiter:innenlohns beziehen und den Rest für Sozialpolitisches spenden, hilft dem Image der Partei, das sie auch sehr behutsam als ehrlich, hilfsbereit, nicht abgehoben usw. pflegt. Hinzu kommt der Absturz der ÖVP bei der Wahl 2021 um beachtliche 11,88 Prozentpunkte! Das hatte zu tun mit teuren und unpopulären Groß- und Prestigeprojekten, welche die ÖVP umsetzte oder plante, beispielsweise das Mur-Kraftwerk oder eine mögliche U-Bahn. Es hing aber wohl auch mit den Skandalen rund um Sebastian Kurz zusammen, die die ÖVP damals erschütterten. Und mit ihrem plumpen Antikommunismus, mit dem die Konservativen eine Katastrophe im Falle eines kommunistischen Wahlsiegs beschworen, hatten sie sich auch noch lächerlich gemacht und die Sympathie für die KPÖ gestärkt.

Wie sah nun die Politik der KPÖ im Wahlkampf aus? Wirft man einen Blick auf die wohl öffentlichkeitswirksamsten Elemente, die Wahlplakate, dann findet man Slogans wie „Soziales darf nicht untergehen“, „Lebensraum vor Investoren“, „Wohnraum bezahlbar für alle“ oder „Da sein wenn‘s drauf ankommt“. Alles Plakate, die sich keineswegs von sozialdemokratischen oder grünen unterscheiden, geschweige denn sich durch Radikalität, Kapitalismuskritik oder Aufzeigen eines Klassenwiderspruches abheben. In dieselbe Kerbe schlägt auch das Wahlprogramm der KPÖ Graz. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhältnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, was eine propagandistische und aufklärerische Rolle zur Herausbildung von Klassenbewusstsein spielen kann, und aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der Arbeiter:innenklasse formuliert werden könnte. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt werden. Den Schlüssel bildete, auch schon im Kleinen die Macht der Kapitalist:innen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.

Linke Koalition

Was kann man also von der linken Koalition und ihrem Regierungsprogramm halten? Das sogenannte „Arbeitsprogramm“ trägt den Titel „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial. Klimafreundlich. Demokratisch.“ Es liest sich eingangs durchaus positiv und vieles kann man auch begrüßen. Es stellt sich ideologisch in die Tradition des Antifaschismus, der Friedens-, Frauen- und Umweltbewegung. Die Klimakrise wird als eine zentrale Herausforderung benannt. Aber es stellt sich eben auch nur in die Tradition dieser Bewegungen. Weitere Bezüge auf Kämpfe und Bewegungen bzw. deren Rolle zur Durchsetzung von wichtigen sozialen Veränderungen gibt es keine. Für einen Eindruck vom Arbeitsprogramm der Koalition seien an dieser Stelle ein paar der 21 Schwerpunktprojekte genannt: An erster Stelle die Realisierung der Südweststrecke, einer Straßenbahnverbindung, die schon vor zwei Jahren im Grazer Gemeinderat beschlossen wurde. An zweiter Stelle die Schaffung leistbaren Wohnraums durch den Bau neuer Gemeindewohnungen, aber leider nicht, wie viele. An dritter Stelle kommt „jeden Tag einen Baum pflanzen“. Weitere nennenswerte Punkte sind die Reduktion der Kinderbetreuungsbeiträge, die Erhöhung des Zuschusses zur Jahreskarte Graz und zum Klimaticket Steiermark, ein Fahrrad für jedes Kind oder die Ausrichtung der Wirtschaftsförderung nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien. Und – abseits von diesen Schwerpunkten – das Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget.

Ein zentrales Anliegen im Wahlprogramm der KPÖ Graz war die „Wiedereingliederung aller ausgelagerten Betriebe in das Eigentum der Stadt und Rückführung der Grazer Linien in einen städtischen Eigenbetrieb“. Dabei ging es insbesondere um das „Haus Graz“, also um die direkten und indirekten Beteiligungen der Stadt, denn die Ausgliederungen brächten keine Einsparungen und der Gemeinderat habe keine Entscheidungsbefugnis über Leistungen, Tarife und Personalpolitik mehr. Nach der Wahl war das Thema schnell vom Tisch. Laut KP-Klubobmann Manfred Eber habe man sich das genauer angesehen und festgestellt, dass man bei einer Rekommunalisierung unter den Abteilungen keine Gegenrechnungen mehr machen könnte und Körperschaftssteuer zahlen müsse. Das würde Belastungen in Höhe von einem bis zu zweistelligen Millionenbetrag jährlich bedeuten. Stattdessen findet sich im Koalitionspakt nur noch die Sicherstellung von Plätzen in den Aufsichtsräten für alle im Stadtsenat vertretenen Parteien. Das Argument ist schwer nachvollziehbar, immerhin müssten sich über Zusammenführungen und die Abschaffung von teuren Managergehältern deutliche Einsparungen bewirken lassen. Und wenn nicht, könnte man es sich oder die Reichen ruhig auch ein bisschen kosten lassen. Denn die Überführung von zentralen Unternehmen in öffentliches Eigentum ist wohl das wichtigste Anliegen kommunistischer Politik, weil es den Weg aus der Profitlogik ebnet und demokratische Kontrolle bis zur Verwaltung durch die Arbeiter:innen selbst ermöglicht und damit die Durchsetzung der Interessen jener, welche die notwendige Arbeit in unserer Gesellschaft leisten.

Erst kürzlich tat sich die Grazer Stadtregierung positiv damit hervor, dass sie die jährliche Erhöhung von Kanal- und Müllgebühren sowie der Mieten in den Gemeindewohnungen aussetzte. Argumentiert wurde das mit den im Zuge der massiven Inflation ohnehin schon stark gestiegenen Lebenserhaltungskosten. Grundsätzlich ist das natürlich auch ein begrüßenswerter Schritt. Aber auch hier wird wieder einmal klar, dass sich die KPÖ Steiermark voll und ganz im bürgerlich-demokratischen Rahmen bewegen möchte. Denn gesetzlich ist es nicht möglich, den vom Justizministerium festgelegten Richtwert der Miete zu beeinflussen, geschweige denn eine generelle Beschränkung der (Privat-)Mieten in Graz.

Generell zeichnet sich die Linkskoalition also nicht gerade durch eine Konfrontation mit dem Kapital aus. In einem Bündnis mit den Grünen und der Sozialdemokratie ist das auch nur schwer vorstellbar. Zugegeben, die Möglichkeiten einer Stadtregierung hierfür sind durchaus begrenzt und die Stimmung der Massen ist nicht unbedingt revolutionär. Aber trotzdem wäre es die Aufgabe einer linken Regierung unter Führung von Kommunist:innen, in Worten und Taten die Widersprüche zwischen den Klassen für alle sichtbar zu machen und zuzuspitzen. Konkrete Mobilisierung auf der Straße und in den Betrieben für die Politik, die an die Grenzen des bürgerlich-kapitalistischen Rechtsstaats stößt, wären hier ein Anfang. Statt sich aber darauf zu konzentrieren, betont die KPÖ lieber die Arbeit auf Augenhöhe selbst mit den reaktionären bürgerlichen Kräften ÖVP und FPÖ.

Wenn sie sich nicht auf die Enge des Stadtbudgets einschränken würde, könnte sie weitreichende Sozialmaßnahmen einleiten und einen politischen Kampf um deren Finanzierung führen. Die Strategie der KPÖ Graz läuft auf das Gegenteil hinaus, nämlich Haushaltssanierung, wie ein Artikel auf ihrer Homepage zeigt. Was das für die Reformbemühungen der Linkskoalition bedeutet, wird spannend zu beobachten. Große Würfe darf man sich jedenfalls nicht erwarten. Laut dem Artikel erzielte die Stadt im letzten Jahr ein negatives Nettoergebnis von 73 Mio. Euro und hatte einen Schuldenstand von 1,6 Milliarden Euro. Laut Grazer Haushaltsordnung müsse nach dreimalig negativem Nettoergebnis ein Haushaltskonsolidierungsplan erstellt werden, wobei 2020 und 2021 schon negativ waren. „Auch unter der derzeitigen wirtschaftlichen Lage werden wir alles daransetzen, die Vorgaben des Landes Steiermark zu erfüllen sowie unter Berücksichtigung einer möglichen Wiedereinführung des Stabilitätspakts zu budgetieren.“

Programmatik

Wie kann man die Politik der KPÖ Graz bzw. der KPÖ Steiermark verstehen? Gibt es theoretische, ideologische oder programmatische Auffassungen, aus denen sich ihr Handeln ableitet? Oder herrschen Pragmatismus und personelle Beliebigkeit? Nach einem Studium ihres Landesprogramms glauben wir, dass sich die Praxis der Landespartei schon aus ihrem programmatischen Verständnis ergibt, insbesondere unter den Umständen eines niedrigen Klassenbewusstseins und Klassenkampfes. Wie sieht dieses Verständnis also aus?

