Ein Jahr Regierung Meloni: eine Kriegserklärung gegen die Arbeiter:innenklasse

Azim Parker, Infomail 1239, 18. Dezember 2023

„Man lacht, um nicht zu weinen“ ist eine sehr beliebte Redewendung in Italien. Die Grenze zwischen Tragödie und Farce war nämlich in der Geschichte des Landes manchmal sehr, sehr dünn. Man denke nur an die zwanzig Jahre der Berlusconi-Regierung, die zwischen einem Witz und einer internationalen Blamage auch die Zeit fand, 2001 die Demonstrant:innen gegen den G8-Gipfel in Genua massakrieren zu lassen.

Das erste Jahr der Regierung Melonis bestätigt diese groteske Tendenz. Allein in diesem ersten Jahr konnten wir alle möglichen erbärmlichen Schauspiele ansehen, darunter über Facebook die Trennung der Ministerpräsidentin von ihrem Partner – einem rassistischen und frauenfeindlichen Pseudojournalisten –, einen peinlichen Scherzanruf auf Kosten von Giorgia Meloni, der die Regierung vor der ganzen Welt lächerlich machte, einen absurden Kampf gegen harmloses CBD-Cannabis und vieles mehr. Das Problem ist, dass die Arbeiter:innenklasse einen unglaublich hohen Preis zahlen musste, um Zeugin dieses Spektakels zu werden.

Ein beispielloser Angriff auf die Arbeiter:innenklasse und die Armen

In der Geschichte der Republik gab es sicherlich noch nie eine so starke Verschlechterung der Lebensbedingungen der ärmeren Schichten. Italien ist das Land mit dem stärksten Rückgang der Reallöhne unter den großen OECD-Volkswirtschaften. Bis Ende 2022 waren sie im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie um 7 % gesunken. Dieser Rückgang setzte sich im ersten Quartal diesen Jahres fort, mit einem Minus von 7,5 % – all das im Rahmen einer grundsätzlich maroden Wirtschaft.

Wenn auch nach der Pandemie tatsächlich eine gewisse Erholung des Wachstums zu beobachten war – im Jahr 2022 ist das BIP tatsächlich um 3,7 % gewachsen –, belasten der Anstieg der Rohstoffpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine, die Rezession in Deutschland – dem wichtigsten wirtschaftlichen Partner Italiens –, die Wiedereinführung des Stabilitätspakts und die ständige Erhöhung der Zinssätze die Staatskassen und die öffentliche Verschuldung wie ein Mühlstein. Infolgedessen ist das erste Jahr der Regierung Meloni im Wesentlichen von beispielloser Aggressivität gegenüber den italienischen Lohnabhängigen geprägt.

Arme

Die ersten Opfer der kriminellen politischen Maßnahmen der Regierung waren die Arbeitslosen und die ärmsten Teile der Bevölkerung, die durch eine SMS darüber informiert wurden, dass sie ihr Grundeinkommen, das sog. Bürgergeld verloren haben. Diese auf Betreiben der Fünf-Sterne-Bewegung 2019 eingeführte Transferleistung war zwar selbst eine äußerst demagogische und bestimmt problematische Maßnahme, die sicherlich die Armut nicht „abgeschafft“ hat, wie der damalige Minister Di Maio bei ihrer Einführung erklärte, stellte jedoch für eine gewisse Zeit sowohl das einzige Mittel zum Überleben für viele arme Leute dar als auch eine Barriere gegen die Überausbeutung vieler prekärer Beschäftigter, insbesondere in der Tourismus- und Gastronomiebranche, die berechtigterweise in Anbetracht einer Alternative begonnen haben, die unwürdigen Arbeitsbedingungen zu Hungerlöhnen abzulehnen.

Es ist kein Zufall, dass diese Maßnahme damals auf starken Widerstand bei Kleinunternehmen gestoßen ist. Hinter ihrem sozialchauvinistischen Gejammere über die „Penner:innen, die auf Kosten des Staates leben“, verbarg sich nur ihre Frustration darüber, dass sie niemanden mehr mit Hungerlöhnen erpressen konnten.

Arbeitsgesetz

All das stellt jedoch nur die Spitze des Eisbergs dar. Das Arbeitsgesetz, das zynisch am 1. Mai 2023 erlassen wurde, ist eine regelrechte Kriegserklärung. Es reicht von der Verlängerung befristeter Verträge, also der häufigsten Form prekärer Arbeit in Italien, bis zur Kürzung der

Abgabenschere, einer vom Staat stark beworbenen Maßnahme, die jedoch in Wirklichkeit eine Beleidigung für alle italienischen Lohnabhängigen ist. Um die Kluft zwischen Netto- und Bruttolohn zu verringern, hat die Regierung tatsächlich 4,1 Milliarden Euro bereitgestellt.

Das bedeutet, dass die italienischen Arbeitenden eine Erhöhung des Nettogehalts von 50 bis 100 Euro erhalten werden! Ein Betrag, der angesichts der Inflation völlig bedeutungslos ist. Diese Maßnahme geht natürlich nicht mit einer Erhöhung der Löhne einher. Nicht zufällig hat sich Confindustria – der Italienische Unternehmerverband – sehr zufrieden gezeigt und dieses weitere Geschenk gerne angenommen. Die größte Ironie besteht jedoch darin, dass diese Mittel von der öffentlichen Verschuldung getragen werden, also von den gleichen Arbeiter:innen, die bereits erhebliche Kürzungen bei Renten und öffentlicher Gesundheit hinnehmen müssen, damit „die Rechnung aufgeht“. Real werden also die Unternehmen entlastet, während die Lohnabhängigen durch Sozialkürzungen das verlieren, was sie scheinbar erhalten.

Gesundheitssystem

Gerade das öffentliche Gesundheitssystem ist eines der Schlachtfelder, auf denen die Regierung besonders verheerend vorgegangen ist. In den letzten 10 Jahren wurden in Italien 111 Krankenhäuser geschlossen und 37.000 Betten abgebaut. Der Mangel an medizinischem und pflegerischem Personal ist mittlerweile zu struktureller Natur in den Ambulanzen und Krankenhäusern geworden. All dies geschieht, während der Zugang zu den Universitäten beschränkt ist und komplizierte, von Nepotismus und Unorganisiertheit geprägte Auswahlverfahren die Einstellung neuen Personals weiter erschweren.

Der Tarifvertrag für Krankenpfleger:innen wird seit drei Jahren nicht erneuert. Die Regierung Meloni hat eine Gehaltserhöhung von 4 % angeboten, was die Hälfte des durch die Inflation verlorenen Wertes der Gehälter wäre! In der Zwischenzeit hat das letzte Haushaltsgesetz weitere 2 Milliarden Euro an Mitteln aus dem gesamten Gesundheitssystem gekürzt, alles zum Vergnügen des Privatgesundheitswesens. Dieses sieht nicht nur eine Steigerung seiner Gewinne, sondern erhält auch üppige Subventionen genau von dem Staat, der das öffentliche Gesundheitswesen ruinieren lässt.

Die reaktionäre Rhetorik der Regierung zum Thema Familie hat sich in der Erhöhung der Mehrwertsteuer für Babynahrung und Windeln niedergeschlagen. Laut Regierung sei es notwendig, zum Wohle der Nation Kinder gegen die „ethnische Substitution“ durch Migrant:innen zu gebären – dies wurde tatsächlich vom Landwirtschaftsminister gesagt! Dass die Familien diese Kinder nicht ernähren können, ist jedoch irrelevant. Nicht zu vergessen, dass das Wahlversprechen, die Mineralölsteuer abzuschaffen, natürlich schnell gebrochen wurde.

Das Gemetzel an Migrant:innen geht weiter …

Das italienische Proletariat ist nicht das einzige Ziel. Die Regierung hat sich im letzten Jahr besonders vehement auch gegenüber Migrant:innen positioniert, die immer schon ein erklärtes Ziel dieser Rassist:innen waren. Und sie wollen so auch den Anstieg der Unzufriedenheit aufgrund der nicht eingehaltenen Wahlversprechen eindämmen. Schon während des Wahlkampfs war eine der bekanntesten Forderungen der Regierung die nach einer „Seeblockade“ Italiens, eine ultrareaktionäre und letztlich unrealisierbare Maßnahme, die dazu diente, das vorhandene rassistische Gefühl in der Bevölkerung zu schüren und kapitalisieren.

Natürlich hat die Undurchführbarkeit der Seeblockade Giorgia Meloni und ihre Kompliz:innen nicht daran gehindert, ebenso kriminelle Politiken gegenüber Migrant:innen zu verfolgen.

Zuerst das Abkommen mit der Regierung des tunesischen Folterpräsidenten Saied, der sich gegen Zahlung dazu verpflichtete, die abfahrenden Immigrant:innen in seinen Lagern zurückzuhalten, ein Abkommen ähnlich dem bereits bestehenden mit Libyen. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Saied flog Meloni nach Albanien, um im Geheimen mit Premierminister Rama über die Schaffung von Anhaltelagern für Migrant:innen zu verhandeln, im Austausch gegen Italiens Hilfe, Albanien in die EU aufzunehmen. Einfach ekelhaft!

In der Zwischenzeit hat sich die Regierung verpflichtet, die Aktivitäten von NGOs so weit wie möglich zu behindern, indem sie die Schiffe dazu zwingt, die Geflüchteten zu Häfen weit entfernt vom Rettungsort zu bringen, und sie de facto auffordert, mögliche mehrfache Rettungsanfragen zu ignorieren. Im Inland hat sich Meloni dazu verpflichtet, neue Zentren für administrative Inhaftierung – die berüchtigten CPR (Rückkehrzentren) – zu errichten, die tatsächlich echten Gefängnissen gleichen, in denen Migrant:innen darauf warten, abgeschoben zu werden. Das erklärte Ziel dieser beschämenden Politiken ist – genauso wie bei anderen europäischen Regierungen, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung – die Blockierung der Einreisen. Tatsächlich ist dies eine schändliche Rechtfertigung. Angesichts von Hunger, Gewalt und Freiheitsberaubung gibt es nichts, was Menschen davon abhalten kann, anderswo ein besseres Leben zu suchen. Alle Anstrengungen der Regierungen, dies zu verhindern, tragen nur dazu bei, das Leiden und den Tod von Hunderttausenden von Menschen zu erhöhen. Nur der Kampf gegen Rassismus, Imperialismus und für eine sozialistische Ordnung kann ihnen endlich Gerechtigkeit bringen und die Menschheit von dieser Tragödie befreien.

Die ohrenbetäubende Stille der Opposition und der Gewerkschaften

Besonders schändlich angesichts dieser Situation erscheint das Verhalten der wichtigsten Gewerkschaften – CGIL, CISL, UIL. Unser Bericht über den Widerstand der Gewerkschaften gegen die Regierung Meloni könnte hier enden. In einem Jahr Regierung sind die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen des Landes, insbesondere die CGIL, durch eine entwaffnende Lethargie aufgefallen. Bis Oktober 2023 wurde keine einzige Demo auch nur symbolisch gegen die Regierung organisiert.

Im Gegenteil, der Generalsekretär der CGIL, Landini, war so nett, Giorgia Meloni einzuladen, eine Rede auf dem Gewerkschaftskongress im März zu halten. Nach einer rein rituellen Demonstration im Oktober in Rom, bei der jedoch die Arbeiter:innen die Gewerkschaftsbürokratie unter dem Ruf nach einem Generalstreik bedrängten, sah sich Landini im November gezwungen, einen Streik auszurufen. Einen Streik, der an drei verschiedenen Tagen regional organisiert wurde – das bedeutet, dass im Norden, in der Mitte und im Süden Italiens an drei verschiedenen Tagen gestreikt wurde. Diese Entscheidung, mittlerweile eine Praxis für die CGIL, zielt offensichtlich darauf ab, die Auswirkungen der Arbeitsniederlegung so weit wie möglich abzuschwächen und sie so harmlos wie möglich zu machen. Trotzdem nutzte die Regierung, insbesondere Verkehrsminister Salvini, die Gelegenheit, die Gewerkschaft und die Arbeiter:innen weiter anzugreifen, indem er erklärte, dass der Streik illegal sei, da er das Recht der Bürger:innen auf Mobilität verletze und daher aufgehoben werden müsse.

