Rezession im Superwahljahr: Politisch-Ökonomische Perspektiven 2024

Mo Sedlak, Die Flammende, Politisches Magazin des Arbeiter*innenstandpunkts, Frühjahr 2024, Infomail 1251

Die politischen Zeichen stehen auf Sturm, die Wirtschaft ist in der Flaute.

Die türkis-grüne Regierung hat keine Umfragemehrheit mehr und orientiert sich voneinander weg, hin zu einer schwarz-blauen beziehungsweise einer Ampelkoalition. Die FPÖ könnte klar auf Platz 1 gewählt werden und droht mit einem Regierungsprogramm des radikalen Rassismus und Sexismus, vor allem auch gegen queere Menschen. Die Rezession, die 2023 begonnen hat, kostet Arbeitsplätze und wird die Gewerkschaften zu einem noch zahmeren Verhandlungskurs bewegen. Die Inflation bleibt weiter hoch und über dem europäischen Durchschnitt, was Arbeiter:innen und Erwerbslose weiterhin sehr belastet. Seit dem Einbruch der Industrieproduktion letztes Jahr wird die österreichische Wirtschaft fast ausschließlich von der Konsumnachfrage getragen – die kann unter Arbeitsplatzverlusten, Inflation oder nicht erneuerten Staatshilfen jederzeit einbrechen. Durch die gestiegenen Zentralbankzinsen und die Großzügigkeit bei Corona-Unternehmenshilfen steht auch das Staatsbudget unter Druck. Sparpakete und Konsolidierungsmaßnahmen werden aber sicher nicht im Wahljahr beginnen – die nächste Bundesregierung wird dann aber ziemlich sofort zum Angriff auf soziale Absicherung und erkämpfte Errungenschaften übergehen.

2024 startet aber auch mit großem politischem Potential für linken Widerstand. Die SPÖ hat ihren linksten Parteivorsitzenden seit Jahrzehnten gewählt. Die KPÖ und ihre lokalen linken Verbündeten könnten erstmals seit Nationalratswahlen 1956 einziehen. Sie wären dann die einzige Oppositionspartei, die weder an eine Kapitalfraktion gebunden ist, noch über die Sozialpartnerschaft den österreichischen Kapitalismus verwaltet. Am Arbeitsmarkt steigt die Verhandlungsmacht der Arbeiter:innen durch Arbeitskräftemangel, Pensionierungswelle und abnehmender Ungleichheit zwischen Vollzeit- und Teilzeitstellen. Das hat es den Gewerkschaften erlaubt, die Lohnsteigerungen der letzten Jahre relativ breit zu verteilen, aber auch kämpferische Belegschaften zu beruhigen.

2024 wird auch ein Jahr der sich zuspitzenden imperialistischen Widersprüche. Internationalistische Forderungen werden die Arbeit von Revolutionär:innen prägen, internationalistische, anti-imperialistische und anti-militaristische Bewegungen sind aber auch an ihrem stärksten Punkt seit dem Irakkrieg. In den westlichen imperialistischen Ländern und besonders in Österreich wird der Anpassungsdruck hinter die Staatsräson mit zunehmender Propaganda und Repression ausgeübt, was zu steigendem Staatsrassismus aber auch zunehmenden Widersprüchen in der Linken führt.

Die Rechte treibt darüber hinaus eine Reihe von reaktionären Angriffen weiter, gegen die Rechte von Frauen, queeren Personen, Menschen mit Migrationsgeschichte und politischen Minderheiten. Die Hetze gegen trans Personen (und in der rechten Propaganda allen queeren Personen) ist zu einem Eckpunkt rechter Mobilisierungen geworden. Auch die ÖVP fordert die Rechte von queeren Personen einzuschränken, wenn sie beispielsweise ein Verbot von Drag Shows fordert oder für Förderungsstopps an queere Zentren eintritt. Der Rassismus der rechten Umfragemehrheit ist noch direkter und auf tödliche Weise wirksam. Das tausendfache Morden an den Außengrenzen, Schikanen und Polizeigewalt gegen Geflüchtete werden von der zunehmenden antimuslimischen Hetze angefeuert. Die Propaganda über „importierten“ muslimischen Antisemitismus reicht bis zu den Grünen und der SPÖ, dient aber vor allem dazu, den Antisemitismus von ÖVP- und FPÖ-Mandatar:innen zu rechtfertigen und die rassistisch diskriminierten Arbeiter:innen noch weiter zu marginalisieren. Dazu kommen offen diskriminierende Konstruktionen im Arbeitsrecht und Schikane-Anweisungen an das AMS, die die selbst konstruierten Sündenböcke für alles in einen entrechteten Mindestlohnsektor verbannen wollen.

Die sozialen Bewegungen sind in den letzten Jahren eher schwächer geworden. Linke Massendemonstrationen wie zu Black Lives Matter oder zum Rücktritt von Sebastian Kurz sind seltener geworden. Es gibt aber Ausnahmen: Die lang vorbereitete feministische Kampftagdemo am 8. März oder die Proteste der Elementarpädagog:innen. Die Mobilisierungsschwäche wird aber durch stärkere Strukturen und mehr Selbstbewusstsein ausgeglichen. Auch die Klimabewegung hat trotz immer kleinerer Demonstrationen einen aktivistischen Kern gehalten und ausgebaut. Diese klar außerparlamentarischen Strukturen werden in der Lage sein, den Regierungsangriffen mit Mobilisierungen zu antworten. Ob dieser Widerstand erfolgreich ist, hängt aber davon ab, ob eine gemeinsame Strategie und ein gemeinsames Aktionsprogramm gefunden werden können.

2023 war ein schlechtes Jahr, das hätte schlimmer sein können

In unseren politisch-ökonomischen Perspektiven für 2023 haben wir geschrieben, dass die österreichische und europäische Wirtschaft in eine Rezession bei gleichzeitigen hohen Inflationsraten schlittert. Das ist so auch passiert, darüber waren sich bürgerliche und marxistische Ökonom:innen aber sogar einig. In manchen europäischen Staaten ist aber zumindest die Preisexplosion zurückgegangen, auch die Wirtschaftsentwicklung schaut nur in einzelnen Kleinstaaten schlechter aus als in Österreich (Estland, Irland, Luxemburg und Ungarn). Der Hintergrund der Rezession waren die seit 2015 sinkenden Profiraten, die durch die massive staatliche Umverteilung während der Pandemie und eine stärkere Exportorientierung der österreichischen Industrie gedämpft wurden. Diese Gegentendenzen haben 2023 aber ihre dämpfende Wirkung verloren, auch unter dem Druck der Energiepreiskrise und der neuen Blockbildung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Die Rezession ist aber nicht in eine Krise übergegangen, Produktion und Reproduktion laufen weiter. Energieversorger und Industrie haben große Reserven, 2022 und 2023 haben sie sogar Rekordprofite gemacht. Die Wirtschaft wird vor allem durch die Konsumnachfrage der Arbeiter:innen stabilisiert, trotz der Kaufkraftverluste bei den unteren Einkommen . Wegen dem Arbeitskräftemangel und den hohen Profiten vor allem bei den stärksten Kapitalen hatten Firmen eine recht hohe Bereitschaft, Löhne zu erhöhen. Den Gewerkschaften ist es gelungen, viel von dieser Zahlungsbereitschaft in Kollektivvertragserhöhungen zu leiten statt in die individuelle Überzahlung von besonders gefragten Arbeiter:innen. Das stärkt die Konsumnachfrage und reduziert auch die Lohnungleichheit innerhalb der Arbeiter:innenklasse. Gleichzeitig sind viele Abschlüsse hinter der Inflation zurückgeblieben, 2023 war für viele ein Jahr der Reallohnverluste.

Für die österreichische Industrie war der wichtigste Faktor im vergangenen Jahr aber die relative Stabilität auf den internationalen Güter- und Finanzmärkten. Die österreichischen Banken selber sind trotz der großen Investitionen in Russland ganz gut abgesichert. Eine internationale Finanzkrise hätte diesen dünnen Deich aber leicht überrollt, das war schon Anfang 2023 sichtbar:

„Gleichzeitig scheinen die europäischen Regulierungsbemühungen nach 2008 bei den österreichischen Geschäftsbanken schon zu Veränderungen geführt zu haben. Die Eigenkapitalquote ist, bis auf Kleinstbanken wie im berüchtigten Mattersburg, relativ stabil. Das wird nicht ausreichen, wenn es eine gesamtwirtschaftliche Krisendynamik gibt (das zeigt auch die jetzt schon langsamere Kreditvergabe). Derzeit deutet aber nichts darauf hin, dass diese in Österreich vom Bankensektor ausgehen würde.“

Mitte März 2023 kam es mit dem „ersten Bankenwackeln“ bei der Silicon Valley Bank und der Signature Bank New York, dann mit dem Zusammenbruch der Credit Suisse, zu so einer instabilen Entwicklung. In nur einer Woche musste die amerikanische Fed mehr Hilfsgelder ausschütten als jemals zuvor in so einem kurzen Zeitraum, sogar mehr als während irgendeiner Woche in der Finanzkrise 2008.  Die Bankgewinne haben sich über das Jahr 2023 aber stabilisiert, auch wegen der Übergewinne durch die Zentralbank-Zinserhöhungen: Sie verlangen und bekommen jetzt einfach mehr Geld für ihre Bankleistungen. Die Anzahl der geschäftsgefährdenden Kreditausfälle oder Kursstürze ist aber klein geblieben. Unter dem steigenden Zinsdruck leiden vor allem Arbeiter:innen mit Hypotheken oder Konsumkrediten, aber nicht die Profite.

Für die Arbeiter:innen und die Industrie in Österreich ist 2023 schlecht gelaufen, aber nicht so schlimm wie es hätte kommen können. Zum Beispiel nicht so schlimm wie für die österreichische Regierung. Schon seit Jahresbeginn haben sich ÖVP und Grüne aneinandergeklammert wie zwei Betrunkene am Heimweg, eine Regierung ohne Umfragemehrheit, deren Minister:innen nicht anerkannt werden und die sich heftig streiten, miteinander und parteiintern. ÖVP und Grüne stehen für die politische Koalition einer politischen Mitte ohne Verbindungen in die organisierte Arbeiter:innenklasse (wie die SPÖ) oder in die außerparlamentarische Rechte. Sie ist vor allem der Versuch, zwei Kapitalfraktionen zusammenzubringen, die Profiteur:innen einer kapitalistischen grünen Wende und die Verwalter:innen des alten Fossilkapitalismus, die neidisch auf die Subventions-Extraprofite schielen.  Politisch und ökonomisch ist diese Allianz gescheitert. Den großen Teil der ÖVP zieht es zurück ins rechte, teilweise rechtsautoritäre Lager, eine relevante Minderheit will die sozialpartnerschaftliche Stabilität einer großen Koalition zurück. Die Grünen sehen mal wieder die Felle der Macht davonschwimmen, können aber schwer noch mehr Zugeständnisse machen. Und selbst die sichern keine weitere Regierungsbeteiligung mehr ab.

Die Schwäche der Regierung hat aber auch etwas Gutes: Weder im Jahr der Instabilität noch im Wahljahr stehen staatliche Konsolidierung, Sparpakete und Sozialabbau auf der Tagesordnung. Die werden der nächsten Bundesregierung überlassen, eine Horrorvorstellung für Arbeiter:innen, Erwerbslose und alle, die staatliche Unterstützung brauchen würden. Welche Parteien nach der Nationalratswahl ans Ruder kommen, macht also, wenn überhaupt, nur einen Unterschied in der genauen Ausformung der Politik gegen die arbeitende Bevölkerung.

Internationale Dynamiken: Krieg, Instabilität und neuerwachender Internationalismus

In einem kapitalistischen Weltmarktsystem hängen die einzelnen Volkswirtschaften eng miteinander zusammen. Wirtschaftspolitik, nationale konzentrierte Kapitalfraktionen und Arbeitsmarktdynamiken führen zu natürlich trotzdem unterschiedlichen Entwicklungen. Das zeigt zum Beispiel die beständig überdurchschnittliche Inflation in Österreich. Aber wenn eine globale Krise anrollt, bleibt kein noch so national abgegrenztes Auge trocken.

Dass die Rezession gerade 2023 begonnen hatte, ist auch einem weltpolitischen Auslöser zu verdanken. Der russische Angriff auf die Ukraine und die folgende innerimperialistische Konfrontation unterbrachen Lieferketten und ließen die Energiepreise explodieren. Das verstärkte aber nur den ohnehin schon bestehenden inflationären Druck: Wegen der fallenden Profitraten setzten Kapitale immer mehr auf Preiserhöhungen statt auf Ausweitung der Produktion, in Erwartung ihre neuen Anlagen gar nicht mehr so profitabel einsetzen zu können.

Aber schon vor 2023 waren die internationalen Spannungen zu einer Belastung für die nationalen Kapitale geworden (außer ihr „idealkapitalistischer“ staatlicher Vertreter war zufällig gerade am erfolgreichsten). Der Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China beziehungsweise der EU, die Konfrontation von US- und Russland-gestützten Kräften in Syrien, und die zunehmende Aggression zwischen den USA und China hatte gezeigt, dass die Neuaufteilung der Welt nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wieder mal an ihre Grenzen gestoßen war. Auf die Periode der Globalisierung folgte eine neue Blockbildung mit ernsthaften Deglobalisierungstendenzen.

Seit Oktober 2023 ist diese Lage mit dem Krieg in Gaza und seiner langsamen Ausweitung auf die gesamte Region deutlich eskaliert. Die USA wollen ihrem engen Verbündeten Israel Zurückhaltung einreden, weil sie eine Neuorientierung der arabischen Staaten hin zu China und Russland befürchten. Gleichzeitig weiten sie selbst den Krieg auf den Jemen aus und eskalieren die Besatzung im Irak weiter.

Das Massaker der israelischen Armee an der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und die genozidalen Vertreibungsfantasien der israelischen Staatsspitze haben Arbeiter:innen und Jugendliche weltweit mobilisiert. Sie sind die Mehrheit der Menschen, die in der größten internationalistischen Solidaritätsbewegung seit dem US-Überfall auf den Irak auf die Straße gehen. Die Versuche von reaktionären Regierungen und Bewegungen, die Bewegung zu dominieren, scheitern an deren unehrlicher Haltung zur palästinensischen Bevölkerung. Solange die Bewegung weiterhin massenhaft mobilisiert, wird die Vereinnahmung auch weiterhin schwierig. Gleichzeitig stellt sie eine ernsthafte Herausforderung für den imperialistischen Konsens dar, sich hinter die israelischen Massaker zu stellen. Sie kann auch zur Gefahr für die despotischen Regierungen in der Türkei, Ägypten und in den Staaten des mittleren Ostens werden, wenn sie ihre Opposition gegen die israelische Gewaltherrschaft auf den Kapitalismus und die Zusammenarbeit mit Imperialist:innen ihrer eigenen Regierungen ausweitet.

Aufstieg der Linken

Die hoffnungsvollen Zeichen in Österreich sind verhaltener als die Massendemonstrationen gegen Krieg und Besatzung. Das letzte Jahr hat trotzdem Erfolge für linke Kräfte in der Arbeiter:innenbewegung gebracht. Der interne Wahlsieg von Andreas Babler hat statt einer Reihe an immer rechteren Elendsverwalter:innen einen tatsächlich linken Sozialdemokraten an die Spitze einer Massenpartei gebracht. Sein Sieg war auch die Folge davon, dass sich der sozialchauvinistisch-rechte Flügel um Doskozil und der bürgerlich-rechte der Partei hinter Rendi-Wagner nicht einigen konnten. Bablers Wahl auf dem Parteitag zeigte auch, dass wichtige Teile der Parteibürokratie, vor allem in Wien, ihn als geringeres Übel als Doskozil gesehen haben. Trotzdem oder gerade deshalb ist es schwierig für seine Anhänger:innen, die Parteistrukturen zu ändern. Auch die Programmatik der Partei bewegt sich nur langsam, trotz der linken Rhetorik des neuen Vorsitzenden. Dazu kommt ein handfestes Problem: Für eine traditionelle Sozialdemokratie mit linker Rhetorik und verantwortungsvollem Co-Management fehlt die politisch-ökonomische Basis. Die Sozialpartner:innenschaft als staatstragendes Projekt ist tot und ihre Strukturen dezentralisieren sich zunehmend. Wenn die SPÖ-Linke ihre Versprechen umsetzen will, muss sie auf eine Konfrontation setzen, vor der die Partei seit Jahrzehnten zurückschreckt.

Trotzdem ist klar: Das neue Versprechen der Sozialdemokratie, durch Reformen zwar keine bessere Welt aber zumindest langsamere Verschlechterungen zu erreichen, vertritt Babler glaubhafter als seine Vorgänger:innen. Wenn es ihm gelingt, die Partei auf Konfrontationskurs zu bringen, wird das die Verhandlungsposition der Arbeiter*innen erst einmal stärken.

Die Illusion der Sozialpartner:innenschaft und die schnelle Einreihung in die europa- und außenpolitische Linie des österreichischen Kapitals sind aber Bablers zwei Achillesfersen. Sie bieten den Arbeiter:innen keine Perspektive in den weiter eskalierenden Krisen. Will die Linke in der SPÖ sich behaupten, braucht sie einen Weg zur Macht und einen Bruch mit der reformistischen Mitverwaltungslogik, sie muss die soziale Rhetorik ihres Vorsitzenden auf Klassenkampf stützen. Dazu gehört auch, die verkrusteten bürokratischen Parteistrukturen aufzubrechen, was aber aktuell nicht abzusehen ist. Auch der Parteitag auf dem ursprünglich weitereichende innerparteiliche Reformen angedacht waren, entpuppte sich als sehr zahm. Lediglich die Direktwahl (aber nicht mehr eine Abstimmung über mögliche Koalitionsabkommen) wurden umgesetzt.

Auch neben der SPÖ erstarkt die parlamentarische Linke. Die KPÖ hat nach dem Bürgermeisterinnenposten in Graz auch stabile 4 Mandate durch 11,7 % bei den Salzburger Landtagswahlen erreicht. In der Stadt Salzburg ist sie sogar zweitstärkste Kraft geworden. Die KPÖ baut wachsende Strukturen in den Bundesländern auf, bei der Nationalratswahl scheint sogar zum ersten Mal seit mehr als 50 Jahren ein Einzug möglich, entweder durch Überspringen der 4%-Hürde oder durch ein Regionalmandat in der Steiermark.

Die KPÖ hat durch die politische Allianz mit der Jungen Linken in der selbst ausgerufenen „kommunistischen Bewegung“ einen Schwung neuer Aktivist:innen und Kader bekommen. Die neue Bundesspitze und der Salzburger Landtagswahlsieger kommen aus der Jugendorganisation. Der Wahlerfolg spiegelt aber auch wider, dass eine relevante Minderheit vor allem in den Städten von der SPÖ desillusioniert ist, ohne sich nach rechts zu orientieren. Am Weg zum Wahlerfolg hat die KPÖ sich aber auch noch einmal weiter in die Mitte bewegt. Der Programmprozess weg von den Flügeln stalinistischer und eurokommunistischer Linksreformismus hin zu einer fast sozialdemokratischen Ausprägung wurde fortgesetzt. Auch schafft es die KPÖ weiterhin nicht, klassenkämpferische Antworten auf den eskalierenden Rassismus und die Klimakrise zu anzubieten.

Die Erfolge der KPÖ zeigen aber trotzdem eine gesellschaftliche Orientierung nach links und bieten durchaus Potential, innerhalb der Arbeiter:innenbewegung für klassenkämpferische und revolutionäre Forderungen einzutreten.

Regierungsrepression, Angriffe und das Damoklesschwert Konsolidierung

Babler und die KPÖ bekommen viel mediale Aufmerksamkeit. Das bedeutet auch viel medialen Druck. Bei Babler sind es vor allem die internationalistischen Positionen, für die er noch kurz vor der Vorsitzwahl eingetreten ist, die angegriffen und ins Lächerliche verzerrt werden. Bei der KPÖ wird die teilweise offene politische Bewunderung von Mitgliedern und einzelnen Funktionär:innen für das russische Regime angegriffen und der gesamten Partei vorgeworfen.

Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober und dem folgenden Krieg der israelischen Armee gegen die Bevölkerung des Gazastreifens richten sich die Angriffe von Regierung und Medien auch gegen jede friedens- und neutralitätspolitische Position in der parlamentarischen Linken. Die österreichische Regierung nimmt im internationalen Vergleich eine besonders rechte Rolle ein. Zusammen mit nur einer Handvoll Ländern stimmte sie gegen Waffenstillstands-Resolutionen, die Kanzlerpartei wird nicht müde zu betonen, dass sie jeden israelischen Militäreinsatz unterstützt. Sogar humanitäre Hilfe wird teilweise als materielle Terrorunterstützung verunglimpft. Dieser Anpassungsdruck wirkt auf alle Aspekte des politischen Lebens und sogar in die Linke hinein.

Die propagandistische Mobilisierung richtet sich aber nicht vor allem gegen die Linke. ÖVP und FPÖ hetzen vor allem gegen Muslim:innen und Menschen mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern, auch in der SPÖ, bei NEOS und den Grünen finden sich Unterstützer:innen für ungehemmten antimuslimischen Rassismus. Muslim:innen werden unter Generalverdacht gestellt, geschlossene Grenzen gefordert, SPÖ und ÖVP werfen sich gegenseitig vor, wegen „offener Grenzen“ Einladungen an Antisemit:innen ausgesprochen zu haben. ÖVP und FPÖ bereiten sich offensichtlich darauf vor, einen offen hetzerischen Wahlkampf zu führen. Die Toten in Israel und Palästina werden ihnen billige Stichwortgeber:innen für eine Kampagne sein, die Migrant:innen in Österreich weiter benachteiligen und das Morden an den europäischen Außengrenzen eskalieren wird. Das kaschiert auch den gängigen Antisemitismus von FPÖ-Spitzen und die Indifferenz der ÖVP gegenüber ihrer Koalitionspartnerin in mehreren Landtagen.