Das Programm der KPÖ Steiermark (Fassung 2012) überrascht auf den ersten Blick. Der oftmals „unideologischen“, pragmatischen Praxis (siehe Beispiel Graz) der Organisation steht ein in orthodox-marxistischer Terminologie geschriebenes Programm gegenüber. Es erscheint der Eindruck, die steirische KPÖ nehme den Marxismus ernster als die Bundespartei und positioniere sich konsequenter. So verortet sie die Entwicklung des Kapitalismus weiterhin in seinem imperialistischen Stadium, versucht, die kapitalistische Krise mit einer marxistischen Theorie zu erklären, betont den Charakter der Partei als einer marxistischen Partei der Arbeiter:innenklasse und spricht von der Revolution. Gleichzeitig verschreibt sie sich einer „progressiven Reformpolitik“, deren Ziel nicht ein revolutionäres Erkämpfen des Sozialismus darstellt, sondern der Aufbau eines „progressiven Sozialstaates“. Hier erkennen wir die Tradition der stalinistischen Etappentheorie7 in Form einer antimonopolistischen Demokratie.

Spannend am Imperialismusverständnis der KPÖ Steiermark ist, dass zwar die USA als hegemoniale Weltmacht bezeichnet werden und die Europäische Union als Bündnis imperialistischer Staaten, abseits davon aber keine imperialistischen Mächte benannt werden. Russland kommt in dieser Beziehung überhaupt nicht vor und bei China scheint sich die KPÖ Steiermark nicht einmal sicher zu sein, dass es sich um ein kapitalistisches Land handelt und nicht etwa um einen legitimen Weg zum Sozialismus („Die KP China definiert das Land in der Anfangsphase des Sozialismus“).

Interessant im Kontext der Einschätzung der Weltlage ist der Blick auf Lateinamerika. Dort hätten sich revolutionäre Bastionen entwickelt. Gemeint sind die Staaten der „Bolivarischen Allianz“ (ALBA) unter der damaligen Führung Venezuelas. Vollkommen unkritisch wird der Linksnationalist Hugo Chávez zitiert, der den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ beschwört. Bei aller Sympathie und Solidarität mit den damaligen linken Bewegungen, die diese Regierungen in Lateinamerika an die Macht brachten, muss man schon feststellen, dass es sich dabei keineswegs um revolutionäre Regierungen der Arbeiter:innenklasse oder um sozialistische Experimente handelte. Die Länder des Sozialismus des 21. Jahrhunderts waren großteils linkspopulistische und teilweise bonapartistische8 Regimes, die weder vermochten noch beabsichtigten, die Macht des Kapitals zu brechen, und daher mit ihrem Anspruch umfassender Sozialreformen für die ärmere Bevölkerung scheitern mussten.

Schon positiver liest sich der Abschnitt zur „Bilanz des Realsozialismus“, besonders wenn man bedenkt, dass sich die KPÖ Steiermark nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den traditionalistischen Block eingeordnet hatte. Selbst bezeichnet sie sich natürlich nicht als stalinistisch9, auch wenn sie davon ein ungenaues, unklares und eingeschränktes Verständnis hegt. „Der Marxismus-Leninismus beruhte zum Teil auf dogmatisch eingeengten Bruchstücken des Marxismus“, „Die Politik des Realsozialismus war teils richtige, teils verfehlte, teils vereitelte Politik“, „Der Stalinismus nach Stalin brach mit dem Terror, aber nicht mit den Deformationen und den unwissenschaftlichen Methoden, die sich verfestigten“, „Gemessen an dieser Aufgabenstellung [der Wiederherstellung der kommunistischen Bewegung und einer revolutionären Perspektive] ist der Stalinismus ein Synonym für Dogmatismus, Verflachung, Einengung, Realitätsverlust, ein Anachronismus“. Richtig an der steirischen Analyse des „Realsozialismus“ ist das Problem des Aufbaus des Sozialismus im rückständigen Russland bei Scheitern der internationalen Ausweitung der Revolution auf das ökonomisch fortgeschrittene Europa. „Die ökonomischen und politischen Strukturen entfremdeten sich der Masse der Gesellschaft und entwickelten eine Eigenlogik, den Vollzug der Eigeninteressen einer exklusiven, der demokratischen Kontrolle entzogenen bürokratischen Schicht.“ Dass die wesentlichen Grundlagen des Sozialismus laut Programm durch „schwerwiegende Deformationen“ beeinträchtigt wurden, liest sich vor diesem Hintergrund fast schon beschönigend. Wesentlich ist unserer Auffassung nach hingegen, dass die soziale und politische Degeneration einen Bruch mit der Bürokratie und ihrer Politik bedingen. Dafür brauchte es eine von den stalinistischen Regimen unabhängige Organisierung der Arbeiter:innenklasse sowie den Sturz der Bürokratien der stalinistischen Länder in einer politischen Revolution. Diese Konsequenzen hat die KPÖ Steiermark bis heute nicht gezogen, weil sie das Phänomen des Stalinismus und seine reaktionäre politische Rolle immer noch nicht richtig erfasst hat.

Aus den Erfahrungen des „Realsozialismus“ schließt das Programm glücklicherweise auf die Notwendigkeit, „neue Sozialismusvorstellungen zu entwickeln, die auf der vollständigen und konsequenten Demokratisierung aller Bereiche der Wirtschaft, des Staates und der Zivilgesellschaft beruhen“. Unglücklicherweise besinnt sie sich dabei aber nicht auf die positiven Errungenschaften der Russischen Oktoberrevolution im Sinne der Diktatur des Proletariats – einer Arbeiter:innendemokratie in Form von Räteherrschaft und Arbeiter:innenkontrolle. An deren Stelle tritt bei der KPÖ Steiermark die alte Leier einer „sozialistischen Demokratie“. Dabei ist es kein Zufall, dass nirgendwo von der Notwendigkeit gesprochen wird, den von einer tatsächlichen demokratischen Kontrolle der Bevölkerung bürokratisch abgehobenen kapitalistischen Staat zu zerschlagen und die Macht in die Hände von Organen der proletarischen Gegenmacht10 zu legen. Anstelle der organisierten Arbeiter:innenklasse tritt für die KPÖ Steiermark der progressive Nationalstaat (dazu gibt es ein eigenes Kapitel: „Progressiver Nationalstaat – Basis und Hauptstütze von Gegenmacht“).

Dazu ein paar Zitate: „Wie der neoliberale Staat die Interessen des Großkapitals stützt, muss sich eine demokratische Reformbewegung auf einen erst zu erkämpfenden, neuartigen Sozialstaat stützen können, der der Wohlfahrt seiner Bürger verpflichtet ist und in dem die Lohnabhängigen das entscheidende Wort zu sprechen haben. (…) Anders als durch die Rückeroberung des Staats durch die revolutionären Kräfte ist es unmöglich, eine progressive Sozialpolitik zu betreiben. Dazu braucht der Staat Organe, die mit umfangreichen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kompetenzen ausgestattet sind, um, wenn nötig auch mit Mitteln des außerökonomischen Zwangs eingreifen zu können. (…) Letzten Endes läuft alles darauf hinaus, dass der Staat dem Kapital Zügel anlegt und seine Institutionen in Einflusssphären des öffentlichen Eigentums verwandelt, die in Händen einer progressiven Volksmacht liegen. (…) Erst dann, wenn jedes Land das Recht hat, über seine Geschicke frei zu entscheiden (…) sind Kapitalverkehrskontrollen, Besteuerung von Transaktionen des Geld- und Finanzkapitals, wichtige Bausteine für die Rückgewinnung einer gesellschaftlichen Steuerung, möglich. (…) Aus kommunistischer Sicht steht also nicht die ‚Abschaffung des Nationalstaates‘ auf der Tagesordnung, sondern die Umformung vom Staat des Monopolkapitalismus in progressive Nationalstaaten, die, wenn sie auf Dauer bestehen wollen, Schritte in Richtung Sozialismus machen müssen.“

Die KPÖ Steiermark verfolgt das Konzept einer antimonopolistischen Demokratie, welche erst einmal durch Reformen des bürgerlichen Staates verwirklicht werden soll. Erst dann wäre es möglich, Schritte Richtung Sozialismus zu setzen. Eine solche Konzeption ist natürlich reine Utopie und ähnelt der stalinistischen Vorstellung, nach der die Bürokratie der Sowjetunion kapitalistische Pufferstaaten („Volksdemokratien“) in Ost- und Mitteleuropa errichten wollte, frei vom politischen Einfluss des westlichen Kapitals. Das war überhaupt nur denkbar z. B. durch die militärische Kontrolle Osteuropas durch die Rote Armee nach dem Zweiten Weltkrieg und ist gescheitert, worauf „von oben“ die Umwandlung in bürokratische Arbeiter:innenstaaten erfolgte. Die Idee, im Bündnis mit einer „antimonopolistischen“ Bourgeoisie den Kapitalismus so weit zu reformieren, dass in weiterer Folge Schritte zum Sozialismus ergriffen werden können, verkennt, dass auch die „nichtmonopolistische“ Bourgeoise lieber das Bündnis mit dem Monopolkapital sucht als mit der Arbeiter:innenklasse und die imperialistische Epoche eine des Niedergangs und der kapitalistischen Krise ist, in der eine friedliche Reformperiode hin zum Sozialismus keine ökonomische und politische Basis besitzt.

Schlussfolgerung

Ein kommunistisches Programm sollte eigentlich zwei wesentliche Aufgaben erfüllen. Auf der einen Seite sollte es eine Handlungsanweisung für den Klassenkampf bzw. den politischen Rahmen dafür bilden. Auf der anderen Seite sollte es im Inneren der Partei als gemeinsames Verständnis dienen, durch das eine kollektive und demokratische Praxis möglichst der gesamten Partei ermöglicht wird. Das Programm der KPÖ Steiermark ist dagegen eine Art langwierige Grundsatzerklärung und kann dadurch den ersten Anspruch nicht erfüllen und aufgrund der Abgrenzung ihrer alltäglichen Praxis von diesen Grundsätzen auch nicht den zweiten. Diese Aufspaltung von hochtrabenden Erklärungen in irgendwelchen Schriften auf der einen Seite und der Beschränkung auf kleine Reförmchen in der eigentlichen Arbeit entspricht sehr dem – für Sozialdemokratie und Stalinismus typischen – Aufspalten der Programmatik in einen Maximalteil, wo das Ziel des Sozialismus beschworen wird, und einen Minimalteil, in dem konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt formuliert werden, ohne dass eine Verbindung der beiden Hälften hergestellt wird.