Das wäre eine großartige Gelegenheit gewesen, eine echte Mobilisierung gegen die Regierung rund um die Verteidigung des Streikrechts auszulösen. Eine Mobilisierung, die dem bereits unzufriedenen italienischen Proletariat sicherlich eine konkrete Perspektive des Kampfes gegeben und die Regierung in Schwierigkeiten gebracht hätte. Landini hielt es jedoch für richtiger, die Dauer des Streiks auf 4 Stunden im öffentlichen Verkehr zu reduzieren, wodurch die Mobilisierung faktisch zu einem leeren Ritual wurde. In der Zwischenzeit schläft die Regierung ruhig, und Salvini kann sich in sozialen Netzwerken damit brüsten, die Gewerkschaften in den Griff bekommen zu haben.

Leider ist dieses erste Jahr der Regierung auch für die Basisgewerkschaften alles andere als positiv verlaufen. Die verschiedenen Gewerkschaften haben im Wesentlichen miteinander konkurriert, indem sie unkoordiniert und letztlich in Konkurrenz zueinander Ministreiks durchgeführt haben, mit dem einzigen Ziel, sich gegenseitig die Mitglieder wegzunehmen. Die Überwindung dieser sektiererischen Mentalität bleibt daher eine wesentliche Aufgabe für italienische Revolutionär:innen.

Die Bilanz des ersten Jahres der Regierung Meloni ist daher dramatisch. Auf der einen Seite steht die Notwendigkeit der Bourgeoisie und ihrer politischen Vertretung, ungeachtet ihrer internen Widersprüche ihre Gewinne und ihren Status quo auf Kosten des Proletariats zu schützen. Auf der anderen Seite erleben wir die ewige Wiederholung der reformistischen Linken, sowohl in der Politik als auch in den Gewerkschaften. Diese ist Opfer ihres eigenen Opportunismus und Mangels an Perspektiven jenseits der engen Grenzen des Kapitalismus, was sie dazu zwingt, mechanisch die gleichen Formeln und Rituale zu wiederholen, selbst wenn dies sie endgültig zum politischen Vergessen verurteilen.

In dieser Lage braucht es sowohl auf betrieblicher und gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene eigentlich eine Einheitsfront aller Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen die Angriffe der rechten Regierung und des Kapitals. Zugleich verdeutlich die Führungskrise der Arbeiter:innenklasse, dass es eine revolutionäre Partei braucht als politische Alternative zum Theater der bürgerlichen Politik und der Rechten.




Italien: Kein sozialer Frieden mehr!

Flugblatt der Partito Comunista dei Lavoratori zum landesweiten Streik der Basisgewerkschaften, Infomail 1234, 20. Oktober 2023

Vorspann: Für den 20. Oktober haben die Basisgewerkschaften S. I. Cobas (Berufsgruppenübergreifende Gewerkschaft des Basiskomitees) zu einem landesweiten Streik gegen die Angriffe der Regierung Meloni und Krieg aufgerufen. Wir veröffentlichen ein Flugblatt der Partito Comunista dei Lavoratori (PCL), einer italienischen trotzkistischen Organisation, mit der wir in Diskussion stehen.

Kein sozialer Frieden mehr!

Vereint die Kräfte der Klassengewerkschaft! Für eine anhaltende Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse!

Das neue Stabilitätsgesetz, das Meloni ankündigt, ist ein Betrug an den 18 Millionen Lohnempfänger:innen in unserem Land. Ein ganzes Jahr lang hat Giorgia Meloni eine arbeiter:innenfeindliche Politik betrieben. Dennoch hat sie einen sozialen Frieden genossen, der in Europa seinesgleichen sucht. Die maximale Aushöhlung der italienischen Löhne, die weitere Ausweitung der Arbeitsplatzunsicherheit, die Abschaffung des Bürgergeldes, die kriminelle Liberalisierung der Verträge, die Ablehnung jeder Form von Mindestlohn usw. haben nicht ausgereicht, um eine Massenmobilisierung der Lohnabhängigen wie in Frankreich, Großbritannien oder in Deutschland auszulösen.

Daher ist ein grundlegender Wandel erforderlich. Der heutige Generalstreik ist eine positive Tatsache. Aber es ist allen bewusst, dass er nicht ausreichen kann, um die Regierung zu stoppen. Er wird nur von einem Teil der Klassengewerkschaften unterstützt, und deshalb kann die Beteiligung trotz der Großzügigkeit und Selbstaufopferung seiner Organisator:innen nicht über einen bescheidenen Prozentsatz der Beschäftigten hinausgehen.

Es ist ein qualitativer Sprung erforderlich: ein Kampf für eine allgemeine Plattform, die Millionen von Lohnabhängigen als ihre eigene empfinden können – eine anhaltende Mobilisierung, die auf einen Sieg abzielt.

  • Für eine Lohnerhöhung von mindestens 400 Euro netto für alle Lohnarbeiter:innen

  • Für die Wiedereinführung der gleitenden Lohnskala

  • Für einen branchenübergreifenden Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde (1.500 Euro pro Monat)

  • Für einen angemessenen Lohn für Arbeitslose von mindestens 1.200 Euro

  • Für die Aufhebung aller Gesetze zur Prekarisierung der Arbeit, die in den letzten zwanzig Jahren von Regierungen aller Couleur verabschiedet wurden

  • Für Arbeiter:innenkontrolle über die Arbeitsbedingungen, angefangen bei der Sicherheit

  • Für eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit auf 30/32 Stunden bei gleichem Lohn

  • Für eine außerordentliche Vermögensabgabe von mindestens 10 % auf die reichsten 10 %, um die Investitionen in Gesundheit, Bildung, ökologische Bodensanierung und erneuerbare Energien zu verdoppeln

  • Für die Streichung der Militärausgaben und der öffentlichen Schulden bei den Banken (derzeit 100 Milliarden allein an Zinsen pro Jahr!).

Wir brauchen eine nationale Versammlung von gewählten Delegierten, die eine Plattform für den Wandel definieren und einen ernsthaften Kampfplan beschließen können. Eine radikale Änderung der Kampfformen muss auf den Weg gebracht werden, mit der Besetzung aller entlassenden Unternehmen (wie bei GKN) und ihrer Verstaatlichung ohne Entschädigung und unter Arbeiter:innenkontrolle. Alle Gewerkschaften der Arbeiter:innenklasse sollten ihre Kräfte in gemeinsamen Aktionen bündeln.

Schließlich können die Organisationen der Arbeiter:innenbewegung nicht gleichgültig bleiben gegenüber den Verbrechen, die der Staat Israel gegen das palästinensische Volk und die gemarterte Stadt Gaza begeht, wo zionistische Bomben auf Schulen, humanitäre Organisationen, Journalist:innen und Krankenhäuser abgeworfen werden. Die Regierungen, die die arbeitenden Menschen in Europa ausbeuten und verarmen lassen, sind dieselben, die die israelischen Vergeltungsmaßnahmen unterstützen.

Das Gefühl der Einheit mit den unterdrückten Nationen gehört zur besten Tradition der Arbeiter:innenbewegung, die aufgerufen ist, die italienische Regierung, die sich bedingungslos auf die Seite Israels und seiner mörderischen Truppen stellt, auch aus diesem Grund herauszufordern. Für die revolutionäre Zerstörung des Staates Israel! Für ein freies, säkulares und sozialistisches Palästina, mit vollem Respekt für die Rechte des jüdischen Volkes, im Rahmen einer sozialistischen Nahost-Föderation.




Italien: Zur Verteidigung von Ravepartys aus einer Klassenperspektive

Luca Gagliano, PCL Italien, Neue Internationale 270, Dezember 2022/Januar 2023

Vorwort der Redaktion: Der folgende Artikel wurde von Luca Gagliano, (Partito Comunista dei Lavoratori, Italien) verfasst und behandelt die neuen Gesetze zu Raves. Seit Ende November gibt es in Italien eine rechte Regierung, geführt von der postfaschistischen Fratelli d’Italia mit Giorgia Meloni an der Spitze. Eines ihrer ersten Gesetzen war das Antiravedekret, welches ein Strafmaß für die Organisierung oder „Förderung“ illegaler Raves und anderer „gefährlicher Versammlungen“ von drei bis sechs Jahren Gefängnis vorsieht. Diese waren ursprünglich beschrieben als alle, die Häuser besetzen, um „Events“ (jetzt spezifiziert auf musikalische Events) zu organisieren.

„Witchtek“ war einer von solchen Raves in Modena, welches am 31. Oktober von 300 Bereitschaftspolizist:innen gewaltsam aufgelöst wurde.

Das Ravepartydekret ist eine Gefahr, die auch die Arbeiter:innenbewegung betrifft.

Solidarität mit den Organisator:innen und Teilnehmenden von Witchtek! Neben der Räumung, den Klagen und der Beschlagnahmung ist noch etwas viel Schwerwiegenderes passiert: ein Gesetzesdekret, das sich angeblich nur gegen Raves richtet. Leider handelt es sich um einen Angriff der Regierung, welcher darüber hinausgeht. Es ist ein Angriff auf die Organisation vieler Praktiken des Kampfes der Arbeiter:innenklasse: Haus-, Fabrikbesetzungen, Streiks, Demonstrationen und vieles mehr. Solidarität und Verteidigung müssen in erster Linie gegenüber der Bewegung der freien Partys (Raves) betont werden, die direkt betroffen und beeinträchtigt ist. Sie darf nicht ignoriert oder verunglimpft werden, weil sie ein falsches Modell der linken und sozialen Opposition annimmt.

Gegen falsche Mythen! Es geht um viel mehr als eine Party

Besetzung und Selbstverwaltung sind für die Bourgeoisie und ihre Funktionär:innen eine störende Praxis, da sie die allgemeine Profit- und Managementdynamik ihrer Politik unterlaufen. Die Anwendung der profitorientierten Markt- und Politiklogik erzwingt das unterdrückerische und intolerante Gesellschaftsmodell, welches nicht bürgerlich-konforme Ausdrucksformen verhindern möchte.

Die vielen Formen des praktischen Widerstands bilden jedoch einen fruchtbaren Boden für die Entwicklung eines neuen kritischen Bewusstseins. In der Besetzungs- und Selbstverwaltungsszene können viele Aspekte geschützt und entwickelt werden, die durch die kapitalistische Gesellschaft diskriminiert sind. Das gilt von der freien Entfaltung der eigenen Geschlechtsidentität über musikalische und kreative Innovationen (in allen künstlerischen Bereichen) bis hin zur Erschwinglichkeit von Großveranstaltungen. Es geht um mehr als eine Party, denn sie ist durch die Art und Weise, wie sie organisiert ist und mit der bestehenden Ordnung kollidiert, in ihrem Wesen ein politisches Ereignis.

Klassenverteidigung. Wir entlarven das Geschwätz der Reformist:innen

Wir haben nichts mit jenen gemeinsam, die dieses neue Gesetz nur von einem verfassungsrechtlichen und liberal-bürgerlichen Standpunkt aus kritisieren. Die Freiheit und die Verfassung, die sie verteidigen, schützen das Privateigentum, über welches bisher die Eigentümer:innen der Fabrikhalle (Ort des Raves) verfügen. Es die Bourgeoisie, welche dieselben Hallen als Ort der Ausbeutung nutzt, zugunsten ihrer eigenen Profitinteressen.