Neben Staatsrassismus und Hetze steigen aber auch Rassismus und Antisemitismus in der Bevölkerung an. Sowohl die israelitische Kultusgemeinde als auch die Meldestelle antimuslimischer Rassismus haben seit dem 7. Oktober eine Vervielfachung von Übergriffen und Straftaten berichtet. Kurz nach dem Kriegsbeginn wurden in Wien Autos mit Hakenkreuzen beschmiert (ein österreichischer Rechtsextremer wurde festgenommen) und ein Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs verübt. Die Hetze der staatstragenden Rechten wirkt auch in die Breite der Bevölkerung. Sie ist gemeinsam mit Queerfeindlichkeit, latenter Klimawandelleugnung und prinzipiellem Frauenhass die ideologische Klammer einer möglichen schwarz-blauen Regierung.

Widerständige Bewegungen

Es spricht einiges dafür, dass sich betroffene Communities das nicht so einfach gefallen lassen werden. Die Gegenmobilisierung rund um eine rechte Kundgebung rund um die Türkis Rosa Lila Villa brachte Tausende auf die Straße und in Blockadeversuche. Die feministische Kampftag-Demo am 8. März war so groß wie schon seit Jahren nicht mehr. Und Communities von rassistisch Unterdrückten, vor allem Muslim:innen, sind seit den Bombardements von Gaza immer wieder zu Tausenden auf die Straße gegangen. Während Teile der Bewegung, besonders Demonstrationen von bestimmten querfront-affinen Gruppen, rechts geführt sind, gilt das keineswegs für alle und nicht nur die kleinen linken Mobilisierungen stehen dagegen. Auch die Klimabewegung hat aus den Bewegungen rund um Fridays for Future und dann die radikalere Lobaubesetzung Strukturen und Netzwerke aufgebaut. Dazu gab es dieses Jahr auch wieder größere Reibungen im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen, insbesondere die Elementarpädagog:innen machten mit großem Protest und einem Streiktag auf sich aufmerksam.

Es existieren lose, aber mobilisierungsstarke Zusammenhänge rund um die Fragen, in denen die Rechte am radikalsten hetzt und wo SPÖ und KPÖ noch wenig Position beziehen. Diese Strukturen haben das Potential, Widerstand gegen die mögliche rechte Politik einer kommenden Bundesregierung aufzubauen. Dafür müssen sie sich aber, anders als bisher, auf eine Strategie und ein Aktionsprogramm einigen. Das muss sich gegen den gemeinsamen Nenner, bürgerliche Politik und deren Sponsor:innen im Kapital richten, statt die reaktionären ideologischen Versatzstücke als einziges Problem anzugreifen.

Selbstbewusste revolutionäre Organisierung

Die linken und linksliberalen Hoffnungen auf ein Superwahljahr 2024 könnten auf den ersten Blick entmutigend für Revolutionär:innen wirken, deren Aktivität nicht auf überhöhten Hoffnungen in Vertretungswahlen basiert. Die breiten Ängste vor einem weltweiten Rechtsruck und entsprechende Überlegungen über das kleinere, reformistische oder sogar konservative Übel als (selbsternannte) Brandmauer vor dem Rechtspopulismus schlagen in dieselbe Kerbe. Aber Entmutigung ist unangebracht. Die politisch aufgeladene Stimmung, die sichtbar großen Herausforderungen und die stärker werdenden internationalistischen Bewegungen sind ein Umfeld, in dem revolutionäre Arbeit notwendig und vielversprechend ist.

Die Eskalationen im Nahen Osten gehen weit über die grausamen Massaker hinaus, die nach dem Angriff am 7. Oktober vorherzusehen waren. Bombardements durch US-amerikanische und britische Truppen im Jemen, Beschuss zwischen irakischen Milizen und dem Iran, und der Schlagabtausch zwischen Israel und dem Libanon sind die Vorboten eines imperialistischen Kriegs auf mehreren Schlachtfeldern.

In der Ukraine wird nicht nur um die Selbstbestimmungsrechte gekämpft, sondern es stehen sich Vertreter:innen des westlichen und russischen Imperialismus gegenüber. Vor den türkischen Bombardements der kurdischen Selbstverwaltung fliehen selbst US-Truppen, eine Wiederkehr des IS wird in Kauf genommen. Das zeigt nicht nur den genozidalen Anspruch des NATO-Staates, sondern auch die Fragilität des ganzen Militärbündnisses. Der Konflikt zwischen dem chinesischen und dem US-amerikanischen Imperialismus scheint vorerst nicht auszubrechen, spitzt sich aber immer wieder zu. In den Drohgebärden rund um Taiwan und gegenseitigen Sanktionsdrohungen offenbart sich, dass diese Konkurrenz fundamental ist. Sie wird nicht mit zwei Sieger:innen lösbar sein und sich bis zum 100-Jahres-Jubiläum des Volksrepublik China immer weiter zuspitzen.

Eine internationalistische Antwort ist in dieser Zeit schon richtig, aber nicht nur richtig. Sie wird viel mehr Menschen überzeugen, als wenn die Widersprüche weniger eskalieren, aber sie ist nicht nur überzeugend. Die imperialistischen Blöcke stehen sich wieder einmal direkt gegenüber. Weltweit sind Millionen auf der Straße, sie demonstrieren entweder für einen Rückzug der US- und EU-unterstützten Aggressionen oder gleich für deren Niederlage. Ein internationalistisches Programm ist notwendig und muss sich an eine internationale Massenbewegung richten.

Die Widersprüche in Österreich spitzen sich in fast unheimlicher Parallelität zu. Im wirtschaftlichen Abschwung 2024 eskaliert der Widerspruch zwischen ÖVP-Kürzungsplänen und SPÖ-Sozialstaatswünschen. Die Stoßrichtungen der Wahlprogramme lassen sich nicht mehr in einer großen Koalition oder der Sozialpartner:innenschaft zusammenfassen. Und keines davon bietet eine Perspektive für die Arbeiter:innen und Erwerbslosen, die von der Teuerung belastet und vom Arbeitsplatzverlust bedroht sind. Eine unabhängige, klassenkämpferische Antwort ist notwendig und setzt direkt an den Forderungen an, die Kolleg:innen in Warnstreiks fast aller großen Industriebranchen geäußert haben.

Die ÖVP geht mit Wahlprogrammen der FPÖ aus den 2010er-Jahren auf Stimmenfang. Neben ihrem Rechtsruck formuliert die FPÖ ein noch rechteres Programm: Massendeportationen, Jagd auf angebliche Volksverräter:innen, Angriffe auf Errungenschaften der feministischen Bewegung und Hetze gegen die LGBTQIA- Community. Die Pläne der deutschen AfD, millionenfach abzuschieben, sind durch investigative Recherchen öffentlich geworden, die FPÖ bekennt sich im Vergleich dazu ganz offen im Hauptabendprogramm zu Verfassungsänderungen, die so etwas möglich machen sollen. Dagegen sind Zehntausende auf die Straße gegangen. Auch wenn die zivilgesellschaftlichen Forderungen der Demonstrationen dem Rechtsruck nichts entgegensetzen können, zeigen sie zumindest das vorhandene Bewusstsein für eine notwendige Massenbewegung gegen Rechts.

Gegen die Klimabewegung, Gleichstellungspolitik und die Aktivitäten von LGBTQIA- Aktivist:innen hetzen ÖVP und FPÖ, als ob sie voneinander abschreiben würden. Sozialdemokratie und Linksliberale haben dem außer Lippenbekenntnissen nichts entgegenzusetzen. Im Aktivismus ist von ihnen nichts zu sehen und ihre Programme für Klimawende und soziale Berechtigung gehen an der Dramatik der Krisen vorbei. Gleichzeitig sind die Protestinitiativen in diesen Bereichen zwar klein, aber gut vernetzt. Sie haben Erfahrung mit großen Mobilisierungen und längeren Kampagnen, kennen auch die Konfrontation mit der Polizei. Wenn sie sich auf eine Proteststrategie einigen und gemeinsam für klare politische Ziele kämpfen, ist erfolgreicher Widerstand möglich.

Ein Aktionsprogramm für den Widerstand gegen Massenentlassungen, Sparpakete, Rassismus, sexistische und queerfeindliche Politik und die Klimakrisenpolitik der Regierung ist nötig, aber auch möglich. Vor allem in Wien, aber auch in der Steiermark, Oberösterreich und Tirol gibt es Bündnisse, um die herum sich so ein Aktionsprogramm aufbauen und die es weiterbringen kann. Es braucht aber auch die Analyse, die Erfahrung und einen glaubwürdigen Aktivismus von Revolutionär:innen, damit solche Bündnisse ihren Widerstand in einen Machtkampf verwandeln können.

Es geht nämlich um nicht weniger als um einen Machtkampf. Rechtsruck und Krieg kündigen einen Regimewechsel der Herrschenden an: Schluss mit der postpandemischen Großzügigkeit, Schluss mit der nur schleichenden Verschlechterung unserer Lebensumstände, Schluss mit dem Verzicht auf offene Gewalt in der geordneten weltweiten Machtaufteilung.

Protest allein und Etappensiege ohne Folgeerfolg reichen hier nicht aus. Deshalb wird im dynamischen Bewegungsmosaik auch die Organisierungsfrage wichtig und entscheidend sein. Zwei Rechtsparteien, die Massenanhänge mobilisieren wollen, wahrscheinlich der Staatsapparat in ihren Händen und eine stärker werdende Propagandamaschinerie knicken nicht vor Demonstrationen ein, auch wenn die Zehntausende auf die Straße bringen. Was wir der Offensive der Herrschenden entgegenwerfen, muss stabil genug für deren Angriffe sein, ohne sich durch Starrheit in die Defensive drängen zu lassen.

Die Wahlerfolge der KPÖ in Graz und Salzburg, die Wahl des ersten linken SPÖ-Vorsitzenden in diesem Jahrtausend und die Arbeit von LINKS in Wien zeigen, dass Parteien als Ausdruck und Methode linker Politik alles andere als tot sind. Österreich erlebt eine bei Wahlen durchaus erfolgreiche Linke während dem gesellschaftlichen Rechtsruck. Der kommt aber mit den Schwächen der jeweiligen Parteiprogramme und -methoden.

Es ist notwendig, die Organisierungsfrage innerhalb der Bewegungen, eng an den Linksentwicklungen der Parteien, zu stellen. Aber es reicht nicht aus, in breiten linken Bewegungen aufzugehen und dafür Programm und Methode hintanzustellen. Ganz im Gegenteil werden Revolutionär:innen ihre Verankerung und ihren Aktivismus nutzen, um Aktivist:innen von unserer Politik zu überzeugen und Vorschläge an Strukturen zu machen. Denn eine erfolgreiche linke Politk muss es schaffen, breit und radikal aufzutreten. Nur so kann sie sich dem gesellschaftlichen Rechtsruck, der herrschenden Klasse kampfkräftig und erfolgsversprechend gegenüberstellen.




Österreich: Solidarität gegen den Funke-Ausschluss

Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1238, 4. Dezember 2023

Die SPÖ-Ausschlusskampagne auf rechten Zuruf befördert Rassismus und Kriegshetze

Die Sozialistische Jugend hat ihre Bezirksgruppe im Alsergrund ausgeschlossen, weil dort Aktivist:innen der Organisation „Der Funke“ führend aktiv sind. Damit kommt die SJ Wien einem Antrag der Bezirks-SPÖ zuvor, die öffentlich den Ausschluss der Jugendgruppe gefordert hatte. Auch in Vorarlberg hat die SPÖ ein Schiedsgericht gegen die Vorsitzenden der Sozialistischen Jugend eingesetzt, die zwar nicht dem Funke angehören sollen, aber ein Statement der Organisation geteilt hatten.

Gegen die Ausschlüsse!

Die sozialdemokratische Führung beginnt eine interne Säuberungskampagne, weil den Genoss:innen vom Funken ihre Position in der palästinasolidarischen Bewegung vorgeworfen wird. Diese Vorwürfe kommen von Journalist:innen, Online-Aktivist:innen, aber auch von ÖVP und FPÖ. Die Kampagne gegen den Funken ist undemokratisch und reaktionär. Sie soll an einem scheinbaren Extrembeispiel ausdrücken, was allen passiert, die sich nicht in die Regierungslinie der unbedingten Israelsolidarität einreihen.

Der Funke wird ausgeschlossen, weil er sich mit dem Widerstand gegen die israelische Besatzung solidarisiert, und weil einer ihrer Vertreter in einer Rede Israel als Apartheid- und Terrorstaat bezeichnet hat, der „weg“ müsse. Der Funke-Sprecher hat später gegenüber dem PROFIL klargestellt, dass er das Existenzrecht von Israel verteidigt, nicht aber das „Recht“ Israels, andere Nationen zu besiedeln, zu besetzen oder zu annektieren. Die Rhetorik kann man gut finden oder nicht, es ist aber egal. Die SPÖ beginnt ihre Ausschlusskampagne wegen dem rechten Druck, und nicht wegen einem 30-Sekunden-Videoausschnitt, der auf Twitter herumgereicht wird.

Wir als Arbeiter*innenstandpunkt solidarisieren uns mit den Funke-Aktivist:innen gegen die undemokratischen Ausschlüsse und gegen die mediale Verleumdungskampagne. Vorwürfe des „aggressiven Antisemitismus“ aus dem SPÖ-Parteivorstand sind an den Haaren herbeigezogen. Es muss auch klar sein, dass diese bürokratischen Methoden gegen jede Parteifraktion eingesetzt werden können, die inhaltlich widerspricht.

Türkis-Grüner Außenpolitik-Extremismus

Die sozialdemokratischen Spitzen drängen jetzt die parteiinterne Opposition heraus, aufgehängt an den Zurufen von Bundesregierung und FPÖ. Auch sonst stellen sich Babler und die Partei außenpolitisch vollinhaltlich hinter den reaktionären Regierungskurs.

Die Bundesregierung profiliert sich mit einer sogar international extremen Haltung gegen die palästinensischen Zivilist:innen und jegliche palästinensische Selbstbestimmung. Zusammen mit nur dreizehn anderen Ländern stimmte Österreich gegen eine UNO-Resolution für einen Waffenstillstand. Nehammer und Kogler unterstützen die Bombenkampagne der israelischen Armee, die schon mehr als 10.000 Zivilist:innen ermordet hat.

Rassistische Kampagne

In Österreich wird der Angriff der Hamas auf Israel und die Debatte um die israelischen Bombardements mühelos in antimuslimischen Rassismus übersetzt. ÖVP und FPÖ fordern geschlossene Grenzen und Massenabschiebungen, bezeichnen Geflüchtete als Antisemit:innen. Die Verschwörungstheorie über „importierten Antisemitismus“ ignoriert, dass Antisemitismus in Österreich fast ausschließlich von österreichischen Rechten ausgeht. Die rechten Parteien nutzen den antimuslimischen Rassismus auch, um den Antisemitismus ihrer eigenen Mitglieder unter den Teppich zu kehren. Das geht so weit, dass die niederösterreichische FPÖ, die eine Registrierung von Jüdinnen und Juden beantragt und um deren Vorsitzenden es die antisemitische Liederbuchaffäre gab, die angeblich liberale Einwanderungspolitik der SPÖ als antisemitisch bezeichnet. Auch die niederösterreichische ÖVP wirft der SPÖ vor, „eine Einladung an Antisemit:innen auszusprechen“. So wird die Solidarisierung mit der rechtsnationalen und rassistischen israelischen Regierung genutzt, um den Antisemitismus der Rechten schönzureden.

Aber auch die SPÖ wiederholt diese rassistischen Verschwörungstheorien. Der burgenländische Landeshauptmann Doskozil und der Wiener Gesundheitsstadtrat sind sich einig: Am steigenden Antisemitismus ist die Zuwanderung schuld. Nur beschuldigen die beiden das ÖVP-geführte Integrationsstaatssekretariat für die angeblich offenen Grenzen, greifen die Rechten von rechts an.

Der Mariahilfer SPÖ-Bezirksrat Götz Schrage geht noch weiter. In einem Zeitungskommentar setzt er rhetorisch den muslimischen Glauben mit Antisemitismus gleich und fordert, „Feinde Israels“ abzuschieben.

Die SPÖ unter Babler stellt sich außenpolitisch klar hinter die pro-imperialistische Linie der Bundesregierung. Babler war vor seiner Wahl mehrmals für frühere antiimperialistische Positionen kritisiert worden. Seit seiner Wahl hat er klar gemacht, dass von diesem linken Erben nichts übrig ist. Im Juni forderte er EU-Waffenlieferungen an die Ukraine, die israelischen Flächenbombardements verteidigt er als angebliche Selbstverteidigung. Nebensätze darüber, dass man die Palästinenser:innen „nicht vergessen“ dürfe und die Ablehnung des Waffenstillstands falsch wäre, können darüber nicht hinwegtäuschen.

Zur außenpolitischen nationalen Einheit gehört eben auch die Propaganda dazu. Die innerparteiliche Säuberungskampagne entspricht den rechten Forderungen, dass Palästinasolidarität ausgeschlossen und am besten verboten gehört.

Dagegen müssen Linke, Sozialist:innen und Revolutionär:innen sich klar aussprechen. Erstens, um zu verhindern, dass bürokratische Säuberungen in der Arbeiter:innenbewegung Fuß fassen. Aber auch, um der rassistischen Hetze und dem außenpolitischen Rechtsruck etwas entgegensetzen zu können.

In der Analyse der palästinensischen Befreiungsbewegung, dem Charakter des israelischen Regimes und vielem mehr ist sich die Linke sehr uneinig. In ein paar Punkten müssen wir aber zusammenstehen:

  • Solidarität mit dem Funken! Gegen unbegründete Antisemitismus-Vorwürfe und gegen den bürokratischen Ausschluss!

  • Gegen antimuslimischen Rassismus, gegen alle Abschiebungen und gegen Polizeirepression! Das Demonstrationsrecht muss für palästinasolidarische Aktionen gelten oder durchgesetzt werden.

  • Gegen Kriegsverherrlichung und entmenschlichende Hetze gegen Palästinenser:innen. Flächenbombardements haben nichts mit Selbstverteidigung zu tun!

  • Gegen die Ermordung von Zivilist:innen. Die Hinrichtungen und Massaker der Hamas helfen nicht in der Befreiung der Palästinenser:innen.



Österreich: Die Rezession ist da: Nach dem Wirtschaftsabschwung ist vor der Krise

Mo Sedlak, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1231, 13. September 2023

Österreich ist in einer Rezession, das Bruttoinlandsprodukt ist im zweiten Quartal gesunken. Diese Zahlen für April bis Juni bestätigen, was wir uns wegen der großen Firmenpleiten denken konnten. Bei kika/Leiner, Salamander, Delka, Forstinger, Yves Rocher und Christof Industries und anderen Pleiten sind in nur einem halben Jahr 9.000 Menschen arbeitslos geworden.

Insgesamt hat sich der Trend bei der Arbeitslosigkeit wieder in die roten Zahlen gedreht. Zum ersten Mal seit dem Coronajahr 2020 steigt sie wieder. Gleichzeitig fällt wegen der Teuerung und Reallohnverluste das Einkommen der Menschen, die noch einen Job haben.

Mit dieser Krise war leider zu rechnen. Schon 2019 waren alle Anzeichen für Negativwachstum und Firmenpleiten da. Tatsächlich gab es schon vor dem Ausbruch der Pandemie eine abgegrenzte, aber erhebliche Krise auf den Energiemärkten. Die Rezession damals wurde aber von den Lockdowns „überdeckt“, ihre Folgen wurden durch die staatlichen Hilfsmaßnahmen und die plötzliche Nachfrage nach Masken, Tests und Impfungen ausgeglichen. Die dahinter liegende Krisendynamik ist aber nur verschleppt worden und fällt uns jetzt doppelt auf den Kopf.

In den politisch-ökonomischen Perspektiven des Arbeiter*innenstandpunkt für 2023 haben wir diese Entwicklung ausführlicher analysiert. „2023 wird die österreichische und europäische Wirtschaft in eine Rezession bei gleichzeitigen hohen Inflationsraten eintreten. Das ist die logische Folge aus schon länger fallenden Industrieprofitraten und der gestiegenen Unsicherheit in Produktion und Kapitalverwertung. […] Der Wirtschaftsabschwung 2023 hat denselben Hintergrund wie die Hochinflation 2022. Die Profitrate, also das Verhältnis von Profit zur Gesamtinvestition in Maschinen, Arbeitskraft, Miete usw. in der Industrie geht bereits seit Jahren zurück, was 2020 schon vor der Coronapandemie zu einem beginnenden Abschwung geführt hat.“

Diese Einschätzung hat die Statistik Austria jetzt mit konkreten Zahlen untermauert. Tatsächlich wurde schon die Quartalsstatistik im März so kommentiert, dass Österreich „haarscharf an der Rezession vorbeischrammt“. Die Verluste in Industrie und Bau wurden noch durch den Tourismus ausgeglichen, das war aber mehr ein Aufholen der Lockdowns als echtes Wachstum.

Jetzt erleben wir eine Industrierezession bei gleichzeitig hoher Inflation. Das belastet vor allem die Arbeiter:innen und Erwerbslosen, aber der Druck wird auch die Rezessionsdynamik auf der Kapitalseite befeuern. Viele kleine und größere Firmen haben unprofitables Wirtschaften und Überakkumulation (also Investitionen, die sich eigentlich gar nicht auszahlen) durch die staatlichen Coronahilfen ausgeglichen, es gibt eine Blase bei den Firmenanlagen, die jetzt platzt.

Die Rezession wird aber in eine echte Krise umschlagen, wenn auch der Finanzbereich wackelt. Damit müssen wir aus zwei Gründen rechnen. Erstens bedeuten Insolvenzen auch Zahlungsausfälle, woraufhin Banken weniger Kredite vergeben, und wieder weniger Firmen ihre Zahlungsschwierigkeiten auf Pump überbrücken können. Zweitens braut sich auch auf den internationalen Finanzmärkten etwas zusammen. Die chinesische Immobilienwirtschaft ist überschuldet, der weltweit am meisten verschuldete Konzern Evergrande hat schon Gläubigerschutz beantragt. Die Aktienkurse sinken schon seit 2022, alleine nach der Pleite der Silicon Valley Bank war der Börsenwert des weltweiten Bankensystems um 16 % gefallen. Dazu kommt ein spezifisch österreichisches Problem: Die heimischen Banken sind in Russland, Ost- und Zentraleuropa „überexponiert“, sie haben mehr Kredite vergeben, als sie an Ausfällen verkraften können.