Das Konzept der „progressiven Reformpolitik“ und des „progressiven Nationalstaats“ reproduziert die Kluft von Minimal- und Maximalprogramm und erklärt in gewisser Weise die orthodox-ideologische Programmatik der KPÖ Steiermark bei ziemlich ideologiefreier, pragmatischer politischer Praxis. Die Orientierung auf die Kommunalpolitik ist die logische Konsequenz dieser Strategie, weil aufgrund der eigenen Schwäche nur auf der niedrigen Ebene Möglichkeiten für „Reformen“, praktische Hilfestellungen und mittelfristige Eroberungen von Posten im bürgerlichen Staat erkannt werden.

Natürlich kann eine solche Politik kurz- und mittelfristig Erfolg haben. Wer in der politischen Praxis aber nicht versucht, in Propaganda und Agitation die Arbeiter:innenklasse als politisches Subjekt anzusprechen, die Konfrontation mit dem Kapital zu suchen und dadurch anzustreben, ein revolutionäres Klassenbewusstsein zu prägen, wird mittel- und langfristig über keine Machtbasis verfügen, um über kleine demokratische und soziale Reförmchen hinaus zu wirken. Sollte sich der Einfluss der KPÖ Steiermark steigern, wird sie sich mit dieser politischen Praxis in der kleinteiligen und bescheidenen Reformarbeit verlieren und schlichtweg den Platz der steirischen Sozialdemokratie einnehmen. Zum Abschluss wollen wir dieses Problem noch mit einem Zitat von Franz Stephan Parteder (ehem. Vorsitzender der Landespartei) unterstreichen: „Wir wollten eigentlich als ganz normale Partei, die innerhalb des Verfassungsbogens steht, verstanden werden.“ Wer so etwas will, braucht sich mit dem Aufbau einer Partei zur Überwindung des Kapitalismus wohl auch nicht weiter zu beschäftigen.

Referenzen

Endnoten

1 Unter Reformismus verstehen wir eine Praxis, welche die Politik der Arbeiter:innenklasse auf Verbesserungen (oder Abwendung von Verschlechterungen) innerhalb des kapitalistischen Rahmens eingrenzt und somit letztlich in bürgerlicher Politik befangen bleibt. Dabei kann sich der Reformismus in Worten durchaus radikal oder gar marxistisch geben.

2 Der Marxismus-Leninismus ist die stalinistisch entstellte Kanonisierung des Leninismus.

3 Der demokratische Zentralismus ist ein Grundprinzip der leninistischen Parteikonzeption und bezeichnete vor der Entstellung durch den Stalinismus das Verhältnis von innerparteilicher Demokratie zur Einheit der Partei in der Aktion nach außen.

4 Der Arbeiter*innenstandpunkt hat sowohl die neoliberalen und undemokratischen, als auch die für die Lohnabhängigen positiven und sie zusammenführenden Seiten der Europäischen Union betont und bei der Volksabstimmung 1994 für eine Enthaltung argumentiert. Einen Austritt aus der Europäischen Union lehnen wir ab, weil wir in einem „Zurück zum alten Nationalstaat“ keine besseren Kampfbedingungen für die Arbeiter:innenklasse erkennen, sondern nur das Gegenteil. Wir kämpfen für die internationale Einheit der Arbeiter:innenklasse und eine europäische sozialistische Revolution.

5 Die Europäische Linkspartei ist ein Zusammenschluss von eurokommunistischen und anderen linksreformistischen Parteien. Mittlerweile hat sie sich stark der Position einer „Transformation“ des Kapitalismus verschrieben. Wir kritisieren die sogenannte Transformationstheorie als eine Form von Reformismus.

6 Auch wenn wir mit der Parteikonzeption der KPÖ Steiermark gewiss nicht viel Übereinstimmung haben, können wir ihre Zurückweisung des Pluralismus teilen. Unserer Auffassung nach ist eine marxistische Partei ein Instrument zur Verwirklichung eines revolutionären Programms und bedarf zu diesem Zweck einer ihm angemessenen Klarheit und Geschlossenheit. Das ist keine Absage an unterschiedliche Meinungen, sondern eine strategische und taktische Handlungsunfähigkeit.

7 Etappentheorie bedeutet hier, dass vor der revolutionären Enteignung der Kapitalist:innenklasse und dem anschließenden Aufbau des Sozialismus eine besondere Etappe liegen müsste. Erst nach deren Absolvierung kann dann an eine sozialistische Revolution gedacht werden. In der Tradition des Stalinismus wurde ein solches Modell oftmals auf halbkoloniale Länder angewandt, also Länder, die aufgrund ihrer Abhängigkeit indirekt von imperialistischen Mächten beherrscht werden. Dort müsse man, gestützt auf die Volksmassen und im Bündnis mit dem patriotischen Kapital, das ausländische Kapital zurückdrängen und eine bürgerliche Demokratie erkämpfen.

8 Als Bonapartismus bezeichnet man im Marxismus ein autoritäres Regime, welches seine Macht auf eine Balance zwischen gegensätzlichen Klassen oder Blöcken von Klassen stützen, dafür aber die Herrschaft autoritär und ideologisch absichern muss. Dabei kann sich dieses Regime, scheinbar und im Sinne der Nation über die Klassen und gesellschaftlichen Gegensätze erheben.

9 Wir verstehen unter Stalinismus das soziale Phänomen der bürokratischen Degeneration eines Arbeiter:innenstaates sowie damit zusammenhängend die politischen Ausprägungen der Kommunistischen Partei im Interesse dieser Bürokratie, was mit einer entsprechenden Entstellung des Marxismus einhergeht. Wir charakterisieren die Herrschaftsformen in der Sowjetunion, China, Jugoslawien, Kuba und Nordkorea dementsprechend ebenfalls als stalinistisch sowie auch die politischen Ausprägungen der KPdSU nach der „Entstalinisierung“ unter Nikita Chruschtschow.

10 Unter proletarischer Gegenmacht verstehen wir eigene, vom bürgerlichen Staat unabhängige, demokratische Organisationen der Arbeiter:innenklasse. Solche können bestehen in Form von Parteien, Gewerkschaften, Streikkomitees, Betriebsgruppen, Kontrollkomitees, Milizen und in ihrer höchsten Form als Arbeiter:innenräte.

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Corona-Demos in Österreich: Neue alte Rechte in der Pandemie

Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1178, 15. Februar 2022

Seit einigen Wochen gibt es wieder regelmäßige Massendemonstrationen auf den Straßen Wiens. Demonstriert wird gegen allerlei Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie. Die Impf- wird ebenso abgelehnt wie die Maskenpflicht, vorgeschriebene Testungen im Zuge der 3G-Regel am Arbeitsplatz oder aber auch unterschiedliche Ausformungen des Lockdowns. Die Stimmung der Teilnehmer:innen schwankt zwischen einem Leugnen der Pandemie und der Sorge über die Einschränkung der persönlichen Freiheit. Auf dem Höhepunkt erreichten die Mobilisierungen eine Stärke von an die 50.000 Menschen.

Im Wesentlichen werden die Demonstrationen von einigen „prominenten“ Persönlichkeiten der „corona-kritischen“ Szene organisiert. Die Hauptstützen haben sich seit den Demonstrationen im letzten Winter – als eine gesetzliche Impfpflicht noch bei weitem nicht ins Haus stand – nicht wesentlich geändert. Zu nennen sind beispielsweise der weit rechts stehende Martin Rutter oder auch Hannes Brejcha. Der entscheidende Unterschied zu letztem Winter ist aber, dass sich die FPÖ – jetzt geführt von Herbert Kickl – aktiv in die Mobilisierungen einbringt und organisatorisch führend auftritt. Sorgte damals seine Unterstützung für die Demonstrationen noch für Unmut in der FPÖ, steht die Partei nun zumindest nach außen nahezu geschlossen hinter der neuen Linie. Organisatorisch steht hinter den corona-skeptischen Demonstrationen also ein rechtes Spektrum, das von der FPÖ über einzelne weit rechts stehende Einzelpersonen und die faschistischen Identitären bis hin zu Neonazis (Gottfried Küssel und Co.) und Nazi-Hooligans aus der Fußballszene reicht. Daneben gibt es auch eine sehr große Anzahl an nicht-ideologischen Menschen auf der Straße, aber diese sind entweder politisch nach rechts offen oder legen bewusste Ignoranz der Tatsachen an den Tag.

Was die soziale Zusammensetzung der Demonstrationen betrifft, ist vor allem eines sehr auffällig. In Wien kommt die große Mehrheit der Menschen immer aus den Bundesländern (teilweise auch aus dem Ausland) angereist. Es liegen dazu zwar keine wissenschaftlich erfassten Zahlen vor, aber diese Tatsache ist aus den vielen Bundesländerfahnen auf den Demos ersichtlich, den Reaktionen der Demonstrationsteilnehmer:innen auf Redner:innen („Wo sind die Wiener?“) sowie insbesondere aus den Erfahrungen regionaler Mobilisierungen. So riefen etwa am 1.12.2021 diverse Vertreter:innen der Bewegung zum „Warnstreik“ gegen die Maßnahmen auf. Dabei gab es Mobilisierungen in den diversen Landeshauptstädten. Die größten davon waren in Linz (1.500 – 2.000), Graz (bis zu 1.500) und Innsbruck (1.500). In Wien waren es hingegen nur „einige Hundert“ (orf.at).