Wir sind daher nicht an der sogenannten öffentlichen Ordnung interessiert. Wir hegen kein Interesse an der Regierbarkeit dieses Systems, weil es dasselbe ist, das uns jeden Tag bei der Arbeit ausbeutet und unterdrückt. Wir wollen es stürzen. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch für demokratische Rechte und fortschrittliche Errungenschaften im Hier und Jetzt kämpfen sollen. Zusätzlich müssen wir aber die Verantwortung derjenigen Betrüger:innen anprangern, die uns einerseits sagen, dass wir als Bürger:innen Rechte haben, und andererseits diese dem Proletariat verweigern. Schließlich müssen wir mit den Illusionen der reformistischen Parteien brechen, die immer wieder versuchen, in der Hoffnung auf die Regierbarkeit des kapitalistischen Systems an die Regierung zu kommen.

Castlemorton 2022

Erinnern wir uns an den Criminal Justice and Public Order Act von 1994 nach dem Castlemorton Common Festival von 1992 (England). Er stellte Musik unter Strafe, die „ganz oder überwiegend durch eine Abfolge von sich wiederholenden Takten gekennzeichnet ist“. Das italienische Dekret ist ebenso lächerlich, aber aufgrund seiner Formulierung weitaus gefährlicher: Es ist ein offener Angriff auf die Organisation von Massenprotesten.

„Gesetze werden uns nicht aufhalten“, erklären Aktivist:innen der Bewegung. Leider spielen manchmal auch die Gesetze und die Befugnisse des Staates eine große Rolle bei der Entwicklung einer sozialen Opposition. Die Besetzungen, die aufgrund des Gesetzes von 1994 in England zurückgegangen sind, belegen das. Mit dem Wissen, dass die Realität nicht nur von Ideen abhängt, dürfen wir daher nicht akzeptieren, dass dieses Gesetz ohne nennenswerten Widerstand der Massen verabschiedet wird. Umso mehr müssen wir jetzt alle Kräfte vereinen: die Organisator:innen der freien Partys mit Arbeiter:innenorganisationen, Verbänden und Gewerkschaften. Aufbau einer vereinigten Massen- und Klassenfront, die dem staatlichen Angriff mit gleicher Kraft begegnen kann!

Wir fordern nicht nur, dass das Schwert des/r Henker:in verfassungsgemäß ist. Wir fordern seine/ihre Enthauptung. Für eine antikapitalistische, internationalistische und revolutionäre Perspektive müssen wir mit einigen unmittelbaren Forderungen beginnen:

  • Bußgeldfreie Freigabe von Musikinstrumenten und Transportmitteln
  • Rücknahme der Anklage gegen die Organisator:innen
  • Keine Konsequenzen für die erfassten Personen
  • Abschaffung des Ravepartyerlasses
  • Einrichtung eines internationalen Widerstandsfonds gegen Klagen und Beschlagnahmen
  • Für eine große nationale Demonstration als Reaktion auf den Angriff des Staates
  • 10, 100, 1000 Raves gegen bürgerliches Recht und Ordnung. Es lebe die Selbstorganisation der Unterdrückten!



Parlamentswahl in Italien: Rechtsruck inmitten der Instabilität

Azim Parker, Neue Internationale 268, Oktober 2022

Wie erwartet gingen Giorgia Meloni und ihre ultra-reaktionäre Partei Fratelli d’Italia als Siegerinnen aus der Wahl am 25. September hervor. Sie wird demzufolge an der Spitze der nächsten Regierung stehen. Die Fratelli d’Italia, deren Mitglieder sich bis heute positiv auf Mussolinis Faschismus beziehen, erhielt 26 % der Stimmen (plus 21,6 % gegenüber 2018). Auf den gesamten rechten Block, der nun die Regierung stellen wird, entfielen 43,9 % (Lega 8,8 %, Forza Italia 8,1 %). Damit verfügt er aufgrund des undemokratischen Wahlrechts über eine absolute Mehrheit in Abgeordnetenhaus wie Senat.

Für die italienischen Arbeiter:innen bedeutet dies eine weitere katastrophale Nachricht. Sie werden gegen weiteren massiven Sozialabbau und die hundertste Steuersenkung für die Kapitalist:innen – im Einklang übrigens mit allen bisherigen bürgerlichen Regierungen – kämpfen müssen. Genauso furchtbar sieht das Zukunftsszenario für Frauen, queere Menschen und Migrant:innen aus, die einen beispiellose Angriff auf ihre Grundrechte erleiden werden. So wetterte Meloni im Wahlkampf gegen das Recht auf Abtreibung, eine angebliche LGBT-Lobby und forderte Seeblockaden gegen Geflüchtete aus Afrika.

Abgesehen von den Schlagzeilen und den Siegeserklärungen ist dieses Wahlergebnis jedoch nicht ohne Widersprüche, die ganz deutlich darauf hinweisen, dass die Situation alles andere als stabil ist.

Die neue Mehrheit und die reaktionäre Wende

Die Wahl war auch durch eine riesige Enthaltung gekennzeichnet. Am 25. September entschlossen sich nämlich nur 64 % der Wahlberechtigen, sich zu den Urnen zu begeben – 9 % weniger als 2018. Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung, seitdem die Republik existiert, und das zeigt zweifellos eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise der bürgerlichen Institutionen.

Betrachtet man die absolute Zahl der Stimmen, so erhielt die rechte Koalition, bestehend aus Fratelli d’Italia, Lega und Forza Italia, die gleiche Anzahl von Stimmen wie 2018 (ca. 12 Millionen). Die WählerInnen, die 2018 für Salvini oder Berlusconi stimmten, wandten sich nun Giorgia Meloni zu, weil Fratelli d’Italia die einzige Partei war, die nicht Draghis Kabinett unterstützte. Das  bedeutet aber auch, dass die Begeisterung wahrscheinlich mehr und mehr schwinden wird, sobald Giorgia Meloni gezwungen sein wird, die gleichen Politiken der vergangene Regierungen fortzusetzen.

Das Land befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Der Staat ist massiv überschuldet – und die rechte Regierung braucht bei aller Kritik an Brüssel 200 Mrd. Euro von der EU, um das Land zu stabilisieren – und zwar auf Kosten der Arbeiter:innen und der Armen.

Auch die politischen Differenzen innerhalb der neuen Mehrheit sind bestimmt nicht zu ignorieren. Das betrifft insbesondere die Haltung gegenüber Russland. Obwohl das Koalitionsprogramm die Unterstützung des NATO und der „westlichen Werte“ bekräftigt, ist klar, dass die Lega im Gegensatz zu Fratelli d’Italia eine „flexiblen“ Haltung gegenüber Putin einnehmen möchte und für das Ende der Sanktionen und Waffenlieferungen an die Ukraine eintritt. Wenn man bedenkt, dass die Lega mit 8,8 % als die große Verliererin gilt, ist nicht schwer zu erraten, dass Salvini in der Zukunft die Uneinigkeit über den Krieg nutzten könnte, um wieder Anklang zu gewinnen.

Demokratische Partei und Fünf-Sterne-Bewegung

Die Demokratische Partei (PD) verlor ca. 800.000 Stimmen und mit 19 % blieb sie einmal mehr unter der 20 %-Marke. Die Partei unterstützte die sozialen Angriffe unter Draghis Kabinett. So entfremdete beispielsweise die reaktionäre Bildungsreform die Lehrkräfte, eine traditionelle Wähler:innenbasis der PD. Ihren Anspruch, sich als glaubwürdige Alternative zur rechten Koalition darzustellen, konterkarierte die Partei selbst in den letzten Monaten, in denen sie zusammen mit der Lega regierte. All diese Faktoren haben eine wichtige Rolle gespielt und zur Niederlage beigetragen. Ganz zu schweigen von dem katastrophalen Wahlkampf, vor allem, weil es nach verschiedenen Versuchen unmöglich war, eine Koalition mit den liberalen Parteien von Calenda und Renzi zu bilden. All das stiftete zweifellos eine große Verwirrung, die dazu beitrug, die Stimmen für andere Parteien abzugeben.

Andererseits stellt die Fünf-Sterne-Bewegung die echte Überraschung dieser Wahl dar. Obwohl sie mehr als die Hälfe der Stimmen verlor (17,3 %), schnitt sie mit 15,3 % besser ab, als die meisten erwartet hatten. Schließlich hatte sich kaum eine Partei in der letzten Legislaturperiode so unglaubwürdig verhalten wie die, die einst gegen das gesamte System angetreten war. Ursprünglich aus einer Bewegung gegen alle Parteien geboren, regierte sie schließlich zunächst allein.

Diese populistische Bewegung  unterzeichnete u. a. das kriminelle „Sicherheitsdekret“ von Salvini gegen die Migrant:innen, war mitschuldig an der todbringenden Pandemiepolitik, den Kürzungen der Gesundheitssysteme und der Erhöhung der Militärausgaben. All das führte zu einem Kollaps in den Umfragen. Trotz alledem gelang es der Partei, eine Katastrophe zu verhindern, indem sie den Wahlkampf auf die Verteidigung des Grundeinkommens fokussierte im Gegensatz zur rechten Koalition, die dessen Abschaffung forderte. Diese Strategie war relativ erfolgreich, insbesondere im Süden, wo die Arbeitslosigkeit besonders hoch ist. Dadurch konnte die Fünf-Stere-Bewegung mit 15,3 % noch überleben.

Der Niedergang der Linken geht weiter …

Das Ergebnis der linken Organisationen bestätigt die tiefe, seit Jahren andauernde Krise der Arbeiter:innenbewegung, zu der auch diese Führungen maßgeblich beitrugen.

Insgesamt traten drei Organisationen der Linken und sogenannten radikalen Linken bei dieser Wahl an:

– Sinistra Italiana (italienische Linke). In einer gemeinsamen Liste mit den Grünen (Alleanza Verdi e Sinistra) erreichte sie 3,6 %. Was ihre Rolle im Wahlkampf sowie künftigen Parlament angeht, ist sie nichts anders als ein Anhängsel der PD, dessen wichtigste Forderung einfach die Wiederaufnahme des Dialogs mit der Fünf-Sterne-Bewegung darstellt.

– Die Kommunistische Partei, eine stalinistische Organisation um den ehemaligen Abgeordneten Marco Rizzo, trat in die Liste Italia Sovrana e Popolare (souveränes und populäres Italien) ein. Das war ein groteskes Sammelsurium, das aus faschistischen Verschwörer:innen und Reaktionär:innen bestand. Diese Liste zeigte ganz klar, wie tief die Stalinist:innen fallen können. Das Ergebnis war auch in diesem Fall ganz mies – 1,2 % – und bedeutet hoffentlich einen vernichtenden Schlag für Marco Rizzos Beliebtheit.

– Rifondazione Comunista (RC) verbarg sich seit Jahren hinter der Bürgerliste, die jede Spur von Klasseninhalten verdrängt, in einem verzweifelten Versuch, wieder einen Platz im Parlament zu gewinnen. Diesmal hieß der Versuch Unione Popolare (populäre Union), geführt vom ehemaligen Bürgermeister und Staatsanwalt Neapels, de Magistris. Die Liste zeichnet sich durch ihren Ruf nach Verfassungstreue aller Parteien und blasse fortschrittliche Forderungen aus. Am Ende des Wahlkampfes versuchte de Magistris noch erfolglos, zu einer Vereinbarung mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu kommen. Unione popolare erreichte schließlich 1,4 % und RC bestätigt damit auch den Mangel an Perspektive ihres Linksreformismus.

Dramatisch

In diesem Szenario sind die Zukunftsperspektiven einfach dramatisch. Allein die Engpässe der Energieversorgung und die stetig steigende Inflation bedrohen tausende Betriebe. Rund 20 % gelten als gefährdet – und damit die Arbeitsplätze und Zukunft von Millionen Arbeiter:innen.

In dieser Lage braucht es sowohl auf betrieblicher und gewerkschaftlicher wie auf politischer Ebene eigentlich eine Einheitsfront aller Lohnabhängigen und Unterdrückten gegen die Angriffe der rechten Regierung und des Kapitals. Doch der Ausgang der Wahlen zeigt auch, dass die Arbeiter:innenklasse eine revolutionäre Partei braucht als politische Alternative zum Theater der bürgerlichen Politik, zur Rechten wie zu allen anderen offen bürgerlichen und bürgerlichen Arbeiter:innenparteien.