Krise bedeutet im Kapitalismus immer Verteilungskampf. Als erstes müssen wir damit rechnen, dass die Industrie probiert, uns in den Kollektivvertragsverhandlungen über den Tisch zu ziehen, die Reallohnverluste des letzten Jahres nicht ausgleichen will. Es ist gut, dass die Gewerkschaftsspitze das schon jetzt zurückweist (Reinhold Binder von der PRO-GE: „Lohnraub kann nicht die Lösung sein!“ PRO-GE: Produktionsgewerkschaft für z. B. den Metallbereich). Die Versuchung zu einem faulen Kompromiss wird aber größer, wenn der Druck in den Medien und aus der Politik stärker wird, da können nur streikbereite Kolleg:innen und spürbare Solidarität aus der Linken entgegenwirken.

Es werden sich die Lösungsvorschläge von der Kapitalseite und der Sozialdemokratie gegenüberstehen. Die Industrie will schnell die schwächsten Kapitale loswerden und Verluste für die Besitzer:innen vom Staat bezahlen lassen, damit es wieder Raum zum Wachsen gibt. Für die Arbeiter:innen bedeutet das Massenentlassungen, anschließend wird es konservativen Druck für Sparpakete und Abbau von Arbeitsrechten geben. Das ist kein ökonomisches Gesetz, sondern ein politisches Programm, das auch politisch besiegt werden kann.

Auch die sozialdemokratische Standardantwort ist keine Perspektive für die Arbeiter:innen. Weil sie davon ausgeht, dass die Krise von fehlender Konsum- und Investitionsnachfrage kommt, will sie die durch Subventionen und Kurzarbeit wieder ankurbeln. Das hilft zwar, die Krisenfolgen zu lindern oder zumindest auf einen längeren Zeitraum aufzuteilen, an der grundlegenden Dynamik ändert sie aber nichts: Die Krise entsteht auf der Kapitalseite, weil im Wettbewerbsdruck soviel investiert wird, dass prozentual weniger Profit rausschaut. Dementsprechend wird auch der Druck der Kapitalseite nicht geringer, diese „Überakkumulation“ durch Arbeitsplatzabbau und „Marktbereinigung“ zu lösen.

Wenn man die beiden Seiten einfach gewähren lässt, kommt die übliche Dynamik heraus: erst Massenarbeitslosigkeit, dann Staatshilfen, dann Sparpakete und Sozialabbau. Das haben wir schon nach 2008 gesehen, wo die Krise zu einer Umverteilungsmaschine von unten nach oben geworden ist.

Die Alternative ist ein kämpferischer Zugang zur politischen Ökonomie, ein Kampf um politische Antworten und ökonomische Sicherheit. Kündigungsverbot in der Krise, Enteignung von Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen, Steuern auf Vermögen und Krisenprofite, Reallohnerhöhungen im Kollektivvertrag und ein Rechtsanspruch auf soziale Sicherheit für Erwerbslose und Sorgearbeiter:innen. Dieses offensive Programm kann nicht erst „nach der Revolution“ funktionieren, sondern ist die konkrete Antwort auf die Krise des Kapitalismus jetzt.

Eine große Gefahr wird die Antwort der Rechten darstellen. Die nutzen Krisendynamiken, um ihre Kernideologie als Scheinlösung anzubieten, und werden auf Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit setzen. Die Choreographie von Kickl in der Coronapandemie kann man da als Blaupause nehmen. Die FPÖ wird eine Verschwörung der Eliten wittern (aber nicht von ihren Sponsor:innen bei den Konzernen), um dann gegen Migrant:innen, Feminist:innen und eine angebliche queere Verschwörung zu hetzen. Auch darauf braucht es eine konkrete Antwort der Linken und Arbeiter:innen: Wir lassen uns nicht spalten und wir geben Rechten keine Möglichkeit, sich aufzuspielen.

Warum erst jetzt?

Marxist:innen wollen Krisen oft auf den Tag genau vorhersagen, und deshalb schaffen wir es oft, von drei Krisen zehn anzukündigen. Wir vom Arbeiter*innenstandpunkt waren uns zum Beispiel Ende letzten Jahres nicht sicher, ob Österreich Anfang oder Ende 2023 in die Rezession schlittert, jetzt haben wir uns in der Mitte getroffen. Aber der Wirtschaftseinbruch hat sich nicht erst seit 2022 angekündigt. Der kapitalistische Wettbewerb führt zu regelmäßigen Krisen, weil durch massive Investitionen die Grundlagen der Wertschöpfung ausgehöhlt werden: menschliche Arbeit und unsere natürliche Umwelt. Dieser innere Widerspruch führt zu regelmäßigen Einbrüchen, zuletzt 2008, davor die Dotcom-Blase der 2000er, die Ostasien- und Russlandkrise 1997 und so weiter.

Diesen Frühsommer haben die Nationalbank und das Wirtschaftsforschungsinstitut noch davon gesprochen, dass Österreich dem Abschwung „technisch gesehen“ entkommen wäre. Die Konjunkturabteilung der Nationalbank schrieb damals „Österreich schrammt haarscharf an einer technischen Rezession vorbei“, redete aber davon, dass die Lage sich im zweiten Halbjahr wieder verbessern würde. Schon damals waren die wichtigen Branchen Industrie und Bau geschrumpft, der Zweckoptimismus kam vor allem vom Wachstum im Tourismus.

Das „Wachstum“ in Beherbergung und Gastronomie ist aber eigentlich ein Nachholeffekt gegenüber den letzten Jahren (Statistiker:innen nennen das Basiseffekt), ein Aufholen des tiefen Einbruchs in den Coronawellen. Es gibt aber immer noch um 5 % weniger Übernachtungen und 3.000 Beschäftigte weniger als vor der Pandemie. Aber auch der Außenhandel war im Jänner und Februar 2023 nochmal umsatzstärker als in den Vorjahren, die Auslandsnachfrage konnte in der Industrie einen noch stärkeren Absturz verhindern.

Es ist nicht unüblich, dass in Tourismus und Handel die Krise später ankommt. Die stabilisierende Wirkung dieser Bereiche ist aber vergleichsweise gering, dort werden niedrigere Durchschnittslöhne gezahlt und saisonale Beschäftigung ist weit verbreitet. Entlassungen im Industriebereich führen zu größeren Einkommensverlusten (weil davor mehr da war) und auch zu einem größeren Einbruch der Konsumnachfrage. Das trifft dann wieder Handel und Konsument:innendienstleistungen, zum Beispiel Friseur:innen, aber eben verzögert.

Der Grund für die beginnende Rezession ist aber nicht ein Einbruch der Konsument:innennachfrage. Sie hat in der Produktion, bei den Kapitalist:innen, und bei den internationalen Beziehungen begonnen. Politik, die jetzt versucht, kurzfristig Konsumausgaben zu stabilisieren, und Firmeninvestitionen subventioniert, kann die Krise kurzzeitig dämpfen. Sie ändert aber nichts an ihren Ursachen und auch nicht an den Vorstößen des Kapitals: Lohnkürzungen, Sozialabbau und Vernichtung von Arbeitsplätzen bei weniger konkurrenzfähigen Firmen. Diese Dynamik kann nur politisch abgewehrt werden, die Bürgerlichen lassen sich nicht durch „besser durchdachte“ Vorschläge davon abbringen.

Was noch dazu kommt: Finanzkriseleien

Es schaut im Moment auch so aus, als ob es zu einer internationalen Bankenkrise kommt. Vor allem in China hat sich eine riesige Blase an Immobilienkrediten aufgebaut. Das Platzen der Immobilienblase in den USA 2007 war ja auch der Startschuss für die globale Finanzkrise gewesen. Wenn etwas Vergleichbares noch einmal passiert, wird sich die schon begonnene Wirtschaftskrise jedenfalls verschärfen.

Dazu kommt, dass das Wirtschaftswachstum in China nach 2008 die globale Wirtschaft als „internationaler Wachstumsmotor“ teilweise stabilisieren konnte. Das geht sich natürlich nicht aus, wenn die größte Volkswirtschaft der Welt selber strauchelt.

Wir haben in den politisch-ökonomischen Perspektiven des Arbeiter*innenstandpunkt für 2023 geschrieben: „Egal ob die Krise vom Finanzsektor ausgeht oder der Finanzsektor als Multiplikator dahinter liegender Krisendynamiken funktioniert, wird mit der Rezession ab 2023 auch eine Finanzkrise einhergehen. Die Banken werden keinesfalls stabilisierend wirken können, sondern im Gegenteil die Geschwindigkeit der Krisenentwicklung weiter anheizen.“ Man kann im Vorhinein immer schwer abschätzen, ob die Krise zuerst bei den Finanzmärkten oder Konzernen sichtbar wird. Die dahinter liegende Dynamik ist aber dieselbe: Sinkende Unternehmensprofite führen zur Blasenbildung und gleichzeitigen Kreditausfällen im Bankensektor; der Einbruch im Finanzsektor verstärkt dann noch einmal die Krise.

Der Einbruch 2023 wurde jetzt zuerst bei Konzernpleiten und negativem Industriewachstum sichtbar. Das bedeutet aber auch, dass der verschärfende Effekt des Bankensektors noch aussteht.

Politische Antworten und politische Ökonomie

Krisen sind hochpolitische Momente. Es ist für die Arbeiter:innenbewegung zentral, sich in diesen Momenten gegen die Antworten der Herrschenden zu organisieren. Das Verständnis der Krisendynamik bestimmt auch den politischen Kurs: Die nachfrageseitige Erklärung der Keynesianer:innen (es kommt zur Krise, weil Menschen über zu wenig Einkommen verfügen, um zu konsumieren) führt zu sozialdemokratischen Vorschlägen (Kurzarbeit und Unternehmenssubventionen). Die federn zwar das Schlimmste ab, setzen aber den danach kommenden Angriffen der Bürgerlichen nichts entgegen. Damit können sich Revolutionär:innen, die Linke und die Arbeiter:innenbewegung nicht begnügen.

Die Antwort der Neoliberalen ist noch unattraktiver. Um kapitalistische Krisen zu lösen, aber gleichzeitig den Kapitalismus zu stärken, setzt das Kapital auf eine Radikalkur. Die unprofitabelsten Firmen werden vom Markt verdrängt, die schwächsten Kapitale zerstört. Das nennen Konservative die „reinigende Wirkung der Krise“, dadurch wird wieder Wachstumspotential frei. Ganz auf den Staat verzichten die Marktfetischist:innen aber auch nicht: Verluste für Unternehmensbesitzer:innen und Banken sollen durch Regierungshilfen verhindert werden: Krise für uns, Sozialstaat für sie, sozusagen.

Die Zerstörung von Kapital bedeutet Massenentlassungen, Einkommenseinbruch für Arbeiter:innen und schlechtere Gehälter, wenn man überhaupt wieder einen Job findet. Außerdem nutzen Konservative die Krise auch für politische Angriffe wie Sozialabbau und Abbau von Arbeitsrechten, die langfristig die Lage der Arbeiter:innen verschlechtern, aber die Unternehmensprofite hochtreiben.

Die Entlassungen werden uns zuerst einmal als bedauernswertes Ergebnis von anonymen Marktkräften präsentiert, die offiziell-politischen Vorstöße zum Sparen kommen oft erst später. Aber tatsächlich sind das nur zwei Seiten derselben politischen Medaille. Die Kapitalist:innen und ihre Parteien wälzen die Krisenkosten auf die Arbeiter:innen ab. Die Arbeiter:innenbewegung und die Linke kann auch beide gleichzeitig bekämpfen.

Wir dürfen auf keinen Fall auf die Rhetorik von anonymen Marktkräften und wirtschaftlichen Gesetzen, die leider so sind, hereinfallen. Stattdessen sagen wir klar: Wir können und wollen demokratisch entscheiden, wie produziert, verteilt und beschäftigt wird. Die Krise zeigt, dass der Markt das schlecht und, wenn überhaupt, dann im Interesse von einigen wenigen Kapitalist:innen regelt. Wir fordern politische Lösungen für das, was wir ja bewusst politische Ökonomie nennen: Entlassungsverbote und Enteignung von Unternehmen, die glauben, dass es ohne Arbeitsplatzabbau nicht geht, ein Arbeitslosengeld mit einer Nettoersatzrate von 100 % auf Kosten einer Reichensteuer und ganz bestimmt keine Geschenke an Konzerne und Banken.

Damit warten wir auch nicht darauf, bis der Markt durch eine demokratisch geplante Wirtschaft ersetzt wird. Der politische Klassenkampf auf der ökonomischen Bühne wird von der Kapitalseite jeden Tag geführt, die Arbeiter:innenbewegung muss ihn genauso tagtäglich beantworten. Dass die Gewerkschaftsspitzen schon jetzt sagen, Lohnraub kann nicht die Lösung sein, ist ein guter Ansatz. Wieviel davon aber Rhetorik bleibt und wieviel auch in reale Arbeitskämpfe und Erfolge umgesetzt wird, werden wir noch sehen. Druck von der Basis ist auf jeden Fall notwendig, damit die Gewerkschaftsspitzen nicht wieder sofort einknicken und so wie im letzten Jahr massive Reallohnverluste ausverhandeln.

Wir wissen ja jetzt, was an Rezession und politischen Angriffen auf uns zukommt. Am besten ist es, schon jetzt zu sagen „Wir sind streikbereit“, damit Verhandler:innen und Gewerkschaftsspitzen gar nicht in Versuchung geraten, sich auf faule Kompromisse einzulassen. Dafür müssen wir uns aber im Betrieb organisieren, von den Betriebsrät:innen einfordern, dass Versammlungen organisiert werden und andernfalls selber die Kolleg:innen einladen. Wenn einem/r das erst einfällt, wenn die Betriebsrät:innenkonferenz schon angekündigt ist, ist es zu spät.

Dieser Widerstand, an der konkreten Frage aufgehängt, ist auch der Ausgangspunkt für die Veränderung in den Gewerkschaften, die wir dringend brauchen. Statt Entscheidungen in den Händen von einigen gut bezahlten und auf Sozialpartner:innenschaft getrimmten Funktionär:innen wollen wir hin zu selbstorganisierten Kampforganisationen, die nichts außer den Interessen der Arbeiter:innen im Blick haben. Das ist solch eine radikale Änderung, dass man sie nicht anders als eine „Revolutionierung der Gewerkschaften“ nennen kann.

Linke Betriebsgruppen und antibürokratische Oppositione sind in Österreich leider schwach und wenige. Es ist natürlich wichtig, genau jetzt welche aufzubauen und sich abzusprechen. Aber gleichzeitig können wir auch Druck auf der Straße erzeugen, durch aktive Unterstützung von Warnstreiks, Teilnahme an Gewerkschaftsdemonstrationen und eigenen Protesten wo wir den ewig alten Standardspruch der Linken noch einmal wiederholen: „Wir zahlen nicht für diese Krise“.




Freizeitpädagogik bleibt: zuerst essenziell, jetzt wegrationalisiert?

Aventina Holzer, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1226, 19. Juni 2023

Selma Schacht, die Betriebsrätin von „Bildung im Mittelpunkt“, meinte bei einer Streikkundgebung letztes Jahr, dass Freizeitpädagog:innen viele Jobs haben. Sie sind Künstler:innen, Sportler:innen, Lehrer:innen und emotionale Begleiter:innen und noch vieles andere mehr. Sie machen viele Sachen, die sonst im pädagogischen Angebot unter den Tisch fallen würden.

Die Freizeitpädagogik ist eine besondere Berufsbranche in Österreich, die als Reaktion auf den Lehrer:innen- und Betreuer:innenmangel entstanden ist. Seit einigen Jahren gibt es dafür auch einen eigenen Lehrgang, der speziell auf die Nachmittagsbetreuung an Schulen zugeschnitten ist. Dieser ist mit 60 ECTS-Punkten (also 2 Semester; ECTS = European Credit Transfer System, Europäisches System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen; d. Red.) eine Reaktion auf einen Gesetzesbeschluss, der die Qualifikationen von Pädagog:innen in diesem Bereich besser systematisieren wollte. Der seit mehr als 10 Jahren bestehende Lehrgang ist ohne Matura zugänglich und bietet damit eine gute Möglichkeit für Menschen ohne Abschluss einer höheren Schule, in einem pädagogischen Beruf zu arbeiten.

Der neue Gesetzesentwurf der Regierung möchte sehr viel von diesen Beschlüssen wieder ändern. Bevor wir uns aber mit diesem genauer beschäftigen, wollen wir uns die momentane Situation in der Freizeitpädagogik genauer anschauen, die ist nämlich auch alles andere als rosig.

Die Arbeitsbedingungen in der Freizeitpädagogik sind zwischen Personalmangel, schlechter Bezahlung und fehlendem Respekt oft eine Zumutung. Im Kollektivvertrag der Sozialwirtschaft Österreich, unter den aktuell die Freizeitpädagogik fällt, ist ein Gehalt von 2.638,80 Euro brutto vorgesehen für 37 Wochenstunden. Die meisten Mitarbeiter:innen arbeiten aber eher 32 Stunden. Vorbereitungsstunden sind davon auch nur 5, der Rest ist mit den Kindern zu verbringen.

Zeitgleich gibt es starken Personalmangel, zu wenig inklusionsgeschultes Personal und Schulungen für das Team und oft standortspezifische Probleme wie zu wenige Sozialarbeiter:innen, überfüllte Klassen, zu viele unkompensierte Krankheitsausfälle, räumliche Probleme, kein Material (oder nur solches, das aus eigener Tasche gekauft wird) und vieles mehr. Unter diesen Umständen ein ernsthaftes und gutes pädagogisches Programm aufzubauen, ist schwierig. Die ständigen Forderungen der Politik nach Umstrukturierung der Nachmittagsbetreuung, die als rotes Projekt speziell der ÖVP ein Dorn im Auge ist, machen auch Jobunsicherheit zu einem großen Thema.

Aus diesen und einigen anderen Gründen haben die Nachmittagsbetreuer:innen im letzten Jahr mehrmals gestreikt und Streikhandlungen angekündigt. Neben dem „BiM“ (Verein Bildung im Mittelpunkt GmbH), der die Wiener Nachmittagsbetreuung an öffentlichen Schulen organisiert, standen auch die Elementarpädagog:innen bundesweit im Streik.

Jetzt trifft diese Berufsgruppe der nächste große Schlag. Es soll eine Gesetzesnovelle kommen, die im Sommer beschlossen und 2024 umgesetzt werden soll. Sie sieht vor, Teile des Schulordnungs- und Schulunterrichtsgesetzes (inklusive anderer Bereiche) zu ändern. Das betrifft vor allem die Freizeitpädagogik als Berufsgruppe, die mit dieser Änderung abgeschafft werden soll. Statt dieser soll eine neue, die sogenannte „Assistenzpädagogik“, geschaffen werden. Die Assistenzpädagogik hat, wie das Wort schon andeutet, eher die Aufgabe, das Lehrpersonal bei der Arbeit zu unterstützen und nicht ein eigenes freizeitpädagogisches Programm zu gestalten und umzusetzen. Das bedeutet mehr Fokus auf Lernassistenz (also Hausaufgabenbetreuung und Ähnliches) und weniger auf Freizeitgestaltung. Abgesehen davon gibt es weitere Verschlechterungen, die sich anbahnen:

Die ohnehin recht kurze Ausbildung soll von 60 auf 30 ECTS-Punkte (also von zwei auf ein Semester) gekürzt werden. Zeitgleich soll ein Maturaabschluss eine Voraussetzung dafür werden. Zwar wurde angekündigt, dass die meisten Freizeitpädagog:innen übernommen werden sollen, trotzdem ist noch mehr als fraglich, ob das für die Beschäftigten ohne Matura auch letztlich wirklich gilt. Über ihnen hängt das Damoklesschwert des Jobverlustes.

Des Weiteren werden auch gröbere Gehaltskürzungen vermutet. Der Betriebsrat von „Bildung im Mittelpunkt“ schreibt dazu: „Der Vergleich mit unserem aktuellen Gehalt zeigt, dass vor allem in den ersten Jahren mit einem Minus von bis zu 19 % zu rechnen ist. Erst nach über 18 (!) Berufsjahren würde die Anwendung dieses Gehaltsschemas mit unserem jetzt gültigen Kollektivvertrag gleichziehen bzw. diesen erst ab 24,5 Jahren spürbar überholen. Und das auch nur, wenn es zur vollen Anrechnung sämtlicher bisheriger Vordienstzeiten kommt.“

Es gibt einige Sachen, die noch sehr unklar sind: zum Beispiel die Übernahme des Jobs in öffentliche Hand und was dann mit den Trägern passiert, die diese Arbeit momentan organisieren. Zeitgleich zeigt der Gesetzesentwurf eine klare Richtung, die sich deutlich gegen die Interessen von ganztägigen Schultypen und Betreuungsangeboten stellt, indem sie an deren Bedürfnissen vorbei wirkt.

Es wurden bereits einige Maßnahmen verkündet, in Wien wurde bereits demonstriert, es gibt Betriebsversammlungen, eine Petition, Streiks und noch einiges mehr, um die Änderungen abzuwehren. Jetzt wurde auch die Streikfreigabe für den 15. Juni erteilt. Die Gewerkschaften und nahestehende Institutionen scheinen dahinterzustehen. „Weder Beschäftigte noch Betriebsrat oder Gewerkschaft waren in die Novellierung eingebunden“, sagt Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA. In der Sozialdemokratie hört man immer mehr einzelne Stimmen dagegen, so auch den neuen SPÖ-Chef Babler oder die SPÖ-Bildungssprecherin Petra Tanzler. Es war ja auch eines der größeren sozialdemokratischen Projekte, die Nachmittagsbetreuung flächendeckend durchzusetzen.