Die politische Richtung, in die sich die Demonstrationen seit mehr als einem Jahr entwickeln, ist ganz eindeutig nach rechts. Die Impfpflicht wird abgelehnt, aber nicht weil die Umsetzung der Bundesregierung sozial ungerecht ist, sondern aus einer individualistischen, chauvinistischen und wissenschaftsfeindlichen Haltung heraus. Die mehr als zehntausend Todesopfer der Pandemie alleine in Österreich werden entweder relativiert bzw. geleugnet oder damit gerechtfertigt, dass es „eh nur“ alte bzw. schon vorher kranke Leute betroffen hätte. International reiht sich die Bewegung in Österreich ganz klar in Mobilisierungen der Rechten in Deutschland oder den USA mit den dazugehörigen Verschwörungsmythen ein.

Als Linke muss man dieser Bewegung zweierlei entgegensetzen. Einerseits braucht es klare Gegenmobilisierungen auf der Straße, damit Faschist:innen nicht ungehindert dort die Oberhoheit  übernehmen und zur physischen Bedrohung werden. Andererseits ist der Regierungspolitik eine brauchbare linke Alternative entgegenzustellen und sichtbar zu machen. Anstatt rechtzeitig wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Pandemie zu treffen und die Menschen dabei sozial und gesundheitlich abzusichern, wird nämlich leider lieber der Profit für den Wintertourismus gesichert und die Durchseuchung der Gesellschaft forciert.




Bericht vom Wiener Schulstreik am 18. Januar

Revolution Austria, Infomail 1176, 19. Januar 2022

Es ist ein sonniger Vormittag und vor dem BRG (Bundesrealgymnasium) Schuhmeierplatz (Wien, 16. Bezirk, Ottakring) sammeln sich junge Leute. Mit Masken und Abstand wird heute gestreikt, um klar ein Zeichen gegen die Pandemiepolitik der Regierung zu setzen und für eine Erleichterung der Matura (in Deutschland: Abitur) zu kämpfen. Speziell die Forderung nach einer freiwilligen mündlichen Matura steht im Mittelpunkt. Viele tragen Schilder mit der Aufschrift #wirstreiken.

Der Warnstreik heute wurde von der Aks, der sozialdemokratischen SchülerInnenorganisation, organisiert. Es stehen aber auch viele andere SchulsprecherInnen dahinter, die sich in einem offenen Brief an die Regierung und den Stadtschulrat gewandt haben. Eine Durchseuchung der Schulen, wie sie gerade stattfindet, wird dabei klar abgelehnt.

Die Stimmung ist gut, auch wenn es etwas kalt ist. Es sind nicht nur MaturantInnen da, sondern viele aus niedrigeren Schulstufen, die sich für ihre KollegInnen einsetzen, aber auch wissen, dass es sie in den nächsten Jahren genauso treffen kann.

„Mir fehlt einfach die Motivation zu lernen. Seit Pandemiebeginn muss ich die ganze Zeit mit Unsicherheiten kämpfen. Wie soll man sich da aufs Lernen konzentrieren?“ fragt eine Schülerin. Eine andere meint, dass die Regierungspolitik, was Bildung angeht, mit dem Wort „unorganisiert“ beschrieben werden kann. „Das Pandemiemanagement der Regierung und die Art, wie unterrichtet wird, scheint planlos. Es wirkt nicht so, als würde sich irgendwer um unsere Meinung scheren“, meint sie.

Ganz oft wird auch ein bisschen scherzhaft die Notwendigkeit der Matura selbst in Frage gestellt. Warum soll eine punktuelle Leistung den Rest des Lebens weiter bestimmen, fragen viele. Durch die Pandemiesituation fallen immer mehr Widersprüche im österreichischen Schul- und Bildungssystem auf.

Der Anlass des Schulstreiks ist die Corona-Politik an Schulen. Wir unterstützen die Forderungen der streikenden SchülerInnen und finden die im offenen Brief der SchulsprecherInnen angesprochenen Probleme und Lösungen richtig. Der Streik wirft jedoch eine Reihe an Schwierigkeiten auf, die tiefer sitzen und langfristigere Lösungen brauchen als den zentralen Slogan einer freiwilligen mündlichen Matura und eines besseren Umgangs mit den Corona-Fällen an Schulen. Vor allem die mangelnde Berücksichtigung der Perspektive von SchülerInnen wird momentan umso deutlicher sichtbar. Es gibt kaum Mitspracherecht für sie und es wird seit Pandemiebeginn über ihre Köpfe hinweg entschieden. Der Streik ist folglich eine gute Möglichkeit, sich endlich Gehör zu verschaffen. Die Forderung nach einer freiwilligen mündlichen Matura ist ein guter Startpunkt. Das reicht aber bei weitem noch nicht aus. Prüfungsmodi müssen nicht nur angepasst, sondern auch neu erdacht werden. Die Schülerunion, die SchülerInnenorganisation der ÖVP, und die Aks sammeln sich beide hinter der Forderung nach einer freiwilligen mündlichen Matura, aber es wird nicht darüber gesprochen, wie es mit den nächsten Klassen weitergehen wird. Jedes Jahr wird es schwieriger werden, den verpassten Stoff aufzuholen. Aber nicht nur das Lernen leidet, sondern auch die Psyche. Nach 2 Jahren Pandemie sind die Auswirkungen klar zu sehen. Viele Jugendliche weisen depressive Symptome auf und das liegt nicht nur an Social Distancing. Der Leistungsdruck in den Schulen, die Unsicherheiten, wie es in Zukunft weitergeht, die Angst, dass man selbst oder nahestehende Leute krank werden, das alles belastet junge Menschen. Es zeigt sich, wie diese Art der Ausbildung Menschen in diesem System schadet, und mit den Streiks auch, dass sich SchülerInnen das nicht mehr so einfach gefallen lassen! Diese Situation sollte genutzt werden, um nicht einem veralteten Bildungssystem hinterherzulaufen, sondern neue Vorschläge mit den SchülerInnen gemeinsam zu entwickeln.

Neben den Problemen beim Lernen und Abprüfen des Stoffes gibt es auch immer noch keine Lösung, wie man SchülerInnen vor Ansteckung schützen kann. Eine Durchseuchung der Schulen ist die momentane Strategie. Das ist einfach ein Schlag ins Gesicht für alle, die jetzt zwei Jahre auf viel verzichtet haben, um die Pandemie einzudämmen. Die Regierung schert sich nicht um die Gesundheit junger Menschen. Deshalb müssen wir uns selbst darum kümmern! SchülerInnen, LehrerInnen und Personal sollten gemeinsam entscheiden können, welche Maßnahmen zusätzlich für ihren Standort gesetzt werden und welche Umstellung im Lehrbetrieb notwendig und sinnvoll ist. Natürlich braucht es auch eine zentrale Planung und richtiges Pandemiemanagement, aber von dieser Regierung können wir das momentan nicht erwarten. Deshalb müssen wir weiterhin Druck aufbauen, bis sie endlich die richtigen Maßnahmen setzt.

Um diesen Druck organisiert aufzubauen, braucht es mehr als nur Schulstreiks. Wir fordern, dass sich SchülerInnen an ihren Schulen zu Komitees zusammenschließen, die gemeinsam Forderungen erarbeiten und damit auch ihre Schule zu Aktionen mobilisieren. Die SchülerInnenorganisationen der Parteien (SU, Aks, Verde, … ) bleiben leider oft hinter der Ziellinie zurück, einfach weil sie doch oft abhängig sind von der Politik, die ihre Mutterparteien machen. Deshalb braucht es unabhängige SchülerInnenpolitik und Selbstorganisierung. Zeitgleich sollten auch gemeinsam mit den beteiligten Organisationen Schulstreiks organisiert werden. Dafür braucht es ein Bündnis und nicht nur einzelne Gruppen, die isoliert oder in losen Zusammenschlüssen arbeiten.

Wir fordern:

* Abschaffung der Matura und Ersetzen durch demokratisch mit SchülerInnen erarbeitete Schulabschlusskriterien!

* Bessere psychische Unterstützung, speziell für durch die Pandemie entstandene Belastungen, am Schulstandort!

* Mehr Fachpersonal, um besser mit Distance Learning umgehen zu können und medizinische Betreuung zu gewährleisten!

* SchülerInnenkomitees, die gemeinsam die Streiks organisieren und Forderungen demokratisch entscheiden!

* Für ein linkes Schulstreikbündnis, um gemeinsam schlagkräftig handeln zu können!

Am 26. Januar geht es weiter mit dem nächsten Schulstreik!

Streiken wir diese Maturabedingungen und dieses Pandemiemissmanagement weg!