Italien: Draghi scheitert, die extreme Rechte im Aufschwung

Dave Stockton, Infomail 1194, 30. Juli 2022

Am 21. Juli trat der italienische Ministerpräsident Mario Draghi zum zweiten Mal innerhalb einer Woche zurück, nachdem wichtige Teile seiner Koalition der nationalen Einheit – die populistische Fünf-Sterne-Bewegung M5S, die rechtsextreme Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Silvio Berlusconi – es darauf ankommen ließen und ihn auf die Probe gestellt hatten. Präsident Sergio Mattarella löste das Parlament noch am selben Tag auf, und am 25. September sollen Wahlen stattfinden. Die M5S selbst hatte gerade eine große Spaltung erlitten, als Außenminister Luigi Di Maio die Bewegung verließ, um seine eigene Partei mit dem wenig inspirierenden Namen „Gemeinsam für die Zukunft“ zu gründen. Giuseppe Conte, Draghis Vorgänger als Ministerpräsident und Parteivorsitzender, übernimmt die Leitung der Rumpf-M5S.

Super-Mario des Kapitals

Draghi, ehemals geschäftsführender Direktor der US-Großbank Goldman Sachs, Gouverneur der Bank von Italien und dann von 2011 bis 2019 Präsident der Europäischen Zentralbank, wurde als „Super-Mario“ gelobt, weil er „alles getan hat, was nötig war“, um den Euro vor dem Zusammenbruch zu retten. Er verteilte Milliarden an die Kapitalist:innenklasse und holte sie sich dann über sinkende Reallöhne und gekürzte Sozialprogramme von der Arbeiter:innenklasse zurück. Er hob die Zinssätze an, während die Zentralbanken auf beiden Seiten des Atlantiks sie senkten, und löste damit eine schwere Rezession für Arbeiter:innen und Rentner:innen aus.

Unter seiner Leitung hat die EZB die EU-Regierungen wiederholt erpresst, ihren Völkern „brutale Sparmaßnahmen“ aufzuerlegen. Während einige der brutalsten dieser „Pakete“ Griechenland aufgenötigt wurden, waren seine Absichten für sein Heimatland genauso hart. Ein durchgesickerter Brief, den er mitverfasst und an die italienische Regierung geschickt hatte, enthielt die Bedingungen der EZB für die Hilfe.

Dazu gehörten „eine umfassende Überholung der öffentlichen Verwaltung“, „die vollständige Liberalisierung der lokalen öffentlichen Dienste“, „Privatisierungen in großem Umfang“, „die Senkung der Kosten für öffentliche Bedienstete, wenn nötig durch Lohnkürzungen“, „die Reform des Tarifvertragssystems“, „strengere … Kriterien für die Altersrenten“ und eine „Verfassungsreform zur Verschärfung der Vorschriften für Staatsausgaben“. Oberstes Ziel sei es, „das Vertrauen der Investor:innen wiederherzustellen“.

In diese Zeit fällt der Aufstieg der „Finanzexpert:innen“, der so genannten Technokrat:innen, die immer dann zum Einsatz kamen, wenn die gewählten Vertreter:innen die vom Großkapital geforderte harte Medizin nicht durchsetzen konnten oder es nicht wagten.

Bürgerliche Reaktion

Kein Wunder, dass nicht nur die italienischen Bosse, sondern ihre gesamte Klasse in der Europäischen Union in ihm die sicherste Steuerungshand sahen, um Italien „Reformen“ aufzuzwingen, wie z. B. den Preis für die Auszahlung von 200 Mrd. Euro EU-Hilfen im Rahmen des Pandemieplans „Next Generation EU“ (EU der nächsten Generation). Kein Wunder, dass die solidesten bürgerlichen Zeitungen in Europa ihre Bestürzung über seine Absetzung und ihre Verzweiflung über die italienische politische Klasse und das gesamte Regierungssystem zum Ausdruck brachten.

Die ehrwürdige Turiner Tageszeitung La Stampa zeigte sich erzürnt über das Abstimmungsverhalten der populistischen Parteien:

„Eine Schande! Es gibt kein anderes Wort, um die Art und Weise zu beschreiben, wie die Regierung Draghi im Senat gescheitert ist … Es ist, als ob sich ein Abgrund aufgetan hat, in den zusammen mit der Regierung der nationalen Einheit auch jener große Teil Italiens hineingezogen wird, der bereit war, Opfer zu bringen, um in Europa und in der Welt wieder Glaubwürdigkeit zu erlangen, dank des Vertrauens, das auf allen Ebenen in den Mann gesetzt wurde, der gestern die Bühne verlassen hat.“

Auch der Mailänder Corriere della Sera schreibt:

„Selbst Draghi, der berühmteste Italiener, den wir hatten und den wir hoffentlich bald wieder im Dienste unseres Landes sehen werden, hat den Preis für das unerbittliche Gesetz der nationalen Einheitsregierungen bezahlt. Nämlich, dass sich die Parteien in Italien nicht länger als ein Jahr, höchstens eineinhalb Jahre, an ihre ,allgemeinen’ oder ,sehr allgemeinen’ Vereinbarungen halten.“

Das überschwängliche Lob, das Draghi von den Medien entgegengebracht wird, wird von beißender Satire begleitet, die auf die italienische politische „Casta“ abzielt, wie die Cinque Stelle (M5S) sie nannte, bevor sie selbst an die Futtertröge der Macht kam.

In Wirklichkeit sind die schamlose Korruption der Politiker:innen oder gar die engstirnigen Rivalitäten der Parteien nicht das eigentliche Problem. Und es wird ganz sicher nicht dadurch gelöst, dass man die Macht weiterhin unpolitischen Expert:innen anvertraut.

Hinter dem lärmenden Überbau der Parteien und ihren unaufhörlichen und prinzipienlosen Kämpfen um die Früchte der Ämter verbergen sich die Interessen der Klassen. Trotz ihrer geringen Zahl gibt die Bourgeoisie die Form der wirtschaftlichen und politischen Kurse vor, aber sie ist gezwungen, deren Umsetzung der politischen Kaste zu überlassen. Die Politiker:innen wiederum müssen einen Weg finden, um die Wähler:innen dazu zu bringen, sie in ihr Amt zu wählen, um dies zu tun. Das bedeutet systematisches Lügen und Täuschen im großen Stil.

Absturz der Parteien der „nationalen Einheit“

Obwohl die große Mehrheit der 2018 gewählten Parteien die neoliberale Sparpolitik vorgeblich ablehnte, sahen sich die Wähler:innen im Februar 2021 mit einer Regierung konfrontiert, die von einem der Hauptverantwortlichen für diese Politik geführt wurde. Es besteht kein Zweifel, dass nach dem 25. September oder wann immer eine Rechtskoalition gebildet werden kann, im Wesentlichen die Politik von Draghi übernommen wird, um die „großzügige“ Unterstützung der EZB zu gewinnen. Zu dieser Politik wird Super-Marios uneingeschränkte Unterstützung der NATO-Beteiligung am Krieg in der Ukraine zählen. Obwohl Salvini und Berlusconi in der Vergangenheit vor Putin gekrochen sind, haben sie sich beide letztlichhinter diesen Krieg gestellt.

Der Sturz Draghis ist zum Teil eine Folge dieses gigantischen Betrugs an den Wähler:innen. Die drei Rechts- und Mitte-Rechts-Parteien wurden alle mit dem Versprechen gewählt, den von „Europa“ aufgezwungenen neoliberalen Reformen ein Ende zu setzen. Doch gerade weil sie sich der Koalition der nationalen Einheit angeschlossen haben, sind ihre Umfragewerte eingebrochen, während die der Fratelli d’Italia, deren Vorsitzende Giorgia Meloni sich wohlweislich aus dieser „unpopulären Front“ herausgehalten hat, zu ihren Gunsten sprunghaft angestiegen sind. Jetzt führt sie in den Umfragen mit fast 24 % vor der Demokratischen Partei mit 22 %, der Lega mit 14 %, der M5S mit 11 % und der Forza mit etwa 7 % der Stimmen. (Laut einer Umfrage des SWG-Instituts vom 19. Juli).

Der Sturz Draghis ist zum Teil eine Folge dieses gigantischen Betrugs an den Wähler:innen. Die drei Rechts- und Mitte-Rechts-Parteien wurden alle mit dem Versprechen gewählt, den von „Europa“ aufgezwungenen neoliberalen Reformen ein Ende zu setzen. Doch gerade weil sie sich der Koalition der nationalen Einheit angeschlossen haben, sind ihre Umfragewerte eingebrochen, während die der Fratelli d’Italia (Brüder Italiens), deren Vorsitzende Giorgia Meloni sich wohlweislich aus dieser „unpopulären Front“ herausgehalten hat, zu ihren Gunsten sprunghaft angestiegen sind. Jetzt führt sie in den Umfragen mit fast 24 % vor der Demokratischen Partei mit 22 %, der Lega mit 14 %, der M5S mit 11 % und der Forza mit etwa 7 % der Stimmen. (Laut einer Umfrage des SWG-Meinungsforschungsinstituts vom 19. Juli).

Infolgedessen müssen Italien und die Europäische Union mit einer Regierung rechnen, an deren Spitze ein:e Vertreter:in in der Tradition von Benito Mussolini steht. Nur die Londoner Times (im Besitz des rechtsgerichteten Medienmoguls Rupert Murdoch) sieht diese Aussicht mit Gleichmut.

„Ein Wahlsieg der Brüder Italiens mit ihren neofaschistischen Wurzeln wäre sicherlich ein politischer Schock, aber nicht mehr als frühere Erfolge der Populistinnen Fünf Sterne und Lega. Das Zuckerbrot der großzügigen EU-Gelder und die Peitsche der Volatilität der Anleihemärkte sind starke Anreize für die nächste Regierung, die Reformen von Herrn Draghi fortzusetzen.“

Sie schätzen – wahrscheinlich zu Recht – ein, dass sich die tatsächliche Politik einer rechten Koalition nicht so sehr von der von Draghi unterscheiden wird. Meloni hat sich zu einer starken Befürworterin der Beteiligung der EU und der NATO am Krieg in der Ukraine entwickelt.

Drohende Rezession, Inflation und Angriffe

Vor dem Hintergrund einer drohenden Rezession, der Störung der Weltwirtschaft im kommenden Winter und einer galoppierenden Inflation, da die Zentralbanken die Zinssätze anheben, könnte Italien jedoch, wie der Rest der EU, im kommenden Jahr mit einer schweren Rezessionskrise konfrontiert werden. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bereits bei 8,4 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei 24 Prozent. Darüber hinaus sind 3,4 Millionen Arbeitskräfte prekär beschäftigt. Die Zahl der Armen ist während der Covid-Pandemie auf 5,6 Millionen gestiegen, und die offizielle Inflationsrate steht derzeitig Stand bei 8 Prozent.

Unterdessen nehmen auf lokaler Ebene die Streiks gegen Arbeitsplatzverluste, niedrige Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen zu. Bisher werden sie hauptsächlich von den kleineren „Basis“-Gewerkschaften initiiert. Die Mitglieder von SI Cobas (Sindacato Intercategoriale Cobas) im Logistiksektor, viele von ihnen Einwander:innen, haben sich zur Verteidigung von Arbeitsplätzen und Arbeiter:innenrechten in verschiedenen Lagern und Abteilungen von Logistikriesen organisiert.

Am 19. Juli wurden sechs Mitglieder von SI Cobas und USB (Unione Sindacale di Base) von der Staatsanwaltschaft Piacenza unter Hausarrest gestellt. Ihnen wird vorgeworfen, Streiks organisiert und die Arbeit in den Lagerhäusern multinationaler Logistikunternehmen wie Amazon, Nippon Express, Fedex, TNT und anderen in Piacenza gestört zu haben. Aldo Milani, der nationale Koordinator von SI Cobas, war unter den Inhaftierten.