Die Forderungen des BiM-Betriebsrats sind gut und verknüpfen einige Probleme miteinander. Es wird unter anderem gefordert, dass die beschriebenen Verschlechterungen durch die vorgeschlagene Novelle nicht eintreten dürfen. Besonders wichtig sind folgende Forderungen: „Übernahme aller ausgelagerten Schulküchenmitarbeiter:innen und Reinigungskräfte“ und „Kein Ersatz von Lehrer:innenstellen oder -stunden durch Freizeitpädagog:innen. Ausbildungsoffensive und Personalaufstockung bei Lehrer:innen“. Diese Forderungen versuchen, aktiv Kämpfe zu verbinden. Weil Schulorganisation zum Großteil Ländersache ist, ist es schwierig, diesen speziellen Kampf auch über die Bundesländergrenzen hinauszutragen. Klar ist aber, dass es auch in anderen Bundesländern Personalmangel und extreme Unzufriedenheit wegen schlechter Bezahlung gibt.

Lehrer:innenmangel steht auf der Tagesordnung und anstatt ihn mit komplett neuen Jobs auszugleichen, die andere wertvolle pädagogischen Aufnahmen übernehmen sollten, braucht es hier gezielte Verbesserungen. Eine Aufwertung der Ausbildung, ohne auf Kosten von Zugänglichkeit und Kosten zu gehen, wäre dabei schon ein wichtiger Schritt. Zeitgleich braucht es eine starke Veränderung der Lehrpläne, um sie an aktuelle Bedürfnisse anzupassen. Mehr Ressourcen für Bildung und damit auch Freizeitpädagogik sind essenziell. Die Bildung von Kindern und Jugendlichen sollte nicht immer nur davon abhängen, ob sich Lehrer:innen oder Freizeitpädagog:innen individuell besonders engagieren, sondern  direkt aus dem Bildungssystem heraus erwachsen. Dafür ist auch essenziell, dass wir nicht nur bei der Abwehr dieser Novelle bleiben, sondern auch für mehr Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen sowie für mehr Geld im Bildungssystem im Allgemeinen.




Das Phänomen Babler

Alex Zora, Infomail 1226, 13. Juni 2023

Mit diesem Ausgang hatte wohl kaum jemand gerechnet. Nachdem auf dem Parteitag Hans Peter Doskozil vom rechten Parteiflügel noch als Sieger verkündet worden war, musste die Wahlkommission zwei Tage später zugeben, dass sie die Stimmen vertauscht hatte und doch Andreas Babler vom linken Parteiflügel die Mehrheit für sich gewinnen konnte. Viele linke Sozialdemokrat:innen mochten ihr Glück kaum fassen, konnten sie doch einen ersten wichtigen Sieg gegen die Parteibürokratie davontragen. Wie wir in weiterer Folge aber hoffentlich verdeutlichen können, ist die innerparteiliche Auseinandersetzung – trotz aller Appelle zur Einheit – damit noch lange nicht abgeschlossen, sondern steht eigentlich erst am Anfang.

Was davor geschah

Um die aktuellen Ereignisse in der österreichischen Sozialdemokratie zu verstehen, ist es wichtig, einen Blick in die jüngere Vergangenheit zu werfen. Wesentlich hierfür sind die Entwicklungen, die sich innerhalb und außerhalb der Partei seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 abspielten. Nach einer anfänglich noch recht zaghaften und abwartenden Politik schwenkte die damalige Bundesregierung unter SPÖ-Bundeskanzler Werner Faymann spätestens im Herbst 2015 auf klar rassistische Antworten um. Sinnbildlich dafür stand die Errichtung eines Grenzzauns an der österreichisch-slowenischen Grenze bei Spielfeld. Recht kurze Zeit später – im Winter 2016 – wurde dann von der SPÖ-geführten Regierung der Kurs weiter verschärft. Es wurde eine Obergrenze für Geflüchtete geschaffen. Damit durfte jährlich nur mehr eine begrenzte Anzahl an Asylsuchenden in Österreich aufgenommen werden. Im März war dann die österreichische Regierung – mit Außenminister Sebastian Kurz – zentral an der Schließung der Fluchtrouten über den Westbalkan beteiligt.

Das alles führte zu großem Unmut in der SPÖ. Der linke Flügel – insbesondere die Jugendorganisationen – begehrte immer offener gegen den rechten Kurs der Parteiführung auf. Gleichzeitig drängte der rechte Parteiflügel auf einen noch stärker rassistischen Kurs und die Öffnung der Bundespartei in Richtung einer Koalition mit der offen rassistischen FPÖ. Der rechte Flügel sammelte sich insbesondere rund um die SPÖ-Burgenland, die schon im Frühling 2015 eine Koalitionsregierung mit der FPÖ eingegangen war. Auf der 1. Mai-Demonstration der SPÖ in Wien krachten dann die Lager offen aufeinander. Die traditionelle Beschwörung der Einigkeit in der Partei wurde dort durch ein Pfeifkonzert während der Rede von Werner Faymann gestört. Das, sowie die Tatsache, dass der SPÖ-Präsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer im ersten Durchgang der Wahl nur 11,3 % erreichte, führten dazu, dass der Bundeskanzler nur kurze Zeit später seinen Rücktritt verkünden musste.

Nach Faymanns Rücktritt wurde Christian Kern neuer Parteichef. Wir schrieben damals: „Der rechte Flügel und Teile der Gewerkschaftsbürokratie fordern eine Öffnung in Richtung der FPÖ, mit der im Burgenland bereits koaliert wird. Die linken Teile und die Jugendorganisationen stellen sich gegen den rassistischen Kurs der Partei und fordern fortschrittliche Antworten in der sozialen Frage ein. Auch das neue Team an der Parteispitze, das um den ehemaligen ÖBB-Manager Christian Kern aufgezogen wird, kann die existenzielle Krise der SPÖ nicht kaschieren. Sein Auftrag ist die Befriedung der Partei, bisher bringt er aber vor allem seine eigenen Vertrauten in höchste Positionen. Ein Überspielen der Konflikte wird die Krise der Partei nur vertiefen und die Position des linken Flügels, der kämpferischen Gewerkschafter:innen und der Jugendorganisationen weiter untergraben.“ (http://arbeiterinnenstandpunkt.net/?p=2136)

Im Wesentlichen erwies sich unsere Analyse als richtig. Christian Kern schaffte es, die tiefen Widersprüche in der Partei zu übertünchen. Ihm wurde sowohl vom linken wie auch rechten Parteiflügel das Vertrauen ausgesprochen – die Parteijugend sowie alle Bundesländer stellten sich hinter ihn als neuen Parteichef. Das Übertünchen der Differenzen innerhalb der SPÖ wurde aber auch recht bald um einiges einfacher. Nicht einmal ein Jahr lang war Christian Kern Bundeskanzler einer funktionierenden Bundesregierung und mit der Verbannung der SPÖ auf die Oppositionsbank nach der Wahl 2017 war es deutlich einfacher, die Widersprüche der Partei im Zaum zu halten. Auch der linke Flügel konnte sich insbesondere im Widerstand gegen die reaktionäre Politik von ÖVP und FPÖ wieder in der Partei stärken. Diese Perspektive hatten wir 2016 noch unterschätzt.

Mit der Ablösung Christian Kerns durch seine persönlich ausgesuchte Nachfolgerin Pamela Rendi-Wagner im Herbst 2018 änderte sich politisch sehr wenig an der Spitze der SPÖ. Sie stand weiterhin für eine staatstragende Politik (insbesondere auch während der Coronapandemie), die versuchte, die Widersprüche in der SPÖ auszusitzen. Nach dem historisch schlechtesten Abschneiden der SPÖ bei den Nationalratswahlen 2019 zeigte sich im Frühling 2020 dann, wie viel Rückhalt Rendi-Wagner in der SPÖ verloren hatte. Ohne Gegenkandidat:in in der Mitgliederbefragung erreichte sie nur eine Zustimmung von 71,4 %.

Insgesamt zeigte sich der linke Parteiflügel hier auch deutlich kompromissbereiter, es wurde kaum öffentliche Kritik an der Parteiführung geäußert. Anders sah das beim rechten Parteiflügel aus. Insbesondere Hans Peter Doskozil, Landeshauptmann des Burgenlands, schoss sich immer wieder medial gegen Rendi-Wagner ein. Hier spielte in der innerparteilichen Auseinandersetzung sicherlich ein kräftiger Schuss Sexismus mit hinein, doch öffentlich drehte sich die Kritik an der Parteiführung vor allem um die Forderung nach einer reaktionäreren Politik in Bezug auf Geflüchtete und Migrant:innen. Der Ausbruch der Coronapandemie zögerte die Konflikte dann sicherlich noch weiter hinaus, ging es doch darum, sich in dieser komplett neuen Situation erst einmal zu orientieren. Gleichzeitig gab es – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – ein Zusammenrücken der meisten politischen Kräfte im Zuge der Politik der nationalen Einheit im Angesicht der allgemeinen Krise. Die Schwäche der SPÖ unter Pamela Rendi-Wagner zeigte sich letztlich insbesondere in den letzten beiden Jahren sehr deutlich. Trotz der riesigen Verwerfungen der österreichischen Innenpolitik im Zuge der ÖVP-Korruptionsaffären konnte die SPÖ kaum profitieren.

Ihre herben Verluste bei den Kärntner Landtagswahlen im März diesen Jahres brachten dann das Fass zum Überlaufen. Es sollte zu einer Mitgliederbefragung zwischen Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil um den Parteivorsitz kommen. Doch ganz so einfach sollte es dann doch nicht ausgehen.

Wenn sich zwei streiten …

Die Konflikte und Widersprüche innerhalb der SPÖ sind also keine grundsätzlich neue Sache. Sie haben sich vielmehr lange angebahnt und zeigen viele Ähnlichkeiten mit vergleichbaren Entwicklungen in anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien. In letzter Konsequenz bilden sie eine Folge des Charakters der SPÖ als bürgerlicher Arbeiter:innenpartei, einer grundsätzlich widersprüchlichen Formation, die auf der einen Seite bürgerliche Politik vertritt, aber ihre soziale Basis in der Arbeiter:innenklasse und der Arbeiter:innenbewegung hat. Bürgerliche Arbeiter:innenparteien können zwar auch über lange Zeiten hinweg recht stabil wirken, aber so lange sie nicht vollkommen in eine bürgerliche Formation übergehen, wie beispielsweise die italienische Sozialdemokratie, können Entwicklungen, wie wir sie heute in der SPÖ erleben, nie ausgeschlossen werden.

Der Ablauf nach Bekanntgabe der Mitgliederbefragung fiel dann mehr als chaotisch aus. Zuerst sollten nur Pamela Rendi-Wagner und Hans-Peter Doskozil auf dem Stimmzettel stehen. Klar festgelegt wurde diese Regel aber nirgends. Nachdem sich mit Nikolaus Kowall dann aber auch ein Kandidat der Parteilinken aufstellen lassen wollte, brach der Damm. Es meldeten sich dutzende Mitglieder (und Nicht-Mitglieder) für die Wahl zum Vorsitz an. Nachdem sich auch Andres Babler, bisher Bürgermeister von Traiskirchen, um den Vorsitz bewarb, zog dann Kowall seine Kandidatur zurück. Auf dem Stimmzettel landeten dann bekanntlich nur 3 Kandidat:innen: Doskozil für den rechten Flügel, Rendi-Wagner für das Zentrum und den Parteiapparat sowie Babler für den linken Flügel.

Im Zuge der Mitgliederbefragung traten der SPÖ auch 9.000 neue Mitglieder bei. Sie ging ausgesprochen knapp aus. Mit jeweils ungefähr einem Drittel der Stimmen landete Doskozil auf Platz 1, Babler schaffte es knapp vor Pamela Rendi-Wagner auf den zweiten Platz. Die Konsequenz war für Letztere die Ankündigung ihres Rücktritts und für Doskozil die Siegessicherheit für die endgültige Abstimmung auf dem Parteitag.

Andreas Babler hatte schon davor angekündigt, dass er es sich offenlassen würde, bei einem knappen Ergebnis auf dem Parteitag zu kandidieren, auch wenn er nicht auf Platz 1 in der Mitgliederbefragung landen würde. Schon im Vorfeld des Parteitags wurde recht klar, wie sich die unterschiedlichen Teilorganisationen positionierten. Die Mehrheit der Landesorganisationen stellte sich recht klar hinter Doskozil, einige andere positionierten sich nicht offen und nur die Vorarlberger SPÖ-Vorsitzende sprach sich für Babler aus. Dazu kamen logischerweise auch die traditionell linken Jugendorganisationen sowie auch die große Mehrheit der Frauenorganisationen. Bei den gewerkschaftlichen Delegierten dürfte Babler auch recht stark abgeschnitten haben, war doch hier insbesondere Doskozils Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn (statt eines kollektivvertraglichen) schlecht angekommen. Doch die wohl größte Unterstützung kam letztlich vermutlich aus der Wiener Landespartei, die gleichzeitig auch die größte und mächtigste der SPÖ ist.

Letztlich reichte es knapp. Nach der kurzen Konfusion, die Doskozil mit einer Mehrheit sah, wurde 2 Tage nach dem Parteitag das Ergebnis korrigiert. Er wählte letztlich Babler mit 53 zu 47 % zum neuen Vorsitzenden.

Was bedeutet der Sieg von Babler?

Das zeigt recht gut, dass Babler zum Beispiel im Gegensatz zu Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party doch auch starken Rückhalt in relevanten Teilen der Bürokratie – insbesondere in Wien – genießt. Daraus lassen sich mehrere Dinge schlussfolgern. Was recht offensichtlich ist, ist, dass sich ein Teil der Bürokratie durchaus bereit zeigt, einen kantigeren Kurs einzuschlagen, um sich aus der Misere zu manövrieren. Dabei erhofft man sich sicherlich nicht nur eine Verbesserung in den Umfragen, sondern auch neue Mitglieder und Elan. Gleichzeitig hat nun aber Babler vor allem der Wiener Landespartei seinen Wahlsieg zu verdanken und wird sich in Zukunft vermutlich zweimal überlegen, ob er Kritik am Kurs von Bürgermeister Michael Ludwig anbringen kann. Ob dann die Wiener Landespartei der Ausrichtung des neuen Vorsitzenden folgt oder umgekehrt, wird sich vermutlich noch zeigen müssen. Erste Anzeichen dazu lassen sich beispielsweise in einem Standard-Interview erkennen. Auf die Frage wie er denn zum Lobautunnel stehe, gegen den Klimaktivist:innen seit Jahren mobilmachen, meinte er: „Ich werde mich mit den Wienern austauschen.“

Die Unterstützung durch Teile der Bürokratie zeigt aber auch, dass er vermutlich nicht unmittelbar mit offener oder versteckter Gegner:innenschaft des gesamten Apparats zu rechnen hat. Vielmehr wird vermutlich versucht werden – was in Bezug auf einige wichtige Punkte schon gelungen ist – seine allzu radikalen Kanten abzuschlagen. Die Losung von Geschlossenheit und Einheit war schon immer ein zentrales Mittel, mit dem linke Stimmen in der SPÖ ruhiggestellt werden sollten. Auch Babler hat diese Herangehensweise verinnerlicht. Den rechten Parteiflügel schert das hingegen recht wenig. Doskozils mediale Angriffe in Richtung Pamela Rendi-Wagner hatten nicht nur über Jahre den Konflikt eskaliert und letztlich die Mitgliederbefragung vom Zaun gebrochen, auch nach Bablers Sieg zog der rechte Flügel mit ersten Angriffen gegen ihn auf. Vom Salzburger SPÖ-Chef David Egger-Kranzinger, der vor kurzem noch das historisch schlechteste SPÖ-Ergebnis dort eingefahren hatte, gab es gleich laute Kritik an Bablers Vorschlag der 32-Stunden-Woche und seinen Positionen in Bezug auf Geflüchtete. Einheit wird in der SPÖ immer nur als Waffe gegen die Linke eingesetzt. Wenn Babler und seine Bewegung nicht bald hart gegen den rechten Parteiflügel sowie gegen den bürgerlichen Apparat vorgehen, wird ihn früher oder später dasselbe Schicksal ereilen wie Jeremy Corbyn, der letztlich von der Bürokratie der Labour Party abgesägt wurde.

Generell ist der Kurs von Babler noch nicht eindeutig definiert. Auf der einen Seite hat er mit linken Forderungen wie einer Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden pro Woche bei vollem Lohn- und Personalausgleich durchaus radikal aufgetrumpft, was dem rechten Parteiflügel gleich sauer aufgestoßen ist. Auf der anderen Seite musste er schon bei einigen wichtigen Inhalten wie seiner politischen Kritik an der EU oder dem Bundesheer massiv zurückrudern. Das Gleiche gilt für sein Bekenntnis zum Marxismus, das er nach medialem Backlash gleich wieder fallenließ. Das zeigt recht gut die Strategie, die er und sein „Team Basis“ vertreten. Man möchte in einigen Aspekten neue Akzente setzen und den Diskurs verschieben, doch wenn dafür andere linke Positionen hinderlich werden, können diese einfach kurzerhand geopfert werden. Eine prinzipienfeste Politik sieht anders aus. Dabei hatte er noch bei seiner klar antirassistischen Politik in der Geflüchtetenfrage gezeigt, dass insbesondere vermeintlich „unpopuläre“, aber richtige Positionen langfristig zum Erfolg führen können.

Wesentlich wird sein, inwiefern Babler die Partei öffnen möchte, um die Basis aktiv zu mobilisieren sowie die Parteilinke zu organisieren. Seine fortschrittlichen Positionen (32-Stunden-Woche, Kinder- und Energiegrundsicherung, Mietobergrenze, Millionär:innen- und Erbschaftssteuer etc.) könnten als Ansatzpunkt für eine Bewegung der Gewerkschaften und Linken im Widerstand gegen die Regierungspolitik und die Teuerungskrise dienen. Wenn es letztlich nur bei Diskursverschiebung und Wahlkampfrhetorik bleibt, ist der linke Reformismus von Babler nicht einmal das Papier wert, auf dem er geschrieben steht.




Duell um den SPÖ-Vorsitz: Wie weiter nach Bablers Erfolg?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1223, 25. Mai 2023

Das Ergebnis der Mitgliederbefragung für die Vorsitzwahl der SPÖ ist da und es gleicht einem leichten Erdbeben, welches die Partei vielleicht nicht erschüttert, aber zumindest kräftig durchrüttelt. Der burgenländische Landeshauptmann und Parteirechte Hans Peter Doskozil belegt mit 33,68 % der Stimmen den ersten Platz, knapp darauf Andreas Babler, der Parteilinke und Bürgermeister von Traiskirchen, mit 31,51 %, dicht gefolgt von der bisherigen Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner mit 31,35 % (die übrigen Stimmen waren ungültig). Unklarer könnte das Ergebnis nicht sein – eine Misere für den Parteiapparat, welcher die Mitgliederbefragung organisiert hatte, um den Richtungsstreit ein für alle Mal zu beenden.

Während der Doskozil-Flügel den Sieg sofort für sich beanspruchte und Rendi-Wagner ihren Rückzug ankündigte, forderte der „Parteirebell“ Babler eine Stichwahl unter der Mitgliedschaft. Und das aus gutem Grund, denn das Wahlergebnis ist nicht nur verdammt knapp, sondern es ist gut möglich, dass der außerordentliche Delegiertenparteitag am 3. Juni den angeblichen Sieg von Doskozil aus Angst vor einem Linksruck bestätigt. Für dieses Szenario sprechen auch schon die ersten Stellungnahmen der Landesparteichef:innen. Den Vorstoß führte gleich der Salzburger Landeshauptmann und erklärte „Freund von Doskozils Politik“, David Egger-Kranzinger, welcher mit seinem Kurs gerade erst die Landtagswahl in Salzburg versemmelt hatte. Das Ergebnis stehe fest und er gehe davon aus, dass die Delegierten auf dem Parteitag dem Ergebnis der Befragung folgen würden. In dasselbe Horn stoßen die Vorsitzenden aus der Steiermark, Niederösterreich, Oberösterreich und selbstverständlich aus dem Burgenland. Jene aus Kärnten und Tirol haben noch keine Wahlempfehlung ausgesprochen. Nur die Vorsitzende aus Vorarlberg, Gabriele Sprickler-Falschlunger, die sich ursprünglich für Rendi-Wagner positioniert hatte, sprach sich schnell für Andreas Babler und eine Stichwahl aus. In der „Zeit im Bild 2“ (österreichische Fernsehnachrichtensendung) rückte schließlich der Doskozil-getreue, ehemalige Bundesgeschäftsführer Maximilian Lercher aus, um klarzustellen, dass eine Stichwahl „de facto“ nicht stattfinden werde, obwohl das Parteipräsidium ja dem unklaren Ergebnis hätte Rechnung tragen können, indem es doch noch einen Mitgliederentscheid organisiert. Dafür plädierte offenbar der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig, der sich ebenfalls für Rendi-Wagner eingesetzt hatte. Der rechte Parteiflügel konnte diese Option im Parteipräsidium verhindern, nicht aber den Sieg endgültig für Doskozil beanspruchen. Es wird also zu einem Duell auf dem Parteitag kommen.

Die Linken in der SPÖ

Den Linken innerhalb und außerhalb von Sozialdemokratie und Gewerkschaften kann die Vorsitzwahl nicht egal sein. Hans Peter Doskozil steht für eine weitere Verschiebung der Sozialdemokratie nach rechts durch einen härteren Kurs in der Migrations- und Asylpolitik und eine Stärkung des staatlichen Repressionsapparats. „Integration vor Neuzuzug“, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen, Aushandeln von „Rückführungsabkommen“ und mehr Polizei sind euphemistische Bezeichnungen für eine stärkere Abriegelung Europas und mehr Abschiebungen. Gekoppelt wird das mit durchaus progressiven Forderungen wie einem Mindestlohn von 2.000 Euro netto, besserer Gesundheitsversorgung, Grundrecht auf Pflege, Kindergrundsicherung usw. Mit dieser typisch sozialchauvinistischen Politik (soziale Reformen im Interesse der Lohnabhängigen kombiniert mit nationalistischer Ausgrenzung) möchte Doskozil der FPÖ Konkurrenz machen, um eine Neuauflage von Schwarz-Blau zu verhindern. Wir haben in der Vergangenheit schon zu oft gesehen, wie eine Anbiederung nach rechts im Endeffekt nur rechte Politik stärkt und den offen rassistischen Parteien nützt.