Linke Koalition in Graz: Fortschritt nur oberhalb der Wurzel

Michael Märzen, Infomail 1173, 19. Dezember 2021

Nach dem jüngsten Wahlsieg der KPÖ in Graz steht nun die linke Koalition gemeinsam mit Grünen und SPÖ. Die Stadtregierung wurde am 17. November angelobt und Elke Kahr zur Bürgermeisterin gewählt. Das Arbeitsprogramm der Linkskoalition trägt den Titel „Gemeinsam für ein neues Graz. Sozial. Klimafreundlich. Demokratisch.“ Viele linke Kräfte in Österreich sehen in der Arbeit der KPÖ Graz nun ein mögliches Erfolgsmodell. Denn nicht nur der Wahlkampf war erfolgreich, der Koalitionspakt lässt auch einige Verbesserungen erhoffen. Es zeigt sich allerdings ebenfalls, dass diese Linksregierung keine Ansätze für radikale Veränderungen in Planung hält.

Regierungsprogramm

Das Arbeitsprogramm der neuen Grazer Stadtregierung liest sich eingangs durchaus positiv. So stellt sie sich in die Tradition des Antifaschismus, der Friedens-,

Frauen- und Umweltbewegung. Außerdem wird die Klimakrise als eine zentrale Herausforderung unserer Zeit bezeichnet. Das zeigt klar, wo sich die drei Parteien mit ihrer gemeinsamen Arbeit verorten. Weitere Bezüge auf eine Bewegung, eine wirkliche Einbindung der Bevölkerung oder gar eine Ermächtigung der Lohnabhängigen fehlen allerdings.

Für einen Eindruck vom Arbeitsprogramm der Koalition seien an dieser Stelle ein paar der 21 Schwerpunktprojekte genannt: An erster Stelle wird die Realisierung der Süd-West-Strecke genannt, einer Straßenbahnverbindung, die schon vor zwei Jahren im Grazer Gemeinderat beschlossen wurde. An zweiter Stelle steht die Schaffung leistbaren Wohnraums durch den Bau neuer Gemeindewohnungen, aber leider nicht, wie viele. An dritter Stelle kommt „jeden Tag einen Baum pflanzen“. Weitere nennenswerte Punkte sind die Reduktion der Kinderbetreuungsbeiträge, die Erhöhung des Zuschusses zur Jahreskarte Graz und zum Klimaticket Steiermark, ein Fahrrad für jedes Kind oder die Ausrichtung der Wirtschaftsförderung nach sozialen, regionalen und ökologischen Kriterien. Und – abseits von diesen Schwerpunkten – das Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget.

Brisanz „Haus Graz“

Ein zentrales Anliegen im Wahlprogramm der KPÖ Graz war die „Wiedereingliederung aller ausgelagerten Betriebe in das Eigentum der Stadt und Rückführung der Grazer Linien in einen städtischen Eigenbetrieb“. Dabei ging es insbesondere um das „Haus Graz“, also um die direkten und indirekten Beteiligungen der Stadt, denn die Ausgliederungen brächten keine Einsparungen und der Gemeinderat habe keine Entscheidungsbefugnis über Leistungen, Tarife und Personalpolitik mehr. Nach der Wahl war das Thema schnell vom Tisch.

Laut KP-Klubobmann Manfred Eber habe man sich das genauer angesehen und festgestellt, dass man bei einer Rekommunalisierung unter den Abteilungen keine Gegenrechnungen mehr anstellen könnte und man Körperschaftssteuer zahlen müsse. Das würde Belastungen in Höhe von einem bis zu zweistelligen Millionenbetrag jährlich bedeuten. Stattdessen findet sich im Koalitionspakt nur noch die Sicherstellung von Plätzen in den Aufsichtsräten für alle im Stadtsenat (= Proporzregierung) vertretenen Parteien. Das Argument ist schwer nachvollziehbar, denn immerhin müssten sich über Zusammenführungen und die Abschaffung von teuren Managergehältern deutliche Einsparungen bewirken lassen. Und wenn nicht, könnte man es sich oder die Reichen ruhig auch ein bisschen kosten lassen. Denn die Überführung von zentralen Unternehmen in öffentliches Eigentum ist wohl das wichtigste Anliegen kommunistischer Politik, weil sie den Weg aus der Profitlogik ebnet und demokratische Kontrolle bis zur Verwaltung durch die ArbeiterInnen selbst ermöglicht und damit die Durchsetzung der Interessen jener, welche die notwendige Arbeit in unserer Gesellschaft leisten.

Kommunismus und Kommunalregierung

Überhaupt zeichnet sich die Linkskoalition nicht gerade durch eine Konfrontation mit dem Kapital aus. In einem Bündnis mit den Grünen und der Sozialdemokratie ist das auch nur schwer vorstellbar. Zugegeben, die Möglichkeiten einer Stadtregierung hierfür sind durchaus begrenzt und die Stimmung der Massen ist nicht unbedingt revolutionär.

Aber trotzdem wäre es Aufgabe einer linken Regierung unter Führung von KommunistInnen, in Worten und Taten die Widersprüche zwischen den Klassen für alle sichtbar zu machen und zuzuspitzen. Als Stoßrichtung wäre es ratsam, sich die Worte der Kommunistischen Internationale von 1920 aus den Leitsätzen über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus in Erinnerung zu rufen. Dort heißt es unter anderem, dass KommunistInnen die „Mehrheit in Kommunaleinrichtungen nutzen sollen, um revolutionäre Opposition gegen die bürgerliche Zentralgewalt“ zu treiben, „die Schranken (zu) zeigen, die die bürgerliche Staatsgewalt wirklich großen Veränderungen entgegensetzt“ und „auf dieser Grundlage schärfste revolutionäre Propaganda (zu) entwickeln“.

Statt sich aber darauf zu konzentrieren, betont die KPÖ lieber die Arbeit auf Augenhöhe selbst mit den reaktionären bürgerlichen Kräften ÖVP und FPÖ. Wenn sie sich nicht auf die Enge des Stadtbudgets einschränken würde, könnte sie weitreichende Sozialmaßnahmen einleiten und einen politischen Kampf um deren Finanzierung führen. Und zumindest über die Rekommunalisierung könnte sie mit demokratischen Kontrollmechanismen in den Betrieben gewisse Möglichkeiten zur Ermächtigung der arbeitenden Menschen aufzeigen. Im Gegensatz dazu ist lediglich der Aussage des Klubobmanns der SPÖ-Graz beizupflichten, dass der Regierungspakt sehr viele sozialdemokratische Themen beinhalte. Und was das in der Realität bedeutet, haben Jahrzehnte sozialdemokratischer, bürgerlicher Reformpolitik zur Genüge bewiesen.




Vierte Welle in Österreich: Wie bekämpfen wir die Pandemie?

Heidi Specht, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1171, 1. Dezember 2021

Alle Jahre wieder kommt der nächste Lockdown … Naja, ein bisschen häufiger kommt er schon in letzter Zeit. Nach einem Sommer, in dem die ÖVP die Pandemie für beendet erklärt und die Politik scheinbar geschlafen hat, stehen wir jetzt vor neuen Spitzenrekorden der Infektionszahlen und erneut im Lockdown. Wir werden im Folgenden einen Blick darauf werfen, wie es so weit kommen konnte, wie die Gesamtsituation gerade aussieht und was eigentlich notwendig gewesen wäre  ist.

Die Pandemie und die Impfung

Viren mutieren, das ist weder neu noch außergewöhnlich. Mutationen führen zu Resistenzen gegen Antikörper, die durch Impfungen oder durchgemachte Erkrankungen erlangt wurden. Auch das ist in der Infektionslehre schon lange bekannt. Gerade die neue Omikron-Mutation bringt mit hoher Wahrscheinlichkeit neue Herausforderungen in Bezug auf Impfresistenzen mit sich. Darüber hinaus bietet nicht jeder Impfstoff eine vollständige Immunität. Es steht völlig außer Frage, dass die Impfstoffe gegen Covid-19 eines der wichtigsten Werkzeuge im Kampf gegen die Pandemie sind. Sie verringern das Risiko einer Ansteckung und, sofern es trotzdem dazu kommt, die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs. Doch die Durchimpfungsrate der Bevölkerung ist immer noch zu gering. Eine ungeimpfte Person die an der Delta-Variante erkrankt, steckt statistisch betrachtet vier weitere Personen an. Gefährdet sind neben ungeimpften Personen insbesondere Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Dass prozentuell immer mehr Geimpfte erkranken, ist wenig überraschend – es liegt ganz einfach an der steigenden Zahl von geimpften Personen und der zeitlich abnehmenden Wirksamkeit der Impfung. So oder so, so lange das Virus sich weltweit ausbreitet, mutiert und der Impfschutz nur kurzzeitig wirkt, so lange kann die Impfung alleine die Pandemie nicht beenden. Dazu bräuchte es internationale, politische Maßnahmen.

Aktuelle Situation

Dass die Zahlen im Winter steigen, überrascht MedizinerInnen nicht und sollte PolitikerInnen, die sich informieren, genauso wenig überraschen. Ein Faktor ist, dass sich wieder mehr Menschen in Innenräumen aufhalten und treffen, wodurch das Ansteckungsrisiko im Vergleich zu Treffen im Freien deutlich steigt. Außerdem ist unser Immunsystem in der kalten, feuchten Jahreszeit generell schwächer. Das geschwächte Immunsystem in Kombination mit dem steigenden Infektionsrisiko in Innenräumen führt also generell zu einem Anstieg der Zahlen, insbesondere bei Ungeimpften und Menschen mit Vorerkrankungen.