In ihrer Antwort erklärte die Gewerkschaft:

„Es handelt sich um einen schweren Angriff auf die Gewerkschaftsfreiheit und das Streikrecht, der von einem Teil der Justiz ausgeht, der sich bereits in den vergangenen Jahren durch gewerkschaftsfeindliche Aktionen wie Klagen, Verhaftungen und Aufenthaltsverbote hervorgetan hat. Mit dem Vorwurf der ,Gewalt’ und der ,Erpressung’ wollen sie den Kampf der Arbeiter:innen gegen die Ausbeutung und für die Löhne unterdrücken, und das in einer Zeit, in der die italienischen und internationalen Eigentümer:innen und Spekulant:innen die Löhne rauben, während die Preise um 8 % (10 % für Familien mit niedrigem Einkommen) und mehr gestiegen sind. Ein allgemeiner Kampf zur Verteidigung der Kaufkraft … ist dringend notwendig.“

Italienische linke politische Organisationen, ihre Jugendverbände und andere Gewerkschaften haben in Turin, Rom, Neapel, Genua und Bologna sowie in Piacenza selbst Proteste und Streiks in Solidarität mit den unter Arrest Stehenden organisiert.

Was Italien heute trotz oder gerade wegen der drohenden Rechtsregierung braucht, ist ein heißer Herbst militanter Aktionen gegen die Sparmaßnahmen, die mit EZB-Geldern an Italiens Bosse vergolten werden. Die großen Gewerkschaftsverbände CGIL, CISL und UIL sowie die kämpferischen „Basis“-Gewerkschaften sollten sofort Forderungen nach Lohnerhöhungen stellen, die den Kaufkraftverlust aufgrund der Pandemie und der Inflation vollständig ausgleichen und die Forderung nach einer gleitenden Lohnskala (scala mobile) einschließen – ein Prozent für ein Prozent Anstieg im Lebenshaltungskostenindex für die Arbeiter:innenklasse.

Angesichts der steigenden Kraftstoffpreise müssen die Gewerkschaften auch für die entschädigungslose Verstaatlichung der großen Energiemonopole unter Arbeiter:innenkontrolle kämpfen. Sie sollten fordern, dass kein einziger Euro für das riesige Aufrüstungsprogramm der NATO ausgegeben wird, und das Kriegstreiben blockieren. Stattdessen muss die Arbeiter:innenbewegung massive Investitionen und den Ausbau von Arbeitsplätzen in den Bereichen Gesundheitsversorgung, Bildung, erneuerbare Energien, ja ein ganzes Spektrum von Maßnahmen gegen den Klimawandel und zum Schutz der Umwelt fordern.

Wenn in diesem Herbst eine neue rechte Regierung unter Führung der Fratelli an die Macht kommt, können die italienischen Arbeiter:innen mit einem brutalen neoliberalen Wirtschaftsangriff rechnen, der dem von Draghi geplanten sehr ähnlich ist. Darüber hinaus werden sie aber auch mit der Gewalt einer ermutigten und gestärkten extremen Rechten wie Forza Nuova (Neue Kraft) und CasaPound Italia (benannt nach dem Mussolini-Anhänger und Schriftsteller Ezra Pound) konfrontiert sein, wobei erstere für die Besetzung und Verwüstung des CGIL-Hauptsitzes in Rom im vergangenen Oktober verantwortlich war.

Die gesamte Arbeiter:innenbewegung muss sich gegen solche Angriffe schützen und Gruppen organisieren und ausbilden, die groß genug sind, um diese Aufgabe wirksam zu erfüllen und den neofaschistischen Banden eine harte Lektion zu erteilen. Aber sie muss sich auch vor den staatlichen Kräften schützen, die immer aggressiver werden, wenn sie wissen, dass ihre politischen Herr:innen voll und ganz hinter ihnen stehen.

Vor gut zwei Jahrzehnten hatte Italien die stärkste politische Arbeiter:innenbewegung Europas. Der rechte, klassenkollaborierende Flügel der Bewegung wurde zur bürgerlichen Mitte-Links-Partei, dem Partito Democratico (Demokratische Partei). Zusammen mit dem linken Flügel, Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Wiedergründung), verspielten sie diese Stärke, indem sie sich kollaborierenden Regierungen anschlossen oder diese unterstützten, die dann neoliberale Reformen durchführten. Im Jahr 2006 hatte die Rifondazione 41 Abgeordnete, 2008 keine:n mehr. Heute hat sie nur noch 10 – 15.000 Mitglieder. Bei diesem fatalen Kurs der Klassenkollaboration wurden sie von der Bürokratie der großen Gewerkschaftsverbände unterstützt.

Die Aufgabe besteht heute darin, die Kraft, die zu Beginn des Jahrhunderts existierte, sowohl auf betrieblicher als auch auf lokaler Ebene auf der Grundlage der Klassenunabhängigkeit wiederaufzubauen, mit dem Ziel, eine neue revolutionäre kommunistische Partei in Italien als Teil einer neuen revolutionären Arbeiter:innen-Internationale, der Fünften, zu schaffen.




Italien: Solidarität mit den verhafteten Gewerkschaftern!

Mattis Molde, Infomail 1194, 23. Juli 2022

Im Morgengrauen des Dienstag, 19. Juli 2022, hat die Polizei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft von Piacenza den nationalen Koordinator der SI Cobas, Aldo Milani, und drei führende Vertreter der Gewerkschaft von Piacenza unter Hausarrest gestellt: Mohamed Arafat, Carlo Pallavicini und Bruno Scagnelli.

Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung wegen privater Gewalt, Widerstand gegen einen Amtsträger, Sabotage und Störung eines öffentlichen Dienstes. Dieser Vorwurf bezieht sich auf Streiks in Logistiklagern in Piacenza während der Jahre 2014 bis 2021. Die Staatsanwaltschaft behauptet diese Streiks seien unter einem Vorwand und mit „erpresserischen“ Absichten durchgeführt, um bessere Bedingungen für die Beschäftigen zu erreichen, als sie der nationale Vertrag vorsieht. Die gleichen Vorwürfe macht sie auch der Basisgewerkschaft USB, von der 4 führende Gewerkschafter:innen unter Hausarrest gestellt wurden. Die USB hatte deshalb vom 19.7. bis zum Morgen des 20.7. zu einem landesweiten Generalstreik aufgerufen.

Nach Darstellung der beiden Gewerkschaften, die sehr aktiv in Logistikzentren sind und sich selbst als „Basisgewerkschaften“ bezeichnen, haben die Beschäftigten „in Hunderten von Unternehmen und Lagern mit den Streiks ihre Lebensbedingungen verbessern und die Löhne erhöhen können. Außerdem konnten sie gegen das System des ,caporalato’ (Zwangsarbeit) vorgehen, bei dem dem organisierten Verbrechen verbundene Kräfte die prekäre Lage der Leiharbeiter:innen ausnutzen.“

Vor kurzem hat die Regierung Draghi durch einen parlamentarischen Coup den großen multinationalen Logistikunternehmen völlige Straffreiheit für alle Diebstähle ihrer Zulieferbetriebe aus den Lohntüten der Fahrer:innen garantiert und den Schutz des Arbeitsplatzes im Falle von Vertragswechseln abgeschafft.

Die Übergriffe der Kapitalist:innen werden von der Regierung legalisiert, der Widerstand dagegen wird kriminalisiert.

Wir rufen auf, den Widerstand und die Proteste gegen diese Angriffe des Kapitals und des Staates international zu unterstützen. Alle Gewerkschaften müssen das Recht auf Streik verteidigen. Gerade heute, wo Massenproteste gegen Inflation und Preistreiberei der Konzerne in allen Ländern auf der Tagesordnung stehen, ist die Solidarität über Gewerkschafts- und Ländergrenzen hinweg notwendig!

Eine erste Gelegenheit dazu wird es am Dienstag, den 26. Juli, geben, an dem in Deutschland und anderen Ländern Solidaritätskundgebungen und Proteste vor den italienischen Konsulaten geplant sind.




Pisa, Italien: Flughafen-Arbeiter:innen blockieren Waffenlieferungen

Susanne Kühn, Neue Internationale 263, April 2022

Am 14. März verweigerten Beschäftigte des Flughafens „Galileo Galilei“ in Pisa, Kriegsmaterial zu verladen, das über einen NATO-Stützpunkt in Polen weiter in die Ukraine verschickt werden sollte.

Die Aktion ist eine der ersten, wo Lohnabhängige die Kriegsanstrengungen „ihrer“ Regierung und der NATO blockierten, die den Angriff des russischen Imperialismus ihrerseits zum Vorwand nehmen, um die Ost-Erweiterung der NATO voranzutreiben und ihren Einfluss in der Ukraine auszubauen.

Zusätzliche Brisanz erhielt der Waffentransport dadurch, dass die Beschäftigten des Zivilflughafens über den eigentlichen Inhalt der Luftfracht bewusst getäuscht wurden. Offiziell sollten mit dem Flug Lebensmittel, Medikamente und andere nützliche Produkte für die ukrainische Bevölkerung geliefert werden, die in den letzten Wochen unter den Kämpfen zu leiden hatte. Die Gewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB), deren Mitglieder die Aktion gegen die Waffenlieferungen maßgeblich initiiert und getragen hatten, prangerte die dreiste Lüge offen an, „die auf zynische Weise den humanitären Deckmantel nutzt, um den Krieg in der Ukraine weiter anzuheizen“.

Diese Täuschung und Geheimhaltung ist keineswegs zufällig. In einem gemeinsamen Erlass der Ministerien für Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten und Wirtschaft beschloss die Regierung Draghi, die Liste des an die Ukraine über die NATO gelieferten Kriegsmaterials nicht zu veröffentlichen, sondern geheim zu halten und auch den Parlamentarier:innen nicht zur Prüfung vorzulegen. So viel zum Kampf für „Demokratie“!

Nach der Verhinderung des Waffentransportes rief die USB auch zu einer Demonstration gegen die Kriegspolitik der Regierung Draghi am 19. März unter dem Motto „Aus der Toskana – Brücken des Friedens und keine Kriegsflüge“ auf dem Flughafen von Pisa auf.

Ähnlich wie in vielen anderen europäischen Ländern beschränkt sich die Politik der Regierung auch in Italien natürlich nicht auf Waffenlieferungen. Auch die Regierung Draghi beteiligt sich aktiv und offensiv am Wirtschaftskrieg gegen Russland und an immer drastischeren Sanktionen. Wie in Deutschland sollen die jährlichen Militärausgaben auf über 2 % des BIP erhöht werden, also von derzeit 25 Mrd. Euro auf 38 Mrd. 2022. Zugleich sollen die Ausgaben für das Gesundheitswesen um 6 Mrd. sinken – ein Skandal, der die Prioritäten der herrschenden Klasse verdeutlicht!

Die Aktionen der Arbeiter:innen in Pisa machen aber Folgendes deutlich: Erstens, eine Alternative zum nationalen Schulterschluss und zur Burgfriedenspolitik der bürokratisierten Gewerkschaftsapparate (wie z. B. der DGB-Spitzen) und der reformistischen Arbeiter:innenbewegung ist möglich. Zweitens kann sich so die Arbeiter:innenklasse selbst zur zentralen gesellschaftlichen Kraft gegen die Kriegspolitik der eigenen Regierung aufschwingen, wenn sie den Kampf dagegen mit dem gegen deren Kosten ohne jegliche Rücksicht auf das sog. „nationale“ Interesse verbindet.