Babler hingegen steht gegen eine solche Anbiederung und für eine stärkere Ausrichtung nach links. Er möchte eine „Bewegung von unten“ schaffen, eine Arbeitszeitverkürzung auf 32 Stunden bei vollem Lohnausgleich (was Doskozil ablehnt) und „die Systemfrage stellen“. Mit seinem Wahlerfolg ohne Landespartei im Rücken und einer „Basistour“ durch Österreich hat er gezeigt, dass er die einfachen Mitglieder der SPÖ erreichen und aktivieren kann. Er könnte die Sozialdemokratie zu einer Partei machen, die verstärkt für die Interessen der Lohnabhängigen eintritt und auf die tatsächliche Organisierung der Arbeiter:innenklasse achtet. Er könnte linke Positionen in die Öffentlichkeit bringen und ein Gegengewicht zur rechten Hetze bilden. Das zeigt zumindest seine Arbeit als Bürgermeister von Traiskirchen, wo er am Ort eines der wichtigsten Asylzentren die FPÖ in Schach hält. Auch wenn sich Babler sogar positiv auf den Marxismus bezieht, muss jedoch klar sein, dass er ein Reformist bleibt. Seine Politik geht über soziale Verbesserungen im Rahmen des Kapitalismus nicht hinaus, was angesichts der umfänglichen kapitalistischen Krise letztlich eine Utopie ist. Tatsächlich stellt er die „Systemfrage“ auch nicht in der Form, in der sie gestellt werden müsste, nämlich als Entscheidung zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Bei der Vorsitzwahl geht es also um die Frage einer möglichen Linksverschiebung der österreichischen Sozialdemokratie, einer potentiellen Aktivierung der österreichischen Arbeiter:innenbewegung und der Möglichkeit des Kampfes um eine Arbeiter:innenpartei. Wenn Babler gewinnt und sich nicht mit dem Parteiestablishment und dem Doskozillager aussöhnt, geht die Auseinandersetzung in die dritte, lange Runde. Denn wir haben schon bei der Labour Party in Großbritannien gesehen, wie der Linksreformist Jeremy Corbyn aus der eigenen Partei heraus sabotiert und abgesägt wurde. Linke Sozialdemokrat:innen müssen die Gelegenheit nutzen, sich als linker Flügel zu organisieren. Nur so besteht überhaupt der Hauch einer Chance, die Sozialdemokratie zu erneuern.

Bei allem Optimismus der letzten Wochen und Tage ist es jedoch sehr gut möglich, dass sich die Parteirechte auf dem Bundesparteitag durchsetzt. Viel hängt offenbar davon ab, wie sich die Wiener Delegierten entscheiden werden. In diesem Fall, in dem sich ein linker Flügel wohl noch nicht formiert hat und das vermutlich dann auch nicht mehr tun wird, lautet die Frage, wie eine Demoralisierung und Passivierung von Zehntausenden verhindert werden kann, die nun Hoffnungen auf linke Politik gehegt haben.

Für alle ehrlichen Anhänger:innen von Babler und die organisierten linken Kräfte, die hinter ihm standen, muss klar sein, dass ihre Politik in einer von Doskozil geführten Partei keinen Platz haben wird. Gleichzeitig sehen wir heute, dass das Potenzial für eine Kraft links der SPÖ so groß ist wie noch nie. Das haben zuletzt auch die Wahlerfolge der KPÖ gezeigt. Wenn sich Doskozil am Parteitag durchsetzt, braucht es ein Zusammenkommen aller Linken in Österreich, um über eine neue, klassenkämpferische Arbeiter:innenpartei zu diskutieren. Babler, KPÖ, LINKS und die außerparlamentarische Linke könnten die Chance ergreifen, die mehr als ein Jahrhundert alte Dominanz des Reformismus und der Sozialdemokratie in Österreich ernsthaft in Gefahr zu bringen. Es braucht eine ehrliche und offene Diskussion darüber, wie wir in Österreich dem Kapital und seiner Regierung wirksam etwas entgegensetzen können. Wenn diese Chance vertan wird, werden rechte Kräfte wie die FPÖ nur weiter von der Krise und der Unzufriedenheit der Menschen profitieren.




Wahlerfolg der KPÖ in Salzburg! Ein Rezept für den Kommunismus?

Michael Märzen, Arbeiter*innenstandpunkt, Infomail 1222, 11. Mai 2022

Es war ein riesengroßer Erfolg und noch dazu eine riesengroße Überraschung: Die KPÖ Plus erzielte bei der Landtagswahl in Salzburg 11,66 % bzw. vier Mandate. Bei der letzten Wahl 2018 waren es lediglich 0,4 % gewesen! Mit so einem Ergebnis hatte nicht einmal der Spitzenkandidat der KPÖ Plus, Kay-Michael Dankl, gerechnet. Noch bemerkenswerter ist der Stimmenanteil von Salzburg-Stadt. Dort landete sie mit 21,5 % knapp hinter der ÖVP auf Platz 2!

Diese Landtagswahl zeigt, nach der Grazer Gemeinderatswahl im letzten Jahr, ganz deutlich, dass es in Österreich Potential für linke Politik gibt, sogar wenn sie das Label „kommunistisch“ trägt. Doch diese Feststellung reicht gewiss nicht aus, das Potential für linke Politik muss auch richtig genutzt werden. Die Frage lautet, kann die KPÖ diese Aufgabe richtig leisten? Wir versuchen eine Antwort auf diese Frage zu formulieren. Doch zunächst müssen wir erst einmal ein Blick darauf werfen, wie sich dieser Wahnsinns-Wahlerfolg in Salzburg überhaupt erklären lässt!

Das Ergebnis im Detail

Der Erfolg der KPÖ Salzburg ist ohne Untertreibung historisch. Noch nie war die Kommunistische Partei in diesem Bundesland so stark. Und noch nie hatte sie vier Mandate. Allein bei der Landtagswahl 1945 konnte sie mit 3,8 % der Stimmen ein Mandat gewinnen, welches sie schon 1949 wieder verlieren sollte. Seither ist viel Wasser durch die Salzach geflossen. Und hatten die Dunkelroten selbst 2018 nur 1.000 Stimmen, sind es nun 31.000 (jede neunte Stimme!). Wer hat auf einmal die KPÖ gewählt? Und warum?

Zunächst müssen wir festhalten, dass die KPÖ in Umfragen vor der Wahl „nur“ bei fünf oder sechs Prozent lag – das allein war allerdings schon eine große Überraschung. Das ist auch ein Zeichen dafür, dass sich offenbar in den letzten Wochen vor der Wahl einiges bewegt hat. Von den befragten KPÖ-Wähler:innen sagen 33 % ihre Wahlentscheidung in den letzten zwei bis drei Wochen getroffen zu haben, 23 % in den letzten Tagen. Demgegenüber sei die Entscheidung von 43 % schon länger her – das sind bemerkenswerter Weise immer noch 13.330 von den exakt 31.383 Stimmen. 8.000 Stimmen (d.h. mehr als ein Viertel) kommen übrigens von der SPÖ und noch einmal 8.000 von den Grünen. Offenbar gibt es eine Unzufriedenheit mit den etablierten, vorgeblich linken Parteien. Das ist nicht verwunderlich, wenn man einerseits die Unterwürfigkeit der Grünen in der Regierung unter die ÖVP betrachtet, auf der anderen Seite die profillose Haltung der SPÖ in Salzburg, ihre Anbiederung nach rechts, sowie den Führungsstreit im Bund. 5.000 Stimmen kommen von Nichtwähler:innen und jeweils 3.000 von FPÖ und ÖVP. Die Zahlen bestätigen somit nicht den Mythos, wonach eine linke Alternative am meisten unter Nichtwähler:innen zu gewinnen hätte. Ein interessantes Detail am Rande ist, dass es laut Statistik im Wahlverhalten der KPÖ-Wähler:innen keinen nennenswerten Unterschied bei Alter und Geschlecht gibt, allerdings bei Bildungsabschluss, wo die Partei bei formal höher Gebildeten zunehmend besser punktet.

Gründe für den Erfolg

In den Medien, in den Worten von PolitologIinnen und selbst von Landeshauptmann Haslauer wurde betont, dass die Landtagswahl in Salzburg eine Protestwahl gewesen sei. Laut einer Umfrage hätten 80 % der Salzburger:innen Sorgen finanziell über die Runden zu kommen. Somit überrascht es nicht, dass das wichtigste Wahlmotiv das Thema Teuerung darstellte. Immer mehr Menschen können sich das Leben immer weniger leisten. ÖVP, SPÖ und Grüne haben darauf keine glaubwürdigen Antworten. Von dieser Unzufriedenheit hat aber nicht nur die KPÖ profitiert, sondern leider auch die FPÖ, mit 25,75 % zweitstärkste Kraft. Wie dem auch sei, es ist allseits bekannt, dass ein wichtiger Faktor in den Teuerungsraten das Wohnen ist. Und auf dieses Thema, das besonders in Salzburg-Stadt brisant ist, hat sich die KPÖ Plus gemäß Grazer Vorbild eingeschossen. Das hat sich bezahlt gemacht. Denn 40 % der Stimmen für „die Kommunist:innen“ stammen aus der Landeshauptstadt. Dazu kommen noch 29 % der KPÖ-Sstimmen aus Salzburg-Umgebung, was somit schon 69 % ausmacht. Hier war es sicher ein Vorteil, dass die KPÖ in Salzburg-Stadt schon seit 2019 mit ihrem Spitzenkandidat Kay-Michael Dankl im Gemeinderat vertreten ist. Dieser konnte wie schon die KPÖ in Graz einen Kautionsfonds für Mieten durchsetzen und mit Mieter:innenberatung und Hausbesuchen Vertrauen gewinnen. Noch dazu wurde er im Wahlkampf kräftig von der Jungen Linken unterstützt, aus der er ja selbst politisch stammt (und die mittlerweile auch im KPÖ-Bundesausschuss vertreten ist). Immer wieder wird aber auch erwähnt, dass Kay-Michael eine sehr authentische und glaubwürdige Person sei und eigentlich mit sozialdemokratischer Politik gepunktet hätte.

Die Politik der KPÖ Salzburg

Wohnen ist ganz klar das Steckenpferd der KPÖ Plus in Salzburg und darüber läuft ihre politische Strategie. Das sieht man auch sofort, wenn man einen Blick in das Wahlprogramm wirft. Dort steht das Thema Wohnen an erster Stelle und beinhaltet nicht weniger als 69 Forderungen. Zum Vergleich – beim Thema Arbeit sind es neun. Man sieht dabei natürlich, dass sich die KPÖ Salzburg tatsächlich mit Wohnen beschäftigt hat und es ist ohne Zweifel wichtig konkrete Forderungen zu haben, für die man auch glaubwürdig kämpfen und die man womöglich tatsächlich umsetzen kann. Durch Radikalität oder Systemkritik zeichnet sich dieses Programm jedoch nicht aus.

Ein Bekenntnis den kommunalen Wohnbau wieder aufnehmen und fördern zu wollen, der Genossenschaftsgedanke oder die Leerstandsabgabe sind nicht ausreichend, um Wohnen der Profitlogik zu entziehen, wie es Kay-Michael Dankl gerne formuliert. Hier wird man um das Kapital von Immobilien-, Baukonzernen und Banken nicht herum kommen. Und beim Mindestlohn von 1.700 netto im öffentlichen Dienst legt sich mit 2000 € netto selbst Hans-Peter Doskozil stärker mit der österreichischen Kapitalist:innenklasse an.

Zugegeben, die Möglichkeiten im Landtag sind begrenzt und Dankl ist sicher zuzustimmen, wenn er im Podcast der Jungen Linken sagt, es komme darauf an, Menschen zu überzeugen. Man muss sich aber schon fragen mit welcher gesellschaftlichen Perspektive man Politik macht und seit wann für Kommunist*innen die bürgerlichen Institutionen die zentralen Bezugspunkte für politische Veränderung sind? Kommunistische Politik muss jedenfalls in einen Rahmen eingebettet sein, der die kapitalistischen Verhältnisse benennt und kritisiert und Stoßrichtungen aufzeigen, mit denen die Lohnabhängigen für ihre eigenen Interesse organisiert und mobilisiert werden können – auch bei einer Landtagswahl. Ohne Kapitalismuskritik, der Frage von Eigentumsverhältnissen und Lohnabhängigen als politischem Subjekt kann man eindeutig Wahlerfolge erzielen. Eine kommunistische Kraft wird man dabei aber nicht aufbauen.

Schlussfolgerungen

Der Erfolg der KPÖ Plus ist beeindruckend und die Genoss:innen haben offensichtlich einiges richtig gemacht, wovon die Linke lernen kann. Die Frage ist nun, wie die KPÖ auf diesem Erfolg aufbauen kann und wie sie ihre Wahlerfolge in eine allgemeinere, antikapitalistische Strategie einordnen kann. Dabei kann man auch die SPÖ-Linke, die sich gerade rund um Andi Babler formiert, nicht außer Acht lassen, ob dieser nun die Vorsitzwahl gewinnt oder nicht. Nächstes Jahr sind Nationalratswahlen und damit besteht die Möglichkeit, dass mit der KPÖ eine Kraft links der SPÖ in den Nationalrat einzieht. Wenn sie diese Chance ergreifen möchte braucht es ein Angebot an größere Teile der österreichischen Linken für einen gemeinsamen Wahlkampf und den Aufbau einer neuen linken Partei.




Österreich: Solidarität mit den Streikenden in den privaten Bildungseinrichtungen

Flo Kovacs, Infomail 1222, 8. Mai 2022

Im Innenhof eines Unterrichtsstandorts sind Transparente aufgehängt, die allesamt eine zu schlechte Bezahlung beklagen. Beinahe alle der etwa 150 Anwesenden haben entweder eine Ratsche oder eine Trillerpfeife in der Hand, um ein paar Hälse hängen auch selbst zusammengeschweißte Blechtrommeln. Die Stimmung ist ausgelassen. Auf der provisorischen Bühne schwingt der Betriebsrat kämpferische Reden, bevor gemeinsam in die Etagen der Streikbrecher:innen zum Lärm Machen aufgebrochen wird. Zumindest an einem der Betriebe, die am Mittwoch und Donnerstag gestreikt haben, hat es so ausgesehen. Eines unserer Mitglieder war selbst als Streikender vor Ort.

Diese Woche, am 3. und 4. Mai, haben die Betriebsräte in den privaten Bildungseinrichtungen zum ersten Mal in der österreichischen Geschichte zum Warnstreik gerufen. Hier möchten wir uns kurz mit den Hintergründen und Forderungen auseinandersetzen, bevor wir unsere Einschätzung abgeben.

Den freiwilligen Zusammenschluss der „Berufsvereinigung der Arbeitgeber:innen privater Bildungseinrichtungen“ (BABE) gibt es seit 1999, ein gemeinsamer Kollektivvertrag (KV) für diese Vereinigung wird seit 2005 jährlich verhandelt. Wer nicht viel mit der Erwachsenenbildung zu tun hat, wird von den eingeschlossenen Betrieben nur wenige kennen. Hervorzuheben sind die einzelnen Berufsförderungsinstitute (BFI) der Bundesländer, die zur Gänze der Arbeiterkammer und dem Gewerkschaftsbund gehören und einen großen Teil der AMS-Kurse veranstalten, sowie der Verband der österreichischen Volkshochschulen.

Dass ansonsten noch eine hohe Zahl an mittelgroßen bis kleinen Bildungsbetrieben beteiligt ist, hilft nicht bei der Organisierungsrate. Generell ist durch die Zugehörigkeit zu Bildungssektor und Sozialbereich eine schwach ausgeprägte Streikkultur erwartbar. Außerdem befinden wir uns in Österreich, wo es eine solche ohnehin nicht gibt. Das beklagen auch kämpferische Betriebsräte, bevor sie zum Eintritt in die Gewerkschaften aufrufen. Eine weitere Schwäche stellt die Verteilung des Sektors über mehrere Gewerkschaften dar. Zwar deckt die GPA einen großen Teil der Beschäftigten ab, je nach Bereich der Ausbildung – etwa von Deutschkursen bis zu Schweißausbildungen – kann das aber variieren. Deswegen sitzt auch die vida am Verhandlungstisch, während wieder weitere, wie die Gewerkschaft Bau Holz, nur zu den einzelnen Betriebsversammlungen kommen (können).

Diese Aufteilung bildet sich auch in der Streikbereitschaft der einzelnen Betriebe ab. Da steht auf der einen Seite mit dem BFI Wien ein kämpferisches, größeres Haus, das die kompletten zwei Tage ausnützt, für die der ÖGB seine Streikfreigabe erteilt hat. Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen wie die Wiener Volkshochschulen, deren Kurse hauptsächlich am Abend stattfinden, die nur an einem Tag von 11 bis 14 Uhr die Arbeit niederlegen. Der Wille zum Aufbau von Druck durch die Basis ist also nicht durchgängig gegeben.

Ziele und Probleme

Die Betriebsräte fordern eine Lohnerhöhung von 15 % im Vergleich zum Vorjahr. Der damalige Abschluss wird von jenen Betriebsrät:innen, die ihm wohl selbst auch zugestimmt haben, rückblickend als eine Frechheit bezeichnet, als lächerlich niedrig im Vergleich zu den anderen aus dem letzten Jahr. Das überrascht nicht, immerhin ist das alljährliche Theaterspiel zu den KV-Verhandlungen ein fixer Teil der Sozialpartner:innenschaft. Sieht man sich die Vertragsabschlüsse verschiedener Industrien, die letztes Frühjahr getroffen worden sind, an, dann liegen die auch konsequent über den 3,4 % der BABE. Einzelne andere Branchen schlossen noch deutlich schlechter ab, aber daran soll man sich ja besser nicht orientieren.

Neben dem schwachen Abschluss 2022 kämpft die Branche mit zwei weiteren Problemen. Erstens sind gerade die größeren Häuser von den Bildungsmaßnahmen abhängig, die sie für das AMS oder den Integrationsfonds durchführen. Diese sind aber zu nennenswerten Teilen zeitlich begrenzt und bieten keine Möglichkeit mehr zur Vollzeitanstellung, weil die Stundenanzahl schlicht nicht ausreicht. Das bedeutet zwar eine geringere Arbeitszeit, was für manche Lebenslagen sicher gut passt. Wer allerdings noch auf eine Pension hofft, ist nach langer Teilzeitarbeit deutlich stärker von Altersarmut betroffen. Außerdem bietet eine derart befristete Arbeitsweise immer die Gefahr einer Prekarisierung, wie sie gerade bei vielen privaten Sprachbildungsinstituten vorherrscht.

Zweitens wurde im Zuge des KV-Abschlusses 2010 eine neue Gehaltsstufe eingeführt, die für die meisten der seither eingestellten Trainer:innen ein niedrigeres Gehalt bedeutet. In die bis dahin für Trainer:innen (das sind in der Erwachsenenbildung alle, die unterrichten) allgemein geltende Stufe 5 kommen nun bestenfalls solche, die neue Kurse konzipieren und einführen. Für alle anderen gibt es seither die Stufe 4a, deren Einstiegsgehalt bei Vollzeitanstellung aktuell gut 200 Euro darunter liegt. Das bietet eine willkommene Einsparungsmöglichkeit für die Bosse, die nicht alle, aber viele von ihnen natürlich nutzen.

Inspiration

Die Forderung nach 15 % Lohnerhöhung kommt nicht von ungefähr. Die aktuell in den BABE-Einrichtungen geführten Kämpfe orientieren sich stark an den Arbeitskämpfen der letzten Jahre im Sozialbereich. Dieser ist eine ähnlich schwach und kleinteilig organisierte Branche mit historisch nicht vorhandener Streikkultur, die deswegen immer stärker in Richtung Prekarität gerutscht ist. Nachdem über die vergangenen Jahre hinweg immer mehr Streikhandlungen gesetzt wurden, im Zuge derer sich die Branche untereinander vernetzte, gegenseitig stärkte und ein solidarisches Bewusstsein aufbaute, erreichte sie dieses Jahr einen Abschluss mit knapp über 10 % Lohnerhöhung. Der stellt immer noch keine Lösung für die gravierenden Probleme im österreichischen Sozialbereich dar, ist aber zumindest im Vergleich zu anderen Branchen trotzdem eher im oberen Bereich angesiedelt. Und etwas Ähnliches erhoffen sich die Verhandler:innen auch vom nächsten BABE-Abschluss. Dabei bekommen sie auch moralische Unterstützung von den Betriebsrät:innen aus dem Sozialbereich, von denen auch zwei auf der branchenweiten öffentlichen Betriebsversammlung gesprochen haben. Dementsprechend verkünden die Vertreter:innen: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Was die Verhandlungen bei den BABE etwas interessanter macht, ist auch die andere Seite am Verhandlungstisch. Denn während diese anderswo aus Größen von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung besetzt wird, sitzen hier auch alteingesessene Gewerkschaftsbürokrat:innen auf der Gegenseite. Das ergibt sich aus der Größe der einzelnen BFIs, die allein dadurch innerhalb der Berufsvereinigung nennenswerte Macht haben. Die rekrutieren, wie es ihre Besitzverhältnisse anbieten, die Führungsetage auch aus den Reihen von ÖGB und AK. Das führt dann dazu, dass Personen, die sich in ihrem eigenen Leitbild als fester Teil der Gewerkschaftsbewegung verstehen, sich gleichzeitig gegen Lohnerhöhungen in der eigenen Branche stemmen.

Und das tun sie bisher sehr erfolgreich. Vom Einstiegsangebot von 9 % Erhöhung hat man sich in den größten Gehaltsgruppen noch kein halbes Prozent hinaufbewegt. In ihren Aussendungen versichern die Betriebsräte, dass sie auf keinen Fall mit einem Abschluss unter 10 % in die Betriebe zurückgehen werden. Ob sie diese Ankündigung wahrmachen, wird sich zeigen. Ein Blick auf die anderen, kürzlich abgeschlossenen KVs stimmt nicht sonderlich zuversichtlich. Da kommt neben dem SWÖ-Kollektivvertag nämlich gerade einmal die Papierindustrie auf ein zweistelliges Ergebnis.

Was können wir erwarten?