Neue Rekordzahlen werden also stetig vermeldet, die Intensivstationen sind wieder ausgelastet und überlastet. Hinter den Kulissen in den Krankenhäusern wird wieder eine der schlimmsten Maßnahmen nicht nur diskutiert sondern teilweise auch schon umgesetzt – die Triage. Diese ergibt sich aus Kapazitätsengpässen der Intensivstationen und für die aktuelle Lage unzureichenden Ressourcen. Es geht dabei darum zu entscheiden, wer (lebensrettende) medizinische Versorgung bekommt und wer keine oder unzureichende Behandlung erfährt. Das Krankenhauspersonal wird dazu gezwungen Menschen zum Tode zu verurteilen und diesen hilflos beim Sterben zuzuschauen.

Die Politik hat diesen Zustand auf den Intensivstationen zu verantworten: sowohl die Lage der Beschäftigten als auch die Situation für Menschen, die medizinische Behandlung benötigen. Denn der Sommer wurde wieder nicht genutzt, um Vorbereitungen zu treffen, damit es nicht so weit kommt. Doch bei den aktuellen Pressekonferenzen wird erneut ins selbe Horn geblasen: Wir sitzen (angeblich) alle im selben Boot und müssen die Pandemie gemeinsam besiegen.

Lockdown

Als eine zentrale Maßnahme hat die Regierung einen neuerlichen Lockdown beschlossen. Doch das Letzte, was dieser beweist, ist, dass wir alle im selben Boot sitzen. Der größte Unterschied zu früheren besteht darin, dass er noch weniger Wirkung zeigt.

Vieles entspricht früheren Lockdowns: Freizeitaktivitäten werden de facto auf die eigenen vier Wände eingeschränkt. Homeoffice bleibt eine Empfehlung. Das Haus darf man nur in Ausnahmefällen verlassen, z. B. zum Arbeiten. Doch er ist kaum spürbar. Straßen und öffentliche Verkehrsmittel sind so voll wie immer. Die meisten Menschen haben kein Homeoffice. Selbst ein relevanter Teil der Bundesbediensteten arbeitet entgegen der Behauptungen der Regierung komplett oder teilweise vom Büro aus.

Noch schwammiger ist der aktuelle Lockdown, was die Schulen anbelangt. Die Eltern sollen selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken. Die LehrerInnen sollen Präsenzunterricht für die Anwesenden machen und gleichzeitig Lernpakete für die zuhause Gebliebenen schnüren. Viele Eltern haben gar nicht die Möglichkeit, ihre Kinder zuhause zu behalten, weil sie selbst zur Arbeit müssen. Die Übrigen stehen vor der Entscheidung, ob sie ihre Kinder der Infektionsgefahr aussetzen oder riskieren, dass diese im Unterricht nicht mehr mitkommen, wenn sie nicht dazu in der Lage sind, das Wissen selbst zu vermitteln. Das Offenhalten der Schulen wirkt wie ein bewusster Schritt zu einer weiteren Durchseuchung der Bevölkerung, ausgetragen auf dem Rücken einer Altersgruppe, die zu einem Gutteil noch ungeimpft ist. Insgesamt werden bei diesem Lockdown, wie bei allen vorherigen, Unternehmensprofite über Menschenleben gestellt.

Impfpflicht

Außerdem hat die Regierung angekündigt, ab Februar 2022 eine allgemeine Impfpflicht für Covid einzuführen. Die Details dazu sind noch unklar. Doch scheint es auf Verwaltungsstrafen, potentiell Jobverlust und Streichung von AMS-Leistungen hinauszulaufen. (AMS: österreichischer Arbeitsmarktservice; d. Red.) Maßnahmen also, die Arme wesentlich härter treffen als Reiche.

Die Impfung gegen das Corona-Virus darf keine individuelle Entscheidung sein, denn sie betrifft einen nicht nur persönlich. Durch die Impfung des Großteils der Bevölkerung wird die Verbreitung des Virus deutlich reduziert. Dadurch werden genauso Menschen geschützt, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, wie jene, die aufgrund eines geschwächten Immunsystems ein höheres Risiko für Impfdurchbrüche tragen. Diese Entscheidung betrifft nicht nur ein Individuum, sondern die gesamte Gesellschaft.

Doch der Versuch des österreichischen Staates, diese Verantwortung mit Zwangsmaßnahmen umzusetzen, wird entweder halbherzig und unwirksam oder für klassenkämpferische Kräfte untragbar – mit hoher Wahrscheinlichkeit aber beides. Wir dürfen kein Vertrauen in den bürgerlichen Staat setzen, dass dieser für eine ausreichende Durchimpfung der Bevölkerung sorgen wird. Die Regierung hat in den letzten neun Monaten bewiesen, dass sie unfähig ist, die Bevölkerung von der Impfung zu überzeugen.

ImpfgegnerInnen

Seit Beginn der Pandemie gibt es Teile der Bevölkerung, die die Existenz des Virus, dessen Gefährlichkeit oder die Wirksamkeit von Maßnahmen wie Masken oder Impfungen leugnen bzw. stark relativieren. Je mehr die Regierung die Pandemiepolitik fahrlässig oder mutwillig verbockt, desto stärker wird auch die Bewegung der Menschen, die sich gegen die Maßnahmen stellen. Es handelt sich dabei nicht um eine homogene Gruppe an Menschen, aber geführt werden die Proteste von rechten und faschistischen Kräften, die die Pandemie nutzen, um ihre eigene Agenda voranzutreiben.

Große Aufmärsche wie in Wien genauso wie kleinere Bewegungen wie in Gleisdorf demonstrieren die Gefahr, die diese Bewegung darstellt. Rechtsradikale Kräfte wie die Identitären stehen an der Spitze einer Bewegung, die die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung mit Juden-/Jüdinnenverfolgung gleichsetzt. Diese Bewegung kommt nicht aus der Mitte der Gesellschaft. Es ist eine der extremen Rechten, die Menschen aus der Mitte der Gesellschaft für sich gewinnt und damit erstarkt. Dass es bei der großen Demonstration in Wien im November diesen Jahres keine starke Gegenmobilisierung gab, zeigt die Schwäche der ArbeiterInnenbewegung und der radikalen Linken. Das größte Übel ist allerdings, dass keine eigene linke Strategie der Pandemiebekämpfung sichtbar ist.

Notwendige Maßnahmen

Zu Zeiten steigender Fallzahlen und neuer Mutationen ist ein Shutdown der notwendige erste Schritt und als solcher quasi unvermeidbar. Im Gegensatz zum Lockdown der Regierung darf ein solcher nicht in erster Linie die Freizeit und Treffen im Freien einschränken. Vielmehr müssen alle nicht unmittelbar notwendigen Arbeiten eingestellt oder ins Homeoffice verlagert werden. KapitalistInnen sind bereit, für ihre Profite die Leben der ArbeiterInnen zu riskieren. Ihnen darf die Entscheidung, welche Arbeiten notwendig sind, nicht überlassen werden. Wir brauchen ArbeiterInnenkomitees in den Betrieben, die darüber entscheiden, welche Tätigkeiten fortgesetzt werden. Außerdem müssen dort, wo weiterhin gearbeitet wird, die notwendigen Schutzmaßnahmen von den Beschäftigten selbst entschieden und deren Umsetzung kontrolliert werden. Die Zeit des Shutdowns muss genutzt werden, um die Bevölkerung durchzutesten und so einen möglichst großen Anteil der infizierten Bevölkerung gleichzeitig zu identifizieren.

Die Beschäftigten selbst müssen die Arbeitsbedingungen entscheiden, im Bündnis mit den Gewerkschaften und der Wissenschaft – gerade in systemrelevanten Berufen. Damit ist auch die Entscheidung über Schutzmaßnahmen gemeint. Es geht aber weit darüber hinaus. Gerade im Gesundheitswesen sehen wir neben einem Mangel an Betten und Maschinen auch einen akuten an Personal. Dieser rührt her aus katastrophalen Arbeitsbedingungen, die eine massive körperliche und emotionale Belastung darstellen und viele Menschen aus dem Job drängen. Personalschlüssel, Pausenzeiten, Gehälter etc. müssen deutlich verbessert werden, denn Arbeit im Gesundheitswesen darf nicht krank machen! Das Gesundheitswesen wird hier als Beispiel genannt, da es in der aktuellen Lage besonders belastet und wichtig ist, doch diese Forderung trifft alle Arbeitsverhältnisse, denn Arbeit darf niemanden krank machen.

Forderungen

  • Für einen solidarischen Shutdown unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für die Freigabe aller Impfpatente!
  • Für Offenlegung und Kontrolle der Impfstoffforschung und -produktionsabläufe durch Organe der ArbeiterInnenklasse!
  • Für die Enteignung der ImpfstoffproduzentInnen unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Für eine Aufklärungskampagne zu den Impfstoffen und  eine breit angelegte Impfkampagne, kontrolliert durch die ArbeiterInnenklasse in den Betrieben, Schulen und Wohnvierteln!
  • Für die Kontrolle über Schutzmaßnahmen im Betrieb durch die Beschäftigten selbst!



KPÖ Wahlsieg in Graz: (K)ein Grund zum Fürchten?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1167, 19. Oktober 2021

Die Gemeinderatswahlen in Graz brachten für viele eine große Überraschung: Die KPÖ ist mit 28,84 % (+ 8,5 %) stärkste Kraft und löst damit die ÖVP mit 25,91 % (- 11,88 %) unter Bürgermeister Siegfried Nagl ab. Nach der schwarz-blauen Koalition folgen nun Sondierungsgespräche über Rot-Rot-Grün. Herrscht ab jetzt in Graz der Kommunismus?