„Ihr die G20, wir die Zukunft!“ Ein Bericht über die Proteste in Rom

Korrespondent aus Italien, Infomail 1170, 15. November 2021

Am 30. Oktober fand in Rom der Gipfel der Staats- und RegierungschefInnen der G20 statt. Zentrale Themen der Konferenz waren die Kämpfe gegen die Pandemie, insbesondere der Zugang zu Impfungen, und den Klimawandel. Wenn wir jedoch die floskelhafte Fassade beiseitelassen, wird es einfach zu sehen, dass solche Veranstaltungen bloß eine lächerliche Pantomime sind. Dort versuchen die Staat- und RegierungschefInnen der größten kapitalistischen Mächte, ihre Verantwortung für die globalen Probleme vor der Welt, hinter einem Schall leerer Reden oder wechselseitiger Beschuldigungen verborgen zu halten.

Wie sollt man auch den möglichsten breiten Zugang zur Impfung sicherstellen können, ohne die Impfpatente freizugeben und die medizinische Konzerne zu enteignen? Und wie kann man eine echte ökologische Transformation in Gang bringen, ohne die Banken und Energiekonzerne zu enteignen und die Konkurrenz unten den größten imperialistischen Mächten zu überwinden? Kurz gesagt, wie kann man die entscheidenden Probleme unserer Zeit lösen, ohne die ganze kapitalistische Produktionsweise in Frage zu stellen?

Proteste und die ArbeiterInnenklasse

Die Proteste am Rande des Gipfels zeigte den Willen eines wichtigen Teils der Jugend und der ArbeiterInnenklasse, diese Heuchelei aufzudecken. In dieser Hinsicht stellten sie ein sehr positives Ereignis dar. Man muss jedoch leider sagen, dass ihr echter Schwachpunkt in der geringen Beteiligung bestand, die die Demonstration charakterisierte. Laut deren OrganisatorInnen nahmen an den Protesten etwa 10 000 Menschen teil. Zu wenig im Vergleich zu den Erwartungen und auch zu wenig im Vergleich zu ähnlichen Ereignissen in Rom. In erster Linie ist das eine Folge der ausweglosen Situation, in der sich die politische Linke in Italien seit langem befindet, und der daraus folgenden Unfähigkeit, Unterstützung von außerhalb des traditionellen „Vorhutmilieus“ für sich ziehen zu können.

Die Kundgebung bestand aus zwei verschiedenen Demonstrationen: Ein Teil wurde von linken Parteien, Gewerkschaften und vor allem von den ArbeiterInnen der GKN-Fabrik in Campi Bisenzio (Provinz Florenz) aufgerufen. Fakt ist dass der Kampf der ArbeiterInnen der GKN, eines Automobilzulieferers, gegen Massenentlassungen im Moment ein Zentrum des Klassenkampfes in Italien darstellt. Diese konnten dank der Besetzung des Fabrikgebäudes und einer dauerhaften und unermüdlichen Mobilisierung die Entlassungsverfahren blockieren und sie bewiesen damit zum x-ten Mal, dass nur  Kampf ermöglicht, gegen die KapitalistInnen Erfolg zu haben. Wichtig ist, dass die Enteignung des Betriebs und der Generalstreik gegen die Regierung die zentralen Forderungen ihrer Mobilisierung verkörperten. Als ebenso bemerkenswert erwies sich die Beteiligung anderer bedeutender Arbeitskämpfe wie Alitalia (Fluglinie) und Whirlpool (Haushaltsgerätehersteller).

Eine starke Präsenz der ArbeiterInnenklasse prägte also deutlich die Proteste gegen den G20-Gipfel. So stark, dass auch die Jugendlichen von Fridays For Future, aus denen der andere Teil der Proteste bestand, beeinflusst wurden: Es war nämlich wirklich schön und beeindruckend zu sehen, wie diese  gemeinsam mit Arbeitern und Arbeiterinnen für den Generalstreik gegen die Regierung riefen, anstatt zu betteln, dass die Regierung auf die WissenschaftlerInnen hört.

Bilanz

Sehr positiv war auch, dass man im Gegensatz zu vergangenen Protesten keine ImpfgegnerInnen gesehen hat. Mit Ausnahme einiger kleiner stalinistischer Gruppen bestand eine Gemeinsamkeit aller teilnehmenden Organisationen in den Forderungen nach einer echten wirksamen Impfkampagne und der Freigabe der Impfpatente. Besonders deutlich wurde das z. B. auf dem Banner der GenossInnen der PCL (Kommunistische Partei der ArbeiterInnen), das lautete: „Gegen Draghi und Imperialismus – ja zur Impfung, nein zu Patenten!“

Trotz der geringen Beteiligung können wir daher festhalten, dass die Bilanz der Aktion insgesamt positiv war, insbesondere weil am Tag nach der Demonstration ein gemeinsames Treffen aller Organisationen stattfand, die die Demonstration gestaltet hatten. Es wurde nämlich von allen  teilnehmenden Gruppen die Absicht bestätigt, eine gemeinsame Plattform um die Forderung eines Generalstreiks gegen die Regierung aufzubauen. Es wird interessant sein, die Entwicklung dieser Zusammenarbeit zu verfolgen.




Italien: FaschistInnen lassen ihren Corona-Ärger an den Gewerkschaften aus

KD Tait, Infomail 1168, 4. November 2021

Am Samstag, dem 16. Oktober, nahmen Zehntausende an einer antifaschistischen Demonstration in Rom teil, zu der der Gewerkschaftsbund CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro; Italienischer Allgemeiner Bund der Arbeit) aufgerufen hatte, um auf einen faschistischen Angriff gegen den Sitz der Gewerkschaft in der vorangegangenen Woche zu reagieren.

Am 9. Oktober hatten Tausende Menschen an einer Demonstration gegen den sogenannten Grünen Pass teilgenommen, der als Nachweis einer Corona-Impfung, eines negativen Tests oder einer kürzlich erfolgten Genesung dient.

Giuliano Castellino, der Stellvertretende Vorsitzende der rechtsextremen Partei Forza Nuova (Neue Kraft) und ihr Anführer in Rom, hatte diesen Angriff von der Bühne einer Kundgebung auf der römischen Piazza del Popolo (Platz des Volkes) aus angezettelt:

„Wisst ihr, wer zugelassen hat, dass der Grüne Pass Gesetz wurde und dass Millionen unserer Landsleute damit erpresst werden und von Arbeitslosigkeit bedroht sind? Sie haben bestimmte Namen: CGIL, CISL (Confederazione italiana sindacati lavoratori; Italienischer Gewerkschaftsbund) und UIL (Unione Italiana del Lavoro; Italienische Arbeitsunion). Wisst ihr, was freie BürgerInnen tun? Sie belagern die CGIL … Lasst uns gehen und alles holen, was uns gehört.“

In einer absichtlichen Nachahmung des Aufstands am Kapitol in Washington marschierten die DemonstrantInnen zum italienischen Parlament. Nachdem die Polizei ihren Versuch einzudringen zurückgeschlagen hatte, griff der von FaschistInnen angeführte Mob die Büros der CGIL an. Obwohl ein führender Politiker den Angriff im Zentrum Roms angekündigt hatte, erlaubte die Polizei den RandaliererInnen, das Gebäude zu zerstören.

PolitikerInnen der italienischen Regierungsparteien verurteilten den Angriff. Die FührerInnen der Demokratischen Partei und der Fünf-Sterne-Bewegung forderten sogar die Auflösung der Forza Nuova. Die ArbeiterInnen können jedoch nicht auf die kapitalistischen Parteien vertrauen, die in einer Koalition mit der Lega (Nord) von Matteo Salvini regieren.

Senator Salvini, der die Koalition unterstützt hat, aber nicht Teil der Regierung ist, hat seine AnhängerInnen gegen eben jene Corona-Maßnahmen aufgehetzt, für die die Abgeordneten seiner Partei gestimmt haben.

Der Grüne Pass

Hintergrund dieser Demonstrationen ist die Entscheidung der Regierung, den Grünen Pass, der bereits für den Zugang zu öffentlichen Einrichtungen und einigen Arbeitsplätzen erforderlich war, am 15. Oktober für alle Arbeitenden verbindlich zu machen. Diejenigen, die sich weigern, müssen Tests in Höhe von insgesamt 180 Euro pro Monat zahlen – weit über 10 Prozent des Durchschnittslohns. Wer gegen die Vorschriften verstößt, muss mit einer unbezahlten Freistellung und Geldstrafen von bis zu 1.500 Euro rechnen.

Die meisten ItalienerInnen unterstützen das Corona-Zertifikat, und bisher wurde die Antiimpfbewegung von populistischen und rechtsextremen Organisationen dominiert, die  die Bosse von kleinen und mittleren Unternehmen mobilisierten, deren Profite durch die Kosten der Corona-Beschränkungen bedroht sind. Die antifaschistische Demonstration, zu der die CGIL aufgerufen hatte, die das verpflichtende Corona-Zertifikat befürwortet, war zahlenmäßig zehnmal größer als die Antiimpfkundgebung.

Die Ausweitung des Passes auf alle ArbeiterInnen löste jedoch Streiks und Blockaden an Häfen im ganzen Land aus, organisiert von Basisgewerkschaften wie Cobas (Comitato di Base Scuola) oder USB (Unitaria di Base; Basiseinheit) und anderen syndikalistischen „Basiskomitees“, die von der Regierung kostenlose Tests für alle ArbeiterInnen fordern.

Die Regierung sagt, die Einführung des Passes würde „die Sicherheit am Arbeitsplatz erhöhen und die Impfkampagne stärken“. Dieselbe Regierung weigerte sich aber, einen Lockdown zu verhängen, bis Streiks zu einer Schließung der Betriebe führten, nachdem Tausende gestorben waren. Sie beendete den ersten Lockdown zu früh, wodurch eine zweite tödliche Welle ausgelöst wurde. Ihr neu entdecktes Engagement für die Sicherheit am Arbeitsplatz ist sowohl zynisch als auch willkürlich.

Der eigentliche Grund ist eher prosaisch. Da die Erntezeit bevorsteht und die Weihnachtsvorbereitungen in vollem Gange sind, wollen Italiens Bosse unbedingt einen weiteren Lockdown vermeiden.

Italien hat eine der höchsten Impfraten der Welt: 80 Prozent der über 12-Jährigen sind vollständig geimpft, aber es gibt immer noch fast 2,5 Millionen ungeimpfte ArbeiterInnen. Die Impfablehnung ist bei älteren Lohnabhängigen und MigrantInnen am höchsten. Außerdem verweigert die EU bisher dem russischen Sputnik-Impfstoff die Zulassung bzw. Anerkennung.

Eine möglichst hohe Impfquote in der ganzen Welt ist wünschenswert, aber SozialistInnen sollten sich in dieser Situation gegen eine Impfpflicht aussprechen, die kontraproduktiv und potenziell diskriminierend ist. Die Gewerkschaften sollten sich für eine massive Ausweitung der öffentlichen Gesundheits- und Informationskampagne unter Kontrolle durch die ArbeiterInnen einsetzen, die ihre Sicherheit über den Profit stellt. Dies wäre weitaus wirksamer.

Kapitalistisches Krisenmanagement

Die Reaktion der KapitalistInnen auf die Pandemie war in allen Ländern von der Sicherung ihrer Profite geleitet. Statt rascher und massiver Investitionen in die Gesundheitsfürsorge, die Sicherheit am Arbeitsplatz, die Aufklärung über Impfstoffe und die öffentliche Beschaffung und Verteilung der Vakzine nach einem internationalen Plan zur Ausrottung des Virus haben sich die Bosse und ihre Regierungen für eine Rückkehr zur „Normalität“ eingesetzt, d. h. für die ununterbrochene Anhäufung privater Profite.

Der Grüne Pass wird die Impfkampagne durch einfache kapitalistische Logik „verstärken“: Lass’ dich impfen (und arbeite) oder verhungere! Die Pandemie ist also eine Klassenfrage.