Generell offenbaren diese Verhandlungen die doppelte Unzulänglichkeit der modernen Sozialpartner:innenschaft. Zu tatsächlichen Lohnerhöhungen kommt sie nicht, die Reallöhne stagnieren in Österreich seit Jahrzehnten. Außerdem stellt dieser Warnstreik eine Ausnahme dar in einem Sektor, der dieses Mittel wahrscheinlich bisher noch nie in Erwägung gezogen hat. Es ist also schon positiv hervorzuheben, wenn der ÖGB einmal eine Streikfreigabe erteilt und nicht noch schnell ein Abschluss hermuss, um den Warnstreik dann doch zu verhindern. Außerdem fehlt mittlerweile auch in den traditionell starken Branchen, wie der Metallindustrie, die Vorbildwirkung, die dann die anderen Bereiche nachziehen kann. Es müssen also nun andere aufstehen, um in Zeiten der Hochinflation keine starken Reallohnverluste einstecken zu müssen. Ohne eine kämpferische Gewerkschaft, die den Kapitalismus auch angreift, statt ihn entspannt bürokratisch mitzuverwalten, werden tatsächliche Verbesserungen für Lohnabhängige weiterhin unerreichbar bleiben. Es braucht außerdem eine automatische Anpassung der Löhne an die tatsächlich spürbare Inflation, damit Arbeitskämpfe endlich aus der Abwehrhaltung in den Angriff übergehen können.

Direkte demokratische Kontrolle über die Streiks in den einzelnen Betrieben sollte von demokratischen Streikkomitees der Beschäftigten der Standorte ausgeübt werden. Um den öffentlichen Druck zu erhöhen und auch die Öffentlichkeit auf seine Seite zu ziehen, braucht es bei zukünftigen Streikmaßnahmen Streikkundgebungen im öffentlichen Raum. Auch hier hat der Sozialbereich mit tausenden Menschen starken Demonstrationen gezeigt, wie einerseits die Solidarität innerhalb der Beschäftigten auch über Standorte hinaus gestärkt und gleichzeitig breite Solidarität und Aufmerksamkeit in der Bevölkerung geschaffen werden können. Wenn sich die Verhandlungsteams auf einen Kollektivvertrag geeinigt haben, braucht es als Mindestmaß der demokratischen Mitbestimmung eine Urabstimmung darüber.

Obwohl also leider von keinen großen Gewinnen auszugehen ist, gilt unsere Solidarität den Streikenden in den privaten Bildungseinrichtungen. Denn sie sind es, die durch ihre Berufs- und Weiterbildungen zehntausenden Beschäftigten Chance auf bessere Arbeit geben, die migrierten und geflüchteten Personen durch Sprachkurse eine Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und auch die einzigen, die durch massenhafte Umschulungen eine ökologische Transformation in der Industrie ermöglichen könnten. 15 Prozent Lohnerhöhung sind dafür das Mindeste!




Die zahlreichen Krisen unserer Zeit und unsere Antworten: Zentrale Eckpunkte eines Aktionsprogramms für Österreich

Michael Märzen und Alex Zora, Arbeiter*innenstandpunkt, zuerst veröffentlicht in Flammende 3, Frühjahr 2023, Infomail 1221, 21. April 2023

Unser aktuelles Aktionsprogramm für Österreich „Reaktion oder Sozialismus!“ stammt aus dem Jahr 2019 und seine Erarbeitung fiel in eine Zeit, als das Land von der schwarz-blauen Regierung unter Sebastian Kurz regiert wurde. Wenige Wochen nach Veröffentlichung des Aktionsprogramms brach dann die rechte Bürger:innenblockregierung im Zuge der Ibiza-Affäre zusammen. Seitdem hat sich die innenpolitische und internationale Situation massiv geändert (schwarz-grüne Koalition, Rücktritt von Sebastian Kurz, Inflation, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, …). Außerdem arbeiten wir seit Anfang 2020 im Wiener Parteiaufbauprojekt LINKS mit. Eine Aktualisierung unserer programmatischen Vorschläge ist deshalb eigentlich mehr als überfällig. Hier ist aber nicht der Platz um das in größerem Umfang zu tun. Vielmehr wollen wir hier unsere programmatischen Vorstellungen exemplarisch darlegen und unsere Methode anhand der wichtigsten Thematiken darlegen.

Multiple Krisen als Krise des Kapitalismus

Nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine ist die Weltwirtschaft in ein „realwirtschaftliches Ungleichgewicht“, wie es die Neue Zürcher Zeitung nennt, gefallen. Schon seit Mitte 2021 erleben wir in Europa relevant steigende Inflationsraten. Inwiefern sich diese nun bei einer Hochinflation  um 10 Prozent „stabilisiert“ hat oder noch weiter steigen wird, ist noch nicht ganz absehbar. Was aber außer Frage steht ist, dass die schon stattgefundene Teuerung die Lebenssituation der lohnabhängigen Bevölkerung in Österreich massiv belastet. Ebenfalls offenkundig zeigt sich  die Gefahr einer Rezession, also eines Schrumpfens der Wirtschaftsleistung, in diesem Jahr. Darin sind sich mittlerweile die meisten bürgerlichen Ökonom:innen und Institute einig. Ausführlicher wird das in unserem Artikel „Wirtschaftskrise und politische Instabilität“ in dieser Ausgabe der Flammenden diskutiert.

Neben den aktuellen wirtschaftlichen Problemen, wie der Inflation und deren massiven Auswirkungen wie Teuerung und Reallohnverlusten, hat uns das letzte Jahr deutlich vor Augen geführt, dass das kapitalistische Weltsystem immer mehr auf eine bewaffnete Konfrontation zwischen den imperialistischen Machtblöcken zusteuert. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine zeigt uns klar, dass eine Welt dominiert von einzelnen imperialistischen Großmächten immer auch einen Kampf um Absatzmärkte und Einflusssphären bedeutet, sowie reaktionäre Ideologien wie Nationalismus in sich führt. Die Herrschenden in Europa rüsten aktuell ihre Streitkräfte für ebensolche direkte Konfrontationen mit Russland oder China hoch. Eine mutige antimilitaristische und internationalistische Politik ist essenziell um eigenständige Klassenpolitik machen zu können und nicht zum Weggefährten der Kapitalist:innen im eigenen Land zu werden.

Doch nicht nur eine mögliche Konfrontation zwischen den bis an die Zähne mit Atomsprengköpfen bewaffneten Großmächten gefährdet die Zukunft der Menschheit. Die Umweltkrise und insbesondere der Klimawandel mit seinen direkten Auswirkungen sind mittlerweile von einer abstrakten Zukunftsperspektive zur realen Gefahr für Millionen Menschen auf dem ganzen Globus geworden. Pakistan erlebte 2022 eine massive Flutkatastrophe, Madagaskar eine akute Hungersnot und Inselstaaten im Pazifik sind überhaupt in ihrer Existenz bedroht.

In Österreich ist währenddessen die Regierungskoalition seit dem Skandal rund um Sebastian Kurz immer noch stark angeschlagen. Die Kanzlerpartei ÖVP ist in Umfragen nur noch auf Platz 3 – hinter FPÖ und SPÖ. Eine neue Welle des Rassismus erfasst alle etablierten Parteien von den Regierungsparteien bis zu FPÖ und SPÖ. Die wirtschaftlich schwierigen Aussichten machen eine Neuorientierung der österreichischen Bourgeoisie und ihrer Regierungszusammensetzung möglich. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind noch immer alles andere als überwunden, das österreichische Gesundheits- und Pflegesystem ist weiterhin am Rande des Zusammenbruchs.

Was es braucht ist eine Kraft zur Überwindung dieses Systems. Das kann nur erfolgreich sein mit einem klaren programmatischen Verständnis, welches sich aus einer Analyse der politischen Lage, deren Möglichkeiten und Notwendigkeiten sowie der Erfahrungen des Klassenkampfs begründet. Auf den folgenden Seiten wollen wir versuchen aktuelle Ansätze dazu zu geben.

Inflation und Rezession

Die Inflation des letzten Jahres war nach vielen Jahren der Niedrigstinflation für viele Menschen kaum vorstellbar. Die größten Auswirkungen – wie die, für viele Menschen noch ausstehenden, Energierechnungen des Winters – stehen teilweise noch bevor. Die Bundesregierung beschränkte sich darauf, durch Einmalzahlungen und Zuschüsse die schlimmsten Folgen abzufedern. Die realen Einkommensverluste zu kompensieren, wird sich damit aber kaum ausgehen. Schon jetzt zeigt sich sehr deutlich, wie sehr sich die Inflation auf den Lebensstandard der Menschen in Österreich auswirkt. Zwei Drittel der Menschen in Österreich, die dieses Jahr keinen Winterurlaub machen, geben an, dass die Teuerung dafür hauptverantwortlich ist;[i] 41 % der Menschen in Österreich haben Sorgen, sich bei weiteren Preissteigerungen verschulden zu müssen[ii] und mehr als die Hälfte beginnt sich beim Essen einzuschränken[iii]. Auf die sozialdemokratisch geführten Gewerkschaften war wie so oft kein Verlass. Stolz verkündeten sie Abschlüsse, die teilweise deutlich unter der aktuellen Inflation zurückbleiben. Eine richtige Mobilisierung zum Arbeitskampf blieb bisher aus. Statt die Ansätze zum Arbeitskampf in unterschiedlichen Branchen hin zu einem branchenübergreifenden Kampf gegen die Inflation vorzubereiten und dann zu eskalieren, gab es unterschiedlich schlechte Abschlüsse in unterschiedlichen Branchen. Die Abschlüsse wurden nach der traditionellen Herangehensweise der durchschnittlichen Inflation der letzten 12 Monate verhandelt, womit die Gewerkschaftsbürokratie Abschlüsse deutlich unter der aktuellen (und prognostizierten) Inflation als Reallohnerhöhungen verkaufte. Statt einen der Situation angemessenen Kampf gegen die Teuerung zu führen blieb man lieber im guten alten Trott – wenig verwunderlich, wenn man sich ansieht, dass die Gewerkschaftsspitzen ein Vielfaches der Gehälter ihrer Mitglieder bekommen. Die Teuerung trifft sie also relativ wenig[iv].

Die Inflation ist aber nicht nur ein Problem für die Lohnabhängigen, sondern auch für große Teile des Kapitals. Von Seiten der Zentralbanken wird versucht mit Erhöhungen der Leitzinsen der Inflation entgegen zu wirken. Damit wird aber gleichzeitig massiv auf die wirtschaftlichen Aussichten gedrückt. Die Wahl, vor die uns das Kapital und seine Regierung stellen, ist Inflation und Teuerung auf der einen Seite und Rezession und Arbeitsplatzverluste auf der anderen Seite. Am Ende ist es nicht unwahrscheinlich, dass uns beides treffen wird. Die aktuelle Prognose der Europäischen Kommission sieht für das Jahr 2023 für Österreich ein Wirtschaftswachstum von 0,3 % vor[v]. Arbeitsplatzverlust, Kurzarbeit und Lohneinbußen sind also schon quasi vorprogrammiert. Was es braucht ist ein mutiges Programm gegen die Teuerung, aber auch vorbereitend ein Programm gegen die Auswirkungen einer wahrscheinlichen Rezession, damit der Widerstand dagegen frühzeitig vorbereitet werden kann. Das bedeutet für uns zu fordern:

  • Automatische Anpassung von Löhnen, Pensionen und Sozialleistungen an die Inflationsrate, kontrolliert durch Komitees aus Beschäftigten, Betroffenen und die Gewerkschaftsbewegung
  • Festlegung der Warenkörbe für die Inflationsberechnung durch Komitees aus Vertreter:innen der Gewerkschaftsbewegung
  • Gegen Armut: Massive Anhebung von Löhnen und Einkommen (Mindestsicherung, Arbeitslosengeld, Pensionen) auf mindestens 1800,- netto/Monat
  • Abschaffung von indirekten Massensteuern
  • Einführung einer Energiegrundsicherung. Enteignung der Energiekonzerne und deren Gewinne und Fortführung unter Kontrolle der Beschäftigten
  • Bei (drohenden) Betriebsschließungen: Enteignung und Weiterführung unter Verwaltung der Beschäftigten
  • Einsicht in die Geschäftsbücher für Komitees der Beschäftigten und der Gewerkschaften um dem Kapital und seinen Machenschaften auf die Finger zu schauen!
  • Gegen Arbeitslosigkeit: Massive staatliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Sozialbereich sowie für den ökologischen Umbau!

Gewerkschaften zurückerobern!

Die österreichische Gewerkschaftsbewegung ist zwar seit den 80er Jahren am absteigenden Ast was Mitgliedschaft und gesellschaftlichen Einfluss anbelangt, aber mit mehr als einer Million Mitgliedern ist der ÖGB immer noch der größte und mächtigste, wenn auch bürokratischste, Ausdruck der Arbeiter:innenbewegung in Österreich. In den letzten Jahren gab es innerhalb der Gewerkschaftsbewegung neue politische Entwicklungen. Die traditionelle Speerspitze des ÖGB – die Metaller:innen – wurde durch die Politik der Gewerkschaftsführung immer mehr abgestumpft. Gleichzeitig haben sich in neuen Sektoren wie dem Sozialbereich oder bei den Pädagog:innen neue kämpferische – und streikfähige – Sektoren herausgebildet. Auch die Eisenbahner:innen haben in den letzten Jahren immer wieder am Vollstreik gekratzt und im Kampf gegen die Teuerung 2022 den bedeutendsten Arbeitskampf geführt.

Insgesamt bleibt die Gewerkschaftsbewegung aber immer noch in der Ideologie der Sozialpartner:innenschaft gefangen. Während der Hochphase der Pandemie waren die Spitzen der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung wieder froh darüber, dass sie in die Verwaltung der Krise auf Kosten der Arbeiter:innen miteinbezogen wurden, doch seit mehr als 2 Jahrzehnten hat die organisierte Kapitalist:innenklasse in Österreich nur mehr sehr selten Bedarf an einem ernsthaften Ausgleich mit den Spitzen der Gewerkschaften. Aber anstatt dem geänderten Kräfteverhältnis zwischen Arbeiter:innenklasse und Kapital mit einer klassenkämpferischen Ausrichtung zu begegnen, versucht die Gewerkschaftsbürokratie lieber durch möglichst zahme Politik ihre Kompromissbereitschaft zu signalisieren. Das Kapital nimmt die Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften gerne an, macht aber selbst kaum Zugeständnisse. Ganz im Sinne der bürgerlichen „Standortlogik“ spielt die Gewerkschaftsführung bei staatlichem Rassismus oder Umwelt- und Klimapolitik nur zu oft eine reaktionäre Rolle.

Gleichzeitig stützt sie sich weiterhin vor allem auf die privilegierten Teile der Klasse. Weibliche oder migrantische Arbeiter:innen sind deutlich unterrepräsentiert – in der Gewerkschaftsführung noch einmal deutlich mehr als  in der ohnehin verbesserungswürdig zusammengesetzten Basis. Es braucht hier bewusste Schritte um sozial unterdrückte Teile der Klasse zu organisieren.

Von selbst werden die sozialdemokratisch geführten Apparate ihre Politik nicht ändern, es braucht vielmehr eine systematische Intervention linker und klassenkämpferischer Kräfte innerhalb der Gewerkschaften und in den Betrieben. In manchen Branchen wie im Sozial- und Gesundheitsbereich gibt es auch erste vielversprechende Ansätze dafür. Ziel muss sein nicht nur die Führung auszutauschen und linke Betriebsrät:innen zu etablieren, sondern von Grund auf die Organisationen zu revolutionieren. Es braucht die Verbindung des Kampfes für demokratische Gewerkschaften mit einer klar klassenkämpferischen Ausrichtung!

  • Für eine klassenkämpferische Basisbewegung in den Gewerkschaften um sie wieder zu demokratischen Kampforganisationen der Arbeiter:innenklasse zu machen!
  • Für die Organisierung der Unorganisierten. Für eine gewerkschaftliche Organisierungskampagne insbesondere in prekär besetzten Branchen wie Lieferdiensten, Pflegebereich oder Einzelhandel
  • Aufbau gewerkschaftlicher Basisorganisationen, um die Gewerkschaftsmitglieder in ihren Betrieben und in den Gewerkschaften zu organisieren
  • Für einen durchschnittlichen Facharbeiter:innenlohn für alle Gewerkschaftsfunktionär:innen
  • Verpflichtende Urabstimmungen der Beschäftigten über KV-Abschlüsse

Soziale Unterdrückung bekämpfen

Die kapitalistische Krise verschärft das Elend all jener, die abseits bzw. zusätzlich zu der Unterdrückung und Ausbeutung durch Lohnabhängigkeit aufgrund anderer Kriterien, wie Herkunft, Geschlecht oder sexueller Orientierung, Alter und Einschränkung unterdrückt werden. Denn es sind diejenigen, die aufgrund bestehender Marginalisierungen, Abhängigkeit und Prekarität am einfachsten anzugreifen sind, sowie auch von allgemeinen Verschlechterungen stärker getroffen werden. Rassismus und Sexismus sind zwei Unterdrückungsmechanismen, die in unserer Gesellschaft besonders weit verbreitet sind. Dahinter steht aber ein tief mit dem Kapitalismus verwurzeltes System sozialer Unterdrückung. Teilweise mit tiefen ideologischen und strukturellen Wurzeln in vorkapitalistischen Gesellschaften, ermöglicht es heute den Herrschenden eine Politik der Spaltung und Ablenkung und erleichtert auf diese Weise die Ausbeutung von Arbeitskraft.

Der beliebteste Mechanismus bürgerlicher Politik zur Ablenkung von ihren Machenschaften im Interesse des Kapitals ist die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, Migrant:innen und Personen of Color. Über 100.000 Asylanträge wurden im Jahr 2022 in Österreich gestellt[vi], mehr als in der sogenannten Flüchtlingskrise 2015. Geflüchtete werden in Zelte gepfercht, der ÖVP-Innenminister forciert einen Ausbau der „Festung Europa“ mit neuen Zäunen und blockiert den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens. Die FPÖ fordert Grenzschließungen und spricht von einer „Festung Österreich“. Die SPÖ propagiert eine „Bodenseekoalition“ um „irreguläre Migration“ zu verhindern. Es wird zwischen guten Geflüchteten und Zugewanderten aus der Ukraine und schlechten Geflüchteten aus Afghanistan, Indien oder Tunesien gespalten.

Zum Teil noch viel akzeptierter und im Alltag allgegenwärtig ist der Sexismus, welcher der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frauen entspringt und sich über heterosexistische Geschlechternormen auch gegen LGBTQIA+ Personen richtet. Der materielle Kern der Frauenunterdrückung liegt in der unbezahlten Reproduktionsarbeit (Hausarbeit, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen etc.), welche überwiegend von Frauen verrichtet wird und häufig mit einer Mehrfachbelastung, ökonomischer Abhängigkeit und sozialer Isolation einhergeht. Eine Entwicklung in Österreich, welche die Lage der Frauen, sowie von Sexismus Betroffenen, gefährlich zu verschärfen droht, besteht in der drastischen Personalnot in Pflege und Kindergärten. Bis 2030 braucht es 100.000 zusätzliche Pflegekräfte[vii] und rund 14.000 – 20.000 Kindergartenbetreuer:innen[viii]. Diese Entwicklung bedroht die soziale Stellung der Frauen heute mit einem gewaltigen Rückschritt zu unbezahlter Care-Arbeit und damit verbunden ökonomischen Abhängigkeiten.

Die traditionellen Rollenbilder und Geschlechtsidentitäten zu hinterfragen, ist in annähernd progressiven Gesellschaftsschichten inzwischen normal, besonders unter jungen Menschen. Die LGBTQIA+ Community erhält Zulauf sowie Solidarität von liberalen Politiker:innen und so manchen Konzernen. Doch oft steckt dahinter nur ein profitables „pink washing“. Die ökonomischen Verhältnisse und die gesellschaftlichen Strukturen, wie insbesondere die bürgerliche Kernfamilie, welche die sozialen Geschlechter prägen, sind nicht verschwunden und können im Kapitalismus nicht verschwinden. Gerade in der Krise können sich diese Verhältnisse durch ökonomische Zwänge wieder stärker bemerkbar machen. Es droht ein queerfeindlicher Backlash.

  • Öffnet die Grenzen für alle Geflüchteten! Gegen rassistische Grenzpolitik, Grenzzäune, Obergrenzen für Geflüchtete und Push-Backs! Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete und sowie gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen!
  • Recht auf Staatsbürger:innenschaft und Wahlrecht für alle mit Lebensmittelpunkt in Österreich!
  • Für das Recht auf Muttersprache auf Behörden und Ämtern! Ausbau von mehrsprachigem Unterricht an Schulen!
  • Gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit! Gewerkschaftliche Organisierungskampagnen in von Frauen dominierten Berufen und Erkämpfung höherer Löhne!
  • Kürzere Arbeitszeiten sowie bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen in Pflege und Kindergärten! Um den Anreiz zu erhöhen müssen die Ausbildungen für diese Berufe bezahlt werden!
  • Vergesellschaftung der Reproduktionsarbeit! Massiver Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen, Pflegeeinrichtungen, kollektiven Wohnformen, öffentlichen Kantinen und Waschküchen!
  • Für einen Ausbau von Gewaltschutzzentren! Organisierter Schutz von Frauen und LGBTQIA+ Personen gegen sexistische und sexualisierte Gewalt!

Krieg dem Krieg!

Schon seit Jahren zeichnet sich auf geopolitischer Ebene eine Verschärfung im Kampf um eine Neuverteilung der Welt an. Sei es in Syrien oder dem südchinesischen Meer, die Welt war gekennzeichnet von sich zuspitzenden Widersprüchen. Vor allem zwischen den alteingesessenen imperialistischen Großmächten, die die Nachkriegsordnung in ihrem Interesse prägen konnten (USA, EU und Japan) und der aufstrebenden imperialistischen Großmacht China mit Russland im Gepäck, das ebenfalls wenig Interesse an der „regelbasierten Weltordnung“ hatte.