Gründe für den Wahlsieg

Die KPÖ in Graz bildet in Österreich eine Ausnahme. In keiner anderen bedeutenden Gemeinde ist die Kommunistische Partei so stark. Die Wurzeln für diesen Erfolg liegen in den 1990er Jahren, als sich die damals langjährig regierende SPÖ immer unbeliebter machte (mittlerweile bei 9,53 %), während die KPÖ mit einer bodenständigen und ehrlichen Kommunalpolitik punktete. Vor allem ihr unermüdlicher Einsatz für die Ärmsten in der Gesellschaft, ihr Fokus auf die immer brisanter werdende Wohnungsthematik und die Tatsache, dass KPÖ-MandatarInnen nur ein Einkommen in der Höhe eines durchschnittlichen FacharbeiterInnenlohns beziehen und den Rest spenden, haben der Partei Anerkennung gebracht. So konnte sie schon 1998 mit Ernst Kaltenegger als Wohnbaustadtrat einen Sitz in der Grazer Proporzregierung einnehmen.

Aber natürlich gehört zu einer Gewinnerin auch der Beitrag der Verliererin. So hat die ÖVP gezeigt, dass sie keine Lösung für die steigenden Wohnkosten hat, sondern diese nur durch Prestigeprojekte für InvestorInnen steigert, während sie gleichzeitig die Verschuldung hochtreibt.

Linke Aufbruchstimmung

Der Wahlsieg hat natürlich breite Begeisterung in der österreichischen Linken ausgelöst. Tatsächlich eröffnet dieser Wahlerfolg die Möglichkeit, dass linkere Kräfte über Graz hinaus wieder ernster genommen werden und ebenfalls profitieren können. Dazu müsste aber auch die KPÖ Graz tatsächlich ein gutes Beispiel als gestaltende Kraft abgeben, was ihr nur gelingen kann, wenn sie ihre angestrebte Sozialpolitik auf die Macht der organisierten ArbeiterInnenklasse stützen würde. Dazu müsste sie über ihre kommunalpolitische, wohltäterische und elektorale Strategie hinausgehen und eine klassenkämpferische im allgemeinpolitischen Sinn einschlagen.

Neuer alter Reformismus

Hinter der kommunalpolitischen Strategie der KPÖ Graz steht eigentlich ein althergebrachtes Fehlkonzept. Zum einen ist die Orientierung auf das Kommunale und Lokale ein Ausdruck der Schwäche, quasi das, wo man zumindest ein bisschen etwas bewirken kann, wenn auch nichts Entscheidendes. Zum anderen verkörpert die KPÖ Steiermark mehr als die Bundes-KPÖ die stalinistischen Überbleibsel der Partei. Dazu gehörte eigentlich immer schon ein Sich-gut-Stellen mit der österreichischen Bourgeoisie im Interesse der „demokratischen“ österreichischen Nation, was man heute noch an der Offenheit für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP sehen kann. An diesem Problem des Sich-Abfindens mit dem kapitalistischen System ändert auch nichts die Selbstbezeichnung von Elke Kahr als Marxistin oder die neue mediale Debatte um Kommunismus, in der man die Selbstdiffamierung des Antikommunismus erblickt.

Den altbekannten Reformismus der KPÖ Graz erkennt man eigentlich schon sehr gut, wenn man sich ihr Wahlprogramm zu Gemüte führt. Schon der Form nach ist es dem gewöhnlicher bürgerlicher Parteien nachempfunden, als Ansammlung von Themenblöcken, in denen allgemeinpolitische Floskeln mit Auflistungen von kleinen Reförmchen gespickt werden. Inhaltlich vermisst man bitter die Analyse der politischen Klassenverhältnisse (inkl. Geschlechterverhätlnisse u. v. a.) in der gegenwärtigen Phase des Kapitalismus, aus der eine konkrete Strategie zur Befreiung der ArbeiterInnenklasse formuliert wird. Das würde eine marxistische Partei auszeichnen. Nun könnte man einwenden, dass es sich hierbei um das Programm für eine Gemeindewahl handelt. Aber selbst wenn man eine ernsthafte linke Kommunalregierung stellen möchte, ist die Machtfrage zumindest perspektivisch aufgeworfen, schon durch den Konflikt, der sich mit der Zwangsgewalt des kapitalistischen Zentralstaates ergeben würde. Und dafür sollte man zumindest erwarten, dass die Kommunalpolitik in einem allgemeineren Kontext behandelt wird. Der Schlüssel läge auch schon im Kleinen darin, die Macht der KapitalistInnen, ihr Vermögen und ihr Eigentum zu konfrontieren und dabei die massenhafte Organisierung der Lohnabhängigen in Stadtteilen und Betrieben voranzutreiben.

Für eine echte neue Linke!

Trotz der offensichtlichen Grenzen der kommunalreformistischen Politik der KPÖ begrüßen wir ihren Wahlerfolg selbstverständlich. Er gibt allen fortschrittlichen AktivistInnen Kraft und Mut und hoffentlich eine bessere Ausgangslage für den Klassenkampf in Österreich. Soll er aber weitere Erfolge nach sich ziehen, dann muss schon jetzt eine Debatte gestartet werden, wie der nächste linke Wahlkampf auf Bundesebene aussehen soll. Wir sprechen uns für eine gemeinsame, klassenkämpferische Wahlkampagne links von SPÖ und Grünen aus. Die akute Regierungskrise aufgrund der Inseratenaffäre um Sebastian Kurz mag zwar überwunden sein, aber die Regierung Schallenberg stellt nur ein Intermezzo zu einem neuen politischen Kräfteverhältnis in Österreich dar.




Rücktritt von Kurz: Abfuhr für Bürgerliche – Chance für Linke!

Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1166, 14. Oktober 2021

Nicht einmal eine Woche, nachdem es zu Hausdurchsuchungen bei der ÖVP in der Parteizentrale sowie im Bundeskanzleramt gekommen war, war Sebastian Kurz schon nicht mehr Kanzler. Nach dem kometenhaften Aufstieg war das sein bisher größter Rückschlag.  Ob er dabei verglühen oder wieder wie eine Bombe einschlagen wird, wird sich noch zeigen. Fest steht: Die politischen Karten werden neu gemischt!

Projekt Ballhausplatz

Am gleichen Tag wie die Hausdurchsuchungen kam auch die Anordnung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) an die Medien. In ihr ist dargelegt, was für Vorwürfe gegen Sebastian Kurz und enge Vertraute von ihm vorliegen. Als schon davor bekanntes „Projekt Ballhausplatz“ wurde der mehrstufige Plan von Sebastian Kurz bezeichnet, von seinem Amt als Außenminister und Zukunftshoffnung der ÖVP aus, zuerst in einem Putsch die Partei und später das Bundeskanzleramt zu übernehmen. Neu ist die strafrechtlich relevante Dimension. In mehreren Stufen wurden offenbar frisierte Umfragen an Medien verteilt, insbesondere an die der Fellner-Gruppe (Österreich, oe24.at).

Zu einer Zeit, als Kurz noch Außenminister war, sollte die ÖVP – damals noch geführt von Vizekanzler Reinhold Mitterlehner – in den Umfragen schlecht dargestellt werden. Als dann Sebastian Kurz die ÖVP übernahm, sollte sich das Blatt wenden. Dafür soll mit der Meinungsforscherin Beinschab zusammengearbeitet worden sein, die teilweise durch Pseudoprojekte des Finanzministeriums und später durch die Fellner-Gruppe bezahlt worden sein soll. Das Wesentliche dabei war, dass es zwar durchaus echte Rohdaten für die Umfragen gegeben haben dürfte, diese aber zugunsten von Sebastian Kurz gewichtet und teilweise frisiert wurden. Schon 2016 hatte Kurz ein Netzwerk an loyalen UnterstützerInnen in der ÖVP sowie in unterschiedlichen Ministerien aufgebaut. Thomas Schmid und Johannes Frischmann waren im Finanzministerium tätig, Sophie Karmasin war Familienministerin, Stefan Steiner war Generalsekretär der ÖVP – sie alle und noch mehr sind als Beschuldigte in der Anordnung für die Hausdurchsuchungen aufgeführt.

Bürgerliche wie Boulevard

Die engste Zusammenarbeit dürfte die Kurz-Clique mit den Medien der Brüder Fellner getätigt haben. Die Meinungsforscherin Beinschab wurde laut Vorwürfen später von deren Seite bezahlt – im Gegenzug für die Inserate in der Höhe von mehr als einer Million Euro. Doch man sollte hier nicht den Fehler begehen zu glauben, dass sich nur das Boulevard einkaufen lassen würde. Vielmehr ist das nur eine Komponente der Vorwürfe, die im Raum stehen. Des Weiteren geht aus den Chatverläufen hervor, dass auch über Rainer Nowak, Chefredakteur der „Die Presse“, Umfragen platziert worden sein sollen. So schreibt Thomas Schmid: „Nowak macht Story Abgrenzung zu NEOS. Blümel spielt in Wien NEOS an die Wand. Rund um Parteitag spielen wir Umfragen groß. Macht er uns.“ Sebastian Kurz dazu: „Großartig!!! Du bist super!“ Nowak dürfte aber auch Umfragen an unterschiedliche Zeitungen in diversen Bundesländern vermittelt haben.