Wir sagen: Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind. Dem Kampf für „Zero Covid“ liegt eine politische Frage zugrunde. Es geht darum, ob die gesellschaftlichen Ressourcen für die Produktion von Profiten oder für die Rettung von Leben durch eine weltweite Kampagne zur Eliminierung des Virus eingesetzt werden sollen.

Deshalb fordern wir:

  • Abschaffung von Patenten der Impfstoffe und von Geschäftsgeheimnissen  – Enteignung von Big Pharma und privater Gesundheitsversorgung.
  • Massive Ausweitung der Impfstoffproduktion und kostenlose Verteilung an den globalen Süden.
  • Gegen verpflichtende Impfungen – für kostenlose Tests, die durch die Besteuerung der Reichen finanziert werden – für ein Vetorecht der ArbeiterInnen gegen unsichere Arbeitsbedingungen.
  • Volle Entlohnung und Arbeitsplatzgarantie für alle ArbeiterInnen, die krank oder in Quarantäne sind – oder diejenigen, die den Grünen Pass ablehnen.



Super Mario als Retter des italienischen Kapitalismus?

Aventina Holzer/Martin Suchanek, Infomail 1149, 10. Mai 2021

Die Konzentrationsregierung unter dem Premierminister und ehemaligen EZB-Chef Draghi erscheint als letzter Ausweg, um einen Kollaps des italienischen Kapitalismus zu verhindern, das Land aus der Krise zu führen und die EU zu retten.

Seit Jahren ist Italien das Sorgenkind Europas gewesen. Eine stetig steigende  Staatsverschuldung, Rückgang der industriellen Produktion, Verschuldung der Unternehmen und privaten Haushalte plagen das Land. Pandemie und Krise haben diese Lage noch einmal dramatisch verschärft. Das Gesundheitssystem brach faktisch zusammen: 122.470 Menschen verstarben bis zum 8. Mai 2021.

Die Staatsverschuldung betrug Ende 2020 rund 160 % des BIP (Bruttoinlandsprodukt), das Haushaltdefizit 8,8 % der Wirtschaftsleistung. Die Wachstumsraten dümpeln seit 2008 am unteren Ende der EU-Staaten. Im letzten Jahr schrumpfte das BIP um 8,9 %. Mit dem Einbruch verschärften sich auch die historisch gewachsenen, strukturellen Unterschiede zwischen dem Norden und Süden des Landes.

Doch im Unterschied zu Griechenland, dem in der letzten Krise von der EU, der EZB und dem IWF, der sog. Troika, ein beispielloses Kürzungsprogramm aufgezwungen wurde, um im Interesse des deutschen und westlichen Finanzkapitals ein Exempel zu statuieren, ist das imperialistische Italien für die EU zu groß und zu bedeutsam, um einen Totalzusammenbruch zu riskieren. Schon die Regierung Conte setzte auf EU-Gelder, um das Land zu sanieren, nachdem diese und der deutsche Imperialismus ihre Finanzpolitik verändert hatten und eine „Gemeinschaftsverschuldung“ möglich machten, um den Kollaps strategisch wichtiger Staaten zu verhindern. Ob dies gelingt, bleibt dennoch abzuwarten angesichts der Tiefe der Krise, der zentrifugalen Tendenzen in der EU selbst, aber auch angesichts der politischen Verwerfungen und des möglichen Widerstandes der ArbeiterInnenklasse und Unterdrückten, denen die Kosten der Krise aufgedrückt werden sollen.

Zusammenbruch der Regierung Conte

Wie fragil das politische System des Landes ist, verdeutlichte der Rücktritt des ehemaligen Premierministers Conte zu Beginn des Jahres. Die Regierungskrise wurde durch Matteo Renzi, selbst ehemaliger Ministerpräsident Italiens, ausgelöst. Dieser war bis September 2019 noch Mitglied der Partito Democratico (Demokratische Partei) , die aus einem Zusammenschluss der einstigen Sozialdemokratie mit einem Flügel der ChristdemokratInnen hervorging. Zu diesem Zeitpunkt gründete er seine eigene Partei, Italia Viva (Lebendiges Italien). Er und seine Partei kündigten am 13. Jänner die Zusammenarbeit in der Regierung Conte II auf, die daraufhin zerbrach. Die zwei Ministerinnen, die Italia Viva stellte, Landwirtschaftsministerin Teresa Bellanova und Familienministerin Elena Bonetti, sowie der Staatssekretär im Außenministerium, Ivan Scalfarotto, verließen die Regierung.

Bruchpunkte wurden versucht, an der Person Contes festzumachen, lagen aber um einiges tiefer. Hauptauslöser scheinen die Kredite zu sein, die Italien durch die Wirtschaftskrise bringen sollen. Über 200 Mrd. Euro werden als Hilfszahlungen aus dem Post-Covid-19-Wiederaufbaufonds von der EU bereitgestellt und sollen an kritischen Punkten investiert werden. Renzi fordert, dass die Gelder aus dem ESM (dem „Europäischen Stabilitätsmechanismus“, der als Rettungsschirm der EU dient und eine eigene politische Instanz darstellt) bezogen werden und griff zeitgleich die Pläne für den Einsatz der Hilfsgelder an. Ihm zufolge wären die vorgeschlagenen Maßnahmen nur „handouts“, also „Almosen“, gewesen und keine nachhaltige Investition. Die MoVimento Cinque Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung), welche auch an der Regierung beteiligt ist, stellte sich stark gegen die Forderung, auf Gelder des ESM angewiesen zu sein, mit Hinblick darauf, dass eine potenzielle Auferlegung von Austeritätsmaßnahmen durch diese Institution im Zusammenhang mit den Krediten schwer zu stemmen wäre. Obwohl versucht wurde, Renzis Einsprüche in die neuen Pläne zu inkludieren, sprengte er die Koalition.

Die restliche Koalitionsregierung, bestehend aus dem populistischen MoVimento Cinque Stelle (C5S) und der Partito Democratico, stand danach vor einem Dilemma. Alle involvierten Parteien wollten vorgezogene Wahlen vermeiden, da die Umfragen sehr schlechte Ergebnisse für die Koalitionspartnerinnen und fast über 50 % der Stimmen für das rechte Lager (Forza Italia – die 2. Partei gleichen Namens, 2013 gegründet –, Fratelli d’Italia und Lega, vormals Lega Nord) prognostizierten. Giuseppe Conte hatte also zwei Optionen: Entweder er würde sich im Parlament einem Vertrauensvotum stellen (was mit den 18 fehlenden Stimmen der Italia-Viva-Abgeordneten keine klare Mehrheit für ihn bedeuten könnte) oder er müsste in der Hoffnung zurücktreten, von Staatspräsident Sergio Mattarella erneut mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden. Er entschied sich für die erste Variante und wurde am 19. Jänner mit 156 Stimmen bei 140 Gegenstimmen und 16 Enthaltungen bestätigt.

Conte (der übrigens parteilos ist) gelang es allerdings nicht, genug Unterstützung bei den Parteien zu finden, um eine Mehrheit zu stellen und war am 26. Jänner schließlich gezwungen zurückzutreten. Neue Gespräche um eine Regierungsbildung scheiterten allerdings auch. Staatspräsident Mattarella war nun in der Position, entweder Neuwahlen auszurufen oder eine andere Führungsfigur zur Regierungsbildung einzusetzen.

Alle für Draghi

Bestellt wurde schließlich der ehemalige EZB-Präsident Mario Draghi, dem zugetraut wurde, die Parteien hinter einer „sinnvollen“ Verwendung der Hilfsgelder zu einen. Am 13. Februar, nach erfolgreichen Gesprächen mit fast allen Parteien des italienischen Parlaments und einer Sicherung der Mehrheit, wurde Draghi als Ministerpräsident angelobt und bestellte eine neue Regierung, teils aus alten Mitgliedern, teils aus vorher nicht politisch involvierten ExpertInnen. Die Regierung der nationalen Einheit versucht nun vor allem, die politischen Differenzen der M5S, der PD, der Lega, Forza Italia und Italia Viva zu überbrücken, und argumentiert, dass die Grabenkämpfe in einer Situation der Krise keinen Platz mehr hätten. Wie Draghi in seiner ersten Rede als Ministerpräsident betonte: „Heute ist Einheit keine Entscheidung, sondern eine Pflicht.“ 535 Abgeordnete stimmten für den neuen Ministerpräsidenten bei 56 Gegenstimmen und 6 Enthaltungen.

Die Regierung der nationalen Einheit umfasst also faktisch alle im Parlament und Senat vertretenen Kräfte. Sie stützt sich außerdem auf die Unternehmerverbände und die stillschweigende Duldung der großen Gewerkschaftszentralen. Von demokratischer Kontrolle der Regierung durch die parlamentarischen Institutionen kann natürlich keine Rede sein. Alle Parteien teilen sich mehr oder weniger schiedlich die Posten im Kabinett, um so bei der Rettung des Landes zumindest ihren Schnitt zu machen.

Draghi selbst verkörpert die Gesamtinteressen des italienischen (und europäischen) Großkapitals und der Finanzwelt wie kaum ein anderer. Jahrelang führte er die italienische Zentralbank, später die EZB und prägte dabei die Finanzpolitik der EU maßgeblich.

Er präsidiert über der Konzentrationsregierung aller Parteien, weil das Land tatsächlich in einer historischen Krise feststeckt und die bürgerlichen Parteien selbst mit dem parlamentarischen und „demokratischen“ Schacher nicht mehr weiterkommen, sich bloß von Regierungskrise zu Regierungskrise hangeln. Daher präsentiert sich der Regierungschef, obwohl sein Kabinett von allen etablierten Parteien gestützt wird, als über diesen stehend. Das drückt sich auch darin aus, dass neben VertreterInnen der Regierungsparteien auch zahlreiche „unabhängige“ ExpertInnen ins Kabinett berufen wurden. Draghi inszeniert sich selbst als Regierungschef, der scheinbar über den fraktionellen Kämpfen steht.

Einmal mehr zeigt sich die innere Logik einer Konzentrationsregierung, die vorgibt, alle gegensätzlichen Kräfte, alle Klassen und Schichten der Bevölkerung zu einen. Sie bedarf einer scheinbar über allen Interessengruppen stehenden Führungsfigur, eines „integren Experten“, den vermeintlich nur das Wohl aller interessieren würde.

Dieser Mechanismus stärkt unvermeidlich die bonapartistischen, autoritären Elemente, die in jedem bürgerlichen Staat immer schon vorhanden sind und dann gebraucht werden, wenn sich die herrschende Klasse die normalen parlamentarischen Intrigen und Rochaden nicht mehr leisten kann. Regierungskrise, wechselnde Koalitionen gehörten schließlich über Jahrzehnte zum politischen System Italiens. Wie der Zusammenbruch der Regierung Conte II im Januar zeigte, bedrohen diese nun das gesamte Gefüge. Daher bedarf es vom Standpunkt der herrschenden Klasse der autoritär geführten Regierung unter Draghi.

Draghi und sein Programm

In dieser Situation eine undemokratische Regierung einzusetzen, die nicht von der Bevölkerung klar bestätigt wurde, kann selbstverständlich keine Lösung im Interesse der Massen darstellen. Draghi wird viel zugetraut – von den Herrschenden. Ihm wird als Zentralbankpräsident die Rettung des Euro über die Nachwirkungen der Krise 2008 hinweg angerechnet. Sein Ausspruch „whatever it takes“, also „was auch immer es braucht“, um den Euro zu retten, ist eigentlich eine gute Umschreibung für seinen klassenpolitischen Zugang.

Der ehemaliger Goldman-Sachs-Mitarbeiter war nicht nur in diesem Fall in mehrere Vorwürfe von korruptem Verhalten verstrickt. Draghi ist ganz klar ein Vertreter der herrschenden Klasse und hat kaum Skrupel, sich gegen die Interessen und vor allem die Gesundheit der Bevölkerung durchzusetzen. Sein primäres Ziel besteht darin, die Wirtschaft wieder auf Vordermann zu bringen. Draghi nimmt hier die Rolle des ideellen Gesamtkapitalisten wahr. Er agiert nicht für eine besondere Kapitalfraktion, sondern soll vor allem Umstände schaffen, die zu einer Erholung der Wirtschaft führen und längerfristig die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit des italienischen Imperialismus sichern sollen.