Mit Russlands Krieg in der Ukraine sind diese Konflikte in einer noch nicht dagewesenen Intensität ausgetragen worden. Der russische Imperialismus möchte sich zurückholen, was er fälschlicherweise als seine „Einflusssphäre“ betrachtet. Die Leidtragenden sind vor allem die Menschen in der Ukraine, sowie alle von massiver Repression betroffenen Kriegsgegner:innen und Eingezogenen in Russland. Gleichzeitig präsentiert auch die „demokratische Wertegemeinschaft“, wie sich der westliche Imperialismus gerne bezeichnet, keine fortschrittliche Lösung. Sie steht vielmehr für den Status quo aus globalem Ausbeutungsregime und Umweltzerstörung und hat ihr eigenes Ausbeutungsinteresse an der Ukraine. Aufgrund der enormen Involvierung des Westens, sowie der kompletten Abhängigkeit des ukrainischen Regimes davon, ist für uns im aktuellen Krieg das Element des innerimperialistischen Konflikts dominant. Auch wenn es noch in weiter Ferne scheint, braucht es schon jetzt das Eintreten für eine unabhängige Antwort der Ausgebeuteten und Unterdrückten in allen Ländern und auf allen Kontinenten. Eine ausführlichere Diskussion zum Krieg in der Ukraine findet sich im Artikel „2022 – ein Jahr des Kriegs um die Ukraine“.

Für Österreich heißt das insbesondere, dass wir uns gegen jede Form der Aufrüstung und Militarisierung aussprechen. Nach deutschem Vorbild (wo ja das größte Rüstungspaket seit 1945 beschlossen wurde) soll hier der Krieg in der Ukraine dafür instrumentalisiert werden, die eigenen Streitkräfte massiv auszubauen. Gleichzeitig wird es in den nächsten Jahren mehr Versuche von Seiten der EU geben, eine gemeinsame „Verteidigungs“politik zu definieren und die einzelnen nationalen Armeen besser aufeinander abzustimmen. Eine gemeinsame EU-Armee ist zwar unwahrscheinlich muss aber trotzdem schon jetzt bekämpft werden.

Wir stehen beim Kampf gegen Krieg und Militarisierung aber nicht für pazifistische Neutralität. Wir sagen klar, dass dieses System mit all seiner Gewalt und seinem Leid nur durch die  organisierte und militante Arbeiter:innenklasse in einer Revolution gestürzt werden kann. Wir verteidigen zwar die positiven Aspekte der österreichischen Neutralität (keine Beteiligung an imperialistischen Militärbündnissen wie der NATO, etc.) aber kritisieren gleichzeitig die Illusionen die mit einem Ruf nach Neutralität verbunden sind. Österreich war nie wirklich neutral, schon zur Zeit des Kalten Kriegs war es im Lager des Kapitalismus angesiedelt, auch wenn es oft viel Spielraum in der Außenpolitik hatte.

Gleichzeitig ist die Verteidigung der Neutralität kein positives Programm: Wenn die Arbeiter:innenklasse in Österreich die Macht übernehmen würde, müsste ihre Außenpolitik alles andere als neutral, sondern auf die Unterstützung der Ausgebeuteten und Unterdrückten mit allen geeigneten Mitteln, ausgerichtet sein. Wir lehnen deshalb Rufe nach einer Neutralität Österreichs ab und vertreten stattdessen den Kampf um einen proletarischen Antimilitarismus.

  • Kompromissloser Kampf gegen die Militarisierung Österreichs und der EU. Kein Cent für die imperialistischen Armeen. Nein zu jeder Form der Aufrüstung, kein Ausbau der Militärkooperation und einer EU-Armee.
  • Enteignung der Rüstungsindustrie! Kein Export von Waffen an kapitalistische, reaktionäre Regime und für reaktionäre oder imperialistische Kriegsparteien!
  • Für den sofortigen Abbruch aller Kooperationen Österreichs mit der NATO wie der „Partnerschaft für den Frieden“ oder dem „Euro-Atlantischen Partnerschaftsrat“! Konsequente Ablehnung aller Überflugs- und Transittransportrouten über und durch Österreich! Gegen jegliche NATO-Osterweiterung!
  • Gegen alle Auslandseinsätze des Bundesheers.

Die Klimakatastrophe aufhalten

Die Klimakrise ist im wahrsten Sinne des Wortes die brennendste Frage unserer Zeit. Die Klimakatastrophe bahnt sich nicht erst bedrohlich an, wie eine etwaige Dystopie am Ende des Jahrhunderts. Sie ist schon längst da und wir befinden uns mitten in ihr.

Kurz vor der 27. Klimakonferenz in Ägypten sorgte ein vorläufiger Bericht der Weltorganisation für Meteorologie für Aufsehen. Demnach sollen die vergangen acht Jahre die Wärmsten seit Anbeginn der Messgeschichte gewesen sein. Die Geschwindigkeit des Meeresanstiegs habe sich seit 1993 verdoppelt. Am höchsten Punkt von Grönland fiel dieses Jahr zum ersten Mal Regen. Ähnliche Meldungen lesen wir inzwischen tagtäglich in den Medien: Hitzewelle in Pakistan mit 51 °C, Dürre und Waldbrände, dann Rekordregenfälle, welche ein Drittel das Landes unter Wasser setzten und 33 Mio. Menschen vertrieben, 10.000 Hitzetote in Frankreich, Austrocknung des Po in Italien.

All das und vieles mehr ist Ausdruck davon, dass sich die globale Durchschnittstemperatur schon 1,2 °C über dem vorindustriellen Temperaturniveau befindet. Trotzdem war die Klimakonferenz 2022 eine Enttäuschung – schon wieder. Dabei hatten sich die Staaten dieser Erde mit dem Abkommen von Paris im Jahr 2015 darauf festgelegt, die Erderwärmung auf unter 2 °C zu begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, um 1,5 °C einzuhalten. Mit den bisher eingereichten nationalen Klimaplänen (NDCs) wird nicht einmal das Ziel von 2 °C erreicht. Schon jetzt erreichen wir wohl gefährliche Kipp-Punkte, bei denen das Klima weiter unkontrollierbar angeheizt wird.

Auch in Österreich spüren wir die Klimakatastrophe. Die Hitze im Sommer, die Trockenheit, welche die Landwirtschaft beeinträchtigt, Waldbrände, und geringere Wassermengen in Flüssen und Seen. Letztere wirkten sich 2022 negativ auf die Stromproduktion aus Wasserkraft aus, sodass selbst im Sommer Strom importiert werden musste. Und trotz dieser negativen Entwicklungen werden laut Prognosen die Treibhausgasemissionen wieder steigen, wenn das Gas wieder etwas billiger wird. Österreich droht seine Klimaziele einer Emissionssenkung um 36 % gegenüber 2005  sowie der Klimaneutralität bis 2040 zu verfehlen. Und die schwarz-grüne Regierung versagt in der Verabschiedung wichtiger Gesetze wie des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes.

Der Kampf gegen die Erderwärmung ist keineswegs vergebens. Es macht einen enormen Unterschied, ob wir die Erderwärmung heute und in der Zukunft weiter begrenzen oder nicht. Eine lebenswerte Zukunft für unsere Generationen und die uns nachfolgenden steht auf dem Spiel. Es rettet uns keine noch zu entwickelnde „grüne Zukunftstechnologie“, wir müssen die Erdwärmung jetzt stoppen. Es reicht auch nicht, individuell klimafreundlicher zu konsumieren, weniger das Auto zu nutzen oder weniger Flugreisen zu tätigen, auch wenn das sinnvoll ist. Was uns im Weg steht ist das kapitalistische System, welches mit Privateigentum, Konkurrenz und Profitlogik einen effektiven Weg aus der Klimakrise verunmöglicht. Die Lage erfordert radikale Maßnahmen, die nur in der Begrenzung und letztlich Brechen der Macht des Kapitals bestehen können! Dazu muss eine antikapitalistische, ökologische Bewegung aufgebaut werden, die sich auf die organisierte Macht der Arbeiter*innenklasse stützt.

  • Enteignung der Energiekonzerne unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten! Einsatz der Gewinne aus fossiler Energie für einen klimafreundlichen Umbau!
  • Massive Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der Zugverbindungen, sowie weg vom individuellen PKW! Gratis Öffis für Alle.
  • Ausstieg aus fossiler Energie bei schnellstmöglichem Ausbau erneuerbarer Energie wie Photovoltaik, Windkraft, Wasserkraft und Geothermie. Gezielte Förderung für Forschung und Einsatz von Speichertechnologien!
  • Aufbau einer demokratischen Planwirtschaft zum umfassenden und nachhaltigen Umbau unseres Wirtschaftssystems!

Für eine revolutionäre Partei

Viele insbesondere junge Menschen haben die Ungerechtigkeiten und die zerstörerischen Seiten des Kapitalismus erkannt und engagieren sich dagegen und für eine bessere Zukunft. Doch so wichtig das konkrete Engagement auch ist, es reicht nicht aus, wenn es nicht gleichzeitig ein Kampf gegen das zugrunde liegende kapitalistische System ist. Wie können wir also einen solchen Kampf führen?

Viele linke Organisationen und Parteien in der Vergangenheit haben sich darauf beschränkt für konkrete Verbesserungen innerhalb des Systems zu kämpfen. Für bessere Arbeitsbedingungen, gegen rassistische oder sexistische Unterdrückungen usw. Wenn sie von Alternativen zum Kapitalismus gesprochen haben, dann als abstraktes Fernziel, losgelöst von ihrer konkreten Politik. Wir nennen solche Organisationen und Parteien innerhalb der Linken und der Arbeiter:innenbewegung reformistisch, weil ihre Politik nicht über Verbesserungen oder Abwendung von Verschlechterungen im Rahmen des Kapitalismus hinausgeht. Das prominenteste und unrühmlichste Beispiel in Österreich ist die SPÖ, welche sich weitestgehend mit dem Kapitalismus ausgesöhnt hat und diesen immer wieder in der Regierung mitverwaltet. Den fortschrittlicheren Aktivist:innen ist klar, dass es eine linkere Alternative zu dieser Partei braucht.

Manche Aktivist:innen wenden sich als vermeintliche Alternative der KPÖ zu. Sie ist eine Option auf Wahllisten und hat in letzter Zeit, insbesondere durch Verjüngung ihrer Führung mit Kräften u.a. aus der Jungen Linken, ihr Image verbessert, sich modernisiert und vom Wahlerfolg in Graz profitiert. Doch auch wenn die KPÖ immer wieder vom Kapitalismus spricht und diesen in Worten überwinden möchte, ist ihre Politik letztlich eine reformistische. Denn ihre Strategie zielt auf die Eroberung des kapitalistischen Staates durch Wahlen ab, Erweiterung durch partizipative Demokratie und letztlich eine nicht klar definierte solidarische Gesellschaft, zu deren Weg ein Bedingungsloses Grundeinkommen eine zentrale Rolle spielen soll. Diese Vorstellung einer „Transformation“ des Kapitalismus verkennt die Notwendigkeit unabhängiger proletarischer Machtorganisation und die Ersetzung des bürgerlichen Staates durch einen rätedemokratischen Halbstaat. Ähnliche und andere Spielarten eines solchen neuen Reformismus findet man bei den Parteien der Europäischen Linken, zu denen die KPÖ neben der deutschen Linkspartei oder der griechischen Syriza zählt.

Abseits von SPÖ und KPÖ finden wir in Österreich eine Menge an kleinen, verhältnismäßig unbedeutenden Organisationen der radikalen Linken. Sofern diese in stalinistischer / maoistischer Tradition stehen, sind sie nicht nur für viele Menschen unattraktiv aufgrund ihrer fehlenden Aufarbeitung der bürokratischen Herrschaft der stalinistisch degenerierten Arbeiter:innenstaaten, sondern verfolgen meist selbst wieder reformistische Irrwege der „Volksfront“ (eine Unterordnung unter bürgerliche Kräfte in einer gemeinsamen Allianz), etwa in Form einer anti-monopolistischen Demokratie. Andere Organisationen, meist aus trotzkistischer Tradition, verfolgen historische Konzepte, die eine zentristische Politik bedeuten, das heißt eine die sich gerne revolutionär gibt aber zwischen Reform und Revolution schwankt. Dazu zählen wir beispielsweise den Funke, die ISA (ehem. SLP) oder die Linkswende. Aufgrund der Schwäche in Bezug auf Verankerung, verknöcherter politischer Methode sowie Programmatik schließen wir im aktuellen Zustand eine gemeinsame politische Organisation mit diesen Kräften abseits einer größeren Umgruppierung aus.

Eine revolutionäre, kommunistische Partei hat die Aufgabe den Kommunismus mit der Arbeiter:innenbewegung zu vereinen. Dazu muss sie der Bewegung politisch Voranschreiten und mit ihrer Strategie, ihren Taktiken und geeigneten Forderungen das Bewusstsein der lohnabhängigen Massen heben. Das geht selbstverständlich nur durch eine enge Verbindung mit den Lohnabhängigen und der organisierten Arbeiter:innenbewegung.

Davon sind wir noch weit entfernt. Trotzdem oder gerade deswegen muss der revolutionäre Kommunismus in Österreich für seine eigenständige Programmatik in der Arbeiter:innenbewegung kämpfen. Deshalb lehnen wir Strategien zum Parteiaufbau ab, welche auf eine Auflösung in eine pluralistische Partei münden. Wir sind aber auch keine Sektierer:innen, die sich der Notwendigkeit von Zusammenarbeit und gemeinsamer Organisierung mit anderen linken Kräften verwehren. Gegen Angriffe der Regierung und der Kapitalist:innen sowie bei Kämpfen im Interesse der Arbeiter:innenklasse suchen wir die Zusammenarbeit im Rahmen einer Einheitsfront, das heißt in gemeinsamen Aktionen und möglichen dazugehörigen Organisationsformen, aber unter Beibehaltung unserer politischen und programmatischen Unabhängigkeit. Einheitsfronten zwischen verschiedenen Kräften der Arbeiter:innenbewegung oder linken Organisationen werden immer wieder nötig sein, um die Kampfkraft zu erhöhen. Sie können aber auch taktische Anknüpfungspunkte sein, um die reformistischen Apparate der Arbeiter*innenbewegung mit ihrem Massenanhang in eine Mobilisierung zu ziehen und deren Führungen in die Verantwortung zu ziehen und darin ihre verräterische Rolle zu offenbaren.

Eine neue linke Partei auf revolutionärer programmatischer Grundlage, gestützt auf die Arbeiter:innenklasse, muss in Österreich erst mühsam aufgebaut werden. Das wird unserer Einschätzung nach erst durch größere Verwerfungen in der politischen Landschaft und erfolgreichere linke Bewegungen und neue Organisierungen möglich sein, wie derzeit mit LINKS in Wien. Doch es ist notwendig in Vorbereitung darauf die revolutionären Kräfte zu sammeln, an den linken Bewegungen und relevanten Strukturen teilzunehmen und diese für den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Partei zu gewinnen, in Österreich und international!

Endnoten


[i] https://oesterreich.orf.at/stories/3187100/

[ii] https://www.vienna.at/jeder-zweite-oesterreicher-zu-einsparungen-gezwungen/7723816

[iii] https://www.kleinezeitung.at/home/klistenspecial/klistegross/6231088/CaritasPraesident-Landau_Ich-wuensche-mir-einen-politischen

[iv] https://www.oegb.at/der-oegb/organisation/offenlegung

[v] https://www.oenb.at/dam/jcr:e24197cc-d44a-4ef6-a0ec-fc0857dc719a/Konjunktur-aktuell-12_22.pdf

[vi] https://www.derstandard.at/story/2000141394444/100-000-asylantraege-heuerin-oesterreich-echte-staatskrise-oder-populistisches-ablenkungsmanoever

[vii] https://orf.at/stories/3228640/

[viii] https://orf.at/stories/3298709/




Drei Jahre LINKS, drei Jahre Hauausforderungen – eine Bilanz

Heidi Specht / Flo Kovacs, Infomail 1217, 18. März 2023

Von der Gründung zum Wahlkampf

Seit mittlerweile drei Jahren gibt es LINKS in Wien. Seit der Gründungsversammlung im Jänner 2020 ist auch der Arbeiter*innenstandpunkt in dem linken Parteiaufbauprojekt aktiv. Damit unsere Arbeit in diesem Zusammenschluss besser verständlich wird, soll hier eine Bilanz über die vergangenen drei Jahre gezogen werden: Was ist passiert? Wo wurde gekämpft? Was davon war wie erfolgreich und wo stehen wir jetzt?

Auch wenn LINKS inzwischen drei Jahre alt ist, muss es weiterhin als junge Gruppierung in der politischen Landschaft der Bundeshauptstadt gesehen werden. Seit der Gründung hat die Organisation einen nennenswerten Transformationsprozess durchlaufen, der mit Sicherheit noch nicht abgeschlossen ist. Einige Gruppen und Personen, die zu Beginn noch eine wichtige Rolle eingenommen hatten, sind inzwischen gar nicht mehr dabei. Andere haben sich erst in den Jahren nach der Wahl angeschlossen, um beim Aufbau mitzuhelfen und das Projekt zu beeinflussen. Der Einfluss des Arbeiter*innenstandpunkts und seiner Mitglieder hat eine wichtige Rolle dabei gespielt, LINKS in einigen Fragen in eine revolutionäre Richtung zu bewegen.

Wenige Wochen nach der Gründung der einzelnen Bezirksgruppen war LINKS schon durch die Coronapandemie und den ersten Lockdown in einer sehr schwierigen Situation. Wie bei großen Teilen der übrigen Linken und der Gesellschaft im Allgemeinen musste in kürzester Zeit der Betrieb auf Onlinetreffen umgestellt werden. Das gelang im Großen und Ganzen gut, machte aber den Aufbau der Strukturen und die Rekrutierung neuer Aktivist:innen schwierig. Bald darauf startete dann auch schon der Wahlkampf. Immerhin war der Antritt zur Wiener Gemeinderatswahl 2020 der Anlass zur Gründung dieser Partei, die dem „Wählen mit Bauchweh“ ein Ende bereiten wollte. Man dachte groß, träumte mitunter von einem Einzug in den Gemeinderat und kündigte die Rückkehr des Roten Wien als reformistische Wunschvorstellung an. Ganz so weit kam es dann doch nicht, aber im gemeinsamen Antreten mit der Wiener KPÖ konnte das Wahlergebnis des KPÖ-geführten Wahlbündnisses „Wien Anders“ von 2015 knapp verdoppelt werden. Ein solcher Erfolg war einer Gruppe links der SPÖ zuletzt 1974 gelungen.

Der kleine Parlamentarismus

Es konnten insgesamt 23 Mandate in Bezirksvertretungen erreicht werden. Zwar ging ein nennenswerter Anteil davon an die KPÖ, doch auch Personen, die bisher, wenn überhaupt, außerparlamentarisch aktiv waren, fanden sich nun in den untersten Vertretungsorganen der Stadt wieder. Sie sollten nun den Kampf von der Straße in die Bezirksvertretungen tragen. Das hat in einigen Punkten gut funktioniert. Zum Beispiel müssen in der Brigittenau nun gemeinnützige Wohnungen auf dem Grundstück eines abgerissenen Gebäudes errichtet werden, haben sich mehrere Bezirke zu sicheren Häfen im Sinne der „Seebrücke“ erklärt und der Hamburger Initiative „Stadtteile ohne Partnergewalt“ wurde von einzelnen Bezirken die Unterstützung zugesichert. Besonders die letzten beiden Aktionen wurden von den LINKS-/KPÖ-Bezirksrät:innen koordiniert durchgeführt, um die kleinen Verbesserungen in einem etwas größeren Rahmen durchzusetzen.

Dass die großen Würfe ausblieben, hat unterschiedliche Gründe. Der erste ist schlichtweg die stark begrenzte Kompetenz der Bezirksvertretungen. Über mehr als lokalpolitisch relevante Themen können ausschließlich Resolutionen verabschiedet werden, sonst wird sich hauptsächlich mit wenig relevanten Verwaltungsgeschichten herumgeschlagen. Wenn wir als Kommunist:innen davon ausgehen, dass echte Verbesserungen nicht durch Parlamente, sondern nur durch außerparlamentarischen Druck aus den Betrieben und von der Straße durchgesetzt werden können, potenziert sich dieses Argument nur bei solch machtlosen Organen wie der Bezirksvertretung.

Den zweiten Grund stellt die Übermacht der SPÖ in den meisten Vertretungen in Kombination mit bürokratischen Hürden für kleine Parteien dar. Das hat sich besonders in der umfassenden Ablehnung der Resolutionen gegen den Lobautunnel und die Stadtstraße, mit Ausnahme des Alsergrunds, gezeigt.

An dritter Stelle ist das Vorgehen der Bezirksrät:innen selbst zu nennen. Dieses war zwar, wie erwähnt, in manchen Punkten koordiniert, jedoch nicht in dem Ausmaß, in dem es angedacht war und sinnvoll wäre. Die Mandatar:innen arbeiteten viel in ihren eigenen Bezirken mit ihren eigenen Schwerpunkten und unterschiedlichen Herangehensweisen. Eine gemeinsame, von den aktuellen LINKS-weiten Schwerpunkten abgeleitete Strategie war bisher kaum zu erkennen. So eine Strategie sollte die Vertretungskörper als Bühne für aktuelle und zentrale Inhalte nutzen und dabei die Gewinnung neuer Aktivist:innen auf Basis offen antikapitalistischer Agitation in den Mittelpunkt stellen. Unmittelbare Verbesserungen für Arbeiter:innen und Unterdrückte sind zwar wichtig, aber auf bezirkspolitischer Ebene noch weniger zu erreichen als generell durch Parlamentarismus – und darin dürfen wir keine Illusionen schüren.