Was sich in den Chatverläufen gut zeigt, ist das, was für KommunistInnen zum politischen Einmaleins gehört, nämlich dass die bürgerlichen Medien alles andere als neutrale und objektive Berichterstattung leisten. Neben den natürlich existierenden unbewussten gesellschaftlichen Prägungen im Interesse des Kapitals, der Vorauslese gewisser bessergestellter Bevölkerungsschichten in den Reihen der JournalistInnen und natürlich noch mehr der RedakteurInnen und ChefredakteurInnen, gibt es noch die gute alte Korruption. Oder wie es Thomas Schmid zusammenfasst: „Hehe, Objektivität gibt es nicht im Journalismus“.

Bestechlichkeit und Bestechung

Von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft wird eine ganze Reihe an Leuten für Tatbestände wie Bestechlichkeit, Untreue und Bestechung als Beschuldigte geführt. Was hierbei aber vor allem interessant ist, ist, dass sich diese Korruptionsaffäre vom typischen Schema der Bestechlichkeit von bürgerlichen PolitikerInnen abhebt. Zuerst einmal kurz zur Klarstellung der Begrifflichkeit. Im österreichischen Strafgesetzbuch werden diese Begriffe nämlich etwas anders verwendet als im normalen Sprachgebrauch. Normalerweise trifft Bestechlichkeit auf den passiven Part einer Bestechung zu. Kurz gesagt, wer sich für eine Gegenleistung zahlen lässt, ist bestechlich, wer zahlt, besticht. Im Strafgesetzbuch beziehen sich die Begriffe aber nicht auf einen etwaigen aktiven oder passiven Teil des Geschäfts, sondern hier wird danach unterschieden, welche Funktion der Personen jeweils existiert. Auf öffentliche AmtsträgerInnen trifft hier der Vorwurf der Bestechlichkeit zu, auf jene, die die AmtsträgerInnen bestechen, der der Bestechung. In weiterer Folge werden wir die geläufigen Begrifflichkeiten und nicht die juristischen verwenden.

Schon die Unterscheidung zwischen juristischen und geläufigen Begrifflichkeiten legt nahe, warum es sich hier um einen speziellen Fall von Korruption handelt. Denn die Rollenverteilung ist in diesem Fall eigentlich vertauscht. Die Kurz-Clique versuchte nicht, aus ihren Rollen als MinisterInnen und BeamtInnen zu profitieren, sondern ihre Posten dazu zu verwenden, um Geld aufzutreiben. Mit diesem sollten dann Bestechungen durchgeführt werden und zwar im Interesse ihrer eigenen Machtsteigerung. Das klassische Gegenbeispiel ist Karl-Heinz Grasser, der versuchte, aus seinem Amt (finanzielle) Vorteile zu ziehen.

Doch was sagt uns das über Sebastian Kurz als Politiker? Im Gegensatz zu einem passiven Gehilfen des Kapitals, der erst durch Bestechung gefügig gemacht werden muss, war (und ist) er entschlossen, die unterschiedlichsten Mittel einzusetzen, um in Machtpositionen zu kommen. Dieser persönliche Ehrgeiz war von ihm von Anfang an mit einer offensiven Politik im Interesse des Kapitals verbunden: Er brachte rassistische Spaltung, den 12-Stundentag und Steuergeschenke für Reiche und Unternehmen. Aber eben nicht primär aus einer passiven Rolle, wo von Seiten der KapitalistInnen (finanziell) nachgeholfen werden musste, sondern aus einer aktiven, eigenständigen Position heraus. Das ist einer der zentralen Gründe dafür, warum er nahezu alle relevanten Teile des Kapitals hinter sich versammeln konnte.

Schritt zur Seite?

Nachdem er 3 Tage lang einen Rücktritt ausgeschlossen hatte, wurde schließlich doch der Druck zu groß – vor allem wegen der Gefahr eines Koalitionsbruchs – und Sebastian Kurz zog die Konsequenzen –  so könnte man meinen. Er legte das Amt des Bundeskanzlers zurück, kehrte aber als Klubobmann in den Nationalrat als Abgeordneter zurück. Das Amt des ÖVP-Chefs behielt er gleichermaßen. Sein Nachfolger als Bundeskanzler wurde Außenminister Alexander Schallenberg.

Schallenberg selbst könnte kaum aus einem elitäreren Hintergrund stammen. Seine Familie ist ein Jahrhunderte altes Adelsgeschlecht, sein Vater war Botschafter und Generalsekretär im Außenministerium. Er selbst ist Berufsdiplomat. Wesentliche Fortschritte auf seiner Karriereleiter hat er Kurz zu verdanken. Nachdem Sebastian Kurz 2013 das Außenministerium übernahm, wurde Schallenberg zum Leiter der neu geschaffenen „Stabsstelle für strategische außenpolitische Planung“ und damit mehr oder weniger direkter Berater von Sebastian Kurz und prägend für seine außenpolitischen Positionen. Nachdem Kurz zuerst die ÖVP und kurze Zeit später das Bundeskanzleramt übernommen hatte, saß Schallenberg im Verhandlungsteam der ÖVP. Unter der Übergangsregierung von Brigitte Bierlein wurde er zum Außenminister bestellt – ein weiterer Beweis dafür, dass die damalige „ExpertInnen“-Regierung einen deutlichen Rechtsdrall aufwies. Unter der neuen türkis-grünen Regierung wurde er dann ebenfalls wieder Außenminister. Deutlich zeigt sich hier also, dass Alexander Schallenberg ganz klar dem Kurz-Flügel der Partei zuzuordnen ist und die wesentlichen Aufstiege in seiner Karriere – wie wohl auch den bisher letzten zum Bundeskanzler – Kurz zu verdanken hat.

Unmut in der ÖVP

Doch wir sollten uns nicht der verkürzten Analyse hingeben, dass mit dem Rücktritt von Kurz und der Ernennung Schallenbergs zum Kanzler sich überhaupt nichts geändert hätte. Unmittelbar ist Sebastian Kurz zumindest als Parteichef offensichtlich bestimmend in der ÖVP und darüber sollten wir uns nicht täuschen, aber gleichzeitig sollte man nicht den Beginn des Aufstiegs von Sebastian Kurz vergessen. Als er sich im Mai  2017 zum ÖVP-Chef krönen ließ, konnte er gleichzeitig wesentliche Vollmachten in der ÖVP durchsetzen, die sogar statutarisch verbrieft wurden. Das ging mit einer deutlichen Zentralisierung der traditionell föderalistisch und in Bünden aufgebauten ÖVP einher. Aber die laufenden Ermittlungen werden wohl oder übel weitere Offenbarungen über Sebastian Kurz und sein Umfeld zu Tage bringen und die teilentmachteten Bünde der ÖVP werden ihre Chance wittern, sich die Macht zurückzuholen. Schon jetzt wurde eine klare Diskrepanz zwischen Zentrum in Wien und den Bundesländern deutlich. Während Kurz von den Nationalratsabgeordneten der ÖVP mit 100 % zum Klubobmann gewählt wurde, gingen gleichzeitig einige ÖVP-Landeshauptleute auf Distanz. Platter (ÖVP-Landeshauptmann von Tirol) sagte von sich, dass er „ein Schwarzer“ (und damit kein Türkiser) sei, Mikl-Leitner (Landeshauptfrau Niederösterreichs) meinte, sie sei „allen voran Niederösterreich verpflichtet“ und die „Vorwürfe [müssen] aufgeklärt werden“ oder Wallner (Landeshauptmann Vorarlbergs) dazu: „Nicht unser Stil. Wo man’s kann, muss man es abstellen.“

Wir dürfen also davon ausgehen, dass in der ÖVP langsam aber sicher die uneingeschränkte Macht von Sebastian Kurz aufhören wird, gerade wenn es in den nächsten Wochen und Monaten neue Enthüllungen gibt. Damit ist natürlich auch die Wahrscheinlichkeit von Neuwahlen verbunden, auch wenn eine unmittelbare Aussicht darauf erstmal gebannt zu sein scheint.

Und die Linke?

Die Linke hat es zwar in Wien geschafft, durch spontane und kräftige Mobilisierungen einen gewissen öffentlichen Druck gegen Sebastian Kurz auszuüben, aber wie schon bei der Ibiza-Affäre zeigte sich, dass sie von sich aus nicht im Stande ist, einen (Vize)-Kanzler zu Fall zu bringen. Die offizielle ArbeiterInnenbewegung, organisierte in den Gewerkschaften und der SPÖ, blieb passiv. Letztere beschränkte ihren Misstrauensantrag sogar auf Finanzminister Blümel, statt ihn gegen die ganze Regierung zu richten. Gleichzeitig ist aber aktuell durch unterschiedliche Faktoren die Chance einer stärkeren linken Alternative bei durchaus wahrscheinlichen verfrühten Nationalratswahlen vor 2024 sehr groß. Vor nicht einmal einem Monat konnte die KPÖ in Graz zur stärksten Kraft aufsteigen und damit verbunden ist eine noch nie dagewesene Akzeptanz für kommunistische Politik – auch wenn die der KPÖ Steiermark mit klassisch sozialdemokratischer mehr gemein hat. Die unterschiedlichen linken Kräfte links der SPÖ und der Grünen sollten sich also heute schon darüber Gedanken machen, wie ein österreichweites Projekt für die nächsten Nationalratswahlen aussehen kann, um nicht – wie so oft – von den Ereignissen überrollt zu werden. Ein Wahlbündnis könnte den Weg zu einer neuen, linken Partei eröffnen, in der KommunistInnen für eine Ausrichtung auf die ArbeiterInnenklasse und einen revolutionären Antikapitalismus kämpfen können.