Ende April legte er einen Wiederaufbauplan (Nationaler Plan für Aufschwung und Resilienz) vor, der von der bürgerlichen Presse nicht nur in Italien gefeiert wurde. Im italienischen Abgeordnetenhaus und im Senat wurde er mit übergroßen Mehrheiten durchgewunken, die EU-Kommission segnete ihn ohne Einwände ab.

Der Plan sieht Finanzhilfen aus Brüssel in der Höhe von 221 Mrd. Euro bis 2026 vor und weitere Milliarden, die auf den Finanzmärkten aufgenommen werden sollen. Diese sollen die Wirtschaft ankurbeln, Digitalisierung, Energiewende, Infrastrukturprojekte und Modernisierung vorantreiben. Diese Milliardensummen sollen durch staatliche Aufträge und weitere Investitionsanreize für das private Kapital finanziert werden.

Der Plan verspricht aber auch Milliardenausgaben für Bildung (Kitas und Schulen), Wohnungsbau und soziale Leistungen. Dies präsentiert Draghi geschickt als Dienst an den Massen. Der Hauptgrund für diese Verbesserungen nach Jahrzehnten der Kürzungen dürfte aber darin bestehen, dass die Einsparungen in den Bildungs- und Sozialsystemen auch zu einem Mangel an ausreichend qualifizierten ArbeiterInnen in sog. Zukunftsindustrien geführt haben. Schließlich dienen solche sozialen Versprechungen auch, um die Regierung Draghi als einen Neuanfang zu präsentieren nach Jahren der Austerität, der politischen Instabilität, der Korruption und des Parteienstreits.

Zugleich ist aber auch klar, dass die ökonomische Krise im Land mit massiven Angriffen auf die Lohnabhängigen und Unterdrückten eingehen wird. Über 100.000 Menschen haben ihr Leben in der Pandemie eingebüßt – und die Katastrophe ist längst nicht überwunden. Hunderttausende haben schon ihre Arbeitsplätze verloren – und allein im industriellen Bereich drohen 2021 weitere 500.000 Menschen entlassen zu werden.

Der Ende 2020 vorgelegte Bericht des italienischen Sozial- und Wirtschaftsforschungsinstituts Censis zeichnet ein düsteres Bild der sozialen Lage im Land, vor allem was die Ärmsten der Armen betrifft. So konnten sich Ende letzten Jahres 5 Millionen ItalienerInnen kein vollwertiges Mittagessen leisten. Das monatlich verfügbare Einkommen der ärmsten Familien sank von 900 Euro Ende 2019 im Laufe eines Jahres auf 600 Euro. Für insgesamt 22,3 Millionen Menschen, also mehr als ein Drittel der Bevölkerung, verschlechterte sich das Familieneinkommen deutlich.

Angesichts dieser Entwicklungen fallen die sozialen Versprechungen Draghis weiter viel zu dürftig aus. Von einer Besteuerung der Reichen und Gewinne, von Lohn- und Einkommenserhöhungen findet sich in seinem Programm nichts.

Proteste

Die Proteste gegen gegen die Regierung und ihre Politik kommen aber bisher vor allem aus dem rechten und ultrarechten Lager. Ähnlich wie auch in Deutschland und Österreich ist die stark kleinbürgerlich und rechtsradikal geprägte Antilockdown-Bewegung zusammengefasst unter #IoApro (dt.: ich öffne bzw. werde öffnen), die sich stark gegen die Lockdownbestimmungen stellt und dabei zum Großteil Kleinkapitalinteressen abdeckt. Am 12. April eskalierte in Rom eine Demonstration, die im Vorhinein untersagt wurde. Trotzdem reisten um die 130 Autobusse mit DemonstrantInnen extra an. Die Demonstration, die auch mit FaschistInnen von CasaPound, ImpfgegnerInnen und CoronaleugnerInnen durchsetzt war, lieferte sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Am Abend wurde trotzdem eine Delegation der DemonstrantInnen vom Wirtschaftsminister empfangen, um ihre Forderungen vorzubringen.

Eine ähnliche Szene trug sich auch in Mailand zu, wo am 10. November 300 Jugendliche zum Mitwirken an einem Musikvideo von Rapper Neima Ezza gegen die Ausgangssperren verstießen und mit exzessiver Polizeigewalt aufgehalten wurden. Das Stadtviertel San Siro, in dem sich die Straßenschlacht zutrug, ist ein armes und es ist kein Zufall, dass hier bei 300 Jugendlichen die Polizei mit Tränengas eingreifen „musste“ und bei den „besorgten BürgerInnen“ am Montag eine Delegation der Protestierenden empfing.

Die Frustration über die anhaltenden Lockdownbestimmungen ist nachvollziehbar. Es braucht aber keinen Coronaskeptizismus, sondern Pandemiebekämpfung, die an der richtigen Stelle ansetzt, am Arbeitsplatz. Nicht-essenzielle Arbeit, bezahlt zu pausieren, würde in der Pandemiebekämpfung weitaus mehr bringen als seit einem Jahr andauernde Ausgangssperren und zeitgleich auch viel weniger Nährboden für rechte Kräfte, CoronaleugnerInnen und Ähnliches lassen. Es ist aber bezeichnend für die Ausrichtung der neuen Regierung, dass Rechte mit Samthandschuhen angefasst und zum Wirtschaftsminister vorgelassen werden, während der Staat gegen linke Proteste und kämpfende ArbeiterInnen vorgeht.

Arbeitskämpfe

Die Gewerkschaften setzen hingegen, wie in vielen anderen Ländern, auf SozialpartnerInnenschaft und Gespräche mit der Regierung statt auf Mobilisierung für eine Pandemiebekämpfung im Interesse der ArbeiterInnenklasse und Forderungen, um Löhne und Arbeitsplätze zu verteidigen und eine soziale Sicherung für alle durchzusetzen.

Daher sind die Kämpfe bisher eher sektoral. Einen wichtigen Ansatzpunkt stellt dabei der Streik bei Amazon dar, der im März stattfand. Diese Proteste reihten sich in eine weltweite Aktion gegen das berühmt-berüchtigte Monopol ein. Unter #makeamazonpay gab es international rund um Ostern breite Proteste. Doch die bremsende Rolle der Gewerkschaftsführungen zeigte sich auch hier. Ihre Forderungen und ihre Taktik blieben verhalten, obwohl sich 75 % der Belegschaft an den Aktionen beteiligten.

KommunistInnen und klassenkämpferische ArbeiterInnen müssen bei aller Kritik an der SozialpartnerInnenschaft und angesichts der Schwäche und Zersplitterung der historischen Organisationen der ArbeiterInnenklasse klare Forderungen an die Gewerkschaften richten.

Notwendig ist erstens ein Bruch mit der Politik der SozialpartnerInnenschaft und dem Hoffen auf Unterstützung durch Regierungen. Die linkeren Basisgewerkschaften wie Cobas können als wichtige, vorwärtstreibende Kraft wirken, die für eine kämpferische Politik einstehen. So rief die Basisgewerkschaft CUB (Confederazione Unitaria di Base; Einheitlicher Dachverband der Basis) im Oktober 2020 zu einem Generalstreik gegen die Sparmaßnahmen der damaligen Regierung Conte auf, dem einige Zehntausend ArbeiterInnen folgten. Dies verdeutlich sowohl das Kampfpotential wie auch die Schwierigkeit, die Masse Lohnabhängigen, sowohl der Unorganisierten wie der Mitglieder der großen Gewerkschaftsföderationen, der „Einheitsgewerkschaft“ CGIL (Confederazione Generale Italiana del Lavoro; Allgemeiner Dachverband der Arbeit – offiziell über 5 Millionen Mitglieder), dem christlich-sozialen Dachverband CISL (Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori; Italienischer Dachverband der ArbeiterInnengewerkschaften – offiziell rund 4,5 Millionen Mitglieder) und UIL (Unione Italiana del Lavoro; Italienische Union der Arbeit – offiziell über 2 Millionen), mit in den Kampf zu ziehen.

Nach eigenen, schöngerechneten Angaben vereinen die drei dennoch um die 10 Millionen Lohnabhängige. Also eine gewaltige Macht, wenn sie diese nützen würden. Doch die Gewerkschaftsführungen setzen auf SozialpartnerInnenschaft und Draghi greift das auf und bietet Konsultationen und Spitzengespräche an.

Derweil setzt seine Regierung auf eine Welle direkter Angriffe. So wurde seit dem 31. März der Entlassungsstopp, der für etliche Sektoren während der Pandemie eingeführt wurde, schrittweise gelockert. Ebenso werden die Kündigungsschutzmaßnahmen auf Drängen der Industrie weiter geschliffen – mit dem zynischen Argument, dass nach bereinigenden Entlassungen vermehrt Neueinstellungen erfolgen könnten.

Um gegen diese Angriffe zu kämpfen, braucht es eine reale Kampfeinheit. Die Forderung nach dem Bruch mit der SozialpartnerInnenschaft wird nicht reichen. Es braucht betriebliche Kampforgane, Aktionskomitees, die diesen Druck ausüben können und den Aufbau einer gewerkschaftsübergreifenden klassenkämpferischen Basisbewegung, die gegen die Bürokratie und für eine Restrukturierung der Gewerkschaften auf der Basis von ArbeiterInnendemokratie und Klassenkampf eintritt. Dazu ist es notwendig, ein Aktionsprogramm gegen die Krise in den Betrieben, aber auch in den Stadtteilen zu vertreten, das sich gegen Entlassungen und Kürzungen, soziale Not, Rassismus und Polizeigewalt richtet und sich für eine effektive Pandemiebekämpfung starkmacht.

Doch die italienische ArbeiterInnenklasse und die Linke leiden nicht nur an der Strategie der Gewerkschaftsapparate. Die Politik der Klassenzusammenarbeit, wie sie von den Führungen der ArbeiterInnenbewegung und insbesondere auch von dem ehemaligen Hoffnungsträger der europäischen Linken, Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Wiedergründung), betrieben wurde, führte ins politische Desaster. Sie markiert eine strategische Niederlage der italienischen ArbeiterInnenklasse, von der sie sich bis heute nicht erholt hat und in deren Folge in zahlreiche linke Kleinparteien, zumeist reformistischen oder linkspopulistischen Charakters, zentristische Gruppierungen oder linkssyndikalistische Projekte zersplittert ist.

Zur Überwindung der Führungskrise der Klasse braucht es zweierlei: erstens den Aufbau einer Bewegung gegen Pandemie und Krise, die in den Betrieben und Gewerkschaften verankert ist, gegen die Angriffe der Regierung kämpft, die Umsetzung der sozialen Versprechungen einfordert und ein eigenes Aktionsprogramm formuliert, einen Notplan gegen Arbeitslosigkeit, Armut, Entlassungen und für ausreichende Gesundheitsversorgung, der von den Reichen finanziert wird.

Zweitens braucht es eine politische Organisation, eine neue revolutionäre ArbeiterInnenpartei, die den Kapitalismus nicht an der Regierung mitverwaltet (wie einst Rifondazione Comunista), sondern den Kampf gegen die Kosten der Krise mit dem für eine andere, sozialistische Gesellschaftsordnung verbindet. Alle antikapitalistischen und klassenkämpferischen Kräfte der radikalen wie der Gewerkschaftslinken – darunter auch die radikaleren, kleinen Gruppierungen – sind gefordert, sich an der Diskussion und Bildung einer solchen Organisation zu beteiligen. RevolutionärInnen müssten diesen Prozess nicht nur mit vorantreiben, sondern auch von Beginn an für eine konsequente revolutionäre Ausrichtung, für ein revolutionäres Programm eintreten.