Themen gesetzt …

Die erwähnten gesamtorganisatorischen Schwerpunkte haben sich meistens in Form von Kampagnen ausgedrückt. Die erste davon fand rund um die Forderung nach einer 30-Stunden-Arbeitswoche statt. Unter dem Motto „Mach ma 30“ wurde die Stadt Wien aufgefordert, die Normalarbeitszeit ihrer Bediensteten bei vollem Lohn- und Personalausgleich entsprechend zu senken – eine durchaus gute Forderung um die es wert wäre zu kämpfen. Als erste Jahreskampagne setzte sie sich gegen eine Reihe anderer Vorschläge (u. a. knapp gegen eine von AST-Mitgliedern initiierte, offen antikapitalistische Kampagne gegen die Wirtschaftskrise im Zuge der Coronapandemie) durch, mit dem Anspruch, in der Folge von der gesamten Aktivist:innenschaft getragen zu werden. Das Ziel der Kampagne, als nächstes großes Projekt nach der Wahl die gesamte Organisation hinter sich zu versammeln, wurde jedoch nicht erreicht. Hier zeigte sich das Fehlen von zentralistischen Zugängen und Führungsansprüchen in der Partei. Das Herzstück von „Mach ma 30“, eine Petition an die Stadt Wien, wurde beim Wahlbüro abgegeben, danach ist aber nichts weiter passiert. Mit Sicherheit ist es ein Versäumnis, dass diese Kampagne nach ihrem Ende keine Bilanzierung innerhalb von LINKS erfahren hat, auch weil unter den Mitgliedern keine Einigkeit über ihren Erfolg besteht.

Dieser erste Jahresschwerpunkt war allerdings die bisher einzige Kampagne, die von der gesamten Organisation über einen langen Zeitraum hinweg getragen werden sollte. Die zweite, die ein bundesweites „Ausländervolksbegehren“ zum Ziel hatte (als Gegenprojekt zum „Ausländervolksbegehren“ von Haider vor 30 Jahren), wurde, noch bevor sie tatsächlich ins Laufen gekommen war, wieder auf Eis gelegt. Sie war nicht realistisch umsetzbar. Außerdem hatte sich das Thema Teuerung bedeutsam aufgedrängt. Stattdessen verstärkten einzelne Bezirke ihre eigenen Schwerpunkte: Ottakring und Penzing beispielsweise behandelten die Pflegekrise in Flugblättern und Diskussionsveranstaltungen, Rudolfsheim-Fünfhaus und Brigittenau führten öffentliche Veranstaltungen durch, um die Forderung nach dem Wahlrecht für alle populärer zu machen.

Im Zuge der steigenden Inflation wurde dann das Thema Teuerung immer wichtiger. Schon bei der Aktivist:innenkonferenz im Februar 2022 gab es einen Antrag, der sich strategisch damit auseinandersetzte. Im Sommer gab es dann die Initiative, die gesamte Organisation mehr auf das Thema auszurichten. LINKS beteiligte sich am Wiener Bündnis gegen Teuerung „Es reicht“ und veranstaltete eine interne Schulung samt Diskussion zu Inflation sowie den Forderungen dazu. Zukünftig wäre es gut, solche Schwerpunktdiskussionen früher zu planen und durchzuführen, weil eine Beteiligung an der öffentlichen Diskussion zur Teuerung dadurch erst verspätet möglich war. Insgesamt begrüßen wir aber solche Veranstaltungen zur gemeinsamen Diskussionsfindung. Nun war man nämlich nicht auf das Bündnis angewiesen und konnte auch selbstständig tätig werden. Die Notwendigkeit dafür zeigten die schlecht besuchten Demonstrationen und Straßenfeste des Bündnisses, bei denen LINKS deutlich weniger Mobilisierung verzeichnete als aus den Vorjahren gewohnt, dabei aber noch deutlich mehr als andere beteiligte Organisationen. Teil der Kampagne waren außerdem Aktionen solidarischer Praxis wie mehrere „Küchen für alle“ und Solidaritätsaktionen bei Arbeitskämpfen. Diese wurden generell positiv aufgenommen.

Die vorhergehende inhaltliche Schulung der Mitgliedschaft hat nicht nur eine eigenständige Kampagne zur Teuerung möglich gemacht, sondern auch den Grundstein für die für 2023 geplante Kampagne zu Klimakrise und Umverteilung gelegt. Thematisch befindet sich LINKS damit in genau den Gebieten, auf denen es in den vergangenen Jahren nicht nur sein Profil schärfen konnte, sondern auch auf medial öffentliches Interesse gestoßen ist. Hier sind nun Führung und Planungsgruppe aufgerufen, die Basis von Anfang an sowohl mit einzubinden als auch inhaltlich anzuleiten, damit schlagkräftige antikapitalistische Klimapolitik gemacht werden kann, die eine wirklich systemkritische Alternative zur Politik scheinbar radikaler Gruppen wie Extinction Rebellion oder der Letzten Generation darstellt.

 … und Kämpfe beeinflusst

Der Gegensatz zu diesen Gruppen hat sich bereits bei der Besetzung der Baustelle für die Stadtstraße in Hirschstetten aufgetan. Hier konnte LINKS – gemeinsam mit anderen antikapitalistischen Kräften wie System Change not Climate Change, dem Jugendrat oder REVOLUTION – dezidiert antikapitalistische Forderungen in einen bestehenden Kampf hineintragen und diesen damit verändern. Die LINKS-Arbeitsgruppe Lobau konnte glaubhafte Antworten auf Fragen liefern, die von Seiten der bürgerlichen Umweltbewegung nicht thematisiert werden. Das muss als Erfolg gewertet werden, auch wenn die Verankerung in der Bewegung seit der Baustellenräumung deutlich geschrumpft ist. LINKS konnte sich sowohl in der öffentlichen Debatte profilieren als auch in einen Kampf einbringen, ihn mitgestalten, daran wachsen und in den antikapitalistischen Klimaorganisationen Verbündete für weitere Kämpfe gewinnen.

Der zweite von außen angestoßene Kampf, in den LINKS helfend intervenieren konnte, war die Solidarität mit Menschen aus und in Afghanistan. Wenngleich sie keine eigene Struktur innerhalb der Organisation verkörpert, stellt die nach der Machtübernahme der Taliban 2021 gegründete Soligruppe Afghanistan einen genutzten Rahmen für die Arbeit der Community in Wien dar. Die LINKS-Aktivist:innen haben diese nur initiiert, um einen Raum zu schaffen, der weiterhin stark genutzt wird und um den herum Aktionen wie Demonstrationen organisiert werden. Kritisch zu betrachten ist hier aber, dass – trotz der berechtigten Verachtung der Taliban – sehr oft ein unkritischer Bezug auf die Zeit der NATO-Besatzung sowie die liberalen Kräfte in der Diaspora besteht.

Dies sind Beispiele dafür, wie Gruppen innerhalb von LINKS es geschafft haben, durch ihre organisatorischen Fähigkeiten Räume zu eröffnen und Kämpfe nicht nur zu stärken, sondern auch zu beeinflussen. Das muss LINKS auch beibehalten und dabei klassenkämpferische Perspektiven überall dort einbringen, wo diese fehlen oder nicht genug Raum bekommen. Weniger passiert ist das etwa im Widerstand gegen den Bau der Markthalle beim Naschmarkt. In dieser von den Grünen angeleiteten Initiative konnte LINKS nur mitschwimmen und kaum eigene Inhalte einbringen.

Stark auf der Straße

Die Höhepunkte in der noch kurzen Geschichte von LINKS bestehen, wie ausgeführt, bisher weniger in der erfolgreichen Durchführung lang angelegter Kampagnen. Die einzige Ausnahme stellt dabei der Wahlkampf dar. Dort fehlte zwar der konkrete thematische Fokus, stattdessen gab es aber ein großes gemeinsames Ziel, auf das mit kollektiven Kräften hingearbeitet wurde. Wenn auch der Sprung auf die große Bühne des Gemeinderats nicht geglückt ist, fiel das Wahlergebnis durchaus ansehnlich aus. Diese Arbeit schaffte ein Gemeinschaftsgefühl, das LINKS bisher nicht erneut herstellen konnte. Im Oktober 2020 stand LINKS selbstbewusst, einigermaßen konsolidiert und mit Tatendrang am Ende eines anstrengenden Wahlkampfs da.

Dass LINKS unter anderem aus der Organisation größerer, regelmäßiger Demonstrationen gegen eine von Sebastian Kurz geführte Regierung hervorgegangen war, hat später zu einem weiteren Erfolgsmoment geführt. Selbst wenn der reale Einfluss auf die Rücktrittsentscheidung nicht allzu groß zu bemessen ist, hat LINKS es zuallererst geschafft, die Forderung nach dem Rücktritt des gescheitertsten österreichischen Bundeskanzlers der vergangenen Jahrzehnte effektiv, schnell und laut auf die Straße zu befördern. Dabei wurden auch Vereinnahmungen durch Coronaleugner:innen, die immerhin den Slogan „Kurz muss weg“ an sich gerissen hatten, gekonnt verhindert, um die eigene Glaubwürdigkeit beizubehalten.

Zwar nicht so groß, aber ähnlich spontan und wichtig war die Demonstration für das Recht auf sicheren Schwangerschaftsabbruch nach dem Fall von Roe vs. Wade in den USA. Auch hier war es LINKS, das schnell reagierte und Initiativen auf die Straße brachte.

Außerdem hat LINKS es 2022 geschafft, sich mit einem Gassenlokal dauerhaft ansprechbar zu machen. Die „Vero“ (Veronikagasse) ist zwar aktuell noch kein Anlaufpunkt, an dem zu den wochentäglichen Journaldiensten dauerhaft Menschen ein- und ausgehen. Aber sie ist ein weiterer Punkt für eine Organisation, die auf Arbeit in der Nähe der Menschen und in den Grätzln setzt. Diese Ansprechbarkeit ist als positiv zu bewerten.

Herausforderungen

Es ist erkennbar, dass die Höhepunkte 2022 eher kleiner Natur waren. Das Jahr war geprägt von Krisen innerhalb der Organisation, die auch die Außenwirkung beeinträchtigt haben. Doch die Führungskrise begann nicht erst im vergangenen Jahr. Bereits in den Monaten nach der Wahl des Koordinationsteams bei der Aktivist:innenkonferenz 2021 schieden zwei Personen aus der Führung, die tendenziell dem linken Flügel innerhalb von LINKS zuzuordnen sind.

Spätestens mit den Anschuldigungen gegen den Sprecher Can und seinen anschließenden Ausschluss hatte die Koordination mit einer Mehrbelastung zu kämpfen. Diese war nicht nur ein Resultat der weggefallenen Ressourcen von Can, sondern mindestens genauso sehr der damit einhergehenden notwendigen Auseinandersetzung mit dem Thema nach innen und außen. In einer kapitalistischen Gesellschaft ist niemand – auch linke Gruppen nicht – vor solchen Vorfällen gefeit. Dennoch sind Vorwürfe sexueller Grenzüberschreitungen gegen zentrale Personen ein schwerer Schlag für jede linke Gruppierung und erfordern viel Aufarbeitung, die auch noch nicht abgeschlossen ist. Auch nach dem Sommer traten dann noch zwei weitere Mitglieder aus der gewählten Führung aus. Eine der Konsequenzen, die daraus gezogen wurden, ist, dass mit der Mitgliederkonferenz 2023 dann die Wahlperiode der Koordination von zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt wurde.

Die Organisation hat es außerdem nicht geschafft, auch wenn der „Mach ma 30“-Kampagne so etwas manchmal nachgesagt wird, den Großteil der Aktivist:innen hinter einer gemeinsamen Aktivität oder einem thematischen Schwerpunkt zu vereinen. Zu sehr zersplittert erscheinen die einzelnen Teile der Organisation. Obwohl es dazu an der Basis durchaus ein Problembewusstsein und Rufe nach Austausch gibt, haben keine der bisherigen Versuche es geschafft, daran substanziell etwas zu ändern. Der Koordination ist es ebenfalls nicht ausreichend gelungen, eine politische Führung in dem Sinne zu sein, dass sie die zu bearbeitenden Kämpfe vorgab oder ausreichend nachdrücklich vorschlug. Eine Schwierigkeit dabei ist weiterhin, dass einige Bezirksgruppen zu sehr auf Bezirksarbeit beschränkt sind. Dadurch kann es ihnen schwerfallen, sich groß an übergreifenden Projekten zu beteiligen. Eine stärkere Verankerung der Koordination könnte diesem Problem entgegenwirken, wobei die Ressourcen dort wie erwähnt in den vergangenen Monaten mehr als knapp bemessen waren.

In den Flächenbezirken, die immerhin einen nennenswerten Teil der Wiener Arbeiter:innenklasse beherbergen, ist es großteils weiterhin nicht gelungen, eigenständig funktionierende Bezirksgruppen aufzubauen. Außerdem gingen einzelne Gruppen aus Stadtteilen innerhalb des Gürtels, in denen auch Bezirksvertretungsmandate erkämpft worden waren, verloren. Dies ist ein Arbeitsfeld, das seit mittlerweile zwei Jahren als Problem erkannt und bearbeitet wird, für das bisher aber noch keine funktionierende Lösung gefunden wurde.

Eine größere Schwierigkeit im Herbst 2022 lag darin, die einstige Stärke von LINKS wieder aufflammen zu lassen. War es vor zwei Jahren noch möglich bei kurzfristigen Mobilisierungen zu medial brisanten Themen, mehrere hundert Personen für eine Sache auf die Straße zu bewegen, gelang das im Zuge des Bündnisses „Es reicht“ nicht. Es gibt hier sicher eine Reihe mitspielender Faktoren, aber ein Zusammenschluss, der auf das brennendste Thema der Zeit reagiert und die eigenen Ansprüche, Großdemonstrationen zu organisieren, nicht erfüllen kann, ist eine Schwäche – ähnlich wie das gesamtlinke Versagen, eine annähernd verständliche und populäre Antwort auf die Covid19-Pandemie zu finden.

Verhältnis zu und Arbeit mit der KPÖ

Eine der größeren Partner:innen im Wahlkampf war die KPÖ. Mit dieser ist LINKS seit seiner Gründung, aber spätestens seit dem gemeinsamen Wahlantritt, stark verbunden. Mehrere Aktivist:innen sind auch Teil der KPÖ und einzelne würden sogar eine Verschmelzung der beiden Organisationen gutheißen. Mit dem Abkommen zum gemeinsamen Wahlkampf ging LINKS ein Abhängigkeitsverhältnis ein, in dem beide Seiten wussten, dass sie auf die jeweils andere angewiesen waren. Die junge Kraft brauchte die materiellen Ressourcen sowie die (wenn auch kleine) Verankerung der KPÖ in Wien. Die ältere Partei brauchte den Elan, die Neuartigkeit und Fähigkeit zur pointierten Formulierung radikaler Inhalte, um ihrem langsamen Fall in die Bedeutungslosigkeit entgegenzuwirken.

Doch mit der Zusammenarbeit kamen die Schwierigkeiten. Ein unterschiedliches Verständnis davon, was es heißt, Politik zu machen, führte schon im Wahlkampf zu Differenzen. In einigen Bezirksgruppen kam es zum Bruch mit den Aktivist:innen von Wien anders, mit denen zuvor rege Zusammenarbeit bestanden hatte. Immer wieder kam es auch aufgrund von unreflektiertem Verhalten, das gesellschaftliche Unterdrückungsmechanismen entweder kleinredete oder sogar in die Organisation hineintrug, zu Konflikten. Von Seiten der KPÖ gab es diesbezüglich wenig Konsequenzen. Gerade die alteingesessenen Bezirksräte verfügten darüber hinaus von Anfang an über den Vorteil, dass sie im Abkommen über den gemeinsamen Wahlantritt bei der Besetzung des ersten Listenplatzes und damit der Wiederwahl bevorzugt wurden.

Natürlich sind nicht vorrangig individuelle Differenzen dafür verantwortlich, dass sich LINKS als eigene Partei neben der KPÖ gegründet hat und nach genereller Meinung weiterhin keine Absichten hegt, mit ihr zu verschmelzen. Denn obwohl LINKS keine revolutionäre Partei ist, können revolutionäre Kräfte dort arbeiten und um ein revolutionäres Programm kämpfen. Wo die KPÖ fest auf (links-)reformistischem Kurs ist, vertraut LINKS deutlich weniger auf die Vertretungskörper und sieht sich in einer konsequenten Oppositionsrolle. Andererseits versucht LINKS aktiv, auch intern gegen gesellschaftliche Unterdrückungsformen anzukämpfen. Die Form, in der das geschieht, hat allerdings oft stark identitätspolitische Züge. Aus der KPÖ bekommen wir hingegen unsensiblen bis respektlosen Umgang mit Unterdrückungsmechanismen sowie die Leugnung von Hierarchien und der Rolle von Diskriminierung in linken Gruppierungen mit.

Generell ist in den vergangenen Monaten eine gewisse Abkehr von der Zusammenarbeit mit der KPÖ zu beobachten. Grund dafür sind auf der einen Seite Schwierigkeiten in der praktischen Zusammenarbeit in „Es reicht“ sowie allgemein auch der neue Kurs der KPÖ nach ihrem letzten Parteitag, wo eine neue Führung mit starkem Einfluss ehemaliger Mitglieder der Jungen Linken gewählt wurde, welche seitdem stärker versucht, sich von politischen Mitbewerber:innen in der Praxis abzugrenzen. Politische Differenzen werden hingegen wenig öffentlich diskutiert. Für eine eigenständige Entwicklung von LINKS ist diese Tendenz jedenfalls förderlich und damit auch für die Möglichkeit, die Organisation stärker in eine revolutionäre Richtung zu bewegen.

Antikapitalismus und Klassenstandpunkt

Diese stärkere Eigenständigkeit hält LINKS allerdings nicht davon ab, sich in andere reformistische Strukturen zu begeben. So wurde 2022 beschlossen, Partnerorganisation der Europäischen Linkspartei (EL) zu werden – derselbe Status, den auch der Wandel innehat. Dies führte auch zu einer Teilnahme am letztjährigen Kongress der EL, der den ehemaligen KPÖ-Vorsitzenden Walter Baier zum Präsidenten gewählt hat und LINKS weiter reichende Kontakte zu linksreformistischen und -populistischen Organisationen und Parteien Europas beschert hat. Diese Entwicklung ist kritisch und muss bei weiterem Fortschreiten zu einer klaren Konfrontation mit dem reformistischen Flügel führen.

Gleichzeitig ist eine deutlich klarere Stellung gegen den Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftssystem positiv hervorzuheben, die gerade in den ersten Monaten noch nicht in dieser Form nach außen getragen wurde. Damit einher geht auch ein Bezug zur Arbeiter:innenklasse als jener Gesellschaftsschicht, mit der man gemeinsam Politik gegen das Kapital machen möchte. Ein Verständnis der Klasse als jenes revolutionäre Subjekt, das den gewünschten sozialen Umbruch bringen kann, zählt weiterhin nicht zu den programmatischen Grundpfeilern. Genauso fehlt eine nennenswerte Verankerung in der Arbeiter:innenklasse und insbesondere in den Gewerkschaften als massenhaftestem Ausdruck der organisierten Arbeiter:innenbewegung. Auch ist die Überwindung des Kapitalismus inzwischen zwar als klares gemeinsames Ziel etabliert, dass deswegen auf den Sozialismus hingearbeitet werden soll, jedoch weniger.

Der positive Bezug auf die Arbeiter:innenklasse zeigte sich in der vergangenen Zeit besonders in Form solidarischer Praxis. Besonders Arbeitskämpfe im Kontext der allgemeinen Teuerung boten Anlässe, sich trotz fehlender Verankerung solidarisch zu zeigen und Stellung zu beziehen. Das funktionierte einfach über das Auftauchen, eventuell Diskutieren und Ausschenken von Tee. Derlei Aktionen, gemeinsam mit der Auseinandersetzung mit der Rolle der Gewerkschaften und reformistischen Parteien als unzureichenden Vertretungen der Klasse können helfen, LINKS in der arbeitenden Bevölkerung zu verankern und in eine marxistische, revolutionäre Richtung zu bewegen. Auch dass in der Kampagne für 2023 die Themen Klimakrise und Antikapitalismus bzw. Umverteilung im Mittelpunkt stehen, zeigt das Bewusstsein, sich mit Themen grundlegend aus einer Klassenperspektive heraus auseinanderzusetzen.

Und jetzt?

Wir sehen also weiterhin Hoffnung in LINKS, weswegen wir weiterhin Revolutionär:innen dazu aufrufen, sich an der Arbeit dort zu beteiligen. Ja, es gibt in LINKS verschiedene politische Flügel, deren Herangehensweisen und inhaltliche Positionierungen wir oft nicht teilen. Das bedeutet aber nicht, dass die Diskussionen und Kämpfe um die Zukunft der Organisation abgeschlossen sind. Ideen, Forderungen und besonders ernsthafte, beständige Arbeit werden wertgeschätzt. Das kommt gerade solchen Aktivist:innen zupass, die es gewohnt sind, auch Aufgaben zu übernehmen, die nicht unterhaltsam, aber notwendig zu erfüllen sind. Wer ein Aufgabengebiet für sich sieht, kann es bearbeiten und erhält von LINKS die Ressourcen dafür, solange man selbst die Verantwortung für die Durchführung übernimmt. Damit haben auch wir in den vergangenen Jahren Diskussionen führen und öffentliche Aktionen abhalten können, die ohne LINKS nicht möglich gewesen wären.

Gerade zum aktuellen Zeitpunkt ist es etwa wichtig, sich in den Prozess um die Neugestaltung des Programms einzubringen. Zwar ist abzusehen, dass dieser noch ein bisschen Anlaufzeit benötigt, bis es tatsächlich an die Formulierung der einzelnen Kapitel geht, doch wenn es um die Schärfung eines linken Profils geht, kann am Programm kein Weg vorbeiführen. Das bedeutet auch, einem Teil von LINKS klarzumachen, welche Bedeutung ein Programm als Grundlage für politisches Handeln besitzt. Dafür zu sorgen, dass diese Aktivist:innen damit eine solide Basis für schlagkräftige Aktionen in der Hand halten, ist sogar noch wichtiger.

Insgesamt gibt es in LINKS noch viele Spielräume für revolutionäre Politik. Es gibt noch keine Bürokratie, weil dafür aktuell die materielle Basis fehlt. Es gibt zwar immer wieder versuchte Anschlüsse an den Reformismus (wie zum Beispiel an die Europäische Linke), aber auch ehrliche Versuche, einen radikalen Antikapitalismus auf die Straße zu tragen. Die Zukunft von LINKS ist unserer Einschätzung nach noch nicht festgelegt und wir werden unsere Kräfte weiterhin dafür einsetzen, LINKS aufzubauen und für eine revolutionäre Ausrichtung in Theorie und Praxis zu kämpfen.